Stories
Stories, Gedichte und mehr
Die Liebe und die Freiheit
Teil 2 - Cain
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Die Liebe und die Freiheit
- Autor: Rubilamea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Abenteuer, Historisch
Das Land Aurelias war nicht allein auf dieser Welt. Im Westen lag das Land Kaskur, welches beherrscht wurde von Kieran dem Schrecklichen. Dieses Land war das Gegenteil von Aurelias. Hier kannten die Menschen nur Hunger und Leid. Sie lebten in völliger Armut, lebten von dem, was sie sich auf den Feldern mühsam zusammen klaubten und die Wasservorräte waren ebenfalls sehr knapp. Kieran der Schreckliche herrschte bei den finsteren Hügeln, dort war alles zerstört. Die Häuser sahen aus wie Ruinen, kaum sah man Menschen auf den Wegen. Im Verborgenen verachteten sie ihren Herrscher.
Kieran der Schreckliche war ein groß gewachsener Mann, mit dunklen Haaren und einem vom Krieg gezeichneten Gesicht. Sein Körper war ausgeprägt muskulär.
Er knechtete sein Volk fast zu Tode. Zu hohe Steuern zwang er ihnen auf, buchstäblich alles, was sie besaßen, ging an ihn. Seine Kammern waren reich gefüllt, nur das Edelste vom Edelsten war zu finden. Sein Palast, auch dieser äußerlich fast einer Ruine gleich, war aus kaltem Stein und dunkel. Die Luft darin war stickig und feucht. Aber hier fühlte sich der König am wohlsten. Kieran hielt seine Bediensteten wie Sklaven, Männer sowie Frauen, selbst Kinder mussten ihm zu Diensten sein. Tyrannisch und launisch behandelte er alle um sich herum, ohne Rücksicht setzte er seinen Willen durch. Wer seinem Willen nicht folgte, bekam schlimme Strafen. Deshalb wagte auch niemand je einen Widerspruch und ein jeder tat, wie ihm befohlen.
Dennoch machte ein Kind ihm Sorgen und Schwierigkeiten, es war sein eigener Sohn. Dieser Sohn war in seinen Augen ein Bastard, gezeugt mit einem zur Ehe gezwungenen Weib. Ein Weib, welches er nie liebte und die ihn nicht wollte. Er schlug sie und nahm sie, bis sie schwanger wurde. Nach der Geburt des Kindes hätte er sie am liebsten zum Teufel gejagt. Es gab nur einen Grund, sie und diesen Jungen bei sich zu behalten. Kieran befürchtete, dass sein Reich in Gefahr wäre, ohne einen Erben. Ein schweres Los für den jungen Cain.
Cain war in seiner Kindheit sehr schüchtern und immer für sich allein. Er musste viel über sich ergehen lassen, die körperlichen Züchtigungen seines Vaters und die seiner Ammen, die auf Geheiß Kierans hart mit dem Jungen umgingen. Cain war ein zierlicher Junge, mit ebenso dunklen Haaren, wie sein Vater, aber verträumten, leuchtendblauen Augen.
„Kannst du nicht einmal das machen, was ich von dir verlange? Ist das denn so schwer zu verstehen, du Undankbarer?“, schrie Kieran seinen Sohn an.
Cain stand mit Tränen in den Augen vor seinem Vater, als dieser in anherrschte und brachte nur einen Seufzer über die Lippen. Er war nie wirklich glücklich gewesen, auch jetzt wo er ein heranwachsender Mann war, konnte er sich seinem Vater gegenüber nicht erwehren. Egal was Cain tat, es war grundsätzlich falsch. Das eine Mal war es, weil er nach Meinung Kierans bei seinen Übungen im Schwertkampf falsche Schritte und falsche Ausführungen machte, ein anderes Mal, weil er schief am Tisch saß.
Nur in seinem eigenen Gemach und oft auch im Unterricht seines alten Gelehrten konnte Cain meist tun und lassen was er wollte, dort hatte er Ruhe vor seinem cholerischen Vater. Da konnte er seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen, dem Lesen, dem Lesen der alten dicken Bücher, die voller aufregender Geschichten waren. In diesen Büchern versunken, tauchte er in eine andere, bessere Welt ab, ließ seiner Fantasie ungestört freien Lauf. „Ich wünschte, ich könnte auch so ein Leben führen, wie meine Helden in den Büchern“, dachte er oft leise für sich.
Für Cain war es alles andere, als ein einfaches Leben. Unter der unglaubliche Strenge und dem Jähzorn seines Vaters litt der Junge sehr. Kieran warf seine Mutter Tyaida in einem Anfall von Wut und Zorn doch hinaus. Er war überzeugt, Cain brauche sie nicht mehr, sie würde den Jungen nur verweichlichen. Damit brachte er seinen Sohn um die einzigste Person, die Verständnis für den Jungen hatte und Liebe gab. Durch seine Abgeschiedenheit in dem Palast konnte Cain auch keine Freunde in seinem Alter finden.
Wie sollte er sich denn jetzt, nach inzwischen fünf Jahren, fast in Einsamkeit, seinem herrschsüchtigen Vater widersetzen? Weglaufen wäre auch nicht sinnvoll, denn sein Vater würde ihn sowieso finden, so wie die beiden Male, an denen er es versucht hatte und er anschließend streng bestraft wurde. So verbrachte er also die meisten Stunden eines Tages mit Lernen, Kämpfen und, wann immer es ging, mit Lesen.
Eines Tages lag Cain auf seinem Bett, vertieft in eines seiner Bücher, als es an der Tür klopfte. Die Tür ging auf und ein kleines Mädchen betrat schüchtern den Raum: „Hoheit, Majestät Kieran möchte Euch unverzüglich in der großen Halle sehen.“
Cain legte das aufgeschlagene Buch mit den Seiten nach unten auf sein Bett, legte seinen Umhang an und folgte dem Mädchen. Sie liefen zügig die Gänge entlang, welche zum Saal führten. Ziemlich ängstlich, mit feuchten Händen und am ganzen Körper zitternd gelangte der Junge zur schweren Eingangstür des Thronsaales. Davor holte Cain noch einmal tief Luft und trat ein.
Kieran saß auf seinem Thron, der aus einem einzigen Felsen geschlagen war. Der Herrscher wirkte auf diesem Sitz, wie ein großes, schreckliches Tier. Er schaute den Jungen aus finsteren Augen an und sah, dass er zitterte.
„Wovor hast du Angst? Es gibt keinen Grund, ich wollte dir nur deine neuen Regeln bekannt geben, an die du dich ab sofort zu halten hast.“
Cain schluckte schwer. Neue Regeln, das kannte er, das verhieß nichts Gutes. Regeln, die er wahrscheinlich nicht schaffen würde einzuhalten und die Strafen, die er erleiden müsste, weil sein Vater ihn dafür bestrafen würde, wären wieder grausam.
„Die erste Regel wird sein, dass alle Bücher aus deinem Gemach verschwinden, ich habe sie lange genug zugelassen und finde die machen dich nicht zum Mann, eher zu einer kleinen weichen Maus. Die zweite Regel ist, dass du von nun an nur noch körperliche Tätigkeiten ausübst. Den alten Zausel, der sich dein Gelehrter nennt, wirst in der nächsten Zeit nicht wiedersehen, der hat dir genug Unsinn beigebracht, davon wirst du nicht hart. Im Schwertkampf, im Bogenschießen, sowie im Reiten wirst du dich stärken. Darin wird dich Daikin den ganzen Tag unterrichten. Er hat Befehl, in aller Härte mit dir zu trainieren. Und solltest du diese Regeln nicht nach meinen Wünschen befolgen, habe ich eine harte Strafe für dich vorgesehen.“
Kieran hob die rechte Hand und deutete auf ein großes Fenster des Saales. Cain machte zaghafte Schritte drauf zu und schaute hinaus auf den ehemaligen Marktplatz, auf dem schon lange keine Geschäfte mehr gemacht worden waren. Mitten auf dem Platz sah er die befürchtete Garotte stehen, einen Pfahl, an dem ein Gefangener zur Folter gefesselt wird. Der bekommt eine Schlinge um den Hals und diese wird vom Scharfrichter von hinten mit einem Stock zusammen gezogen, bis er dem Erstickungstod nahe ist. Oft überlebten das die Geschundenen nicht. Cain griff sich an den Hals und drehte sich zu seinem Vater um. „Wie ihr wünscht, Majestät“, brachte der Junge nur noch mit fast erstickter Stimme hervor und verließ nach dem Fingerzeig des Vaters auf den Eingang diesen furchteinflößenden Ort.
Der Junge schlurfte niedergeschlagen zu seinem Gemach und konnte kaum fassen, was sein Vater diesmal wieder mit ihm vorhatte. Da angekommen, sah er die Dienerschaft, die sich darin schon zu schaffen machte. Mit hastigen Schritten ging er hinein und versuchte heimlich noch ein paar Bücher zu retten, indem er sie unter dem Umhang verschwinden ließ. Darunter waren auch seine Tagebücher, von diesen wollte er sich keinesfalls trennen, sie waren die einzigen Freunde, die er hatte und das Buch, welches er noch bis eben gelesen hatte und aufgeschlagen, halb vom Laken verdeckt auf seinem Bett lag ebenso. Es beschrieb die große Freiheit, Abenteuer und die große weite Welt. Cain verdeckte es, indem dem er sich darauf setzte. Dabei verzog er keine Miene, versuchte sich nichts anmerken zu lassen, versuchte unbeeindruckt von dem Vorgehen zu wirken. Es glückte ihm, obwohl er den Eindruck hatte, dass man es bemerkt hatte. Als die Dienerschaft den Raum verließ, kniete er nieder und fing an zu weinen. ,,Warum? Warum, tut er mir das an?“ Mit den Händen vor seinem Gesicht konnte er lange nicht aufhören.
Kieran war es gleich, wie es seinem Sohn gehen würde. Es machte ihm gewissermaßen Spaß, Cain zu demütigen. Das gab ihm eine besondere Genugtuung, die Wut der verhassten Ehe, des verhassten Weibes, konnte er nur so an ihm auslassen. Kieran genoss es, wenn seine Untertanen leiden sah, er kannte keinerlei Mitleid und hatte nur verächtliche Blicke für sie. Kieran selbst lebte schon als Kind sehr streng, auch er hatte nie Liebe von seinen Eltern erhalten und so konnte niemand erwarten, dass er eines Tages mit Güte und Nachsicht herrschen würde.
Cain kniete immer noch auf dem Boden, die Augen taten ihm weh, so sehr hatte er geweint. Mit einem Mal wurde die Tür aufgeschlagen und es trat ein stattlicher Mann hinein. Er war in voller Kriegsmontur. Sein Kampflehrer Daikin, er war groß und seine Schultern breit wie ein Schrank. Das Gesicht noch jung ausschauend, mit rehbraunen Augen.
„Ich bin hier, um Euch jetzt abzuholen, für Eure nächsten Stunden. Kommt jetzt hoch, trödelt nicht und beeilt Euch. Ich erwarte Euch vor der Tür“, sprach er in harschem, forderndem Ton. Dennoch war in seiner Stimme weniger Hass und Strenge zu fühlen, als es Cain erwartet hatte.
Der Junge stand auf, legte seine Rüstung an und verließ seinen Raum mit gesenktem Haupt.
„Kommt schon Bübchen, es wird Zeit, denn das, was wir jetzt nicht schaffen, müssten wir später hinten dran hängen, Ihr wollt sicher nicht, dass es bis die Nacht dauert“, trieb ihn Daikin an.
Cain nickte nur und schaute weiter zu Boden. Er wollte nicht, dass sein Lehrer erkennen konnte, wie schwach er im Augenblick war und dass er geweint hatte. Sie liefen zusammen die Gänge entlang bis zur Arena, Cain immer zwei Schritte hinter dem voran schreitenden Daikin. Die Arena war mit einer, einige Ellen hohen, schweren Tür verschlossen, ähnlich der des Thronsaales, nur mit Fresken und Verzierungen kriegerischer Art. Man erkannte Ritter hoch zu Ross, die Schlachten führten, sowie Kämpfer, die gefallen waren. Cain´s Lehrer schob diese schwere Tür auf und sie traten in die riesige, gut ausgeleuchtete, Cain wohlbekannte Halle. An den Wänden hingen viele, große Wandteppiche mit Motiven aus Reiter- und Nahkämpfen zwischen den Fackeln, die im Gegensatz zu allem anderen hier eine wohltuende Wärme ausstrahlten.
„So dann macht Euch bereit, nehmt Eure Waffe und dann greift an!“
Cain stellte sich auf die andere Seite der Arena und zog sein Schwert und erhob es. Er wollte sich bemühen mit jedem Schlag zu treffen und den Gegenschlägen zu parieren. Sein Lehrer wartete bis Cain zum Angriff überging. Er machte einen Schritt zur Seite und der Junge lag am Boden.
„Was ist los mit Euch? Habt Ihr Eurem Vater nicht zugehört. Jetzt strengt Euch an, Ihr sollt ein Mann sein, zeigt es mir!!“
Cain stellte sich auf seine Füße und holte tief Luft, um sich besser konzentrieren zu können. Ein Schritt nach links, dann nach rechts, ein Ausholschlag und schon lag er wieder auf dem Boden. Daikin erwischte ihn am Rücken, dann auf der Brust und am Ende zog er mit einer Fußbewegung dem Jungen die Beine weg. Weitere Male hatte Cain augenscheinlich nicht Chance eines Treffers, Daikin fühte ihn regelrecht vor, bewies ihm seine mangelhafte Fähigkeiten heute.
„Sir, ich kann nicht mehr, ich bin diese Anstrengungen leid. Mir tun alle Knochen weh und ich bin außer Atem“, stöhnte Cain aus dieser Lage.
„Wie, Ihr könnt nicht mehr? Das gibt es nicht. Auf dem Schlachtfeld könnt Ihr Euch das auch nicht erlauben, es wäre Euer Tod. So erhebt Euch endlich und stellt Euch!“, schrie sein Lehrer ihn an, der aber auch schon etwas nach Luft rang.
Aber Cain wollte nicht mehr, legte das Schwert auf die Seite und verließ die Arena gesenktem Kopf und unter Kopfschütteln des sich auf sein Schwert stützenden Daikins.
Auf dem Gang kam ihm Kieran entgegen, der ihn wieder von oben herabschauend anblickte: „Und du weiche Maus, wo willst du hin? Bist du schon mit deinem Unterricht fertig?“
„Nein, bin ich nicht, ich bin nur erschöpft und bitte um eine Pause, morgen werde ich bestimmt besser durchhalten“, erwiderte Cain und versuchte seinem Vater ein Lächeln abzugewinnen, was dieser aber mit einer verächtlichen Kopfbewegung abwies.
„Das hoffe ich doch für dich, du weißt ja, was sonst passiert“, sprach Kieran, lachte höhnisch, drehte sich um und verschwand in einem der Gänge.
Cain machte sich seine Gedanken, während er ziellos durch die Gänge lief. „Kann ich ihm eines Tages gerecht werden? Ich bin doch mittlerweile alt genug, um von ihm geachtet zu werden, auch eigene Entscheidungen zu treffen. Aber was passiert mit mir? Ich sollte der Mann sein, den mein Vater in mir erwartet, aber das kann ich nicht. Das, was mein Vater ‘Macht‘ nennt, wollte ich auch immer haben, doch jetzt ekelt es mich einfach nur an. Rachsüchtig, blutdurstig, alles Dinge, die ich nicht für mich will“, dachte Cain.
Cain wurde plötzlich aus den Gedanken gerissen, als er die Stufen einer Treppe übersehen hatte und stürzte. Er rollte die ganzen Stufen der Wendeltreppe hinunter, schlug rechts und links an, bis er auf einmal vor eine Wand knallte und liegen blieb. Der Junge rappelte sich wieder auf, biss die Zähne zusammen, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien, schaute sich um fühlte an seinem Kopf eine Beule. Gut, dass er immer noch in seiner Kampfausrüstung steckte, so blieben ihm geschundene Knochen erspart.
„Diesen Gang kenne ich noch gar nicht. Und ich dachte ich kenne sie alle. Wo bin ich denn immer nur mit meinen Gedanken?“, sprach er leise zu sich selbst.
Cain schüttelte den Kopf, der ihm gehörig brummte, und wurde neugierig, wo er gelandet sei. Er ging den Korridor entlang, dieser sah anders aus, als die, die er schon kannte. Es war dunkel, wie in den anderen auch, aber hier konnte man Farbe und alte Teppiche an den Wänden erkennen. Keine einzige Fackel beleuchtete den Gang. Cain dachte darüber nach, aber es wäre ein zu großes Risiko eine zu entzünden, denn er könnte entdeckt werden. So konnte er sich im Schutz der Dunkelheit leichter hinter den Teppichen versteckt bewegen - eine vorsichtige Art sich anzuschleichen, die er von Daikin lernte, wie er jetzt dankenswerter Weise erkennen konnte. Leise schlich Cain weiter, bis er eine Tür vor sich sah, auf dieser stand „Eheweib Tyaida, Kieran des Schrecklichem“. Cains Herz schlug kräftig vor Schreck, fast erstarrte er vor dieser Tür. Hatte er die Gemächer seiner toten Mutter gefunden? Cain blieb wie angewurzelt stehen, jetzt hörte er Geräusche, konnte nicht ausmachen woher sie kamen. Langsam konnte er die Geräusche erkennen, es waren Frauenstimmen, sie kamen aus dem Raum hinter der Tür. Eine bekannte Stimme war darunter. „Meine Mutter lebt, sie lebt? Warum sagte man mir, dass sie tot sei, dass sie vor Gram um die Trennung von mir gestorben sei? Wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben, liebte sie mich denn nicht?“, schossen ihm die Gedanken wie wild durch den Kopf.
Cain wusste nicht was er machen sollte, anklopfen und hineingehen? Sich höflichst vorstellen oder seine Mutter anschreien und mit Fragen und Vorwürfen konfrontieren? Egal, was er jetzt machen würde, es würde schiefgehen. Und eine Strafe würde sogleich folgen, wenn sein Vater von dem erfahren würde.
„Ich will sie nur kurz sehen, dann gehe ich zurück und denke nach, wie ich ihr begegnen kann“, dachte der Junge.
Allen Mut zusammen nehmend, klopfte er zaghaft, blieb aber immer noch hinter dem riesigen Teppich versteckt, der neben der Tür hing. Sein Herz pochte ihm bis zum Hals hinauf. Die Tür öffnete sich und ein Kopf schaute heraus, eine Zofe anscheinend, aber hinter der Zofe, in einem Sessel mitten im Raum, da saß sie. Tyaida. Wunderschön, wie er sie in Erinnerung hatte, lange blonde Haare und zwei klare, leuchtend blaue Augen, wie die seinen. Ihr Körper elegant, aber von Trauer und Schmerzen entkräftet, das Gesicht schmal und blass. Die Tür schloss sich wieder, nachdem die Zofe niemanden wahrnehmen konnte und Cain schlich in sein Gemach zurück. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass seine Mutter lebte und er sie jetzt nach langen fünf Jahren wiedergesehen hatte.
In seinen Wänden zurück, setzte er sich auf sein Bett und war immer noch erschrocken, über das was er gerade feststellen musste. „Meine Mutter lebt, ich glaub es einfach nicht. All die Jahre dachte ich, sie sei tot.“
Der Junge überlegte, wie er mit Tyaida Kontakt aufnehmen könnte, ohne dass sein Vater davon etwas mitbekommen würde. Gedankenverloren ging er auf und ab, dachte darüber nach, was die letzten Jahre alles geschehen war, weshalb man sie vor ihm versteckt hielt oder weshalb sie sich vor ihm versteckte. Wie er sie sehen, sie aufsuchen, sie treffen könnte. Einen der Diener konnte er nicht beauftragen, Cain könnte ihm nicht vertrauen, alle Bediensteten waren seinem Vater untergeben. So fasste er den Entschluss gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er würde alles tun, was Kieran von ihm verlangen würde, er würde noch besser, viel besser werden. Jetzt hatte er etwas, wofür es sich lohnte zu trainieren, stärker zu werden, zu kämpfen. Und am späten Abend, nach dem Abendmahl, würde er versuchen seine Mutter zu sehen, sie vielleicht sogar zu sprechen, denn da war er meist unbeobachtet. Mit diesen Gedanken stieg Cain aus seiner Kleidung, legte sein Nachtgewand an und begab sich mit etwas mehr Zuversicht ins Bett und schlief recht schnell ein.
Am Morgen weckte ihn Kieran, mit einem Eimer eiskalten Wassers.
„Steh auf Faulpelz! Du hast heute einiges vor, du wirst dich beweisen: erst mit dem Schwert, dann mit dem Bogen und dann auf dem Pferd. Und - enttäusche mich nicht schon wieder, ausgeruht hast du genug.“
Erschrocken sprang Cain sofort auf, schüttelte sich und rieb sich mit dem Laken ab. Die Beule an seinem Kopf brachte ihm die Erinnerung an den Abend zuvor. Auch erinnerte er sich an sein Vorhaben und stieg zügig in seine Kleider, nahm sein Schwert und sagte: „Ich werde Euch nicht enttäuschen, mein Lehrer wird es euch berichten.“ Vor dem Hinausgehen packte heimlich etwas zu schreiben ein.
Der Junge eilte so schnell er konnte zur Arena, wo Daikin schon auf ihn wartete. Kieran stand immer noch vor Cains Gemach und war erstaunt wie leichtfüßig sein Sohn heute Morgen war. Mit entsprechenden Erwartungen an den Tag, ging er in den großen Saal und setzte sich auf seinen Thron aus Stein.
In der Arena stellte sich Cain an seinen Platz, genau seinem Lehrer gegenüber, auf. „Können wir beginnen? Ich bin ausgeruht und gespannt, was Ihr mir heute zeigen wollt.“
Mit so einem leichten Mundwerk hatte Daikin nicht gerechnet. Er betrachtete den Jungen, erkannte, während dieser seinen Helm aufsetzte und die Handschuhe überzog, die Beule an Cains Kopf und Schrammen an den Händen. „Habe ich ihm gestern so stark zugesetzt, dass er diese Verletzungen davon getragen hat?“, wunderte sich Daikin und setzte zum Angriff an. Cain wich aus, wieder ein Schritt nach links, dann eine Drehung und wieder nach rechts. Der Schlag ging ins Leere. „Er scheint aber doch einiges zu vertragen“, stutzte Daikin, ließ sich aber nichts anmerken. „Wolltet Ihr tanzen, oder auch mal was tun Bursche? Bis jetzt seid Ihr nur gut ausgewichen. Woher kommt Euer Sinneswandel?“
Cain gab keine Antwort und holte zum Gegenangriff aus, er machte einen Seitenschritt und dann nach vorn, dabei schwang er das Schwert und traf Daikin an der Schulter. Und nochmals versuchte der Lehrer einen Treffer zu landen, doch auch diesmal wich Cain gekonnt aus. Weitere Male parierte er den Angriffen seines Lehrers und konterte exzellent. Cain stand mit aufgeblasener Brust vor ihm: „Und habt Ihr genug für heute?“
Daikin vor ihm kniend, stöhnte: „Pass auf Bursche, mit wem Ihr Euch anlegt, wir haben noch andere Dinge heute zu erledigen.“
Das brachte Cain nicht aus der Ruhe. Im Gegenteil, es tat ihm gut, endlich konnte die in ihm aufgestaute Wut, auf wohl derzeit alles und jeden, herauslassen. Und so gingen sie zum Bogenschießen über.
Mit dem Bogen im Anschlag stand Cain vor seinem Zielbrett und visierte es an. Als er die Sehne losließ, schnellte der Pfeil mit voller Wucht auf sein Ziel. Doch leider traf Cain nicht richtig ins Schwarze.
„Mit dem Schwert war ich besser dran“, erwiderte er nun doch mit etwas Wehmut in der Stimme.
„Das wird noch Bursche, der erste Treffer geht meistens daneben und es ist noch kein Held vom Himmel gefallen.“ Mit diesen eher sanften Worten deutete Daikin an, dass Cain es weiterhin versuchen sollte.
Das waren Worte, die Cain nicht kannte, war etwas Liebevolles heraus zu hören? Ein Gegenteil von den barschen Tönen, die er sonst von seinem Vater hörte. „Ich weiß das, ich kann nur besser werden, wenn ich übe. Ich möchte es Euch gerne beweisen, meinem Vater auch“, stellte Cain klar.
Daikin schaute ihn an, es stahl sich ein gütiges Lächeln in sein Gesicht. „Ihr sollt es nicht uns beweisen, sondern Euch selbst, dass Ihr eines Tages so ein Herrscher sein könnt wie Euer Vater es ist.“
Er wusste dass es Cain nie leicht hatte. Ihm tat der Junge auch leid, aber er, als sein Lehrer und Untergebener Kierans, musste hart bleiben. „So, jetzt weiter, wir sind keine Waschweiber sondern Männer. Los Bursche, nächster Versuch!“
Cain legte zum nächsten Versuch an und traf sein Ziel wieder nicht. Nach mehreren Versuchen gab Cain auf und sank zu Boden. „Daikin, ich schaffe das nicht, das mit dem Bogen ist nicht ganz so meins. Ich würde lieber beim Schwert bleiben.“
Sein Lehrer setzte sich zu ihm auf den Boden: „Ach Cain, wie gerade gesagt, es ist noch kein Held vom Himmel gefallen. Selbst die Helden in Euren Büchern mussten ihre Fähigkeiten erlernen. Aber um Euch etwas aufzumuntern, Ihr wart heute schon ein Stück besser als gestern. Ich würde gerne mehr Einsatz von Euch sehen. Was haltet Ihr davon, wenn wir das Reiten heute auslassen und morgen hier weitermachen? Keine Angst, ich werde das mit Eurem Vater schon klären.“
Cain schaute ihn ungläubig an, dann aber nickte er dankbar, stand auf und gab Daikin die Hand, um diesen hochzuhelfen. „Ich würde gerne noch etwas allein hier bleiben, versuchen diese … naja … diese Ziele dort zu treffen, wenn es Euch nichts ausmacht?“, fragte Cain.
Daikin verneigte sich etwas und verließ die Arena, ohne sich noch einmal zu Cain umzudrehen.
Als Cain sich sicher war, dass er alleine in der Arena war, zückte er sein mitgebrachtes Schreibzeug und fing an einen Brief an seine Mutter zu schreiben, um ihn dann unter ihrer Tür hindurchzuschieben.
Sehr geehrte Mutter,
hier schreibt Euer Sohn Cain. Ich habe allen Mut zusammengenommen, um Ihnen diese Worte zu schreiben. Ich fand zufällig den Korridor, in dem Ihr lebt. Man hatte mich die letzten fünf Jahre glauben lassen, dass ihr nicht mehr unter uns weilt. Ich war zutiefst erschrocken, als ich auf Euer Gemach stieß. Ich dachte all die Jahre, die ich unter meinem Vater leiden musste, ich wäre allein. Aber ich habe Euch wiedergefunden. Verzeiht mir, wenn ich Euch zu nahe trete, aber ich möchte gerne die Hintergründe erfahren. Ich versuche es erst einmal über diesen Brief, an Euch heranzukommen. Denn ich denke, ein sofortiges Treffen würde auffallen. Ich habe Euch so viel zu erzählen. Bitte lasst diesen Brief nicht unbeantwortet.
Mit herzlicher Freude
Euer Sohn Cain
Mit dem fertigen Brief unter dem Rock, verließ Cain die Arena. Er versuchte sich den Weg zum Korridor seiner Mutter wieder in seine Gedanken zu rufen. Es gelang ihm, vor ihm war eine Treppe die hinunter führte. „Das ist die Treppe die ich gestern hinuntergefallen bin“, dachte er und stieg sie hinab. In der Hoffnung, dass niemand ihn sehen würde.
Im Korridor angekommen, schaute er sich noch einmal um, die prächtigen Wandteppiche waren aus reinster Wolle und hatten verschiedene Muster, aus verschiedenen Ländern. Die Farben an der Wand, sie taten seiner Seele gut, anders als das triste Steingemäuer. Wieder vor der Tür stehend, zitterte er am ganzen Körper, seine Hände waren feucht vom Schweiß. Mit allem Mut, den er besaß, schob er seinen Brief unter der Tür durch. Mit aufkommender Angst vor Entdeckung lief er im Schutz der Teppiche zurück und die Treppe hinauf, weiter die Gänge entlang, die in sein Gemach führten. Dort angekommen, schloss er sich schnell ein und holte tief Luft. Es war geschafft, seine Mutter hatte den Brief.
Die Tage vergingen, ohne eine Antwort von seiner Mutter Tyaida zu erhalten. Inzwischen machte er sich daran, das Bogenschießen richtig zu erlernen, denn den Schwertkampf beherrschte er mittlerweile sehr gut.
„So Bursche, heute zeigt Ihr mal, was ich Euch beigebracht habe. Denkt daran, dass Ihr Euch konzentrieren müsst, ruhiger atmen, das Ziel gut im Auge behalten und wenn Ihr schießen wollt, haltet den Atem ganz an! Demnächst wenn sich die Ziele bewegen, wird es schwieriger sein, sie zu treffen. Dafür braucht man eine ruhige Hand und hohe Konzentration“, erklärte Daikin mit beruhigender Stimme.
Cain versuchte umzusetzen, was sein Lehrer ihm sagte. Er legte den Bogen mit dem Pfeil an, spannte die Sehne und visierte das Ziel. Die Luft anhaltend, stand er Sekunden lang so da. Jetzt ließ er los und traf zum ersten Mal das Ziel genau im Zentrum. Cain konnte kaum seine Freude zurückhalten. „Ich danke Euch Daikin, vielen Dank, mit dieser Hilfe konnte ich das erste Mal treffen. Das ist ein tolles Gefühl, danke sehr.“
Vor lauter Freude wäre Cain seinem Lehrer fast um den Hals gesprungen. Doch Daikin konnte ihn noch abwehren. „Nicht so stürmisch Bursche, wir sind ja noch nicht soweit, das war erst Euer erster guter Treffer.“
Cain stellte sich wieder auf und spannte den Bogen. Die nächsten drei Treffer trafen genauso ihr Ziel, wie der Erste. Und es gelang dem Jungen immer besser. Die Stunden vergingen, die Arme wurden ihm immer schwerer. Es wurde Zeit für eine kleine Pause. Daikin und Cain setzten sich auf den Boden und aßen etwas. Cains Gedanken schweiften währenddessen ab und zwar zu seiner Mutter. Es bedrückte ihn, dass sie noch nicht geantwortet hatte. „Hat sie den Brief bekommen? Hat sie ihn gelesen? Warum schreibt sie nicht zurück?“, waren Cain’s Gedankengänge. Es war schrecklich zu wissen, dass sie da war, aber er nicht an sie herankommen konnte. Cain hatte niemanden, der ihm helfen konnte, den Kontakt herzustellen.
Daikin merkte, dass sein Schüler schon wieder in Gedanken versunken da saß: „Wo seit ihr den schon wieder mit Euren Gedanken, Bursche? Bedrückt Euch etwas? Wenn es wegen Eures Vaters ist, so macht Euch keine Sorgen. Wenn Ihr so weiter macht wie bisher, wird er Euch in Ruhe lassen.“
Cain schüttelte den Kopf und winkte mit einer Geste ab, womit er andeutete dass er nicht darüber sprechen wollte. Er stand auf und setzte den Bogen wieder an, in der Hoffnung auf andere Gedanken zu kommen. Wieder traf er sein Ziel und war selbst stolz auf sich. Die Arenatür wurde geöffnet, Kieran betrat diese und stellte sich an die Seite, denn er wollte schauen wie sein ungeliebter Sohn sich machte. Cain merkte, dass er nervöser wurde. Versuchte sich aber zu konzentrieren, doch mit seinem Vater im Rücken gelang es ihm nicht. Er traf das verdammte Ziel einfach nicht.
„Was ist denn mit Euch los, gerade habt Ihr es doch auch geschafft? Habe ich Euch nicht gesagt, dass Ihr Euch konzentrieren sollt, egal wer hier auch steht?", schrie Daikin von hinten los.
Cain nickte, stellte sich erneut auf, hob den Bogen, spannte die Sehne mit dem Pfeil und visierte das Ziel an. Er konzentrierte sich, holte tief Luft, hielt sie an und ließ die Sehne los. Der Pfeil schoss durch die Luft und traf die schwarze Mitte. Der Junge drehte sich um, nickte seinem Vater zu und legte den Bogen beiseite. Kieran nickte zurück und sagte: „So langsam hast du wohl den Dreh mit dem Bogen raus, wie ich sehe. Du kannst jetzt gehen, ich muss mich mit Daikin unterhalten.“
Cain verbeugte sich kurz und verließ die Arena, er drehte sich nochmals um und dann verschwand er.
Als Cain in seinem Gemach angekommen war, sah er einen Brief auf dem Boden. Auf diesem stand kein Absender. Er hob ihn auf und setzte sich an seinen Schreibtisch. Mit zitternden Händen drehte er ihn hin und her, wusste nicht, ob er den Brief öffnen sollte oder nicht, was würde darin stehen? Cain stand wieder auf, ging hin und her, setzte sich wieder und öffnete den Brief doch.
Mein lieber Sohn Cain,
ich habe die letzten Tage überlegt ob es gut sei, dir zu antworten. Ich möchte dich gerne vor deinem Vater beschützen. Wenn er herausbekommt, dass wir in Kontakt sind, bringt er uns beide um. Deswegen lies genau meine Worte, denn es wäre besser für dich, sie zu befolgen. Ich hab dich schon einmal verloren und sollte dich vergessen. Dir wurde gesagt, dass ich nicht mehr unter euch weile, das war auch besser so. Bitte finde deinen Weg, auch ohne mich. Tu, was von dir verlangt wird und du wirst ein gutes Leben führen. Dies ist keine Bitte, sondern die ernsten Worte einer gebrochenen Frau.
Deine dich liebende Mutter Tyaida
Cain traten die Tränen in die Augen. Wie sollte er jetzt nicht an seine Mutter denken, wo er sie gefunden und gesehen hatte. Er legte den Brief in seine versteckten Bücher und dachte nach, wie er in die Nähe seiner Mutter kommen könnte. Zu ihr zu gehen wäre einfach zu riskant, so versuchte er es nochmal mit einem Brief. Er schrieb seiner Mutter jeden Tag einen Brief und jeden Tag nach seinem Unterricht brachte er diesen zu ihr und schob ihn unter der Tür durch. Aber Tyaida reagierte nicht mehr auf seine Briefe. Es blieb Cain nichts anderes übrig, als weiterzumachen und traurig sein Leben weiter zu leben.
Noch mehr Tage vergingen. Immer das Gleiche, aufstehen und ankleiden, in die Arena gehen, sich mit Daikin im Schwertkampf und Bogenschießen üben, auch Reiten. Seine Gedanken kreisten unterdessen trotzdem immer weiter um seine Mutter, er müsste doch etwas tun können: „Wie kann ich sie sehen? Wie kann es sein, dass sie mich liebt, aber mich nicht sehen will? Verdammt, was mache ich denn jetzt? Die einzige Möglichkeit ist, weg hier, mit ihr. Nur wie soll ich das alleine bewältigen? Ich muss mir einen Vertrauten suchen, nur wen? Ich muss versuchen Daikin zu meinem Freund zu machen, ich sollte langsam versuchen, ihm etwas anzuvertrauen. Ich muss ihn auf meine Seite ziehen und dann alles beichten. Ich werde das schaffen. Ja, ich kann kämpfen. Mutter, wir kommen hier weg.“
Und so versuchte er weiter sein Doppelspiel zu spielen, nach außen hin kräftig und stark wirkend seine Fähigkeiten und Fertigkeiten zu trainieren, unerkannt seine Briefe an seine Mutter tragend durch die Gänge zu schleichen. Seine Gedanken für sich behaltend war sich Cain sicher: Eines Tages würde er mit Tyaida hier fortgehen, koste es, was es wolle.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.