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Die Liebe und die Freiheit

Teil 4 - Tasius' Reise

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Informationen

 

Als Tasius sich durch den Spalt in der Palastmauer zwängte, schaute er sich zuerst in jeder Richtung um. Der junge Prinz hatte alles genau geplant, welchen Weg er einschlagen würde und wo er sich verstecken könnte. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, lief Tasius in seinen Umhang gehüllt und mit leisen Schritten von der Palastmauer weg, hin zu den Gassen der Stadt, die er so liebte. Er prägte sich noch einmal alles ein, die Häuser und jeden Stein. Wer wusste schon, wann er wieder hier sein würde. Tasius ging an den Häusern vorbei, die in der Nacht ganz anders aussahen, als am Tage. Niemand war auf der Straße zu sehen, längst hatten die Nachtwächter zur Nachtruhe gerufen und die wenigen Laternen gelöscht. Nur in dem einen oder anderen Fenster sah man noch zartes Kerzenlicht. Ab und an bellte ein Hund, alles war dunkel und niemand sah ihn. Der Prinz ging den Weg in Richtung der untergegangenen Sonne, die Schlossmauern im Rücken. Vorsichtig bewegte sich Tasius, dabei kam er an dem Haus der Familie seines Freundes vorbei, die er kennen und lieben gelernt hatte. „Es war wirklich schön hier bei euch. Ich hoffe sehr, dass wir uns eines Tages wiedersehen“, dachte Tasius, dabei kam Wut auf seinen besten Freund und Knappen Julius in ihm auf. Der Prinz ging an diesem Haus vorbei, mit Schmerzen in der Brust.

So erreichte er das Stadtende, drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf seine Heimat, in der Ferne waren die Fackeln an den Schlossmauern auszumachen, die des Nachts den Weg der Wachen erhellten. Tränen standen ihm in den Augen, als er die Stadt verließ und weiter ins Land hinaus lief. Nach einiger Zeit des Wanderns kam Tasius über eine Wiese, die von der Nacht schwarz gefärbt war. Der Mond war das einzig Helle über dem Kopf des Prinzen. An einer Baumgruppe machte er kurz halt und sah er sich genauer um, während er von seinem Wasser trank. Alles sah so unwirklich, so gespenstisch aus. Noch nie war er hier gewesen, wie denn auch? Er durfte ja nicht aus der Stadt heraus. Aber jetzt hat er es ja geschafft. Seine Blicke schweiften weiter über die schwarze Wiese, in der Ferne meinte er einen Waldrand zu erkennen, der sich über den schwarzen Saum der Wiese erstreckte. Tasius brauchte nicht zu überlegen und lief weiter in Richtung des Waldes.

Bald erreichte er tatsächlich einen Wald, darin war es stockfinster. Der Mond schaffte es nicht, hindurch zu scheinen. Die Bäume waren hoch gewachsen und die Baumkronen verdeckten den Sternenhimmel. Tasius sah kaum die Hand vor Augen, dabei musste er aufpassen wohin er trat. Jeder seiner Schritte war hörbar. Die Äste, auf die er trat, knacksten, die Blätter wirbelte er mit seinem Umhang vom Boden auf. Vor lauter Aufregung hatte er die Zeit die vergessen. Tasius merkte, dass er so allmählich müde wurde und sprach zu ich selbst: „Ich muss mich ausruhen, so wie mir meine Beine schmerzen. Bald wird die Sonne aufgehen … und im Palast? Dort ist Julius, der wird mich bestimmt schon verraten haben. Ich werde noch ein Stück weiter gehen und mir einen geeigneten Platz zum Ausruhen zu suchen. Sobald es hell wird, setze ich meine Reise fort … Julius ist für mich kein Freund mehr, er ist für mich Geschichte.“

Die Gedanken wirbelten nur so herum in seinem Kopf. Tasius fand einen kräftigen Baum, tiefer im Wald, unter dem es ihm geeignet schien zu rasten. Er machte sich ein kleines Feuer, womit er sich etwas aufwärmen konnte. Danach häufte er sich etwas Laub zusammen, damit er es etwas bequemer zum Schlafen hatte. Er wickelte sich in seinen Umhang und versuchte sich auszuruhen. In seinem Körper machte sich wohlige Wärme breit, das Feuerchen wärmte ihm das Gesicht, das Laubbett wärmte von unten und der Schlaf überkam ihn schneller als er dachte.

Tasius schlief fest wie ein Stein. Der Rest der Nacht verging. Zart erhellte sich der Himmel über den Wipfeln, Vögel begannen zu zwitschern, ab und an huschte Wild vorbei, anscheinend nahm es den Schlafenden nicht wahr. Die Geräusche ringsherum weckten Tasius, zeigten ihm, dass es an der Zeit war aufzuwachen. Der junge Mann reckte sich, stand auf, erfrischte sein Gesicht mit einer Hand voll Wasser und nahm einige Bissen Brot und Käse und ein paar Schlucke Wasser zu sich. Mit etwas Erde versuchte er die Glut zu ersticken, die noch zaghaft vor sich hin qualmte, bevor er sich auf den weiteren Weg machte.

Plötzlich überkam ihn eine innere Unruhe, er sollte sich beeilen, weiter seinen Weg gehen, denn sein Vater würde bestimmt schon Soldaten geschickt haben, ihn zu finden. Und die kamen sicher nicht nur zu Fuß. Also lief Tasius weiter in den Wald hinein. Er schaute sich dabei genauer um. Die Bäume waren wunderschön gewachsen, die verschiedenen Pflanzen in all ihren Farben bei Tageslicht prachtvoll anzusehen. Solch unberührte Natur kannte Tasius nicht. Im Schloss war nichts dem Zufall überlassen, die Gärtner kümmerten sich um jeden Halm. Er bestaunte diese natürliche Pracht mit leuchtenden Augen und starrte mit offenem Mund. Die Stadt sah auch anders aus, obwohl dort ebenso auch hohe Bäume wuchsen, waren sie und die Wiesen nicht so farbenfroh, wie die Pflanzen hier im Wald: „So etwas wertvolles und schönes hat mir Vater vorenthalten ... Es ist wunderbar ... Ich rieche die Freiheit wahrhaftig … Ich hab es geschafft … Ich bin endlich frei.“

Tasius zog weiter durch den Wald. Der junge Prinz hatte Feder und Papier eingepackt, er dachte sich dabei, wenn er schon unterwegs wäre, könnte er sich dies auch aufschreiben. Es konnte ja sein, sollte sein Vater ihn finden, dass er nie wieder den Palast verlassen würde. Dann könnte er sich mit dem Niedergeschriebenen an diese Reise zurückerinnern.

Tasius hielt deshalb ab und zu inne, notierte die eine und andere Wahrnehmung, die ihm wichtig erschien aufgeschrieben zu werden. Er war mit den wunderschönen Dingen in diesem Wald so beschäftigt, das ihm nicht auffiel, dass man ihn beobachtete und verfolgte. Es waren zwei junge Burschen, die den Wanderer beobachteten.

„Was wollen wir denn mit dem Grünschnabel?“, flüsterte einer der Beiden.

„Vielleicht hat er Wertsachen dabei, die wir gebrauchen können oder zu Münzen tauschen können“, gab der Andere zurück.

„Aber schau ihn dir den doch mal an, als hätte der etwas wertvolles bei sich. Der malt und schreibt. Ich glaube, der ist sowas wie ein Alchimist oder Druide. Die benehmen sich doch so komisch und haben nie etwas wertvolles bei sich“, erwiderte der Erstere.

Doch der Zweite hörte ihm nicht mehr zu, dieser sprang aus seinem Versteck und überwältigte den überraschten Tasius. Der Prinz lag bäuchlings am Boden, der andere Bursche sprang hinzu.

„Was wollt ihr von mir? Ich habe nichts“, stammelte Tasius vor lauter Schreck und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

Doch die beiden Ganoven hielten ihn fest: „Gib uns was du hast, sonst erlebst du den nächsten Tag nicht mehr!!!“ Drohend hielt man ihm eine geballte Faust vor das Gesicht und stieß ihm gleichzeitig ein Knie in den Rücken.

Tasius war so erschrocken und von Schmerzen überwältigt, dass er sich nicht bewegen oder etwas erwidern konnte. Schon gab es einen Tritt in die Seite: „Hast du nicht gehört, was wir von dir wollen?“

Der Prinz nickte nur und zog mit einer Hand seinen Quersack unter sich hervor und warf diesen von sich weg. Einer der Ganoven stürzte sich auf den Sack und suchte nach etwas Brauchbarem. Er fand nur einen Dolch, dieser war aus Silber mit roten Steinen besetzt und einen Beutel mit Münzen. Die Burschen schauten sich an, ließen von Tasius ab und verschwanden mit dem Dolch im Dickicht.

Tasius rappelte sich auf, noch ganz benommen und mit starkem Herzklopfen befühlte er seinen verdrehten Arm und den geschundenen Rücken. Er hatte noch mal großes Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn sie sein Schwert gesehen hätten. Dann wäre er sicher nicht so glimpflich davon gekommen, bestimmt hätten sie ihn getötet. Tasius schüttelte seinen Kopf, warum konnte er sich nicht wehren? Er hatte doch ein gutes Training gehabt. Er konnte doch kämpfen. War es, weil er so überrascht war, nicht damit gerechnet hatte? Die Worte seines Vaters und seines Knappen Julius erwiesen sich ihm nun als wahrscheinlich doch nicht ganz unwahr. Egal was er auch dachte, er wurde sich jetzt so langsam bewusst, dass diese Freiheit auch Gefahren mit sich bringen würde. Zerknirscht gestand er sich ein, bislang zu leichtsinnig unterwegs gewesen zu sein. Er war noch nicht einmal einen Tag unterwegs und schon war er beraubt worden. Und das, was ihn am meisten wurmte, war, dass er sich der Schurken nicht erwehren konnte, er sich so unglaublich hilflos fühlte und ihren Handlungen ausgesetzt. Das würde ihm nicht noch einmal passieren. So beschloss Tasius vorsichtiger zu sein, sich besser umzuhören, Geräusche wahrzunehmen. Das Erste war, dass er alles, was an das Königshaus erinnern könnte, ablegen müsste und im Wald gut zu verstecken wäre. Nicht auszudenken, wenn die Halunken seine Herkunft erkannt hätten… Wenn er auf dem Rückweg hier vorbei kommen würde, würde er seine Habe wieder abholen. Also musste er sich das Versteck genau einprägen. So schnappte er sich seinen Quersack, an dem den Räubern anscheinend nicht gelegen war, packte nur noch die Dinge ein, die ein normal Reisender mit sich führen würde. Nur sein Schwert behielt er, er brauchte ja eine Waffe, um sich zu verteidigen. Das würde er weiterhin unter seinem Umhang tragen. Den Rest der Dinge, die das Wappen seines Vaters trugen, vergrub er in ein Tuch gewickelt unter der kräftigen Wurzel eines Baumes, der besonders markant zu sein schien, einen so dicken Stamm hatte, das ihn drei Männer sich an den Händen haltend nicht umfassen konnten und so hoch war, dass er alles andere überragte. Dann zeichnete er sich das noch auf, damit er nicht vergessen konnte, wo seine Dinge nun lagen. Diese Notiz versteckte er im Knauf seines Schwertes, welchen er dann noch mit einem Tuch fest umwickelte, damit er sich nicht bei der Benutzung des Schwertes sofort verraten würde.

Der Weg, den Tasius weiter ging, schien aus dem Wald heraus zu führen. Bald kam der Junge jedoch nur an eine Lichtung. Der Wald wollte anscheinend doch kein Ende nehmen. So rastete er kurz, saugte das Sonnenlicht in sich auf, welches ihn im dichten Wald ansonsten kaum erreichte. Teilweise war es so verwachsenes Unterholz welches er durchquerte, dass sein Umhang an ihm hängen blieb. Einmal hatte er einen Knopf verloren, den er nicht wieder fand. Erst da bemerkte Tasius, dass auch die Knöpfe des Umhangs ihn verraten könnten. So trennte er die restlichen Knöpfe ebenso ab und vergrub sie. Dabei dachte er wieder an die beiden Schurken, die ihn überfallen hatten. Welche Stümper mussten sie gewesen sein, dass sie ihn auf Grund der deutlichen Zeichen an seiner Kleidung und den Gegenständen in seinem Sack nicht erkannt hatten. Und welch Glück für ihn, dass sie es nicht hatten. Doch sollten sie ihm noch einmal über den Weg laufen, dann … ihre Gesichter hatte er sich eingeprägt, unter Hundert würde er sie wiedererkennen.

Viele Stunden wanderte Tasius weiter … für eine weitere Nacht würde er sich ein Lager machen müssen. Diesmal verzichtete er auf eine Feuerstätte, das Erlebnis mit den zwei Räubern hatte ihn vorsichtig werden lassen. Wer weiß, welches Gesindel ein Feuer anlocken würde. So legte er sich unter die Wurzeln eines großen Baumes, schrieb bei den letzten mageren Lichtstrahlen seine Tagesgedanken auf, rollte sich dann in seinem Umgang ein, nachdem er sich zuvor wieder ein Laublager gerichtet hatte und bereits die reflektierende Wärme seines Naturbettes spürte, weshalb er auch ein Feuer nicht vermisste und versank alsbald in festen Schlaf.

Am nächsten Morgen setzte Tasius seine Reise fort, nicht ohne sich vorher etwas gestärkt und erfrischt zu haben. Dabei stellte er fest, dass seine Vorräte fast aufgebraucht waren und er sich um Auffüllung seines Proviants kümmern musste, wollte er nicht hungrig und durstend den Tag beenden. Also ging er weiter den eingeschlagenen Weg, in der Hoffnung, dass er bald eine Ansiedlung finden würde, ein Dorf vielleicht, in dem er Nahrung und eine Unterkunft finden würde und eine Möglichkeit, sich richtig zu waschen, denn er bemerkte doch schon einen Geruch an sich, den er gern von seinem Körper abspülen würde.

Der Prinz lief weiter seines Weges, durchquerte den Wald in nicht endend wollender Weite, immer mit dem Gedanken an seine Verfolger. Das trieb ihn zügig voran. Nach fast endloser Zeit folgte dem Wald eine große weite Wiese. Diese war anders als die, die er die Nacht davor überquerte. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte auf seiner Haut. Die Wiese war hoch gewachsen, mit Mohnblumen übersät. Und während Tasius weiter ging, bekam er Hunger und Durst. Sein Wasser war fast aufgebraucht und er hatte nur noch ein kleines Stück Brot und Käse.

„Ich muss wirklich bald ein Dorf finden, wo ich mich ausruhen, vielleicht auch etwas essen kann … Geh, einfach weiter“, sagte Tasius zu sich selbst, „je eher wirst du dich ausruhen und stärken können.“

Nach weiterem Wandern war er jedoch von Hunger und Durst so geplagt, dass er Zweifel hatte, ob er es schaffen würde. Kurz rastete Tasius und schaute sich um. Dabei konnte er in weiter Ferne einen schmalen dunklen Streifen erkennen. War dies das Dorf was er suchte? Der Junge gab sich einen Ruck und lief weiter. Der Weg zum Dorf kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Am Dorfeingang angekommen, überlegte sich Tasius eine Lüge. Er wollte nicht auffallen und niemand sollte mitbekommen, dass er der Prinz sei. Er ging durch das Dorf, von neugierigen Blicken der Menschen dort verfolgt. An den Gasthäusern ging er vorbei, er konnte sich dort nicht einquartieren, denn seine Münzen waren ihm ja geraubt worden. Dabei wurde es schon dunkel, die Straßen leerten sich. Tasius konnte sich nun unbeobachteter umsehen und schauen wo er nächtigen könnte.

Durch das Dorf laufend, erinnerte er sich an die Zeit mit Julius, in seiner Heimat, in seiner Stadt. Die Erinnerungen schmerzten ihn sehr. Wie konnte Julius nur so undankbar sein? Sie hätten das doch jetzt alles zusammen erleben können. Mit einem Mal sah Tasius auf einem Hof einen Stall und blieb stehen. „Dieser kann mir für diese Nacht ein Dach über dem Kopf sein. Vielleicht hab ich auch Glück und dort ist etwas Nahrhaftes gelagert“, dachte er und ging in den Stall hinein. Es roch nach frischem Stroh, das regelrecht einlud, sein Bett zu werden. Er ging in eine Ecke, versteckte sich dort, wo man ihn von der Stalltür aus nicht direkt sah. Tasius machte sich im Stroh ein Lager zu recht und danach im Stall auf die Suche, um etwas Essbares zu finden. Das Glück lag wieder auf seiner Seite. In einer anderen Ecke des Stalles standen Körbe, bis obenhin mit verschiedenem Obst gefühlt. Tasius schnappte sich etwas davon und verkroch sich wieder auf sein provisorisches Lager. Tasius aß das Obst hastig, als hätte er Tage nichts gegessen. Er wurde nachdenklich, als er sich selbst dabei erwischte, wie gierig er das Obst verschlang. Ja, in seinem bisherigen Leben konnte er immer an einem reich gefüllten Tisch sitzen und schlemmen, er musste nie kennenlernen, was es bedeutete Hunger zu haben. Er musste sich wohl daran gewöhnen, mit dem Wenigen auszukommen und zufrieden mit dem zu sein, was er vorfand und was man ihm anbieten würde. Nach seiner Mahlzeit legte sich Tasius in sein Strohbett und fiel erschöpft in einen tiefen Schlaf.

„He du! Was machst du hier? Aufstehen!!! Komm du Gaunerin, werde wach!!!“, schrie ein älterer Mann und stocherte dabei mit einem Stock auf Tasius rum. Tasius erschrak aus seinem tiefen Schlaf, schnellte hoch und stellte sich vor den Mann. Da erkannte der Mann, dass er kein Mädchen, sondern einen jungen Mann geweckt hatte. Tasius starrte ihn an, er wusste nicht was er sagen sollte.

Der alte Mann stieß Tasius mit dem Stock an die Brust: „Hast du die Stimme verloren oder hörst du schlecht? Was willst du hier?“

Tasius schluckte schwer und gab dann mit zaghafter Stimme zurück: „Ich bin ein Wanderer. Zwei Tage ist es her, da wurde ich im Wald überfallen und beraubt. Jetzt habe keine Münzen mehr und suchte was zum Schlafen und Essen. Verzeiht! Es tut mir aufrichtig leid, ich hatte nichts Böses vor.“

Der alte Mann schaute den Jungen verwundert an, dann erwiderte er grimmig: „Wie viel hast du gegessen? Denn ich hatte vor, das Obst heute auf dem Markt zu verkaufen?“

Tasius zuckte mit den Schultern, dabei schaute er betrübt auf den Boden.

Nach kurzer Stille wandte sich der Mann um, stieg vom Stroh herab und rief Tasius zu: „Na komm schon, wir gehen ins Haus. Du kannst dich frisch machen und ich mach uns ein Frühstück. Dann sehen wir weiter.“

Etwas unsicher aber dankbar folgte der Junge dem alten Mann ins Haus. Auf einem kleinen Tisch in der Küche unter einem Fenster stand eine Schüssel und ein Krug mit Wasser und es lagen Tücher zum Trocknen daneben. Der Alte wies darauf. Da konnte Tasius sich waschen.

Währenddessen nahm der Alte eine Pfanne vom Haken und setzte sie auf den Herd, in dem bereits ein Holzfeuer loderte und die Pfanne sogleich durch die züngelnden Flammen erhitzte. Er warf gewürfelten Speck hinein, der zischend das heiße Eisen berührte und unter kräftigem Rühren mit einem Holzlöffel knusprige Farbe annahm und einen kräftigen, appetitlichen Geruch verbreitete. Der Alte griff in einen Korb und entnahm ihm eine Anzahl schneeweiße Eier, die er in die Pfanne schlug und zusammen mit dem Speck verrührte. Anschließend gab er noch eine Handvoll grüne, geschnittene Kräuter hinzu und zog die Pfanne vom Herd.

Tasius hatte das aus den Augenwinkeln beobachtet und fasste, als er fertig abgetrocknet war und sein Hemd übergezogen hatte, ein Brett, welches neben dem Herd lag und legte es auf den großen Tisch, der mitten im Raum stand. So hatte er es als Kind in der Hofküche des Schlosses gesehen, durch die er ab und zu gestromert war und er das Gesinde bei seinem Mahl beobachtete. Der Alte nickte dankbar und setzte die Pfanne darauf. Mit einem Wink bat er Tasius sich auf einen Holzstuhl neben ihn zu setzen. Der alte Mann hatte das Frühstück schon gut vorbereitet, selbst gedeckt hatte er für zwei. Leicht irritiert nahm Tasius Platz. Der Alte gab Tasius einen Becher und goss ihm warme Milch aus einem Topf ein. Dann reichte er seinem Gast einen Korb mit Brot und wies auf den Tisch, auf dem Butter und Käse standen und eine Schale mit solchem frischen Obst, welches er gestern Abend heimlich genommen und verschlungen hatte. Leichte Schamröte stieg dem Jungen ins Gesicht und erzeugte in ihm ein leichtes Unwohlsein oder besser Reue für seine Tat.

Wie als hätte der Alte seine Gedanken erraten, sprach er Tasius an: „Ich habe dich schon gestern bemerkt, mir entgeht selten etwas. Nur dachte ich, du wärst ein Mädchen … meine Augen scheinen doch nicht mehr die besten zu sein.“ „ Jetzt greif schon zu und gib mir etwas von dem Rührei auf mein Brot Junge!“, fügte der Alte noch an und zeigte auf die Scheibe auf seinem Brett, die er soeben abgeschnitten hatte.

Sofort sprang Tasius auf und gab dem Alten das Gewünschte. Dann schnitt er sich selbst eine Scheibe von dem Brot ab und tat es dem Alten gleich. Dankbar biss er kräftig davon ab und nahm einen großen Schluck Milch. Schweigend aßen sie beide und beobachteten sich gegenseitig. Tasius war bemüht, nicht zu gierig zu erscheinen und hielt sich zurück.

Der alte tat ganz so, als wäre es das Normalste, einen Fremden am Tisch zu haben und mit ihm zu essen: „Und Junge, was hast du jetzt genau vor?“

Tasius antwortete: „Das weiß ich noch nicht ganz genau. Erstmal möchte ich zu Kräften kommen, die Anstrengung dieser Reise habe ich wohl unterschätzt. Und auch die Gefahren und so werde ich mir einige Münzen verdienen müssen, damit ich auch bezahlen kann, was ich Euch gekostet habe. Ich hoffe, dass Ihr mir mein Eindringen bei Euch verzeiht. Außerdem komme ich wohl ohne Münzen leider nicht sehr weit.“

Der alte Mann strich sich über seinen Bart und dachte nach: „Ich bin ja auch nun schon etwas älter. Was hältst du davon, wenn du mir zur Hand gehst? Ich habe hier auf meinem Hof genug zu tun und du könntest mir Arbeit abnehmen, zur Hand gehen und dir gleichzeitig ein paar Münzen verdienen. Schlafen kannst du auch weiter im Stall. Wie sieht es aus? … Außer du möchtest sofort weiter ziehen, ich würde es verstehen.“

Tasius war von diesem Angebot überrascht und dachte: „Ich und arbeiten, das auf einen Bauernhof? Ich weiß doch gar nicht wie das alles funktioniert. Ich habe noch nie gearbeitet.“ Dennoch willigte er ein. Er war auch ehrlich zu dem Alten und erzählte ihm von seiner Ahnungslosigkeit. Was ihm aber ein aufmunterndes Schulterklopfen einbrachte: „So ein kräftiger Bursche wie du, das wird schon. Ich sag dir, was du tun kannst.“

Also beendeten sie das Frühstück gingen auf den Hof. Der Alte erklärte Tasius alles was er machen sollte. Der Junge machte sich sogleich an die Arbeit. Man merkte, dass ihm anfangs alles schwer von der Hand ging, dennoch gab er sich große Mühe. Er wollte dem alten Mann alles Recht machen. In kurzer Zeit hatte er aber die Handgriffe übernommen, die ihm der Alte zeigte. Auch wenn es nicht leicht war, er hielt durch und erledigte die Arbeiten. Zeitweise machten sie sogar Spaß, auf jeden Fall machten sie Tasius stolz.

Nur durch eine köstliche Suppe, die der Alte und er von einer Magd hinter die Scheune gebracht bekamen und gemeinsam im Schatten löffelten, mit einer Scheibe Brot dazu und frischem Brunnenwasser, wurden die Arbeiten unterbrochen. Immer wieder erhielt Tasius vom Alten Zuspruch, dieser schien mit dem Jungen sehr zufrieden zu sein. Am Abend nach dem ausgiebigen Abendmahl in der Küche des Hauses, hatte sich Tasius herzlich bedankt und lag nun wieder auf seinem provisorischen Lager im Stall. Ihm taten alle Knochen weh, jeder Muskel schmerzte. Das kannte er nur, wenn er sich im Schwertkampf übte, aber daran war sein Körper auch gewohnt. Nur nicht an diese Arbeiten. Tasius lag noch was länger wach, erinnerte sich noch einmal zurück an diesen Tag, schrieb ein paar Zeilen auf. Und er dachte an seinen Vater. Ein wenig bekam er Heimweh, doch er durfte jetzt nicht aufgeben und zurückgehen. Denn dann würde er klein beigeben und sein Vater hätte Recht gehabt. Er wollte allen beweisen, dass er es in der Welt schaffen würde. Unbemerkt schlief er mitten in seinen Gedanken ein. Das war ja auch ein sehr anstrengender Tag gewesen.

Am nächsten Morgen weckte ihn wieder der alte Mann, wieder mit dem Stock, diesmal stieß er ihn aber nur leicht an: „Komm Junge, es ist so weit, die Arbeit ruft.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Stall.

Doch Tasius konnte sich so gut wie kaum bewegen, er hatte Schmerzen in den Muskeln. Mit einem richtig kräftigen Ruck, setzte er sich auf, er reckte und streckte sich. Dann folgte er dem Alten ins Haus, wusch sich und wurde wie am Vortag zu Tisch gebeten. Leichtes Grinsen konnte man im Gesicht des Alten sehen, als Tasius sich mit leicht schmerzverzehrtem Gesicht zu ihm gesetzt hatte. Wusste er doch, dass er den Jungen ganz schön gefordert hatte tags zuvor. Sie aßen, redeten wenig. Dann gingen sie hinaus, in die Richtung der Kühe, die bei Wind und Wetter draußen grasten.

Auf der Weide führte der Alte eine Kuh mit einem Strick an die Seite. Sie ließ sich bereitwillig führen und festbinden. Einen einbeinigen Schemel band sich der Alte unter den Hintern und setzte sich mit einem Eimer an das Euter des gehörnten Rindes. Er zeigte Tasius, wie man den Zitzen Milch entlockte, indem man sie leicht nach unten in Richtung des Eimers zog, sie durch die Finger gleiten ließ und dabei ausstrich. Der Milchstrahl zielte genau in den Eimer, während die Kuh in aller Ruhe das Gras um sich herum abfraß. Nun war Tasius dran. Wie er es gesehen hatte, fing er an die Kuh zu melken. Der Alte hatte sich schon bereitgestellt, um die Kuh abzuhalten um sich zu treten. Doch nichts geschah. Ganz ruhig blieb das Tier stehen und ließ sich Tasius’ Melken gefallen. Zunächst tröpfelte die Milch nur heraus, dann aber verstärkte Tasius seinen Druck mit den Fingern und hatte ganz schnell den Griff heraus, wie der Strahl dann auch im Eimer landete. Selbst das Sitzen auf dem Melkschemel bereitete dem Jungen keine Schwierigkeiten. Überrascht und zufrieden klopfte ihm der Alte wieder auf die Schulter. So dauerte es nicht lange und die Beiden hatten die kleine Herde abgemolken und die Kühe wieder auf die Weide zu ihren Kälbern entlassen. Die zwei Eimer frischer Milch trug Tasius noch in die Vorratskammer, während der Alte eine einachsige Karre mit Körben belud, die Tasius dann zu den Obstbäumen schob. Dort pflückte er die reifen Früchte ab. Als die Körbe gefüllt auf dem Karren standen, setzte er sich ins Gras, trank frisches, kühles Wasser, das ihm der Alte gebrachte hatte. „So, das wäre erst einmal geschafft, aber ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten. Können wir gleich noch alles zusammen auf den Markt bringen? Ich weiß, das ist vielleicht ein bisschen viel verlangt, aber ich könnte noch etwas Hilfe gebrauchen.“

Tasius trank noch einen Schluck von dem kalten Wasser und nickte: „Natürlich, helfe ich Euch. Ich bin Euch sehr dankbar, dass ich hier bleiben durfte und Ihr mir beigebracht habt, was es bedeutet einen Hof zu führen. Dennoch möchte ich morgen früh weiter ziehen. Es zieht mich einfach weiter in die Ferne. Es gibt sicher noch so viel, was ich noch nicht kenne.“

„Das verstehe ich“, erwiderte der Alte, „obwohl ich gehofft hatte, noch eine Weile deine Gesellschaft zu haben.“

Die beiden Männer gingen zum Karren und luden noch alles auf, was von einem Hof zu Münzen gemacht werden konnte. Dann gingen sie vom Hof über die Straßen des Dorfes auf den Marktplatz. Tasius prägte sich alles genau ein, wie die Häuser aussahen, wie die Straßen waren und die Menschen, während er den Karren neben dem Alten her zum Marktplatz schob. Wieder wurde Tasius neugierig betrachtet, die Bewohner waren es wohl nicht gewohnt, dass sich ein Fremder unter ihnen aufhielt und arbeitete. Doch der alte Mann konnte die Bewohner beruhigen, indem er allen die nachfragten erzählte: „Das ist der Enkel meines Bruders, der in einem Dorf im Süden wohnt. Keine Sorge, er ist nur auf der Durchreise.“

Mit dieser Aussage gaben sich die Neugierigen zufrieden. Schnell war der Karren umlagert, man betrachtete die frischen Waren und sicher nur nicht diese. In kurzer Zeit verkaufte sich alles was sie mitgebracht hatten. Manche Leute waren so neugierig über den Neuen am Karren des Alten, dass sie gar nicht bemerkten, dass sie so viel kauften, dass sie davon gut mehr als eine Woche leben konnten. So ein gutes Geschäft hatte der alte Mann lange nicht mehr gehabt. Münzen waren reichlich gereicht worden, die Waren waren es wirklich auch wert. Nur die Waren? Wusste er doch, dass er ohne Tasius’ hübsches Gesicht und angenehme, dennoch kräftige Gestalt sicher nicht so viel Münzen eingenommen hätte. Dankbar lief er neben ihm zurück zum Hof.

Am Abend saßen die beiden Männer zusammen am Tisch. Sie unterhielten sich über den guten Tag. „Hier Junge, das ist dein Anteil. Ich hoffe, dass es dir eine Weile reichen wird auf deinem Weg. Und du bist dir sicher, dass du mich schon morgen verlassen möchtest?“, mit diesen Worten drückte der Alte Tasius ein kleines Säckchen in die Hand. Darin waren reichlich Münzen, damit käme er wirklich ein paar Tage auf seiner Reise aus.

Erfreut, aber leicht wehmütig bedankte sich Tasius: „Ja, es wird Zeit weiter zu ziehen. Es gibt noch vieles, was ich nicht gesehen habe und ich danke Euch, dass ich hier bleiben durfte. Und dass Ihr nicht die Wachen gerufen habt, als ich in Eurem Stall auftauchte. Ich hab Euch bestimmt einen Schrecken eingejagt.“

Der alte Mann schaute etwas traurig: „Na gut Junge, ich finde es schade. Ich habe deine Anwesenheit sehr genossen. Und warum sollte ich die Wachen rufen? Ich war auch mal so alt wie du. Ich wollte auch immer reisen, aber dann lernte ich meine große Liebe kennen und dann war es vorbei mit der Träumerei. Nein, du sollst deinen Traum leben.“ Der alte holte Luft. „Morgen früh, bevor du gehst, kannst du noch ausreichend Proviant einpacken, dann hast du die nächsten Tage genug für unterwegs.“

Der Prinz bedankte sich nochmals herzlich bei dem Mann, wünschte eine gute Nacht und ging zu seinem Schlafplatz im Stall. Er legte sich alles zurecht, damit er gleich bei den ersten Sonnenstrahlen weiterziehen konnte. Seine erarbeiteten Münzen legte er unter seinen Kopf, damit diese nicht verschwanden. Er packte seinen Quersack mit restlichen Dingen. Sein Schwert, welches die ganze Zeit unter seinem Strohlager gelegen hatte, stellte er neben diesem ab. Dieses war noch das Wertvollste, was er bei sich hatte. Dann machte er sich für die Nacht zurecht, nicht ohne seine Gedanken niederzuschreiben: ‚Was wird mein nächstes Ziel? Ich bin dem Alten wirklich dankbar. Ohne ihn hätte ich nicht gewusst, wohin mit mir. Ich werde mich morgen von ihm richtig verabschieden, ohne ein Wort kann ich nicht einfach gehen. Und was ist mit meinem Vater? Ob er mich schon vermisst? Ja, ganz sicher. Und Julius, was wird er erzählt haben? Natürlich bin ich sauer auf ihn, aber er ist doch mein Freund, mein einziger. Ich vermisse sie alle schrecklich. Aber ich gebe mir nicht die Blöße und kehre zurück.‘

Tasius versuchte sich dann mit anderen Gedanken abzulenken, damit er Schlaf finden konnte, denn die Erholung würde er wieder für seinen weiteren Weg brauchen. Bald darauf schlief er ein.

Am Morgen wachte Tasius mit den Rufen der Tiere des Hofes auf, die schon nach ihrem Futter verlangten. Er stand auf und machte sich daran, diese zu versorgen als Geste der Dankbarkeit. Danach verabschiedete sich der Junge von seinem Lager und ging ins Haus des alten Mannes. Bei sich seine gepackten Sachen und das Schwert, für andere nicht erkennbar unter seinem Umhang. Im Haus war alles wie immer, doch der Alte war nirgends zu entdecken. Wie schon die zwei Tage zuvor wusch Tasius sich unter dem Fenster in der Küche, setzte sich an den gedeckten Tisch und begann, nachdem er noch einige Zeit gewartet hatte, mit dem Frühstück. Noch immer war von dem Alten nichts zu sehen, deshalb packte sich Tasius Proviant ein, wie es ihm der alte Mann am Abend zuvor gestattet hatte. Dann verließ er das Haus in Richtung Weide, auf der die Kühe mit ihren Kälbern grasten, die er tags zuvor gemolken hatte. Dort saß dann auch der Alte und schaute in die Ferne. Tasius setzte sich zu ihm: „Was ist los mit Euch? Konntet Ihr nicht schlafen?“

„Doch, doch Junge. Ich mach mir nur Gedanken um dich. Denn ich weiß, wer du bist. Nur weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll“, mit diesen Worten drehte sich der alte Mann zu dem Prinzen um und blickte ihm tief in die Augen.

„Wie, Ihr wisst wer ich bin? Woher denn?“, staunte Tasius überrascht und ertappt, „was hat mich verraten?“

„Ich hab es an deinem Schwert gesehen. Und weißt du noch, als ich dich den ersten Morgen weckte? Da hast du im Schlaf von deinem Vater gesprochen. Und ich hoffte, du würdest mir von allein erzählen, was dich bedrückt und wer du bist“, antwortete er.

Daraufhin senkte Tasius seinen Blick, denn er fühlte, dass er offen zu dem Alten hätte sein können. Er nahm jetzt all seinen Mut zusammen und erzählte dem alten Mann von seinem Leben, was ihn bewegte, woher er genau kam und von dem Streit mit seinem Vater und der Enttäuschung über seinen Freund Julius: „Ich hoffe, Ihr versteht mich und weshalb ich hinaus musste. Ich hielt diesen Druck nicht mehr aus, im Palast war mir die Luft zu stickig. Ich musste einfach frei sein.“

Der Alte nickte darauf: „Ich verstehe dich, ich weiß wovon du sprichst. Aber glaubst du denn wirklich, dass dein Vater oder dein Freund es böse mit dir meinten? Sie machen sich gewiss Sorgen. Es ist nicht immer alles schlecht was einem geraten wird. Doch natürlich muss man am Ende für sich selbst entscheiden, welchen Weg man geht. Ich kann mir vorstellen, beide wollten dich nur beschützen, was auch ihre Aufgabe ist. Dein Vater liebt dich, dessen bin ich mir sicher, und beschützt dich auf seine Art und Weise. Ebenso, wie dein Freund. Du solltest nicht enttäuscht sein, ganz bestimmt gibt es einen Grund, weshalb dein Julius nicht zur rechten Zeit bei dir sein konnte … Nun, am Ende ist jeder der Schmied seines eigenen Glückes.“

Nachdenklich und mit dankbarem Blick antwortete Tasius einige Augenblicke später: „Ich danke Euch für alles, ich nehme mir diese Worte sehr zu Herzen. Dennoch möchte ich weiter. Es ist mein Wille zu zeigen, was in mir steckt. Deshalb bitte ich Euch um einen Gefallen: Wenn jemand nach mir sucht, erzählt ihm nicht zu viel. Ihr wisst nicht, wer ich bin, denn ich bin nur ein einfacher Wanderer und ich werde Richtung Westen weiterziehen.“

Tasius stand auf, legte dem alten Mann zum Abschied seine Hand auf die Schulter, erhielt von diesem einen verständnisvollen Blick zur Antwort. Dann wandte er sich zum Gehen und lief querfeldein in westliche Richtung, die morgendliche Sonne im Rücken. Der Alte nickte dem jungen Wanderer hinterher und schaute ihm nach, bis er in der Ferne verschwand.

Tasius hatte den Hof des alten Mannes mit Wehmut verlassen. Er wusste, dass der Alte es mit seinen Worten gut gemeint hatte. Die Fläche, über die er nun lief wollte gar kein Ende nehmen. Irgendwie spürte er die Blicke des Alten noch lange, wie dieser hinter ihm herschaute. Es war schon ein komisches, eigenartiges Gefühl. Es erinnerte ihn an den Moment, als er die Schlossmauern hinter sich gelassen hatte, auch da glaubte er, ihm folgende Blicke zu spüren. Doch diesmal war es intensiver, viel intensiver.

Der Junge wusste nicht wie lange und wie weit er laufen müsste, bis er wieder ein Dorf finden würde. Er hatte auch vergessen zu fragen. Und so lief er einfach weiter. Ihm begegnete niemand, während Stunde um Stunde verging und er Meile um Meile hinter sich brachte. Zeit, um sich an der Umgebung zu erfreuen, wieder andere Pflanzen und Tiere zu sehen.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und es war unerträglich heiß, so dass sich Tasius entschied, sich einen schattigen Platz zu suchen und zu rasten. Er aß und trank etwas. Im Schatten war es angenehm. Eine gute Gelegenheit seine Gedanken aufzuschreiben. Nach einiger Zeit sah er sich um und zeichnete seine Umgebung auf. Als Tasius damit fertig war, wanderte er in die Richtung, die er schon am Morgen eingeschlagen hatte, weiter, ohne dass ihm irgendjemand begegnete.

Die Sonne ging inzwischen langsam unter, da kamen ihm zwei Männer entgegen. Tasius hatte aus seiner unschönen Erfahrung im Wald gelernt, prüfte sogleich, ob der Beutel mit den Münzen, die er sich verdient hatte, am Gürtel im Rücken noch richtig fest hing und fasste sein Schwert unter seinem Umhang, ohne es hervor zu holen. Er wollte es nur griffbereit haben. Mit festem Schritt ging Tasius weiter auf die Männer zu. Mit einem Mal erkannte er die Zwei wieder. Das waren die dreisten Burschen aus der letzten Begegnung. Die zwei Burschen erkannten auch Tasius auf Anhieb wieder, grinsten hämisch und wollten wieder zuschlagen. Doch Tasius war schneller. Er zog sein Schwert und schlug einem der Burschen mit dem Knauf heftig in die Magengegend. Dieser ging sofort zu Boden. Mit einer geschickten Drehung hielt Tasius dem zweiten Burschen die Klinge an die Kehle. "Ich glaube, ihr habt etwas, was mir gehört, ich hätte es gerne zurück. Und zwar jetzt!", rief er mit entschlossener Stimme.

Der Bursche mit der Klinge am Hals schluckte schwer, zog den Dolch hervor und hielt diesen mit zitternder Hand hoch. Mit gekonntem Griff nahm Tasius ihm den Dolch ab und stieß den Überwältigten gleichzeitig von sich, so heftig, dass dieser neben seinem Kumpan auf dem Boden landete. "Ihr habt den Falschen überfallen, so macht man das!“ Schnell trat Tasius dem Zweiten auf die Hand, die dieser gerade erheben wollte und schnitt ihm in einer raschen Bewegung mit dem Schwert einen Beutel Münzen vom Gürtel, den er als den seinen erkannte. „Und nun, macht dass ihr wegkommt, bevor ich euch zerteile!", schrie er sie an und ließ sein Schwert über ihre Köpfe sausen, so dass die Luft pfiff.

Das ließen sich die beiden Räuber nicht zweimal sagen. Erschrocken rappelten sie sich auf und liefen davon. Nur eine Staubwolke hinterließen sie. Tasius war so erleichtert, dass er auf die Knie fiel. Die Stärke, die er soeben das erste Mal beweisen musste, machte ihn jetzt schwach, er zitterte am ganzen Körper. Es dauerte einen Moment, ehe sich seine Muskeln entspannten und das Zittern abebbte. Wieder seine Kraft spürend, stand er auf, steckte sich den Dolch in seinen linken Stiefel und das Schwert wieder in den Gürtel unter seinen Umhang. So war Beides griffbereit, falls er es wieder brauchen würde.


Nach einer guten Zeit weiterer Wanderung, suchte sich der Junge einen geeigneten Schlafplatz. Er wollte sich für diese Nacht etwas geschützteres suchen und fand einen kräftigen Baum. Dieser war so gewachsen, dass er hinauf klettern konnte und er es sich auf den dicken Ästen bequem machen konnte, ohne herabzufallen. Nur ein gewohnt weiches, warmes Laublager war so nicht möglich. Doch in Hinsicht seiner Erlebnisse, schien es Tasius ratsamer, vorerst auf Bequemlichkeit zu verzichten. Mit dem Rücken lehnte er sich an den Stamm, er wickelte sich in seinen Umhang und das Schwert fest im Griff. Falls man ihn doch entdecken würde. Tasius schloss seine Augen und schlief ziemlich schnell ein.

Ohne weiteren Zwischenfall und geweckt durch Vogelgesang, erwachte Tasius am nächsten Morgen. Etwas klamm von der Frische der Nacht und mit verspannten Muskeln durch die neue Härte seines Nachtlagers, kletterte er vom Baum herunter. Einige Bewegungen musste er schon mit seinem Körper dann in alle Richtungen machen, um einigermaßen seine Beweglichkeit wiederzuerlangen. Anschließend nahm er auf dem Waldboden Platz und machte sich sein Frühstück, welches aus Wasser und Obst bestand. Brot und Käse wollte er sich für die Mahlzeit am Abend aufsparen, denn wer weiß, wann er die Möglichkeit hatte frisches Essen zu bekommen. Die Sonne war gerade aufgegangen, der Morgen roch frisch, die Tiere erwachten und wechselten durch den Wald. Seine Beobachtungen schrieb Tasius gleich auf. Um ein weiteres, gutes Stück seines Weges zu schaffen, machte er sich wieder auf den Weg. Für ihn war es jetzt noch reizvoller weiterzuwandern. Immerhin hatte er auf der kurzen Reise schon ziemlich viel erlebt. Einzig die Einsamkeit, die ihn auf seiner Wanderung begleitete, machte ihm zu schaffen. Keinem Menschen begegnete er, nirgendwo eine Siedlung. Nur den Wald hatte er hinter sich gelassen und eine weite Fläche beschritten, die nur ab und an mit einer Baumgruppe oder dichten Sträuchern bewachsen war. Der Tag verlief ohne besondere Ereignisse und schon bald spürte Tasius die Anstrengung, die mit dieser Reise verbunden war. Seine Glieder wurden müde, die Füße schwer. Die Sonne hatte sich heute zum Glück hinter einigen Wolken versteckt und nur selten ihre heißen Strahlen auf den Wanderer geschickt. So war er wohl ein richtig gutes Stück vorangekommen, bevor es an der Zeit war, ein Nachtlager zu finden, zu Abend zu essen und sich mit Schlaf für den nächsten Tag zu erholen.

Nach dieser weiteren Nacht und einem Tag Wandern wurde die Fläche unebener. Immer dürrer wurde der Bewuchs und dieser schließlich von Geröll abgelöst. Ein hoher Berg in der Ferne kam immer näher und zeigte sich beim Näherkommen als steile Felswand. Darum herum zu laufen, schien Tasius fast unmöglich: "Wunderbar, was nun? Wie komme ich denn jetzt da hoch?"

Der Junge lief am Fuße der Felswand entlang. Geröll und gebrochene und herabgestürzte Felsenstücke erschwerten das Laufen. Immer mit dem Blick abwechselnd nach oben und in die Felswand, als auch hinter die Felsen, suchte er nach einer Möglichkeit hinauf zu gelangen. Plötzlich fand er einen kleinen Pfad, der geradewegs durch die Felswand nach oben führte und anscheinend schon viel benutzt worden ist. Diesem Pfad folgte er, bis ganz hinauf.

Oben angekommen traute er seinen Augen kaum. Hier war alles verdorrt. Keine Wiese, nur braune, trockene Gräser. Kein Baum stand mehr, nur noch gebrochene Stämme und Äste. Staub wirbelte über die Fläche. Aber ganz in der Ferne konnte Tasius etwas erkennen. Er entschied sich seinen Weg dorthin fortzusetzen. Nur langsam kam er etwas näher, die weite Fläche nahm und nahm kein Ende. Doch viele Stunden später konnte er erahnen, was das sein könnte, worauf er die ganze Zeit zulief. Ein Palast, wuchtig, klobig, aus riesigen Steinen erbaut, fast ruinenhaft.

Tasius überkam ein ungutes Gefühl, so als wüsste er, dass er nicht willkommen sein würde. Und auch, dass er nicht einfach so hinein kommen würde. Er musste sich etwas einfallen lassen.

Mit diesen Gedanken lief der Junge weiter darauf zu, immer konzentriert auf das vor ihm größer werdende Ungetüm von dunklen Steinen. Darauf bedacht, mehr erkennen zu können, hoffend, vielleicht jemanden zu finden, der ihm helfen würde und sagen könnte, was er da sah.

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