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Zuckersüß und zum Dahinschmelzen

Teil 2 - Zuckersüß

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„... nervt total“, höre ich Fin neben mir grummeln. Seine Selbstgespräche sind mir in den letzten beiden Tagen schon aufgefallen, in denen ich hier arbeite. Er mag nicht viel mit anderen reden, aber dafür umso mehr mit sich selbst. Ein kauziger Typ. Ich beobachte, wie er gerade ein echt tolles Zimtcreme-Trifle fertig macht. Der mittels Flambierer angebräunte Eischnee gibt dem Ganzen ein fast schon rustikales Aussehen. Er ist verdammt gut in dem, was er macht. Selbst ein einfaches Dessert wie dieses lässt er irgendwie ansprechend und gut aussehen.

„Das sieht echt gut aus“, kommentiere ich kurz, woraufhin ich einen fragenden Blick erhalte. Nein, das ist eher ein fragend-abwertender Blick, als würde ich es doch tatsächlich wagen, ein Urteil über seine Arbeit zu fällen. Er ist garantiert einen halben Kopf kleiner als ich, aber so viel Respekt hatte ich nicht einmal vor meinem damaligen Chef.

Erst befürchte ich, den Kampfzwerg verärgert zu haben, doch als er mir einen Löffel entgegenstreckt, denke ich, doch nicht alles falsch gemacht zu haben.

„Gut, dann probier, ob es auch schmeckt“, befiehlt er mit wieder weniger Emotion im Gesicht. Ich bin gerade dabei, diverse Zutaten für den Tag zu präparieren, weshalb ich erst meine Hände abwaschen muss. Gerade als ich mich zum Waschbecken umdrehen will, hält er mich am Arm fest.

„Hier.“

Ich staune etwas über die freundliche Geste, als er mich doch tatsächlich füttert. Ich bin auch ein bisschen froh darüber, dass nicht ich, sondern er selbst das kleine Kunstwerk zerstört.

Erst komme ich mir etwas dumm vor, mich so von ihm füttern zu lassen, aber als ich die kleine Portion auf der Zunge zergehen lasse, passiert irgendwas in mir. Es ist die perfekte Wechselwirkung von fruchtiger Blaubeere, Zimt, Schlagsahne und Mandel. Tatsächlich verursacht das ein Kribbeln in meinem Bauch.

„Was?! Ist es nicht gut? Ich wusste, dass da was nicht passt ...“

„Nein. Das ist ... perfekt“, unterbreche ich ihn.

Plötzlich werde ich Zeuge eines wirklich seltsamen Ereignisses. Fins linker Mundwinkel hebt sich ein kleines Stück. Ist das ein Lächeln? Noch ehe ich es genauer inspizieren kann, dreht er sich weg.

„Übertreib nicht so“, brummt er wieder vor sich her und zieht das Schild seiner schwarzen Basecap etwas weiter ins Gesicht. Ist ihm das etwa unangenehm?

„Das ist wirklich gut.“

„Halt die Klappe. Musst du nicht noch irgendwelches Grünzeug zuschneiden?“

Mit diesen Worten dreht er sich jetzt zum Waschbecken. Ich beobachte ihn. Das ist eine ganz andere Seite an ihm, die ich so nie erwartet hätte.

Ein Räuspern lässt mich wieder nach vorne zum Pass sehen, wo Karin lehnt und mich verträumt ansieht.

„Ihr zwei seid ja so süß“, singt sie vor sich her und lässt auch mich jetzt etwas seltsam ertappt fühlen.

„Echt jetzt? Mise en place erledigt? Tagesmenü an die Tafel geschrieben?“, faucht Fin seine Schwester an, die nur kichernd davontänzelt.

Irgendwie ein lustiges Schauspiel zwischen den Zwillingen. Äußerlich ähneln sie sich wirklich ziemlich, aber charakterlich könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Vielleicht funktioniert es deswegen so gut zwischen den beiden. Karin bringt die endlose Fröhlichkeit und Motivation mit, während Fin sich um die Ernsthaftigkeit und das Pflichtgefühl bemüht. Eine gute Mischung und das merkt man auch hier im Arbeitsklima.

Der Tag verläuft wie üblich. Hier ist generell sehr viel los und selbst wenn die Plätze besetzt sind, kommen die Gäste und lassen sich die Gerichte einpacken. Meine Ideen kommen gut an und auch die Gerichte meines Vorgängers sind ziemlich gut und einfach.

Als die letzten Gäste sich verabschieden und mir dafür sogar durch den Pass zuwinken, fange ich langsam an, die Zutaten für das morgige Hauptgericht aufzulisten.

„Was machst du morgen?“, werde ich von Karin gefragt, die neugierig auf meine Liste starrt.

„Ich dachte an ein asiatisch orientiertes Gericht. Passend zur Saison Winterrollen aus Reispapier mit Hokkaido-Kürbis, geröstetem Sesam und Räuchertofu. Alles noch im Budget und im Asiamarkt zu bekommen. Die anderen Zutaten hole ich morgen vom Markt.“

„Hört sich richtig gut an, Süßer! Gehen wir morgen zusammen da hin? Ich will unbedingt an diesen Stand mit den genialen Dips! Die haben da eine Sour Creme, die mich richtig wuschig macht.“

„Wuschig?“, frage ich sie.

„Ja, wuschig. Das, was du mit meinem Bruder machst.“

Ich drehe mich etwas verwundert zu ihr um.

„Wie bitte?“

„Na ja, du machst ja auch mich und ein paar unserer Gäste wuschig, aber nicht so wie Fin.“

„Das ... verstehe ich jetzt nicht.“

Sie tippt mir an die Stirn.

„Du raffst das echt nicht? Mein Bruder findet dich gut.“

„Oh, ich mag ihn auch.“

Sie kichert fröhlich.

„Wirklich? Dann hättest du ihn mal vor einem Jahr sehen sollen. Da hättest du dich garantiert in ihn verliebt.“

„Was? Wieso das denn?“

Sie kramt ihr Handy aus der Tasche ihrer rosa Blümchenschürze.

„Hier. So sah mein Brüderchen aus, bevor er dem Liebesleben abgeschworen hat.“

Sie zeigt mir ein Bild, auf dem ich wirklich erst mal genauer hinsehen muss.

„Er war ja richtig dünn“, merke ich wirklich überrascht an. Damals hatte er wohl auch noch längere Haare, was ihm gut stand. Dass er ein sehr attraktives Gesicht hat, ist mir ja schon aufgefallen, aber so, mit den längeren Haaren und der schlanken Figur, ist er wirklich ein Typ, den man sich zweimal ansieht. Karin und er haben beide diese dichten, dunklen Wimpern, welche die hellgrünen Augen so schön zur Geltung bringen. Außerdem sind sie mit einer leichten Bräune gesegnet, die ich nur im Sommer habe. Zudem haben sie beide ganz leichte Sommersprossen auf Nase und Wangen. Ziemlich süß. Auf dem Bild, das sie mir zeigt, trägt Fin ein blau-weiß gestreiftes Shirt und eine helle Jeans mit weißen Sneakers. Ein Look, der ihm fantastisch steht. Es ist das Gesamtpaket auf dem Bild, das mich es am liebsten ausdrucken und aufhängen lassen will.

„Ja, er war echt ein Hingucker, oder?“

„Was ist passiert? Ich meine, er sieht immer noch gut aus, aber ... hat er sich etwas zu oft an den eigenen Kreationen vergriffen?“ Ich flüstere aus Angst, dass er es hören könnte. Zwar wird er noch im Kühlhaus beschäftigt sein, aber man weiß ja nie.

„Kann man so sagen. Nachdem seine letzte Beziehung nur auf Äußerlichkeiten basierte und ihn so unglücklich machte, hat er beschlossen, es beim nächsten Mal anders zu machen. Wobei ich glaube, dass er die Hoffnung aufgegeben hat. Jedes Mal, wenn ich ihm jemanden vorstelle, lässt er die Person direkt abblitzen.“

Ich kann mir vorstellen, dass diese wenigen, zusätzlichen Kilos einer Frau nichts ausmachen. Wenn es nach mir ginge, würde ich sogar sagen, dass er damit noch ein bisschen niedlicher aussieht. Damals wäre ich vielleicht ein bisschen eifersüchtig auf den Schönling gewesen, aber jetzt verspüre ich das seltsame Bedürfnis, diesen putzig Griesgram zum Lachen bringen zu wollen.

„Eine schöne Idee, mal ganz unabhängig von den Äußerlichkeiten gemocht zu werden.“

„Was ist eigentlich mit dir? Hast du eine Freundin oder … einen Freund?“

Jetzt glaube ich kurz aus allen Wolken zu fallen.

„Was? Wie kommst du darauf, dass ich auf Typen stehe?“

Sie kichert nur noch mehr.

„Du bist einfach viel zu hübsch, um hetero zu sein.“

„Danke, aber ich glaube, dass ich deine These widerlegen muss.“

„Hm.“ Sie tänzelt um mich herum. Manchmal erinnert sie an eine Figur aus der Sesamstraße.

„Was heißt da „Hm“? Glaubst du mir nicht?“

„Keine Ahnung. Vorhin hast du ausgesehen, als hättest du dich ein bisschen in Finni verguckt.“

„Wann soll das denn passiert sein?!“

„Na ja, als du den Trifle probiert hast.“

„Ich wusste gar nicht, wie anstößig das Wort „Trifle“ klingen kann“, stelle ich fest und muss kurz über die Situation von zuvor nachdenken. So gut habe ich mich wirklich schon lange nicht mehr gefühlt.

„Das lag aber an dem abartig guten Geschmack.“

„Ja, ja. Liebe geht durch den Magen. Schon mal gehört?“

Liebe? Das ist doch etwas sehr weit her gegriffen.

„Ich denke nicht, aber ...“

„Mein Bruder ist echt toll.“

„Karin, ich bin nicht schwul.“

„Nicht mal ein bisschen? Bi-neugierig?“

„Eh … ich denke nicht.“

„Abwarten! Mein Gefühl täuscht mich selten.“

Irgendwie süß, wie sie glaubt, dass ich mich tatsächlich verlieben könnte. Ich glaube nicht daran. Vielleicht könnte ich mich in sein Talent als Patissier vergucken.

„Was für ein Gefühl hat sie jetzt schon wieder?“

Ich erschrecke, als Fin hinter mir auftaucht und seine Schwester mit einem unfassbar niedlichen, aber wohl gewollt finsteren Blick mustert.

„Ach nichts, Finni. Ich bin mal das Besteck polieren und die Vitrine saubermachen“, meint sie und schwingt den schlanken Körper aus der Küche. Ich sehe ihr noch hinterher und als ich zu ihm blicke, werde ich genauso gemustert wie sie zuvor.

„Was führt sie schon wieder im Schilde?“, will er wissen.

„Nichts Besonderes. Sie hat nur die verrückte Idee, dass ich mich in dich verlieben könnte“, antworte ich ganz beiläufig und merke selbst, wie mein Herz einen kleinen Satz macht. Auch er reagiert etwas überrascht darauf und dreht sich schnell weg. Wie süß er sein kann ...

„Blödsinn. Manchmal spinnt sie echt herum. Ich meine, schau dich mal an“, höre ich ihn leise sagen.

„Was soll das heißen? Stimmt was nicht mit mir?“, will ich wissen und stelle mich neben ihn, um den Blickkontakt zu suchen, dem er stets aus dem Weg zu gehen scheint.

„Lass das. Du weißt, wie du aussiehst.“

„Und wenn nicht? Sag es mir. Wie sehe ich denn aus?“, frage ich weiter und verfolge ihn, während er nun wortwörtlich versucht, mir aus dem Weg zu gehen.

„Du nervst. Lass das. Ich fütter jetzt doch nicht dein sowieso schon dickes Ego.“

„Also findest du, dass ich gut aussehe?“

„Ja, ist doch offensichtlich, und jetzt lass mich endlich in Ruhe.“

„Nö. Ich bin neugierig. Was findest du denn so gut an mir?“

„Bis jetzt war das Beste an dir deine ruhige Art.“

Ich lasse von ihm ab.

„Oh … okay.“

Er dreht sich zu mir um. Ist er wirklich darauf reingefallen? Ich bin eigentlich gar nicht gut darin, einen auf unschuldig und verletzt zu machen.

„Tut mir leid. Du bist echt toll. Also nicht nur äußerlich. Ich finde, dass du Talent hast und so viel versteckte Leidenschaft für das, was du tust. Ich kenne dich noch nicht so lange, aber du hast echt viel zu bieten und ich freue mich, mit dir zusammenzuarbeiten und dich immer besser kennenzulernen.“

Das überrascht mich ziemlich und macht mich … richtig glücklich. Da ist es wieder. Dieses Kribbeln.

„Echt jetzt?“

Plötzlich taucht da wieder diese üblich emotionslose Miene in seinem hübschen Gesicht auf.

„Kein Stück. Du langweilst mich zu Tode und bis auf einen verdammt hübschen Körper hast du in meinen Augen nichts Besonderes an dir.“

Wie ein Schlag ins Gesicht.

„Oha. Das tat weh“, gebe ich zu und lehne mich an die Küchenzeile. Dass es wirklich ziemlich gesessen hat, lasse ich ihn besser nicht wissen. Stattdessen überspiele ich das Ganze, fasse mir völlig übertrieben ans Herz, nehme die Cap ab und wische mir die nur fast aufgetauchten Tränen aus dem Gesicht. Als nichts von ihm kommt, sehe ich zu ihm auf und beobachte, wie er mich mustert, meinen ganzen Körper scannt und dabei ein Gesicht macht, das ich überhaupt nicht deuten kann. Irgendwas an meinen Beinen scheint ihn zu faszinieren.

„Hey, mein Gesicht ist hier oben“, merke ich scherzhaft an, was ihn sofort aufmerksam werden lässt.

„Du bist ein echt oberflächlicher Typ, oder?“, will er aus dem Nichts von mir wissen.

„Nein, eigentlich nicht.“

„Warum siehst du dann so aus? Ich meine, da steckt eine Menge Arbeit dahinter, oder?“

„Ich gehe nicht ins Training, um gut auszusehen. Ich mache das, um meinen Beruf so lange wie möglich ausüben zu können und um mich wohl zu fühlen.“

Jetzt sieht er an sich herab. Am liebsten hätte ich ihn umarmt. Er ist nicht dick, aber man sieht ihm die wenigen zusätzlichen Kilos schon an. Vor allem im Vergleich zu vorher. Nichtsdestotrotz ist er echt attraktiv. Einfach richtig niedlich. Plötzlich sieht er zu mir auf.

„Gehen wir noch was trinken?“, fragt er nach einem kurzen Moment des Schweigens.

„Wo kommt das denn auf einmal her?“

„Gehen wir oder nicht?“

„Ja, von mir aus. Sollen wir deine Schwester noch fragen?“

„Ich bin dabei! Alex und Ev gehen bestimmt auch mit!“, ruft es vom Pass. Natürlich hat Karin alles mit angehört.

„Wer ist Ev?“, will ich von Fin wissen, der sich jetzt auch die Cap abzieht und sich durch das blonde Haar fährt. So ein bisschen zerzaust sieht er sogar noch niedlicher aus. Was ist denn los mit mir?

„Nur ein bescheuerter Anwalt.“

„Ein Kollege von Alex?“

„Ja, und sein bester Freund.“

Irgendwas scheint gerade nicht zu passen. Fin reagiert oft genervt. Ihn nervt wirklich so ziemlich alles, aber dieser „Ev“ scheint das ganz besonders zu tun.

Später gehen wir in den alten Pub um die Ecke. Es ist ganz schön was los und als wir den nach Rauch und Alkohol riechenden Raum betreten, kommt uns Alex im schicken Anzug schon entgegen. Er begrüßt seine Freundin mit einem flüchtigen Kuss und umarmt erst mich, dann auch Fin, welcher sich selbstverständlich nicht allzu lange knuddeln lässt und Alex bemüht wieder von sich schiebt. Von langen Umarmungen hält Blondchen wohl nichts.

„Kommt, ihr Hübschen. Wir haben den besten Tisch ergattert!“, kündigt Alex an und deutet auf die Ecke. Ich bin schon gespannt auf diesen „Ev“. Irgendwas scheint mit Fin nicht zu stimmen, seit Karin den Namen erwähnt hatte.

In der Ecke scheint aber niemand zu sitzen. Ich sehe mich um, als wir uns gesetzt haben. Vermutlich ein Kerl im Anzug, und tatsächlich steht da einer an der Bar. Einer, der so richtig abartig gut aussieht und dem der Anzug wie angegossen steht. Er ist fast so groß wie ich, eher athletischer Statur und trägt diese typische „Ich-hätte-Model-in-den-50ern-sein-sollen“-Frisur. Er unterhält sich mit der jungen Barkeeperin.

„Ev! Komm rüber!“, ruft Alex, und tatsächlich regt sich der Schönling. Ich kann unmöglich sagen, wie alt er ist. Er hat ein Jurastudium absolviert und dem Anzug zufolge muss er auch schon recht gut verdienen. Auch die Uhr, die sichtbar wird, als er an den Tisch kommt, weist auf eine Menge Kohle hin.

„Hallo Leute … Fin“, begrüßt er die Runde und den ziemlich genervt dreinschauenden Fin noch zusätzlich. Garantiert können sich die beiden nicht ausstehen. Ich frage mich, wieso.

„Oh, wer bist du denn?“, werde ich gefragt und auf einmal setzt dieser Typ eine verdammt freundliche Miene auf. Als er mir die Hand reicht, ergreife ich sie nur widerwillig. Etwas an diesem Kerl stimmt nicht.

„Feli. Der neue Koch“, antworte ich knapp.

„Oh, der Franzose, von dem Karin die ganze Zeit schwärmt? Interessant. Du sollst ziemlich gut sein.“

„Ich bin kein Franzose.“

„Nicht? Das hätte dir nur noch mehr Charme gegeben. Aber egal.“ Er setzt sich einfach neben mich und ich kann im Augenwinkel sehen, wie Fin zu meiner Linken nur den Kopf schüttelt.

„Zurück zu mir. Karin, ich könnte dir eine Location klar machen, die dich aus den Socken haut. Mitten in der Einkaufspassage. Stell dir vor: Karins Paradies als erste Anlaufstelle für hungrige Hipster im Kaufrausch.“

„Lass mich raten. Sie müsste nur ihr Konzept und ihre Seele an dich verkaufen?“, wirft Fin ein.

„Du weißt ja, wie das geht, Finnian“, antwortet der Fiesling und es entsteht eine richtig unangenehme Spannung am Tisch.

„Leute, bitte. Könnt ihr euch wenigstens heute vertragen? Feli bekommt doch einen ganz falschen Eindruck“, mahnt Alex.

„Alex hat recht, Finnian. Lass uns das Kriegsbeil endlich vergraben. Vergeben und vergessen, mein Dickerchen.“

„Ev!“, faucht Alex von der anderen Seite des Tisches.

„Entschuldigung. Der musste einfach sein. Ich bin ja schon still … obwohl, einen habe ich noch ...“

„Wie bist du denn drauf?“, rutscht es mir raus. Ich sehe den fiesen Typen fragend an.

„Komm schon. Du siehst aus wie ein Kerl, der sein Leben im Griff hat. Findest du nicht, dass unser kleiner Freund ein bisschen mehr tun könnte?“

Wieso macht mich diese Aussage nur noch wütender?

„Himmel, du langweilst mich, Evan“, kommt es von meiner Linken. Ich muss grinsen, als ich sehe, wie Fin demonstrativ gähnt und sich entspannt zurücklehnt.

„Seid ihr jetzt fertig?“, werden die beiden von Karin gefragt, die zeitgleich die Barkeeperin heranwinkt.

„Tut mir echt leid. Aber zurück zu dir, Feli. Du treibst wohl viel Sport, nehme ich an.“ Ich zucke zusammen, als der fiese Typ meinen Oberarm begrabscht.

„Ab und zu.“

„Welche Sportarten? Lass mich raten. Krafttraining und … Laufen. Obwohl du auch ein Schwimmer sein könntest. Du bist echt gut in Form.“

„Nur Krafttraining. Ausdauer ist nicht so meins.“

„Wieso nicht? Du hast tolle Beine.“

Plötzlich legt dieser dreiste Kerl seine Hand auf meinen Oberschenkel. Was stimmt denn mit dem nicht?

„Sorry, das ... ist nicht so mein Ding“, meine ich und frage mich, wieso das hier niemanden so überrascht wie mich. Zum Glück kommt die Barkeeperin an den Tisch und lenkt die Aufmerksamkeit dieses seltsamen Kerls auf sich.

„... ja und bring uns noch eine Runde deiner Spezialmischung. Ich habe das Gefühl, als würde diese Runde ein bisschen Auflockerung gebrauchen.“

„Aber sicher, Evan“, sagt sie und zwinkert ihm kurz zu. Eine attraktive junge Frau mit langen, rötlich braunen Haaren, aber gerade so gar nicht, wonach ich aus bin. Im Moment fühle ich mich sowieso etwas bedrängt und die Hand dieses Typen, welche sich schon wieder auf meinen Oberschenkel verirrt, während er mit Alex irgendetwas von deren Arbeit bespricht, macht das nur noch schlimmer. Seltsam ist vor allem, dass sie dort einfach ruht und der Daumen ganz leicht über den Riss meiner Jeans streicht, sodass er wirklich meine nackte Haut berührt. Das irritiert mich ein bisschen zu sehr und vor allem in einem Ausmaß, dass ich kaum reagieren kann.

Wir trinken. Wir trinken verdammt viel und die Spezialmischung der Barkeeperin macht diese seltsamen Annäherungsversuche nur noch unfassbarer für mich. Wenigstens scheint Fin sich etwas entspannt zu haben. Er unterhält sich mit seiner Schwester und für einen kurzen, betrunkenen Moment vergesse ich, dass die Hand dieses Typen noch immer auf meinem Schoß liegt. Erst als er sie wegnimmt, werde ich wieder darauf aufmerksam. Ich sehe zu ihm. Er nimmt einen Schluck von seinem überteuerten Whiskey und sieht dann auch zu mir.

„Was? Willst du, dass ich weiter mache?“, fragt er mich leise. Die Musik und Karins lautes Gelächter sollten verhindern, dass die anderen das hören. Ich mustere ihn. Vielleicht liegt es an dem Alkohol, aber irgendwie … gefällt es mir, dass er sich so auf mich fokussiert. Ob Karin mit ihrer Vermutung doch richtig lag? Stehe ich vielleicht doch ein bisschen auf Typen? Darüber habe ich mir nie ernsthafte Gedanken gemacht. Nicht mal, als der Gastkellner aus Lyon bei meiner alten Arbeitsstelle ganz offensichtlich etwas mit dem Sous Chef hatte. Das war irgendwie nie so richtig Thema in meinem Leben, aber so wie andere Dinge kann es durchaus sein, dass ich auch das verdrängt habe. Tatsache ist, dass ich der Vorstellung nicht ganz abgeneigt bin. Na ja, der Vorstellung, es vielleicht mal mit einem anderen Mann auszuprobieren. Nicht mit diesem Ev. Er mag verdammt gut aussehen, aber der Charakter ist mir deutlich zuwider. Außerdem reduziert er mich lediglich auf meine optische Erscheinung. Das mag ich einfach nicht.

„... oder Evan? Gina ist echt nett“, wird Evan von Alex angesprochen.

„Gina? Na ja, sie ist nett, aber ziemlich schlecht in ihrem Job.“

„In ihrem Job als Sekretärin oder als deine neue Bettgeschichte?“, fragt Alex weiter.

„Beides. Ich vermisse die alte Komalt.“ Während Evan das erzählt, sehe ich zu Fin. Er ist so niedlich und etwas an ihm lässt mich irgendwie ... gut fühlen. Er ist perfekt nicht-perfekt. Ich schätze, das nennt man Authentizität.

„Ih, echt jetzt? Du alter Schwerenöter. Die könnte doch deine Mutter sein“, mischt sich Karin ein.

„Was? Die gute Frau hatte Tricks drauf ... der Wahnsinn. Sie hat mich an Stellen berührt, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren.“

„Zu viel Details!“, wirft Karin weiter ein.

„Oh ja. Und so richtig erfahren. Mit ihr hatte ich das Gefühl, es endlich mit meiner scharfen Lehrerin aus der Grundschule zu treiben. Verdammt, war die heiß.“

„Wie? Warst du schon als Kind so ein Perverser?“, fragt sie berechtigterweise.

„Meine sexuellen Vorlieben sind nicht pervers, aber ja ... das hat sich schon früh herauskristallisiert. Normal geht nicht für mich.“

„Oh ja! Erzähl Feli mal von unserem Urlaub in Thailand!“, fordert Alex ihn aufgeregt auf. Jetzt wendet sich Evan wieder mir zu.

„Schonmal was mit einem echten Ladyboy gehabt?“

Ich schüttle nur den Kopf und habe echt ein bisschen Angst vor dem, was er mir gleich offerieren wird.

„Ich sage es dir. Die sind der Hammer. Wie war sein Name nochmal?“, fragt er Alex.

„Lou!“, antwortet der fröhliche Russe und freut sich für meinen Geschmack etwas zu sehr darüber.

„Ja richtig. Lou. Gott, ich hätte ihn heiraten sollen. Stellt euch vor, ihr habt die perfekten Brüste und den noch perfekteren Sch...“

„Okay, das reicht“, unterbricht Fin und deutet mir an, dass er aufstehen möchte. Ich rücke etwas nach vorn. Als Fin hinter mir vorbeigeht, legt er die Hände auf meine Schultern und löst ein Gefühl aus, das noch schöner ist als das zuvor in der Küche.

„Wo willst du hin?“, frage ich ihn.

„Kurz raus. Das ist mir ein bisschen zu niveaulos.“

„Gut, bis Mopsi den Laden verlassen hat und wieder zurückkommt, habe ich genug Zeit, um dir ausführlich von den letzten fünf Jahren an besonderen Sexgeschichten zu erzählen.“

Ich schüttle nur den Kopf. Wieso ist Evan so fies zu Fin?

„Ja, ja. Erwähnst du auch deine Bettgeschichte mit deiner Cousine?“, höre ich Fin noch sagen.

Am liebsten wäre ich ihm gefolgt, aber das Gesprächsthema lässt das nicht zu. Fin lässt sich nichts von diesem fiesen Kerl gefallen. Das gefällt mir.

„Das war meine Cousine und ein Versehen! Ganz so krank bin ich nicht!“, ruft Evan erklärend hinterher.

Ein paar abartige Geschichten später weiß ich nun auch, dass Evan wirklich eine sehr eigene Art hat, seine Sexualität auszuleben.

„Ich wette, du bist einer dieser unersättlichen Typen, die einen so richtig hart rannehmen, bis man in Ohnmacht fällt“, schwärmt Evan und mustert mich mit einem ziemlich eindeutigem Blick.

„Nein, Feli ist der Blümchensextyp. Ganz klar“, widerspricht Karin.

„Was bist du denn nun?“, werde ich von Alex gefragt, der wirkt, als hätte er keinen Schluck getrunken. Gute Gene vermutlich oder ein sehr geübter Trinker.

„Keine Ahnung. Wieso reden wir nochmal über mein Sexleben?“

In dem Moment taucht Fin wieder auf und drängt sich an seinen Platz zurück. Dieses Mal ohne mich zu berühren, was ich ein wenig bedauere.

„Na ja, weil du ein Sexleben hast im Gegensatz zu unserem Dickerchen.“

„Geht es um deinen Wagen und um das, was du damit zu kompensieren versuchst?“, fragt Fin und verpasst dem fiesen Kerl damit einen verbalen Kinnhaken. Langsam glaube ich, dass das ein Spiel zwischen den beiden ist. Würden sie sich wirklich nicht verstehen, würden sie auch nicht so lange beieinander sitzen, oder?

„Moment. Lief da was zwischen euch?“, will ich wissen und bin selbst über meine direkte Frage überrascht.

Evan prustet los und Fin seufzt genervt.

„Du bist ja doch nicht so schwer von Begriff, Feli!“, freut sich Karin und lässt mich ein bisschen dumm dastehen.

„Ja, aber das war bevor Pummelchen zu ... na ja, zu dem wurde.“ Evan zeigt abwertend auf Fin. Also ist Fin schwul? Das sollte mir vermutlich nicht so gut gefallen, wie es das im Moment tut.

„Stimmt, und bevor Evan zu einem Idioten mutiert ist“, ergänzt Fin in üblicher Kühle. Schwer vorstellbar, dass die beiden sich einmal attraktiv gefunden haben.

Es trifft mich wie ein Blitz. Ist Evan der Ex, von dem Karin zuvor in der Küche gesprochen hatte?

Etwas später finde ich mich auf der engen Toilette wieder. Eng, aber immerhin sauberer, als ich erwartet hätte. Ziemlich betrunken betrachte ich mich im Spiegel, während ich das kalte Wasser über die Hände laufen lasse. Betrunken fühle ich mich mir selbst nur noch fremder. Ob das eine echte psychische Erkrankung ist? Manchmal geht es sogar so weit, dass ich richtig klaustrophobisch werde dank des Gedanken, diesen fremden Körper nicht verlassen zu können. Gut, ich könnte den Körper vielleicht verlassen, aber ich glaube nicht so richtig an die Existenz einer Seele oder Ähnlichem. Wenn ich mir selbst in die Augen schaue, sehe ich nur diesen Körper als eine Art Maschine oder eine Rüstung, in der ich stecke, und hoffe, mein echtes Ich hinter diesen hellen Augen sehen zu können. Natürlich ist das nicht möglich.

Plötzlich geht die Tür auf und ich erkenne Evan, der hinter mir steht und immer näher kommt. Er schiebt sich einfach vor mich.

„Also was ist jetzt? Hast du Lust?“, fragt er mich.

„Was?“

„Frag nicht so unschuldig. Du weißt, was ich will.“

„Oh ich ... eh ... bin echt betrunken.“

Er legt die Arme um meinen Hals.

„Umso besser. Komm schon. Das wird lustig.“

„Also ... ich denke nicht ...“, stammle ich vor mir her.

Seine Hand wandert über meine Brust und meinen Bauch.

„Du bist so scharf. Einen wie dich hatte ich noch nicht.“

„Warte mal ... du willst ...?“

„Natürlich und ich will es jetzt. Hier.“

„Du bist verrückt.“

„Ich weiß. Verrückt nach dir und diesem wahnsinnigen Körper.“

Mit diesen Worten werde ich in eine der Kabinen gezerrt. Als er vor mir in die Knie geht und sich an meiner Hose zu schaffen macht, begreife ich erst den Ernst der Lage.

„Moment ... warte bitte.“

„Was ist denn jetzt noch?“

„Ich ... das ist nicht so mein Ding.“

„Was? Schnelle Nummern oder mit einem anderen Kerl?“

„Keine Ahnung. Beides vielleicht.“

Er steht wieder auf.

„Du gibst mir einen Korb?“

Oh, da habe ich wohl jemandes Stolz mächtig angekratzt.

„Ich schätze ... ja?“

„Na gut. Du wirst schon sehen.“

Und weg ist er. Als ich kurze Zeit später die Toiletten verlasse, sehe ich, wie er der Barkeeperin die Zunge in den Hals schiebt. Ein wirklich seltsamer Kerl. Kopfschüttelnd setze ich mich wieder zu den anderen.

„Respekt, mein Großer“, höre ich Alex sagen, und als ich so in die kleine Runde blicke, bemerke ich erst die höchst interessierten Blicke. Selbst von Fin, dessen linker Mundwinkel wieder etwas zuckt, als würde er sich freuen. Auf die ganz eigene Art und Weise.

„Was?“

„Du hast Ev abserviert“, erklärt Karin mit leuchtenden Augen.

„Ja. Er scheint sich ja schnell davon erholt zu haben“, meine ich und deute auf Evan und die Barkeeperin.

„Oh nein, das wirst du ganz sicher noch bereuen, aber ich bin dennoch stolz auf dich“, verkündet Karin und macht mir ein wenig Angst mit ihrem wissenden Grinsen.

„Wieso? Verklagt er mich?“

„Könnte er garantiert. Er findet immer etwas, aber er wird es dich anders spüren lassen“, macht Alex weiter und lacht wie ein echter Bösewicht aus einem Actionfilm.

Nach einer weiteren, doch ganz spaßigen Runde mit Karin, Fin und Alex merke ich richtig, wie mich der Alkohol schlaucht.

„Okay Leute. Ich bin echt betrunken und muss morgen früh zum Markt“, kündige ich an und mache schon Anstalten aufzustehen.

„Mist, der Markt! Finni, kannst du nicht morgen mit Feli da hin? Ich bin so fertig“, bittet Karin ihren Bruder, der nur zustimmend nickt und dabei nicht süßer hätte aussehen können. Dämlicher Alkohol.

„Finni und Feli ... hört sich an wie eine Kinderserie“, murmelt Alex lachend vor sich her.

„Du Spinner. Wir gehen jetzt auch nachhause.“ Karin zieht ihren nun plötzlich sehr betrunkenen Freund nach oben, was wirklich witzig aussieht aufgrund des Größenunterschieds. Wir zahlen bei der Barkeeperin, die sich nur sehr schwer von Evan lösen lässt, und verschwinden. Als ich merke, wie ich von dem Schönling im Anzug böse angefunkelt werde, lege ich den Arm um Fin und der seinen um meine Hüften. Das fühlt sich so unfassbar schön an, dass ich auch draußen nicht von ihm ablassen will. Stattdessen drücke ich ihn noch ein Stück weiter an mich heran.

„Okay ... das reicht ...“, grummelt er und will sich von mir lösen, was ich noch nicht zulasse.

„Nö.“

„Lass mich los“, befiehlt er wenig überzeugend, legt zeitgleich wieder den Arm um meine Hüften und lehnt den Kopf gegen meine Schulter. Ich nutze den Moment und vergrabe mein Gesicht kurz in den blonden Haaren, die nicht nur super weich sind, sondern auch so fantastisch nach ihm riechen. Mir ist dieser tolle Duft an ihm schon zuvor aufgefallen. Irgendwas daran lässt mich völlig entspannen und gleichzeitig etwas hibbelig werden.

„Aw, wie süß ihr seid!“, kreischt Karin auf einmal von hinten.

„Hä? Wer?“, fragt Alex, der völlig betrunken an der Laterne lehnt.

Der Typ ist echt betrunken und vermutlich kaum noch in der Lage, sich selbstständig zu bewegen. Als ich beobachte, wie Karin sich abmüht, den großen Kerl zu stützen, muss ich leider von Fin ablassen. Zuvor schiebe ich meine Hand unter sein Kinn und zwinge ihn mit leichtem Druck, mich anzusehen. Dieser Blick ... so zuckersüß.

„Ich glaube, ich muss deiner Schwester helfen.“

„Ja ... eh ... ich meine ...“ Er versucht verzweifelt, die emotionslose Miene aufzusetzen, was wohl ganz schön schwierig zu sein scheint. Also doch nur eine Fassade. Schnell lässt er von mir ab und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Du bist so süß“, flüstere ich ihm noch zu, ehe ich zu Alex eile. Gerade noch rechtzeitig, da der fast umkippt und das mit einem so lustigen Grinsen im Gesicht, dass ich selbst anfangen muss zu lachen.

„Uh ... danke, mein kanadischer Freund. Du bist echt in Ordnung“, lallt er.

„Danke, ich kann dich auch gut leiden.“

„Nein, mal ernsthaft! Du bist total nett und obwohl ich am Anfang ein bisschen eifersüchtig war, weil Karin nur noch von dir geredet hat, weiß ich jetzt ziemlich genau, dass du in Ordnung bist ... und keine Konkurrenz.“

„Da bin ich aber froh, dass wir das geklärt haben.“

„Ja, wirklich. Ich weiß jetzt, dass du voll auf Fin abfährst.“

Ich sehe zu Fin, der mit seiner Schwester ein paar Meter vor uns läuft. Weit genug entfernt, um das Gespräch zwischen Mister Wodka und mir nicht mitzubekommen.

„Ein bisschen vielleicht“, gebe ich zu und in dem Moment dreht Fin sich zu uns um. Er kann es unmöglich gehört haben, dennoch ist da dieses leichte Grinsen, das ich wirklich gerne mag und das bei mir dieses wunderschöne Gefühl auslöst.

„Aber wieso eigentlich? Ev sieht doch viel besser aus.“

„Nicht für mich.“

„Aw, voll süß. Trotzdem wirst du es vermutlich richtig bereuen, dass du ihn abserviert hast. Er kann echt fies sein. Frag mal Fin.“

Ich werde hellhörig.

„Hat Fin Evan einen Korb gegeben?“

„Nein, Mann! Fin hat Evan gnadenlos in den Wind geschossen und danach effektiv dafür gesorgt, dass mein bester Freund sich nicht wieder in ihn verknallt. Evan ist echt oberflächlich.“

So ist das also. Wieso kann ich mir so gut vorstellen, dass Fin sich vor allem äußerlich so verändert hat, um diesem Idioten die Trennung leichter zu machen? Na ja, eventuell idealisiert mein betrunkenes Ich auch gerade den Kerl, den ich seit wenigen Tagen minimal anhimmle.

Alex merkt an, dass er Hunger hat, und wir beschließen, uns noch einen Snack im Schnellimbiss zu holen. Ich vertilge das große Pizzastück, als wäre es meine Henkersmahlzeit, während Fin mir dabei nur schockiert zusieht.

Ich setze Alex bei Karin ab und verabschiede mich von den beiden. Fin wohnt ganz in der Nähe, also beschließe ich, ihn auch nachhause zu begleiten. Natürlich schaffe ich es nicht, meine Finger von ihm zu lassen, und lege wieder den Arm um seine Schultern. Es ist so schön, dass es ihm nichts ausmacht, und er das, genau wie zuvor, sogar erwidert.

„Ist dir klar, dass du riesig bist? Wie groß bist du eigentlich?“, will er wissen und sieht zu mir auf, während wir am Straßenrand entlang gehen.

„Weiß ich gar nicht. In meinem Ausweis steht irgendwas von 1,95 m“, antworte ich und will am liebste mein Gesicht wieder in den tollen Haaren vergraben, doch da ich dann diese schönen Augen nicht mehr sehen könnte, lasse ich die Hand erst zu seinem Nacken und dann zum Haaransatz wandern.

„Also fast 2 Meter. Dachte ich mir schon. Neben dir komme ich mir echt klein vor.“

„Fin, du bist auch klein.“

„Gar nicht wahr! Ich bin völlig normal groß mit 1,77 m!“, protestiert er und sieht mich böse an. So böse, dass ich dahinschmelzen könnte. Ich bleibe stehen, um mir diesen Gesichtsausdruck einzuprägen. Damit das auch noch gelingt, trotz des Alkoholeinflusses, stelle ich mich vor ihn und lege die Hände auf seine Wangen.

„Was wird das?“

„Nichts. Ich will mir nur diesen Gesichtsausdruck merken.“

„Wozu?“

„Sieht irre süß aus.“

„Klappe. Ich bin nicht süß.“

„Und ob. Du bist das niedlichste Wesen, das mir begegnet ist.“

„Dann bist du Thunfisch und Sardine noch nicht begegnet.“

„Wie bitte?“

„Lach nicht, aber meine Mitbewohnerin hat zwei Katzen, die so heißen.“

„Thunfisch und Sardine? Wirklich?“

„Ja, und die sind echt fett. Passen perfekt zu mir.“ Er lächelt ganz leicht und streichelt sich über den Bauch. Ich muss darüber ein bisschen schmunzeln und lege die Hand auf seine.

„Lass das lieber. Ich habe das Gefühl, dass mir das irgendwie ein bisschen zu gut gefällt“, antworte ich ziemlich wahrheitsgemäß.

„Sehr witzig“, und weg ist das Lächeln.

„Das war kein Witz.“

„Hör auf damit. Du kannst mich mit diesem Sarkasmus nicht beleidigen. Das ist teuer bezahltes Essen gewesen. Ich bin stolz darauf.“ Er löst sich von mir und läuft einfach weiter.

„Das ist kein Sarkasmus und ich will dich garantiert nicht beleidigen“, meine ich, als ich ihn einhole.

„Gib dir nicht so viel Mühe. Ich weiß, wie du tickst.“

Ich bleibe stehen.

„Woher willst du wissen, wie ich ticke?“

Er bleibt jetzt auch stehen und dreht sich zu mir um.

„Du bist ein wahnsinnig schöner Mann und hast auch noch einen Charakter, in den man sich zwangsläufig verlieben muss. Das Problem ist, dass du das weißt.“

„Danke, aber so ist das nicht. Wenn ich ehrlich sein soll, kann ich mich selbst kein bisschen leiden und schon gar nicht mein Aussehen.“ Ich vermeide es lieber, direkt mit dieser seltsamen Disharmonie zwischen mir und meinem Körper herauszurücken.

„Du willst doch nur, dass ich dir sage, wie gut du aussiehst.“

„Nein ... ich will das nicht hören. Ich hasse es, darauf reduziert zu werden, weil es sich nicht anfühlt, als würde das zu mir ... egal. Vergiss es. Ich bin echt betrunken.“

Fast verplappert. Ich gehe schnell weiter und setze wieder ein Lächeln auf. Den restlichen Weg gehen wir schweigend und mit Sicherheitsabstand nebeneinander her. Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich so viel gesagt habe. Das war zu viel und jetzt hält er mich für einen vollkommenen Psychopathen.

„Hier wohne ich“, höre ich ihn leise sagen. Er deutet auf einen ziemlich heruntergekommenen Altbau mit Charme.

„Die Gegend ist seltsam“, bemerke ich, als ich mich umsehe und mir überall der Schriftzug „Sex“ und „Girls Girls Girls“ ins Auge springt.

„Das Freudenviertel eben“, erklärt er das häufige Aufkommen der Leuchtschilder.

„Nett. Na ja, dann sehen wir uns morgen um fünf beim Markt?“

„Ja ... bis morgen, Feli.“

Kurz herrscht wieder Schweigen und wir beide sehen uns nur etwas verlegen an.

„Fin, ich ... das, was ich vorhin gesagt habe, war voll daneben. Ich will einfach nicht, dass du mich für einen oberflächlichen Idioten hältst.“

„Das tue ich nicht. Ist nur schwer zu glauben, dass du wirklich so ... perfekt bist.“

„Ich bin nicht perfekt. Garantiert nicht.“

„Für mich sieht das aber so aus.“

Ich merke, wie ich leicht rot werde, und senke den Kopf mit einem verlegenen Lächeln.

„Du kennst mich ja auch noch nicht richtig.“

„Dann sollten wir das ändern, oder?“

„Unbedingt!“, freue ich mich.

„Gut, dann ist das morgen doch ein guter Anfang. Ich freue mich schon auf dein nicht perfektes, verkatertes Ich.“

Das Kribbeln macht mich verrückt. Wie er da steht und mich ansieht mit diesem leichten Lächeln.

„Darf ich ... darf ich dich umarmen?“, frage ich, als ich fast glaube zu platzen.

„Nein. Vielleicht morgen. Gute Nacht, Felician Noé Titouan Garcia-Girard.“

Ziemlich beeindruckt davon, dass er meinen kompletten Namen aufsagen konnte, lasse ich mich auch ohne eine Umarmung abspeisen.

Den Weg zum Motel finde ich nur dank der App, dieser Absteige. Heutzutage hat wohl jeder eine App.

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