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China in our hands

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»But it was long ago and it was far away
Oh God it seems so very far
And if life is just a highway
Then the soul is just a car
Objects in the rear view mirror
May appear closer than the are«
('Objects in the rear view mirror may appear closer than they are' von Meat Loaf; Text: Jim Steinman)

Moritz war gerade mit seinen Freunden am nahegelegen Wald, wo sie als Kinder immer gespielt hatten. Es war Sonnwendfeier. Einmal in Jahr trafen sie sich dazu und bauten auf der großen Lichtung ein riesiges Feuer. Mittlerweile war es schon zur Hälfte heruntergebrannt. Wie in Trance suchten sich die Flammen ihren Weg zum Himmel. Eine angenehme Wärme verbreitete das Feuer. In kleinen Gruppen saßen sie zusammen. Hier ein paar, dort standen andere und tranken genüsslich ein Bier. Moritz saß alleine am Feuer und starrte in die Flammen. Anfangs bemerkt niemand etwas davon. Zu sehr waren sie mit ihren Gesprächen beschäftigt. Es war auch nichts besonders. Moritz war zwar immer freundlich und höflich, aber er sprach nicht viel. Es war nicht seine Art im Mittelpunkt zu stehen. Aber in seinen Augen war deutlich der Schmerz zu sehen.

Immer mehr Leute verließen das Fest, bis nur noch Moritz und seine engsten Freunde da waren. Das Feuer brannte immer weiter herab und die Flammen wurden immer schwerfälliger. Immer kürzer war ihr Weg zum Himmel, bis sie verloschen und in Rauch aufgingen. Moritz saß immer noch an derselben Stelle wie vor über einer Stunde. Warum konnte er mit niemandem darüber reden? Nicht mal mit seiner Freundin, die ihn vor ein paar Tagen verlassen hatte, weil sie merkte, dass ihn etwas bedrückt. Aber jedes Bemühen ihn darauf anzusprechen brachte nichts. Immer suchte er Ausflüchte und sagte, dass er Stress in der Arbeit hatte, oder etwas in der Art. Er konnte auch nicht mit seinen Eltern darüber reden. Sie hätten es nie verstanden. Er war damals so froh, als er nach seiner Ausbildung endlich ausziehen konnte. Sein Vater war zwar selten zu Hause, immerhin hatte er ja jeden zweiten Tag Stammtischtreffen in der örtlichen Kneipe der Kleinstadt, in der sie lebten. Und seine Mutter war eher ein Drill Sergeant als eine Mutter. Ständige Befehle und Vorschriften. Keinen Schritt konnte er machen, ohne dass sie ihm sagte, was er zu tun hatte. Er war so froh, dass er ausziehen konnte. Seine Geschwister waren schon lange fort. Auch sie flohen von zuhause. Er musste aber bleiben, er war ja ein Nachzügler. Seine Schwester hätte auch seine Mutter sein können, aber er mochte sie, er mochte auch seinen Bruder. Sie waren beide im Schützenverein.

Seine Freundin, ja sie war nett, aber wie hätte er ihr sagen sollen, dass ihm etwas fehlt. Etwas, dass sie ihm nicht geben konnte. Niemand in dieser gottverdammten Kleinstadt hätte ihm das geben können - keiner. Seine Gedanken schrien ihm diese Sätze beinahe zu. Immer wieder hallten sie in seinem Kopf. Aber wegziehen konnte er nicht. Wohin auch? Er kannte ja niemanden außerhalb von hier. Er nahm einen Schluck aus seiner Cola-Flasche. Er trank keinen Alkohol. Nein, er mochte ihn nicht. Gut, zu Sylvester mal ein Glas Sekt zum Anstoßen, aber nie mehr. Er wollte keiner dieser Stammtischbrüder werden. Er wusste auch, dass viele Leute Dinge sagen, wenn sie betrunken sind, die sie eigentlich nie sagen wollten. Davor hatte er Angst. Um dieser Angst zu entfliehen, schwor er sich, nie Alkohol zu trinken.

Das Feuer war mittlerweile nur noch eine kleine Glut auf dem Kiesboden. Langsam, ganz langsam veränderte sich das leuchtende Rot in einen grau-schwarzen Schimmer. Einer seiner Freunde löschte das Feuer mit bereitgestelltem Wasser und Sand. Nach und nach erstickten die Flammen. Jäh hauchten sie ihre letzten Lebenszüge aus, bis sie nur noch rauchend ein paar Zischlaute von sich gaben, ehe diese auch im Keim erstickt wurden.

Moritz redet noch kurz mit den anderen, bevor sie gemächlich nach Hause gingen. Aber er blieb noch etwas da. Die anderen wunderten sich darüber nicht. Gerne ging er nach einem geselligen Abend noch etwas spazieren. So auch heute. Er ging in den Wald, zu seinem kleinen Baumhaus, das er damals mit Freunden gebaut hatte. Hier fühlte er sich sicher. Hier konnte er sich an die schönen Tage erinnern. Hier fühlte er sich zuhause. Er stieg auf das Haus. Es war mittlerweile nur noch eine Bodenplatte mit einer Wand. Der Rest war bei einem Unwetter vor einem Jahr von einem Baum heruntergerissen worden. Das Holz, auf dem er stand war, nass. Es hatte die Tage zuvor geregnet. Heute war der erste Tag, an dem es trocken war, pünktlich zur Feier. Ein dünner Schmierfilm lag auf dem Boden. Es war rutschig, aber Moritz hatte einen guten Gleichgewichtssinn. Fast wäre er ausgerutscht, aber mit einem geschickten Manöver konnte er sich auf den Beinen halten. Er setzte sich. Wieder kamen ihm Bilder vergangener Tage in den Kopf. Der Tag auf der Kirmes, als er fröhlich mit seiner Freundin durch die Geisterbahn fuhr. Sie hatte sich fest an ihn geschmiegt. Einerseits genoss er ihre Nähe, andererseits war sie ihm viel zu nah. Nein, nicht dass er sie nicht gern gehabt hätte, er mochte sie. Aber sie war nicht das, was er brauchte, aber das gab es in diesem Nest auch nicht. Er liebte sie nicht, nicht so, wie sie es verdient hätte. Kein Mensch, für den er so empfinden würde, würde so für ihn empfinden. Niemals. Sie würden ihn auslachen und sogar verprügeln. Er war gut gebaut, aber gegen 20 andere hat man alleine keine Chance.

Er stand wieder auf. Er ging einen Schritt nach vorne, sah über das Ende der Bodenplatte. Ganz schön weit oben bin ich, dachte er noch. Er sah zu den Sternen. Klar und deutlich waren sie zu sehen, nur der Mond wurde von einer dicken Wolke bedeckt.

Er fiel. Er stürzte hinab. Wie in Zeitlupe drehte sein Körper einen Salto nach dem anderen. Immer langsamer bewegte er sich, bis er unter einem Knacken auf dem Boden auftraf. Er war sofort tot.

Am nächsten Tag fanden ihn zwei Spatziergänger, die ihren Hund Gassi führen wollten. Bleich hetzten sie zur Polizei. Diese konnte nur noch den Tod feststellen. Wenige Tage später wurde er beerdigt. Am Grab spielte seine Band, in der er Bassist war. All ihre Lieder spielten sie. Seine Freundin sang, ihre Stimme klang schmerzerfüllt.

Alle waren ratlos. War es ein Unfall? Ist er ausgerutscht, als er gerade heimgehen wollte? Hat er sich bewusst fallen lassen? Hatte jemand nachgeholfen? All dies konnte nie aufgeklärt werden.

»I pray
I stay
See you in heaven far away
I pray
I stay
See you in heaven one day«
('Moonlight Shadow' von Mike Oldfield)

Nachwort

So, kurz ein paar Worte zu dieser Story.

An alle da draußen, macht das nicht nach, bitte! Das ist keine Lösung, auch wenn niemand weiß, was wirklich passiert ist, nachdem die Freunde weg waren. Und wendet euch an Vertraute, wenn ihr Probleme habt. Gibt es keinen in eurem Verwandten-, Bekannten- oder Freundeskreis, dann ruft eine Seelsorge an, die kann euch auch weiter helfen. Nummern gibt es in eurem Telefonbuch. Es gibt für alles eine Lösung. Es wird immer jemanden geben, der für euch da ist, und euch auch durch die schwersten Zeiten des Lebens hilft.

Lieber T., ich hoffe du bist jetzt glücklich. Leider konnte ich dich nie richtig kennen lernen. Ich weiß, dass du jetzt an einem sicheren, schönen Ort bist. Mögen die Engel da oben gut auf dich aufpassen.

Ganz liebe Grüße an alle, passt auf euch auf,

Euer
Sammy

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