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Vater und Sohn

Teil 1 - Wo die Liebe hinfällt da ist sie zu Hause

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Informationen

 

Man war ich nervös. Heute wollte ich es wagen, heute sollte sie es endlich erfahren. Wer was erfahren sollte? Ganz einfach ich wollte meiner Mutter sagen, dass ich schwul bin. So lange hatte ich mir das vorgenommen. Doch jetzt wollte ich mich endlich überwinden. Warum ich es meinem Vater nicht auch sagen wollte? Ich hatte keinen Vater. Na ja stimmt so nicht ganz. Klar braucht jeder einen Vater um existieren zu können, aber meiner war schon vor 12 Jahren gegangen. Damals war ich fünf. Warum das so war, weiß ich bis heute nicht; meine Mutter sprach nicht sehr gerne darüber. Ein bisschen Kontakt hatte ich zum ihm zwar, aber der war mehr als spärlich. Einmal im Monat sahen wir uns und sonst telefonierten wir manchmal. Ich mochte ihn aber trotz allem. Schon alleine weil er mich immer irgendwie verstanden hatte. Eigentlich war mein Verhältnis zu ihm auch besser als zu meiner Mutter.

Schon hörte ich den Schlüssel im Schloss. Ich sollte die ganze Sache wohl schnell hinter mich bringen, mir wurde schlecht, ich hatte Atembeschwerden und in mir verkrampfte sich alles.

„Hallo mein Junge!“, meinte meine Mutter als sie in mein Zimmer kam. Warum sie nie anklopfen konnte, verstand ich auch nicht.

„Hallo Mama!“, antwortete ich nur. „Sag mal hast du kurz Zeit für mich? Ich möchte dir gerne etwas sagen.“

„Was ist denn? Hast du etwas angestellt?“

„Nein, nein. Es ist etwas ganz anderes.“, nochmals holte ich tief Luft. „Mama, ich bin schwul!“

In den nächsten Sekunden sah sie mich nur an, besser gesagt sie starrte mich an.

„Was hast du gerade gesagt?“, wollte sie nach ein paar Sekunden wissen. Irgendwie hatte ihre Stimme einen drohenden Unterton, doch jetzt konnte ich nicht mehr zurück.

„Ich bin schwul!“

Und dann passierte es. Sie holte aus und gab mir eine Ohrfeige. Während ich sie starr vor Schreck anstarrte und mir meine schmerzende Wange rieb, lachte sie hysterisch.

„Denk noch mal genau darüber nach was du gerade gesagt hast!“, schrie sie mir entgegen. Dann warf sie die Türe ins Schloss und verriegelte sie von außen. Als ich an die Türe stürzte und dagegen schlug hörte ich wieder ihre Stimme.

„Überleg dir genau ob du so eine schwule Sau sein willst. Wenn du wieder normal bist, dann sag mir Bescheid.“

Vor den Kopf geschlagen taumelte ich und fiel auf mein Bett. Also mit dieser Reaktion hatte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Was sollte ich denn jetzt machen? Irgendwann kamen mir dann auch die Tränen, voller Wut schlug ich auf mein Kopfkissen ein. Wie viel Zeit vergangen war wusste ich nicht, aber plötzlich hörte ich das Klingeln meines Handys. Noch etwas desorientiert suchte ich mein Zimmer ab und fand schließlich das Handy.

„Nicholas Derker.“, toll meiner Stimme alleine hörte man es schon an, dass es mir schlecht ging.

„Hallo Nic! Ich bin’s.“

Oh nein! Nicht jetzt mein Vater, der musste nicht mitbekommen, dass etwas nicht stimmte.

„Hallo Papa!“

„Bei dir stimmt doch was nicht!“, erklärte er direkt.

„Mhhh.“

„Nic? Bist du zu Hause? Ich komme sofort!“

Warum musste er mich trotz allem so gut kennen? Er hatte mir nicht einmal Zeit gelassen zu antworten. Schon hatte mein Vater wieder aufgelegt. Ich nahm an, dass er sich wirklich direkt auf den Weg hier her machte. Das würde Ärger geben! In den nächsten Minuten lief ich in meinem Zimmer herum. Hätte ich doch bloß auf das Display gesehen! Meine Mutter würde meinem Vater alles sagen und wenn ich ‚alles’ sage, meine ich es auch so. Als ich die Türklingel hörte wurde ich richtig nervös. Schnell hörte ich auch meine Mutter schreien.

„Was willst du denn hier?“, blaffte sie meinen Vater an.

„Ich möchte mit Nic sprechen.“, antwortete er ruhig.

„Der ist nicht zu sprechen! Bevor der nicht wieder normal wird, wird er mit niemandem mehr ein Wort reden!“

„Was soll das Marie? Spinnst du jetzt?“, die Verwirrung war meinem Vater direkt anzumerken. Da meine Mutter aber nicht antwortete, wurde es für kurze Zeit ruhig zwischen den Beiden. Direkt vor meiner Türe hörte ich dann die Stimme meines Vaters wieder. Er klopfte auch an die Türe.

„Nic?“

„Ja!“, rief ich hinaus.

Als mein Vater dann bemerkte, dass die Türe verschlossen war, wurde er wirklich wütend, denn er tat etwas, was er sonst sehr selten tat. Er schrie meine Mutter an.

„Hast du jetzt den Verstand verloren? Schließ sofort die Tür auf!“

„Sag mir einen Grund warum ich das tun sollte!“

„Weil ich sonst sofort die Polizei rufe!“, drohte mein Vater.

„Pah, du bluffst doch nur!“

Was nun genau passierte, bekam ich nicht genau mit, doch meine Mutter schloss wirklich die Türe auf. Mein Vater schob sich direkt an ihr vorbei in mein Zimmer, besorgt sah er mich an.

„Nic, was ist denn hier los?“

„Papa, ich...“, begann ich nur.

„Na los, sag ihm doch was du mir erzählt hast! Komm schon!“, meckerte meine Mutter dazwischen.

Ich traute mich nicht mehr aufzusehen. „Papa, ich bin schwul.“

Ohne dass ein weiteres Wort gesprochen wurde, stand ich in meinem Zimmer und beobachtete den Boden. Nach ein paar Sekunden spürte ich jedoch plötzlich ein paar warme Arme, die mich festhielten. „Nic, das ist doch nicht schlimm. Ich hab dich doch lieb! Wenn du glücklich bist, bin ich es auch. Verstehst du?“

Ich hatte das Gefühl, dass die Stimme meines Vaters zitterte als er sprach. In diesem Moment konnte ich nicht sprechen, deshalb nickte ich nur leicht.

„Wie?“, meine Mutter klang verwirrt. „Dieses neoliberale Gequatsche ist doch nicht dein Ernst, oder? Dein Sohn ist ein Schwanzlutscher! Und du faselst etwas von ‚Ich hab dich lieb’?“

Mein Vater sah sie jedoch nur verächtlich an. „Doch das ist mein Ernst. Nic ist mein Sohn und ich liebe ihn so wie er ist.“

„Dann verschwinde und nimm dieses Subjekt da mit. Ich will den nicht mehr sehen, der ist eine Schande für meinen guten Namen!“, brüllte sie.

Mir selbst trieb es die Tränen in die Augen. Bedeutete ich meiner Mutter wirklich so wenig? Waren ihr die anderen Leute wirklich wichtiger als ich?

Im nächsten Moment war sie aus dem Zimmer gestürmt und hatte die Türe zugeschlagen. Ich sackte einfach in mich zusammen und begann wieder zu weinen. Doch mein Vater nahm mich in den Arm und versuchte mich zu trösten. Nach ein paar Minuten sprach er dann mit leiser Stimme.

„Nic? Ich würde sagen, dass du erstmal mit mir kommst. Dann sehen wir weiter, ja?“

„Ist in Ordnung. Danke Papa!“

Mit seinen Fingern strich mir mein Vater die Tränen aus dem Gesicht. „Du musst mir nicht danken Nic. Ich bin dein Vater und ich will, dass es dir gut geht und du dein Glück findest.“

Unendlich erleichtert stand ich dann auf und begann meine Sachen einzupacken. Mit jedem Moment hatte ich einfach mehr das Gefühl, dass ich aus dieser Wohnung wollte. Einfach erst einmal raus. Schon nach einer halben Stunde hatte ich alle meine Sachen in ein paar großen Taschen verstaut, mich wunderte wie schnell ich mein gesamtes Leben in ein paar Taschen unterbringen konnte. Scheinbar bemerkte mein Vater meine Stimmung.

„Lass ihr ein bisschen Zeit, das wird sicher alles wieder in Ordnung kommen.“, meinte er beruhigend.

Ohne, dass ich genau sagen konnte warum, hatte ich dieses Gefühl nicht. Somit nahm ich meine Sachen und verließ die Wohnung. Meine Mutter ließ sich nicht mehr sehen. Aber es war besser so, sonst hätte es noch mehr Ärger gegeben. Schon kurze Zeit später hatten wir die Taschen in den Kofferraum gepackt. Glücklicherweise war mein Vater mit seinen Van her gefahren. Von unterwegs aus rief er auch seiner Freundin an. In groben Zügen erklärte er ihr was geschehen war. Lisa sagte zwar nichts, aber man hörte ihr an wie geschockt sie war. Aber sie versprach sofort, sich um alles Weitere zu kümmern. Nach einer halben Stunde waren wir auch schon bei der Wohnung meines Vaters angekommen. Dort wohnte er mit seiner Freundin zusammen. Ich hatte Lisa auch kennen gelernt und ich mochte sie. Wir hatten schon öfter tolle Gespräche geführt, genau wie mein Vater schien sie mich auch immer zu verstehen. Direkt als mein Vater geparkt hatte, nahmen wir meine Sachen und gingen nach oben. Schon an der Türe wartete Lisa auf uns. Sie stürmte auch direkt auf mich zu und umarmte mich. In diesem Moment machte mir das nichts aus. Eher im Gegenteil, ich genoss es von ihr gehalten zu werden. Erst nach ein paar Sekunden gingen wir in die Wohnung.

„So, setz dich erstmal.“, meinte Lisa und drückte mich sanft auf das Sofa im Wohnzimmer. Danach verschwand sie und ich nahm an, dass sie mit meinem Vater sprach. Denn nach ein paar Minuten kam die Beiden wieder und setzten sich mir gegenüber.

„Nic? Also Lisa und ich haben jetzt kurz gesprochen. Und wir sind uns da über manche Dinge klar geworden.“

Wollte er mich jetzt doch nicht haben? Doch Lisa saß nur noch daneben und lächelte, dann unterbrach sie meinen Vater.

„Also bevor Oliver jetzt noch lange um den Kernpunkt herumredet, übernehme ich das mal. Wir haben uns über zwei Dinge verständigt, Nic.“

Ja, auch Lisa nannte mich bei der Kurzform meines Namens. Das hatte ich ihr schon sehr lange erlaubt, mein Vater war damals wohl sehr glücklich darüber. Schon deshalb, weil mich nur die Menschen so nennen durften die mir etwas bedeuteten.

„Zum Ersten wäre einfach die Frage, ob du überhaupt bei uns bleiben möchtest. Wir möchten da nicht über deinen Kopf hinweg entscheiden. Aber sei dir sicher, dass wir uns beide freuen würden, wenn du bleiben würdest. Das nächste wäre, wie du wohnen möchtest. Du weißt, dass wir beide genug Geld haben. Wie du ja auch sehen kannst, ist die Wohnung groß genug, damit du dein eigenes Zimmer bekommen könntest.“

„Aber?“

„Hey, es gibt kein ‚Aber’, höchstens eine zweite Alternative.“, lächelte Lisa mir zu. „Wenn du möchtest, könnten dein Vater und ich uns auch vorstellen, dir eine eigene Wohnung zu finanzieren. Einen Stock über uns zieht der Mieter nächste Woche aus, da könntest du dann wohnen. Es wäre also alleine deine Entscheidung, was du möchtest. Aber meiner Meinung nach, unterbrich mich bitte wenn es nicht der Fall ist, wäre es sinnvoller, wenn du deinen eigenen Bereich hättest. Das wäre auch so, wenn du hier dein Zimmer hättest, aber so wärst du doch ein wenig in deinem eigenen Raum. Und es heißt ja nicht, dass du nicht jederzeit hier zu uns kommen kannst.“

Ich war fassungslos, nach dem Schock mit meiner Mutter kam mein Vater und alles schien sich direkt zum Guten zu wenden. Und jetzt wollten sie mir auch noch eine eigene Wohnung finanzieren?!?

„Danke!“, flüsterte ich leise und warf mich in die Arme meines Vaters. Wieder hielt er mich einfach fest an sich gedrückt.

„Also bist du einverstanden?“, grinste Lisa nach einer Weile.

Ich nickte nur und drückte sie auch kurz an mich.

„So jetzt ist Schluss mit der Schmuserei, ich habe Hunger und gehe essen. Kommt einer von euch beiden mit oder bleibt ihr hier?“, lachte mein Vater ein paar Sekunden später. Lisa und ich sahen uns nur an und nickten. „Klar kommen wir mit.“

Nachdem wir unsere Jacken angezogen hatten hakte mein Vater uns beide unter. So liefen wir zum Auto.

„Und wo willst du hin?“, fragte ich ihn nach ein paar Minuten. Darauf lachte Lisa nur, verständnislos sah ich sie an.

„Das ist eine Sache, die du wohl noch mitbekommen wirst. Oliver hat ein Stammlokal, da ist er sehr oft wenn er oder wir beide Mal essen gehen. Aber er hat auch schon Recht, Giovanni macht die beste Pizza die du bekommen kannst.“, erklärte sie.

„Ach so.“, ich sah wieder aus dem Fenster. Und versuchte etwas von der Umgebung zu erkennen. Da wir etwas länger fuhren, hatte ich Zeit, ein bisschen nachzudenken und zu träumen. Draußen versank die Sonne mit den ihren letzten Strahlen und lies die Äste der Bäume leuchten. Schon länger konnte man beobachten, dass diese keine Blätter mehr hatten. Wohl ein Zeichen für den Winter, es war auch schon Ende November. Hmm, wie schön es doch wäre, diese Zeit mit jemandem zu verbringen, den man liebt. Einfach zu wissen, dass man in der kalten Zeit jemanden hat, der einen wärmt. Ob es wohl da draußen jemanden gab, der sich in mich verlieben könnte?

„Wir sind da!“, hörte ich plötzlich meinen Vater sagen. Überrascht sah ich auf, jetzt hatte ich doch wirklich die ganze Zeit gegrübelt. Schnell ließ ich mich dann auch aus dem Auto rutschen. Das Lokal war aber wirklich schön, einfach gemütlich eingerichtet. Nachdem wir uns gesetzt und bestellt hatten, wandte sich mein Vater wieder an mich.

„Sag mal Nic, wie willst du dich eigentlich einrichten? Hast du da schon eine Vorstellung?“

Was sollte ich denn da sagen? Ich hatte die Wohnung doch noch nicht einmal gesehen.

„Wie soll ich denn schon eine Idee haben? Ich kenne doch die Wohnung noch gar nicht.“, antwortete ich deshalb.

„Das ist nicht schwierig, die Wohnung ist so geschnitten wie unsere. Auch von der Größe her.“, grinste mein Vater.

„So groß?“, platze ich aus mir heraus. Die Wohnung meines Vaters hatte drei Zimmer und diese waren einzeln schon riesig.

„Ja, so groß.“, mein Vater wurde plötzlich ernst und legte seine Hand auf meinen Arm. „Nic ich möchte das es dir gut geht. Und ich habe genug Geld um diese zweite Wohnung zu finanzieren, mach dir darüber keine Gedanken. Aber weißt du, irgendwann will ich auch mal einen Schwiegersohn haben. Da braucht ihr ja dann ein wenig Zeit und Raum für euch.“, lachte mein Vater. Ich glaube, dass ich leicht rot im Gesicht wurde. Wie oft hatte ich meinem Vater in den letzten Jahren doch unrecht getan! So oft hatte ich an seiner Liebe zu mir gezweifelt und jetzt war er einfach da. Bedingungslos stand er hinter mir. Und nun plante er sogar schon einen Schwiegersohn ein. Ich war einfach nur glücklich über seine Reaktion.

„So hier ihre Pizza.“, riss mich Giovanni aus meinen Gedanken. Ich bedankte mich flüchtig.

„Was hast du eigentlich morgen vor, Nic?“, wollte Lias plötzlich wissen.

„Bisher noch gar nichts. Warum?“

„Ich dachte wir machen uns einen schönen Tag. Dein Vater muss ja arbeiten und ich habe frei. Und nach deinem Schulabschluss hast du ja auch Zeit.“

Ja, ich hatte die Schule schon beendet. Auch wenn es nicht meinem Alter entsprach, hatte ich das Abitur schon bestanden. In der Grundschule und einmal am Gymnasium hatte ich eine Klasse übersprungen. Da meine Abiturnote auch sehr gut ausgefallen war, wollte ich mir jetzt eine Pause gönnen.

„Gerne! Was hast du denn vor?“

„Ich dachte an Kino oder so was in der Richtung. Wäre das ein Vorschlag, mit dem du dich anfreunden könntest?“

„Ja, das könnte ich.“, grinste ich zurück.

„Na dann ist das ja geklärt.“

Nach unserem Dialog begann ich dann auch zu essen, ich hatte wirklich Hunger bekommen. Und die Pizza schmeckte wirklich.

Ungefähr zwei Stunden später fuhren wir wieder zurück. Scheinbar war ich unterwegs aber eingeschlafen. Denn ich spürte noch, dass mich jemand hochhob und nach oben trug. Als ich auf ein Bett gelegt wurde, schlief ich direkt wieder ein. Am nächsten Morgen war ich dann erstmal ein wenig verwirrt. Wo war ich denn? Es dauerte einige Sekunden bis mir wieder einfiel was gestern passiert war. Schnell war ich dann aufgestanden und hatte mich angezogen. Lisa war in der Küche und machte Frühstück, als ich sie sah.

„Guten Morgen Nic!“

„Morgen!“, gähnte ich.

„Willst du etwas frühstücken?“

„Gerne!“

Ohne etwas zu sagen, stellte mir Lisa dann eine Tasse Kakao auf den Tisch und grinste mir zu. Sie hatte das wirklich behalten! Ich mochte keinen Kaffe, deshalb trank ich morgens meistens Kakao. Meine Mutter hatte mich immer nur ausgelacht und gemeint, dass ich kein kleines Kind mehr sei. Aber Lisa war einfach toll und ich freute mich, dass mein Vater sie hatte.

„Du Nic…“, begann sie dann und setzte sich zu mir.

„Was ist denn?“

„Na ja, ich habe einen Anruf bekommen. Ich muss nachher kurz im Heim vorbei, es gab da einen Zwischenfall. Würde es dir etwas ausmachen mitzukommen? Danach könnten wir dann trotzdem ins Kino fahren.“

Lisa war Leiterin eines Kinder- und Jugendheims in unserer Nähe. Mit viel Freude ging sie ihrem Beruf nach. Auch mir machte es Spaß dort mitzuhelfen, auch wenn ich nicht oft die Gelegenheit dazu hatte.

„Das ist kein Problem. Klar komme ich mit.“

Erleichtert sah sie mich an. Ich frühstückte erst einmal fertig.

„Bis wann soll ich mich eigentlich fertig machen?“

„Wäre nicht schlecht, wenn wir direkt fahren würden. Ist das ein Problem für dich?“

„Nein.“

Somit machte ich mich fertig und folgte ihr zum Auto. Es dauerte auch nur ein paar Minuten bis wir schon auf den Parkplatz vor dem Heim fuhren.

„Also ich würde sagen, dass du vielleicht in den Gemeinschaftsraum gehst. Dort könntest du warten. Sicher ist da auch jemand, mit dem du ein bisschen quatschen kannst.“

„In Ordnung.“

An der Eingangstüre trennten wir uns dann; Lisa lief zu ihrem Büro und ich ging in den Gemeinschaftsraum. Doch Lisa hatte sich geirrt, bis auf einen Jungen der am Fenster saß, war der Raum leer.

„Hallo!“, meinte ich. Der Junge zuckte zwar zusammen, aber er antwortete mir nicht. Schon komisch. Plötzlich spürte ich aber eine Hand auf meiner Schulter. Als ich mich umdrehte sah ich in Bens Gesicht. Ben war ein Kollege von Lisa und ein sehr netter Kerl. Mit einer Kopfbewegung deutete er mir an, dass ich mitkommen sollte. Somit folgte ich ihm nach draußen.

„Was ist denn?“, wollte ich wissen.

„Nichts weiter. Ich wollte dir nur kurz etwas erklären.“

Verwirrt sah ich ihn an.

„Das ist Jonas.“, er deutete in den Gemeinschaftsraum. „Er ist zwar schon einen Monat hier, aber er spricht kein Wort. Also sei nicht überrascht, wenn du keine Antwort bekommst. Irgendetwas Schlimmes muss passiert sein, somit zieht er sich in sich selbst zurück.“

„Ist in Ordnung.“

Nach dieser kurzen Erklärung ging ich wieder zurück. Jonas saß immer noch an derselben Stelle wie vorher und starrte nach draußen. Ich setzte mich einfach neben ihn und sagte nichts. Irgendwie war die Situation schon merkwürdig. Neben mir saß ein absolut niedlicher Junge, aber er redete nicht. Und ich versuchte ihn immer heimlich anzusehen.

Lange dunkle Haare und wunderschöne braune Augen waren das Einzige, was mir auffiel. Irgendwann konnte ich dann nicht mehr schweigen.

„Ich bin Nicholas.“, erklärte ich und streckte ihm die Hand hin. Überrascht sah er mich an. Dann nahm er doch meine Hand, sagte aber kein Wort. Was sollte ich den jetzt machen?

„Ben hat gemeint, dass du Jonas heißt. Stimmt doch, oder?“

Jonas nickte nur. Und ich kam mir irgendwie komisch vor.

„Willst du vielleicht ein bisschen spazieren gehen?“

Es war noch immer ziemlich mild draußen und ich wollte einfach irgendetwas gesagt haben. Vielleicht hatte ich auch das Glück einmal seine Stimme zu hören. Und er nickte wirklich.

„Ich gehe kurz Lisa Bescheid sagen. Bin gleich wieder da, also nicht weglaufen.“, grinste ich und lief kurz in den Bürotrakt. Lisa war angenehm überrascht, dass ich direkt einen kleinen Zugang zu Jonas gefunden hatte. Somit hatte sie auch keine Probleme damit, uns gehen zu lassen. Ich wusste, dass sie mir vertraute und das freute mich. Sie drückte mir dann auch einen Geldschein in die Hand.

„Macht euch eine schöne Zeit. Wenn ich fertig bin, rufe ich dich auf dem Handy an.“, grinste sie nur.

Schnell rannte ich zu Jonas zurück. Er hatte auch schon seine Jacke übergezogen.

„Können wir los?“

Wieder kam nur ein nicken. Schade, dass er nicht sprach. Somit liefen wir schweigend nebeneinander her. Auf einer nahe gelegenen Bank setzten wir uns. Plötzlich zog Jonas einen Block heraus und kritzelte etwas darauf. Dann reichte er ihn mir.

‚Du musst mich doch für völlig bescheuert halten! Warum nimmst du dir soviel Zeit für mich?’

„Warum sollte ich so über dich denken?“, fragte ich verwirrt.

Nach ein paar Sekunden gab er mir den Block wieder.

‚Weil ich nicht reden will! Und du dir ja vorkommen musst wie, wenn du mit einer Wand sprichst.’

„Na und?“, ich zuckte mit den Schultern. „Es ist deine Sache mit wem du reden willst oder nicht. Und ich bin kein Psychologe oder Heimmitarbeiter. Da bin ich der letzte, mit dem du sprechen musst.“

Jonas legte seinen Kopf schief und sah mich prüfend an. Scheinbar glaubte er mir nicht ganz.

„Was ist?“, fragte ich ihn nach ein paar Minuten. Daraufhin wurde er rot im Gesicht und sah auf den Boden. Kurz darauf schrieb er wieder etwas auf den Block.

‚Du bist so anders als die anderen Leute hier. Alle versuchen mich zum Reden zu bringen und akzeptieren nicht, dass ich nicht will. Erst du willst mich nicht dazu zu bringen. Das verwirrt mich.’

„Ich will dich zu nichts bringen Jonas. Du weißt selbst, was für dich am besten ist.“

Täuschte ich mich jetzt oder rutschte Jonas etwas näher an mich? Erst als ich spürte wie er meine Hand berührte, erkannte ich, dass ich richtig lag mit meiner Vermutung. Woher ich den Mut hatte, war mir selbst nicht ganz klar, aber in diesem Moment legte ich meine Arme um Jonas. Dieser vergrub sich an meiner Schulter und schluchzte. Hatte ich etwas Falsches getan oder warum weinte er jetzt? Ich wollte ihn jetzt aber nicht loslassen, deshalb strich ich ihm sanft über den Rücken. Erst ein paar Minuten später schien er sich wieder zu beruhigen. Ein letztes Mal wischte er sich über die Augen und setzte sich dann wieder gerade hin.

„Geht es dir nicht gut?“, wollte ich leise wissen.

‚Doch, doch, es geht schon wieder.’, schrieb er mir auf den Block.

Um etwas abzulenken versuchte ich ein anderes Thema zu finden. „Hast du Lust etwas zu essen? Lisa hat mir Geld gegeben, damit wir einen schönen Tag haben.“

‚Gerne!’, kritzelte er in großen Buchstaben auf die Seite des Blocks.

Somit machten wir uns auf den Weg zu einem kleinen Bistro in der Nähe. Dort konnte man sehr gut essen.

Und durch die Nähe zum Heim wusste ich auch, dass der Wirt billige Preise hatte. Als wir saßen, verständigten wir uns darauf was Jonas essen wollte und so bestellte ich für uns Beide. In der Zwischenzeit wollte ich versuchen unser ‚Gespräch’ auf etwas anderes zu bringen.

„Wie alt bist du eigentlich?“

Zu meiner Enttäuschung holte er wieder den Block heraus und schrieb zwei Zahlen darauf.

‚17’

Ich lächelte. „Ich auch!“

Dieses Mal lächelte Jonas auch und das freute mich.

‚Was machst du denn in deiner Freizeit so?’, schrieb er plötzlich auf den Zettel.

„Eishockey spielen!“

Ich stand wohl schon seit meinem sechsten Lebensjahr auf dem Eis und spielte. In der Zwischenzeit war es mein größtes Hobby geworden. Jonas sah mich nur mit großen Augen an. Dann zog er den Block zu sich.

‚Du spielst auch?’

Jetzt war auch ich mehr als überrascht, nickte dann aber.

„Welche Position spielt du denn?“

‚Torwart! Und du?’

„Ich bin Stürmer! Und in welchem Verein spielst du?“, lachte ich.

Komisch, Jonas gute Laune war mit einem Mal einfach weg. Er schüttelte nur den Kopf.

„Hab ich was Falsches gesagt?“

Jonas tat gar nichts, er schrieb nur vier Buchstaben auf das Papier. ‚Nein.’

Ich saß einfach auf dem Stuhl und war verwirrt. Was sollte ich denn jetzt tun?

„Willst du mir sagen, was dich bedrückt?“

Ohne etwas zu sagen zeigte Jonas wieder auf die vier Buchstaben ‚Nein’. Ich seufzte leise, fing mich aber schnell wieder. Mir fiel da aber noch etwas ein.

„Hast du nicht Lust mal mit mir aufs Eis zu gehen?“

In diesem Moment nickte Jonas heftig mit dem Kopf und strahlte mich an. Mit seinen wunderschönen braunen Augen sah er mich an und mir wurde schwindlig im Kopf. Glücklicherweise bekamen wir in diesem Moment unser Essen und ich musste somit nicht mehr darüber nachdenken. Schweigend saßen wir nebeneinander und aßen. Meinte ich das nur oder sah Jonas immer mal wieder heimlich zu mir? Da war wohl mehr der Wunsch von mir dabei. Nach dem Essen klingelte dann mein Handy.

„Nicholas Derker!“

„Hallo Nic! Hier ist Lisa. Wo seit ihr denn?“

„Wir sind gerade etwas essen. Was gibt es denn?“

„Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich fertig bin. Wenn ihr dann wieder zurückkommt, können wir ins Kino fahren.“, meinte Lisa zu mir.

„Geht in Ordnung, wir kommen.“, antwortete ich ihr.

„Bis dann, tschüss.“

„Tschüss Lisa. Bis gleich.“

Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, sah mich Jonas fragend an.

„Das war Lisa, wir sollen wieder zurückkommen. Sie hat alles erledigt. Und wir wollten ins Kino fahren.“

Irgendwie sah Jonas mich enttäuscht an, dann nickte er jedoch. Somit bezahlten wir und machten uns auf den Rückweg.

„Hey, wir sehen uns sicher noch mal.“, meinte ich zu ihm.

‚Wirklich?’

„Sicher! Ich habe dir doch auch versprochen, dass wir gemeinsam aufs Eis gehen. Und meine Versprechen halte ich immer!“

Wieder huschte ein kurzes Lächeln über Jonas Lippen. Er war so niedlich, wenn er lächelte.

Schon nach ein paar Minuten hatten wir das Heim wieder erreicht. Lisa stand schon am Eingang und wartete auf uns. Irgendwie lächelte sie seltsam.

„Na hattet ihr einen schönen Tag?“, wollte sie auch gleich wissen.

„Klar!“, erklärte ich.

Jonas nickte zustimmend. Kurz darauf zog er mich zur Seite. Ich beobachtete ihn dabei wie er etwas auf den Block schrieb.

‚Danke für diesen schönen Tag.’

Ich lächelte ihn an. „Nichts zu danken. Es hat mir ja auch gefallen.“

‚Komm bald wieder. Bitte!’, schrieb Jonas noch darunter und wurde rot im Gesicht.

„Sicher!“, antwortete ich und drückte ihn kurz.

Zusammen gingen wir dann zu Lisa zurück.

„Alles erledigt? Können wir dann fahren Nic?“

Ich nickte. „Ja, können wir.“

Zum Abschied drückte mir Jonas den Block in die Hand. Diesen nahm ich an mich und lächelte ihm zu.

„Bis bald!“

Somit drehte sich Jonas um und ging in das Gebäude. Schade war es schon, dass wir nicht mehr Zeit gehabt hatten. Ich mochte ihn wirklich, er war sehr nett. Obwohl er nicht sprach; zu gerne hätte ich auch seine Stimme kennen gelernt.

„Nic? Nic!“

„Wie… ? Was… ? Hast du was gesagt?“

„Komm wir fahren.“, meinte Lisa nur und zog mich mit sich. Ohne Protest ließ ich mich zum Auto bringen. Meine Gedanken kreisten immer wieder um Jonas.

„Also werde ich dich jetzt öfter im Heim sehen?“, grinste Lisa.

Mein Gesicht wurde wohl rot, zumindest fühlte es sich so an.

„Kann schon sein.“, meinte ich leise.

„Ist doch nicht schlimm. Und ich finde, dass er zu dir passen würde.“

„Ähm, Lisa. Du hast schon mitbekommen, dass ich nicht einmal weiß, ob Jonas auch schwul ist.“

„Klar, klar!“, Lisa machte eine ausholende Handbewegung. Dann griff sie wieder an das Lenkrad. „Aber ich meine ja nur, wenn es so wäre…“

„Wenn sich etwas ergeben sollte, dann sind du und Papa die ersten, die davon erfahren.“

„Du musst uns gar nichts erzählen, Nic. Es wäre für mich, und ich nehme auch an für deinen Vater, zwar ein großer Vertrauensbeweis, aber fühl dich deshalb bitte nicht genötigt. In erster Linie geht es um dich und irgendwann eventuell um Jonas.“

„Danke Lisa.“

„Brauchst dich doch nicht bedanken.“, meinte sie und boxte mich leicht in die Seite. Schon wenig später parkte Lisa das Auto vor dem Kino.

„Welchen Film möchte der Herr denn sehen?“, wollte sie dann von mir wissen.

„Keine Ahnung.“, ich hob nur noch die Schultern.

„Was hältst du von einem Liebesfilm?“, lachte sie.

„Geht in Ordnung.“

Kurze Zeit später saßen wir dann auch im Kino und warteten auf den Beginn des Films. Ich kuschelte mich in den Sitz und starrte auf die Leinwand.

Jonas! Jonas! Jonas! Immer wieder hämmerte mir der Name durch die Gedanken. Wie gerne würde ich ihn doch näher kennen lernen, er war so ein süßer Kerl und ich mochte ihn wirklich. Lange grübelte ich nach, was ihm vielleicht Spaß machen würde, ihm einfach eine kleine Freude bereiten konnte. Auf das Eis wollte ich auf jeden Fall noch mit ihm, das hatte ich ihm versprochen. Ich erschrak richtig als plötzlich wieder das Licht anging. Als ich einen Blick an die Leinwand warf erkannte ich, dass ich den gesamten Film über nachgedacht hatte. Ohne ein weiteres Wort ging ich mit Lisa dann aus dem Kino. Draußen war es bereits dunkel geworden und uns schlug ein eisiger Wind entgegen.

„Ist das kalt.“, meinte Lisa nur und zog ihre Jacke weiter zu. Ich tat genau dasselbe, es war auch wirklich kalt geworden. Direkt als Lisa dann das Auto aufgeschlossen hatte, schaltete sie die Heizung an. Sie murmelte noch etwas vor sich hin, doch ich verstand es nicht.

Ein paar Minuten später kamen wir schon an der Wohnung an.

„Übrigens habe ich mit deinem Vater gesprochen.“, sagte Lisa plötzlich als wir ausstiegen.

„Wenn du möchtest, wollte er in den nächsten Tagen mit dir ins Möbelhaus fahren. Du musst dich ja irgendwie auch einrichten können. Und du kannst ja Jonas fragen, ob er mitkommen und dir aussuchen helfen möchte.“, lachte sie.

Ich grinste nur und warf einen meiner Handschuhe nach ihr.

„Kindskopf!“, erklärte sie und warf ihn mir zurück.

Somit gingen wir nach oben, wo ich direkt ins Bett ging. Ich war müde und mir war kalt. In meinem Bett wurde mir dann auch schnell wieder warm und ich schlief ein. Am nächsten Morgen wurde ich durch ein Scheppern in der Küche wieder wach. Als ich nachsah, entdeckte ich meinen Vater. Genervt sammelte er gerade die Scherben seiner Kaffeetasse wieder auf. Doch dann bemerkte er mich.

„Oh, guten Morgen Nic. Ich hoffe ich hab dich nicht geweckt?“

„Nein hast du nicht.“

„Dann ist ja gut.“, mein Vater wirkte erleichtert.

„Ist Lisa schon weg?“, wollte ich wissen, weil ich sie nicht sah.

Mein Vater lachte. „Lisa ist Brötchen holen. Sie hat schon gemeint, dass sie dich wohl mitnehmen wird. Aber eine Frage hätte ich trotzdem: Wann hättest du denn Zeit, um ins Möbelhaus zu fahren?“

„Keine Ahnung…“, erklärte ich. Eigentlich wollte ich eher Jonas treffen wie Möbel aussuchen.

„Wenn du willst kannst du auch deinen Freund fragen, ob er mitkommen möchte.“, grinste mein Vater.

Bevor ich antworten konnte kam Lisa auch schon wieder.

„Guten Morgen Nic!“

„Morgen!“

Als ich so in der Küche stand, fand ich den Block vom Vortag wieder, diesen hatte ich immer noch in der Hosentasche. Völlig in Gedanken blätterte ich darin herum.

„Was ist denn das?“, wollte Lisa wissen.

„Ach das. Das ist meine Verbindung zu Jonas.“, erklärte ich.

Als ich das sagte, verschluckte sie sich an einem Stück ihres Brötchens. Schwer keuchend kam sie wieder zu Luft. „Du willst mir nicht sagen, dass Jonas über diesen Block mit dir kommuniziert, oder?“

„Doch!“, ich nickte.

„Nic du solltest Psychologe werden!“, erklärte sie.

Verwirrt sah ich sie an. „Wie meinst du das?“

„Nic, es ist einfach so, dass Jonas mit keinem irgendeine Form von Kontakt hat. Er blockt jeden Kontaktversuch von uns Mitarbeitern ab, spricht kein Wort. Auch sonst tut er nichts, um Kontakt aufzunehmen. Das mit dem Block ist dass erste Mal, dass er von sich aus wieder in Verbindung zu einem anderen tritt.“

Mein Vater sah mich beeindruckt an. „Was ist denn das eigentlich für ein Junge?“

Anstatt eine Antwort zu geben, seufzte Lisa. „Ich kann es dir nicht sagen Oliver. Nicht weil ich es nicht möchte oder kann. Es ist einfach so, dass ich selbst keine Ahnung habe. Man hat Jonas vor ungefähr einem Monat völlig apathisch vor einem Krankenhaus gefunden. Alles, was man aus ihm herausbekommen hat, war sein Vorname. Sonst wissen wir gar nichts von ihm.

Wir haben auch keine Vermisstenanzeige oder sonst ein Anzeichen auf die Eltern oder jemanden, der ihn sucht. Deshalb lässt sich da auch nichts herausfinden.“

„Drogen?“, vermutete mein Vater. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Und auch Lisa schüttelte den Kopf.

„Man hat damals eine Blutuntersuchung gemacht und auch verschiedene andere Tests. Allesamt negativ. So wie wir das sehen muss etwas anderes zu seinem Zustand geführt haben. Was auch die Tatsache zeigt, dass er schweigt und jeden Körperkontakt meidet.“

Das fand ich nun seltsam; von mir hatte sich Jonas doch in den Arm nehmen lassen.

„Warum hat er sich dann von mir anfassen lassen?“

„Wie bitte?“

Scheinbar hatte ich jetzt Lisas Meinung völlig zerstört. „Jetzt mal ganz langsam und für mich zum Mitschreiben. Jonas hat sich von dir berühren lassen?“

Ich nickte nur. Was hätte ich antworten sollen?

„Oliver, dein Sohn wird mir unheimlich.“, meinte sie nur und schüttelte den Kopf. „Seit einem Monat versuchen wir nur ein Wort aus Jonas herauszubekommen und jetzt kommst du und schaffst das alles an einem Tag.“

Da ich nicht wusste was ich noch sagen sollte, setzte ich mich an den Tisch und begann zu frühstücken. Als ich gerade mein Geschirr abräumte, kam Lisa zu mir.

„Würdest du mir den Gefallen tun und nachher wieder mitkommen?“, wollte sie leise wissen.

„Klar!“, grinste ich. Auf jeden Fall wollte ich Jonas wieder sehen. Keiner hätte mich davon abhalten können. Ungefähr eine Stunde später rief mich Lisa dann, sie wollte ins Heim fahren. Schnell hatte ich den Block geschnappt und war ihr hinterher gelaufen. Je näher wir dem Heim kamen, desto aufgeregter wurde ich und meine Vorfreude stieg. Direkt als das Auto stand, stieg ich auch aus und wollte in das Gebäude gehen. Doch Lisa hielt mich kurz auf.

„Nic?“

„Ja?“

„Wenn er nicht im Gemeinschaftsraum ist, dann sieh mal im Zimmer 20 nach. Das ist seines.“

„Geht in Ordnung.“

Schon war ich auch im Gebäude verschwunden. Da ich Jonas nicht im Gemeinschaftsraum fand, ging ich zu seinem Zimmer. Dort klopfte ich an die Türe, obwohl ich nicht wirklich die Hoffnung hatte, dass er mir antworten würde. Deshalb öffnete ich die Türe einen spaltbreit und sah in das Zimmer. Und da sah ich auch Jonas, er lag auf seinem Bett. So wie es mir schien, schlief er aber nicht mehr.

„Jonas?“

Langsam drehte er sich zu mir, seine Augen waren feucht.

„Was ist denn los?“, fragte ich besorgt. Um ihn nicht unter Druck zu setzen, hielt ich ihm den Block hin. Vorsichtig setzte ich mich dann neben ihn. Jonas ließ daraufhin den Block fallen und kuschelte sich an mich. Schön war es schon wie ich zugeben musste, aber nachdem was Lisa mir erzählt hatte fand ich das doch merkwürdig. Warum ließ er bei mir den Körperkontakt zu oder suchte ihn sogar? Nach ein paar Sekunden beschloss ich, es einfach zu genießen wie es war. Wie lange wir so saßen wusste ich nicht. Mir fiel nur irgendwann das Foto auf, das auf dem Kopfkissen lag. Auf diesem war ein kleines Mädchen zu sehen, das sehr viel Ähnlichkeit mit Jonas hatte. Da ich nicht beurteilen konnte, ob es ihm recht war, wenn ich es berührte stellte ich nur eine Frage.

„Wer ist denn das?“

Wie ich es schon gewohnt war, zog Jonas den Block hervor und schrieb etwas darauf.

‚Meine kleine Schwester.’

Jetzt war ich doch überrascht, Jonas hatte also eine kleine Schwester.

„Sie ist aber noch ziemlich klein, oder?“

‚Auf dem Foto ist sie erst drei. Das ist auch das letzte Foto von ihr.’

So wie es mir schien, schluckte Jonas schwer und hielt krampfhaft seine Tränen zurück.

„Wieso das letzte Foto?“

‚Sie lebt nicht mehr.’

Den Kampf gegen seine Tränen hatte Jonas in diesem Moment verloren, denn die verwischten Buchstaben zeigten, dass er weinte. Auch wenn er sein Gesicht von mir abwandte. In diesem Moment wollte ich ihn nicht weiter quälen und fragte deshalb nicht weiter. Ich nahm ihn einfach fest in meine Arme und gab ihm Halt. Jonas hatte sich richtig an mir festgekrallt, mir schien, dass er sich gar nicht mehr beruhigen wollte.

„Schhh, es ist gut Jonas. Beruhig dich doch. Es wird alles wieder gut.“

Erst nach einer kleinen Ewigkeit wurde er wieder ruhiger. Irgendwann hatte er dann auch aufgehört zu weinen, doch seine Position veränderte er nicht. Die ganze Zeit über blieb er dicht an mich gedrückt. Was sollte ich denn jetzt machen? Wie konnte ich die Situation ändern?

„Wenn etwas ist, Jonas, kannst du immer zu mir kommen. Ich bin immer für dich da.“

‚Danke!’

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meinen Arm die ganze Zeit um ihn gelegt hatte und ihn sanft streichelte. Da mir das peinlich wurde, wollte ich den Arm wegnehmen. Doch Jonas hielt mich so fest, dass ich ihn nicht wegnehmen konnte. Wie ein kleines Kind schmiegte er sich an mich.

„Möchtest du vielleicht ein bisschen rausgehen? Wir könnten etwas unternehmen.“

Jonas nickte, aber aus einem seltsamen Grund hatte ich das Gefühl, dass er gar nicht aufstehen wollte, sondern lieber so sitzen geblieben wäre. Deshalb machte ich ihm einen Vorschlag.

„Wenn du willst, können wir auch noch ein bisschen so sitzen bleiben. Das wäre auch in Ordnung.“

Zufrieden lächelte er daraufhin und kuschelte sich wieder an mich heran. Plötzlich spürte ich wie Jonas auf den Block kritzelte. ‚Erzählst du mir etwas von dir? Du musst nicht, wenn du nicht willst.’

„Was möchtest du denn wissen?“

‚Alles!’

Sollte ich ihm wirklich alles sagen? Eigentlich wollte ich ihn nicht anlügen. Aber wie würde Jonas reagieren, wenn ich ihm sagen würde, dass ich schwul bin? Da er mich aber gespannt ansah, begann ich mit den unverfänglichen Teilen meiner Erzählung.

„Wie ich dir ja schon gesagt hab, bin ich 17. Meine Eltern haben sich getrennt als ich fünf war. In der Zeit danach habe ich meinen Vater noch einmal im Monat gesehen und sonst mit ihm telefoniert. Erst in den letzten Monaten ist unser Kontakt wieder besser geworden. Seit ein paar Tagen wohne ich jetzt auch bei ihm und Lisa. Sie ist die Freundin meines Vaters. Und in den nächsten Wochen bekomme ich auch meine eigene Wohnung im selben Haus.“

‚Du bekommst eine eigene Wohnung?’, Jonas wirkte überrascht.

„Ja, mein Vater hat es mir angeboten. Er hätte mich zwar auch in seiner Wohnung aufgenommen, aber er hat gemeint, dass ich dadurch mehr Privatsphäre hätte. Jetzt muss ich nur noch Möbel kaufen.“

‚Wann machst du das denn?’

Ich überlegte kurz. „Der jetzige Mieter zieht nächste Woche aus. Vorher sollte ich eben ein paar Möbel besorgt haben.“

‚Machst du das alleine?’, schrieb er auf den Block. Daraufhin lächelte ich nur.

„Mein Vater begleitet mich. Aber wenn du willst, kannst du gerne mitkommen. Dann hätte ich noch jemanden, der mir aussuchen hilft. Manchmal bin ich da ein bisschen unentschlossen.“

Wieder kam ein begeistertes Nicken von Jonas. Dann schrieb er mir jedoch etwas auf den Block, das ich nicht unbedingt beantworten wollte.

‚Hast du eigentlich eine Freundin?’

Tausend Dinge schossen mir durch den Kopf. Was sollte ich sagen? Die Wahrheit? Eine Notlüge? Ich konnte mich aber auch nicht abwenden, Jonas sah mir fest in die Augen. In diesem Moment war ich mir sicher, dass ich ehrlich sein wollte und musste.

„Nein, ich habe keine Freundin. Und ich werde wohl auch nie eine haben.“

‚Warum nicht?’

Ich holte tief Luft. „Weil ich schwul bin.“

Gespannt wartete ich jetzt auf Jonas Reaktion. Für ein paar Sekunden lockerte sich dann auch wirklich der Griff seiner Arme und er sah mich mit offenem Mund an. Doch dann schloss er ihn, zog mich wieder in seine Arme und legte mir seinen Kopf auf die Brust. Das hieß dann doch, dass er kein Problem mit mir hatte, oder? Nach dieser Geste ging ich aber sicher davon aus. Ich bewegte mich nun nicht mehr. Jonas sollte auf keinen Fall das Gefühl bekommen, dass mir die Situation nicht recht war. Nur in meinem Kopf herrschte das Chaos. In meinen Armen lag friedlich und von mir geschützt ein absoluter Traum von einem Jungen. Er sprach nicht, dafür war ich aber der Einzige, mit dem er kommunizierte. Und bei jeder Berührung von ihm wurde mir schwindelig und es kribbelte. Auch musste mich Jonas nur einmal ansehen damit ich Herzrasen bekam. Und ich genoss jede Sekunde mit ihm.

Was war nur los mit mir?

In diesem Moment hörte ich die große schwere Glocke, die im Haus zu den Mahlzeiten rief. Das erschreckte mich doch. Waren wir wirklich solange hier gesessen? So wie ich, wurde Jonas auch durch die Glocke aufgeschreckt. Hastig schob er das Foto seiner Schwester in seine Geldbörse und steckte alles wieder ein. Dann griff er nach dem Block.

‚Bleibst du noch ein bisschen hier?’

„Klar!“

Zu Zweit machten wir uns dann auf den Weg in den Speisesaal. Doch zu meiner Überraschung waren Jonas, Ben, Lisa und ich die einzigen dort.

„Wo sind denn alle?“, richtete ich meine Frage dann an Lisa.

Diese grinste nur. „Man hätte dich nicht so früh aus der Schule lassen sollen, Nic. Dann wüsstest du nämlich, dass noch Herbstferien sind. Aus diesem Grund wirst du unsere Jugendlichen auf der Eisbahn, bei Freunden oder auf sonstigen Ausflügen finden. Und manche sind auch mit unserer betreuten Gruppe weggefahren. Dadurch hat sich unsere Zahl hier stark reduziert.“

„Ach so.“

Durch die hohe Fehlzahl konnten Jonas und ich uns gemeinsam an einen Tisch setzten. Dieser war auch ein wenig entfernt von Lisa und Ben.

„Du kannst übrigens auch mitessen Nic. Mario hat dich mit eingeplant, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass du hier bist.“, meinte Ben dann.

„Ist in Ordnung. Danke Ben.“

Nachdem wir uns etwas zu essen geholt hatten, schob mir Jonas wieder den Block zu.

‚Wer ist Mario?’

„Der Koch hier. Und er kennt mich schon ziemlich lange. Deshalb plant er mich immer mit ein.“

Eine Antwort bekam ich nicht mehr, Jonas lächelte nur und aß dann. Ich tat genau dasselbe. Nach dem Essen brachten wir unser Geschirr in die Küche zu Mario und wollten wieder in Jonas Zimmer gehen. Doch Lisa hielt uns auf oder besser gesagt, sie nahm mich kurz zur Seite.

„Nic, ich weiß nicht was du machst. Aber mach weiter.“, sagte sie nur. Da ich nicht genau verstanden hatte was sie meinte, sah ich sie nur stumm an.

„Was meinst du?“

„Ich meine Jonas. Das eben war das erste Mal seit er hier ist, dass er richtig gegessen und nicht nur darin herumgestochert hat.“

Mich freute das wirklich, ich wollte keinen Dank dafür. Aber wenn es Jonas wegen mir oder dem was ich tat wieder besser ging, freute mich das wirklich.

„Ich geh dann wieder zu ihm. In Ordnung?“

In diesem Moment nickte Lisa nur und schob mich zur Türe hinaus. Schnell war ich dann auch zu Jonas nach oben gelaufen. Wieder saß er auf seinem Bett und sah zu mir herüber.

„Was möchtest du denn jetzt machen?“

Jonas zuckte mit den Schultern. Doch mir viel etwas ein.

„Sag mal was hältst du von Inline- Skating?“

Einmal mehr entstand ein wunderschönes Lächeln auf Jonas Gesicht. Und er schrieb zwei Buchstaben auf den Block: ‚Ja’.

Da ich wusste, dass das Heim im Keller auch Skates hatte, ging ich zu Lisa und holte den Schlüssel für die Räume. Sie war auch gleich begeistert von der Idee, ein wenig nach draußen zu gehen. Im Keller fand ich mich dann auch direkt zurecht. Nach ein paar Minuten hatte ich zwei Paar Skates gefunden und sie überprüft. Vor der Eingangstüre schlüpfte ich in meine hinein und ließ mich ein Stück wegrollen. Währenddessen saß Jonas auf den Treppenstufen und versuchte die Schnallen der Schuhe zuzubekommen, was ihm jedoch nicht so recht gelingen wollte. Somit ging ich zu ihm, kniete vor ihn und half ihm. Dabei streiften sich unsere Hände kurz. Mir wurde es heiß und kalt und ich fühlte mich so gut wie noch nie. Um dieses Gefühl vielleicht noch einmal zu bekommen, streckte ich Jonas die Hand hin, in der Hoffnung, dass er sie nehmen würde. Und das tat er tatsächlich. Ganz vorsichtig und sanft schlossen sich seine Finger um meine Hand und ich zog ihn nach oben. Etwas unsicher stand er noch auf den Rollen.

„Schon länger nicht mehr gefahren?“

Jonas schüttelte den Kopf. Und mir wurde klar, dass wir uns während dem Fahren nicht verständigen konnten. Zu reden wäre möglich gewesen, doch Zettel zu schreiben ging nicht. Deshalb entschloss ich mich dazu erst einmal in der Nähe des Heims zu bleiben. Das war auch ohne Probleme möglich, da der große Parkplatz vor dem Gebäude betoniert war. Um Jonas bei der Eingewöhnung zu helfen, fuhr ich ein paar Meter weiter. Unschlüssig beobachtete er mich dabei. Als ich wieder fest stand, hob ich meine Arme und grinste.

„Komm her! Aber nicht hinfallen.“

Noch ein wenig vorsichtig setzte Jonas einen Fuß vor den anderen, doch mit den ersten Metern wurde er wieder sicherer. Mit ein wenig Schwung stieß er dann gegen mich. Durch dieses kurze Stück hatte Jonas auch sein Gefühl für die Skates wiederbekommen. Somit verbrachten wir sehr viel Zeit damit, auf dem Parkplatz herumzufahren. Manchmal gemeinsam, manchmal jeder einzeln oder einer von uns versuchte den anderen zu fangen. Als ich jedoch einen kurzen Moment unaufmerksam war, passierte es. Ich übersah einen kleinen Stein und stolperte deswegen. Da ich noch versuchte direkt auf die Schoner zu fallen, um mich nicht zu verletzen, lag ich bald mit dem Bauch auf dem Boden. Und das dämlichste daran war, dass ich in eine Pfütze gefallen war. Woher diese kam, konnte ich mir auch nicht erklären, doch das Ergebnis war dasselbe. Mein gesamter Oberkörper war nass. Als ich mich leise fluchend aufsetze und an mir herunter sah, passierte jedoch wieder etwas, dass ich nicht erwartet hatte. Jonas sah mich an und begann zu lachen! Egal ob er mich an- oder auslachte, Jonas lachte! In diesem Moment konnte ich nicht mehr anders und lachte mit.

„Eigentlich dachte ich ja, dass das gefrorene Wasser eher deine Spezialität ist.“, hörte ich plötzlich meinen Vater hinter mir. Mit seinen starken Armen war es für ihn dann ein leichtes, mich wieder nach oben zu ziehen. Jonas stand die ganze Zeit schüchtern daneben.

„Ähm, Papa darf ich vorstellen das ist Jonas. Jonas das ist mein Vater.“

„Sehr angenehm.“, meinte mein Vater. Darauf nickte Jonas nur. Um die Stille nicht noch größer werden zu lassen, wandte ich mich an meinen Vater.

„Sag mal Papa, was machst du eigentlich hier?“

„Ich wollte nach euch beiden sehen. So wie es aussieht, hat Lisa heute Nachmittag frei. Und da wollte ich euch abholen.“, meinte er und wollte in das Gebäude gehen, blieb dann aber noch einmal kurz stehen. „Vielleicht hast du dann auch Lust mit ins Möbelgeschäft zu fahren.“

Ob ich Lust dazu hatte? Hmm, eigentlich nicht wirklich. Ich hatte Jonas gerade lachen gehört und ich war mir sicher, dass ich das noch einmal hören wollte. Wenn ich jetzt aber mit den Beiden fahren würde, würde das bedeuten, ihn alleine zu lassen. Als ich gerade so in meine Gedanken verstrickt war, schob sich plötzlich ein Block in mein Sichtfeld.

‚Gehst du schon?’, stand darauf. Als ich aufsah, bemerkte ich auch Jonas leicht traurigen Blick.

„Vielleicht, es kommt darauf an, ob Lisa noch arbeiten muss.“

‚Schade.’

Jonas wollte sich gerade von mir abwenden, als ich ihn am Handgelenk zu fassen bekam.

„Was ist denn los, Jonas?“

‚Ich will nicht, dass du weggehst.’

„Ich komme doch auf jeden Fall wieder.“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

‚Versprichst du das?’

„Ja! Sicher! Oder möchtest du mitkommen?“

Wieder sah Jonas mich fragend an.

„Na ja, ich hab dir doch gesagt, dass du mich gerne zum Möbel kaufen begleiten kannst.“

‚Glaubst du, dass dein Vater da nichts dagegen hat?’

„Nein, sicher nicht. Und ich würde mich freuen.“

‚Dann komme ich mit!’

„Komm, wir müssen noch unsere Schuhe wieder anziehen.“

So schnell, dass ich es gar nicht richtig sah, war Jonas an mir vorbei gefahren und hatte die Skates abgestreift. Im nächsten Moment hatte er dann auch seine Schuhe wieder an. Ich stand nur daneben und lächelte. Es gefiel mir wenn Jonas so aufgedreht und fröhlich war. Das sah ich viel lieber als seine Traurigkeit. Also setzte ich mich neben ihn, schlüpfte aus den Skates und zog meine Schuhe an. In diesem Moment kam auch mein Vater dazu, Lisa hatte er im Arm.

„Sehe ich das richtig? Lisa hat also schon Feierabend?“, wollte ich wissen.

Die beiden nickten mir einfach nur zu. „Bereit zum Shopping Nic?“

„Klar, aber unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

Mein Vater, genauso wie Lisa, stand da und grinste. Ich wusste genau, dass sie erkannt hatten, was ich wollte. Aber sie sollten trotzdem eine Antwort bekommen.

„Ich möchte Jonas gerne mitnehmen. Er soll mir beim Entscheiden helfen.“

„Also das geht auf jeden Fall.“

Ein paar Minuten später machten wir uns dann auf den Weg zum Auto meines Vaters. Bevor wir aber wirklich einkaufen fuhren, hielten wir noch mal an unserer Wohnung. Schnell war ich nach oben gelaufen und hatte mir ein anderes Oberteil angezogen. Eine halbe Stunde später standen wir dann auch schon vor dem großen Möbelhaus.

„Und wie machen wir das jetzt?“, wollte ich von meinem Vater wissen.

„Ach das geht ganz einfach. Lisa und ich gehen jetzt einen Kaffee trinken. Und ihr beiden nehmt das hier…“, er drückte mir doch wirklich eine goldene Karte in die Hand. „Und kauft was du brauchst.“

Ich sah immer nur sprachlos zwischen ihm und der Karte in meiner Hand hin und her.

„Danke Papa.“

„Es ist gut Nic. Sieh es als Wiedergutmachung der materiellen Seite von 12 Jahren und sei dir sicher, dass mir das Geld nicht weh tut. Du brauchst dich also nicht an ein Limit halten. Und jetzt geht schon.“, mit diesen Worten schob er mich und Jonas davon.

Er nahm dann Lisa an der Hand und ging mit ihr in Richtung Restaurant. Wenn er meinte, gingen wir einkaufen. Zuerst wollte ich nach einem Bett suchen, das war jetzt erst einmal das Wichtigste. Nach einem kurzen Blick auf die Hinweisschilder war mir auch klar wohin ich musste. Jonas folgte mir die ganze Zeit. Als ich stehen geblieben war hielt er mir wieder einen Zettel hin.

‚Tollen Vater hast du!’

Ich nickte. „Ja, finde ich auch. Irgendwie finden wir gerade wieder zusammen.“

‚Was macht der eigentlich beruflich?’

„Er ist Börsenmakler und verdient dabei extrem viel Geld. Dass es aber soviel ist, hatte ich nicht gedacht.“

Schon kurze Zeit später hatte ich auch schon ein Bett gefunden, das mir gefiel. Schnell war das auch auf dem Zettel vermerkt. Als nächstes brauchte ich noch einen Schrank für meine Kleidungsstücke. Hierbei war mir Jonas eine wirkliche Hilfe, er hatte wirklich einen guten Geschmack. Dadurch war auch das schnell erledigt. Erst als wir zur Wohnzimmereinrichtung kamen, wurde es schwierig, ich hatte keine Ahnung was passen würde. Wieder hatte ich es Jonas zu verdanken, dass ich etwas fand.

‚Was hältst du von der Schrankwand da drüben? Da könntest du auch deinen Fernseher und deine Anlage reinstellen.’

Oh, oh, das war auch noch so ein Ding. Wie mir gerade einfiel waren nicht nur die Möbel, sondern auch alle meine Geräte in der Wohnung meiner Mutter geblieben. Um an diese zu kommen, musste ich wohl noch mit meinem Vater sprechen. Zusammen war es für uns dann auch kein Problem sämtliche Einrichtungsgegenstände zu finden, die ich brauchte. Insgesamt gesehen, hatten wir einen sehr schönen Nachmittag zusammen. Immer wieder blitzte dabei ein Lächeln von Jonas auf, was mich schon sehr freute. Doch anders als ich gehofft hatte, hörte ich sein Lachen nicht mehr. Als wir dann bezahlt hatten, schluckte ich doch, der Betrag, der da stand, war schon ziemlich hoch. Wobei wir es nicht übertrieben hatten, ich brauchte keinen Luxus. Meine Wohnung sollte einfach gemütlich werden.

‚Darf ich dich dann auch mal besuchen, wenn du alles eingerichtet hast?’

Bevor ich überhaupt wusste was ich sagte, gab ich Jonas eine Antwort.

„Du darfst immer zu mir kommen!“, erklärte ich einfach. So schnell hatte ich mir die Hand noch nie vor den Mund geschlagen. So wie es sich anfühlte war ich auch ziemlich rot dabei geworden. Doch Jonas hakte sich nur bei mir unter und lächelte mich an.

‚Das ist schön.’

In diesem Moment war ich doch erleichtert Jonas hatte meine Antwort nicht so ernst genommen. Für mich wäre es schlimm gewesen, wenn sich unser Verhältnis durch eine solche flapsige Antwort verschlechtert hätte. Somit machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum Restaurant, denn mein Vater und Lisa warteten sicher schon. An einem kleinen Ecktisch fanden wir sie dann auch. Nebeneinander ließen wir uns auf die Stühle fallen.

„Schon fertig?“, wollte mein Vater wissen.

„Ja!“, antwortete ich nur. Dann legte ich ihm die Rechnung vor, er überflog sie kurz.

„Soviel hast du ja gar nicht ausgegeben.“

Überrascht sah ich ihn an, sagte aber gar nichts.

„Und wann werden die Sachen geliefert?“

„Nächste Woche, am Freitag. So wie ich das mitbekommen habe, ist der jetzige Mieter bis dahin ausgezogen.“

Aus einem Grund, den ich nicht kannte, schien mein Vater plötzlich irgendetwas peinlich zu sein.

„Hab ich dir das gar nicht gesagt?“, fragte er leise.

„Was denn?“

„Der ist schon ausgezogen.“, meinte er zerknirscht. „Am Samstag, also ab morgen, wird seine neue Wohnung frei.

Weil er irgendwie noch eine Nacht bei Freunden verbringen will, ist die Wohnung schon leer. Es spricht also nichts dagegen die Sachen morgen schon liefern zu lassen.“

Na umso besser! Jonas saß die ganze Zeit daneben und sah mich an, er lächelte.

„Wir sollten so langsam fahren.“, meinte Lisa plötzlich.

Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie Recht hatte. Der eben noch fröhliche Blick von Jonas wich wieder einer traurigen Stimmung. Mir war auch klar warum, wenn wir zurück fuhren, hieß das, dass er wieder ins Heim musste. Auch Lisa schien diese Überlegung nicht verborgen geblieben zu sein. Nachdem sie zu lächeln begann, wurde mir klar, dass sie eine Lösung gefunden hatte.

„Sag mal Jonas, möchtest du nicht bei uns schlafen? Um ins Heim zurück zu fahren, ist es schon zu spät.“

Überrascht sah er Lisa an. Mit ihrem Vorschlag kam auch das Leuchten in seine Augen zurück. Dann nickte er. Kurze Zeit später saßen wir auch schon im Auto und fuhren zurück. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt waren wir schon wieder bei unserer Wohnung. Schnell waren wir dann auch nach oben gegangen. Etwas verloren folgte mir Jonas. Ich ging dann mit ihm in das Zimmer, in welchem ich im Moment noch wohnte. Eigentlich war es das Arbeitszimmer meines Vaters und auch so eingerichtet, da es aber für mich nur der Übergang war, hatte ich kein Problem damit. Dort ließ ich mich auf das Sofa fallen, als Jonas nur schüchtern in der Türe stand, klopfte ich mit der Hand auf das Polster um ihm zu zeigen, dass er sich zu mir setzten sollte. Nach ein paar Momenten tat er das auch.

„Wo willst du denn jetzt schlafen? Ich kann dir das Gästebett her richten…“, für meine Antwort hätte ich mir selbst die Zunge abeisen können. „Oder du kannst bei mir schlafen.“

Was ging eigentlich in meinem Kopf vor? Ich stolperte von einer peinlichen Situation in die nächste. Hoffentlich verschreckte ich Jonas nicht. Doch dieser ließ sich nur mit dem Rücken gegen mich fallen. Vorsichtig legte ich ihm meine Arme um die Brust. Was für ein schönes Gefühl das war, Jonas so nah an mir zu spüren! Zu fühlen wie sich seine Brust beim Atmen bewegte und er sich an mich kuschelte. Dann legte er auch seine Hände um meine, wie schön warm sie doch waren.

„Nic? Jonas?“, rief mein Vater plötzlich vom Flur aus. Erschrocken fuhren wir auseinander.

Dann stand ich auf und ging an die Türe.

„Ja! Was gibt’s?“

„Ich wollte nur mal fragen, ob ihr alles habt was ihr braucht.“

Ich nickte. „Soweit ich das sehe schon. Warum?“

Mein Vater lächelte verlegen, also war doch mehr hinter seiner Frage, als er zugeben wollte.

„Weil ich mit Lisa noch ein bisschen weg gehen wollte. Natürlich nur, wenn wir euch alleine lassen können.“

„Papa! Jonas und ich sind beide 17 Jahre alt.“, protestierte ich.

„Na dann ist ja gut!“, meinte mein Vater und lachte.

„Also macht euch einen schönen Abend.“

Mit einem dankbaren Lächeln drehte sich mein Vater um und ging in das Wohnzimmer. Dort schien er mit Lisa zu sprechen. Ich selbst ging zu Jonas zurück, fragend sah er mich an.

„Mein Vater und seine Freundin wollen noch ein wenig ausgehen und er wollte einfach wissen, ob das in Ordnung geht.“

Nachdem ich geendet hatte, zog Jonas wieder den Block heraus. ‚Kommst du wieder her?’, bat er und sah mich schüchtern an. Somit setzte ich mich hinter ihn und nahm ihn wieder in den Arm. Von Jonas kam nur ein Seufzten, dann ließ er seinen Kopf gegen meine Schulter fallen. Irgendwann spürte ich, dass er eingeschlafen war. Einfach so war er in meinen Armen eingeschlafen! Nachdem ich eine ganze Zeit so saß und Jonas beim Schlafen zusah, bekam ich aber doch Hunger. Vorsichtig stand ich auf und schob ihm ein Kissen unter den Kopf. Als ich in der Küche gerade kochte, hörte ich einen lauten Schrei, der mich zutiefst erschreckte.

Schnell war ich danach zu Jonas gelaufen. Dieser saß aufrecht auf dem Sofa, war nass geschwitzt, zitterte am ganzen Körper und war völlig blass.

„Jonas?“, flüsterte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. In diesem Moment sprang er auf und fiel mir in die Arme. Als er dann wieder zu weinen begann zog ich ihn auf das Sofa.

„Du brauchst nicht weinen Jonas. Beruhig dich doch.“

Lange sah er mich einfach an, innerlich schien er mit sich zu kämpfen. Ich wusste zwar nicht wieso, aber es schien so.

Wie lange es dauerte weiß ich nicht, aber irgendwann fasste sich Jonas wieder. Auch seine Haut bekam wieder Farbe, doch das Zittern blieb noch eine ganze Weile. Ich hatte Jonas in meinen Armen und wiegte ihn wie ein kleines Kind.

„Möchtest du vielleicht etwas essen?“

Wieder schüttelte er nur den Kopf. Wie gerne hätte ich doch gewusst, was ihn so erschreckt hatte. Ihm ging es schlecht und ich hatte keine Ahnung was ich tun sollte. Deshalb tat ich das Einzige was mir einfiel, ich hielt Jonas fest.

„Soll ich dir das Bett fertig machen? Dann kannst du dich hinlegen.“

Direkt nach meinen Worten war Jonas aufgestanden und gab mir somit die Möglichkeit das Sofa vorzubereiten. Als ich fertig war, drückte ich ihn sanft in die Kissen.

„Schlaf wieder.“, meinte ich nur zu ihm. Danach wollte ich in die Küche gehen. um etwas zu essen. Als ich mich aber gerade umdrehte, um das Zimmer zu verlassen, hielt mich Jonas am Handgelenk fest, bittend sah er mich an. Auch ohne, dass er etwas sagte, wusste ich, was er wollte, deshalb zog ich mich schnell um und schlüpfte unter die Decke. Jonas kuschelte sich fest an mich und legte mir die Arme um, ich tat dasselbe. Mit dem Kopf an meiner Schulter war er dann schnell wieder eingeschlafen, er sah so friedlich aus wie er da lag. Nach ein paar Momenten war ich auch eingeschlafen. Wann mein Vater und Lisa wiederkamen, wusste ich nicht. Am nächsten Morgen wachte ich durch ein sanftes Streicheln an meiner Wange wieder auf. Nachdem ich dann die Augen geöffnet hatte, sah ich direkt in Jonas dunkle Augen. Doch als er sah, dass ich wach war, wurde er rot und wandte sich schnell ab. Somit lag er dann mit dem Rücken zu mir. Vorsichtig näherte ich mich ihm und legte Jonas die Arme um. Ganz leicht und sanft streichelte ich ihm über den Arm. Als Reaktion kam ein kleines Seufzen von Jonas. Sanft versuchte ich ihn daraufhin wieder zu mir zu drehen. Nachdem er meine Absichten verstanden hatte, ließ er es auch zu. Plötzlich hob er seine Hand und berührte mein Gesicht damit. Zärtlich streichelte er mich und ich genoss es in jeder Sekunde. Irgendwann schloss ich dann meine Augen und nahm dieses Gefühl in mich auf. Die nächste Situation kam wieder etwas überraschend für mich. Als ich meine Augen geschlossen hatte, drückte mich Jonas sanft nach hinten. Bevor ich mir richtig klar war, was passierte, fühlte ich seine Lippen auf meinen. Mir wurde schwindlig und ich bekam eine Gänsehaut. Als wir uns wieder getrennt hatten, sah Jonas mich schüchtern an. Doch ich zog ihn nur zu mir, somit lag er auf meinem Bauch. In diesem Moment der Nähe wurde mir klar, dass ich mich in Jonas verliebt hatte. Um ihn nicht zu überfordern sagte ich dazu erst einmal gar nichts.

„Gehen wir frühstücken?“

Schon wieder durfte ich Jonas wunderschönes Lächeln sehen, dann nickte er. Als wir in die Küche kamen fand ich nur einen Zettel auf dem Küchentisch, dieser war von meinem Vater.

>>Hallo Nic!

Lisa und ich sind schon weg, ging leider nicht anders. Frühstück könnt ihr euch ja selber machen. Um 10.00Uhr kommen auch die Möbel, der Wohnungsschlüssel liegt auf dem Tisch. Im Übrigen kann Jonas gerne bleiben, solange er möchte. Lisa meint, dass es auch besser wäre, wenn er bei uns bleibt. Zumindest bis nach den Ferien, weil im Heim nur sehr wenige Jugendliche zur Zeit sind und er da wohl ein wenig einsam wäre.

Bis heute Abend,

Papa<<

Nachdem ich den Zettel weggelegt hatte, sah ich auf den Küchentisch und da lagen dann tatsächlich die Schlüssel. Da es erst kurz nach 8.00Uhr war, hatte ich auch noch genügend Zeit, gemütlich mit Jonas zu frühstücken und danach nach oben in die Wohnung zu gehen. Somit suchte ich alles für das Frühstück zusammen. Während dieser Zeit saß Jonas auf einem der Küchenstühle und beobachtete mich.

„Möchtest du eigentlich Kaffee, Tee oder etwas Ähnliches?“

‚Kakao?’

Ich lächelte ihn an. „Klar!“

Somit machte ich zwei Tassen Kakao und gab eine davon Jonas. Gemeinsam aßen wir dann und verräumten auch alles wieder.

„Ich gehe mich jetzt anziehen und werde dann in meine Wohnung gehen. Möchtest du vielleicht mitkommen?“

Jonas nickte und kam dann mit um sich anzuziehen. Da das alles in ein paar Minuten geschehen war, standen wir auch bald vor meiner neuen Wohnung. Irgendwie war das alles immer noch ein wenig unwirklich. Als ich den Schlüssel dann ins Schloss steckte und daraufhin in die Wohnung trat, wurde mir klar, dass das alles Realität war. Mein Vater hatte wirklich nicht übertrieben. Die Wohnung glich seiner doch ziemlich genau. Dafür schien der Vormieter ziemlich unordentlich gewesen zu sein, denn in der Wohnung lag noch ziemlich viel Müll herum. Ein gutes war jedoch direkt zu erkennen, die Böden und auch die Tapeten waren in sehr gutem Zustand. Somit musste ich sie nicht austauschen und konnte gleich mit dem Einrichten beginnen. Deshalb holte ich mir einen Besen und einen Eimer für den Schmutz und fegte die gesamte Wohnung. Seltsamerweise ließ mich Jonas nicht einen Moment aus den Augen, er lief mir einfach hinterher und beobachtete mich. Ich war auch gerade fertig geworden, als es klingelte. Nach einem Blick auf die Uhr sah ich aus dem Fenster, dort standen wirklich schon die Männer die meine Möbel bringen sollten. Fast eine halbe Stunde zu früh, aber mir sollte es recht sein. Schnell hatte ich auch auf den Türsummer gedrückt. Nach einem kurzen Gespräch mit den Männern machten sie sich auch direkt an die Arbeit. Somit füllte sich meine neue Wohnung in der nächsten Stunde mit Möbelteilen und Kartons und es herrschte das totale Chaos. Als wir wieder alleine waren, setzte sich Jonas auf einen der Sessel für mein Wohnzimmer.

‚Wo fangen wir an?’

Gute Frage, viele Möbelstücke waren schon vormontiert oder es fehlte nur noch eine Kleinigkeit daran. Aber eine wirkliche Vorstellung wie ich arbeiten wollte, hatte ich noch nicht. Also beschloss ich im Schlafzimmer anzufangen.

„Ich würde sagen im Schlafzimmer.“

Jonas nickte nur und folgte mir dann in das Zimmer. Hier hielt sich das Chaos noch am ehesten in Grenzen. Schnell war auch das Bett aufgestellt und bezogen. Doch scheinbar hatte Jonas einen anderen Gedanken als ich, nachdem dies geschehen war. Denn er schubste mich leicht darauf, kam dann zu mir und küsste mich. Was für ein wunderbares Gefühl das doch war. In den nächsten Minuten lagen wir einfach nur zusammen und küssten uns.

„Ich liebe dich Nic!“

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Litt ich schon unter Halluzinationen oder hatte Jonas gerade wirklich gesprochen? Ohne eine Regung zu zeigen, sah ich ihn an. Das Lächeln auf Jonas Lippen wurde mit jeder Sekunde weniger, scheinbar verstand er meine Haltung als Ablehnung. Denn er wandte sich auch ab, ich drehte seinen Kopf aber mit Nachdruck wieder zu mir.

„Hab ich mir das gerade eingebildet oder sprichst du wirklich mit mir?“

Jetzt schien Jonas doch verstanden zu haben was mein Verhalten bedeutet hatte.

„Du hast es dir nicht eingebildet Nic.“, meinte er und kuschelte sich an mich.

„Ich liebe dich auch!“, war dann das Einzige was ich noch heraus bekam.

Endlich war mein Wunsch in Erfüllung gegangen, ich hatte Jonas Stimme hören dürfen! Dieser lag eng an mich geschmiegt und streichelte mich. Ich fühlte mich einfach wunderbar, Jonas erwiderte meine Gefühle und er sprach mit mir.

„Sollen wir weiter arbeiten?“, fragte er leise.

„Können wir machen, dann haben wir heute Mittag Zeit für uns. Einverstanden?“

„Ja!“

Nach einem letzten Kuss standen wir wieder auf. Als nächstes bauten wir den großen Kleiderschrank auf, zu zweit war das gar kein Problem. Es dauerte aber trotzdem etwas länger, da wir uns immer wieder küssten. Ungefähr eine Stunde später hatten wir mein Schlafzimmer auch fertig eingerichtet. Das Wohnzimmer war dann auch kein Problem mehr. Dort war das Sofa bereits an den richtigen Platz gestellt worden und die Schrankwand hatten wir auch schnell aufgebaut. Erst mein Arbeitszimmer war etwas komplizierter. Der Schreibtisch verschwand fast darin und die Regale füllten das Zimmer auch nur zur Hälfte. Aber meiner Meinung nach würde ich sicher mit der Zeit etwas finden, was ich noch dazu stellen konnte. Nach ungefähr vier Stunden hatten wir zusammen alles aufgebaut und eingeräumt. Zufrieden mit dem, was wir geschafft hatten, ließen wir uns auf das Sofa sinken.

„Wollen wir uns etwas kochen?“, wollte ich dann von Jonas wissen da ich so langsam Hunger bekam.

„Sehr gerne. Kochen wir hier oder gehen wir wieder runter?“

„Ich würde sagen wir gehen wieder runter. Hier oben habe ich noch nichts zu essen.“

„Aber vorher bekomme ich noch einen Kuss.“, erklärte Jonas bestimmt und lächelte.

„Na das lässt sich machen.“

Somit berührten sich unsere Lippen wieder. Ich schlang meine Arme um Jonas und zog ihn ganz nah an mich. Da ich mich nach hinten sinken ließ, lag Jonas auf mir. Es war aber einfach wunderbar wie es war. Ich spürte Jonas ganz dicht an mir und fühlte seine Lippen. Plötzlich hörte ich ein Klopfen an der Wohnzimmertüre, dieses schreckte uns beide auf. Als ich hinüber sah erkannte ich meinen Vater. Er stand da und lächelte zufrieden.

„Hallo Papa!“, meinte ich leise.

„Hallo ihr Zwei! Ihr seid aber schon weit gekommen.“

„Stimmt schon.“

Wieder lächelte mein Vater nur vor sich hin und eigentlich wollte ich keine Geheimnisse vor ihm haben. Aber was wollte Jonas? Erst als ich zu ihm sah und er mir aufmunternd zunickte fand ich meine Sprache wieder.

„Papa? Ich… Wir… Also… Ich meine…“

Dieser kam dann einfach zu mir, nahm mich in den Arm und drückte mich an sich.

„Um einmal eine Vermutung von mir zu äußern. Dass du schwul bist mein Sohn, wusste ich ja schon. Aber so wie es aussieht ist es Jonas auch. Und wenn mich meine Augen und mein Verstand nicht täuschen seid ihr verliebt, oder?“

Beide etwas rot im Gesicht sahen wir meinen Vater an und nickten dann. Wieder verbreiterte sich das Lächeln meines Vaters ein Stückchen.

„Dann gibt es für mich wohl nur noch eine Sache zu tun.“, erklärte er und stand auf. Verwirrt sah ich ihn an. Danach streckte er Jonas die Hand hin, nach ein paar Sekunden nahm dieser sie auch.

„Es freut mich, dass mein Sohn einen so guten Geschmack hat, Jonas. Als allererstes einmal das Formale, ich bin Oliver. Willkommen in der Familie! Aber trau dich meinen Sohn zu verletzen, dann bekommst du es mit mir zu tun.“

Wow! Mein Vater bot Jonas direkt das ‚Du’ an? Tolle Geste auch, dass er so für mich eintrat. Es war einfach ein tolles Gefühl, ihn so bei mir zu wissen. Jonas lächelte dankbar.

„Ich hab nicht vor Nic zu verletzten. Ich liebe ihn!“, erklärte er mit Nachdruck.

Mit offenem Mund starrte mein Vater ihn an, dann wandte er sich an mich.

„Wie hast du das geschafft?“

„Was meinst du denn?“

„Das weißt du genau! Ich würde gerne wissen seit wann Jonas spricht?!?“

Jonas legte die Arme um mich bevor er selbst zu erklären begann.

„Seit vorhin wieder.“

„Aber wie…? Wieso jetzt wieder?“

In diesem Moment schien Jonas nicht richtig zu wissen was er antworten sollte.

„Es gab etwas in meinem Leben über das ich nicht reden wollte und es auch heute nicht möchte. Aber Nic war so lieb zu mir, da wollte ich mich ihm eben auch mitteilen können.“

Mit dieser Erklärung schien sich mein Vater zufrieden zu geben. Aber für mich warf dies eine neue Frage auf. Was war in Jonas Vergangenheit passiert? Ich wusste eigentlich gar nichts von ihm. Irgendwann würde ich das aber sicher auch noch erfahren.

„Ich würde vorschlagen, dass wir heute Abend, zur Feier des Tages, essen gehen. Lisa kommt sicher auch gerne mit. Aber ich rate dir eines Nic.“, mein Vater grinste wieder frech. „Warn sie vor! Die bekommt sonst einen Schock, wenn Jonas plötzlich mit ihr redet.“

Dieser Gedanke brachte mich zum Lachen. „Werde ich machen Papa, werde ich machen.“

„Dann lass ich euch wieder alleine. Ich will ja nicht stören.“, erklärte er und zwinkerte uns zu. Was glaubte er eigentlich, wobei er uns unterbrochen hatte? Ein paar Momente später hörte ich wie die Tür ins Schloss fiel. Als ich zu Jonas sah, bemerkte ich sein Lächeln.

„Ich möchte nicht wissen was dein Vater jetzt denkt.“

„Das will ich auch nicht.“, grinste ich ihm zu.

Sollte ich Jonas jetzt nach seiner Vergangenheit fragen oder nicht? Wie würde er darauf reagieren, wenn ich ihn darauf ansprach? Oder sollte ich seinen Wunsch akzeptieren und nicht nachfragen?

„Nic?“

„Was? Was ist los? Hast du was gesagt?“

„Nein, hab ich nicht. Mich würde nur gerade interessieren, wo du mit deinen Gedanken bist.“

„Ach nicht so wichtig.“, meinte ich und stand auf. Doch Jonas schien mir nicht zu glauben und folgte mir.

„Sag mir doch, was dich beschäftigt Nic.“

„Na gut, aber sei mir bitte nicht böse!“

Verwirrt sah er mich an. „Warum sollte ich dir böse sein? Aber in Ordnung, ich verspreche es dir sogar!“

„Also mein Vater hat in mir eine Frage aufgebracht. Ich weiß einfach gar nichts von dir. Du bist einfach in mein Leben getreten und das freut mich sehr. Aber ich möchte dich kennen lernen, mit Vergangenheit und Gegenwart.“

„Und wieso sollte ich dir da böse sein? Nic, ich verstehe dich doch! Aber gib mir noch ein wenig Zeit, ich muss mit alle dem was passiert ist erst selbst zurecht kommen. In Ordnung?“

„Klar! Du bekommst jede Zeit von mir, die du möchtest.“

Direkt danach zog ich Jonas in meine Arme und küsste ihn, eng schmiegte er sich an mich.

„So und jetzt gehen wir nach unten. Auch wenn wir nachher wohl essen gehen, habe ich Hunger und möchte eine Kleinigkeit essen.“, erklärte ich.

Als ich dann die Wohnung verließ, folgte mir Jonas. In der Wohnung meines Vaters trafen wir auch auf Lisa. Diese sah uns nur an.

„Ist es wahr was Oliver sagte?“

Innerlich grinste ich, hatte mein Vater doch schon mit ihr gesprochen.

„Ich weiß ja gar nicht, was Papa dir erzählt hat.“

Jonas stand neben mir und versuchte sich in diesem Moment, genau wie ich, ein Grinsen zu verbeißen.

„Du weißt schon… Ihr seid ein Paar?“

Wie viel mein Vater ihr wohl erzählt hatte? Irgendwie wäre es doch einen Versuch wert das auszuprobieren. Scheinbar hatte Jonas dieselbe Idee.

„Ja! Sind wir!“, erklärte er selbstbewusst.

Lisas Gesichtsausdruck nach seiner Antwort brachte mich zum Lachen. Mit weit offenem Mund starrte sie Jonas an, nach ein paar Minuten drehte sie sich zu mir.

„Nic, du bist mir unheimlich! Wie machst du das?“

„Ganz einfach Lisa. So was macht die Liebe.“, meinte ich und zog Jonas wieder an mich. Danach murmelte sie nur etwas vor sich hin. Ich konnte noch etwas von ‚Problemfall’, ‚ein Monat Arbeit’ und ‚Psychologie’ verstehen.

Da sie dann direkt wieder zu meinem Vater ins Wohnzimmer ging, konnte ich sie auch nicht mehr fragen. Als wir ihr hinterher gingen, sah ich sie dann in den Armen meines Vaters liegen. Dieser richtete sich auf als er mich sah.

„Gut, dass du kommst Nic. Ich hab dir nämlich etwas mitgebracht.“

„Mir? Was denn?“

Aus welchem Grund sah er mich eigentlich so ernst an?

„Sieh einfach mal da in die Kartons dann weißt du was ich meine.“

Erst in diesem Moment bemerkte ich die Kartons in der Zimmerecke. Als ich sie geöffnet hatte verstand ich seinen ernsten Gesichtsausdruck. In den Kartons waren meine Geräte, also meine HiFi- Anlage, mein Fernseher und alles andere. Es dauerte auch ein paar Sekunden bis ich mich wieder gefasst hatte.

„Wann warst du bei meiner Mutter?“, ich konnte meinen Vater in diesem Moment nicht ansehen. Dieser seufzte, das war kein gutes Zeichen.

„Ich war vorhin bei ihr Nic. Eigentlich wollte ich mit ihr reden, die Situation in der ihr auseinander gegangen seid, sollte nicht so stehen bleiben. Aber mit ihr kann man nicht reden. Zuerst saß sie da wie ein Häufchen Elend und hat irgendetwas erzählt, dass sie eine schlechte Mutter war. Danach hat sie sich in die Vorstellung gesteigert, dass deine Homosexualität eine Phase sei und wenn dem nicht so wäre, sei es eine Strafe für sie. Dass sie meine Argumente für ‚neoliberales Geschwätz’ hält und dafür nicht zugängig ist, hast du ja leider selbst erfahren müssen. Und das Ende war eben, dass sie mich rausgeworfen hat und meinte, dass Lisa dich am Besten adoptieren sollte. Dann wäre diese Schande wenigstens aus ihrem Leben getilgt.“, nachdem er geendet hatte, schluckte mein Vater schwer. Scheinbar war es ihm sehr schwer gefallen, mir all das zu sagen. Doch ich war ihm dankbar, dass er mir keine Notlüge erzählt hatte. In diesem Moment setzte in mir aber etwas aus, vielleicht begriff ich auch nur was die Haltung meiner Mutter zu bedeuten hatte. Sie wollte mich nicht mehr! Lieber verstieß sie mich, bevor sie akzeptierte, dass ich schwul war. Ohne auf Jonas oder eine andere Person zu achten, rannte ich nach oben in meine Wohnung. Dort warf ich mich auf das Bett und weinte, ich konnte es einfach nicht verstehen.

„Nic?“, hörte ich plötzlich eine leise Stimme neben mir. Eine Hand streichelte mir auch sanft über den Rücken. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass jemand die Wohnung betreten hatte. Durch meine Tränen konnte ich zuerst nicht genau sehen wer gekommen war. Erst als mir diese Person zärtlich die Tränen aus dem Gesicht strich, erkannte ich Jonas. Dieses Mal war ich es, der sich in seine Arme warf, ich brauchte in diesem Moment jemanden, der mich festhielt und mich liebte.

„Es ist gut Nic, ich bin da. Wein doch nicht.“

Durch Jonas liebevolle Art fand ich auch bald meine Ruhe wieder. Somit setzte sich Jonas neben mich und legte mir seine Arme um. Alleine die Tatsache, dass ich sein Herz schlagen fühlen konnte, gab mir viel.

„Warum macht sie das? Ich verstehe es nicht, eigentlich sollte sie mich doch lieben! Sie ist doch meine Mutter!“

„Ich kann es dir nicht sagen Nic.“, flüsterte Jonas und wiegte mich in seinen Armen. „Aber du hast deinen Vater und der liebt dich.“

„Aber…“

Jonas ließ mich gar nicht sprechen, er legte mir den Zeigefinger auf die Lippen. „Kein ‚aber’ Nic. Du hast Menschen, die dich lieben und dir zur Seite stehen. Sie sind immer für dich da. Sieh dich doch um. Lisa, dein Vater und ich auch, wir lieben dich alle. Ich kann verstehen, dass es jetzt wehtut. Aber es sind noch andere Menschen da, denen du etwas bedeutest. Und für manche Menschen bist du sogar der Sinn des Lebens.“

Ich war total gerührt von dem, was Jonas gesagt hatte. „Danke Jonas.“, meinte ich nur und küsste ihn.

„Also dafür musst du dich sicher nicht bedanken. Und jemand der dich einfach so hergibt, kann sowieso nicht sehr viel im Kopf haben.“, grinste er.

Auch wenn es eigentlich eine eher flapsige Bemerkung war, brachte sie mich in diesem Moment zum Lächeln.

„Siehst du, so gefällst du mir schon besser.“, erklärte Jonas und drückte mich sanft an sich. Plötzlich fühlte ich dann seine Hand die unter mein Hemd fuhr und mich zärtlich streichelte. Schon alleine diese Berührung brachte mich fast um den Verstand. Jonas schaffte es binnen Sekunden mir damit meine Ruhe und Ausgeglichenheit wieder zu geben.

„Lass uns nicht traurig sein, mein Schatz. Genießen wir lieber die Zeit, die wir haben.“

Recht hatte er ja, ich sollte lieber glücklich sein. Jonas war einfach das Beste, was mir passieren konnte.

„Ich liebe dich!“, flüsterte ich ihm zu.

Wieder lächelte Jonas mich an. „Ich dich auch!“, antwortete er.

Eine Welle des Glücks durchflutete mich als er das sagte. Wie lange wir dann einfach so zusammen saßen und uns hielten, wusste keiner von uns beiden später. Erst als es an der Türe klopfte, trennten wir uns wieder. Direkt nachdem Jonas geöffnet hatte, bemerkte ich, dass mein Vater gekommen war. Als er mich sah kam er gleich zu mir.

„Geht’s wieder?“, fragte er mitfühlend. Ich nickte leicht und sah zu Jonas hinüber.

„Ja, dank Jonas ist es wieder besser.“

Nachdem ich geantwortet hatte, nahm er meine Hände und sah mir fest in die Augen.

„Lass dir nichts einreden, Nic. Gar nichts! Du kannst stolz auf dich sein und ich bin es auch. Und ich bin froh, dass du mein Sohn bist. Selbst deine Mutter hat nicht das Recht etwas anderes zu sagen. Und lasst euch euer Glück nicht trüben. Jetzt gehst du erstmal ins Bad und machst dich frisch und dann gehen wir wirklich essen. Trotz allem haben wir ja zu feiern.“, mit diesen Worten stand mein Vater auf und ging wieder in seine Wohnung.

Jonas kam dann auf mich zu und kniete sich vor mich. Er blickte mir in die Augen und strahlte mich an, schon alleine durch sein Lächeln wurde es warm in mir.

„Wie geht es dir denn jetzt?“

„Besser. Es ist schön, dass es dich gibt Jonas.“, erklärte ich nur und zog ihn an mich.

„Komm geh dich waschen. Wir machen uns jetzt einen schönen Abend.“

„Hast Recht.“, somit gab ich ihm noch einen kleinen Kuss und verschwand im Bad. Dort wusch ich mir erst einmal das Gesicht und besah mich dann im Spiegel. Ein wenig rot waren meine Augen zwar noch, aber ansonsten konnte ich wohl so nach draußen gehen. Aber trotz allem war ich zufrieden mit meiner Situation. Ich hatte Jonas und war richtig verliebt in ihn und mein Vater war auch an meiner Seite. Was wollte ich also mehr? Somit drehte ich mich herum und ging wieder zu Jonas. Das was ich aber vorfand, war wirklich niedlich. Jonas saß auf meinem Bett, hatte mein Kopfkissen im Arm und war eingenickt. Seine dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht und er lächelte leicht. Eigentlich war es schade ihn zu wecken und der heutige Tag war wohl auch für ihn anstrengend gewesen. Deshalb ließ ich ihn erst einmal schlafen und ging zu meinem Vater. Dieser saß mit Lisa in der Küche und unterhielt sich. Was mich aber wirklich misstrauisch machte, war die Tatsache, dass sie sofort ruhig wurden, als ich den Raum betrat.

„Ist irgendwas?“

„Nee.“, meinte mein Vater und grinste.

Hier war doch wieder irgendetwas los, von dem ich nichts wusste. Diese beiden planten doch wieder etwas. Aber ich kannte meinen Vater, wenn er nicht von sich aus sprach, dann musste ich einfach abwarten.

„Wo hast du denn Jonas gelassen?“

Ich lächelte. „Während ich im Bad war, ist er eingeschlafen. Jetzt liegt er oben auf meinem Bett.“

„Dann lass ihn schlafen, ihr habt heute ja genug gearbeitet. Und wir können auch morgen noch essen gehen.“, meinte mein Vater.

„Na komm, geh schon und lass ihn nicht so lange alleine.“, erklärte danach Lisa und zwinkerte mir zu.

„Bin schon weg!“, direkt war ich aufgesprungen und nach oben gerannt. Hinter mir hatte ich noch meinen Vater und Lisa lachen gehört. Als ich wieder in meiner Wohnung war sah ich, dass Jonas immer noch schlief, nur war er jetzt ein wenig nach unten gerutscht. Ich ging zu ihm und legte ihn vorsichtig richtig hin. Da ich mir dachte, dass es mit den Kleidern für ihn etwas unbequem war, zog ich ihm diese behutsam aus. Als er nur noch sein Hemd anhatte, versuchte ich es ein wenig hochzuschieben, doch ich erstarrte in meiner Bewegung. Auf Jonas Bauch befanden sich viele blau- grün schimmernde Flecken, die schon ziemlich verblasst waren. Auch hatte er mehrere große Narben auf seinem Bauch und der Brust. Ich schluckte. Wer hatte Jonas wohl so verletzt? Nachdem ich ein paar Momente gegrübelt hatte, beschloss ich mit Lisa zu sprechen, sie hatte wohl die Möglichkeit, mir zu sagen wie ich mich verhalten sollte. Als ich dann nach unten kam, lag sie alleine auf dem Sofa.

„Nic?“, sie wirkte wirklich überrascht mich zu sehen. „Ist irgendwas oder warum bist du nicht bei Jonas?“

Ich seufzte und erklärte ihr dann, was ich gesehen hatte. Nachdem ich geendet hatte, sah Lisa sehr betroffen aus.

„Das erklärt so manches.“, antwortete sie dann nachdenklich.

„Was meinst du?“

„Ich denke einfach an Jonas Verhalten, nachdem er zu uns kam. Das hätte mir auffallen müssen.“, meinte sie leise. Im nächsten Moment schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. „Mist!“, murmelte sie dann.

„Du konntest das doch nicht wissen Lisa.“

„Doch Nic, das hätte ich. Im Nachhinein erkenne ich einfach, dass so vieles an Jonas Verhalten typisch ist für misshandelte Kinder und Jugendliche.“, sie seufzte. „Nur so etwas wie zwischen euch habe auch ich noch nicht erlebt.“

„Wie meinst du das?“, ich sah sie nur verwirrt an.

„Eigentlich tun sich solche Menschen schwer, zu jemandem Vertrauen und eine Bindung aufzubauen, weil sie auch Angst haben wieder verletzt zu werden. Aber bei Jonas und dir? Hmm, das ist schon irgendwie seltsam. Du hast innerhalb ein paar Tage das geschafft, wofür ein Psychologe Monate, wenn nicht sogar Jahre braucht.“

„Aber soviel habe ich doch gar nicht getan.“, erwiderte ich. Was sollte es schon gewesen sein, das ich gemacht hatte?

„Du tust mehr als jeder andere Nic, du liebst Jonas. Und jeder Außenstehende sieht einfach, dass deine Gefühle ehrlich sind, das spürt Jonas eben auch. Schon alleine dadurch kann er Vertrauen zu dir fassen.“

Wieder einmal wurde ich rot im Gesicht. Konnte es wirklich sein, dass alleine meine Gefühle ausreichten, damit es Jonas wieder besser ging?

„Und Nic?“, Lisas Stimme hatte einen ernsten Ton den ich nicht von ihr kannte.

„Was denn?“

„Ich möchte dir eines noch sagen, wundere dich nicht über Jonas. Es kann manchmal vorkommen, dass er in manchen Situationen völlig anders reagiert als du oder ich. Er braucht nur durch eine Kleinigkeit wieder an die früheren Geschehnisse erinnert werden.

In so einem Fall würde er sich wohl auch wieder so verhalten wie zum damaligen Zeitpunkt. Erschreck jetzt bitte nicht, aber es kann auch teilweiße soweit kommen, dass er dann Angst vor dir entwickelt. Dass kein Grund dazu besteht, weiß er selbst, aber in diesem Moment beherrscht ihn die Erinnerung. Gib ihm dann einfach ein wenig Zeit sich zu beruhigen.“

Jonas könnte Angst vor mir haben? Schon alleine bei dem Gedanken daran verkrampfte sich etwas in mir. Hoffentlich würde es nie soweit kommen.

„Ich wollte dich nicht schocken oder beunruhigen Nic, ich wollte dir einfach sagen was passieren kann. Und es muss auch nicht zwingend heißen, dass so etwas geschieht. Also mach dir keine Gedanken und genieß die Zeit mit Jonas. Und jetzt geh zu ihm.“, meinte sie leise und lächelte dann wieder. Das ließ ich mir nun nicht mehrmals sagen und ging deshalb wieder nach oben. Als ich Jonas sah, erschrak ich aber doch. Er hatte sich völlig zusammengerollt und wirkte irgendwie ängstlich. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, setzte ich mich neben ihn und berührte ihn leicht an der Schulter. Wie, als wenn er meine Anwesenheit spürte, entspannte er sich wieder. Um ihm meine Nähe zu geben, legte ich mich neben ihn und zog Jonas an mich. In dem Moment, als wir uns berührten, verschwand jede ängstliche Regung von ihm. Nach ein paar Momenten, in denen ich ihn einfach nur beobachtete, schlief ich auch ein. Erst als es mir kalt wurde, wachte ich wieder auf. Als ich mich umdrehte sah ich auch, warum mir kalt geworden war. Jonas hatte sich in die Decke gewickelt und sie mir somit weggezogen. Ich lächelte nur und strich ihm über die Haare, dann stand ich auf und streckte mich.

„Wo willst du denn hin?“, hörte ich dann eine verschlafene Stimme neben mir.

„Ich wollte nur…“

„Komm doch wieder her.“, bat er mich.

„Wenn du mir ein Stück Decke abgibst gerne.“

Jonas wurde rot im Gesicht, dann zog er die Decke heraus und hob sie an. Somit konnte ich darunter krabbeln. Direkt als ich lag, spürte ich wie sich Jonas an mich schmiegte. Den Arm legte er mir auf den Bauch, als ich ihn ansah bemerkte ich sein Lächeln. Verträumt strich ich ihm dann die Haare aus dem Gesicht und küsste ihn. Daraufhin hob Jonas seinen Kopf an und legte ihn mir auf die Brust. Schon nach ein paar Sekunden war er dann wieder eingeschlafen, ganz ruhig und friedlich lag er da. Irgendwann wurde ich dann auch müde und schlief ein, erst am nächsten Morgen wurde ich wieder wach. Wie am Vorabend auch lag Jonas auf meiner Brust.

„Morgen mein Schatz.“, meinte ich nur und streichelte ihm über den Rücken.

Ganz langsam schien Jonas wieder wach zu werden. Zuerst blinzelte er verschlafen dann streckte er sich.

„Morgen!“, murmelte er.

Als erstes bekam ich dann einen Kuss von Jonas, dieser lächelte einfach nur glücklich.

„Na wie geht es dir, bist du wieder fit Jonas?“

Dieser nickte nur und stieg dann aus dem Bett. Überrascht setzte ich mich auf.

„Wohin willst du denn?“

„Auf die Toilette.“, meinte er und ging aus dem Zimmer.

Ich selbst ließ mich einfach noch einmal in die Kissen sinken und genoss dieses Gefühl. Es dauerte auch nicht lange bis ich Jonas zurückkommen hörte. Er lehnte lässig im Türrahmen und sah mich an. Das einfallende Sonnenlicht ließ ihn irgendwie leuchten und gab ihm etwas Erhabenes. In diesem Moment wurde mir klar, wie wichtig mir dieser Junge war. Deshalb stand ich auf und ging zu ihm. Schon wieder lächelte er mich auf diese unwiderstehliche Art an.

„Na mein kleines Engelchen.“, flüsterte er und umarmte mich.

Hatte er mich gerade wirklich ‚Engelchen’ genannt? Ich legte ihm den Kopf an die Schulter.

„Ich bin ein Engelchen?“

„Nein, nicht ‚ein Engelchen’. Du bist mein Engelchen und das Beste, was mir passieren konnte!“, erklärte er ernst.

Ich konnte kaum glauben, was er gesagt hatte, zu sehr berührte mich das. Als ich ihm antworten wollte, legte er mir nur die Finger auf die Lippen.

„Du musst mir nicht antworten Nic. Ich weiß, dass du mich liebst und das macht mich einfach glücklich. Und ich will, dass du das weißt.“

„Hey, du musst mir nichts erklären. Es reicht mir, dass du bei mir bist.“

Mit sanftem Druck legte er mir dann seine Stirn gegen meinen Kopf und streichelte mich. Die ganze Zeit über sah er mir in die Augen. Seine dunklen Augen leuchteten und funkelten und ich verlor mich darin. Plötzlich unterbrach Jonas unseren Blickkontakt und nahm mich hoch, dann trug er mich zum Bett und legte mich vorsichtig darauf. Schnell war er selbst wieder ins Bett gekrabbelt und hatte sich an mich gekuschelt. Seine Beine hatte er mit meinen verknotet und die Arme um mich gewickelt, auch sein Kopf lag nah an meinem und ich spürte seinen Atem, wie er an meinem Hals entlang strich. Ich fuhr einfach mit meinen Fingern über seinen Arme und küsste Jonas immer wieder. Es war einfach wunderschön so und ich war zufrieden. Die gesamte nächste Zeit verbrachten wir einfach zusammen im Bett und kuschelten. Erst gegen Mittag standen wir auf, weil wir beide doch Hunger bekamen. Nachdem wir geduscht hatten und angezogen waren, gingen wir nach unten. Dort stellten wir nur fest, dass niemand zu Hause war. Wieder einmal lag nur ein Zettel auf dem Tisch.

>>Hallo Nic!

Dein Vater und ich sind schon zur Arbeit. Heute Abend kann es bei uns beiden spät werden. Also wartet nicht auf uns und macht euch zu zweit einen schönen Tag. Im Übrigen habe ich dir Geld hingelegt, dann kannst du einkaufen gehen und deinen Kühlschrank auffüllen. Auf jeden Fall wünsche ich euch viel Spaß.

Bis heute Abend,

Lisa<<

Jonas hatte mir die ganze Zeit über die Schulter gesehen und den Zettel mitgelesen. Als ich mich zu ihm umgedreht hatte, meinte er nur zu mir.

„Gehen wir einkaufen?“, der Tonfall in seiner Stimme zeigte mir, dass er wohl Spaß daran hätte. Wobei es sicher lustig werden würde, mit Jonas einkaufen zu gehen. Somit nickte ich und wir gingen uns fertig machen. Etwas essen wollten wir erst später. Nachdem ich den Schlüssel vom Haken genommen hatte, machten wir uns auch auf den Weg. Da der große Supermarkt nicht weit entfernt war, kamen wir dort auch schnell an. Gemeinsam liefen wir dann durch die vielen Regalreihen. Ich kaufte auch gleich für abends ein, weil ich für Jonas und mich kochen wollte. Als wir wieder zu Hause waren, stellte ich dann fest, dass wir fast drei Stunden unterwegs gewesen waren. Müde ließ sich Jonas auf einen der Küchenstühle fallen und ich setzte mich neben ihn.

„Ich wusste gar nicht, dass Einkaufen so anstrengend sein kann.“, meinte Jonas und lehnte sich an mich an.

„Dafür gibt es dann heute Abend auch etwas Leckeres zu essen.“

„Du kochst?“, etwas skeptisch sah er mich an.

„Ja, klar!“

„Und du kannst das?“

„Hey!“, ich stupste Jonas mit einem Finger gegen die Brust. „Bisher hat es den Leuten immer geschmeckt, wenn ich gekocht habe. Und dich will ich nicht vergiften, dich brauch ich nämlich noch.“, erklärte ich und bekam einen Kuss dafür.

„Na dann werde ich wohl abwarten müssen. Essen dein Vater und Lisa eigentlich auch mit?“

„Kann ich noch nicht sagen. Wäre erstmal die Frage, wann sie zurückkommen.“

„Und zu zweit essen kann ja auch ganz nett sein.“, antwortete Jonas und lächelte mich schelmisch an.

„Stimmt.“

Nachdem ich alles verräumt hatte, machte ich mir einen Kakao, draußen war es doch ziemlich kalt geworden und ich musste mich wieder aufwärmen.

„Machst du mir auch einen?“, wollte Jonas wissen und legte mir von hinten die Arme um.

„Klar, aber dafür müsstest du mich kurz los lassen.“

„Nee, dann nicht.“, meinte er und schmiegte sich noch ein wenig fester an mich.

Deshalb hielt ich ihm dann meine Tasse hin. „Hier, du kannst was von mir haben. Aber sei vorsichtig, die Tasse ist sehr heiß.“

„Ich werde aufpassen.“, erklärte er und nahm mir vorsichtig die Tasse aus der Hand. Nachdem er ein wenig an der Tasse genippt hatte, stellte er sie wieder auf den Tisch. Scheinbar war der Kakao noch zu heiß, um etwas davon zu trinken.

„Sieh mal aus dem Fenster, Nic.“, meinte Jonas dann plötzlich. Als ich mich umsah, erkannte ich, was er meinte. Es hatte zu schneien begonnen! Dicke, weiße Flocken segelten vom Himmel und blieben auf dem Boden liegen. In der Zeit in der Jonas nur begeistert aus dem Fenster starrte, machte ich schnell noch eine Tasse Kakao.

„Ob es wohl an Weihnachten auch Schnee gibt?“

„Keine Ahnung, Nic. Ich weiß nur, dass es ein schönes Fest wird, wenn ich bei dir sein kann.“, ein wenig schüchtern sah er mich an.

„Sicher kannst du bei mir sein, ich wünsche mir doch selbst nichts mehr. Mit dir Weihnachten feiern, wäre das Schönste, was ich mir vorstellen könnte.“

Jonas lächelte einfach nur und schloss mich wieder in die Arme. „Komm gehen wir ins Wohnzimmer. Da ist es wärmer.“, meinte er und zog mich mit sich. Dort ließ er sich auf das Sofa fallen und sah zu mir.

„Komm her.“, meinte Jonas leise und streckte die Arme nach mir aus. Somit setzte ich mich neben ihn und ließ mich in seine Arme fallen. Als er mir über den Rücken strich, schauderte ich jedoch, Jonas Finger waren eiskalt.

„Frierst du?“, wollte ich dann von ihm wissen. Da Jonas nur nickte nahm ich seine Hände zwischen meine und versuchte sie ein wenig zu wärmen. In diesem Moment fiel mir auch noch etwas anderes ein.

„Warte mal kurz.“, meinte ich nur zu ihm und verschwand kurz in mein Schlafzimmer. Nach kurzem Suchen wurde ich auch fündig und zog die große Decke aus dem Schrank. Als ich wieder zu Jonas kam, saß er auf dem Sofa und rieb die Hände aufeinander. Ich setzte mich einfach neben ihn, zog ihn sanft mit dem Rücken gegen mich und legte ihm dann die Decke um. Es war einfach schön zu spüren wie sich Jonas an mich kuschelte. Nach ein paar Minuten bemerkte ich dann auch, dass seine Hände wieder warm wurden.

„Besser?“, fragte ich ihn leise.

„Ja. Du bist schön warm.“, antwortete er und lächelte.

Sehr lange saßen wir nun so zusammen und genossen einfach unsere Nähe und Wärme.

„Sag mal Nic, du wolltest doch heute kochen, oder?“

„Ja, schon. Warum?“

„Weil ich Hunger habe.“, grinste Jonas.

„Ist in Ordnung, dann werde ich mal kochen gehen.“, antwortete ich und versuchte aufzustehen. Doch Jonas hielt mich zurück.

„Nee, nicht so einfach weggehen. Ich möchte noch einen Kuss.“, erklärte er und blockierte meine Beine.

„Das lässt sich ohne Probleme machen.“, antwortete ich und küsste ihn zärtlich. Kurz darauf war ich in die Küche gegangen und hatte mit dem Kochen angefangen. Irgendwann suchte ich dann auch noch mein Handy heraus und rief meinen Vater und Lisa an. Doch ich erfuhr bei beiden nur, dass sie nicht kommen würden. Mein Vater war gar nicht zu erreichen und Lisa erklärte mir, dass sie erst spät Feierabend haben würde. Somit war es beschlossen, dass Jonas und ich alleine essen würden. Aber damit hatte ich nun wirklich kein Problem. Irgendwann öffnete sich dann die Küchentüre und Jonas kam herein.

„Hier riecht es ja schon sehr lecker.“, befand er und lächelte mich an.

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