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Ein Winterlied

Teil 7 - Vanillepudding und Erdbeersorbet

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Kommentar [Geschrieben von meiner Coautorin]

Das lang ersehnte neue Kapitel – spielt jetzt in Deutschland. Warum, werdet ihr nach und nach erfahren ^^

Zum Titel: Das Kapitel war fertig, gebetat auch, nun brauchten wir noch nen Titel… Beim Nachdenken meinte Scipio plötzlich „Vanillepudding“. Eigentlich fiel ihr das nur ein, weil sie den gerade aß. Ich hab noch Erdbeersorbet dazu getan, das ich gerade gemacht hab… und nach kurzem Überlegen haben wir das als Titel gewählt. Aber natürlich nicht einfach so, nein, uns fiel sogar noch ein Bezug zu „Ein Winterlied“ ein ^^ (vielleicht war es auch nur eine Ausrede um den lustigen Titel verwenden zu können XD).

Wer die Bedeutung des Titels errät (ja er hat wirklich eine XD), dem wird das nächste Kapitel gewidmet und er bekommt nen kleinen Gastauftritt in der Story ^^ In einem späteren Kapitel wird das dann auch aufgeklärt ^^ Tipp: Es hat mit den beiden Charas, also Alain und Caspar zu tun!

Tut uns Leid wegen der langen Wartezeit: Wir hatten beide wenig Zeit, und dann hatte Scipio lange Zeit eine Schreibblockade. Aber im November dachten wir uns dann, so geht’s nicht weiter, haben ein Brainstorming per Chat gemacht und innerhalb von anderthalb Chat-Sitzungen hatten wir plötzlich die komplette Storyline für die nächsten Kapitel ^^ Und dann ging es Schlag auf Schlag.

Von nun an geht es also auch wieder schneller voran!

Oh, und noch eine gute Nachricht: ich hab Scipio rumgekriegt XD Es gibt jetzt „Blut nur in erotischen Mengen“ (O-ton Scipio von der ersten Brainstorming-Chatsitzung XD) und ich konnte sie überzeugen, Alain nicht am Ende sterben zu lassen (endlich <_<)

 

Erschöpft strich Charlie sich ein paar Strähnen aus der Stirn, sah in den Spiegel, der über dem... versifften Waschbecken hing. Als etwas anderes konnte man diese Sanitäranlagen wirklich nicht mehr bezeichnen.

Die eiskalten Finger hielt er eine Weile unter den Wasserstrahl. Man, wie toll doch diese alten Waschbecken waren: ein Hahn mit kochend heißem Wasser, und etwa 30 cm davon entfernt ein Hahn mit Wasser, kurz vor dem Gefrierpunkt, vereint zu einem winzigen, dreckigen Waschbecken.

Er hatte hier also die Wahl, seine Finger entweder schockgefrieren zu lassen, oder sie sich zu verbrühen.

Da die Hände kalt waren, versuchte er sie abwechselnd, so lange wie gerade eben noch erträglich unter die Hähne zu halten.

Charlie... „der Freie ohne Erbgut“. Zum Lachen, wie passend das doch war.

Zitternd stapfte er zu den Toiletten, versuchte nichts zu berühren und riss sich angewidert ein großes Stück Toilettenpapier ab, das er in den Abfluss des Waschbeckens stopfte.

Nun konnte er endlich das Wasser auf erträgliche Temperatur zusammenmischen und sich die Hände aufwärmen und Schmutz und Schweiß der letzten Stunden abwaschen.

Tropfnass schmiss er sich dann auf die Bank im Umkleideraum und schloss für einige Augenblicke die Augen.

Er hasste es, nur weil er keine Identität hatte, in diesen heruntergekommenen Läden für einen Hungerlohn zu schuften.

Apropos Hunger: Sein Magen knurrte und machte ihn darauf aufmerksam, dass er im Moment keine Schlankheitskur nötig hatte.

Noch immer leicht tropfend, richtete er sich auf, zog sich sein Poloshirt und die Jacke, die er sich von seinem Lohn legal gekauft hatte, über.

Langsam und träge stapfte er auf den Ausgang zu und sah sich noch einmal um. Man würde kaum annehmen, dass sich in dieser verdreckten, abrissreifen Wellpappdach-Hütte ein „Filmstudio“ verbarg.

Das Studio an sich war gar nicht mal so hässlich. Es war sehr nett eingerichtet, hatte verschiedene, auswechselbare Kulissen und dahinter stand noch ein richtig modernes und freundliches Haus, in dem ab und zu gedreht wurde.

Was so widerlich war, waren die Toiletten und Umkleideräume. Nicht alle, nur die offiziell geschlossenen, für Schwarzarbeiter wie Charlie.

Es waren keine schmierigen Kleinmafiosi, die dieses Set führten, sondern offiziell gemeldete Regisseure, die hier jeden Tag verschiedene Erotikfilme und manchmal auch einfach nur sinnlose Pornofilme drehten.

Allerdings waren daher auch ständige Kontrollen, ob es Schwarzarbeiter gab, mindestens einmal im Monat an der Tagesordnung. Eine Zeit lang waren sie sogar fast täglich gekommen. Und nachdem sie Charlie und einige seiner illegalen Kollegen fast erwischt hätten, mussten sie in den „Außer Betrieb!“-Umkleideraum umziehen.

Dadurch hatten sie mit den anderen Schauspielern vor und nach dem Dreh nicht besonders viel zu tun, was allerdings meistens eher von Vorteil war.

Müde schlenderte Charlie den kleinen Waldweg auf und ab und wartete auf Christian, den jüngsten der vier Regisseure.

Er hatte versprochen ihn wieder mit in die Stadt zu nehmen.

Natürlich gab es dafür auch eine kleine Gegenleistung...

Morgen würde Charlie das erste Mal in einem der „seriöseren“ Filme mitspielen. Natürlich den größten Teil davon nackt und mit einem anderen Mann zusammen, aber dafür gab es auch eine Handlung, und das war bisher nicht selbstverständlich gewesen.

Erleichtert schloss er etwa zwei Stunden später die Tür zu seiner Wohnung auf. Er nannte es gern Wohnung, weil das einfach besser klang, aber eigentlich war damit ein Dachzimmer gemeint, in dem er ein Waschbecken, eine Toilette, einen alten Kühlschrank und eine Kochplatte besaß. Eine Dusche fehlte zwar, aber immerhin gab es warmes Wasser zum Waschen.

Und sein ganzer Stolz war eines dieser geschmiedeten Betten mit den beeindruckenden Kopf- und Fußenden, sowie eine dazugehörige Stehlampe (die einzige Beleuchtung). Diese Möbel hatte er in Sicherheit bringen können, als das Bett von der Kontrolle im Studio als „zu unsicher für zwei Personen“ erklärt wurde, und die Lampe hatte ihm Christian noch dazu gegeben, da sie nun nicht mehr zu der Einrichtung passte.

Alles war schlicht und billig, aber sauber. Jede Woche ging Charlie in einen Waschsalon, wusch dort seine Sachen und die Bettwäsche und fegte jeden Tag vor dem zu Bett gehen.

Letzteres hatte er sich recht schnell angewöhnt. Jeden Morgen machte er Sportübungen und war es inzwischen leid, jedes Mal bei den Liegestützen röchelnd abzubrechen, weil er mal wieder Staub im Hals hatte.

Sein Wechselpullover, seine zweite Hose und seine anderen Sachen hingen auf einem unter den Dachfirst geklemmten Besenstiel, auf selbst gebastelten Draht-Bügelhaltern.

An einem weißen Stück Stoff, in das einige Löcher geschnitten worden war, hingen einige Zettel mit Erinnerungen, wie: „Brot ist alle“, oder „Farbe und Pinsel kaufen!“

Letzterer hing bereits seit einer Woche nach Charlies Einzug dort. Denn egal wie sauber er seine Wohnung hielt, mit Wänden, von denen die Farbe abblätterte, sah wohl kein Zimmer besonders gemütlich aus.

Eine Weile stand er so im Türrahmen und sah auf sein Zimmer, dann rannte er los, stieß sich auf seinem Bett ab, griff nach einem Mauervorsprung und stemmte sich hoch.

Während er eine der ihn in der Luft haltenden Hände losließ und sich nur noch auf den anderen Arm stütze überlegte er, was er machen würde, wenn er sich verletzen würde oder einfach mal an den Falschen geriet, auf dem Heimweg...

Schnell griff er nach einer alten „Brandt Zwieback“-Dose und ließ sich auf das Bett fallen.

Es war so breit, dass es allein schon fast die Hälfte des Raumes einnahm.

Ein schneller Blick in die Dose zeigte ihm, dass er es sich durchaus leisten konnte, heute Abend mal wieder den Waschsalon aufzusuchen.

Schnell zog er die Sachen aus, die er nun seit einer Woche trug, und schmiss sie auf einen Haufen, zu dem sich gleich noch die Unterwäsche, das Bettzeug und ein T-Shirt gesellte.

Nackt, wie er war, wickelte er aus dem Bettlaken ein Bündel, ehe er sich etwas anzog, das nötige Geld aus seiner Kasse nahm und diese wieder in seinem Versteck für Bewegungsfaule verbarg.

Seine Unterwäsche reichte immer für genau eine Woche... wenn also etwas blöder Weise doch schmutzig wurde, musste er es im Waschbecken auswaschen.

Das Bündel über die Schulter geschmissen, rannte er die Treppe hinunter, grüßte die überrascht zurückschreckende Frau aus dem zweiten Stock höflich und sprintete den Weg zum Salon, um sich wenigstens ein wenig abzureagieren. Pornodarsteller war kein Job, in dem man Hyperaktivität ausgleichen konnte. Bis auf das bisschen Sex bestand das im Allgemeinen aus Warten, Proben und solchen Sachen.

Die junge Besitzerin des Waschsalons „Bleib Sauber“ (für den Namen konnte sie nichts, der Vorbesitzer hatte es so genannt, und bisher hatte sie weder die Schrift von der Scheibe kratzen können, die ungewöhnlich fest klebte, noch war ihr ein besserer Titel eingefallen, aber sie hoffte das bald zu ändern... seit 3 Jahren) lächelte freundlich, als sie ihn durch die Tür springen sah und kam hinter ihrem Tresen hervor. Das „Bleib Sauber“ war zugleich eine Bar, die sehr beliebt und immer überfüllt war, aber Andrea hielt mittwochs immer eine Maschine für Charlie frei.

Besagter Charlie ließ gerade sein Paket fallen und schloss Andrea kurz in die Arme, ehe er sich seiner Maschine zuwandte und die Wäsche einfüllte.

Andrea wusste, dass er kein Geld hatte, und hatte daher auch nichts dagegen, wenn er sich einfach ohne etwas zu bestellen zu ihr an die Bar setzte, sondern gab ihm sogar ab und zu, soweit sein Durst oder die Freude über das Geschenk seinen Stolz überwinden konnten, eine Cola aus.

„Na, Süße! Schon einen Namen für dein Lokal überlegt, damit ich endlich mal das Fenster freikratzen kann?“

„Nein Schatz, aber ich arbeite daran!“, tauschten sie ihre übliche Begrüßungsfloskel aus und lachten zusammen, während hinter ihnen die Waschmaschinen rumpelten.


Seufzend stopfte Caspar Wäsche und Arbeitskleidung in den Seesack, den ihm ein Arbeitskollege geliehen hatte. Irgendwie lief im Moment einiges nicht so, wie es sollte. Allein über seine berufliche Laufbahn konnte er nicht klagen, denn er war einer Anstellung in einem öffentlichen Krankenhaus, samt dem dazugehörigen hundsmiserablen Arbeitsvertrag, knapp entronnen und hatte nun, nachdem er seit über einem Jahr seine Lizenz besaß, bei einer Entzugsklinik hier in Hamburg beginnen können. Dabei hatte er sich noch zu Beginn seines Medizinstudiums nie vorstellen können, lauter Junkies zu betreuen – wenigstens in medizinischer Hinsicht –, doch „Alain“ hatte ihn und einige seiner Ansichten gründlich durchgerüttelt.

Einen Moment lang hielt er inne. Alain... Selbst jetzt, nach all diesen Jahren, konnte er den schwarzhaarigen Engel einfach nicht vergessen. Es war nun bereits solange her, dass Alain am Morgen nach Weihnachten ohne ein Wort spurlos verschwunden war und dennoch beeinflusste er Caspar in fast jeder Hinsicht, auf die eine oder andere – wenn auch nicht immer positive – Weise.

So hatte er beschlossen, dass die Lösung seines Problems mit den Drogen nicht deren vollständiges Ignorieren sein konnte. Stattdessen würde er nun zusammen mit sehr kompetenten Psychologen Süchtige auf ihrem Weg aus dem Drogensumpf begleiten und auf ein Leben ohne Drogen vorbereiten. Eine Zeit lang hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, doch lieber Psychologe zu werden, aber diese Flausen hatten ihm sein eigener Verstand und seine Mutter schnell wieder ausgetrieben. Er wusste ja selbst, dass er für diesen Beruf viel zu impulsiv und dominant war, manchmal wohl auch ein gewisses Maß an Taktgefühl vermissen ließ.

Und vielleicht… vielleicht war seine letzte Beziehung auch nicht daran gescheitert, dass er für seine Arbeit über den großen Teich und nach Hamburg ziehen wollte, sondern einfach, weil ihm klar geworden war, dass sie sich niemals hätten glücklich machen können – nicht wenn Caspar immer darauf achten musste, seinen Freund nicht innerlich mit Alain zu vergleichen, was ihm leider nur zu oft passiert war.

Trotzig schüttelte er den Kopf, versuchte zum millionsten Mal Alain wieder aus seinem Kopf zu vertreiben und packte noch einen Kittel in den Seesack, der schon aus allen Nähten zu platzen schien, weil der junge Arzt dank der zeitintensiven Einarbeitung in sein neues Berufsumfeld und seiner ersten Fälle schon zwei Wochen lang nicht zum Wäschewaschen gekommen war.

Zum Glück war die Sprachbarriere nicht ganz so schlimm gewesen wie vermutet, besonders da er bereits in der Schule begonnen hatte, Deutsch zu lernen, aber perfekt konnte er es deshalb leider noch lange nicht und es gab zudem auch eine wahre Unmenge medizinischer Fachbegriffe, die nicht lateinisch waren, sondern in die jeweilige Landessprache übersetzt wurden, welche er noch lernen musste. Dass dann gestern, als er diese unvermeidliche Aufgabe nachholen wollte, auch noch seine Waschmaschine den Geist aufgegeben hatte, war da nur noch die überreife Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Wer auch immer behauptet hatte, die Chaostheorie sei nur ein Hirngespinst, hatte wohl nie wirklich gelebt...

Zum wiederholten Male aufseufzend zurrte er den Seesack zusammen, schleifte ihn über den Parkettboden aus nicht sehr teurem, aber immerhin gut aussehendem Holz und schnappte sich noch schnell Schlüssel und Portemonnaie, bevor er den Seesack auf seinen Rücken hievte und feststellte, dass jeder Gewichtheber seine helle Freude daran gehabt hätte. Aber vielleicht sollte er sich nach dem Umzug vor einem Monat auch nur endlich ein neues Dojo suchen, in dem er wieder ordentlich trainieren konnte…

Während die Tür seiner Wohnung hinter ihm ins Schloss fiel, sprang er die Treppen hinunter, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, bis er vor seinem BMW stand. Der war nun auch schon mehr als ein paar Jährchen alt und trotzdem noch immer sein unbestrittener Liebling unter den Vierrädern, außerdem passte er ja irgendwo zu seiner neuen Wahlheimat. Und es ging nun einmal einfach nichts darüber, nach Feierabend mit eingelegter CD nach Hause zu fahren.

Nachdem der Kleidersack seinen Weg unsanft auf den Beifahrersitz gefunden hatte, kramte er noch einmal aus der hinteren Hosentasche den Zettel hervor, auf dem er die Adresse eines viel versprechenden Waschsalons inklusive kleiner Bar aufgeschrieben hatte.

Kritisch beäugte Caspar die Schaufenster, auf denen in großen Lettern „Bleib sauber“ stand. Ob sich das auf die Rechtschaffenheit oder die Hygienegewohnheiten der Kunden bezog, wollte er lieber nicht so genau wissen – in einer Stadt wie Hamburg war alles möglich, auch wenn „sein“ Viertel – Blankenese – schon zum wohlhabenden „Speckgürtel“ gehörte. Außerdem meinte er, erst vor wenigen Monaten einen Artikel in der Zeitung gelesen zu haben, indem es darum ging, dass irgendwelche Mafiosi ihr Geld mit Restaurants und eben auch Waschsalons „gewaschen“ hatten.

Da der Waschsalon letztendlich aber trotzdem recht seriös aussah und dank der Bar auch eine ziemlich gute Stimmung zu herrschen schien, zuckte er nur mit den Achseln und drückte die Tür auf. Beinahe wäre er dabei in einen gut aussehenden wenn auch etwas zu schlanken jungen Mann mit blutrotem Haar und stechend grünen Augen gerannt. Glücklicherweise konnte er jedoch noch im letzten Moment zur Seite ausweichen, während sich der andere mit einem entschuldigenden Murmeln an ihm vorbeidrängelte und nur einen sehr kurzen Blick an ihn verschwendete.

Irritiert blieb Caspar mitten in der Tür stehen und sah dem jungen Mann nach. Einerseits war er sich relativ sicher, den Grünäugigen nicht zu kennen und andererseits hatte er das Gefühl, ihn irgendwann schon einmal gesehen zu haben. Nach einem Moment schüttelte er schließlich den Kopf und trat vollends in den Waschsalon. Vielleicht hatte er den anderen ja auch nur einmal flüchtig im Supermarkt gesehen. Schließlich wohnte er erst seit einem Monat hier, da kannte man eben noch nicht so viele Gesichter – besonders in einer Großstadt wie Hamburg. So oder so war seine Schmutzwäsche und besonders seine Arbeitskleidung jetzt wichtiger. Ein Arzt im Schmuddellook kam wohl nicht so wirklich gut bei der Klinikdirektion an und ein „gefeuert nach einem Monat Probezeit“ auf seinem Lebenslauf war sicher auch nicht das, wovon er nachts am liebsten träumte.


Todmüde saß Charlie am nächsten Morgen im Bad des großen Hauses. Irgendeine Assistentin, die er noch nie gesehen hatte, meinte, sie würde ihm sein Kostüm auftreiben und ihm dann auch gleich sagen, in welchen Raum er zuerst musste. Und worum es in dem Film überhaupt gehen sollte! (Dass der Text spontaner klingen sollte, indem man die Schauspieler improvisieren ließ, hatte ihm Christian gestern Abend beim... Spielen... schon verraten.)

Hoffentlich war wenigstens sein Partner gut. Aber wie er sein Glück kannte, war das sicher einer dieser Schauspieler, der das hier nur als Vorstufe zu einer bahnbrechenden Hollywoodkarriere sah. Quasi zum Sammeln von Erfahrung, Hemmschwelle abbauen und Budget, für die perfekten Traumvillen zu der eigenen Genialität passend...

Charlie hatte für diese Typen, mit denen er zum Glück nichts weiter zu tun hatte, bestenfalls Mitleid übrig. Denn die meisten von ihnen würden mit 40 eines Morgens aufwachen und feststellen, dass alle ihre Träume schon längst begraben waren und sie inzwischen selbst für das Pornogeschäft zu alt wurden.

Er selber konnte dann wenigstens auf sein Leben zurücksehen und feststellen, dass er sich, trotz vieler Probleme, nie selber belogen, oder falsche Hoffnungen gemacht hatte.

Völlig in Gedanken schreckte er mit einem leisen Schrei auf, als die Assistentin (Claudia, vollbusig, blond, vollbrot... wahrscheinlich nur die momentane Affäre des Bosses) vor ihm stand, mit einem Zettel in der Hand.

“Du bist... Charlie, oder”, las sie den Namen vom Zettel ab.

“Nein! Scharrliie!”, korrigierte Charlie Claudia mit übertrieben starkem französischem Akzent.

“Egal, Scharli! Jedenfalls hat Sean gesagt, dass du in dem Film heute doch nicht mitspielen sollst, weil man jemand anderen gefunden hat, der besser in die Rolle passt.

Aber er hat gesagt, dass es heute noch ein Shooting gibt, für einen Fotoband. Und der Fotograf ist noch auf der Suche nach einem jungen Modell.

Dein Partner dafür kommt erst in zwei Stunden, aber du sollst schon mal mit den Solofotos anfangen. Raum 13. Nackt. JETZT!”

Sie packte ihren Zettel wieder ein und verschwand aus dem Raum. Wahrscheinlich hatte sie Charlie die Namenskorrektur übel genommen. OK. Vielleicht hatte er zu sehr geklungen, als hielte er sie für beschränkt (was er auch tat). Aber er hasste es, wenn Namen verunstaltet wurden.

Schnell ließ er seine Sachen zu Boden gleiten, schnappte sich einen der für die Allgemeinheit herumhängenden Bademäntel und machte sich barfuß auf die Suche nach Raum 13.

Fotos waren mal was anderes. Das hatte er zwar noch nie gemacht, aber er stellte sich das nicht so besonders schwer vor.

Der Fotograf war ein hyperaktiver kleiner Spanier, der ihm als erstes erklärte, dass das nicht einfach irgendwelche Pornofotos werden sollten, sondern echte Kunst. Seine Bildbände wären sehr bekannt und beliebt, seine Kalender Kassenschlager... das waren jedenfalls die Hauptinformationen, die Charlie aus dem Redefluss zog, der durch den starken Akzent sehr schwer verständlich wurde.

Gleichgültig warf er seinen Bademantel auf einen kleinen Tisch neben der Fotoausrüstung und schmiss sich, immer noch kurz vor dem Einschlafen, in einen Sessel.

Ein Blitz riss ihn sofort aus seiner Lethargie.

Sofort setzte er sich ordentlich hin.

“Sorry. Wollen Sie sofort anfangen?”

Juan bestätigte das zwar, wuselte aber sofort wieder um Charlie herum, verstrubbelte seine Haare mit etwas Haarwachs (Gel, wie er erklärte, machte die Frisur so hässlich aufgesetzt, dass er am liebsten kotzen wollte, weshalb er immer darauf bestand, seine Models selbst zu stylen, da die ganzen Stylisten das nie einsahen).

Die Zeit rannte, als hätte sie einen Termin einzuhalten.

Völlig überrascht bemerkte Charlie, dass die zwei Stunden um sein mussten, als es an der Tür klopfte.

Es hatte ihm unerwarteter Weise wirklich Spaß gemacht mit der Kamera zu spielen, sie mal scheinbar hinter seine Fassade sehen lassen und dann wieder nur seinen Eispanzer erahnen zu lassen.

Juan war begeistert um ihn herumgerannt.

Das Zimmer war auch ein wirklich interessanter Hintergrund.

Ein kleiner Raum, im verspielt romantischen Stil der verfallenen kubanischen Häuser, mit einem riesigen Fenster, mit filigran geschmiedetem Fensterkreuz und hohem Bogen, ein breites Eisenbett, dem nicht unähnlich, das in Charlies Zimmer stand, mit verspielt verwüsteter, blutroter Bettwäsche und abblätternder Farbe am Gestänge, ein alter, schief hängender Spiegel und ein Loch im Dach, über dem von außen zwar eine kleine Glaskuppel den Regen abhielt, die man allerdings von innen nicht sehen konnte.

Gerade blickte Charlie todtraurig in den Spiegel, die beständig klickende Kamera hinter ihm ignorierend, als sie gestört wurden.

Entsprechend ungehalten rief Juan auch sein “Komm rein!” in Richtung der Tür.


Tief atmete Caspar noch einmal durch. Mut hatte er sich ja schon gestern angetrunken und jetzt gab es sowieso kein Zurück mehr. Das würde Juan ihm wohl auch ziemlich übel nehmen. Und bei dem typisch spanischen Temperament, das der an den Tag legte... nun, Caspar konnte jedenfalls darauf verzichten, sich den Unmut des kleinen Spaniers zuzuziehen, den er noch aus Amerika kannte. Außerdem hatte er nun einmal dummerweise versprochen, dass er sich von ihm ablichten ließ, und ein Versprechen zu brechen, das war einfach nicht seine Art. Blieb nur zu hoffen, dass keiner seiner Kollegen Juans Bildband zu Gesicht bekommen würde...

Höflich klopfte er an, da er wusste, dass sein Partner wohl bereits seit einiger Zeit von Juan gequält wurde und er erinnerte sich noch genau daran, wie Juan einmal tagelang nicht mehr mit ihm gesprochen hatte, weil er einmal unbedacht die Tür geöffnet und mit dem plötzlichen Lichteinfall ein paar Aufnahmen versaut hatte. „Ich bin’s, Juan, kann ich reinkommen?“, rief er noch hinterher, zupfte den Bademantel zurecht, der ihm ein wenig zu kurz war.

Ein wenig musste er lächeln, als er Juans grantigen Tonfall registrierte, dann trat er noch ein wenig nervös ein. „Da bin ich“, grinste er schief und wollte gerade auch seinen Partner begrüßen, als er verblüfft innehielt.

Kam ihm der blutrote Haarschopf mit den hellen und dunklen Strähnchen nicht irgendwie verdammt bekannt vor? „Äh... hallo...“, sagte er schließlich mit einem Kopfnicken, noch immer ein wenig aus dem Konzept gebracht. „So sieht man sich wieder...“

Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als ihn die grünen Augen im Spiegel fixierten und sich der Jüngere erst nach einigen weiteren Sekunden tatsächlich zu ihm umdrehte, um ihm still zuzunicken. Wie ein Häschen vor dem hypnotisierenden Blick der Schlange stand er einige Augenblicke lang einfach nur still da. Er kam sich zwar ziemlich lächerlich vor, wie er da so herumstand, war er doch nicht nur älter und größer, sondern auch muskulöser, selbst wenn der andere, seinem Körperbau nach zu urteilen, sicher auch kein Schwächling war. Er hatte diesem einnehmenden Blick einfach nichts entgegenzusetzen.

Plötzlich war ihm der Gedanke, sich nackt mit einem anderen Mann vor Juans Argusaugen herumzuwälzen, jedenfalls gar nicht mehr so unangenehm, wenn er sich so anschaute, mit wem er sich herumwälzen sollte.

„Ich bin Caspar“, sagte er schließlich lapidar, weil ihm auf die Schnelle nichts Einfallsreiches auf der Zunge lag und es zumindest die Stille brach. Dann aber wandte er sich schnell zu Juan um: „Also, was soll ich tun?“


Charlie ließ seinen Blick scheinbar gleichgültig über die schlanke Gestalt des Mannes streifen.

Ein bitteres Lachen stieg in seiner Kehle auf, das er allerdings unterdrücken konnte. Da verließ er schon den Kontinent, schuf sich ein neues, besseres Leben und versuchte alles, was vorher gewesen war, zu vergessen, und dann stolperte dieser Idiot einfach so in seine neue Welt und ließ alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.

Er wusste genau, dass Caspar alles zerstören konnte, wenn er nur wollte.

Allerdings... was sollte ihm schon groß passieren?

Für ein Kinderheim war er inzwischen zu alt. (Und selbst wenn nicht, hatte er doch auch keine Papiere, anhand derer festgestellt werden könnte, dass er die 18 noch nicht überschritten hatte.) Nach seiner eigenen Rechnung musste er inzwischen etwa 19 Jahre alt sein.

Außerdem hatte er sich in den letzten vier Jahren so stark verändert, dass Caspar ihn unmöglich wiedererkennen konnte:

Seine Haare waren ganz anders geschnitten, inzwischen auch gefärbt, er trug gefärbte Kontaktlinsen, war ein ganzes Stück gewachsen und auch seiner Stimme hatte er einen leichten französischen Akzent antrainiert, der sie zusammen mit dem um fast eine Oktave senkenden Stimmbruch nicht wiedererkennbar machte.

Während Caspar mit Juan sprach, betrachtete der Junge nun den Anderen heimlich.

Älter war er geworden, erwachsener. Die Haare waren gestutzt und fielen ihm jetzt in einem modischen Kurzhaarschnitt in weichen Wellen um das Gesicht.

Juan hatte sich inzwischen auch Charlie zugewandt und verteilte nun in seiner hektischen Art Anweisungen, wo und wie die beiden posieren sollten.

Gleichgültig zuckte Charlie mit den Schultern und machte sich auf zum Bett, in dem wohl die meisten Bilder heute gemacht werden sollten.

„Die nächsten Bilder müssen vor Liebe und Sex nur so sprühen!“, verkündete der kleine Spanier wild lachend und sprang wieder zu seinen Kameras, um diese schnell einzustellen, kam zurück, schob Charlie auf dem Bett hin und her, veränderte die Lichtquelle, rannte zu Caspar um ihm die Haare auch noch ein wenig zu verwuscheln...

Charlie schloss die Augen aus Angst, wenn er weiterhin diesem quirligen Kerl mit Blicken folgte, würde ihm schwindlig werden.

Ruhig auf dem Bett sitzend wartete er und öffnete erst wieder die Augen, als sich eine warme Hand auf seine Brust legte.

Erschrocken zuckte er zurück. Juan hatte sich ihm bis auf ein paar wenige Zentimeter genähert und blickte forschend in sein Gesicht.

„Komm mal mit hier rüber und such dir was zum Anziehen raus!“, ordnete er an und zerrte Charlie zu einer Kiste.

„Die Nacktbilder machen wir nachher, wenn ihr euch aneinander gewöhnt habt. Wenn man gleich als erstes mit so was anfängt, sehen die Bilder dann immer so verkrampft aus.“

Allerdings ließ der Fotograf Charlie auch keine Gelegenheit, sich selber etwas auszusuchen, da er sofort auf Tauchgang ging und kurz darauf mit zwei Stücken Stoff wieder auftauchte.

Das eine war ein schwarzes Shirt mit dreiviertel Ärmeln und sehr breitem U-Boot-Ausschnitt, der Charlies Schultern frei ließ.

Dazu musste er sich in eine Hose zwängen (ohne Unterwäsche natürlich), die wohl noch eine Kindergröße haben musste.

Es war eine eng anliegende, schwarze Stoffhose, die sich, nach ein wenig rumruckeln, perfekt um seinen Hintern schmiegte und diesen betonte.

Während Juan ihn noch weiter befummelte und hier und da etwas zurechtzupfte, ließ Charlie seinen Blick wieder über Caspar gleiten, der inzwischen auch eingekleidet worden war.

Er trug einen recht teuer aussehenden Anzug, sein Haar war inzwischen ordentlich zurückgekämmt und der arme kämpfte gerade mit seinen Manschetten.

Doch Charlie war offensichtlich noch nicht gut genug für Juan, denn dieser zerrte ihm den Pulli wieder über den Kopf und drückte ihm ein weißes, dünnes Hemd in die Hand.

Als er es, wie Caspar, zuknöpfen wollte, bekam er von dem kleinen Spanier einen Klaps auf den Hinterkopf.

Kurz darauf hockte der Junge nun wieder auf dem Bett, wartend, wie es jetzt weitergehen sollte und döste vor sich hin.

„Dann machst du am besten so was...“ erklang Juans Stimme kurz darauf dicht neben Charlies Ohr, und ein paar Arme schlang sich liebevoll um ihn, heißer Atem strich über seine Brust, doch Juan verschwand auch sofort wieder.

„So. Kleiner, du kniest dich einfach normal auf das Bett, damit sich Caspar auf deine Knie setzten kann, dann macht ihr das so wie eben... ach was red ich! Fangt einfach an! Wir haben schon genug Zeit vertrödelt!“

Erleichtert tat Charlie, worum Juan gebeten hatte, zupfte das offene Hemd noch einmal zurecht und sah Caspar entgegen, der sich dem Bett näherte.


Unsicher zupfte Caspar das Jackett zurecht, allerdings mehr um Zeit zu schinden, denn der Anzug saß nahezu perfekt. Es erleichterte ihn, dass Juan sie nicht sofort ins kalte Wasser stoßen wollte und er am Anfang noch bekleidet bleiben würde, und dennoch...

Ein wenig verwirrt über sich selbst, schüttelte er leicht den Kopf - er war doch sonst auch kein Angsthase, warum also war er jetzt so verdammt nervös? Lag es wirklich nur an der Tatsache, dass er sich völlig nackt ablichten lassen würde und die entstehenden Bilder, in Form eines Bildbandes, höchstwahrscheinlich rund um den Globus erhältlich sein würden?

/Nein/, gestand er sich. Natürlich war auch das ein nicht unbedeutender Grund, aber vor allem irritierte ihn der junge Mann, der nun unschuldig und zugleich verrucht auf dem Bett kniete und ihm mit seinen tiefgrünen Augen abwartend entgegenblinzelte. Noch immer hatte er das Gefühl, ihn kennen zu müssen, obwohl er sich gleichzeitig recht sicher war, ihn nie gesehen zu haben. Er hätte nur ein Fremder für Caspar sein sollen, mit dem er sich mal eben ein paar Stunden nackt vor der Kamera räkeln musste, aber er wirkte so seltsam vertraut...

Er seufzte leise, als er merkte, dass seine konfusen Gedanken zu nichts führten und nahm die Position ein, die Juan vorgeschlagen hatte, legte seine Arme vorsichtig um den schlanken Mann. Der Körper des Jüngeren fühlte sich gut an. Er hatte die richtige Größe, war schlank aber sehnig, schien perfekt in seine Arme zu passen, als wären sie nur für jenen gemacht. Leicht rückte er sich zurecht, streifte dabei mit der Wange das weiche Haar, während sich seine Finger vorsichtig auf den weichen, leicht ausgekühlten Bauch legten. Leise atmete er aus, ohne zu bemerken, dass er unwillkürlich die Luft angehalten hatte.

Juan kam noch einmal zu ihnen und korrigierte ihn ein wenig, wobei er vor allem Caspars Hände versetzte, sodass er nun über ihn gebeugt hinter ihm kniete und ihn von hinten leicht an seinen Brust drückte, ihn regelrecht umschlungen hielt, als wolle er allen klarmachen, dass dieser Junge seine „Beute“ war oder als wolle er ihn im nächsten Moment mit Haut und Haar auffressen – denn von „vernaschen“ konnte bei dieser Pose keine Rede mehr sein. Der Blonde spürte, wie sich sein Pulsschlag erhöhte, versuchte eine kleine lose Strähne zu ignorieren, die leicht kitzelnd über seinen Hals strich. Stattdessen konzentrierte er sich einfach auf den jungen Mann in seinen Armen, der die Volljährigkeit noch nicht vor allzu langer Zeit erreicht haben konnte – aber solange er nur volljährig war, machte sich Caspar da nicht allzu viele Gedanken. Es war schließlich nicht sein Bier, warum der Junge hier war, er würde schon wissen was er tat.

„Gut so. Du machst das klasse, Kleiner... Jetzt fangt an, miteinander zu agieren, bewegt euch gegeneinander, berührt euch, spielt miteinander, was immer euch gefällt... Und Caspar! Versuch etwas dominanter zu sein, okay?“, wies Juan sie an, doch es klang mehr dahingemurmelt. Wie immer konzentrierte sich der kleine Spanier nun fast vollständig auf seine Bilder, ließ seine Models freien Lauf, um die passenden Momente abzupassen, wenn er den Auslöser betätigte.

Während der Kleine ungeniert loslegte, sich in seinen Armen räkelte und wand und ihn dabei immer wieder wie unbeabsichtigt berührte, hielt sich Caspar anfangs noch zurück – dann allerdings wurde ihm klar, dass seine Scham völlig unangebracht war. Immerhin war der Junge volljährig, er tat dies alles freiwillig und außerdem würden sie nur zu bald schon völlig nackt „miteinander agieren“, also waren diese Berührungen noch regelrecht zahm. Plötzlich aber griff der andere mit einer Hand hinter sich in Caspars Nacken, zog ihn auf diese Weise näher an sich und fuhr träge durch die blonde Haarflut, welche dabei leicht raschelte wie feine Seide. Leise seufzte Caspar. Es schien, als hätte der Junge mit dieser einfachen Geste nicht nur seine Frisur in nichts aufgelöst, sondern auch Caspars Zurückhaltung...

Weitaus direkter als noch zuvor begann er mit seinen Lippen über den weißen Hals und die Schulter zu streichen, warf ab und zu herausfordernde Blicke in die Kamera und genoss den sanften Geruch des anderen, der ihm so verführerisch in die Nase stieg. Ein wenig ungeduldig zog er das leichte Hemd Stück für Stück zurück, bedachte jedes neue Fleckchen Haut mit Aufmerksamkeit, vergaß auch die bereits entblößten Stellen nicht. Auf einmal machte ihm die Sache hier wirklich Spaß und es fiel ihm schwer, nicht zu vergessen, dass alles hier nur für die Kamera war und er sich der verführerischen Art des noch immer Namenlosen nicht zu sehr hingeben durfte, wenn das Ganze hier nicht peinlich für ihn enden sollte. Trotzdem fragte er sich einen Moment lang, ob der Grünäugige wohl etwas dagegen hatte, ihr kleines Spiel hier später, nach getaner Arbeit, irgendwo anders fortzusetzen, wo nicht jede ihrer Bewegungen akribisch von einer Kamera festgehalten wurde...


Charlie bot alles auf, was er sich in langen Jahren an Verführungskünsten angeeignet hatte, und als er einmal in einer zufällig erscheinenden Geste über Caspars Schritt strich, konnte er ganz deutlich fühlen, dass diesen das keineswegs kalt ließ.

„Voulez-vous coucher avec moi, ce soir?“, schnurrte er ihm dunkel ins Ohr. Er bezweifelte zwar, dass Caspar besonders gut französisch sprach, aber diesen Satz konnte doch inzwischen JEDER übersetzen. Das Lied „Lady Marmalade“ war einfach zu bekannt! Charlie lachte leise, als er die Gänsehaut bemerkte, die dem Mann bei diesen Worten über den Rücken rann. Also hatte der ihn wohl verstanden?

Er schaffte es, seine Finger unter das noch immer ordentlich sitzende Hemd zu schieben und strich über die heiße Haut, fuhr leicht kitzelnd über den Bauchnabel und begann von unten nach und nach alle Knöpfe zu öffnen, Caspar von unten her, durch seine dichten dunklen Wimpern, ansehend.

Er genoss das Spiel. Er, als der kleine, unschuldige Schutzbedürftige... und doch war er der einzige, der über den anderen Bescheid wusste, und der wusste, wie er den anderen um den Verstand bringen konnte.

Wie lange würde es wohl dauern, bis Caspar völlig die Beherrschung verlor und über ihn her fiel, ohne auf Juans Anwesenheit zu achten?

Geheimnisvoll lächelnd stieß sich Charlie von Caspar ab, ließ sich nach hinten aufs Bett fallen und begann, Caspar unter seinem Pony hervor beobachtend, sich selbst sanft über die Brust zu streicheln, spielte scheinbar gedankenverloren mit seinen Brustwarzen.

Doch bevor Caspar reagieren konnte, ging Juan dazwischen:

„Jungs! Ihr sollt MITEINANDER spielen! Nicht jeder für sich! Die Solofotos von dir hab ich vorhin schon gemacht, Kleiner! Los! Zieht euch jetzt aus...

Es fiel Charlie zwar schwer, aber er riss sich zusammen. Während der Nacktaufnahmen hielt er sich zurück, ließ sich zwar von seinem Partner umgarnen und spielte die perfekte Rolle, versuchte allerdings nicht mehr, Caspar zu etwas zu verführen, was diesem hinterher leid tun würde. Dieser hatte offensichtlich Hemmungen, so dass Charlie nur das Gefühl hatte, ihn unsicherer zu machen, wenn er sich wieder richtig an ihn „rangeschmissen“ hätte. Viel schöner war es doch, sich in seinen begehrlichen Blicken zu aalen und räkeln. Natürlich war es sehr komisch, sich einfach auszuziehen und weiter zu machen, als hätte man nur das Kostüm gewechselt. In den Filmen, die er bisher gemacht hatte, war das immer viel einfacher gewesen: Man zog sich gegenseitig aus beim Sex. Dabei konnte man die Kamera komplett ausblenden und musste sich nicht in emotional „abgekühlten“ Zustand wieder voll ins Geschehen und die Arme des anderen werfen.

Als sie fertig waren mit den Fotos, wurde Caspar noch da behalten, da es auch von ihm Solofotos geben sollte, und Charlie ging sich so schnell wie möglich umziehen und verschwand aus dem Studio, um Caspar nicht noch einmal begegnen zu müssen.

Natürlich war es albern, aber diese Angst, von Caspar erkannt und in sein altes Leben zurückgezerrt zu werden, blieb.


Caspar war während seiner Solo-Aufnahmen nicht richtig bei Sache, da er ständig diesen einen Satz in seinem Kopf widerhallen hörte: ‚Voulez-vous coucher avec moi, ce soir?’

Andererseits machte ihn allein die Vorstellung so scharf, dass er sich wohl ganz von allein ziemlich aufreizend und lustvoll bewegte – jedenfalls war Juan eindeutig begeistert, redete immer wieder von verstecktem Potential und er hätte es ja gewusst, aber er wäre ja schließlich auch nicht umsonst ein weltbekannter Fotograf und so weiter und so fort.

/Ob er das Angebot ernst gemeint hat? Oder ist das so ein Insider-Trick, und er hat das nur für die Aufnahmen gesagt, damit meine Lust echt wirkt?/, grübelte er, während er sich eher nebenbei für Juan räkelte und streckte, was diesem ja nur recht sein konnte, da es so bedeutend natürlicher und unverkrampfter aussah, als wenn er noch immer die ganze Zeit vor Scham im Boden versinken wollte.

/Aber hätte er nicht gewartet, wenn er das ernst gemeint hat? Oder hat er mir vielleicht einen Zettel mit seiner Adresse oder wenigstens Handynummer in der Umkleide dagelassen?/, überlegte Caspar weiter, seufzte dann frustriert auf. Zum Glück schien Juan nun langsam doch noch fertig zu werden...

„Was ist?“, wollte dieser schließlich auch wissen, wechselte dabei in Caspars Muttersprache, während er Kamera und Zubehör abzubauen begann, ihm nebenbei den Bademantel reichte.

Zögernd sah Caspar ihn an, fragte dann aber doch: „Wer... war das eigentlich, vorhin?“

„Der Kleine? Das wüsste ich auch gerne, glaub mir! Von rattenscharf bis unschuldig-süß scheint er ja alles im Repertoire zu haben... ein Traum für jeden Aktfotografen!“, schwärmte Juan, während Caspar nur die Augenbraue hob. Wer sagte denn heute noch „rattenscharf“?

„Ich weiß nur, dass er wohl schon ne Weile im Geschäft ist. Hab ihn jedenfalls wärmstens empfohlen bekommen... Er heißt ‚Charlie’ – oder zumindest nennt er sich so. Pseudonyme sind hier ja nicht unüblich. Hm, und seinem Akzent nach scheint er Franzose zu sein... oder zumindest aus einem Land zu kommen, in dem Französisch gesprochen wird...“

„Toll!“ Genervt verdrehte er die Augen. Bis auf den Namen hätte er da auch selber drauf kommen können. Und allein ein Vorname nützte ihm sowieso nichts, wenn er nicht ein paar Leute des Business ausfragen wollte. Und er war sich ziemlich sicher, dass er das nicht wollte, denn er war vielleicht nicht prüde, aber zumindest hatte er ein ausgeprägtes Schamgefühl, wenn er nicht gerade mitten beim Vögeln war – der typische Durchschnitts-Amerikaner eben. Na ja, wenn er sich daran erinnerte, was er bis eben noch so vor der Linse getrieben hatte, vielleicht doch nicht ganz so durchschnittlich...

Unschlüssig stand er da, verknotete nachlässig den Bademantel, da Juan ohnehin wusste, wie er nackt aussah. Was sollte er jetzt tun? Juan bitten, ein paar Erkundigungen für ihn einzuholen? Nein, das war ihm dann doch zu peinlich. Der Kleine reizte ihn zwar in vielerlei Hinsicht, er sah gut aus und fühlte sich gut an, aber... er würde schon noch eine andere Möglichkeit finden, an ihn ranzukommen als über Juan und die halbe Pornoindustrie...

Nach ein wenig Smalltalk und Juans wortreichen Versprechen, ihm eines der ersten Exemplare des Bildbands druckfrisch und natürlich mit Autogramm zukommen zu lassen, konnte er sich endlich loseisen und in der Umkleide verschwinden, denn so langsam wurde ihm kalt.

Einen Zettel oder etwas dergleichen fand er nicht...

Enttäuscht ließ er die Schultern hängen, zog sich dann rasch um. /Man kann eben nicht alles haben.../

Seufzend holte er noch den Rucksack aus dem Schließfach, dann verließ er die Umkleide so rasch er konnte, da ihm ein halbnackter... Schauspieler, der gerade aus der Dusche gekommen war, ein sehr eindeutiges Angebot gemacht hatte...

/Als hätte der heute nicht schon genug gevögelt!/, dachte er ein wenig mürrisch, weil er innerlich doch irgendwie darauf gehofft hatte, heute Abend die verschiedenen Posen des Shootings mit Charlie noch ein wenig eingehender zu... üben...


Als er endlich zu Hause angekommen war (zu Fuß diesmal, was etwa anderthalb Stunden gedauert hatte), schnappte er sich sofort seinen Französischkurs, den er zwar nicht direkt legal ergattert hatte... aber wer ließ so was auch am Spielplatz liegen, wenn man lieber mit dem (wahnsinnig großen) Hund spielen wollte?

Charlie hatte sein Gewissen einfach damit getröstet, dass er dem Herrn, der nicht so aussah, als würde ihn der Verlust eines Kurses und eines uralten, kurz vorm zusammenbrechen stehenden Discman in große Armut stürzen, eine Lektion erteilt hatte, und dass der hoffentlich das nächste Mal, sein hässliches Riesenkalb an die Leine nehmen würde, wenn Kinder in der Nähe waren.

Zum Glück war das noch in Amerika gewesen... sonst hätte er sicher Probleme bekommen, zwei Fremdsprachen auf einmal zu lernen.

Er war eigentlich überrascht, wie leicht es ihm fiel, sich den fremden Wortschatz und Akzent anzugewöhnen.

Er war auch mal in ein Kino gegangen, in dem ein französischer Film lief, um sich ein paar Gesten abzugucken, um etwas darüber herauszufinden, wie er sich noch glaubhafter als Franzose darstellen konnte... aber zu dem Zeitpunkt war er einfach noch nicht gut genug in deutsch gewesen, um die Filmbeschreibung zu verstehen...

Woher hätte er denn bitte wissen sollen, dass das ein Pornofilm war?

Na ja... immerhin hatte er danach einen recht netten One Night Stand mit seinem Sitznachbar, der wohl keine Sekunde daran zweifelte, einen Franzosen vor sich zu haben.

Mit Stöpseln in den Ohren, wanderte er auf und ab, immer wieder die Sätze wiederholend, die die angenehme Frauenstimme geduldig immer und immer wieder vorsprach, immer schneller werdend, bis die einzelnen Worte zu langen Melodien verschmolzen.

Natürlich hatte er den Kurs schon oft gemacht, aber immer, wenn er unsicher wurde, wenn er Angst bekam, entdeckt und enttarnt zu werden, ließ er sich von Erklärungen zu Land, Leuten, und den Vorlieben, Abneigungen und Verwandten der sehr freundlichen Madame Soureau berieseln, bis er das Gefühl hatte, selber dort zu leben, und nie etwas anderes gesprochen zu haben, als das klangvolle und melodische Französisch.

Seinen Namen hatte er sich übrigens von Mme. Soureau´s Cousin 3. Grades geborgt.

Nachdem er noch drei, oder vier mal wiederholt hatte, wo er wohnte, wie die Gegend aussah, und wie toll doch die Innenstadt von Paris war, was es dort alles zu sehen gab, und wonach es roch, schlief er, mit dem Kopfhörern noch im Ohr ein, während Mme. Soureau ihm beschrieb, wie ihr Lieblingsladen in St. Germain aussah.


Unzufrieden ging Caspar noch einmal zum Ort des Geschehens, um sich endgültig zu verabschieden, doch Juan war nirgends zu sehen. Nur seine erst halb verstauten Utensilien waren über den ganzen Raum verstreut.

Abwartend setzte er sich daher auf einen Sessel. Juan würde sicher gleich wiederkommen, weil er seine Ausrüstung einfach nie lange aus den Augen ließ – besonders wenn es um noch nicht entwickeltes Bildmaterial ging – also konnte er auch noch kurz warten. Seinen Gedanken freien Lauf lassend, ließ er auch seinen Blick umherschweifen, doch alles, was er sah, war bereits vergangen: Er sah sich wieder, wie er Charlie vor der Kamera umgarnte, und diese doch kaum wahrnahm, spürte wieder die Lust, die all seine Muskeln anspannte, den geradezu perfekten Körper in seinen Armen, diese unglaublich geschickten Finger und Lippen auf seiner Haut...

Frustriert stöhnte er auf und schüttelte den Kopf. Das war wohl mal wieder einer dieser Tage, an denen man sich fragte, wem zum Teufel man in den Tee gepisst hatte – und dabei hatte er so gut angefangen!

Ungemütlich ruckelte er auf dem Sessel herum, hielt aber inne, als er spürte, dass er plötzlich auf einem kleinen harten Gegenstand saß. Hastig sprang er auf, fluchte schon unterdrückt in der Annahme, sich auf irgendein Teil von Juans Ausrüstung gesetzt und dieses vielleicht beschädigt haben. /Scheiße, ich bin nur noch eine Leiche auf Urlaub! Wenn Juan das spitz krie-/

Aber es war nicht Teil der Ausrüstung eines Fotografen. Es war ein hauchzartes Drahtband, an dem ein kleiner fein gearbeiteter Anhänger – eine tropfenförmige Glasperle mit rotem Kern - hing. Er wusste nicht, woher er die Gewissheit nahm, aber plötzlich war er sich sicher, dass dies dem Rothaarigen gehörte.

Und da kam ihm auf einmal eine Idee – ganz einfach, aber dennoch genial: Er hatte den Jüngeren das erste Mal bei diesem Waschsalon getroffen, mit einem Packen Wäsche (der allerdings wesentlich kleiner ausgefallen war als Caspars) in der Hand, also war er vielleicht öfter dort. Eben immer, wenn seine Klamotten mal wieder in die Waschmaschine mussten! Und sicher war er dabei auch dem ein oder anderen aufgefallen, der ihm vielleicht noch ein paar Details erzählen konnte, die ihm weiterhalfen! So konnte er den Kleinen wiedersehen UND noch mehr über ihn herausfinden (möglichst in umgekehrter Reihenfolge, damit er dieses Mal nicht ganz unvorbereitet war)!

Er konnte ein triumphierendes Grinsen nicht unterdrücken, richtete sich plötzlich deutlich besser gelaunt wieder auf. Den Anhänger samt Lederband ließ er in sein Portemonnaie verschwinden, hoffend, dass er ihn schon bald seinem rechtmäßigen Besitzer wiedergeben konnte.

Allerdings würde der Kleine heute sicher nicht schon wieder Wäsche waschen, schließlich war er erst gestern da gewesen - also konnte er sich die Sherlock-Holmes-Nummer auch für morgen aufsparen, denn zu Hause wartete noch eine Unmenge an Unterlagen auf ihn, die bis Sonnabend gelesen werden wollten. Leise seufzend, aber mit der festen Absicht Charlie wieder zu sehen, machte er sich also schließlich auf zu seinem Auto um nach Hause zu fahren.

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