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Welcome to the other world

Teil 3 - One day in july

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3: One day in july

Schon seit einer halben Stunde saß Luca unter der alten Eiche und grübelte.

Was Daniel ihm an den Kopf geworfen hatte, setzte ihm ganz schön zu.

Verdammt! Warum hatte ihn der Schwarzhaarige so angebrüllt?

Und warum nahm er sich das Ganze so zu Herzen?

Dabei hatte er Daniel doch fragen wollen, ob er ihm heute Nachmittag die Umgebung zeigen sollte. Er hatte so verlassen gewirkt, wie er da an dem Gatter gestanden und die Pferde beobachtet hatte.

Aber anscheinend wollte der Andere gar keine Gesellschaft, so wie er reagiert hatte, dachte Luca traurig.

Der Junge schloss seine blauen Augen und seufzte. Nun hörte er nur noch, wie eine sanfte Brise durch die Blätter des Baumes strich und fühlte die raue Rinde des Stammes an seinem Rücken.

Früher einmal hätte er das als sehr entspannend empfunden, einfach so da zu sitzen und zu lauschen. Doch heute schlich sich immer wieder der Australier in seinen Kopf.

Er war schon fast wieder in seine trüben Gedanken versunken, als ihn ein euphorisches Fahrradklingeln herausriss.

Luca öffnete seine Augen und sah, wie jemand auf dem Rad den Hof überquerte.

Der rotblonde Haarschopf kam ihm doch verdächtig bekannt vor.

"Marie!", rief er freudig und sprang auf. Plötzlich waren alle Gedanken an Daniel verschwunden.

Das Mädchen stellte das Fahrrad ab und kam nun zu Luca herüber gerannt.

Lachend fiel sie ihm um den Hals.

"Hey, Luca! Es ist ja so schön, dich endlich wieder zu sehen!" Immer noch grinsend löste sie sich wieder von ihrem besten Freund und ein leichter Rotschimmer zog sich über Lucas Wangen. So wie immer, wenn sie ihn umarmte.

Luca war so ein lieber Kerl und sie hatte ihn wahnsinnig gern. Aber sie sah in ihm nicht mehr als eine Art Bruder. Manchmal war er ihr mehr ein Bruder als ihr eigener. Der war ein ganz anderes Thema.

Sie hatte ihm das auch schon gesagt und er hatte nur traurig gelächelt, es aber wohl irgendwann akzeptiert. Trotzdem hatte Marie das Gefühl, dass er noch nicht richtig darüber hinweg war.

Eines Tages würde er sicher jemanden finden, der ihn über alles liebte, da war sie sich sicher. Mit dieser liebenswerten Art konnte das nur so sein.

Unauffällig musterte sie Luca.

Und sein Äußeres wirkte ja nun wirklich nicht abstoßend. Das etwas wirre, kastanienbraune Haar umrahmte sein sanftes Gesicht und die blauen Augen leuchteten regelrecht unter den langen, geschwungenen Wimpern. Was sie immer besonders süß fand, waren die kleinen Sommersprossen auf seiner geraden, schlanken Nase.

Ja, ihr bester Freund war wirklich sehr hübsch. Aber er war eben nur ihr bester Freund.

"Du siehst wirklich richtig erholt aus.", riss Luca das rotblonde Mädchen aus ihren Gedanken.

"Und was hast du da mit deinen Haaren gemacht?" Er grinste Marie an und zupfte an einer kurzen Strähne, die ihr ins Gesicht fiel.

"Ach, ich hab sie schneiden lassen. Ich konnte diese langen Fusseln einfach nicht mehr ertragen. Gefällt es dir etwa nicht?" Gespielt zog sie einen Schmollmund.

"Doch, doch!", lachte Luca und auch auf Maries Miene kehrte ein verschmitztes Lächeln zurück. "Es gefällt mir sehr gut. Wie vielen Kerlen hast du schon den Kopf verdreht, sagtest du?"

"Ach du wieder..." Marie konnte sich ein breites Lächeln kaum verkneifen und knuffte Luca in die Seite.

Der Junge betrachtete seine Freundin aufmerksam. Mit den nur noch schulterlangen Haaren und dem frechen Schnitt wirkte sie viel erwachsener als zuvor und war wirklich attraktiv.

Marie ließ sich auf die Wiese nieder und lehnte, wie Luca zuvor, an der Eiche.

Nun bedeutete sie Luca, sich zu ihr zu setzen.

"Na, jetzt erzähl schon von deinem Urlaub! Du platzt doch jeden Moment, wenn du es nicht bald loswerden kannst. Das sehe ich dir doch an der Nasenspitze an."

Ab diesem Zeitpunkt sprudelte es nur so aus dem Mädchen heraus. Sie erzählte, was sie alles in ihrem Urlaub erlebt hatte und ließ dabei kein noch so winziges Detail aus.

"Es ist einfach wunderschön in Andalusien. Der Reiterhof, wo wir waren, war wirklich grandios. Die Pferde dort... Ich bin sicher, dir hätte es auch gefallen!", schwärmte sie.

Luca lächelte. Wie immer, wenn sie sich für etwas begeisterte, färbten sich Maries Wangen rot und ein freudiges Glitzern schlich sich in ihre Augen.

"Das glaube ich.", erwiderte er träumerisch. Und stellte sich vor seinem inneren Auge vor, wie es wohl dort sein musste. Marie hatte es ja anschaulich beschrieben.

"Du musst dir unbedingt die Fotos ansehen, wenn du das nächste Mal bei mir bist.", schloss sie nach etwa einer Stunde.

Darauf war Luca wirklich schon gespannt. Marie hatte wirklich großes Talent zu fotografieren und ein Gespür für die richtigen Motive in der genau richtigen Zeit. Da lag es nahe, dass sie nach ihrem Abi Fotografie studieren wollte.

"Sicher", lächelte Luca. "So wie ich dich kenne, hast du wieder großartige Bilder geschossen."

"Meine Güte, Luca! Du Charmeur. Du solltest solche netten Sachen auch mal anderen Mädchen sagen. Sie würden dir sicherlich reihenweise zu Füßen liegen."

Luca wurde rot und fuhr sich verlegen durch sein strubbeliges Haar. Warum musste sie immer solche Sachen sagen?

Marie hatte schon oft versucht, ihn mit irgendwelchen Freundinnen von ihr zu verkuppeln. Das war allerdings immer nach hinten losgegangen.

Er hatte entweder nur herumgestammelt oder gar nichts gesagt. Er kam sich bei solchen Aktionen immer so unwahrscheinlich dämlich vor. Manchmal verfluchte Luca sich und seine Schüchternheit.

Aber eigentlich wollte er ja auch gar keine von ihnen. Nur bei Marie fühlte er sich richtig wohl und konnte sich geben wie er war. Dass er sie so mochte und sie nur einen Freund in ihm sah, war ein echtes Dilemma.

Luca seufzte in sich hinein und war wieder mal so in Gedanken, dass er nur das Ende des Satzes von Marie mitbekam.

"Hey, Träumer! Hörst du mir eigentlich noch zu?"

"Sorry. Was hast du gerade gesagt? Ich war irgendwie in Gedanken."

"Das habe ich gemerkt." Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie stupste Luca vor die Brust.

"Ich habe dich gefragt, wer der attraktive große Kerl da drüben ist, der da die Kisten schleppt."

Luca blickte in die Richtung, in die Marie zeigte und sein Blick blieb an Daniel hängen, wie er gerade eine Kiste aus dem Umzugswagen hob. Die Kiste sah wirklich schwer aus, doch Daniel schien das nichts auszumachen. Wie auch, bei dem trainierten Oberkörper, dachte er.

"Oh... der...", stockte Luca und sein Blick verfinsterte sich. "Das ist Daniel. Der Australier." Seine Stimme wurde mit jedem Wort matter und er sah hastig zu Boden als Daniel durch Zufall in seine Richtung schaute.

"Na, das klang aber nicht gerade begeistert. Vor ein paar Wochen hast du von nichts anderem geredet. Und das mit einer Begeisterung, die ich sonst gar nicht von dir kenne." Marie schaute Luca verwundert an und zog fragend eine Braue nach oben.

"Ach...", druckste Luca herum.

"Was ist passiert?"

Er wusste, dass Marie nicht eher locker lassen würde, bis sie den Grund wusste.

Also begann er, von seiner ersten Begegnung mit Daniel zu erzählen.

"Eigentlich lief ja alles ganz gut. Ich war schon aufgeregt, als er so plötzlich vor mir stand. Irgendwie wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Ob er Deutsch sprach, wusste ich auch nicht. Und du kennst ja mein Englisch..."

Aufgrund der Grimasse, die Luca nun schnitt, um seine Aussage zu unterstreichen, musste Marie lachen.

"Ja, das kenne ich. War ja noch nie deine Stärke. Hast du ihn dann trotzdem damit gequält?", neckte sie ihn.

"Nein, hab ich nicht! Ich hab ihn einfach so angesprochen!", meinte Luca leicht säuerlich. "Und das hat auch prima geklappt. Zu Beginn hat er ja schon einen ziemlich arroganten und kühlen Eindruck gemacht. Aber als ich ihn dann ins Büro gebracht habe, haben wir uns ganz gut unterhalten. Ok, es war nicht mehr als Small Talk, aber immerhin."

"Na das hört sich doch ganz gut an."

"Bis jetzt.", setzte Luca seine Schilderung fort. " Als er später wieder zur Koppel kam, ist es dann passiert."

"Was denn?" Jetzt wurde Marie doch wirklich neugierig.

"Marie, er hat Feenaugen. Als ich ihn auf seine Augenfarbe angesprochen habe, ist er total ausgerastet und hat mir wirklich hässliche Dinge an den Kopf geworfen. Die will ich hier lieber nicht wiederholen.", seufzte Luca unglücklich.

"Er hat mich behandelt wie... Er war auf einmal so eiskalt. Das war wirklich unheimlich. Irgendwie ist wirklich alles furchtbar schief gelaufen."

Marie legte bedächtig den Kopf schief und musterte Luca, der wie ein Häufchen Elend neben ihr saß und auf den Boden starrte. Er tat ihr wirklich Leid. Luca war ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Und sensibel obendrein. Kein Wunder, dass ihm diese Situation so zu schaffen machte.

"Also wenn ich alles richtig verstanden habe", setzte sie an, "ist das alles nur ein großes Missverständnis."

Luca seufzte.

"Genau das habe ich mir versucht die letzten Stunden einzureden..."

"Ach Luca, jetzt sieh doch mal nicht immer alles so schwarz. Redet noch einmal miteinander. Ich bin sicher, dann klärt sich alles auf." Sie lächelte ihn aufmunternd an und umarmte ihn noch einmal.

Luca legte sein Kinn auf ihre Schulter und erwiderte die Umarmung.

"Was würde ich nur ohne dich machen?"

"Wahrscheinlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag grübeln.", meinte Marie und strich ihm tröstend über den Rücken bevor sie sich löste.

"Wirklich, Luca, rede mit ihm. Das ist besser als alles in sich hinein zu fressen und sich zu fragen, was wäre, wenn. Ich kenne dich doch." Damit erhob sie sich und sah auf ihre Uhr.

"Verdammt! Schon so spät?!"

Nun richtete sich auch Luca wieder auf.

"Jetzt habe ich dir die ganze Zeit die Ohren voll gejammert. Dabei wolltest du doch sicher nach Nara sehen. Ich glaube, sie vermisst dich schon schrecklich."

Marie warf ihm einen tadelnden Blick zu.

"Merk dir eins, du jammerst mir nie die Ohren voll. Wenn du ein Problem hast, kannst du immer zu mir kommen. Das weißt du doch." Ihr Blick wurde wieder sanfter als sie hinzufügte: "Aber mit Nara hast du Recht. Ich kann es kaum erwarten, sie wieder zu sehen.“

So machten sich die beiden auf den Weg zur hinteren Koppel, wo die braune Stute unter einem Baum im Schatten stand und zufrieden graste.

Luca hätte Maries Rat, mit Daniel zu reden, nur zu gern befolgt. Doch in den kommenden zwei Wochen wurde nichts daraus... Dazu sah er den Anderen viel zu selten. Er war kaum zu Hause und mit seiner Mutter unterwegs. Und wenn sie sich mal begegneten, wich der Dunkelhaarige ihm aus oder betrachtete ihn mit einem eiskalt-gleichgültigen Blick, nur um ihn kurz darauf zu ignorieren.

Nun stand Luca auf dem Hof nahe den Stallanlagen, stützte sich auf seinen Besen und hing wieder einmal seinen Gedanken nach. Das tat er die letzten Wochen häufiger als sonst. Selbst seine Mutter beklagte sich, dass er so abwesend und kaum noch bei der Sache war und warf ihm immer wieder besorgte Blicke zu. Auch Marie warf ihm jedes Mal, wenn sie da war, fragende Blicke zu, die er nur mit einem Kopfschütteln beantwortete.

Noch nie hatte sich Luca über jemanden so den Kopf zerbrochen wie über Daniel. Das schien ein neues Hobby zu werden, mit dem er sich den ganzen Tag beschäftigen konnte. Mittlerweile war es schon später Nachmittag. Und was hatte er heute geschafft? Nichts natürlich. Bis auf Grübeln absolut nichts.

Er verstand einfach nicht, was in dem Australier vor sich ging.

Immer, wenn Luca mit ihm sprechen wollte, war er spurlos verschwunden. Es war zum wahnsinnig werden. Der Griff des Braunhaarigen festigte sich um den Besenstiel und er begann noch ein paar Mal damit, recht halbherzig den Boden zu fegen.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes, im ersten Stock des neu bezogenen Backsteinhauses, stand Daniel am Fenster und beobachtete Luca, wie er auf den Besen gelehnt ins Leere blickte. Er schien es nicht einmal zu bemerken, dass sein Haar durch eine aufkommende Brise noch mehr zerzaust wurde, als es so schon der Fall war.

Langsam schien sich da draußen etwas zusammen zu brauen. Es war ein Gewitter im Anmarsch.

Kurz nach dem Zwischenfall vor zwei Wochen war Daniel wahnsinnig wütend auf den anderen Jungen gewesen.

Wie konnte er es nur wagen, sich so über ihn lustig zu machen?!

Er war so stinksauer gewesen, dass er in Rekordzeit den Umzugswagen ausgeräumt, und sein Zimmer eingeräumt hatte.

Die kommenden Tage, als er mit seiner Mutter bei sämtlichen Behörden gewesen war, hatte sich seine Wut gelegt und in eiskalte Ignorierung gewandelt.

Hey, was ging ihn dieses Arschloch eigentlich an? Er brauchte ihn ja schließlich nicht und kam auch ganz gut alleine klar. Sollte er doch sehen wo er blieb.

Also ging Daniel ihm aus dem Weg, wo er nur konnte.

Doch die letzten Tage...

Daniel strich sich mit einer Hand eine Haarsträhne hinters Ohr.

Tja, die letzten Tage nagte so etwas wie ein schlechtes Gewissen an ihm, so unglaublich ihm das auch vorkam.

Er ertappte sich immer wieder dabei, wie er Luca beobachtete. Natürlich so, dass der Andere ihn nicht sah. Das Wohnzimmer im ersten Stock hier bot einen sehr übersichtlichen Blick über den Hof. Optimale Bedingungen also.

Mann, er benahm sich schon fast wie ein Stalker. Ärgerlich zog er bei diesem Gedanken die Brauen zusammen.

Whatever. Er hatte jedenfalls bemerkt, dass immer, wenn er Luca sah, dieser irgendwie abwesend und sogar betrübt wirkte.

Da konnte ihn selbst dieses rotblonde Mädchen, das Luca am Tag des Missverständnisses so freudig begrüßt hatte und scheinbar regelmäßig auf den Hof kam, nichts daran ändern.

Missverständnis, hallte es in Daniels Kopf nach.

Genau das war der springende Punkt.

Irgendwie schien ihm sein Gewissen einreden zu wollen, dass er etwas nur falsch verstanden, und einfach überreagiert hatte.

Langsam hatte der Dunkelhaarige die nagenden Stimmen satt.

Doch leise vor sich hin grollend gestand er sich ein, dass ja vielleicht doch etwas Wahres dran sein könnte.

Doch wie bitteschön sollte er Luca nach seinem Ausraster gegenübertreten?

Luca war mittlerweile dabei zu fegen. Dass der Wind den Dreck sofort wieder gleichmäßig verteilte, schien ihn gar nicht zu stören.

Verdammt!

Daniel hasste solche Situationen. Er wusste nie so recht wie er damit umgehen sollte.

So tief in seine Gedanken versunken bemerkte er nicht einmal, wie seine Mutter neben ihn trat und schreckte förmlich hoch, als sie ihre Hand auf seinen Arm legte.

"Wie wäre es, wenn du aufhören würdest dem Jungen da Löcher in den Rücken zu starren und runter gehst?"

Rebecca hatte schon lange gemerkt, dass ihren Sohn irgendetwas beschäftigte. Und nachdem sie ihn beobachtet hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass das nur Luca sein konnte.

Mütterliche Kombinationsgabe.

"Ich starre nicht. Und schon gar keine Löcher.", gab Daniel zurück und schaffte es, nur halb so verärgert zu klingen, wie er es beabsichtigt hatte.

Warum wunderte es ihn nicht, dass sie wusste, wo der Hase im Pfeffer lag?

"Doch, Darling, das tust du.", seufzte die zierliche Frau. "Gib dir einen Ruck und geh runter. Was auch immer zwischen euch vorgefallen ist, klär es."

Damit nahm sie ihre Hand von seinem Arm und verließ das Zimmer.

Wie seltsam. Normalerweise benutzte seine Mutter immer die bisweilen schmerzhafte Holzhammer-Methode. Heute hingegen erschien sie ihm regelrecht einfühlsam in ihren Ratschlägen. Leise seufzend machte er sich vom Fenster los. Heute würde er wohl ausnahmsweise den mütterlichen Rat befolgen.

Damit stieg er die Treppen hinunter und verließ das Haus.

Als er sich draußen umblickte, war von Luca jedoch nichts mehr zu sehen.

"Mist!", brummte Daniel und ging schnell weiter, bevor ihn sein Mut wieder verließ. Erst einmal Richtung Stall, da konnte er ja nichts falsch machen.

Wahrscheinlich war der andere Junge genau dahin verschwunden, denn er vernahm ein Rumpeln, das sich eindeutig nach einem umfallenden Besen anhörte. Darauf folgte ein gedämpftes Fluchen. Die Stimme gehörte eindeutig Luca.

Sich ein Grinsen verkneifend, lehnte sich Daniel neben dem Eingang gegen die Wand und der würzige Geruch von Pferden und Leder stieg ihm in die Nase. So gesehen gar nicht mal so unangenehm.

Plötzlich hörte er, dass sich von drinnen Schritte näherten.

Daniel schluckte.

Nun gab es kein Zurück mehr.

Irgendwie gelang es ihm, trotz seiner Nervosität einen gelassenen Gesichtsausdruck aufzusetzen.

Jetzt tauchte ein bekannter kastanienbrauner Haarschopf neben ihm in der Tür auf. Luca schien ihn bis zu dem Zeitpunkt noch nicht bemerkt zu haben.

"Hey..."

Luca riss erschrocken seinen Kopf zur Seite und blickte in Daniels unvergleichliche Augen, die ihn ruhig musterten.

"Hey, Daniel...", gab er leicht verdattert zurück.

Luca war wirklich etwas überrumpelt. Dass Daniel bei ihm auftauchen würde...

Damit hatte er am wenigsten gerechnet. Gerade er, der den 17-jährigen die letzte Zeit permanent ignoriert hatte, kam zu ihm.

Seinen erhöhten Puls erklärte er sich damit. Und dass Daniel ihm einen wahnsinnigen Schrecken eingejagt hatte. Immerhin hatte er sich alleine geglaubt.

Hinzu kam noch, dass sein Kopf wie leer gefegt war. Irgendwie schien ihm das ständig zu passieren, wenn er auf den Australier traf. Alles, was er sich zurechtgelegt hatte, für den Fall, dass sie doch noch mal miteinander reden würden, war weg.

Daniel hingegen schien nicht die geringste Aufregung zu verspüren. Er lehnte lässig gegen die weiß getünchte Wand und hatte die Daumen in die Taschen seiner Hosen eingehakt.

Dunkle Farben schien er echt zu mögen, dachte Luca flüchtig. Heute trug er ein dunkelblaues, eng anliegendes T-Shirt und schwarze Hosen.

Forschend blickte er Luca in die irritiert schauenden, blauen Augen.

"Hast du kurz Zeit?", hörte er die dunkle, samtige Stimme mit dem leichten Akzent fragen.

Schwang da sogar ein Hauch von Unsicherheit mit, oder hatte sich Luca verhört?

Immer noch nicht fähig etwas zu sagen, nickte er. Mittlerweile starrte er auf Daniels T-Shirt unter dem sich seine Brust gleichmäßig hob und senkte.

Luca räusperte sich und fand endlich seine Stimme wieder.

"Sicher.", antwortete er leise. "Wenn es dir nichts ausmacht, mich zur Koppel zu begleiten. Es scheint heute noch ein Unwetter zu geben. Und die Pferde müssen noch in den Stall."

Er setzte sich wieder in Bewegung, ohne auf eine Reaktion Daniels zu warten, so aufgeregt war er.

Was wollte er mit ihm besprechen?

Es klang ernst.

Hoffentlich wollte er ihm nicht wieder irgendwelche fiesen Sachen an den Kopf werfen. Das konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum.

Daniel registrierte die Reaktion Lucas und musste innerlich leicht schmunzeln.

Er löste sich von der Wand und schloss zu Luca auf.

Sie gingen zu einer anderen Koppel als vor ein paar Wochen, denn den Weg, den sie nun einschlugen, kannte Daniel noch nicht. Sie umrundeten das Stallgebäude und folgten nun einem Feldweg. Es schien, dass die Koppel etwas weiter hinter dem Stall lag, stellte Daniel fest.

Den ganzen Weg dorthin schwiegen sie. Man hörte nur das Knirschen des Kieses unter ihren Füßen, den Luca wahrscheinlich unheimlich interessant fand, so wie er ihn anstarrte.

Zu dem Geräusch gesellte sich noch das Grillenzirpen hinzu, das nun verstärkt gegen Abend einsetzte.

Daniel fand das noch etwas irritierend, denn er war es nicht gewohnt, dass es im Juli so warm war. Schließlich war er in Australien gerade in die Winterferien gegangen, bevor sie nach Deutschland aufbrachen. (1) Und im Juli wurde es oft nicht viel wärmer als 15 Grad.

Demzufolge hatte er immer noch etwas mit der Witterungsumstellung zu kämpfen.

Wer zog schon vom einen Ende der Welt ans andere?

Ein leises Donnergrollen riss ihn aus seinen Gedanken und er blickte zum Horizont. Dort hatten sich schon bleigraue bis violette Wolkenberge aufgetürmt.

Allzu lange würde es sicherlich nicht mehr dauern. Vielleicht noch eine Stunde und das Unwetter würde losbrechen, schätzte er.

Die Stille zwischen den beiden war wirklich bedrückend. Langsam müsste er mal was sagen, dachte Daniel und kramte in seinem Kopf nach einem Gesprächsanfang.

Er schielte unauffällig zu dem Kleineren herab und bemerkte, wie angespannt dieser war. Nervös nestelte er an den beiden Halftern, die in seiner Hand lagen, herum und seine Augen flogen rastlos über die Landschaft. Ihm schien die ganze Situation nicht sonderlich zu behagen.

Gut. Dann waren sie ja schon mal zu zweit. Eine erste Gemeinsamkeit, dachte Daniel trocken.

Endlich erreichten sie das Gatter der Koppel und blieben stehen. Luca stellte sich auf die unterste Verstrebung des Zaunes und blickte sich um. Als er fand, was er wahrscheinlich suchte, pfiff er laut durch die Zähne und sprang dann wieder auf den Boden neben Daniel. Fragend schaute er den Größeren von beiden an.

Der Australier betrachtete das hübsche Gesicht seines Gegenübers und atmete tief durch.

"Also... Ich wollte mit dir sprechen... Wegen neulich...", druckste er herum.

Toll, konnte er jetzt nicht mal mehr zusammenhängende Sätze formulieren?

"I'm sorry." Das war schneller raus als er denken konnte.

"Tut mit Leid.", meinte Luca zeitgleich und beide sahen sich verdutzt an.

"Warum und was tut dir denn Leid?", fragte Daniel leicht irritiert und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr, die der Wind hervor gezupft hatte.

"Naja", begann der Braunhaarige zögerlich. "Ich muss wohl etwas gesagt haben, was dich verletzt hat. Tut mir wirklich Leid."

"Eigentlich müsste ich mich eher entschuldigen. Ich bin da ziemlich ausgerastet." Mittlerweile hatte er sich wieder gegen das Gatter gelehnt und seine Hände in den Hosentaschen vergraben.

"Weißt du, ich reagiere etwas... empfindlich, was meine Augenfarbe angeht."

Keine Ahnung warum, aber irgendwie hatte Daniel das Bedürfnis, sich für seine hässlichen Worte zu entschuldigen. Irgendwie fühlte sich das richtig an.

"Das was ich da gesagt habe, das tut mir wirklich Leid. Es war nicht so gemeint."

Ein schiefes, aber dennoch glückliches Lächeln stahl sich auf Lucas Lippen.

Also war es wirklich nur ein dummes Missverständnis gewesen. Erleichtert atmete er aus und setzte schon dazu an, etwas zu sagen, als er merkte, das Daniel noch nicht fertig mit seiner Erklärung war.

"Ich hab da ziemlich überreagiert. Schlechte Erfahrungen. Da gab es ein Mädchen, das ich ziemlich nett fand. Ich dachte, es wäre ihr genauso ernst wie mir, doch irgendwann hab ich gemerkt wie falsch sie doch war und hinter meinem Rücken über mich gelästert hat. Sie fand meine Augen abartig, meinte sie. Es ging sogar so weit, dass sie mich vor allen anderen bloßstellte, dieses intrigante Miststück. Sie hat viele meiner damaligen Freunde und andere gegen mich aufgehetzt. Mobbing eben. Und sie hat sich dabei köstlich amüsiert. In solchen Zeiten merkt man dann, wer seine wirklichen Freunde sind, ein paar haben immer zu mir gehalten. Als du damit angefangen hast, sind bei mir wohl sämtliche Sicherungen durchgebrannt."

Daniel wunderte sich über sich selbst, dass er einem fast Fremden so viel über sich preisgegeben hatte. Es war überhaupt das erste Mal, dass er mit jemandem außerhalb seines wirklichen Freundeskreises darüber redete.

Luca war verblüfft über das, was Daniel ihm da gerade anvertraut hatte und dass er es überhaupt getan hatte. Er konnte sich nicht ganz vorstellen, warum jemand von anderen gemobbt werden konnte.

"Ich wollte dir damit wirklich nicht zu nahe treten. Es war nur... Manchmal rede ich schneller als ich denke." Verlegen kratzte sich der Junge am Kopf. Einen Moment überlegte er, ob er das, was ihm auf den Lippen lag auch wirklich sagen sollte. Zögerlich lehnte er sich neben Daniel an den Zaun und betrachtete den Feldweg vor sich.

"Was ich damals eigentlich sagen wollte... Ich finde deine Augen wirklich schön. Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen."

Daniel blickte verdutzt zu dem anderen. War das wirklich sein Ernst? So was hatte ihm noch niemand gesagt.

"Hm. Das ist wirklich was ganz neues." In seiner Stimme schwang diesmal nicht der für ihn so typische Sarkasmus mit, und das freute Luca.

"Aber ich meine es ernst.", grinste er verlegen.

Mann, was er da faselte konnte ja so zweideutig gesehen werden. So plötzlich wie ihm diese Erkenntnis kam, schoss ihm auch das Blut in die Wangen.

"Doch nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst!", fügte er hastig hinzu. Von irgendwelchen Missverständnissen hatte er erst mal genug.

Auf Daniels Gesicht stahl sich jetzt ein kleines Lächeln. Eigentlich konnte man es nur erahnen, denn seine Mundwinkel zogen sich nur leicht nach oben. Es war das erste Mal, dass Luca ihn so sah.

Daniel konnte einfach nicht anders als die Reaktion Lucas auf seine eigenen Worte amüsant zu finden.

"Danke.", grinste er. "Ich würde sagen, wir hatten wirklich einen miesen Start."

"Wollen wir noch mal von vorn anfangen?" Luca sah ihn fragend an.

"Okay." Daniel hielt ihm seine Hand hin, in die der Braunhaarige ohne zu zögern einschlug.

Erleichtert lehnte sich Luca an das Gatter und der Australier tat es ihm gleich. So standen sie schweigend nebeneinander und hingen, jeder für sich, ihren Gedanken nach.

Das nun herrschende Schweigen war weder so unangenehm wie zuvor, noch fühlte sich einer der beiden dazu verpflichtet, etwas zu sagen. Es war einfach schön, nur so nebeneinander zu stehen und sich den Wind übers Gesicht streichen zu lassen.

Dieser Moment war dahin, als Luca merkte, dass der andere Junge zusammenzuckte.

Daniel war genauso in Gedanken wie Luca und hatte ihr Gespräch noch einmal Revue passieren lassen. Er hatte Luca Dinge erzählt, die er höchstens Tessa und den Jungs anvertraut hatte. Das war für ihn recht ungewöhnlich, so misstrauisch wie er doch war. Und doch hatte er einfach erzählt ohne dass er sich selbst hätte aufhalten können. Die Worte waren einfach so hervor gesprudelt. Und es war gut so, dachte er. Sonst hätten sie die Sache wohl nie geklärt.

Er schreckte aus seinen Gedanken hoch als ein warmer Atem über sein Gesicht strich und ihm eine samtige Schnauze neugierig an den Hals stupste.

Daniel war so erschrocken, dass er wie zur Salzsäule erstarrte. Seine Selbstbeherrschung ermöglichte es im jedoch, den gelassenen Gesichtsausdruck beizubehalten und nicht panisch weg zu springen. Mittlerweile machte sich die Schnauze am Bund seines T-Shirts zu schaffen.

"Na, wen haben wir denn da?" Lucas Stimme klang verwundert.

Und nun wagte es auch Daniel, vorsichtig nach links zu linsen.

Dicht neben ihm machte er einen schwarzen Pferdekopf mit einer kleinen Blesse auf der Stirn aus.

"Hey, neddie.", brachte er zögerlich und argwöhnisch hervor. (2)

Luca war noch immer amüsiert. Dass der Schwarze ausgerechnet zu Daniel kam.

"Das ist Bad Luck.", erklärte Luca. "Eines unserer Problempferde. Normalerweise lässt er niemanden freiwillig an sich heran. Nicht mal mich. Aber dich scheint er zu mögen."

Sie waren sich ja auch irgendwie ähnlich. Bad Luck war genauso dickköpfig und misstrauisch wie Daniel. Der Junge musste bei diesem Gedanken nur noch breiter grinsen.

Wirklich, da hatten sich ja zwei gefunden.

Luca kramte in seinen Hosentaschen, griff wenig später nach Daniels Hand und drückte etwas hinein.

Daniel besah sich, was Luca ihm gegeben hatte. In seiner Hand lag ein zylinderförmiges Ding. Wahrscheinlich ein Leckerli.

"Gib es ihm, dann verschont er vielleicht dein T-Shirt.", lachte Luca.

Vorsichtig drehte sich Daniel zu dem Pferd und betrachtete es einen Moment. Es war wirklich ein schönes Tier. Das tiefschwarz glänzende Fell wurde nur von der kleinen, rautenförmigen Blesse unterbrochen.

Vorsichtig hielt er dem Wallach seine Hand mit dem Leckerli unter die Nase. Der Schwarze schnupperte daran und nahm die Belohnung mit den weichen Lippen auf.

Vorsichtig strich Daniel dem Pferd noch einmal über die Nüstern und es erwiderte die Geste indem es genauso vorsichtig seine Finger zwischen die Lippen nahm und liebevoll daran knabberte.

Lucas Herz machte einen freudigen Satz als er die Szene still betrachtete. Zum einen weil er sah, wie vorsichtig und freundlich Daniel mit dem Tier umging und zum anderen, weil Bad Luck von sich aus auf einen völlig Fremden zugegangen war. Das war noch nie passiert.

Daniel wandte sich zu Luca um, der ihn selig lächelnd betrachtete, ohne dieses samtig weiche Maul loszulassen. Irgendwie fühlte sich das schön an.

"Schon mal überlegt, ob es am Namen liegt?", fragte Daniel und schaute in Lucas Augen die sofort ratlos schauten.

"Kein Wunder, dass er so drauf ist. Über diesen Namen würde wohl jeder verärgert sein."

"Hm... Aus dieser Sicht habe ich es noch gar nicht betrachtet.", gab Luca nachdenklich zurück.

Noch ein Punkt, über den Daniel schmunzeln musste.

Er wollte Luca nur ein bisschen aufziehen, doch er nahm das, was er sagte, ernst.

"Hier!", sagte Luca plötzlich nach kurzem Schweigen und drückte dem Dunkelhaarigen ein Halfter in die Hand. "Wenn wir noch lange hier rum stehen, erleben wir eine böse Überraschung." Um seine Worte zu unterstreichen deutete er gen Himmel. Die grauen Wolken waren nun noch dichter geworden und es grollte in immer kürzeren Abständen. Am Horizont flackerten die Wolkenberge bedrohlich.

Daniel schaute nach oben und dann wieder auf seine Hand, in er das Halfter lag, das Luca ihm so selbstverständlich gegeben hatte.

Dieser war gerade damit beschäftigt, der scheckigen Stute, die herangetrabt war, das übrig gebliebene Halfter umzulegen.

"Ehrm... Sorry...", versuchte Daniel auf sich aufmerksam zu machen. Luca schaute überrascht hoch und sah in das ratlos blickende Gesicht des anderen.

"Ich hab so was noch nie gemacht...", ergriff der Australier wieder das Wort und hielt zögerlich das Halfter hoch.

"Oh!", grinste Luca verlegen und kratzte sich am Kopf. Das schien eine Angewohnheit von ihm zu sein. "Echt blöd von mir. Warte, ich zeig es dir."

Er trat zu Daniel und ordnete das Halfter, ohne es ihm aus der Hand zu nehmen.

"Willst du es probieren?", fragte er Daniel.

"'kay", murmelte dieser und konzentrierte sich auf das Gewirr aus Lederriemen.

"Hier. Das streifst du über die Ohren.", erklärte Luca ruhig. Daniel tat wie ihm geheißen und siehe da, es klappte.

"Gut so!" Die Lippen des Braunhaarigen verzogen sich zu einem Lächeln. "Dann legst du das dahin.", erklärte er weiter und deutete auf die entsprechenden Riemchen.

"Richtig so?" Daniel zupfte an den Stellen auf die Luca gedeutet hatte.

"Fast." Lucas Hand bewegte sich zum Halfter und schob Daniels Hand sanft beiseite.

"So, siehst du?"

"Hm."

"Jetzt musst du nur noch die Riemchen dort verschließen."

Also tat Daniel einmal mehr, was Luca ihm sagte. Und wenig später saß das Halfter genau richtig.

"Siehst du? War doch ganz einfach, oder?", freute sich Luca.

"Na ja, ich glaube, ich bräuchte da noch etwas Übung. Ich glaube kaum, dass er so still gehalten hätte, wenn du nicht dabei gewesen wärst." Daniel schaute zweifelnd zu dem anderen Jungen. Tiere waren noch nie seine Stärke gewesen.

"Wenn du dich da mal nicht täuschst. Normalerweise veranstaltet er einen riesigen Aufstand und schnappt nach einem."

"Hättest du das nicht vorher sagen können?", ächzte der Dunkelhaarige und zog seine Hand unauffällig vom Maul des Pferdes weg.

"Er mag dich. Deswegen hab ich nichts gesagt. Sonst wärst du nur nervös geworden. Und dann wäre er nervös geworden."

Unbehaglich zuckte Daniel mit den Schultern. Irgendwie war ihm bei dem Gedanken, dass das Pferd in seiner Hand eine Mahlzeit sehen könnte, nicht geheuer. Seine Bedenken wurden aber zerstreut, als er spürte, wie der Schwarze wieder seine Nähe suchte und nun seine Wange an Daniels Schulter rieb.

"Siehst du?", lächelte Luca. "Das macht er sonst bei keinem."

Der Kleinere schien sich wirklich zu freuen. Also wollte er ihm mal glauben.

"Hm.", brummte er zustimmend.

"Ist sowieso besser, dass du dabei bist. Alleine ist es immer ziemlich umständlich, zwei Pferde gleichzeitig von der Koppel zu holen.", plapperte der Wuschelkopf weiter und kletterte über den Zaun auf die Koppel.

Er nahm die Schecke, die geduldig gewartet und das ganze Schauspiel interessiert beobachtet hatte am Halfter und griff nun auch nach Bad Luck. Er ließ sich zwar von Luca zum Tor des Gatters führen, schnaubte aber nervös und fing an, leicht zu tänzeln. Sofort begann der Junge beruhigend auf das Tier einzureden.

Es war schon seltsam, dachte er. Ihm, der Bad Luck nun schon Jahre kannte, vertraute er nicht. Daniel hingegen war er scheinbar ergeben.

"Daniel!", rief er, aber nicht zu laut, um das Tier nicht unnötig zu erschrecken. "Kannst du mal das Tor aufmachen?"

Der Angesprochene wandte sich ihm zu und öffnete das Gatter. Luca hatte ihn sofort in seinen Arbeitsprozess integriert. Als wäre es das Normalste der Welt. Und er machte einfach mit, ließ sich sogar sagen, was er zu tun hatte. Normalerweise mochte er es nicht, wenn er so etwas vorgeschrieben bekam. Doch irgendwie war das hier etwas anderes, dachte er. Sah er in dem anderen Jungen wirklich schon einen Freund? Er war nie der Typ Mensch gewesen, der leicht Freundschaften schloss. Schon gar nicht nach dem Unfall und der Sache mir diesem Miststück damals.

Trotzdem schien ihn die freundliche und selbstverständliche Art Lucas zu vereinnahmen. Er versuchte auch gar nicht, sich dagegen zu wehren. Die letzte halbe Stunde war wirklich angenehm gewesen und er hatte seine Zeit gern in der Gesellschaft des anderen verbracht. Wieso sollte er sich also dagegen sträuben?

Daniel beobachtete, wie Luca an ihm vorbei durch das Tor ging. Er redete immer noch konzentriert auf Bad Luck ein, doch sein Gesicht strahlte vor Freude. Er hatte den Jungen wirklich ganz und gar falsch eingeschätzt und damit über zwei Wochen verschwendet. Er schloss das Tor wieder und trat neben Luca. Wie der Zierlichere von beiden es schaffte, die zwei Pferde in Schach zu halten, war Daniel ein Rätsel.

"Danke!", meinte Luca und riss den Australier wieder aus seinen Gedanken. Daniel schaute auf und blickte in das Gesicht seines Gegenübers, das ihn anstrahlte. Ja, es schien fast, als hätte er hier einen ersten Freund gefunden. Zögerlich erwiderte er das Lächeln.

"Würdest du Bad Luck zum Stall führen?", fragte Luca.

"Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee wäre?" Daniel schaute ihn zweifelnd an.

"Ja. Sonst würde ich den Vorschlag ja nicht machen, oder?" Luca grinste den Dunkelhaarigen wieder breit an.

"Also gut." Ergeben zog Daniel die Schultern nach oben.

"Dann komm mal auf meine Seite. Er mag es nicht, wenn man links von ihm geht."

Daniel ging um den Schwarzen herum auf Luca zu und blieb abwartend vor ihm stehen.

Der Kleinere griff nach seiner Hand und legte sie an die Stelle des Halfters, wo er seine bis eben noch gehabt hatte.

"Wenn du es hier anpackst, dann hast du eine gute Kontrolle über das Pferd und kannst es problemlos führen. Nicht zu fest, sonst scheut er.", erklärte Luca, wie er es wahrscheinlich einem Reitschüler bei der ersten Stunde erläutern würde.

Er beobachtete immer noch fasziniert, wie der Schwarze augenblicklich ruhig wurde, sobald er Daniels Präsenz spürte.

Noch etwas unsicher hielt der Australier das Halfter umklammert. Sein Blick verriet Konzentration. Er wollte jetzt wirklich nichts falsch machen. Nicht, dass das Tier ihm noch auf dem Fuß herumtrampelte, wenn er es reizte.

"So, dann können wir ja los.", meinte er und die beiden Jungen setzten sich in Bewegung. Wie Luca es schon geahnt hatte, folgte Bad Luck anstandslos.

"Er mag dich wirklich. Kein Zweifel."

"Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen. Obwohl ich das immer noch nicht ganz glauben kann.", meinte Daniel kritisch.

Sie gingen schweigend eine Weile nebeneinander her und hatten schon den halben Weg zurückgelegt. Plötzlich zerriss ein gleißender Blitz den Himmel und Donner knallte.

In dem Moment dachte Luca, es wäre aus, und Bad Luck würde sich panisch losreißen. Doch der Schwarze tänzelte nur kurz und riss einmal schnaubend am Halfter. Daniel meisterte die Situation hervorragend. Sein lockerer, aber doch fester Griff ließ es nicht zu, dass sich das Tier losriss. Leise murmelte er etwas und Bad Luck spitzte seine Ohren. Es musste Englisch gewesen sein, das konnte Luca an einigen Wortfetzen erkennen.

Er konnte nichts weiter tun, als verblüfft stehen zu bleiben und Daniel mit offenem Mund anzustarren.

Als der merkte, dass Luca nicht mehr neben ihm war, stoppte er und blickte über seine Schulter in das fassungslose Gesicht des Jungen.

"Was ist denn?"

Luca schüttelte den Kopf und ein leises Lachen entwich ihm.

"Das hab ich wirklich noch nie erlebt."

"Was denn?", fragte Daniel ratlos.

"Bad Luck. Und du. Eigentlich wäre er bei so einer Sache schon längst über alle Berge." Luca konnte es immer noch nicht ganz fassen.

"Er mag mich eben.", grinste der Dunkelhaarige und spielte auf Lucas Aussage an.

Dieser verstand und musste ebenfalls grinsen.

"Ja. Es scheint ganz so."

Er schloss wieder zu Daniel und dem Schwarzen auf und das Vierergespann setzte seinen Weg fort.

Sie waren kaum eine Minute gegangen, als große schwere Tropfen auf sie trafen.

"Mist.", grummelte Luca und beschleunigte seinen Schritt.

Das nützte alles nichts, denn kurz darauf brach ein sintflutartiger Regen los und die Jugendlichen waren in Sekundenbruchteilen durchnässt.

Auch Daniel fluchte irgendetwas, was Luca durch den lauten Regen, vermischt mit Donnergrollen nicht verstehen konnte.

"Wir sollten und lieber beeilen!", rief er dem Australier zu und dieser nickte. Fünf Minuten später erreichten sie den Stall und gingen schnell hinein. Mittlerweile klebten ihnen die Klamotten am Leib.

Luca musterte Daniel. Dieser stand völlig perplex und triefnass neben Bad Luck. Das Wasser rann ihm immer noch übers Gesicht und tropfte ihm vom Kinn. Luca konnte nicht mehr, er musste einfach loslachen.

Daniel hatte ihn anscheinend genauso beobachtet und das Gleiche entdeckt, denn er stimmte leise lachend ein.

Sein Lachen klang warm und samtig. Und es gefiel ihm, schoss es Luca für einen Moment durch den Kopf.

Er hatte es doch gewusst. Das Lachen stand dem Dunkelhaarigen viel besser als dieser grimmige Ausdruck auf seinem Gesicht.

"Du...", japste er. "Du siehst aus wie ein begossener Pudel."

"Danke für das Kompliment. Wie war das? Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen?" Daniel zog kritisch eine Augenbraue nach oben und betrachtete Luca, dessen Haar nun gar nicht mehr so verstrubbelt war und ihm am Kopf klebte. Von einzelnen Strähnen tropfte das Regenwasser.

"Hast ja Recht.", grinste er. "Aber jetzt lass uns die Pferde in die Boxen bringen. Zum Glück hab ich die heute Morgen schon sauber gemacht."

Daniel folgte Luca und der scheckigen Stute und hielt mit Bad Luck an, als auch Luca es tat.

"Das hier ist seine Box. Geh am besten vor ihm rein.", erklärte Luca.

Daniel trat auf das frische Stroh in der Box und zog leicht am Halfter, damit der Schwarze ihm folgte.

"Wir müssen die beiden noch trocken reiben, sonst holen sie sich sonst was. Da drüben liegt alles was du brauchst.", sagte er und deutete auf eine Ecke in der Box wo schon sämtliche Utensilien bereit lagen.

"Warte einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei dir." Damit verschwand Luca aus der Box und öffnete die daneben, um die Stute hinein zu führen.

Währenddessen betrachtete Daniel den Stall. Er hatte das Gebäude bis jetzt nur von außen gesehen. Doch was es von außen versprach, hielt es auch von innen. Es war ein helles, freundliches Gebäude mit vielen großen Boxen an einer Seite und einem Gang an der anderen Seite.

Vor den Geräten ging er in die Hocke und betrachtete sie einen Moment ratlos, bevor er seinen Blick abwandte und sich gegen die Holzwand und ins Stroh sinken ließ. Bad Luck musterte ihn aufmerksam aus seinen dunkelbraunen Augen, bemerkte er. Daniel erwiderte den Blick.

Es war schon seltsam. Hätte ihm jemand vor ein paar Wochen gesagt, dass er sich auf dem Land wohlfühlen und sogar so etwas wie Sympathie für Pferde entwickeln würde, hatte er ihm einen Vogel gezeigt und an seiner psychischen Zurechnungsfähigkeit gezweifelt.

Nun lagen die Dinge ganz anders als er je gedacht hatte.

Wenig später trat Luca wieder in die Box und erklärte ihm, wie man das Pferd abrieb und striegelte.

Der Australier stellte sich nicht ungeschickt an, dafür, dass er das das erste Mal tat, beobachtete der Junge.

Wenig später waren sie auch damit fertig.

Daniel war immer noch über seine eigenen Handlungen überrascht. Jetzt hatte Luca ihn tatsächlich dazu gebracht, den Schwarzen zu putzen... Völlig fassungslos starrte er auf das nun wieder trockene Fell des Tieres.

Seine Klamotten hingegen klebten immer noch an ihm und so langsam wurde es unangenehm kalt. Doch so wie es aussah, würde er noch einmal eine unfreiwillige Dusche abbekommen, wenn er den Stall verließ.

Der Regen hatte nicht nachgelassen und prasselte unablässig auf das Dach.

Kurz schaute er auf seine Uhr und richtete seinen Blick dann wieder auf Luca, der gerade die Werkzeuge wegpackte.

"Ich glaube, ich geh dann mal, bevor meine Mutter noch eine Fahndung nach mir einleiten lässt." Ein leicht ironisches Lächeln zierte nun seine Lippen und Luca musste wieder schmunzeln.

"Na dann bis bald." Schade, dass er schon ging, dachte der Braunhaarige.

Daraufhin verließ Daniel die Box und folgte dem Gang Richtung Ausgang. Er konnte es kaum abwarten, diese Klamotten loszuwerden und unter die heiße Dusche zu springen. Mittlerweile hatte sich schon eine Gänsehaut auf seinen Armen gebildet. Dass er noch mal in dieses Unwetter musste, passte ihm gar nicht. Er hatte schon fast die Tür erreicht, als er Luca hinter sich seinen Namen rufen hörte.

Er drehte sich um und entdeckte Luca, der aus der Box herausgetreten und ihm hinterher gelaufen war.

"Also... Ich wollte morgen in die Stadt fahren. Wenn du magst, kannst du mitkommen. Dann kann ich dir den Ort ein bisschen zeigen." Unsicher zupfte Luca an seinem nassen T-Shirt.

Stadt?

So was gab es hier?

Mit seiner Mutter war er bis jetzt nur in der größeren Stadt gewesen, die eine halbe Stunde Autofahrt von hier entfernt lag, denn nur dort hatten sie die notwendigen Behörden gefunden, die sie noch aufsuchen mussten.

Luca wurde immer unsicherer, je länger Daniel schwieg.

War das eine blöde Idee gewesen?

"Hm...", riss ihn Daniel aus seinen Zweifeln. "Okay."

Falls es hier doch so etwas wie einen Ort geben sollte, konnte es ja nicht schaden, ihn mal anzuschauen.

Ein Lächeln stahl sich auf Lucas Lippen.

"Schön. Dann hole ich dich morgen ab."

"Bis dann also." Daniel wandte sich wieder zum gehen, doch er hielt noch einmal inne und blickte über seine Schulter.

"Noch was. Du solltest auch nicht länger hier stehen bleiben. Sonst können wir das morgen vergessen." Während er das sagte, deutete er auf Lucas Klamotten und zog an seinem eigenen T-Shirt.

Daraufhin wandte er sich endgültig von dem Braunhaarigen ab und verließ den Stall.

Wenig später, nachdem Luca sich versichert hatte, dass alle Boxen geschlossen und die Pferde versorgt waren, verließ er auch das Gebäude und rannte durch den Regen quer über den Hof.

Das Wasser, das auf ihn herunterprasselte, schien er gar nicht zu bemerken.

Pitschnass, aber doch glücklich und fröhlich lächelnd, betrat er endlich das Haus. Dort traf er auf seine Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Wange, bevor er sich Richtung Badezimmer davon machte.

Verwirrt blickte Frau Burgmeister ihrem Sohn hinterher, der, nachdem er mittags das Haus verlassen hatte, wie ausgewechselt schien.

Erklärungen:

(1) In Australien beginnen die Winterferien im Juni und enden im Juli.

(2) "neddie" bedeutet im australischen Englisch Pferd

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