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Make ends meet

Kapitel 4-6

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel Vier

Bevor ich Bastis Noten hatte, wusste ich nicht, was er nicht kann. Jetzt, wo ich sie kenne... tja, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es wird jedenfalls ein gutes Stück Arbeit, wenn er ne Vier im Zeugnis stehen haben will, so viel sei mal gesagt. Hust.

Aber ob er das will, das ist ja die Frage.

Momentan sieht es nicht so aus, als stünde das an der Spitze seiner Prioritätenliste. Platz 1 ist permanent reserviert... für die Triebbefriedigung natürlich. Klingt ja auch viel cooler als »Hab mich in Englisch abgestrampelt«: »Ich hab für den Fortbestand der gesamten Population gesorgt.«

Wenn der so weitermacht, wie bisher, schafft er das locker.

Zumindest, wenn die Mädels wirklich so drauf sind, wie die privaten Fernsehsender sie darstellen. Wenn man einmal ohne Gucken über die Straße geht und es klappt, dann macht mans halt öfter, jaja. Und schwupps bin ich sechsfacher Onkel.

Also doch lieber Englisch lernen, oder? Gerne, aber nicht heute. Heute boxt der Papst in Ringelsocken, oder so ähnlich, weil Eric doch feiert. Und weil ich Nina versprochen habe, zu kommen. Was bin ich nur für ein Depp ... jetzt muss ich mich chic machen. Ein Jutesack wäre bestimmt besser ... wenn man bedenkt, wie viele im Verlauf des Abends kotzen werden.

Klinge ich resigniert?

Bin halt nicht so der Partylöwe.

Immerhin gebe ich mir ein bisschen Mühe. Schließlich bin ich, rein theoretisch gesehen, auf der Suche nach der großen, nie enden wollenden Liebe. Ach Shit, das ist ja heutzutage ein Fauxpas. Ich bin also auf der Suche nach einem geilen Lebensabschnittsgefährten, hihi. Also bei der Formulierung kriege ich doch garantiert mindestens 1000 Angebote.

Ich klatsche ein bisschen Haarschaum auf meine Haare und frage mich verzweifelt, wie andere Männer damit umgehen können. Nichts will mir so wirklich gelingen ... aber immerhin sieht es nicht so aus, als hätte ich in Frittenfett gebadet. Hatte ich alles schon ... aber das war mit Gel. Ich war quasi der Running Gag des Abends. Heute gebe ich mich nach ewigem Rumgewuschel trotzdem geschlagen. Meine Frisur ist eben ganz bewusst undone und out of bed – ehrlich.

„Luca, wie lange willst du das Bad denn noch blockieren? Ich hab ein Date!“, ruft Mama auf der anderen Seite der Tür. „Und meine Augenbrauen sind noch nicht gezupft, nichts ist gepeelt, wachsen muss ich mich auch noch oder vielleicht doch eher epilieren –“

„Schon gut, ich bin quasi fertig!“

Vor allem jetzt schon fertig mit den Nerven, aber das braucht sie nicht wissen. Am Ende fängt sie nach all den Jahren auch noch an, sich Sorgen zu machen. Nee, nee.

„Ist es Horst?“, frage ich, als sie ins Bad gestürmt kommt.

„Äh, nee. Der hat sich als nicht so toll entpuppt ... hat ne Frau und so“, erklärt sie ein bisschen zerstreut. „Und du? Gehst du da heute Abend mit einer festen Absicht hin? Dass du mir ja Kondome benutzt!“

„Nein. Ja, Mama.“

Scheinbar war das nicht die Antwort, die sie hören wollte. Jedenfalls muss sie eine ziemlich ruckartige Handbewegung gemacht haben – die Wimperntusche bedankt sich mit einem fetten schwarzen Balken bis zum Wangenknochen. Upps.

„Nein, ich habe keine konkreten Pläne und ja: Sollte sich was ergeben, werde ich ein Kondom benutzen.“

„Oder mehrere“, zwitschert sie und zwinkert mir keck zu.

Erja, genau.

Manchmal ist sie mir einfach ein bisschen zu direkt, fürchte ich. Gerade bei solchen Themen wie Sexualität wünsche ich mir eine zugeknöpfte Mutter, die von mir aus auch rumdruckst. Jedenfalls keine, die auf mehrere Runden und/oder fröhlichen Partnerwechsel anspielt. Da möchte ich Abstand.

„Hmmm“, antworte ich vage und werfe einen letzten Blick in den Spiegel. „Ich muss jetzt auch los. Nina holt mich ab – will wohl sichergehen, dass ich auch wirklich da bin.“

„Die ist so ein nettes Mädchen. Meinst du nicht, dass du wenigstens bi bist?“, fragt Mama hoffnungsvoll.

Ich schüttle energisch den Kopf. Himmel, was denkt diese Frau bloß immer?

„Nö, tut mir ja schrecklich Leid. Ist in nächster Zeit nicht geplant und ich muss jetzt wirklich, wirklich los. Bis morgen.“

Nina sieht wie aus dem Ei gepellt aus, oder eher als wäre sie gerade einer dieser supertollen Modezeitschriften entstiegen. Ich frage mich zwar, wie sie auf den astronomisch hohen Stelzen laufen kann, aber vielleicht hat sie nicht vor, heute viel Zeit in der Vertikalen zu verbringen. Hust.

„Hi Luca. Beweg deinen hübschen Arsch mal zackig hier auf die Rückbank – wir sind spät dran, wenn wir nicht krampfhaft auffallen wollen.“

Meine Wangen werden ein bisschen heiß und ich räuspere mich dezent.

Nee, Komplimente sind nichts für mich. Selbst wenn sie noch so lax dahingesagt werden. Ich schnalle mich brav an und zupfe nervös an meinen Haaren herum. Wer weiß, wie das bei Eric wird. Bestimmt wieder ein Haufen Leute, die die Finger nicht von einander lassen können. Das ist aber schon wahnsinnig toll, schließlich spart man sich das Geld für den Swingerclub. Ungemein praktisch.

„Wie kommen wir denn eigentlich dann nach Hause?“, frage ich langsam. „Du trinkst doch sicher auch was und dann fahren ...“

„Ach Schnuckelchen, du wirst eh erst morgens aus dem Bettchen von irgendeinem Typen krabbeln und es wird dir so scheißegal sein“, kichert sie. „Und der fährt dich dann schon nach getaner Arbeit nach Hause.“

Oh Mann, jetzt geht es mir natürlich sofort besser. Sobald man nur »Typ« sagt, klinkt sich mein Gehirn nämlich aus und der Schwanz übernimmt. Weiß doch jeder, dass Männer so funktionieren. Ausnahmslos.

Im Gegenteil. Mir ist jetzt eher kotzübel, weil ich quasi gerade erfahren habe, dass ich gezwungenermaßen mit irgendeinem dahergelaufenen Kerl, den ich wahrscheinlich gerade erst fünf Sekunden kenne, ins Bett hüpfen muss, damit ich nicht mutterseelenallein am Straßenrand stehen und den Daumen raushalten muss. What a wonderful world.

„So, wir sind da“, verkündet Nina enthusiastisch und springt aus dem Auto. „Ich hoffe, du hast dein Gaydar oder wie das heißt auf Vordermann gebracht, Schätzchen!“

Ich verdrehe die Augen und setze schon zu einer bissigen Antwort an, aber just in dem Moment eilt Eric Nina zur Hilfe. Natürlich im gewohnten Playa-Look und ordentlich mit Blingbling behängt ... und da sag noch einer Schwule wären feminin.

„Hi ... cool, dass ihr da seid. Rostock, dich kriegt man ja nie außerhalb der Schule zu Gesicht. Hier haste n Bier. Oder willste gleich mit Schnaps anfangen? Die anderen haben schon n ordentlichen Vorsprung, also halt dich ran. Für die Dame einen Cocktail?“

Gott, so viel auf einmal – da wird einem ja ganz schwummselig. Nach kurzem Zögern entscheide ich mich für einen der lustigen Cocktails mit Schirmchen und Strohhalm. Nina schnappt sich ein Glas Blubber-Sekt in der Sorte »schrecklich süß« und prostet mir zu.

„Auf einen erfolgreichen Abend“, kichert sie. „Guck mal, der da drüben sieht doch ein bisschen schwul aus. Findest du nicht? Wie der sein Glas schon hält. Und das Outfit, Hammer. Das schafft doch kein Hetero. Willst du nicht mal zu ihm hingehen?“

Ich ziehe die Schultern hoch. Nein, möchte ich nicht. Ich kenn den doch kein Stück und Ansprechen ist nicht ganz mein Fall, wenn dann werde ich angesprochen. Außerdem ist der bestimmt gar nicht schwul. Vielleicht gehört er zu Erics Hopperbande.

„Öhm ... nö. Nicht so wirklich.“

Ich zupfe nervös an meinem Oberteil rum. Bestimmt kriegt sie gleich einen Anfall oder so, weil ich schon wieder so schrecklich negativ eingestellt bin und mich nicht schnell auf Sachen einlasse. Aber sie zuckt nur mit den Schultern und hakt sich bei mir unter.

„Dann gehen wir halt zusammen hin. Ich find ihn nämlich schnuckelig und wenn er nicht schwul ist, dann ... tja, dann krall ich ihn mir vielleicht.“

Hoppla. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr, Ninas Griff ist schraubstockartig. Aber immerhin muss ich nicht zwingender Weise mit dem Kerl anbandeln. Ist ja auch mehr nach ihrem Geschmack, der Gute. Ich nehme trotzdem einen tiefen Schluck von dem Cocktailzeugs. Vielleicht beruhigt das ja meine Nerven ein bisschen.

„Hallo, wer bist denn du?“, fragt Nina und tupft dem Auserwählten auf die Schulter.

„Uhm ... öh. Hi, ich bin Chris. Und ihr seid?“

„Ich bin Nina und der da ist Luca, wir sind mit Eric in der Klasse. Wie ist die Party bis jetzt so?“

Und dann legt sie richtig los. Sie legt sich voll ins Zeug und flirtet mit vollem Körpereinsatz. Der arme, arme Junge. Wenn er erstmal ein Blick auf ihr Dekolletee erhascht, ist er für immer verloren. Garantiert.

Vielleicht sollte ich ihn beschützen, aber da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Bis jetzt schlägt Chris sich jedenfalls ganz gut. Er ist zumindest noch nicht tot umgefallen, muhahaha.

Ich trinke den verbleibenden Rest meines Cocktails auf ex und hole mir sofort Nachschub. Auf solchen Partys weiß man nie, ob nicht schon um halb elf der Alkohol ausgeht. Dann lasse ich mich in einen der unbequemen Plastikstühle fallen und versinke ein bisschen in meinen Gedanken. Ja, vielleicht macht mich das zum Spielverderber.

Aber ich würde das attraktiv finden. Also wenn da ein Kerl dasitzt und ganz verträumt in die Gegend guckt, ja ... dann erhöht das auf jeden Fall schon mal seine Sympathiepunkte.

„Hey ... du warst vorhin so schnell weg“, sagt jemand ziemlich nah neben mir und erschrecke so sehr, dass ich mir fast meinen Drink über die Hose kippe – wie peinlich!

Ich drehe meinen Kopf betont langsam zur Seite. Neben mir sitzt Chris, die Beine übereinander geschlagen, und sieht mich amüsiert an. Fragt sich nur, wie lange er das schon unbemerkt macht. So lange war ich doch nicht in Gedanken, oder?

„Ja, sorry. Nina und du, ihr habt euch so gut unterhalten. Da wollte ich nicht stören“, murmle ich ein bisschen verlegen und strubble durch mein Haar. „Tut mir Leid.“

„Brauchst du n Tempo?“, fragt Chris und schielt auf meine Hose und ich verkrampfe mich ein bisschen.

Soll das etwa eine Anmache sein?

Ich bin fürs Erste jedenfalls überfordert. Der Typ starrt mir praktisch auf den Schritt! Selbst wenn er ganz unschuldige Absichten verfolgt, geht mir das doch ein bisschen zu weit. Immerhin hab ich mich gerade bis auf die Knochen blamiert.

„Nein ... nicht nötig, wirklich nicht“, antworte ich hastig und versuche, die nassen Stellen mit meinen Händen zu überdecken. „Wie ungeschickt von mir.“

„Meine Schuld, ich hab dich wohl erschreckt. Ich hol dir n Neuen als Entschädigung, ok?“

Öhm ... okay.

Jetzt bin ich mir relativ sicher, dass der gewisse Absichten hat. Welcher »normale« Hetero holt schon für einen anderen Kerl einen Cocktail? Ich kenn da jedenfalls keinen, nein. Den muss Nina mir auf den Hals gehetzt haben. Wo ist die überhaupt?

Ich beschließe sie zu suchen, bevor Chris wieder auftaucht.

Das ist gar nicht so schwer, sie ist wie so oft von einer Horde hormongesteuerter Typen umringt. Ich drängle mich ohne Rücksicht auf Verluste durch und zupfe an ihrem Arm.

„Luca! Na, wo hast du denn das Schnuckelchen gelassen?“, kichert sie.

„Ich weiß nicht, wen du meinst.“

„Chris natürlich. Wer denn sonst? Ich sag dir, der sabbert deinem Arsch nach, seit du dich das erste Mal weggedreht hast.“

Ich sehe mich hektisch um und flüstere dann in ihr Ohr: „Sag das nicht so laut ... ich bin froh, dass ich ihn abgehängt hab! Was hast du dem denn bitte erzählt? Der hat mir in den Schritt gestarrt, sag ich dir.“

Nina lacht nur und tätschelt meine Schulter.

„Ich weiß gar nicht, was du hast, Schätzchen. Ist doch genau das, was du wolltest – zumindest kannst du dir seiner Aufmerksamkeit schon mal sicher sein. Muss ja nicht gleich die große Liebe sein. Lass dich einfach mal n bisschen verwöhnen, hm?“, sie zwinkert mir verschwörerisch zu.

Soso.

Erst erklärt sie mir, dass sie die Liebe meines Lebens für mich sucht und dann will sie, dass ich mit diesem Chris so mir nichts, dir nichts ins Bett hüpfe! Versteh mal einer die Frauen. Ich bin jedenfalls überfordert.

„Da ist er ja“, zwitschert Nina und ich ducke mich prophylaktisch. „Huhu. Chris!“

Und das wo ich dachte, ich wäre ihn los. Vielleicht hätte ich mich doch für den Rest des Abends auf dem Klo einschließen sollen. Tja, da hätte ich wohl mal besser nachdenken sollen. Jetzt ist es jedenfalls zu spät: Chris steuert mit breitem Grinsen auf uns zu, in der Hand der versprochene Cocktail.

„Ich hab dich schon gesucht, Luca. Wo warst du denn bloß?“, ruft er rüber.

„Aufm Klo.“

Nina stupst mir ihren Ellbogen in die Seite und flüstert: „Hey, sei mal netter zu ihm!“

Und ich dachte, sie wäre so was ähnliches wie meine Freundin. So kann man sich irren, ja. Ich zucke nur mit den Schultern und schnappe mir den Cocktail. Schätze, das Leben ist heute nur im Suff zu ertragen. Schon wieder landet Ninas Ellbogen in meiner Seite, womit hab ich das nur verdient?

„Ähm ... danke, mein ich.“

„War doch das mindeste, nachdem ich dich so eingesaut hab“, säuselt Chris und grinst zweideutig.

Heilige Scheiße, wo bin ich hier nur hineingeraten? Und das soll vermutlich meine Übernachtungsmöglichkeit sein, na bravo. Habe soeben mein Lebensziel erreicht, haha. Kann ich nicht auf der Stelle tot umfallen? Oder nein, lieber doch nicht. Möglicherweise ist dieser Chris auch noch nekrophil, man weiß es ja nicht. Jedenfalls will ich nur hier weg.

„Nina ... meinst du, dass ich noch mit deinem Auto fahren könnte?“, frage ich panisch.

„Auf keinen Fall ... erstens bist du noch keine 21, also nullkommanull Promille und zweitens hast du schon zwei Cocktails intus!“

„Pff ... gar nicht wahr. Nicht mal einen, es sei denn Caipi auf dem Schoß geht ins Blut“, mokiere ich mich. „Außerdem ist es hier scheißenlangweilig.“

„Wir könnten auch zu mir“, mischt Chris sich ein.

So, jetzt reichts mir aber endgültig. Billige Anmachen habe ich für das nächste Jahrtausend genug gehört, ja. Ich bin vielleicht schon ein bisschen lange Single, aber so leicht kriegt man mich dann auch wieder nicht in die Kiste. Was fällt dem eigentlich ein? Seh ich etwa aus wie ein Flittchen? Nein!

„Moment! Wir kennen uns ungefähr drei Minuten, du bist mir absolut unsympathisch und du bombardierst mich mit schlechten Anmachsprüchen. Aber natürlich will ich mit zu dir nach Hause-“

„Cool, mein Auto steht-“

„Sag mal, bist du taub? Ich will nix von dir. Jetzt nicht und bei dir zu Hause garantiert auch nicht. Sieht wohl nach Handarbeit aus, sorry.“

Nina stöhnt gut vernehmlich auf, was gegen Chris' Düsterblick noch ziemlich harmlos ist. Schätze, sie kennt mich halt. Vielleicht hat sie das schon ein bisschen geahnt. Ich habe heute nun mal nicht die beste Laune und wenn mir dann noch einer blöd kommt ... tja. Selber Schuld, würd ich mal sagen.

„Ich glaub nicht, dass du dir so viel Arroganz erlauben kannst, Luca. Einen wie dich findet man doch an jeder Ecke, bestenfalls Durchschnitt. Such ich mir halt n anderen Fick“, faucht Chris, dreht sich auf dem Hacken um und verschwindet in einer Gruppe Hoppern.

„Und mit so einem wolltest du mich verkuppeln!“

„Hey! Ich konnte ja nicht ahnen, was fürn Arsch das ist. Nochmal mach ich das nicht, versprochen. Dein Herzblatt guckst du dir schön selbst aus“, antwortet Nina betreten.

Ich tätschle ihre Schulter, schließlich hat sie es ja nur gut gemeint. Ein bisschen zu gut, aber gut.

Kapitel Fünf

Zwei Stunden später fühle ich mich immer noch schrecklich nüchtern. Dabei habe ich schon drei Cocktails und zwei Vodka-O getrunken, was ein angenehm wolkiges Gefühl verursacht. Um mich herum haben sich schon die ersten Schnapsleichen eingefunden, unter der Bank knutschen welche rum und das Klo ist durch kotzende Leute dauerbesetzt, ja lecker.

Ich will eigentlich nur noch nach Hause. Wieso hab ich mir das überhaupt angetan? Gute Frage. Ist mir gerade jedenfalls schleierhaft. Fahren kann mich hier sicher niemand mehr, will ich auch nicht wirklich. Da wär ich ja komplett lebensmüde.

Nein, ich weiß was viel Besseres: Ich werde zu Fuß gehen.

So weit ist es ja nicht, außerdem kenne ich mich ja durchaus ein bisschen aus. Nein, das ist keine Schnapsidee. Schon bin ich an der Straße, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie ein Partygast in Nachbars sorgsam gehegten Vorgarten reiert. Na der wird sich morgen freuen, puh. Egal, von so einer Kleinigkeit lasse ich mich auf keinen Fall aufhalten. Ich gehe sicher meines Wegs ... von ein paar kleineren Schwankungen mal abgesehen. Außerhalb der Ortschaft gibt es keinen Bürgersteig, aber das macht ja nichts, der Seitenstreifen ist doch auch nicht schlecht. Das Licht entgegenkommender Autos blendet schrecklich in meinen Augen, aber was tut man nicht alles für sein Bett.

So, hier muss ich über die Straße. Sicheren Schrittes betrete ich die Fahrbahn – und blicke in zwei grelle Scheinwerfer, höre die Hupe. Das Quietschen der Bremse gellt in meinen Ohren. Ich warte, aber der Aufprall bleibt aus. Stattdessen knallt eine Autotür, jemand läuft auf mich zu.

„Verflixte Scheiße! Sind Sie okay? Was zum Teufel machen Sie mitten auf der Straße?“, schallt es mir entgegen, ich blinzle verwirrt.

Der Mann kommt näher. Denkt wohl, dass ich einen Schock oder so habe. Na toll, und ich hab eine Fahne bis Australien. Wenn der die Grün-Weißen ruft, bin ich geliefert. Scheiße, Scheiße, Scheiße.

„Hallo, hören Sie mich? Geht es Ihnen gut? Lassen Sie mal sehen – Moment, Sie kenn ich doch! Rostock, oder?“

Ich nicke beklommen. Woher kennt der mich?

„Degenhardt, Sie waren neulich bei mir in der Sprechstunde. Was zur Hölle haben Sie hier verloren? Nein, das klären wir nicht mitten auf der Landstraße – steigen Sie ein!“

Vermutlich stehe ich doch unter Schock, denn ich leiste keinerlei Widerstand und steige zu einem Fremden ins Auto. Gut, er ist nicht ganz fremd, sondern Lehrer an meiner Schule und ich wäre beinahe seine Kühlerfigur geworden. Egal, ich lasse mich leicht benommen auf den Beifahrersitz sinken und bin eigentlich ganz froh, dass ich aller Voraussicht nach gefahren werde. Degenhardt legt den Gang ein, schaut in den Rückspiegel und gibt Gas.

„So und jetzt erklären Sie mir mal, was Sie hier zu suchen hatten!“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“

„Ich schon. Hätte mein Auto keinen Bremskraftverstärker, wären Sie jetzt platt wie eine Briefmarke. Also?“

Ich winde mich ein bisschen auf dem Sitz. Ausfragen mal anders, na wie toll. Andererseits hat er ziemlich recht ... bei einem anderen Autofahrer wäre ich jetzt vielleicht mausetot.

„Wollte nach Hause.“

„Und da kann man sich kein Taxi rufen? Ist vielleicht teuer, aber mit Sicherheit besser als zu Fuß gehen!“

„Hab ja jetzt eins.“

Degenhardt schnaubt und befindet wohl, dass ich keine Antwort verdiene. Jedenfalls schweigen wir uns die nächsten Minuten eisern an. Ungefähr so lange, bis er vor einem schicken Mehrparteienhaus anhält.

„Jetzt kommen Sie erstmal mit rein, damit wir das klären können.“

Es gibt was zu klären? Meiner Meinung nach nicht, es ist ja niemand zu Schaden gekommen und das Auto ist, soweit ich das beurteilen kann, auch noch heil. Allerdings ist es stockfinster und der Weg nach Hause noch länger als von Erik aus. Da ist es ja wohl klar, dass ich lieber mit in die Wohnung will.

„Haben Sie was getrunken?“, fragt Degenhardt, während er die Tür aufschließt.

„Bisschen“, antworte ich achselzuckend und folge ihm in den Flur.

Natürlich ist alles perfekt aufgeräumt, die Schuhe feinsäuberlich aufgereiht und der Boden so sauber, dass man bestimmt ohne Skrupel davon essen könnte. Wie man es halt von einem Lehrer erwartet.

„Ich mach mal Kaffee, ist das okay?“

Ich nicke stumm und reihe meine Schuhe brav in die Kolonne ein. Was zur Hölle tu ich hier? Ich bin bei weitem nicht mehr nüchtern, um nicht zu sagen ziemlich angetrunken, ich bin gerade jemandem vors Auto gelaufen und spaziere jetzt in aller Seelenruhe durch die Wohnung von Bastis Lehrer. Bravo.

Ich lasse mich auf einen der teuren Lederstühle sinken und starre auf die polierte Tischplatte. Dass so Kram auch immer nur mir passieren muss, ehrlich.

„Und wo sind Sie nun hergekommen“, will Degenhardt wissen, als er nach ein paar Minuten eine dampfende Tasse vor mir abstellt. „So im Stockfinstern?“

„War auf ner Party von einem aus meiner Stufe.“

Degenhardt schüttelt kurz den Kopf und nippt an seinem Kaffee.

„Fuck, ist der heiß!“, entfährt es ihm. „Entschuldigen Sie. Wenn Sie auf einer Party waren, dann muss ich natürlich fragen, was Sie so früh schon auf der Straße wollten? Also zu meiner Zeit blieb man da nicht nur bis 12.“

„War halt nicht so der Hit“, nuschel ich und werde ein bisschen rot um die Nase.

Hallo?

Dieser dämliche Chris hat mich angegraben, nicht ich ihn. Also hab ich gar keinen Grund mich zu schämen oder so. Trotzdem ist es mir peinlich, weil es mir vorkommt, als stünde auf meiner Stirn: Ich bin naiv und leicht zu haben.

Degenhardt nickt gemächlich und kippt seelenruhig einen Schuss Whisky in seinen Kaffee. Auch mein ziemlich irritierter Blick scheint ihn nicht im Mindesten zu stören.

„Ist nur zum Abkühlen. Auch Irish?“, erklärt er und schiebt mir die Flasche rüber.

Na gut, da kommt es jetzt auch nicht mehr drauf an.

Kapitel Sechs

Oh, oh, oh.

Mein Schädel brummt ganz gewaltig, als ich ihn gaaanz langsam anhebe und verschlafen ins grelle Sonnenlicht blinzle. Da war wohl ein bisschen zu viel Alkohol im Spiel, fürchte ich. Apropos ... ich liege definitiv nicht in meinem Bett und mein Zimmer ist das auch nicht. Abrupt setze ich mich auf.

Zu schnell für meinen verkaterten Körper ... jetzt dreht sich auch noch alles, na bravo.

Ich reiß mich ein wenig am Riemen und so langsam kann ich meinen Aufenthaltsort erkunden. Also: Bis eben habe ich wohl auf einem schicken Ledersofa genächtigt, das sich in einem geschmackvoll, aber recht kühl eingerichteten Wohnzimmer befindet. Viele Bücher, aber keine Fotos. Komme mir fast vor wie in einem gehobenen Einrichtungshaus. Naja.

Während ich noch krampfhaft überlege, was gestern Nacht so abgegangen ist, öffnet sich die Zimmertür. Und wer schiebt sich da mit einem schwer beladenen Tablett durch den Rahmen?

Degenhardt!

Fassen wir mal zusammen: Ich habe gestern getrunken. Viel getrunken. Ich habe einen Filmriss, keine Ahnung wie lange. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, werde ich auch noch beim Lehrer meines kleinen Bruders wach. Und weiß nicht, ob was gelaufen ist.

Denn ... wenn ich was getrunken habe, dann werde ich öfter ziemlich anhänglich. Mit zunehmendem Alkoholgehalt sinkt meine Hemmschwelle rasant – ein Grund, warum ich Partys eher meide. Nicht auszudenken, wenn ich da mal 'versehentlich' die Hete schlechthin knutschen würde!

Ich fahre durch meine vom Schlaf zerzausten Haare und gucke Degenhardt abwartend von unten an.

„Oh, Sie sind schon wach, guten Morgen. Ich dachte, ich mach mal Katerfrühstück“, sagt er beschwingt und stellt das Tablett auf dem Wohnzimmertisch ab. „Mal sehen ... Ham and Egg, Essiggurken, Wurst, Käse, Toast, Kaffee und natürlich Aspirin. Alles da.“

Okay, wir machen also auf heile Welt. Das kann ich auch: So tun, als wäre absolut nix gewesen. Also schaufel ich mir eine große Portion Ei auf den Teller und greife beherzt zum Kopfschmerzkiller, während Degenhardt ein abenteuerliches Sandwich kreiert. Bäh, Aspirin war noch nie ganz mein Fall. Aber wer klar im Kopf sein will, muss leiden.

„Wär gut, wenn Sie das in der Schule nicht an die große Glocke hängen“, nuschelt Degenhardt zwischen zwei Bissen. „Lehrer richtet sich am Wochenende mit Schüler ordentlich weg – das kann wer in den falschen Hals bekommen.“

„Verstehe.“

„Vor allem wo Sie doch der Bruder eines meiner schwächsten Schüler sind...“

„Bleibt unter uns, ja.“

„Gut“, erwidert er erleichtert und grinst schief. „Ich wär nämlich gern noch n bisschen länger Lehrer.“

Huch, jetzt sieht der gestrenge Mann ja fast menschlich aus! Ich bin schockiert. Wenn ich das Basti erzähle, glaubt er mir kein Wort. Aber ich werde sowieso brav meinen Mund halten, mein Abi hätte ich nämlich doch ganz gerne. Also lächle ich artig zurück und trinke gemütlich meinen Kaffee.

Degenhardt rutscht unruhig auf seinem Ledersessel herum und wirft einen hektischen Blick auf seine Armbanduhr, ich hebe eine Augenbraue.

„Ja?“

„Nichts. Ich bekomme nur bald Besuch und bis dahin ... naja, bis dahin sollten Sie vielleicht fertig sein. Und zu hause.“

Ja gut, das sehe ich ein. Was macht das denn für einen Eindruck bei den Bekannten, wenn da ein 18-jähriger Hüpfer auf dem teuren Ledersofa rumgammelt, noch dazu mit einer Fahne von hier bis Marokko?

„Okay, dann geh ich jetzt mal besser.“

Anmutig wie ein Elefant schiebe ich meinen Hintern von der Couch und bewege meine Beine nach kleineren Anlaufschwierigkeiten in Richtung Tür. Ja, ich bin nicht ganz auf der Höhe, wenn ich was getrunken habe.

„Warten Sie“, ruft Degenhardt hastig und ich drehe mich nochmal um. „Ich fahr Sie.“

So ein Angebot soll man nicht ausschlagen ... wer weiß, in welchem Kaff ich hier gelandet bin und wie weit es bis zu uns ist. Busverbindung? Pustekuchen. Außerdem bin ich mir nicht mal sicher, ob ich Bargeld dabei hab.

Wir steigen also in seinen Wagen und während der ganzen Fahrt dröhnt die Stille in meinen Ohren. Gut, vielleicht tut der letzte Rest Kopfschmerz sein übriges. Jedenfalls ist es mir unangenehm, selbst laute Musik wäre mir im Moment lieber als das drückende Schweigen. Degenhardt hält vor unserem Block, der ein ziemlich krasses Gegenteil zu seinem schicken Mehrparteienhaus ist. Ich habe den Türgriff schon in der Hand, als er leicht meine Schulter berührt.

„Sollten Sie fragen zur Leistung Ihres Bruders haben, können Sie gern zu mir kommen, Herr Rostock“, sagt er ernst und seine dunklen Augen sehen mich durchdringend an. „Okay?“

Ich nicke mit trockenem Mund und steige schnell aus.

„Danke. Danke fürs Fahren, Herr Degenhardt.“

Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, als ich die Treppen zu unserer Wohnung erklimme. Heute habe ich schon ordentlich was zu vertuschen: Dass ich schrecklich besoffen war, dass ich einen Megafilmriss habe und dass das ein Lehrer unserer Schule war, der mich da gerade eben abgesetzt hat. Außerdem sind meine Beine ganz wabbelig, nicht gut. Bestimmt werde ich zu meinem Kater auch noch krank, ich sehs kommen. Wo zur Hölle ist mein Haustürschlüssel? Muss ihn wohl vergessen haben. Also klingeln.

Meine Mutter öffnet im Morgenmantel. Ihre Haare sind wirr, ihre Schminke sitzt perfekt und auf ihrem Gesicht liegt ein zufriedenes Grinsen. Ganz klares Anzeichen für Sex. Was ist das eigentlich für ein Leben, in dem die eigene Mutter gefühlte 3000 Mal mehr Sex hat als ihr Teenager-Sohn?

Ein beschissenes, oh ja.

„Morgen, Luca-Schatz. Und, schöne Nacht verbracht?“, zwitschert meine Mutter und zwinkert mir wissend zu.

Aber klar doch! Sex mit drei verschiedenen Typen, wilde Stellungswechsel, erotische Spielchen und das alles auf einmal. Hat irgendwer meinen Sarkasmus gesehen? – Ach, da ist er ja.

„Nee du ... bin ziemlich übel versumpft und dann bei Eric aufm Sofa eingeschlafen. War jetzt nicht so der Brüller“, erwidere ich achselzuckend.

„Achja? Wer war dann dein Chauffeur gerade? Erzähl mir nichts, Luca, ich hab es am Küchenfenster gesehen!“

„Och, das. Das war Erics großer Bruder, der war so nett und hat mich nach Hause gefahren. Ist ja doch ne ganze Ecke bis zu uns“, rede ich mich hastig raus.

Das wär ja der Hit, wenn meine Mutter mir noch ein Verhältnis mit nem Lehrer unterstellen würde! Ihr Blick ... ich glaub mir wird ganz plötzlich ziemlich übel. Presse mir die Hand vor den Mund und spurte Richtung Bad. Meine Mutter ruft mir noch was hinterher aber ich verstehe es nicht mehr bei dem ganzen Blut, das durch meine Ohren rauscht. Ich reiße die Tür auf und gehe erstmal vor dem Klo in die Knie. Der Rest erübrigt sich wohl.

Kaum bin ich fertig, funktionieren meine Sinne scheinbar wieder ausgezeichnet, denn mir fällt sofort auf: Ich bin nicht allein hier drin, oh Gott. Vor mir steht ein älterer Herr mit spärlichem Haar und Bauchansatz und sieht mich verstört an. Mein Blick dürfte aber auch nicht anders sein, der ist nämlich zu allem Übel auch noch nackt, weil gerade frisch aus der Dusche gestiegen.

Ooookay, jetzt weiß ich, was meine Mutter mir mitteilen wollte.

Mein Magen rumort noch ein Stückchen mehr aber wenn ich ihm jetzt noch vor die Füße kotze, hängt der Haussegen endgültig schief. Also entschuldige ich mich so höflich wie möglich und verziehe mich schnell in mein Zimmer. Erstmal ausruhen von dem desaströsen Wochenende.

Ich sag doch, dass Partys mir nur Unglück bringen.

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