Stories
Stories, Gedichte und mehr
Zwischen Theater und Schrottplatz
Osterchallenge 2006
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Zwischen Theater und Schrottplatz
- Autor: Snuggles
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Challenge
Scheiße, tat das weh! Ja, verdammt noch mal, es war kurz vor ihrer Premiere. Und nein, das hier war kein Lampenfieber, sondern furchtbare, alles zusammenschnürende Magenkrämpfe.
Während Phillip Martenson, zweiter Hauptdarsteller einer kleinen, unpopulären Schauspielgruppe mit seinem männlichen Stolz und den stechenden Schmerzen in seinem Magen kämpfte, die ihm die Schweißperlen auf die Stirn treten ließen, hatten seine Kollegen andere Probleme. Der schwarzhaarige Mittzwanziger würde in dreißig Minuten unmöglich 'raus auf die Bühne können. Dummerweise mußte die Premiere ein Erfolg werden, sonst würden ihnen die Gelder endgültig und unwiderruflich gestrichen werden. An sich gab es da keine weitere Diskussion. Wozu hatten sie schließlich eine Zweitbesetzung? Nur sah das der erste Hauptdarsteller ganz anders.
„Seid ihr denn alle blind? Er will sich die Rolle erschleichen. Ich habe es gleich gesagt, er taugt nichts. Wer soll ihm den ernsthaft meinen Rivalen abnehmen? Dass der nicht im Minirock rumläuft, ist alles! Der Fisch war schlecht, das ist doch sein Werk!“ wütete er, lief in voller Montur, sprich üppigem, goldbesetzten Kostüm hin und her und wirbelte dabei anstelle seines Schwertes mit einem Nudelholz umher, das er in seiner Wut gegriffen hatte, und scheuchte alle auf, von der Visagistin bis zum Kind des Bruders eines Nebendarstellers, das lautstark zu weinen anfing.
Einzig Jimmy blieb ruhig. Er war Bens Anfeindungen gewöhnt, auch wenn er nicht so richtig wußte, woher sie kamen. Vorsichtig half er dem Kranken hoch und verfrachtete ihn erstmal vom Boden in ihr Notfallbett. Suchend schaute er sich um, ging zum Krimskramsschrank, streckte und reckte sich, was Ben zu äußerst unschönen Bemerkungen über zu klein, zu schmal und unglaubwürdig veranlaßte. Endlich fand Jimmy, was er gesucht hatte. Grinsend schnappte er das brüllende Kind und drehte er sich zu dem rasendem Mann um.
„Sei so gut Ben, paß mal auf den Kleinen auf.“ Fassungslos und vorübergehend verstummt saß der große Schwarzhaarige da und war offensichtlich leicht überfordert mit der Situation. Das Kind auch, es schrie noch lauter und strampelte sich von dem kräftigen Mann los, bis sein Vater auftauchte und die beiden voneinander befreite.
Leider - zumindest aus Jimmys Sicht - hielt die Ruhe nur so lange an, bis er wieder aus dem Bad kam und Ben sah, was er in der Hand trug.
„PINK?! Ich wußte, dass du eine kleine Tucke bist, aber dass man das so raushängen lassen muss...“ Seufzend und kopfschüttelnd ging der Wuschelkopf an seinem Kollegen vorbei und setzte sich zu Phillip ans Bett, strich ihm über die Stirn. „Ich hab' eine Wärmflasche für dich. Wenn du merkst, dass die Schmerzen schlimmer werden, nimm sie sofort wieder runter, ja?“ Damit half er dem armen Tropf, den Hosenknopf zu öffnen, überhörte Bens abfälligen Kommentar einmal mehr und legte ihm die pinke herzförmige Bettflasche auf den Bauch.
„Jimmy, komm, wir müssen dich fertig machen.“ Die Visagistin hibbelte um ihn herum, er wurde in ein einfaches, mittelalterliches Untere-Schicht-Kostüm gesteckt und dann war es so weit. Langsam machte sich auch bei Jimmy die Nervosität bemerkbar. Doch viel Zeit hatte er nicht, da mußte er auch schon auf die Bühne, und wie so oft vergaß er alles um sich herum, ging in der Rolle des armen Liebhabers, der um seine Angebetete kämpfte, völlig auf. Ben machte ihm das allerdings auch nicht besonders schwer. Die Luft zwischen ihnen schien im Zorn zu vibrieren, während Ben Jimmy körperlich weitaus überlegen war, entpuppte sich der Kleinere im Laufe des Spieles zunehmend als geschickter, wortgewandter und flinker als sein Gegner. Doch während das Drehbuch dies alles noch vorschrieb, war es vom Autor sicher nicht vorgesehen, dass die beiden Hauptdarsteller Hass, Unverständnis und eine seltsame, raue Leidenschaft an den Tag legten, die immer wieder zu explodieren schien. Sie schmissen mit Worten um sich, kämpften mit ihren Schwertern und vergaßen alles um sich herum, ja sogar die Braut, um deren Gunst die Rivalen buhlten. Der Höhepunkt des Stückes nahte, die Braut wurde zwischen den Kontrahenten hin- und hergeworfen, nicht länger war es ihre Entscheidung, für wen ihr Herz schlug, nein, es ging nicht länger um sie. Und während das Drehbuch vorsah, dass schlußendlich Jimmy seine Geliebte eroberte, geriet der Streit zwischen ihnen nun endgültig außer Kontrolle. Längst lagen die Schwerter am Boden, sie prügelten sich auf dem Boden, wobei der Kleinere natürlich unterlag, und beachteten die verzweifelte Schauspielerin nicht, die versuchte, sie auseinanderzureißen.
Glücklicherweise schien jemand hinter der Bühne seinen Verstand noch behalten zu haben und schickte die Soldaten auf die Bühne, die ihren Auftritt eigentlich schon hinter sich hatten. Sie zerrten Ben von Jimmy weg, der nur noch wüste Beschimpfungen rufen konnte. Jimmy wußte nicht, wie ihm geschah, schon kniete die Geliebte des armen, ehrlichen Mannes neben ihm, schluchzte ihre Liebesbekundungen und unter einem heißen Kuß ging der Vorhang zu. Das letzte, was er hörte, war das begeisterte, lautstark applaudierende Publikum, das darauf verzichten mußte, die Schauspieler noch einmal zu sehen.
„Na, du findest dich jetzt wohl ganz toll, was?“ Sauer zog Ben den schlanken jungen Mann an dem Kragen seines Kostüms hoch.
„Ach, halt doch die Klappe, wie kann man nur so ein arrogantes Arschloch sein?“
„Wie kann man sich nur so widerlich anbiedern? Und dann knutschst du Helena ab, als würde dir jemand abnehmen, dass du dazu überhaupt fähig bist, es einer Frau richtig zu besorgen.“
„Komisch, dafür war der Applaus aber ziemlich laut, ich würde eher sagen, sie hätten es dir nicht abgenommen. Du bist zu Gefühlen doch überhaupt nicht fähig. Also verurteile meine nicht, wenn du keine Ahnung hast, wovon du sprichst.“
Im gleichen Moment, in dem Ben Jimmy mit dem Kopf gegen die nächste Wand schlagen wollte, rissen sie zwei kräftige Männer auseinander und ihr Chef stand mit verschränkten Armen vor ihnen.
„Raus mit euch, alle beide! Und wenn ihr euch abgekühlt habt, habe ich noch ein Hühnchen mit euch zu rupfen!“ Mit dieser eindeutigen Vorwarnung wurden die Streithähne an die Luft befördert und landeten unsanft auf dem Asphalt.
Ben rappelte sich als erstes wieder auf. „Das ist nur deine Schuld! Und jetzt bekommen wir Ärger und ...“, weiter kam er nicht. Ein vor Wut bebender Jimmy stand vor ihm und gab ihm mit all seiner Kraft eine Backpfeife.
„Jetzt halt aber mal die Luft an! Seit ich an diesem Theater bin, lasse ich deine Beleidigungen stillschweigend über mich ergehen, aber es reicht jetzt, du hast es zu weit getrieben!“ Vor Wut kochend stapfte er davon, spürte die Blicke des sprachlosen Ben in seinem Rücken. So hatte Ben den ruhigen Mann noch nie erlebt. Schon auf der Bühne, diese Wut, hatte er das alles ausgelöst? Dabei wollte er ihn doch nur von sich fern halten, die Gefühle, die aufkeimten, wann immer er den Braunhaarigen erblickte, der von Anfang an keinen Hehl aus seiner Vorliebe zum eigenen Geschlecht gemacht hatte, nicht an sich rankommen lassen. Nun, jetzt hatte er ihn wohl endgültig vertrieben.
Traurig lächelnd stellte er fest, dass es sich nicht mal annähernd gut anfühlte, wie es das seiner Meinung nach eigentlich tun sollte.
Ben schreckte auf, als er Reifen quietschen und jemanden aufschreien hörte. Er rannte in die Richtung, aus der der Lärm gekommen war, sah aber nur noch einen schlanken Körper blutend am Rand der Straße liegen. Jimmy kniete neben der verletzten Frau und brachte sie in die stabile Seitenlage, hatte sie vorsichtig so zur Seite gerollt, dass sie nicht mehr auf der Straße lag. Ohne ein Wort hockte er sich zu ihm, half ihm und rief dann von seinem Handy aus Polizei und Krankenwagen an.
„Was ist passiert?“ Wollte er nach einigem Moment des Schweigens wissen. Ihren Streit schob er nach hinten, dafür war jetzt keine Zeit.
„Sie ist vor mir über die Straße gegangen, da kam ein Wagen egelrecht angeschossen, hat noch versucht abzubremsen, aber als er gemerkt hat, dass er sie erwischt hat, ist er einfach weitergefahren. Ich konnte leider nur erkennen, dass es ein alter, verbeulter silberner Opel war.“ Jimmy schüttelte den Kopf, hatte die Bilder noch im Kopf. Heute war eindeutig nicht sein Tag. Ben schaute ihm in das schreckensbleiche Gesicht und sah Jimmys Hände zittern. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, waren Bens Gesichtszüge offen und ehrlich und seine Augen drückten Besorgnis aus.
„Falls du mit auf die Polizeiwache mußt, komme ich mit, falls du möchtest.“ Ungläubig erwiderte Jimmy den Blick. Doch Bens Augen sahen mit einem Mal so ehrlich aus, dass er einfach nicht anders konnte, als zu nicken. Er wollte da nicht alleine hin und wenn es dieses Ekelpaket war, das ihn begleitete.
Der Krankenwagen kam kurz darauf und Jimmy atmete erleichtert auf, als sie erfuhren, dass sie nicht allzu schwer verletzt war. Ben auch, doch er ließ es sich nicht anmerken. Überhaupt wirkte er nun wieder sehr viel gefasster und reservierter, nur die Sticheleien hatte er eingestellt.
Bei der Polizeistation angekommen, betrat Jimmy unsicher das große Gebäude, obwohl er ja nur Zeuge war und seinen Bericht abgeben mußte. Es war schon merkwürdig. Allein jemanden dabei zu haben, den er kannte, wenn auch nur von seiner schlechten Seite, beruhigte ihn.
Den Bericht abzugeben ging schnell, eine Polizistin tippte alles in ihren Laptop und bald darauf war er wieder entlassen.
„Auf den Schrecken brauche ich jetzt ein Bier!“ stellte Ben fest und ohne nachzudenken stimmte Jimmy zu. Ja, ein Bier würde ihm jetzt auch guttun.
Aus dem einen Bier wurden zwei, dann drei, und irgendwann erzählten sie sich Geschichten aus ihrem Leben. Nur die Themen Streit, Beleidigungen und Homosexualität blieben unberührt. Wie es kam, dass Jimmy sich entschied, mit zu Ben zu kommen, warum er ihm torkelnd und singend immer näher kam und sich von Ben beim Ausziehen helfen ließ, wußte er am Morgen nicht mehr. Alles was ihm klar war, als er nackt am nächsten Morgen neben dem Schauspieler erwachte, war, dass etwas absolut nicht so gelaufen war, wie er sich das gedacht hatte.
Sein Herz pochte aufgeregt, alles in ihm sträubte sich zu glauben, was seine Augen ihm weismachen wollten. Er hatte das nicht getan! Er wollte das nicht! Und wenn er das schon getan hatte, dann wollte er sich wenigstens daran erinnern können. Er wollte wissen, wie Jimmy schmeckte, sich anfühlte, wie er roch, wie er aussah, wenn er kam, ob er leise genoß oder seine Lust laut hinausschrie. All das wollte Jimmy in fester Erinnerung haben, wenn er aufwachte und erkannte, mit wem er das Bett geteilt hatte. Doch alles was jetzt da war, war ein großes schwarzes Loch. So schnell und vorsichtig wie es ging, damit der Grünäugige nicht aufwachte, löste er die Arme von dem warmen Körper, stieg aus dem Bett, zog sich an, wobei er feststellen mußte, dass seine Kleider in der Wohnung verstreut lagen und floh regelrecht aus der Wohnung.
Ben erwachte früh am Morgen - und sank stöhnend in die Kissen zurück, als er erkannte, was geschehen war. Im Gegensatz zu Jimmy wußte er noch genau, was passiert war. Er hatte Jimmys Geschmack noch auf der Zunge, seine Finger schienen noch immer von seinen Berührungen zu kribbeln und er hatte den Sturm in seinen Augen gesehen, als er laut aufstöhnend gekommen war. Und er wußte auch, warum er es getan hatte. Obgleich der Andere ein Arsch gewesen war, es gab Züge an ihm, seine kleinen, unbewußten Gesten, sein seltenes Lachen, sein trockener Humor, dem er verfallen war. Doch nun war das geringste, was ihn erwartete, eine kräftige Tracht Prügel. Und die hatte er sogar verdient, fand Ben zumindest. Immerhin hatte er die Situation ausgenutzt, er war nicht so betrunken gewesen wie Ben, hätte sie stoppen können.
Zwei Tage später vermieden die Beiden gekonnt jeglichen Augenkontakt miteinander, ließen die Standpauke ihres Chefs, von wegen „Wäre es nicht solch ein Erfolg gewesen, würde ich ihnen auf der Stelle kündigen“ über sich ergehen. Das Bild wechselte schlagartig, als beide plötzlich jeweils ein Zugticket in der Hand hielten.
„Ihr habt vier Tage Zeit, euch darüber Gedanken zu machen, was ihr wollt. Wenn ihr wiederkommt will ich kein Wort mehr von euch hören, das über konstruktive Kritik hinausgeht, sonst fliegt ihr schneller als ihr euch prügeln könnt. Ach Jimmy, die Polizei hat hier angerufen, warum gibst du denen nicht deine Privatnummer? Jedenfalls sollst du umgehend auf dem Schrottplatz hier in der Nähe erscheinen, es sieht so aus, als wollte der Unfallfahrer den Wagen verschrotten lassen.“ Damit waren sie entlassen. Stumm gingen sie nebeneinander her, im unausgesprochenen Einverständnis, dass Ben mit zum Schrottplatz kam und ebenso stumm standen sie sich gegenüber, nachdem geklärt war, dass es das Auto gewesen sein könnte. Zwischen einer kaputten Strickleiter, zerbeulten Autos und etlichem anderen Zeug standen sie sich gegenüber und starrten sich an, bis Ben das Wort ergriff, oder es zumindest versuchte.
„Ich äh.“ Weiter war Ben nicht gekommen, als er die Sätze zuhause vor dem Spiegel geübt hatte.
„Ich... ähm wollte das nicht ausnutzen... ähm...“
„Naja, war meine Schuld wegen dem... ich wollte nicht... nicht schwul sein, aber jetzt...“
Jimmy war es, der einsah, dass sie ihr Gestammel nicht mehr weiterbrachte und so überwand er die kurze Distanz zwischen ihnen, liebkoste die fremden Lippen zärtlich mit seinen und schlang die Arme um den Hals des Größeren, spürte, wie auch der Schwarzhaarige seine Arme sanft um ihn legte. Ja, dachte er, sie würden noch lange genug Zeit zum Reden haben.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.