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Regenbogenfamilie

Teil 26 - Mein Neffe Jonas

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Informationen

 

Wir konnten an diesem Mittwochmorgen ausnahmsweise länger ausschlafen, da das Flugzeug mit Mutter, unseren Jungs und den beiden Freunden erst mittags am Flughafen in München landen würde und ansonsten für diesen Tag keine weiteren Termine eingeplant waren.

So gegen neun Uhr saßen wir trotzdem bereits beim Frühstück und besprachen unsere Aktivitäten, die heute zu erledigen waren. Ich wollte auf alle Fälle mit meiner Mutter zum Einkaufen gehen, damit sie für die nächsten Tage das Wichtigste bereits im Haus hat, bevor wir sie im Gutshaus abliefern.

Sie hatte beschlossen, im Gutshaus zu übernachten, und wollte sich dort bereits auf ihre dauerhafte Rückkehr nach Deutschland vorbereiten.

Thomas meinte dazu, dass wir für uns und unsere Gäste vor­sichts­halber auch gleich unsere eigenen Vorräte auffüllen sollten; in den näch­sten Tagen würden wir nicht mehr so oft Gelegenheit haben, um in Ruhe einkaufen zu gehen. Damit war für uns klar, dass wir gemeinsam einkaufen würden, nachdem wir alle am Flughafen eingesammelt hatten.

Nach dem Einkaufen würde ich mit meiner Mutter zum Gutshof fahren und ihr bei der Inbetriebnahme der Technik im Gutshaus und beim Aufräumen der Einkäufe helfen. Falls einer der beiden Jungs mitkommen und mir und Mutter zur Hand gehen würde, wären wir umso früher wieder zu Hause.

Da es bei der Anzahl der angemeldeten Trauergäste zum Leichenschmaus immer noch keine größeren Abweichungen gab, konnte ich mir einen weiteren Anruf beim Caterer er­sparen, ich würde trotzdem heute Abend noch einmal bei Christoph nachfragen, wie der aktuelle Stand der Anmeldungen ist zu Trauerfeier und zum Leichenschmaus ist.

Bevor wir uns zusammen, aber trotzdem in getrennten Fahr­zeugen, auf den Weg zum Flughafen nordöstlich von München machten, brachten wir unser Gästezimmer in einen für Besucher geeigneten ordentlichen Zustand, im Grunde mussten wir nur die Betten einmal neu beziehen und kurz den gesamten Raum einmal durchsaugen.

Wir waren mehr als rechtzeitig am Flughafen, genau genommen waren wir in Wirklichkeit viel zu früh angekommen, aber auf dem Weg dorthin gab es keine Staus oder sonstigen Behinderungen auf der Autobahn, die wir sicherheitshalber für unsere Anfahrt eingeplant hatten.

Wir parkten deshalb unsere Autos in einem der Parkhäuser und tranken im Ankunftsbereich des Flughafens bis zur Landung des Fliegers gemütlich eine Tasse Kaffee. Schon kurz nach der Landung des Fliegers gingen wir zu dem Ausgang, durch den unsere Flugpassagiere herauskommen mussten. Es dauerte doch noch eine ganze Weile, bis meine Mutter zusammen mit den vier Mitreisenden bei uns eintraf.

Auf dem Weg zu unseren Fahrzeugen erklärten wir allen, wie wir uns den weiteren Ablauf des Nachmittags gedacht hatten. Zuerst gemeinsam in Rosenheim einkaufen, danach trennen sich unsere Wege, ich fahre mit meiner Mutter weiter zum Gutshof, der Rest mit Thomas zu uns nach Hause. Ich fragte, ob einer der Jungs mit mir mitkommen wolle zum Gutshof, um mir und Mutter zu helfen, die längere Zeit nicht benutzten Räumlichkeiten in einen benutzbaren Zustand zu versetzen.

Marcus erklärte sich spontan bereit, mit mir und Mutter zum Gutshof zu fahren; Philipp meinte nach kurzer Denkpause, wenn es Thomas nichts ausmache, würde er auch zum Gutshof mitfahren, dann seien wir dort früher fertig und schneller wieder zu Hause. Ihr Gepäck luden die Jungs trotzdem in Thomas' Wagen, deshalb landete nur Mutters Gepäck im Kofferraum meines Fahrzeugs.

Alejandro wollte wissen, ob er sich mit Jorge zusammen den Gutshof in den nächsten Tagen ansehen könne, Jorge würde interes­sieren, wie so ein landwirtschaftlicher Betrieb in Deutschland aussieht, er würde dann auch sofort mit uns mitfahren wollen. Ich erklärte ihm, dass er definitiv spätestens am Freitag den Gutshof sehen würde, weil dort der Leichenschmaus stattfinden wird, vermutlich ergäbe sich jedoch vorher bereits eine Möglichkeit zu einem Besuch mit Besichtigung im Gutshof.

Unser erster Weg führte uns in Rosenheim in einen Supermarkt in einem größeren Einkaufszentrum, den wir nach etwas mehr als einer Stunde Fahrzeit erreichten. Mit zwei Einkaufswägen ging es durch den Einkaufstempel.

In den von Philipp gesteuerten Wagen kamen die Lebensmittel, die für meine Mutter bestimmt waren; in den zweiten Wagen, den Thomas durch den Laden lenkte, haben wir unsere Einkäufe abgelegt.

Vor dem Kassenbereich trennten sich unsere Wege; damit erreichten wir, dass wir mit dem Bezahlvorgang fast gleichzeitig fertig waren. Gemeinsam ging es weiter auf den Parkplatz zu unseren Fahrzeugen.

Unsere Einkäufe verstauten Thomas und unsere beiden spanischen Gäste in Thomas' Wagen, mit dem er direkt zu uns nach Hause weiterfahren würde.

Die Jungs und meine Mutter verstauten Mutters Einkäufe in meinem Wagen, mit dem wir zum Gutshof weiterfahren wollten. Ich meinte noch zu Thomas, dass er so in etwa gut zwei Stunden mit unserem Erscheinen zu Hause rechnen könne. Wir würden uns aber bei ihm melden, falls uns unerwartete Probleme aufhalten würden.

Auf dem Weg zum Gutshof erklärte mir Mutter, dass sie vorher gerne noch beim Bäcker und beim Metzger vor Ort einkaufen möchte. Deshalb hielten wir noch einmal an, damit ich mit Mutter beim Bäcker und Metzger einzukaufen konnte; Philipp und Marcus beschlossen währenddessen, im Auto auf uns zu warten. Mutter meinte noch, wenn ihnen doch langweilig werden sollte oder es etwas länger dauern würde, könnten sie doch nachkommen.

Die alte Bäckersfrau, die ich noch aus meiner eigenen Kindheit kannte, be­grüßte meine Mutter und da sie bereits von Vaters Tod erfahren hatte, meinte sie zu Mutter und zu mir: „Herzliches Beileid zum Tod ihres Mannes und deines Vaters.“ Danach fragte sie Mutter nach ihren Wünschen.

Mutter orderte ein Landbrot und wollte wissen, ob die Bäckerin das Brot auch gleich in Scheiben aufschneiden könne, da sie im Gutshof vorerst keine Brotschneidemaschine habe. Im weiteren Gespräch mit der Bäckerin erzählte sie ihr noch, dass sie in Zukunft wieder öfter zum Einkaufen kommen werde, da sie in den nächsten Wochen endgültig von Mallorca in ihre alte Heimat zurückkehren wird.

Beim Metzger erlebte ich das Gleiche, erst die Begrüßung und danach die Beileidsbekundung. Mutter kaufte Wurstaufschnitt und etwas Fleisch für die nächsten Tage. Auch dort gab sie die Erklärung ab, dass sie in Zukunft wieder öfter zum Einkaufen vorbeikommen werde.

Danach ging es endlich weiter direkt zum Gutshaus. Dort erwartete uns bereits der bisherige Pächter, der uns darüber informierte, dass er bereits gestern den Kühlschrank und den Gefrierschrank in Betrieb genommen habe und seine Frau heute Morgen mit der Zugehfrau zusammen die wichtigsten Wohn- und Schlafräume in einen bewohnbaren Zustand versetzt haben.

Der Saal und das gesamte Erdgeschoss, in dem am Freitag der Leichenschmaus stattfinden soll, würden heute oder spätestens morgen früh von einer Putzkolonne gereinigt, damit morgen im Laufe des Tages die Anlieferung der Tische und Stühle erfolgen und anschließend sofort alles aufgebaut werden könne. Die Warmwasserbereitung und Heizung hatte er ebenfalls gestern bereits in Betrieb genommen, damit heute bereits genügend Warmwasser für Mutter zur Verfügung steht.

Während Mutter und ich uns noch mit dem Pächter unterhielten, hatten die Jungs bereits alle eingekauften Lebensmittel und Mutters Koffer ins Haus getragen. Als Mutter und ich die Küche betraten, waren die beiden Jungs bereits mit dem Verstauen der für den Kühl- und Gefrierschrank gekauften Lebensmittel fertig.

Mutter meinte, den Rest würde sie gerne selbst in ihrer Küche verstauen. Marcus und Philipp gingen in den Flur, um Mutters Koffer wegzubringen, und riefen von dort, wo sie die Koffer hinbringen sollten. Mutter folgte ihnen und zeigte ihnen den Weg zum Schlafzimmer. Ich blieb in der Küche und Erinnerungen an meine eigene Kindheit hier im Haus schlichen sich wieder einmal durch meine Gedanken.

Dabei fiel mir auf, dass von der damaligen Einrichtung in der Küche nur der alte Esstisch, die dazugehörige Bank und die Stühle aus echter Eiche übriggeblieben waren. Die alten Küchenschränke und der Kohleherd waren einer moderneren Einbau­küche mit Theke gewichen. Ich überlegte, wann ich das letzte Mal in dieser Küche gestanden hatte.

Ich überlegte lange und fing zu rechnen an. Das musste inzwischen fast dreißig Jahre her sein. Bei den wenigen Besuchen in meinem Elternhaus hatte mich mein Weg nie in die Küche geführt. Ich war immer nur im Wohnraum, im Speisezimmer oder unten im großen Saal gewesen in dieser Zeit. Seit dem Umzug meiner Eltern nach Mallorca hatte ich definitiv nicht mehr in dieser Küche gestanden.

Nach wenigen Minuten kamen die drei aus den Schlafräumen zurück in die Küche und Mut­ter meinte, wir könnten langsam nach Hause fahren, da vom Pächter und seiner Frau bereits alles hervorragend für ihre Ankunft vorbereitet sei und wir deshalb unsere Gäste nicht so lange warten lassen sollten.

Sie erklärte mir, sie habe mit dem Pächter bereits vorgestern telefoniert und ihn gebeten, so wie in der Vergangenheit schon des Öfteren, die wichtigsten Dinge in Betrieb zu nehmen. Das hatte Vater auch immer gemacht, wenn sie oder er für einige Tage in Deutschland gewesen waren und im Gutshaus übernachtet hatten.

Beim Verabschieden fragte Marcus meine Mutter höflich, ob er morgen mit Philipp wieder herkommen solle und Mutter bei den ganzen Vorbereitungen für den Leichenschmaus unterstützen könne.

Meine Mutter überlegte nur kurz, dann sagte sie zu den Jungs, dass sie sich freuen würde, wenn sie morgen wiederkämen und ihr behilflich seien. Sie versprachen ihr, so spätestens gegen elf Uhr bei ihr zu sein.

Auf dem Weg zu uns nach Hause berichtete ich Philipp und Marcus endlich, dass wir ab morgen bis voraussichtlich Samstag einen Schlaf­gast in ihrem Schlafzimmer unterbringen müssten. Sein Cousin Jonas Strohwinkel sollte bei ihnen übernachten. Die beiden Jungs wollten von mir wissen, warum wir, ohne sie vorher zu befragen, einfach über ihren Kopf hinweg diese Entscheidung getroffen hatten.

So erzählte ich ihnen vom Anruf meiner Schwester am späten Nach­mittag des vergangenen Tages und dass sie uns nach Meinung von Thomas und mir vorsätzlich belogen habe, indem sie uns weismachen wollte, dass sie kein Hotelzimmer für ihren Jüngsten in Rosenheim gefunden hätte. Daraufhin hätten wir spontan beschlossen, ihn bei uns aufzunehmen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Marcus meinte dazu, die zwei oder drei Nächte würden sie das schon schaffen und wenn Thomas richtig läge mit seiner Vermutung, dann sollten wir seinem Cousin auf alle Fälle unsere Hilfe anbieten.

Beim Einbiegen in unsere Einfahrt fiel mir am Straßenrand ein Kleinwagen auf, der keines der ortsüblichen Kraftfahrzeugkennzeichen hatte und auch nicht aus der näheren Umgebung stammte. Sollte das etwa schon Jonas sein, seine Mutter hatte uns doch seine Ankunft erst für morgen, am Donnerstagnachmittag, avisiert.

Vorsichtshalber behielt ich meine spekulative Erkenntnis erst einmal für mich. Wir stiegen aus dem Wagen und gingen zum Haus. Marcus betätigte die Klingel und schon kurze Zeit später öffnete sich die Haustür. Thomas stand im Türrahmen und grinste uns frech an mit dem Kommentar: „Hat der alte Mann seinen Hausschlüssel wieder einmal zuhause liegen gelassen?“

„Nein, aber der alte Mann war wohl dem jungen Gemüse nicht schnell genug, um die Haustüre aufzu­sperren“, antworte ich ihm. „Kann es sein, dass wir bereits Besuch bekommen haben?“, frage ich sofort bei Thomas nach.

Thomas sah mich erstaunt an und wollte von mir wissen, wie ich auf diese Fragen komme. Ich sah ihn an, dann zum Wagen, der auf der Straße parkte, und erklärte ihm: „Ich mag zwar etwas älter sein als du, aber keineswegs senil, und mit Brille kann ich auch noch gut sehen und lesen. Wenn vor unserem Haus ein Auto parkt, dessen Kennzeichen auf den Wohnort meiner Schwester hinweist, muss ich davon ausgehen, dass unser Übernachtungsgast einen ganzen Tag früher bei uns eingetroffen ist, als er von meiner Schwester angekündigt wurde.“

Thomas grinste uns an und erklärte: „Unsere Gäste sind auch erst vor ein paar Minu­ten eingetroffen und sitzen bereits im Wohnzimmer bei Alejandro und Jorge. Jetzt kommt rein ins Haus, legt ab und kommt zu uns ins Wohnzimmer.“

Eigentlich wollte ich schon nachfragen, ob ich mich verhört habe, als Thomas von Gästen sprach, überlegte es mir aber anders, vermutlich hatte ich nur nicht richtig hingehört, was er gesagt hat. Blamieren wollte ich mich mit meiner Nachfrage keinesfalls. Wir legten unsere Jacken ab, zogen unsere Schuhe aus und folgten Thomas zu den anderen ins Wohnzimmer.

Ich staunte nicht schlecht, auf der kleinen Couch saßen zwei hübsche Jungs. Den einen von den beiden Jungs konnte ich sofort als meinen Neffen, den jüngsten Sohn meiner Schwester Gerlinde, identifizieren, da wir uns in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal bei diversen Familienfeiern gesehen hatten.

Den zweiten hatte ich jedenfalls vorher noch nie gesehen. Hatte Thomas doch den richtigen Riecher gehabt, als er gestern meinte, dass da etwas faul war an der Ausrede meiner scheinbar immer noch homophoben Schwester?

Mein Neffe Jonas versuchte, seinem Freund die Neuankömmlinge, also mich und die beiden Jungs, vorzustellen. Bei Philipp und mir hatte er damit kein Problem, aber bei Marcus stutzte er kurz und schaute verzweifelt Philipp an, der ihm helfen sollte. Philipp erklärte ihm souverän, dass es sich um seinen Freund Marcus handle und der seit mehr als zwei Jahre mit uns zusammen im gleichen Haus wohne.

Überrascht schaute Jonas zu Philipp und Marcus, bevor er uns seinen Mitreisenden Tim Bauer als seinen Freund vorstellte. Wir begrüßten sowohl Tim als auch Jonas freundlich. Damit, dass Jonas nicht allein anreisen würde, hatten weder Thomas noch ich im Entferntesten gerechnet. Wenn es das war, was ich in dem Moment dachte, hatten wir die Lösung für die Frage, warum sie für ihren Sohn kein Hotelzimmer finden wollte.

Trotzdem hatte ich jetzt ein gewaltiges Problem, ich hatte unseren Jungs Philipp und Marcus eigentlich nur einen Schlafgast in ihrem Reich angekündigt. Philipp, der mir mein Dilemma sofort ansah, meinte knochentrocken, dass er und Marcus kein Problem damit hätten, alle beide bei ihnen im Dachgeschoss unterzubringen. Ich atmete erleichtert auf, damit hatte sich ein mögliches Problem mit einem einzigen Satz von selbst erledigt.

Thomas meinte, der Kaffee sollte inzwischen durchgelaufen sein und wir könnten bereits im Esszimmer Platz nehmen. Er wolle nur noch schnell zwei weitere Tassen und Kuchenteller aufdecken, da er zwar mit uns gerechnet hatte, dass wir zum Kaffee bereits zurück sein würden, aber nicht mit den vor kurzem eingetroffenen ersten Trauergästen, wobei nur einer von den beiden Jungs uns für morgen angekündigt war.

Wir könnten mit unserem Kaffeekränzchen starten, sobald sich alle im Esszimmer versammelt hätten. Zusammen mit Marcus, Alejandro und Jorge verließ Thomas das Wohnzimmer in Richtung Esszimmer. Philipp und ich blieben zurück bei den beiden, die inzwischen ebenfalls schon aufge­standen waren.

Ich fragte deshalb Jonas: „Seid ihr zwei ein Pärchen, so wie Thomas und ich oder Marcus und Philipp?“

Jonas antwortete uns: „Ich denke schon, wir kennen uns seit der ersten Klasse und vor einigen Monaten haben wir uns endlich unsere Liebe gestanden. Seitdem sind wir ein Paar.“

Philipp grinste ihn an und erklärte: „Dann ist es wie bei mir und Marcus, wir kennen uns auch schon seit ewigen Zeiten und seit knapp drei Jahren sind wir jetzt fest zusammen. Vermutlich wird es bei euch beiden ähnlich gewesen sein wie bei Marcus und mir. Ich habe zu meinem Vater damals nur gemeint, tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert und dann hat's Bumm gemacht. Marcus wohnt jetzt seit Papas fünfzigstem Geburtstag hier bei uns, da seine Eltern nicht mit seiner Homo­sexualität klargekommen sind und ihn mehr oder weniger aus dem Haus vertrieben haben.“

Tim lachte und erklärte: „Da liegst du völlig richtig mit deiner Vermutung. Ihr hattet wohl das gleiche Problem wie wir beide, keiner von uns beiden hatte sich getraut, seinem besten Freund sein größtes Geheimnis anzuvertrauen, bis ich mich endlich dazu durchgerungen habe, mit dem Ver­steckspielen aufzuhören und mich Jonas anvertraut habe.

Ich hatte einfach zu viel Angst davor, dass Jonas nichts mehr von mir wissen will, wenn ich mich bei ihm oute. Jonas hat mir dann erklärt, dass es ihm genauso ginge, auch er habe sich bis dahin nicht getraut, mir gegenüber sein Schwulsein zu offenbaren und mir seine Liebe zu gestehen.“

Ich konnte in Jonas' Gesicht lesen, dass er ein ähnliches Problem haben musste wie Marcus mit seinen Eltern. Nach langem Zögern erklärte er uns, dass er mit seiner Mutter ähnliche Probleme habe, sie ihn aber nicht sofort rausge­worfen habe, sondern nur darauf bestanden habe, dass sie beide sich nicht mehr bei ihm zu Hause träfen und dass er nach Abschluss der Schule das Haus endgültig zu verlassen habe.

Philipp ver­suchte ihn damit zu trösten, dass wir ihnen auf alle Fälle helfen würden, wenn es soweit sei. Ich lotste die beiden ins Esszimmer und unterwegs bestätigte ich Philipps Angebot, dass wir ihnen helfen würden.

Während wir gemütlich Kaffee und Kuchen verspeisten, wurde wieder einmal viel durchein­andergeredet, da Alejandro gleichzeitig für Jorge immer wieder den Dolmetscher spielen durfte.

Jonas erklärte uns im Laufe des Gesprächs auch, warum sie beide bereits heute bei uns aufgetaucht seien. Nachdem ihm seine Mutter gestern am frühen Abend erklärt hatte, dass sie für ihn kein Hotelzimmer bekommen habe und er bei uns übernachten müsse, hatte sie ausdrücklich darauf bestanden, dass er nur allein zur Beerdigung anreisen dürfe.

Deshalb hätten sie beide noch gestern Abend, gemeinsam mit Tims Eltern, spontan beschlossen, gemeinsam zur Trauerfeier für Opa zu fahren, ohne dass seine Mutter das mitbekommen sollte, dass Tim mit dabei ist.

Sie seien heute früh bereits losgefahren, damit seine Mutter das auf keinen Fall verhindern konnte. Sie und der Rest seiner Familie kämen erst morgen nachmittags oder abends, wobei sie seinem großen Bruder ebenfalls untersagt hatte, seine Freundin mitzunehmen.

Nachdem alle satt waren und Marcus und Philipp den Tisch abgedeckt hatten, erklärte Thomas, dass er mit unseren spanischen Freunden heute noch einen kleinen Stadtbummel machen würde. Er schlug uns vor, dass wir uns gegen neunzehn Uhr bei Francesco zum Abendessen treffen sollten. Wir willigten alle ein und Thomas, Alejandro und Jorge verließen kurze Zeit später das Haus, um in die Stadt zu fahren.

Meine zwei, also Marcus und Philipp, wollten kurz nach oben gehen und für Jonas und Tim alles vorbereiten, wobei sie die beiden fragten, ob es für sie ein Problem sei, wenn sie für alle vier Jungs ein Matratzenlager aufbauen würden, so wie es auf vielen alpinen Skihütten üblich sei. Die zwei schauten sich kurz an, grinsten übers ganze Gesicht und erklärten, dass sie damit keinerlei Probleme hätten, sie kennten das schon von einigen Schulfahrten.

Ich blieb mit Jonas und Tim im Esszimmer zurück und bat sie, mit mir ins Wohnzimmer zu kommen, da ich mich gerne mit ihnen in aller Ruhe unterhalten wolle.

Es dauerte eine Weile, bis Jonas endlich zu erzählen anfing, wobei mich die Reaktion meiner Schwester am wenigsten überraschte, sie hatte damals bei mir und Thomas ein ähnliches Theater veranstaltet und unseren Vater aufgefordert, mich deswegen zu enterben.

Er erzählte, dass seine Probleme in dem Moment begonnen hatten, als er zu Hause seinen Eltern und Geschwistern von seiner Liebe zu Tim erzählt hatte. Während sein Vater und seine Geschwister das positiv empfanden, dass er den Mut hatte, ihnen von seinem Gefühlsleben zu erzählen, war Mutters erster Kommentar, dass sie Tim nie wieder in ihrem Haus sehen wolle, obwohl Tim bis zu diesem Zeitpunkt ein immer wieder gern gesehener Gast im Hause Strohwinkel gewesen sei.

Er erklärte mir, sie hätte das so formuliert: „,Dieses Schwein hat es gewagt, meinen Sohn zu verführen, ich verbiete dir ab sofort jeglichen Umgang mit diesem verkommenen schwulen Subjekt.‘ Da ich mich mit meinen achtzehn Jahren nicht mehr durch ihre Verbote schikanieren lasse und Tim weiterhin getroffen habe, hat das die Situation nicht unbedingt einfacher gemacht. Ich finde, sie hat kein Recht mir Vorschriften zu machen, mit wem ich mein ganzes Leben verbringen will.“

Ich schaute die beiden an und meinte: „Ich finde es sehr gut, dass ihr euch nicht von meiner homophoben Schwester abschrecken lasst und zu eurer Liebe steht. Ich habe etwas Ähnliches erlebt, als ich nach Gabis Tod meinen Schwiegereltern erzählt habe, dass ich mich zwischenzeitlich in Thomas verliebt habe.

Sie wollten mich daraufhin auch nie wieder sehen, da ich ihrer Meinung nach damit meine Liebe zu ihrer Tochter Gabi verraten hätte. Erst an meinem fünfzigsten Geburtstag änderte sich ihr Verhalten und ich und Thomas wurden beide sogar als ihre Schwiegersöhne anerkannt, vor allem, nachdem ihnen meine beiden Kinder vermitteln konnten, dass ich Gabi heute noch so liebe, wie es damals gewesen ist.“

Meine Schwester wird Augen machen, wenn sie jetzt erfährt, dass mein Vater mich nicht enterbt hat, so wie sie es immer wieder von ihm gefordert hatte, sondern er mich zum neuen Familienoberhaupt bestimmt hat und sie mit leeren Händen dastehen wird, da er ihr ihren Erbteil bereits in der Vergangenheit fast vollständig ausgezahlt hat.

Ich fragte die Jungs als Nächstes, wann sie denn mit der Schule fertig seien, und sie erklärten mir, dass in wenigen Wochen, mit Beginn der Sommerferien, die Schulzeit zu Ende sei und sie ihre Hochschulreife, also Abitur, haben würden.

Danach wollten beide gemeinsam studieren, am liebsten etwas in Richtung Landwirtschaft oder Gemüse­anbau. Sie hätten sich auch bereits schlau gemacht, wo sie möglicherweise ihr Studium absolvieren könnten. In Weihenstephan bei Freising hätten sie sich auch bereits um einen Studienplatz beworben, aber bisher hätten sie weder eine Absage noch eine Zusage von der Universität erhalten.

Ich überlegte kurz und erkannte sofort, dass sie bei einem Studium in Weihenstephan nur rund eine Autostunde weit entfernt wären und damit sogar hier in der Gegend wohnen könnten. Plötzlich hatte ich eine Idee, die ich aber zuerst noch mit meiner Mutter und Thomas besprechen wollte, bevor ich sie den beiden unterbreiten würde. Ich wollte wissen, wie lange sie hierbleiben würden und ob sie am Sonntag bereits wieder zu Hause sein müssten.

Tim erklärte mir, dass sie nächste Woche Ferien haben und ein paar Tage länger bleiben könnten, sie wollten sich bei dieser Gelegenheit sowieso die Universität in Weihenstephan anschauen und vielleicht auch nach einer kleinen Wohnung für sie beide in Freising umsehen. Für den Rest dieser Woche hatten sie sich bereits vom Unterricht befreien lassen, wegen der Beerdigung von Jonas‘ Großvater.

Ich erklärte ihnen, dass sie ab Sonntag für die kommende Woche in unser Gästezimmer umziehen könnten, weil dann Alejandro und Jorge wieder zurück nach Mallorca flögen. Jonas schaute mir tief in die Augen und bedankte sich dafür, dass wir sie beide so unkompliziert aufge­nommen und ihnen sofort unsere Hilfe angeboten hatten.

Lärmend wie immer, hörte ich, wie Philipp und Marcus wieder nach unten ka­men. Sie betraten das Wohnzimmer und forderten meinen Neffen Jonas und seinen Freund Tim auf ihnen zu folgen, zum einen zu einer Führung durchs ganze Haus, damit sie wüssten, wo alles sei, und um gleichzeitig ihre Koffer nach oben ins Dachgeschoss zu bringen.

Alle vier verschwanden im Flur und ich blieb allein im Wohnzimmer zurück und konnte meinen Gedanken, wie wir den beiden an besten helfen könnten, in Ruhe sortieren. Wenn mein Plan, genauer genommen meine Überlegungen, zu dem brauchbaren Ergebnis kommen, wie ich mir das vorgestellt hatte, könnte ich damit gleich mehrere Probleme auf einmal lösen.

Während ich noch am Überlegen war, wie ich meiner homophoben Schwester klarmachen könnte, dass sie auf verlorenem Posten kämpfen wird, da wir Jonas und Tim auf alle Fälle helfen wollen, hatte ich dazu eine weitere fast schon geniale Idee.

Ursprünglich hatte ich geplant, mit Thomas zusammen eine der Trauerreden für meinen Vater zu gestalten, wenn ich das jetzt zusammen mit meinem Neffen durchziehen würde, hätte unser Motto von Toleranz gegenüber Menschen mit gleichgeschlechtlichen Partnern eine größere Wirkung, vor allem wenn wir genau diese Toleranz, die uns mein Vater fast sein ganzes Leben lang vorgelebt hatte, in den Mittelpunkt der Trauerrede stellen würde.

Kurz vor halb sieben rief ich schnell noch bei Francesco an und wollte ihm ankündigen, dass wir gegen neunzehn Uhr mit insgesamt acht Leuten bei ihm zum Essen aufschlagen würden. Er lachte lauthals los und erklärte mir, nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, dass der Tisch schon längst bestellt sei, Thomas habe ihn schon vor mehr als einer Stunde angerufen und für heute Abend einen Tisch vorbestellt.

Anschließend ging ich nach oben bis ins Dachgeschoss, zum einen, um den Jungs zu mitzuteilen, dass wir in Kürze losfahren müssten, wenn wir uns pünktlich mit Thomas, Jorge und Alejandro bei Francesco treffen wollen. Zusätzlich war ich doch neugierig darauf, was Philipp mit seinem Matratzenlager in seinem und Marcus' Reich gemeint haben könnte.

Ich staunte nicht schlecht, sie hatten doch tatsächlich ihr Bett vollständig demontiert und sowohl ihre Matratzen als auch die etwas älteren Reservematratzen zu einer großen Liegefläche anstelle ihres Bettes zusammen­geschoben. Die Koffer von allen Vieren standen bereits leer im Flur und warteten darauf, in den Keller gebracht zu werden.

Zehn Minuten nach halb sieben saßen wir zu fünft in meinem Wagen und fuhren in die Stadt zu Francesco. Jonas meinte zwar, er könne auch mit seinem eigenen Wagen hinter mir herfahren, doch ich bestand darauf, dass ein Wagen für uns ausreichend sei.

Mit viel Glück fanden wir zumindest für mein Auto sofort einen Parkplatz in der Nähe von Francescos Café und kurz nach sieben Uhr standen wir im Lokal. Ich staunte nicht schlecht, als ich Thomas‘ Mutter sah, die bereits an den für uns reservierten und zusammengestellten Tischen Platz genommen hatte. Unsere spanischen Gäste und Thomas fehlten leider noch.

Ich begrüßte meine Schwiegermutter freundlich wie immer und stellte ihr Jonas und Tim als meinen Neffen und seinen Freund vor. Sie lachte und fragte, ob hier gerade eine Invasion schwuler Pärchen stattfinden würde, denn Thomas hatte ihr schon von unserem spanischen Freundespärchen berichtet, das wir auf der Insel kennengelernt hatten.

Ich lachte laut auf und antwortete ihr: „Klar, wir sind nur hier, um die Weltherrschaft der Schwulen und Lesben an uns zu reißen und den Rest der Menschheit zu unterdrücken, so wie sie es viele Jahrhunderte mit den gleichgeschlechtlich Liebenden getan haben.“

Meinen Ausspruch hatten auch Thomas und die beiden anderen mitbekommen, da sie kurz vorher hinter meinem Rücken das Lokal betreten hatten. Thomas meinte dann nur, dass da aber die weibliche Fraktion der Aufständischen äußerst schwach vertreten sei.

Thomas' Mutter konterte schlagfertig, sie würde sich mit Gerlinde zusammen­tun und sie könnten ja zumindest die weibliche Seite vertreten. Der ungläubige Blick, den Thomas dabei aufsetzte, brachte uns alle zum Lachen.

Ich beeilte mich deshalb, Elisabeth unsere beiden Spanier vorzu­stellen, denn Thomas hatte sich von dem Schock, den seine Mutter ihm soeben verpasst hatte, noch nicht wieder richtig erholt.

Francesco stand am Tisch und fragte nach den Getränken, die wir haben wollten, gleichzeitig legte er uns die Speisekarten auf den Tisch. Ich bestellte Wasser, da ich ja noch fahren durfte, Thomas, ebenfalls Fahrzeuglenker, wollte einen Spezi. Nachdem sich alle gesetzt hatten, studierten wir die Speisekarte, wobei Jorge zusammen mit Alejandro über einer Speisekarte hingen und zusammen auswählten.

Es wurde noch ein lustiger Abend bei Francesco, bis wir uns gegen zweiund­zwanzig Uhr endlich auf den Heimweg machten, wobei Thomas noch einen kleinen Umweg einlegte, um seine Mutter kurz nach Hause zu fahren.

Zu Hause verabschiedeten sich die vier Jungs ins Dachgeschoss mit der Begründung, sie seien alle hundemüde nach einem langen, anstrengenden Tag und wollten so schnell wie möglich ins Bett, damit sie morgen früh wieder fit seien für neue Herausforderungen.

Zwanzig Minuten später betrat Thomas mit unseren beiden Spaniern das Haus. Auch sie erklärten, dass sie möglichst schnell ins Bett wollten, weil sie inzwischen doch ziemlich müde seien, vor allem der Flug und der Stadtbummel mit Thomas hätte sie körperlich belastet.

Vorher fragte mich Alejandro noch, ob ich nicht ein günstiges Hotel oder eine Pension in der Nähe wüsste, wo er und Jorge ab morgen übernachten könnten, mit der Begründung, dass dann mehr Platz im Haus für meinen Neffen und seinen Freund sei.

Ich lehnte ihren Auszug kategorisch ab und erklärte den beiden, dass die vier Jungs im Dachgeschoss reichlich Platz hätten. Zum anderen habe uns meine Schwester gestern Abend schon erklärt, dass es in Rosenheim und Umgebung keine freien Hotelbetten gäbe.

Außerdem würde er mit seinem geplanten Auszug Thomas und mich beleidigen. Letztendlich akzeptierten beide, dass sie genauso unsere Gäste waren und es für uns kein Problem sei, ein paar Tage in etwas beengten Verhältnissen mit ihnen zusammen­zuleben.

Allein mit Thomas im Wohnzimmer war uns dann doch langweilig und so beschlossen wir, ebenfalls bereits zu Bett zu gehen. Wir kuschelten uns aneinander und ich erzählte Thomas von meinen Überlegungen, wie wir Jonas und Tim helfen könnten und damit gleichzeitig mehrere Probleme auf einmal lösen könnten, wenn alle Beteiligten meiner Lösung zustimmen würden.

Zuletzt fragte ich ihn, ob er mir recht böse sei, wenn er nicht mit mir, wie gestern besprochen, die Trauerrede halten würde, sondern ich mit Jonas zusammen diesen Teil der Trauerfeier bestreiten würde.

Nach kurzer Überlegung erklärte er mir, dass er dies in Anbetracht der unglücklichen Lage, in der sich Jonas gerade befand, sogar für einen gelungenen Schachzug hielte, um Jonas‘ homophober Mutter Paroli zu bieten.

Als nächstes erklärte ich ihm meine Pläne hinsichtlich der beiden Jungs. Da sie beabsichtigen in Weihenstephan Gartenbau und Landwirtschaft zu studieren, könnten die beiden langfristig den landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen und ich brauchte nicht länger nach einem neuen Pächter suchen.

Thomas lachte und erklärte mir: „Peter, wie meinte dein Vater noch Anfang letzter Woche, du wirst schon eine für die Familie akzeptable Lösung hinsichtlich der Neuverpachtung finden. Jetzt hast du sogar innerhalb der Familie jemanden gefunden, der sich zukünftig um diesen Bereich kümmern kann. Ich bin mir sicher, dein Vater hätte die gleiche Entscheidung getroffen, wenn er Jonas‘ Pläne für seine Zukunft gekannt hätte.

Damit war auch das für mich geklärt und danach schliefen wir beide rasch ein.

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