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Regenbogenfamilie
Teil 28 - Vaters Beerdigung
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Informationen
- Story: Regenbogenfamilie
- Autor: Sonntagskind55
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Nicht gerade passend für diesen Tag, rissen uns die vier Jungs aus dem Schlaf. Philipp hatte als Rache für gestern beschlossen, uns heute wieder einmal mit seinem Indianergeheul und seinem Sprung in unser Bett zu überfallen, ohne die anderen Jungs vorher in seine Pläne einzuweihen.
Dies wurde mir bewusst, als die übrigen drei ratlos an der Türe stehen blieben. Um die peinliche Situation zu retten oder um Philipp zu ärgern, sagte Thomas: „Na, Häuptling vorlautes Mundwerk, haben deine Mitstreiter Angst davor, sich mit dir in einen sinnlosen Kampf zu stürzen?“
Marcus, der sofort kapiert hatte, worauf Thomas hinauswollte, landete kurze Zeit später in unserm Bett. Er drehte sich um und forderte Jonas und Tim auf, ebenfalls in den Kampf einzugreifen. Die beiden schauten sich kurz an, hatten ihre Lektion von gestern Abend wohl gelernt und hüpften ebenfalls zu uns ins Bett.
In dem Moment war ich froh, dass wir uns ein so massives Bett gekauft hatten, denn sechs erwachsene Männer hätte so manch anderes Bett sicher nicht ohne gröbere Blessuren überlebt.
Der Kampf, der in gemeinsamem Kuscheln endete, war zwar für Jonas und Tim gewöhnungsbedürftig, aber sie ertrugen es tapfer, wobei ich sogar den Eindruck hatte, dass die beiden durchaus Gefallen daran gefunden hatten.
Plötzlich standen Alejandro und Jorge im Türrahmen. Eigentlich wollten sie nur nachfragen, ob etwas Schreckliches passiert sei, sie seien durch das laute Geschrei aufgeweckt worden. Als sie uns alle in einem Bett vorfanden, brachen sie in schallendes Gelächter aus.
Als Alejandro sich etwas beruhigt hatte, erklärte er grinsend: „Ich dachte bei dem Lärm an einen Indianerüberfall und sah euren Kopfschmuck schon als Siegesbeute in irgendwelchen Tipis hängen. Dabei ist es nur eine Bande Halbstarker, die hier eingedrungen ist und euch überfallen hat.“
Marcus rief den beiden zu: „Wir werden euch schon zeigen, was eine Gruppe Halbstarker mit ihren Gegnern treibt, wenn ihr nicht sofort die Halbstarken zurücknehmt.“ Alejandro erwidert frech, dass er keine Angst vor Halbstarken habe.
Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn wie auf Kommando sprangen die Jungs auf und jeweils zu zweit griffen sie sich Jorge und Alejandro. Sie schleppten sie zum Bett und warfen beide hinein. Sie stürzen sich auf die beiden und kitzelten sie so lange, bis Alejandro symbolisch die weiße Flagge hisste und erklärte, dass die Jungs den Kampf gewonnen hätten.
Marcus forderte uns auf zum Frühstück zu kommen, es sei bereits alles vorbereitet. Jorge schaute einen Moment komisch drein, als ich und Thomas das Bett verließen und er feststellte, dass wir beide völlig unbekleidet waren.
Während die anderen bereits auf dem Weg nach unten waren, hielt mich Jonas zurück und fragte: „Ich hoffe, es ist uns keiner böse, weil Tim und ich bei dem Spielchen mitgemacht haben? Vor allem hat es mich schwer gewundert, dass Alejandro und Jorge so einfach mitgemacht haben, ohne sich zu beschweren.“
Ich erklärte ihm: „Ich kann dir versichern, keiner wird euch deswegen schief anschauen, dies gilt auch für Alejandro und Jorge.“
Auf dem Weg nach unten erzählte ich ihm die Geschichte mit den Intimrasuren, die die Jungs zuerst bei mir und Thomas durchgeführt hatten und, nachdem uns Jorge und Alejandro beim Nacktbaden im Swimmingpool damit gesehen und bewundert hatten, durften sie auch bei Alejandro und Jorge Hand angelegen und deren Urwald lichten.
Die beiden seien inzwischen daran gewöhnt, dass es bei uns ziemlich locker zugeht. Damit schaffte ich es, sämtliche Bedenken, die Jonas noch hatte, zu zerstreuen.
Bevor wir ins Esszimmer eintraten, meinte er noch, ihm sei unsere fehlende Behaarung aufgefallen, als wir nackt aus dem Bett gekrochen seien. Er wollte wissen, ob Marcus und Philipp das bei ihnen auch machen würden, wenn ihnen das auch gefallen würde. Ich meinte, da müssten sie die zwei schon selbst fragen, aber wie ich meine Jungs kenne, zeigten sie ihnen das sicher gerne.
Wie sonst nur am Wochenende, saßen wir am Esstisch mit Schlafanzug oder Schlaf-Short bekleidet und frühstückten ausgiebig. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir uns nicht zu beeilen brauchten, die Jungs waren so früh aufgestanden, dass uns genügend Zeit blieb zum Duschen und Anziehen.
Ich schlug trotzdem vor, dass Tim und Jonas als erstes ins Bad gehen sollten, dann könnten wir bereits vorausfahren und auf dem Gutshof die ankommenden Fahrzeuge auf die Parkplätze einweisen. Der Rest kommt mit dem zweiten Auto nach, sobald sie fertig sind.
Um die Zeit bis zu unserem Aufbruch abzukürzen, fragte ich meinen Neffen, ob er oder sein Freund ein Problem damit hätte, wenn wir drei gleichzeitig ins Bad gingen, um uns zu duschen, rasieren und die Zähne zu putzen. Er antwortet mir: „Grundsätzlich gibt es kein Problem, es könnte nur sein, dass wir dich so sexy finden und das zu einem schnellwachsenden Problem werden könnte.“
Ich grinste ihn an und konterte: „Und wie sieht es aus, wenn ich mit zwei süßen schnuckeligen Jungs ebenfalls das gleiche Problem bekommen sollte?“ Er wurde rot ihm Gesicht, vermutlich weil ich ihm und Tim mit einem Kompliment erklärt hatte, dass selbst ich in so eine Situation geraten könnte. Tim meinte nur noch: „Wird schon schief gehen“, und grinste über das ganze Gesicht.
Natürlich ist nichts dergleichen im Bad geschehen, ich hüpfte als erster in die Dusche und die Jungs putzen sich derweilen die Zähne. Rasieren brauchten sich die beiden noch nicht, ihr Bartwuchs war noch viel zu spärlich.
Danach wechselten die Jungs gemeinsam in die Dusche, während ich mich abtrocknete und rasierte. Während ich mir die Zähne putzte, kamen die Jungs aus der Dusche und trockneten sich ab. Ich konnte erkennen, dass das gemeinsame Duschen der beiden Auswirkungen hatte, die mich selbst völlig kalt ließen.
Während ich in unser Schlafzimmer ging und die beiden nach oben ins Dachgeschoss eilten, rief ich nach unten, dass das Bad wieder frei sei und die nächsten ihrer morgendlichen Körperpflege nachgehen könnten. Ich bekam noch mit, dass Alejandro und Jorge sich aufmachten und im Bad verschwanden.
Nachdem ich mich für den heutigen Tag entsprechend eingekleidet hatte, euch ist schon bewusst, was ich damit meine, weißes Hemd, schwarze Krawatte und schwarzer Anzug, ging ich nach unten, wo ich Thomas im Flur traf. Er sagte mir, dass mein Sohn und Marcus dem Beispiel von Jonas und Tim nacheifern wollten und mit ihm ebenfalls gleichzeitig zu dritt im Bad verschwinden.
Inzwischen waren Jonas und Tim ebenfalls unten angekommen, erstaunt stellte ich fest, dass die beiden im Partnerlook aufkreuzten. Beide trugen ein hellblaues Hemd zu einem dunkelblauen Anzug. Sogar die Krawatten der beiden glichen sich wie ein Ei dem anderen. Ich machte den beiden ein großes Kompliment zu ihrem Partnerlook, was den beiden ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Wir verabschiedeten uns von Thomas und gingen zum Auto. Auf der Fahrt fragte ich Jonas, ob er kalte Füße bekommen habe und die Trauerrede vielleicht doch nicht mit mir gemeinsam vortragen wolle, was er aber sofort verneinte.
Ich konnte mir nicht verkneifen, die Jungs auf meine Entdeckung, die ich vorher im Bad gemacht hatte, anzusprechen, indem ich ihnen frech erklärte: „Ich war euch wohl nicht sexy genug, damit ihr ein Problem bekommen hättet, aber das gemeinsame Duschen hat dann doch noch Auswirkungen gezeigt. Denkt euch nichts, ich war auch einmal jung und damals haben noch hübsche Mädchen bei mir gelegentlich die gleichen Erregungszustände ausgelöst.“
Tim drehte sich zu mir und verriet: „Wir hatten gehofft, du hättest nichts bemerkt, aber da haben wir uns wohl doch getäuscht. Aber zu etwas anderem, Jonas und ich sind uns einig, wir wollen deinen Vorschlag annehmen und später den Gutshof und die Ländereien bewirtschaften.
Ich habe während des Anziehens kurz mit meinen Eltern gesprochen, sie haben sich bereit erklärt, am nächsten Wochenende zu kommen und mit uns und euch alles zu besprechen. Falls wir ins Gästezimmer umziehen, werden wir es zu ihrer Ankunft wieder räumen, sie haben deine Einladung zum Übernachten angenommen.
Ich habe nur leider vergessen ihnen zu sagen, dass du mit einem Mann zusammenlebst und ihr verpartnert seid.“
Ich grinste nur und erwiderte: „Dann wird das eben eine zusätzliche Überraschung für deine Eltern, sofern du sie nicht im Laufe der nächsten Woche noch in Kenntnis setzt.“
Die beiden überlegte kurz, während sie sich anblickten, und Jonas erklärte: „Wir sind uns einig darüber, dass Tim sie nicht vorwarnen wird. Wir sind beide einfach zu neugierig darauf zu sehen, wie sie mit dieser Überraschung umgehen werden.“
Bei unserer Ankunft im Gutshof stellte ich fest, dass es noch ruhig war, von den Trauergästen war bisher keiner angekommen, nur im Küchenzelt wurde bereits fleißig gearbeitet. So gingen wir ins Haus und suchten meine Mutter. Wir fanden sie in ihrer Küche beim Frühstück. Sie meinte, dass wir aber sehr früh dran seien und ob der Rest auch schon mitgekommen sei.
Ich erklärte ihr, dass ich mit den beiden Jungs vorausgefahren bin, der Rest sich noch tageslichttauglich macht und dann nachkommt. Wir werden die ankommenden Trauergäste in Empfang nehmen und auf die Parkplätze einweisen, damit kein zu großes Chaos entsteht. Ebenso informierte ich sie über unser kurzes Gespräch auf der Fahrt zum Gutshof mit der Entscheidung, dass die beiden Jungs unser Angebot annehmen werden. Sie sah die beiden an und meinte, dass sie sich richtig entschieden hätten.
Ich hörte, dass einer der beiden Busse draußen vorgefahren war, und ging, die Jungs bei Mutter zurücklassend, ins Freie. Der Fahrer war gerade ausgestiegen und eilte mir entgegen, als er mich erkannte. Es war der Chef des Busunternehmens, der bereits angekündigt hatte, dass er einen der Busse vermutlich selbst fahren würde.
Er informierte mich, dass sein Mitarbeiter mit dem zweiten Bus etwas später kommen würde, weil er noch eine der planmäßigen Fahrten für den Landkreis durchführen muss. Solange er rechtzeitig da war, konnte mir das eigentlich egal sein.
Inzwischen waren Jonas und Tim zu mir gekommen und erklärten, dass sich Oma zurückgezogen hat, um sich für die Trauerfeier umzuziehen. Bevor noch die ersten Trauergäste ankamen, war Thomas mit dem Rest meiner Familie eingetroffen.
Ich erklärte den Jungs, dass sie bitte beim Einparken der Autos darauf achten sollten, dass alle Fahrzeuge so stehen, dass am Nachmittag jeder, der heimfahren will, problemlos ausparken und wegfahren könne und nicht ständig Fahrzeuge, die dann regelmäßig umgeparkt werden müssten, den Weg versperren.
In der Zwischenzeit stand Mutter neben mir betrachte die Jungs, wie sie die ersten ankommenden Fahrzeuge lenkten und auf die Parkplätze dirigierten.
Meine Schwester mit ihrem Mann und den beiden Geschwistern von Jonas waren inzwischen angekommen und blieben in einiger Entfernung von mir stehen. Meine Mutter ging zu ihrer Tochter und begrüßte mit ihr zusammen die Verwandten und die Bekannten, die sich gemächlich zu den Bussen bewegten und langsam einstiegen.
Plötzlich stand mein Schwager Martin neben mir und fragte, ob es eine Möglichkeit gebe, sich mit mir und Thomas zu unterhalten. Ich fragte ihn, ob es jetzt gleich sein müsste oder wir dieses Gespräch im Laufe des Nachmittags führen könnten.
„Ist im Grunde genommen egal wann, Hauptsache, wir haben überhaupt eine Gelegenheit“, meinte er. Ich versprach ihm, dass wir uns nach dem Mittagessen zusammensetzen und er sich mit mir und Thomas in Ruhe unterhalten könne.
Inzwischen war Familie Kendler eingetroffen, die zusammen mit ihren Kindern zu Thomas und mir kam. Zuerst glaubte ich, ich habe mich verzählt, denn es waren insgesamt sechs Personen, die auf uns zukamen. Marvin lüftete das Geheimnis und stellte uns den jungen Mann in seiner Begleitung als seinen neuen Freund Felix Müller vor.
Hatte ich richtig gerade gehört, dass es ich dabei um Felix Müller handelt? Ich bat die beiden, mir kurz ins Haus zu folgen, damit ich mich mit ihnen ungestört unterhalten könne.
Wir setzten uns an einen der großen Tische und ich fragte direkt: „Du bist Felix Müller, der Sohn von Benjamin Müller?“ Er bejahte meine Frage und wollte wissen, warum ich ihn das frage. Bevor ich ihm seine eigentliche Frage beantwortete, erzählte ich ihm, dass ich seinen Opa und auch seinen Vater schon seit vielen Jahren kenne, sein Vater sei sogar früher öfter hier im Gutshof gewesen und habe mit mir und meinem Bruder Dieter gespielt, als wir noch Kinder waren. An seine großen Augen konnte ich erkennen, dass er das bisher nicht gewusst hatte.
Ich erzählte von meinem Gespräch, das ich mit seinem Vater geführt hatte, als ich vor drei Tagen in seinem Büro gewesen war und er mich gebeten hatte, ihm bei seinem Problem mit ihm zu helfen, nachdem er an diesem Tag zum ersten Mal erfahren hatte, dass ich mit einem Mann zusammenlebe.
„Ich habe deinen Vater gebeten, dich heute mit zur Trauerfeier mitzubringen, in der Hoffnung, dass meine Jungs Informationen über dich sammeln können. Was glaubst du, wie überrascht ich war, als Marvin eben deinen Namen nannte.“
Ich wollte wissen, ob er mit seinen Eltern darüber gesprochen habe, dass er sich in einen Jungen verliebt habe. Er erklärte mir, dass er bisher nicht mit seinen Eltern über dieses Thema gesprochen habe.
Sein Vater hätte ihn zwar gebeten zur Trauerfeier mitzukommen, aber er habe das abgelehnt, weil er die Leute nicht kenne. Marvin hat ihn davon überzeugt, doch mit ihm mitzukommen, weil sich vielleicht damit eine Möglichkeit ergeben würde, sein Problem mit seinen Eltern aus dem Weg zu räumen.
Bevor ich die zwei wieder nach draußen schickte, erzählte ich ihm, dass sie heute in bester Gesellschaft seien, außer ihnen beiden sind mindestens noch vier gleichgeschlechtliche Paar anwesend. Ich erklärte ihm, dass ich mit meinem Thomas, mein Sohn Philipp mit seinem Marcus, mein Neffe Jonas mit seinem Tim und auch Alejandro und Jorge, unsere spanischen Freunde, dazugehören.
Kaum hatten mich die beiden verlassen, stand Thomas neben mir und meinte, dass das jetzt ganz unglücklich gelaufen sei, denn mit so etwas hatte keiner von uns gerechnet. Ich erklärte ihm, dass ich mit unserem Wagen und Mutter zum Friedhof vorausfahren werde in der Hoffnung, dort Benjamin anzutreffen und ihn noch vorwarnen zu können.
Ich bin sicher, dass es zu keiner Katastrophe kommen wird, da er bei seinem Gespräch bereits angedeutet hatte, dass er und seine Frau so etwas vermuten.
Wir gingen jetzt beide wieder nach draußen, vorher hatte ich mir noch meine Autoschlüssel von Mutters Schlüsselbrett geschnappt. Ich bat sie mitzukommen, damit wir vor allen anderen am Friedhof seien und noch nachschauen können, ob alles nach unseren Wünschen vorbereitet ist und sie noch einmal die Möglichkeit hätte, alle Trauergäste zu begrüßen.
Im Auto erzählte ich ihr noch von der Überraschung, dass Marvin, ein guter Freund von Philipp und Marcus, den sie bisher noch nicht kennengelernt hat, uns seinen Freund vorgestellt habe und dieser sich als Felix Müller, der Sohn unseres Bestatters, herausgestellt hat.
Ich berichte ihr von unserem Komplott, Felix unter einem Vorwand zur Trauerfeier mitzubringen, damit Marcus und Philipp ihm auf den Zahn fühlen können, ob er, wie von seinen Eltern vermutet, möglicherweise schwul wäre.
Seinen Eltern gegenüber hatte er erklärt, nicht daran teilnehmen zu wollen, weil er keinen kenne, von Marvin wurde er dann doch überredet mitzukommen, mit dem Versprechen, dass alles gut werden würde.
Ich hoffe, ich kann Benjamin und seine Frau Barbara noch vorwarnen, bevor die anderen Trauergäste mit den Bussen am Friedhof sind. Mutter lachte und meinte, mit uns würde es auch in der Zukunft nie langweilig werden.
Ich parkte unseren Wagen direkt an den Parkplätzen nahe dem Eingang zum Friedhof. Gemeinsam betraten wir den kleinen Friedhof und ich wurde sofort fündig. Benjamin und Barbara standen direkt am Eingang der Aussegnungshalle und waren in ein Gespräch mit den bereits eingetroffenen Musikern vertieft.
Wir näherten uns der Gruppe und ich bat Felix‘ Eltern zu einem kurzen Gespräch. Etwas abseits der Gruppe erklärte mir Benjamin, dass es ihnen nicht gelungen sei, ihren Sohn Felix zur Teilnahme an der Trauerfeier zu überreden.
Ich grinste beide an und verriet ihnen, dass sie sich da nicht so sicher sein sollten, dass er nicht da sein würde. Das, was sie nicht geschafft hatten, sei einer anderen Person gelungen und Felix sei unter den Trauergästen, die mit dem Bus kommen würden.
Auf die Frage, wer es geschafft hätte ihn doch davon zu überzeugen, antworte ich, dass dies seinem Freund gelungen sei. Zuerst schauten sie mich ungläubig an, bis sich die Erkenntnis breit machte, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatten. Benjamin meinte noch: „Gut, dass du uns noch vorgewarnt hast, vermutlich wären wir aus allen Wolken gefallen, wenn die zwei plötzlich vor uns gestanden wären.“
Ich fragte noch, ob ansonsten alles in Ordnung sei, und informierte ihn davon, dass bei den letzten Trauerrednern eine kurzfristige Änderung eingetreten sei, nicht ich und Thomas würden diese Rede halten, sondern ich würde diesen Teil mit meinem Neffen Jonas gestalten. Er meinte: „Kein Problem, solange ihr nicht kneift.“
Inzwischen war der erste der beiden Busse am Friedhof angekommen und die Trauergäste betraten den Friedhof. Benjamin bedankte sich nochmal für die rechtzeitige Information und widmete sich dann seinen Verpflichtungen.
Mutter war inzwischen in die Aussegnungshalle verschwunden, um die letzten Minuten zu einem Gedankenaustausch mit meinem verstorbenen Vater zu nutzen. Ich wollte ihr folgen, besann mich jedoch ein es Besseren und begrüßte hier die eingetroffenen Verwandten und Bekannten. Damit holte ich nach, was ich im Gutshof vorher versäumt hatte.
Pünktlich um elf Uhr begann die Trauerfeier mit dem kirchlichen Teil, eingeleitet von der von uns festgelegten Musik. Der Pfarrer würdigte meinen Vater als einen umsichtigen Mann, der viel für seine Heimatgemeinde, für die ortsansässigen Vereine und für die Kirchengemeinschaft getan hatte. Zum Abschluss des kirchlichen Teils spielte das Streichquartett „Unchained Melody“ von den Righteous Brothers, wie es von uns geplant war.
Als erster Trauerredner ging nun Onkel Willi, den meisten besser bekannt als Wilhelm Müller, ans Rednerpult und hielt eine informative Laudatio auf seinen verstorbenen Freund Walter. Nachdem er geendet hatte, hörten wir „Memories“ aus dem Musical Cats, das er sich als Abschluss seiner Rede ausgesucht hatte.
Den nächsten Part der Trauerredner übernahm der Bürgermeister, der meinen Vater noch persönlich kennengelernt hatte bei der Feier zum siebzigsten Geburtstag. Wenn ich ehrlich sein soll, ich habe kaum zugehört, da ich in Gedanken bereits bei der Rede von mir und Jonas war. Er hatte „Amazing Graze“ für den Abschluss seiner Ansprache gewählt.
Als dritter und damit letzter Redner vor unserem Auftritt ging nun mein ehemaliger Mitschüler Josef Huber ans Rednerpult. Er vertrat die örtlichen Vereine, denen Vater in der Vergangenheit des Öfteren großzügigen Spenden zukommen ließ. Während seiner Rede suchte ich nach Jonas, damit er mit mir die letzte Traueransprache abhalten würde.
Ich konnte ihn nirgends entdecken und befürchtete schon, dass ich jetzt doch allein nach vorne gehen müsste. Plötzlich stand er neben mir und Erleichterung machte sich in mir breit. Während die Schlussmusik „Time to say goodbye“ gespielt wurde, nahm ich die Hand von Jonas.
Nachdem die letzten Akkorde verklungen waren, gingen wir beide nach vorne zum Rednerpult. Meine Mutter sah mich verwundert an, ich hatte vergessen, sie davon in Kenntnis zu setzen, dass ich nicht allein oder mit Thomas ans Rednerpult treten würde. Plötzlich lächelte sie und ich war mir sicher, dass sie unseren Schachzug verstanden hatte.
Anders verhielt sich das Ganze mit meiner Schwester, die uns anschaute, als würde der leibhaftige Teufel vor ihr stehen. Ganz anders der Blick von Jonas' Vater, der uns anlächelte und seinem Sohn damit zusätzlichen Rückhalt gab.
Ich überblickte kurz die Anwesenden und wir begannen mit unserer Ansprache:
Peter: „Liebe Trauergemeinde, ich begrüße alle anwesenden Verwandten und Bekannten meines Vaters und ich freue mich, dass ihr meinen Vater auf seinem letzten Weg so zahlreich begleitet und meiner Mutter und uns in dieser schweren Stunde beisteht.“
Jonas: „Liebe Trauergemeinde, ich begrüße alle Anwesenden, die wie ich einer Minderheit angehöre, die in der heutigen Zeit teilweise immer noch schief angesehen wird; auch ihr leistet meiner Großmutter den nötigen Beistand, den sie verdient hat.“
Peter: „Ich kann euch in den nächsten Minuten alles Möglich über meinen Vater erzählen, egal, ob es der Wahrheit entspricht oder gelogen ist. Dies werde ich euch ersparen, denn außer Mutter, mir und meinen Geschwistern kennt keiner von euch unseren Vater so gut, wie wir ihn gekannt haben. Er war mit vielen von euch befreundet, mit anderen war er vielleicht zerstritten, aber all dies zählt in diesem Moment nicht mehr. Wenn ich der Bibel Glauben schenken darf, werden wir alle nach dem Tod ins Paradies kommen und dort sind alle Streitereien aus dem irdischen Leben vergeben und vergessen.“
Jonas: „Im Paradies sind alle Menschen gleich, egal ob sie reich oder arm waren, ob sie einer Minderheit angehörten oder nicht. Ebenfalls in der Bibel finden sich viele Beispiele, dass Jesus keinerlei Berührungsängste mit Minderheiten hatte und sie ebenfalls als Gottes Kinder bezeichnet hat. Ich denke hier zwar in erster Linie an die Aussätzigen. Manche sehen in den heutigen Minderheiten immer noch Aussätzige und behandeln sie dementsprechend. Mein Großvater hatte in diesem Punkt eine andere Anschauung, er war christlicher als manche, die von sich behaupten christlich zu sein. Er war allen Minderheiten gegenüber immer tolerant und hatte für ihre Sorgen und Nöte ein offenes Ohr.“
Peter: „In diesem Punkt kann ich meinem Neffen nur zustimmen, ich selbst habe mich nicht nur einmal als Aussätziger gefühlt, als nach dem Tod meiner geliebten Ehefrau Gabi Thomas in mein Leben getreten ist, der mir die nötige Kraft gab weiterzuleben und für meine Kinder weiter als guter Vater da zu sein. Mein Vater, den wir heute auf seinem letzten Weg begleiten, stand immer an unserer Seite auf dem schweren Weg, den wir eingeschlagen hatten.
Heute weiß ich, dass wir zwar immer noch eine Minderheit sind, in Wirklichkeit aber die Zahl der Frauen und Männer, die eher dem eigenen Geschlecht zugeneigt sind, weitaus größer ist, als alle glauben. Viele davon verstecken sich in einer Ehe, in der sie nie richtig glücklich sind, weil diesen Beziehungen etwas fehlt, das dem großen Glück im Weg steht.
Für mich und Thomas ist nicht der Sex das Wichtigste im Leben, für uns ist Nähe und gegenseitiges Vertrauen ein größeres Gut, das wir uns gegenseitig geben können. Ich bin mir sicher, in der Ehe meiner Eltern war dieser Punkte genauso wichtig, denn sonst hätte diese Verbindung niemals mehr als fünfzig Jahre gehalten.“
Jonas: „Trotz meines jugendlichen Alters habe ich in den letzten beiden Tagen begriffen, dass mein Onkel Peter für sich die richtige Entscheidung getroffen hat. Mein großes Ziel ist, meinem Großvater nachzueifern, um allen Menschen unbefangen gegenübertreten zu können und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Jeder muss sein eigenes Leben frei von Zwängen anderer führen könne.
Onkel Peter soll mir als gutes Beispiel dafür dienen, dass, wie vorher angesprochen, Vertrauen und Nähe zu seinem Partner oder seiner Partnerin die wichtigsten Eigenschaften sind, um eine langanhaltende und glückliche Beziehung zu führen.
Ich habe meinen Großvater verloren, der mir sicher auf meinem schwierigen Weg in die Zukunft hilfreich beiseite gestanden hätte. Es stimmt mich froh, dass ich in Onkel Peter einen Mitstreiter erhalten habe, der in die Fußstapfen seines Vaters tritt und allen Menschen vorurteilsfrei, wie meine Großeltern, gegenübersteht.“
Peter: „Bevor ich jetzt zum Ende meiner Rede komme, gebe ich euch noch eine Frage mit auf den Weg zur letzten Ruhestätte meines Vaters. Warum hat Gott die Menschen so geschaffen, wie sie sind? Sind wir nicht alle, wie es in der Bibel geschrieben steht, ein Abbild Gottes und seines Sohnes Jesus, auch wenn wir nicht alle die gleiche Hautfarbe besitzen? Genauso verhält es sich, wenn wir unseren Lebenspartner auswählen, mit dem wir unser Glück finden, wie Gott es sich gewünscht hat.“
Nach einer kurzen Pause und noch bevor die Musik einsetzen konnte, fing meine Mutter zu klatschen an und viele der Anwesenden folgten ihrem Beispiel. Was mir jedoch auffiel, vielen der anwesenden Personen konnte man die gemischten Gefühle in ihrem Gesicht ansehen, mit so einer Rede von mir und Jonas hatte keiner auch nur annähernd gerechnet.
Meine Schwester war bleich im Gesicht und mir war klar, dass wir sie mit unserer Abschiedsrede für unseren Vater und Großvater tief getroffen hatten, vor allem als Mutter sich dazu hinreißen ließ, unsere Ansprache auch noch zu beklatschen.
Während der Applaus nachließ, stellte sich Jonas noch einmal ans Mikrophon, und als alle verstummten, ergriff er noch einmal das Wort: „Bevor wir jetzt nach draußen gehen und heute Abend oder morgen alle wieder nach Hause fahren, will ich mich vor euch allen, auch im Namen meines Freundes Tim, bei Onkel Peter und seinem Thomas bedanken, die uns ohne zu zögern ihre Hilfe angeboten haben, uns auf unserem weiteren Lebensweg mit allen Möglichkeiten, die sie haben, zu begleiten und uns zu unterstützen.“
Ich zeigte den Musikern das vereinbarte Zeichen und sofort setzten sie mit meinem Wunschlied ein, das für den Auszug aus der Kirche geplant war. Was ich bis dahin nicht wusste, Benjamin hatte einen Sänger gefunden, der mit beeindruckender Stimmgewalt „Einmal sehen wir uns wieder“ durch den Raum klingen ließ. Keiner der Trauergäste erhob sich, um die Aussegnungshalle zu verlassen, erst nach dem Ende des Liedes kam Bewegung in die Menge und nach und nach leerte sich der Raum.
Jonas und ich standen immer noch am Rednerpult, als Mutter und mein Bruder Dieter zu uns traten. Sie umarmte zunächst Jonas und danach war ich an der Reihe, dabei erklärte sie uns, dass wir ihrer Meinung nach die ehrlichste von allen Trauerreden gehalten hätten. Sie hätte sich zwar gewundert, warum ich nicht allein oder mit Thomas ans Rednerpult getreten bin, sie sei davon ausgegangen, dass nur ich etwas zu sagen hätte. Ich klärte Mutter darüber auf, dass ich ursprünglich mit Thomas gemeinsam unsere Trauerrede halten wollte, der jedoch meinem Wunsch nachgekommen war und Jonas seinen Part überlassen hatte.
Ich stellte fest, dass inzwischen Vaters Sarg am Eingang zur Halle bereitstand und alle nur noch auf uns warteten.
Gemeinsam mit Mutter und Thomas stellten wir uns direkt hinter dem Sarg auf, dahinter folgten meine beiden Kinder Philipp und Martina mit ihren Partnern und meinen beiden Enkelkindern. Danach sah ich meinen Bruder Dieter mit seiner Frau Sandra, die Jonas und Tim in ihre Mitte genommen hatten.
Dahinter folgte meine Schwester mit ihrem Mann und ihren verbliebenen beiden Kindern. Beim Verlassen des Gebäudes bemerkte ich, dass einige der Trauergäste bereits zur Grabstelle meines Vaters vorausgegangen waren. Der Trauerzug bewegte sich angemessenen Schrittes unter Begleitung der Blaskapelle zur letzten Ruhestätte meines Vaters.
Dort sprach der Pfarrer noch kurz und segnet das Grab und den Sarg meines Vaters. Nach einem kurzen Gebet durch den Pfarrer und einem abschließenden Vaterunser wurde der Holzsarg mit Vaters Leichnam von vier kräftigen Männern in die vorbereitete Grube hinuntergelassen.
Jetzt kam der Augenblick, den ich bei Beerdigungen am wenigsten leiden konnte. Zuerst ging Mutter ans Grab und warf einen Strauß mit Blumen ins Grab. Jetzt durfte der Rest der Familie nacheinander zum Grab und mit einer kleinen Schaufel warf jeder etwas Erde in die Grube.
Mutter hatte sich bereits seitlich vom Grab aufgestellt, um die Beileidsbezeugungen entgegenzunehmen, zumindest von denen, die sich nicht an Mutters Wunsch halten würden. Ich stellte mich rechts neben sie, neben mir mein Bruder Dieter und neben ihm meine Schwester. Meine Kinder, Thomas, aber auch die anderen Ehepartner hielten sich mehr im Hintergrund, damit sich der Ablauf beschleunigte.
Bevor alle am Grab gewesen waren, löste ich mich aus der Reihe und ging zu meinem Sohn und seinen Freund Marcus. Ich bat sie mit mir zu kommen, damit sie draußen am Gutshof die restlichen ankommenden Fahrzeuge auf den Parkplatz einwiesen. Um Marvin und Felix vorerst aus der Schusslinie zu holen, bat ich sie ebenfalls, mit uns mitzukommen.
Thomas, Jonas und Tim hatte ich vorher instruiert, sich um die Busse zu kümmern und rechtzeitig Bescheid zu geben, für den Fall, dass der erste Bus noch einmal zum Friedhof zurückfahren müsste, um die restlichen Trauergäste abzuholen.
Während Philipp und Marcus draußen das Einparken organisierten, beschäftigte ich Marvin und Felix damit, innen die ankommenden Gäste auf die Tische zu verteilen, wobei sie darauf achten sollten, die Erwachsenen in dem ersten Raum und die jüngere Generation in dem zweiten kleineren Raum unterzubringen.
Im ersten Bus saßen Alejandro und Jorge, die ich fragte, ob sie mit uns bei Mutter am Tisch sitzen wollten oder lieber bei der Jugend im zweiten Raum. Sie entschieden sich dafür, im Nebenraum bei Philipp und Marcus zu sitzen. Der Busfahrer informierte mich davon, dass er direkt nach Hause fahre, da die restlichen Gäste für den Leichenschmaus im zweiten Bus Platz gefunden hätten. Der Chef würde sich bei mir melden, wenn sie angekommen seien.
Das Servicepersonal unseres Caterers versorgte die ankommenden Gäste sofort mit Getränken. Eigentlich hatten wir geplant, dass mit dem Mittagessen so gegen halb eins begonnen wird, durch die Verzögerungen bei der Trauerfeier war es inzwischen schon kurz vor dreizehn Uhr und noch fehlte der zweite Bus. Ich sprach kurz mit Herrn Baumgartner und wünschte, dass sofort mit dem Servieren der Vorspeise, also der Suppe, begonnen wird, um die Verspätungen wieder auszugleichen.
Mein Schwager Martin, der mit dem ersten Bus und ohne seine Familie im Gutshaus eingetroffen war, kam auf mich zu und erklärte mir, dass unser Gespräch heute Nachmittag nicht mehr nötig sei, da das, um was er mich bitten wollte, von seinem Sohn Jonas am Ende unserer Trauerrede bereits allen verkündet worden war.
Er wusste von seinem Sohn, dass der in Weihenstephan studieren wolle. Er wollte mich fragen, ob wir seinem Sohn und Tim dabei behilflich sein könnten. Ich erklärte ihm, dass wir das den beiden bereits versprochen hätten und mein Bruder Dieter und seine Frau vermutlich den Jungs ebenfalls helfen werden.
Er entschuldigte sich für seine Frau, deren Verhalten uns und ihrem eigenen Kind gegenüber für ihn unverständlich sei. Seine Eltern hätten ihn zu einem toleranten Menschen erzogen und er sei mit ihren altmodischen Moralvorstellungen nicht einer Meinung.
Ich erklärte ihm, dass er sich unseretwegen keine Gedanken machen soll, Thomas und ich stehen über ihren Anfeindungen. Auch bei Philipp und seinem Marcus, da war ich mir sicher, prallen ihre Beschimpfungen einfach ab.
„Ich sehe das Problem eher bei Jonas, er kennt, seit er sich bei euch geoutet hat, seine Mutter nur als eine Frau, die ihr eigenes Kind nicht mehr haben will. Je eher er aus dieser negativen Umgebung herauskommt, desto besser wird es für ihn sein.
Wenn du nichts dagegen hast, kann Jonas sofort zu uns kommen, sobald er seine Schule beendet hat, und nicht erst im Herbst, wenn er mit seinem Studium beginnt. Sollte er auf seinen Tim für diese Zeit nicht verzichten können, kann dieser ebenfalls mitkommen.
Die Jungs bleiben während der aktuellen Ferien, also bis zum nächsten Wochenende, bei uns. Wir haben über Tim seine Eltern für kommendes Wochenende eingeladen, damit sie sich ein Bild von unserer Familie machen können und wissen, wo ihr Sohn in Zukunft mit deinem Jonas leben wird.“
„Alle Achtung, wenn du etwas in die Hand nimmst, dann aber richtig“, meinte mein Schwager Martin. „Ich sehe schon, ich brauche mir um Jonas' Zukunft keine Sorgen zu machen und wenn meine Frau nicht zur Vernunft kommt, werde ich meinen Sohn zukünftig nur noch sehen, wenn ich euch besuchen komme.“
„Wenn du willst, kannst du ihn während seines Studiums finanziell unterstützen, damit würde er sehen, dass du weiterhin hinter ihm stehst. Du bist wegen deines Autohauses öfter im Süden, dann schau einfach bei ihm vorbei, er wird sich sicher freuen“, erklärte ich ihm. „Wie stehen eigentlich Jonas' Geschwister zu seiner Sexualität?“
Martin überlegte kurz, bevor er mir antwortete: „Soweit ich weiß, hat Jonas zuerst mit seinen Geschwistern über seine Homosexualität gesprochen, noch bevor er mit mir und Gerlinde darüber gesprochen hat. Sie haben wie ich kein Problem damit.“
Inzwischen war der zweite Bus eingetroffen und meine Schwester Gerlinde kam in den Raum. Martin ging zu ihr und sie suchten sich einen Platz, der möglichst weit von unserem Tisch entfernt lag.
Bei meinem Blick durch den Raum konnte ich erkennen, dass das Servicepersonal bereits kräftig am Verteilen des Essens war und selbst die Neuankömmlinge zügig versorgt wurden. Ich setzte mich zu Mutter und Thomas an den Tisch, die sofort wissen wollten, was ich mit Martin besprochen hätte. Ich erklärte ihnen kurz, worüber wir gesprochen haben und dass Martin nicht der gleichen Meinung ist wie seine Frau.
Nachdem ich meine Suppe gelöffelt hatte, stand ich auf und ging in den Nebenraum, wo vor allem die jüngere Generation versammelt war. Ich setzte mich zu Philipp und fragte, wie es hier bei den Jüngeren aussieht. Er antwortete mir, dass seiner Meinung nach alles in Ordnung sei, auch die Versorgung mit Getränken und Essen funktioniere reibungslos.
Bevor ich zurück ging, traf ich noch auf Felix, der mir mit einem Lächeln erklärte, dass er eben kurz bei seinen Eltern gewesen war und sie kein Problem mit seiner Homosexualität haben und sein Freund jederzeit zu ihm nach Hause kommen könne. Er will jetzt schnell zurück zu Marvin, um ihm die guten Nachrichten zu überbringen.
Da ich vorher bereits meinen Hauptgang bestellt hatte, ging ich wieder zurück, kalt wollte ich mein Essen nicht genießen. Ich setzte mich wieder zwischen Thomas und meine Mutter und ich hatte mich kaum gesetzt, als mein Fisch serviert wurde. Diesmal blieb ich nach dem Essen auf meinem Platz, inzwischen waren alle mit essen beschäftigt und da hätten Versuche, Gespräche zu führen, keinen Sinn ergeben.
Erst nachdem alle ihre Nachspeise hinter sich hatten, kam etwas Bewegung in die Anwesenden. Dieter stand zwischen mir und Mutter und erklärte uns: „Ich habe mit Sandra ein längeres Gespräch geführt. Du weißt, dass wir selbst keine Kinder haben konnten, wir möchten Jonas auch helfen. Wir wissen nur noch nicht wie, kannst du uns dabei helfen?“
Ich war zwar nicht gerade überrascht von seiner Aussage, hatte ich doch immer noch das Bild in meinem Kopf, wo er und Sandra am Friedhof Jonas und Tim in ihre Mitte genommen hatten. Ich überlegte und bat ihn, am Samstag, also morgen Nachmittag, zusammen mit Sandra zu uns zum Kaffee zu kommen und an unserer Familienkonferenz teilzunehmen.
Da würde es auch um die beiden Jungs gehen. Ich erklärte ihm, dass er mitreden könne, aber kein Stimmrecht haben würde. Er sah mich an. „Wir werden kommen“, meinte er, „Pläne für morgen haben wir nicht, nur am Vormittag sind wir kurz beim Einkaufen.“
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass meine Schwester eine heftige Diskussion mit dem Ortspfarrer führte, der Vaters Trauerfeier geleitet hatte. Ich konnte zwar nicht verstehen, über was sie sprachen, aber ihrem Gesicht konnte ich entnehmen, dass sie mit seinen Ausführungen nicht einer Meinung ist. Ich beobachtete die Diskussion eine ganze Weile, bis meine Schwester hektisch aufstand und im Nebenraum verschwand, wo die Jüngeren beim Essen waren.
Nach kurzer Zeit kehrte sie mit wütendem Blick zurück und stürmte zu ihrem Mann, mit dem sie die nächste heiße Diskussion führt. Irgendwann stand er auf und beide bewegen sich zum Ausgang. Martin kam kurz bei mir vorbei und sagt nur kurz: „Ich fahre meine Frau ins Hotel und komme wieder zurück und erkläre dir alles.“
Er war kaum draußen, als Philipp mit Jonas am Tisch auftauchte und fragte: „Können wir dich kurz sprechen, aber wenn möglich ohne Zuhörer.“ Ich fragte Mutter, ob wir uns in ihr Wohnzimmer zurückziehen können, und sie meinte: „Kein Problem, bleibt nur nicht zu lange weg, nicht dass ihr vermisst werdet.“ Zusammen mit den beiden Jungs wechselten wir in Mutters Wohnzimmer. Wir setzten uns auf die Sofas und ich wollte von den Jungs wissen, was so wichtig ist, dass sie mich so dringend sprechen mussten.
Jonas ergriff das Wort und erzählte: „Meine Mutter ist jetzt komplett ausgeflippt. Sie hatte wohl mit dem Pfarrer eine hitzige Diskussion geführt, danach stürmte sie ins Nebenzimmer und forderte Manuel und Sabine auf mit ihr mitzukommen, weil sie jetzt auf der Stelle nach Hause fahren will. Die beiden haben sich standhaft geweigert, sie wollten noch hierbleiben. Danach hat sie Manuel seinen Autoschlüssel abgenommen und erklärt, dass sie dann eben allein nach Hause fährt.“
„Sie ist mit deinem Vater auf dem Weg ins Hotel, dass sie abreist, hat er mir nicht erzählt, nur, dass er sie zum Hotel bringt und anschließend wieder zurückkommt“, erklärte ich ihnen. An der Tür klopfte es und als ich „herein“ rief, öffnete sich die Tür und Manuel und Sabine traten ein. Sie setzten sich zu uns und meinten, Großmutter hätte ihnen gesagt, wo wir zu finden seien.
„Wir wollten mit dir reden und dir erklären, dass wir beide keinerlei Probleme mit Jonas‘ Homosexualität haben und hinter ihm stehen. Meine Schwester und ich wissen nicht, wie es jetzt weitergehen soll, sie hat bei ihrem Abgang nur herumgetobt und gemeint, dass ihr Jonas nie wieder unter die Augen treten soll. Sie wolle mit diesem verkommenen Objekt und ihrer schwulen Verwandtschaft, die sogar den Pfarrer umgepolt hätte, nichts mehr zu tun haben.“
Ich schaute alle vier an, die betreten dreinschauten, und fing zu lachen an, denn davon hatten mir Jonas und Philipp nichts erzählt. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, erklärte ich ihnen, warum ich gelacht hatte. Als ich ihnen erklärte, dass ich mir die Aussage meiner Schwester, wir hätten den Pfarrer umgepolt, in dem Moment bildlich vorgestellt habe.
Philipp meinte dazu: „Papa, deine versaute Fantasie und das auch noch bei Opas Beerdigung, da muss man sich ja für dich schämen.“
Ich grinste und meinte zu Philipp: „Warum bist du dann nicht einmal rot im Gesicht geworden, wenn du, wie du behauptest, dich für mich schämen musst. Bevor wir weiterreden, sollten wir jetzt erst einmal abwarten, bis Martin wieder hier ist.“
Kaum hatte ich das ausgesprochen, klopfte es erneut und Martin und Tim betraten den Raum, nachdem ich sie hereingebeten hatte. Bevor Martin etwas sagen konnte, verkündigte Tim, dass seine Eltern bereits morgen anreisen, sie würden in der Nacht losfahren und bis spätestens zehn Uhr hier sein, um mit uns die Situation um Jonas zu besprechen, nachdem er ihnen erzählt hatte, was hier vorher abgegangen ist.
„Ich habe ihnen gesagt, dass sie dann aber nicht bei euch übernachten könnten, da ihr noch Gäste von der Beerdigung untergebracht habt. Sie haben mir erklärt, dass sie in einem Hotel übernachten wollen.“
Martin meinte erst einmal, dass er mit diesem Gespräch einverstanden sei, da wir vereinbart hatten, uns genau zu diesem Thema am Samstag zusammenzusetzen. Kurz erklärte er noch, dass seine Frau Gerlinde ihre Koffer packt und noch heute nach Hause fährt. Ich meinte dann: „Wir können heute nichts mehr klären, lasst uns einfach zu den anderen zurückgehen, bevor wir alle vermisst werden und noch mehr in Mutters Wohnzimmer auftauchen.“
Gemeinsam kehrten wir zur Trauergesellschaft zurück und verteilten uns wieder, die Jugendlichen wieder im Nebenraum, Martin zu mir und Mutter. Martin unterhielt sich längere Zeit mit Mutter, er erzählte ihr, was ich bereits wusste und dass ihre Tochter inzwischen auf dem Weg zurück nach Hannover ist.
Zwar hatten viele die lautstarke Diskussion mit dem Pfarrer mitbekommen, aber nachdem meine Schwester den Leichenschmaus fluchtartig verlassen hatte, haben sich die Gemüter schnell wieder beruhigt. Später unterhielt ich mich noch kurz mit dem Pfarrer, der nicht verstehen konnte, wie in der heutigen Zeit noch jemand so verbohrte Ansichten haben kann, und das habe er meiner Schwester auch deutlich erklärt.
Der Sohn meiner Schwester und sein Freund waren nicht das einzige männliche Pärchen, wie er bei der Trauerfeier und Beerdigung feststellen konnte. Ich lachte und erklärte ihm, dass er da nicht falsch liegen würde. Mein Sohn Philipp und sein Freund Marcus, unsere Freunde aus Mallorca sowie ich mit meinem Thomas gehören zu dieser Gruppe. Der Pfarrer meinte, er hätte da noch ein Pärchen gesehen, die aber beide bereits über Siebzig seien.
Der Rest des Leichenschmauses blieb ohne weitere Aufreger oder Pannen. Beim Kaffee und Kuchen am späteren Nachmittag saß Martin wieder bei uns am Tisch, diesmal waren sein Sohn mit seinem Freund Tim sowie Philipp und Marcus und Jonas‘ Geschwister mit dabei. Alejandro und Jorge entdeckte ich an einem der anderen Tische im angeregten Gespräch mit einem Teil von Mutters Verwandtschaft.
Ab siebzehn Uhr verabschiedeten sich die Musiker und so nach und nach auch die ersten Trauergäste. So gegen halb sieben war nur noch der erweiterte Familienkreis anwesend und das gesamte Personal des Caterers. Herr Baumgartner kam zu uns an den Tisch und sagte, dass seine Leute für heute Schluss machen würden, aber er würde uns noch Getränke dalassen, damit wir nicht verdursten. Morgen gegen zehn Uhr komme sein Team, räume alles auf und baue Tische und Stühle ab. Spätestens morgen Abend ist dann auch unser Küchenzelt demontiert und alles wieder wie vorher.
Bevor er ging, drückte Mutter ihm eintausend Euro als Trinkgeld in die Hand, für seine komplette Mannschaft, also das Service- und Küchenpersonal, sowie für seine Crew, die Tische und Stühle aufgebaut hat. Er bedankte sich im Namen seiner Mitarbeiter für das Trinkgeld.
Nach und nach verschwand das gesamte Personal, nachdem es die unbesetzten Tische vollständig abgeräumt und die Tischwäsche zusammengelegt hatte. Der Rest hatte locker an einem Tisch Platz gefunden, nachdem wir noch einige Stühle dazugestellt hatten.
Ich fragte Mutter, ob es dabei bleiben würde, dass sie morgen Nachmittag an der Familienbesprechung teilnimmt, dann könnten die Jungs sie mitnehmen, wenn sie am Vormittag bei ihr wären. Sie antwortet mir: „Ich bleibe wohl besser hier, wenn morgen die Mannschaft vom Caterer wieder alles aufräumt. Ich verlasse mich da ganz auf dich, du wirst das mit der Meute schon alles regeln.
Ich glaube sowieso nicht daran, dass ihr bereits eine Entscheidung treffen werdet, wenn du morgen deine Pläne vorstellst. Da wird es sicher lange Diskussionen geben. Ich denke, ihr werdet euch noch des Öfteren treffen, bevor endgültig alles geklärt ist.“
Kurz nach einundzwanzig Uhr, Mutter hatte uns erklärt, dass sie müde sei und sofort ins Bett geht, beschlossen wir, auch nach Hause zu fahren. Martin mit seinen beiden Kindern fuhr ins Hotel. Der verbleibende Rest, im Grunde genommen diejenigen, die bei uns schliefen, fuhren mit den beiden Autos zu uns.
Da noch keiner ins Bett wollte, versammelten wir uns zu Hause im Wohnzimmer und unterhielten uns über die Ereignisse des Tages, den Ausrutscher meiner Schwester und über den Ablauf der Trauerfeier. Ich fragte in die Runde, ob irgendeiner der anderen bemerkt habe, dass ein weiteres schwules Pärchen da gewesen sei, da der Pfarrer so etwas angedeutet habe. Zuerst sah ich nur in ratlose Gesichter, bis Philipp meinte, dass das möglicherweise Onkel Alois gewesen sein könne, der ständig mit einem Mann am Tisch saß.
Er hat irgendwann einmal mitbekommen, dass einige Anwesende hinter vorgehaltener Hand von einem Onkel Alois sprachen, einem schwarzen Schaf der Familie von Winden. Soweit er verstanden habe, soll er ein Halbbruder unseres Großvaters oder von Großmutter gewesen sein, der nach dem Tod seiner Mutter als Waisenkind von Urgroßvater in die Familie aufgenommen wurde.
Philipp ließ es sich nicht nehmen, doch noch einmal auf das Thema Trauerrede zurückzukommen: „Jonas und Peter, ihr seid aus meiner Sicht ganz schön mutig gewesen mit eurer Trauerrede. Jetzt ist mir auch klar, warum Peter gestern nicht sagen wollte, was ihr vorhabt.
Wenn ich das vorher gewusst hätte, kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich versucht hätte euch davon abzuhalten. Besonders stark fand ich die Reaktion von Oma, sie hat euren Beitrag zu den Trauerreden mit Applaus bedacht und viel haben sich angeschlossen.“
Jonas grinste und meinte zu Philipp: „Oma hat nach der Trauerfeier zu Peter und mir gesagt, dass unsere Trauerrede die ehrlichste von allen Trauerreden gewesen sei.“
Ich überlegte, konnte mich aber nicht daran erinnern, dass in der Vergangenheit viel über einen Onkel Alois gesprochen wurde und wenn, dann auch nur darüber, dass er vor vielen Jahren weggezogen sei und keiner wisse, wo er jetzt wohne.
Um mehr herauszufinden über meinen Onkel, muss ich meine Mutter befragen, die wird sicher das eine oder andere über diesen mysteriösen Onkel wissen, denn sie musste ihn auch eingeladen haben. Bei der Vielzahl der Namen, die auf der Einladungsliste standen, konnte ich mich beim besten Willen nicht an alle erinnern.
Es war fast Mitternacht, als die Letzten ins Bett fielen und so langsam absolute Ruhe im Haus einkehrte.
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