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Spanish Lullaby

Teil 2

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Vorwort

Es ist wieder so weit, nach langer langer Zeit, um genau zu sein, nach 10 Monaten, kommt von uns der zweite Teil von Spanish Lullaby. Aber das warten hat sich gelohnt, denn immerhin ist dieser Teil um 2000 Wörter länger als der alte. Aber genug geredet. Denn:

 

Tucken an die Macht,

haben die sich wohl bei dieser Reisegruppe gedacht, denn so wie der sprach, der gerade mit seinen Händen über meinen Körper huschte... Überhaupt, was machte der da, da konnte man sich ja gar nicht zur Wehr setzen?

Dezent schob ich seine Hände von meinem Körper und ging mit einem verwirrten, aber nicht angewiderten Blick auf Abstand. Immerhin ging mir das dann doch zu schnell.

»Ähhh.«

Der wasserstoffblonde Junge stand noch immer vor mir und schien sich überhaupt nicht aus der Ruhe zu bringen lassen. Doch im Hintergrund sah ich einen weiteren Jungen aus dem Bus treten, der eigentlich relativ normal aussah und mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen herauskam. Er hatte relativ kurze braune Haare und eine Sonnenbrille auf.

»Ts ts ts, Svenni, konntest du es nicht lassen!«

Der Fremde ging hinüber zum fliegenden Fisch und legte ihm seinen Arm um die Schulter und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Tja Janosch, anders als du, liebe ich solche Situationen.«

Wow, nun konnte der Typ auch normal sprechen und das hörte sich richtig süß an! Ich begriff so langsam, was sich da abspielte und musste plötzlich an meine Erzeuger denken. So was hatten die sich wohl kaum vorgestellt. Diabolisch grinste ich vor mir her.

»Ähhh, wir wollen dich ja nicht stören, aber mal abgesehen von der Show meines Freundes, hat uns die kleine Dicke wirklich gesagt, dass du mit uns in ein Zimmer gehen sollst. Ähhhm, hallo? Was grinst du denn so?«

Oh? An die beiden hatte ich ja gar nicht mehr gedacht. Im Moment hatte ich überlegt, ob ich irgendwie ein Foto dieses Pärchens, natürlich küssend, an meine Erzeuger schicken sollte, mit dem kleinen Hinweis darauf, dass ich mit diesen beiden nun meine Ferien in einem Zimmer verbringen würde. Die würden wahrscheinlich sofort versuchen, mich hier raus zu holen, dass heißt, wenn sie nicht vorher `nen Herzinfarkt bekommen haben.

Puh, aber nun zurück zu den beiden Typen vor mir.

»Ähhm was? Entschuldigt, ich war grad ein wenig in Gedanken, war aber nicht böse gemeint. Sorry.«

»Ah ja, ok. Also wie schon gesagt, die Dicke hat uns gesagt, wir sollen mit dir auf ein Zimmer. Ja. Naja, außerdem wollte ich mich für die Show meines Freundes endschuldigen. Als sie uns gesagt hat, dass wir mit jemanden aus einer anderen Gruppe auf ein Zimmer sollten, meinte er, es wäre unheimlich witzig, so etwas abzuziehen.«

»Hey hör mal, das war es auch!«, protestierte Sven bei seinem Freund.

»Naja, es geht. Manche Leute kann man damit auch verschrecken. Wie auch immer, lass uns mal unsere Sachen nehmen und aufs Zimmer gehen, dann erzählen wir dir alles weitere. Ach, wie heißt du eigentlich?«

»Marvin, Marvin Charles.«

»Marvin Charles? Das ist ja ne doofe Kombi. Aua! Wieso haust du mich auf einmal, Janosch?«

»Na wieso wohl? So unverschämt wie du wieder bist? Außerdem ist Specke ja wohl auch nicht besser, oder?«

»Ja ja... Du verdirbst einem auch alles.«

»Ach sei ruhig. Also hallo Marvin. Ich bin Janosch Kempmann und das ist mein überaus charmanter Freund Sven Specke. Beachte ihn einfach nicht.«

»Schön euch kennen zu lernen.«

Wir reichten uns alle noch mal die Hände und die beiden zogen los, um ihre Koffer zu holen. Ich hatte noch einmal die Chance, mir den Rest der Reisegruppe anzusehen. Ein sehr bunter Haufen wie ich fand. Bei einigen merkte man an der leicht weiblichen Sprache, dass sie schwul waren, also was hatten meine Erzeuger daran auszusetzen? Sie hatten ja gefallen daran, gerade so zu tun, als sei's ne Krankheit. Naja, egal. Blöd bleibt blöd und ich kann's immer noch nicht fassen mit denen verwandt zu sein.

»Hey Marvin, wieder so nachdenklich?«

»Ich sag's ja, so wie der die anderen anschaut, der ist einer von uns. AUA. Das war doch keine Beleidigung. Ich stehe nicht auf SM, das hab ich dir jetzt schon ein paar Mal gesagt. Oder? Ich hoffe du hast nicht auch deine Peitsche mitgebracht. Aber vielleicht steht ja Marvin auf so was. AUA. Ist ja gut, ich bin schon ruhig. Lass uns gehen.«

So zogen sie mich weg und wir gingen auf die Suche nach unserem kleinen Appartement.

Schon nach kurzer Zeit, in der Sven und Janosch nicht von einander lassen konnten, hatten wir es gefunden. Es bestand aus einem Aufenthalts- und einem Schlafraum. Im Aufenthaltsraum gab's ne kleine Couch und einen Tisch, ansonsten halt sehr spartanisch eingerichtet. Für die Körperhygiene gab es Gemeinschaftswaschräume mit Duschen und so.

Im Schlafraum gab es ein Doppelbett und ein Einzelbett, sowie in einem kleinen angrenzenden Raum ein Waschbecken, wo man sich zumindest morgens pflegen konnte.

»Na ist doch ganz nett oder was meinst du, Marvin?«

Janosch hatte mich wieder einmal aus meinen Träumen gerissen. »Ähhhm, was? Ja, ist ganz nett.«

»Na gut, also, ich denke, dir wird recht sein, wenn Sven und ich das Doppelbett nehmen?«

»Ja klar.«

»Das ist schön. Dann lasst uns mal alles beziehen und einräumen.«

So fingen wir also an, unsere Koffer aus und in die bzw. den Schrank einzuräumen.

»Ach Marvin, sag mal, dir macht das auch nichts aus?«

Langsam hatten die beiden bestimmt den Eindruck, ich hätte irgendein Hirnproblem oder so, denn immer guckte ich völlig entgeistert. So kam's mir zumindest selber vor.

»Sorry, aber was soll mich nichts ausmachen?«

»Na z.B. das wir schwul sind.«

Sven stellte diese Frage schon fast vorwurfsvoll, wahrscheinlich war er enttäuscht, dass sein Auftritt nicht mehr Eindruck hinterlassen hatte.

»Naja, eigentlich nicht. Sollte ich?«

»Ach Quatsch, auf keinen Fall! Aber ich weiß ja nicht, wie viel Kontakt du schon mit Schwulen hattest. Außerdem stellen sich manche Teenies ja völlig unsinnige Sachen über uns vor.«

»Nee nee, keine Angst. Ich hab keine Vorurteile, höchstens meine Eltern.«

Ups, ertappt. Aber sollte ich ihnen das sagen? Nein lieber noch nicht, eigentlich ja komisch, immerhin waren sie ja auch schwul. Aber trotzdem hatte ich Angst, es ihnen zu sagen.

»Deine Eltern? Wieso das?«

»Ach die sind rückständig, macht euch nix draus. Ich hab jedenfalls keinerlei Probleme mit Schwulen.«

»Dann ist ja schon mal gut. Ich hab schon gedacht, der Auftritt von Svenni hätte dich abgeschreckt.«

»Nein, nein, keine Angst. Aber wieso hast du das gemacht?«

Sven, der sich aufs Bett gelegt hatte, schien überrascht und schreckte hoch. »Ach nur, weil ich ganz einfach jemanden ärgern wollte. Außerdem dachte ich, dass du vielleicht etwas gegen uns hast oder so.«

»Naja, versteh ich nicht richtig, aber egal.«

Janosch hatte nun angefangen, sich sein T-Shirt auszuziehen, ganz offensichtlich wollte er die im Bus (knapp 15 Std.) getragenen Kleidung ablegen. Doch nach dem Shirt hielt er inne und sah mich an.

»Ach, ich hoffe dir ist das nicht alles zu peinlich? Ich meine, dich hier umzuziehen, oder uns dabei zuzuschauen.«

»Wenn er zuschaut, dann hätte ich ja recht gehabt.«

Wumm, war Sven das alte Shirt von Janosch ins Gesicht geflogen.

»Ach Quatsch, macht mir nichts aus.«

Aber nur, wenn wir uns nicht gleichzeitig ausziehen müssen. Denn dann würdest du eventuell meine Erregung bei der Sache bemerken.

Das hätte ich ehrlicherweise wohl noch hinterher setzen müssen. Aber dazu fehlte mir immer noch der Mut, also begann ich mich auch mit dem Rücken zu den beiden anderen umzuziehen.

Als ich fertig war, legte ich mich ins Bett. Janosch tat das gleiche. Sven wollte sich noch einmal ganz genau das andere Zimmer ansehen. Später wusste er, dass es tatsächlich nichts Besonderes gab, außer man konnte irgendeine Wand mit einem verstecken Schalter öffnen, wodurch man an die Minibar und Stereoanlage kam.

»Ach Marvin, es tut mir nebenbei leid. Also das mit Sven.«

»Ist echt kein Problem.«

»Ok, da bin ich froh. Also du bist mit anderen Freunden in einer anderen Gruppe hier?«

»Mit einer anderen Gruppe, ja. Mit anderen Freunden, nein. Meine Eltern wollten, also haben sich gedacht, dass das hier ganz gut für mich wäre.«

»Ach so, sitzt du sonst zu Hause nur rum?«

»Ne ne, aber die wollten auch in den Urlaub und meinten ich sollte mal mit Gleichaltrigen weg.«

»Na ist ja auch witziger oder?«

»Ich hoffe es.«

»Ach, klar auf jeden Fall. Aber eure Gruppe ist wahrscheinlich keine schwule Jugendgruppe?«

»Nee, ganz Normale, mit Mädchen und Jungen, also normal, also ich mein nicht, dass schwul nicht normal ist.«

»Schon klar, ist immer schwierig, das in Worte zufassen, weil ja Heterobeziehungen als normal zählen.«

»Ja, so ist es wohl.«

Aber nicht bei allen, das hätte ich mal wieder nachsetzen wollen, denn meine Erzeuger waren ja da ganz anderer Meinung.

Man hörte vom Nebenraum ein Klopfen, als Janosch gerade zu einer Antwort ansetzen wollte.

Sven kam zurück zu uns ins Zimmer, hinter ihm stand Thorsten.

»Hey Marvin, hier ist wer für dich, scheint ganz schnuckelig zu sein.«

Man konnte sehen, wie peinlich die Offenheit von Sven Thorsten war und er sofort rot wie eine Tomate wurde.

»Hi Thorsten! Was gibt's?«

Ich war aufgestanden und ging mit dem leicht verwirrten Thorsten zurück in den Aufenthaltraum. Aus dem anderen Zimmer konnte man abermals die wehklagenden Schreie von Sven hören, der wohl gerade von Janosch überfallen wurde.

Ich sah Thorsten an, der wohl immer noch das, was gerade geschehen war analysierte.

»Ähhm, ja, ich soll dich abholen, weil wir noch ne Auftaktveranstaltung haben, also unsere Teamer wollen noch mal ein wenig zum Programm sagen.«

»Ach so. Ok. Dann lass uns mal gehen.«

Diese nette Auftaktveranstaltung war mehr langweilig, aber immerhin erfuhr man, was es in der nächsten Zeit so an Programm geben würde.

Als ich zurück in mein Appartement gehen wollte, war es schon spät. Das heißt, eigentlich erst 22:00 Uhr, aber immerhin waren wir nachts Bus gefahren und dementsprechend fühlte ich mich auch.

Umso mehr überraschte es mich, dass Thorsten hinter mir her kam und mich begleiten wollte.

»Na klar, komm mit.«

»Sag mal Marvin, eine Frage. Die beiden mit dir im Appartement, sind die schwul?«

»Ja, sind sie.«

»Aha.«

»Aha?«

»Ach egal.«

Wow, wären wir in der Wüste gewesen, so hätte er mit dem plötzlichen Abgang ne Menge Sand aufgewirbelt.

Als ich mich umdrehte, um zu sehen, wo er hin wollte, sah ich, dass auch Simon auf dem Weg stand und zu mir sah. Als er merkte, dass ich ihn ansah, drehte er sich weg und ging. Zuerst überlegte ich, hinterher zu gehen, aber wenn sie nicht mit mir sprechen wollten, ok.

Ich ging also zurück ins Appartement und überlegte, ob ich Sven und Janosch von mir erzählen sollte. Aber da war ich mir eben nicht sicher. Aber belügen konnte ich sie auch nicht, oder?

Als ich rein kam, saßen beide auf der Couch und küssten sich leidenschaftlich. Aber sie schreckten doch recht schnell hoch, als ich mich räusperte.

»Oh, hi Marvin. Wieder zurück?«

»Ja, wie man sieht!«

»Hey, der Witz hätte ja fast von mir sein können«, meinte Sven.

»Ähhm, Marvin, wir müssen dir aber noch was gestehen, uns ist da eine dumme Sache passiert.«

»Eine ganz dumme!«, schob Sven hinterher.

Sie zogen mich in Richtung Schlafzimmer.

»Naja, wir haben so rumgetobt und so«, druckste Janosch.

»Jep, genau. Nur rumgetobt«, wiederholte Sven eifrig nickend.

Wir kamen im Schlafzimmer an und als ich eintrat, sah ich, dass mein Bett irgendwie komisch aussah.

»Naja, als ich dann Svenni mal weg schuppte, da flog er auf dein Bett.«

»Genau und obwohl ich eigentlich recht leicht bin...«

Janosch zog die Matratze zurück und man sah, dass der Lattenrost gebrochen war.

»Naja, obwohl er das ist, fand das Bett den Aufprall wohl ein wenig zu hart.«


»Und das nennt ihr nur etwas rumtoben? Das Bett ist Schrott, die Bude sieht aus, als wäre ne Bombe explodiert und in dem Chaos steht ihr nur bekleidet mit Unterwäsche. Und ihr wollt mir erzählen ihr hättet nur rumgetobt?«

»Ähm? Nein? Äh? Ja?!« Zwei rote Köpfe schauten mich an, wobei sie beide ihren Blick von unten herauf schweifen ließen. Irgendwie süß, so im Nachhinein betrachtet, aber an diesem Abend war ich einfach nur sauer und genervt. Ich war müde von der Fahrt, angenervt von den Instruktionen, hatte schon wieder Hunger, wie immer halt. Und besonders wenn ich ungehalten bin bekomme ich Hunger - auf Gurken mit süßer Schlagsahne. *würg* Aber schwanger war ich nicht, so viel war sicher.

Ich ging erst Mal zu meinem Rucksack und holte den letzten Energieriegel raus, den ich noch von daheim hatte und öffnete ihn.

»cach Marvinlein, chass tut mir soooooo leid, tchass dein bett chaputt gegangen ist. Bitte verzeih mir doch«, flehte mich die kleine Tucke an. Wer kann da noch böse sein? Oder lag es am Essen, dass sich meine Laune wieder besserte?

»Schon gut, ändern kann man es ja eh nicht mehr, aber wo soll ich heute schlafen?«

»In unserem Bett, mit uns.« Meinte Janosch.

»Ich werde sicher nicht mit euch schlafen.«

»Hups, da hat wohl doch einer was gegen Schwule?«

»Sicher nicht, ich misch mich nur nicht in Beziehungen ein.«

Noch während ich das letzte Wort ausgesprochen hatte, wurde mir klar, was ich soeben gesagt hatte. Das war mein erstes Coming Out einem Schwulen gegenüber. Ich lief natürlich knallrot an und drehte mich verschämt weg.

»Hab ich's dir nicht gesagt? Ich wusste es, aber du wolltest es mir ja nicht glauben.« Der allerliebste Svenni hüpfte auf und ab, wie ein kleines Mädchen, das gerade einen Lolli geschenkt bekommen hat.

»Echt?« Mehr hatte Janosch nicht zu sagen.

»Ja!« Was konnte ich jetzt noch leugnen.

»Na umso besser, aber jetzt sollten wir langsam ins Bett gehen, immerhin wecken uns diese Biester schon um halb neun.«

»Ihr habt echt nette Betreuer. Unsere scheuchen uns um acht aus dem Bett.«

»Ist nicht dein Erst. Was sind denn das für Barbaren?«

Also nahm ich meine Bettdecke und mein Kissen und befreite es von diversen Holzsplittern. Was haben die nur in diesem Bett angestellt? Ich glaube, ich will es eigentlich nicht wissen. Die beiden anderen kamen dann aus dem Bad, während ich mir die Zähne putzte und als ich wieder in das Zimmer trat, hatten sie beide nichts mehr an. Wie angewurzelt blieb ich im Türrahmen stehen und machte schon wieder den Holland-Tomaten Konkurrenz.

»Noch nie einen nackten Mann gesehen?«

»Nicht in real.«

»Tja, dann müssen wir uns ja geehrt fühlen deine Ersten zu sein. AUA!«

Immer diese Andeutungen.

»Stört es dich? Dann können wir uns auch wieder anziehen.« Janosch, der Diplomatische.

»Schon ok, ich hab den ersten Schock überwunden.«

»Schock. Du Banause du, so was wie mich sieht man nicht alle Tage.«

»Ist ja gut, Svenni, keiner pinkelt dir ans Bein, also halt die Klappe und geh ins Bett.«

»GRMLGRML.« Widerwillig stieg Sven ins Bett.

»Und du liegst außen, sicher ist sicher.«

Unter nochmaligem Gegrummel wurde Janoschs Befehl ausgeführt. Auch ich zog mich bis auf die Short aus und wollte unter das Bett hüpfen.

»Guck mal, er hat ne Latte.«

Klappe, die Rote Tomate, Take 349 für diesen Tag.

»Na und? Er ist doch auch nur ein Junge mit ganz normalen Trieben. Und jetzt schlaf endlich. Sorry Marvin, aber manchmal ist er echt unausstehlich.«

»Ach lass ihn doch. Und damit du siehst, was dir entgeht, zieh ich jetzt auch noch die Short aus.«

Svenni und Janosch bekamen große Augen. Ich stieg ins Bett und kurz darauf war ich im Land der Träume.

Keine Ahnung, ob die beiden überhaupt geschlafen hatten, aber als mein Wecker um kurz vor acht klingelte, waren die beiden gerade heftig ineinander verschlungen. Nicht einmal das monotone Gepiepe dieser brillanten technischen Erfindung, die ich jeden Morgen aufs Neue verfluchte, störte die beiden bei ihrem Spiel.

Ich wollte aber kein Spielverderber sein und stieg aus dem Bett und quälte mich in Richtung Bad. Weit kam ich nicht, denn schon wieder hörte ich ein Kichern, welches unverkennbar aus dem Rachenraum von Svenni kam. Armer Svenni, er tat mir jetzt schon leid.

»Was ist?« zischte ich zu ihm.

»Du hast echt kein Schamgefühl, läufst wieder mir einer Latte an uns vorüber und zeigst uns dann deinen Hintern.«

Oh, du armer kleiner Näsler, du hast gerade den schwersten Fehler deines Lebens begangen. Dazu muss vielleicht gesagt werden, dass ich morgens wirklich unausstehlich bin und das meine ich völlig ernst, wer meint, er müsste mich blöd anmachen, bevor ich überhaupt auf nur einen Bissen gefrühstückt habe, der hat erst mal nicht viel zu lachen.

»Mein lieber kleiner Svenni«, ich sprach langsam und nur durch die Zähne, »wenn du meinst, du könntest mich aufziehen, hast du dich geschnitten. Ich weiß, dass dir mein Arsch gefällt und du gerne mal würdest, aber das wird nichts, deiner ist eh viel zu klein.«

Ok, das war fies und er hatte keinen Kleinen, aber ich war genervt, hundemüde und wollte ihn verletzten.

Ich sah noch wie Svenni rot anlief, sich auf sein Kissen rumdrehte und den Kopf darin vergrub, kümmerte mich aber nicht weiter darum, drehte mich um und ging in Richtung Gemeinschaftsbad. Ich wollte gerade die Tür zum Schlafzimmer schließen, als mir diese entgegen flog und mich an der Stirn traf. Benommen taumelte ich ein paar Schritte rückwärts und durch die Tür kam ein wutentbrannter Janosch, der die Tür hinter sich zuschlug und mich mit starren Augen fixierte.

»Was fällt dir eigentlich ein? Hast du sie noch alle? Was hat er dir getan, dass du so gemein zu ihm bist.«

»Hä?« Mehr brachte ich nicht raus.

»Was musst du ihn so beleidigen, von wegen er hätte einen Kleinen und so?«

»Ach das, ich wollte einfach nur meine Ruhe haben von seinem ewigen Rumgetucke und 'Ach Gottchen schau mal da, und hier sieh mal das'. Das geht einem mächtig auf den Zeiger und außerdem ist es acht Uhr morgens und ach was soll's ist doch eh scheiß egal und jetzt lass mich duschen gehen.«

Ich merkte, dass ich wohl ziemlichen Bockmist gebaut hatte und wollte einfach nur alleine sein, aber Janosch ließ mich nicht los.

»Nichts da, was ist eh scheiß egal? Sag es, ich hab keinen Bock meine ganzen Ferien hier mit zwei Typen zu verbringen, die sich ständig ans Bein pinkeln.«

»Ach ist doch egal, ich bin halt ein Morgenmuffel.«

»Das liegt nicht nur am Morgenmuffel, da steckt mehr dahinter. Also, was ist los? Ich werde es schon nicht herumerzählen.«

Ich kann es nicht leiden, wenn Typen so rumbohren, da werde ich immer weich, aber ich wollte nicht weich sein, aber der Fels in mir begann zu bröckeln.

»Ach, er macht sich ständig über meinen Dauerständer lustig, aber er hat ja auch kein Problem damit, um seinen wird sich ja auch gekümmert?!«

»Daher weht der Wind. Vielleicht solltest du ihm das mal sagen?«

Wir diskutierten noch etwas hin und her. Ich wollte natürlich nicht mit Sven reden und Janosch wollte mich schon fast an allen Vieren rein schleifen. Irgendwann stand ich dann doch vor unserem Bett. Sven lag noch immer mit dem Kopf im Kissen da und wimmerte etwas vor sich hin. Ich setzte mich an den Rand des Betts und legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte etwas zusammen.


Ein paar Zimmer weiter bereiteten sich Simon, Thorsten und der Rest meiner Gruppe ebenfalls für den anbrechenden Tag vor. Das viel zu frühe Aufstehen, das selbst außerhalb der Ferien viel zu früh war, sorgte für maulige Stimmung, knurriges Angeblaffe und nur halb geöffnete Augen. Letzteres ließ sich durch ausreichende Mengen kalten Wassers beheben.

Im Jungenwaschraum war zu dieser frühen Stunde wenig los. Außer denen von meiner Reisegruppe, schienen alle anderen Teamleiter ein natürliches Schlafbedürfnis zu besitzen. Wie anders war es zu erklären, dass außer uns alle anderen Gruppen frühestens eine Stunde später in den Tag starten würden. Nachdem eine morgendliche Dusche mit lauwarmen Wasser (die Dusche des spanischen Jugendgästehauses ließ sich einfach nicht wärmer einstellen) Thorsten von ¼ wach auf ¾ wach gebracht hatte, stellte er fest, dass außer ihm nur noch Simon im Waschraum war. Genau genommen stand Simon am Waschbecken neben Thorsten.

Simon sah in den Spiegel, kratzte sich ein paar Bartstoppeln aus dem Gesicht und meinte plötzlich: »Marvin.«

»Ist das eine Frage oder Feststellung?« entgegnete Thorsten zähneputzend.

»Was denkst du?«

»Du hast uns gestern beobachtet«, meinte Thorsten und blieb dabei ähnlich wage wie Simon.

»Ist das eine Frage oder eine Feststellung?« entgegnete nun Simon.

»Im Zweifelsfall ist es eine Feststellung.« Thorsten spuckte die Zahnpasta aus, spülte und meinte: »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass Marvin bei diesen…?«

»Schwulen?« ergänzte Simon, als Thorsten nicht weiter sprach, »Ich weiß, was du meinst.«

»Wirklich?« Thorsten sah Simon skeptisch an.

»Junge, mit wem denkst du, sprichst du hier? Wir kennen uns seit? Naja, lange genug, um zu wissen, dass dich etwas… ähm… beschäftigt.«

»Was willst du mir eigentlich sagen?«

»Ich sehe, wie du Marvin ansiehst, wie du eine Menge Jungen ansiehst und wie du krampfhaft jeden Kontakt zu der Gruppe von Schwulen vermieden hast.«

»Willst du damit andeuten, ich sei?«, brauste Thorsten auf und wäre Simon fast an die Gurgel gesprungen.

»Andeuten? Nein!«, fiel Simon Thorsten ins Wort, »Beruhige dich. Bleib ganz cool, ok? Ich weiß nicht, ob du schwul bist. Ich glaube viel mehr, dass du verunsichert bist. Marvin verunsichert dich!«

»Du hättest Psychiater werden sollen!«, frotzelte Thorsten, »Das ist doch alles Quatsch mit Soße.«

»Und warum reagierst du so aggressiv?« »Ich bin nicht aggressiv!«, schrie Thorsten Simon an.

»Man merkt es!«

»Grrrrr!« Thorsten kühlte etwas ab. »Ok, gehen wir einmal theoretisch, nur theoretisch davon aus, dass ich verunsichert bin. Dass Marvin bei mir ungewöhnliche, neue Gefühle geweckt hat, die ich so noch nicht kannte. Was dann?«

»Rein theoretisch?«

»Rein theoretisch!«

»Steh' dazu! Ich reiß dir nicht den Kopf ab. Wenn du, rein theoretisch, vermuten würdest, dass du vielleicht, vielleicht aber auch nicht, möglicherweise rein hypothetisch etwas für Jungs empfinden tätest? Waren das genügend Konjunktive?«

»Ja! Mach weiter.«

»Wo anders, wenn nicht hier, könntest du das am Besten austesten? Wir sind in Spanien. Außer mir kennt dich niemand wirklich gut. Claudio und Co. sehen wir bestenfalls alle Vierteljahr mal. Wenn du also Angst hast, dass etwas rauskommt oder die Sache total daneben geht, ist das Risiko für dich eher klein.«

»Und was ist mit dir?«

»Was meinst du?«

»Wie stehst du dazu, wenn ich, rein theoretisch, mich für Jungs interessieren würde?«

»Ich fände es interessant und aufschlussreich.«

»Wie bitte?«

»Verlassen wir mal kurz die Theorie. Ich wundere mich schon seit längerem, dass du dich bei den Mädels so zurückhältst.«

»Na, was für eine tolle Beobachtung! Die beweist jetzt was?«

»Nichts? Wenn du nicht gleichzeitig auffällig unauffällig andere Jungs beobachten würdest.«

Thorsten wurde rot: »War das so auffällig?«

»Nein, ich habe gelogen«, grinste Simon triumphierend, »Aber deine Antwort hat dich verraten!«

»Du Arschloch! Das war ein ganz, ganz mieser Trick!«

»Ich muss dich halt zu deinem Glück zwingen!«

»Du hättest also kein Problem damit, wenn ich schwul wäre?«

»Nein - gar keins!«

»Danke!«

»Dafür nicht!« Simon grinste. »Wir sind Freunde.«

Die beiden Jungs sahen sich an und lächelten. Simon, weil er sich für Thorsten freute und Thorsten, weil er endlich, wenn auch unfreiwillig, sein erstes zaghaftes Mini-Coming-Out zustande gebracht hatte.

Simon sah sich um: »Weil wir grade beim Thema waren, hast Du Marvin heute morgen schon gesehen?«

»Nein, du?«

»Auch nicht. Vielleicht sollte man ihn wecken. Unser Teamer gehört ja nicht zu den Geduldigsten.«

»Ich mach das«, meinte Thorsten hinterhältig grinsend.


Während Thorsten und Simon diese, zugegeben etwas ungewöhnliche, Morgentoilette erledigten, hockte ich neben Sven und legte ihm gerade meine Hand auf seine Schulter: »Svenni, es tut mir leid. Wirklich, ich hab' das nicht so gemeint!«

»Geh weg«, schniefte Svenni.

Wenn ich Scheiße baue, dann richtig. Ich wusste zwar nicht, warum meine eher flapsige Bemerkung Sven derart aus der Fassung gebracht hatte, aber es war meine Schuld.

»Hey, es tut mir leid. Wirklich!«, versuchte ich Sven zu beruhigen und mich zu entschuldigen, »Ich hätte dich warnen sollen. Ich bin morgens unausstehlich. Ein echtes Arschloch. Ich ärger mich ja selbst immer über mich, dass ich so bin.«

Ich muss gestehen, dass ich selbst erschrocken war von dem, was ich Svenni an den Kopf geworfen hatte. Es war nicht nur meine Morgenmuffeligkeit gewesen. Wirklich nicht.

»Ich muss dir etwas beichten«, ehrlich zu sein ist viel schwerer als zu lügen. Sven schien an meiner Stimme zu erkennen, dass ich es ehrlich meinte. Er sagte zwar nichts, schluchzte aber auch nicht mehr. Seinen Kopf in sein Kopfkissen vergraben, lauschte er meiner Beichte.

»Ich, es war nicht nur die meine morgendliche schlechte Laune. Es war…«

Ich biss mir auf die Lippen.

»Als ich dich und Janosch heute morgen eng umschlungen liegen sah, scheiße, tat das weh!«

»Es tat weh?« hörte ich es aus dem Kopfkissen herausnuscheln.

»Ja, verdammt! Ihr lebt das, was ich mir am Sehnlichsten wünsche. Scheiße, ich war, nein ich bin so verdammt neidisch auf euch beide. Jedes Mal, wenn ich euch ansehe, sieht man wie ihr beiden euch liebt. Und ich fühle, wie einsam ich bin! Es ist wie Messerstiche ins Herz!« Jetzt begannen auch noch meine Augen feucht zu werden. Ich nahm meine freie Hand und wischte mir die Augen trocken.

»Das hab' ich nicht gewusst«, Svenni hatte sich aufgerichtet.

»Weißt du, warum ich auf dieser Reise bin?« fragte ich verschnieft. Sven, ebenfalls verschnieft und mit rot unterlaufenen Augen, sah mich direkt an.

»Nein. Warum?«

»Weil mich meine Eltern hier her geschickt haben! Damit ich normal werde! Damit ich normale Jugendliche, am Besten ein anständiges Mädchen, kennen lerne. Aber alles, was diese Reise bisher gebracht hat, ist mir klar zu machen, wie allein ich bin.«

»Sorry, Marvin, ich wollte dich nicht aufziehen. Meine Sprüche sind manchmal etwas derb anmachend. Ich schlage da oft über die Stränge. Ich habe das noch nie jemanden erzählt, auch Janosch nicht.«

»Was?«

»Warum ich das mit dem Schwulsein so laut vor mir her trage.« Sven seufzte: »Ich bin unsicher und habe Angst, wie die Leute auf mich reagieren. Ich knall ihnen die Tucke vor den Latz oder komme mit einer vulgären Bemerkung rüber und dann?«

»Du hältst die Menschen auf Distanz.«

»Yap«, bestätigte Svenni niedergeschlagen, »Janosch war nicht immer mein Freund. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als ich mich ähnlich einsam fühlte wie du. Auf Dauer macht das zynisch. Naja, sieh mich an.«

Ich musste lächeln: »Dein Schwanz ist gar nicht so klein.«

»Er würde dir also doch passen?« grinste Svenni frech, ohne dabei einen provozierenden Unterton zu verwenden.

»Ich weiß es nicht. Ich bin noch Jungfrau!«, rutschte es mir unbeabsichtigt raus.

»Was? Du?«, quiekte Sven, »So ein süßer Kerl wie du und noch Jungfrau?«

»Ja, aber könntest du das bitte für dich behalten?«, mir war das ausgesprochen peinlich.

»Natürlich«, Sven wurde plötzlich wieder ernst, »Entschuldige, dass ich dich die ganze Zeit so provoziert habe. Ich habe vorhin wohl nur das abbekommen, was ich verdient habe.«

»Nein, hast du nicht. Ich war gemein zu dir. Du bist nicht Schuld, dass ich noch keinen Freund habe.«

»Freundschaft?«

»Freundschaft!«

Wir fielen uns in die Arme. Sven war zwar nicht mein Freund, trotzdem zog ich ihn ganz dicht und eng an mich. Und er ließ es geschehen.

In diesem Moment flog die Tür auf und Thorsten stand im Rahmen: »Hey, Marvin, aufstehen! Das Frühstück steht bereits auf…«

Thorsten verstummte. Sein Mund öffnete sich, ohne dass weitere Worte herausquellen wollten. Er starrte uns an, wurde knallrot, drehte sich um und lief davon. Ich war mir nicht sicher, aber ich hätte schwören können, Tränen bei ihm gesehen zu haben.

»War das nicht, wie hieß er noch einmal?«, fragte Sven

»Thorsten«, ergänzte ich, wohl kreidebleich zur Abwechslung.

Mir wurde bewusst, was er gesehen hatte. Ich war halbnackt und umarmte einen anderen Jungen. In seinem Bett.

»Sch…«, entfuhr es mir.

Ich stürmte aus dem Appartement und lief Thorsten hinterher. Draußen konnte ich ihn aber nirgendwo sehen, er war wie vom Erdboden verschluckt. Langsam, traurig und kopfschüttelnd ging ich wieder zurück, schnappte mir meine Waschsachen ohne ein weiteres Wort zu verlieren und verschwand in den Waschraum. Unter der Dusche dachte ich über das Geschehene noch einmal nach. Wieso ist Thorsten zu uns gekommen? Wollte er mich nur wecken? Warum ist er weggelaufen? Hat er was gegen Schwule? Nein letzteres konnte ich ausschließen, er stand ja gestern neben der Szene am Bus und konnte jedes einzelne Wort von Sven mitbekommen. Meine beiden Mitbewohner machten ja auch kein Hehl daraus, dass sie zusammen waren.

»Nein, es muss noch etwas Anderes sein«, murmelte ich bei mir. Auch wenn es mir irgendwie wehtat, diese Sache musste im Augenblick warten, ich war schon viel zu spät dran. Im Speisesaal sah ich in die müden Gesichter meiner Reisegruppe, also schien ich nicht der Einzige zu sein, dem das frühe Aufstehen nicht passte. Ich suchte den ganzen Raum nach Thorsten und Simon ab, fand sie aber nicht. Ich beschloss erst einmal für mein leibliches Wohl zu sorgen. Ich taperte zur Essensausgabe und lud auf mein Tablett diverse Getränke und Speisen. Gab an der Kasse meine Essenmarken ab - wie genial einfach das doch war - und ging auf den nächsten freien Platz zu.

»Guten Morgen Leute, wie ich sehe, sind sie schon recht munter.«

Ein mürrisches Murmeln ging durch den Raum und ich konnte es nur all zu gut verstehen.

»Ich versprechen ihnen, dass es nur heute zu dieser Stunde losgeht. Ab morgen könnt ihr bis halb elf schlafen. Wir bieten euch heute drei Programmpunkte an: Da wären zum Ersten der Surfkurs, neun Plätze sind da noch frei. Wer sich dafür interessiert trägt sich nachher in die grüne Liste ein. Die, die sich für Kultur interessieren, tragen sich in die blaue Liste ein. Der Bus wird gegen zehn Uhr am Parkplatz abfahren. Ein außergewöhnlicher Programmpunkt ist der Dritte: Wir suchen im Sommercamp immer einige engagierte Leute, die handwerklich geschickt sind und bei kleineren Instandsetzungsarbeiten helfen möchten. Diese Leute tragen sich auf die rote Liste ein. Für alle, die sich weder für das Eine noch das Andere interessieren, es gibt heute ein kleines Beach-Volleyball-Turnier am Strand. Nun wünsche ich euch einen guten Start...«

Der Teamer drehte sich gerade um, da schien ihm noch etwas einzufallen.

»Ach so, falls es Probleme mit eurer Unterbringung oder sonst etwas Organisatorisches gibt, dann meldet euch bitte. So, die Listen lege ich dahinten auf dem Tisch aus.«

Der Andrang auf die Listen nach dem Frühstück hielt sich in Grenzen. Eigentlich wollte ich ja den Surfkurs belegen, doch da war nichts mehr frei. Auf den Kulturtrip war ich heute nicht scharf. Ach, ich könnte mich ja mal an den Instandsetzungen beteiligen, also die rote Liste. Was steht da oben drauf? Leichte Arbeiten in Haus und Garten, wird ja nicht so schwer sein. Ein Blick noch auf die anderen Listen, Simon und Thorsten hatten sich noch nicht eingetragen. Anschließend machte ich mich auf den Weg zu diesem Teamer.

»Hallo, ich suche Michael.«

»Den findest Du da hinten.«

»Hallo, was kann ich für dich tun?«

»Ehm, da gab es gestern ein Zwischenfall in meinem Appartement.«

»Welche Nummer und wie heißt Du?«

»Ich bin in Appartement 15 untergebracht und mein Name ist Marvin Charles.«

Der Typ suchte in einer Liste herum und nickte.

»Ja ich sehe, du bist bei der Lambda - Gruppe untergebracht, sorry. Welches Problem hast Du? « Der Typ wirkte auf einmal etwas 'angespannt'.

»Na ich benötige ein neues Bett. Das Alte hat heute Nacht die Grätsche gemacht.«

»Da wende dich am besten an Fräulein Pocholtzka, Du findest sie um Acht im Büro am Eingang des Camp. Hast Du Dich schon für etwas entschieden?«

»Ich habe mich mal für die rote Liste entschieden.«

»Ja, dann wirst Du sie in jedem Fall treffen, dann wünsche ich viel Spaß.«

Der Teamer wandte sich anderen Papieren zu. Mich ließ er links liegen, damit war das Gespräch für Michael wohl beendet.

Ich ging durch den Speisesaal zurück. Die Listen wurden gerade eingesammelt, als Simon den Raum betrat. Irritiert schaute er mich lange an, sagte aber nichts.

»Hallo Simon.«

»Hallo Marvin. Gut genächtigt?«

»Wie man es nimmt. Geschlafen: ja, erholsam: nein und vor allem viel zu kurz.«

»Ging wohl hoch her... bei euch?« Der leichte zynische Ton war nicht zu überhören.

»Wie habe ich das denn jetzt zu verstehen?«

»Na Thorsten hat mir vorhin erzählt, ihr habt euch in den Armen gelegen«, seine Stimme klang nun leicht wütend. »Ich denke wir sollten...«

»Was sollten wir? Getrennte Wege gehen? Wird schwer werden hier in Spanien. Außerdem...«

»Was außerdem?« Nun war Simon neugierig geworden.

»Na, ich habe dir doch etwas im Bus erzählt und ich bin mir nicht mehr sicher. Als ich Thorsten heute Morgen weglaufen gesehen habe, ich weiß nicht... es war ein unangenehmes Gefühl.«

»Du meinst?«

»Ja, ich meine und ich würde gerne mit Thorsten darüber sprechen. Ich denke da gibt es noch Einiges zu klären. Du bist doch sein Freund?!«

Ein diabolisches Grinsen machte sich auf dem Gesicht meines Gegenübers breit.

»Okay, dieses eine Mal helfe ich dir noch. Wenn Du aber Thorsten weh tust, dann wirst du dir wünschen mich nicht getroffen zu haben.« Mit diesen Worten ließ er mich stehen und wandte sich der Teamerin mit den Listen zu.

Auf dem Weg zu meinem Appartement traf ich auf die kleine Walküre.

»Hola! Marvin.«

Ups, die Frau klang ja irgendwie menschlicher als gestern und sie kannte noch meinen Namen.

»Hola! Fräulein Pocholtzka, darf ich Sie kurz stören?«

»Sicher doch, geht es um das kaputte Bett?«

»Woher wissen Sie?«

»Na, ich kann hellsehen und lesen kann ich auch. Ihre Mitbewohner haben mir eine Mitteilung über ein kaputtes Bett zukommen lassen.« Irgendwie wirkte dieses kleine Paket recht freundlich und Humor schien sie auch zu haben.

»Dann kommen Sie mal mit!«

Ich folgte ihr ins Büro. Also von Ordnung hielt sie wohl nicht viel, überall lagen Papiere stapelweise herum. Sie griff zielsicher in einen dieser Stapel und zog ein Formular heraus. Dann kippte der restliche Stapel um und verteilte sich über den Boden. Wir sahen uns an und dann begann sie zu lachen.

»Also ich muss mich für meine Unordnung entschuldigen, Papierkram ist nicht meine Stärke. Vielleicht findet sich ja einer der Jugendlichen aus dem Camp, der mir helfen möchte.«

»So, kannst du mir das mal ausfüllen?« drückte sie mir den Zettel in die Hand.

»Ich glaube nicht, dass mein Spanisch dafür ausreicht«, entgegnete ich skeptisch.

»Dann habe ich jemanden gefunden, der mir bei der Büroarbeit hilft. Ich fülle für dich das Formular aus und du kommst, sagen wir morgen früh, für zwei Stunden hier her. Ist das ein Deal?«

Von den verteilten Sympathiepunkten strich ich gleich zwanzig. Das war Erpressung, zähneknirschend stimmte ich aber zu. Schließlich benötigte ich ein heiles Bett.

»Das Bett bauen wir heute Nachmittag auf. Geht das in Ordnung?«

»Ja, ich denke schon.« Höflich verabschiedete ich mich.

Den Rest des Tages verbrachte ich mit verschiedenen Tätigkeiten in den spärlichen Beeten um einen Springbrunnen des Camps. Lustig wurde es, als irgendjemand die Rasensprenger einschaltete und uns eine kühle Dusche verpasste. Einige Jungs schauten auf die nassen Shirts der Mädchen. Wenn es sie geil macht, was soll's. Mich interessierten verständlicherweise mehr die glänzenden Oberkörper einiger Jungs, lecker.

Die Stimmung in meiner kleinen Gartengruppe war locker und ich konnte sogar von einem technisch versierten Mädchen einiges über Wasserinstallationen lernen. Jedenfalls ging ich ihr zur Hand als sie sich an einen der Brunnen zu schaffen machte. Am späten Nachmittag brachten wir unser Werkzeug wieder zurück. Fix und fertig ging ich zu meiner Unterkunft. Schon von weitem sah man, dass Fräulein Pocholtzka Wort gehalten hatte, mein altes Bett stand in seinen verbliebenen Einzelteilen vor der Tür. Nun war ich gespannt, wie das neue Bett aussehen würde. Vorsichtig öffnete ich die Tür, irgendwie sah es hier anders aus als gestern. Wo die Sitzgruppe war, stand nun ein Paravent, ein Blick dahinter und ich wusste warum. Das große Bett hätte wirklich nicht mehr in den kleinen Schlafraum gepasst. Ich ließ mich darauf fallen, um zu testen, ob es genauso bequem war, wie es aussah. Dann klopfte es an der Tür.


Ich schrak auf, steckte doch die Erinnerung an Thorsten Überraschung mir noch immer in den Knochen. Für einen Moment überlegte ich auch, ob er wohl der mysteriöse Klopfer sei, im nächsten verwarf ich den Gedanken wieder, da meiner Erfahrung nach allein die Hoffnung ausreicht, dass das gehässige Schicksal mir irgendjemand anderes vor die Tür stellt. Sodann befürchtete ich, dass es Frau Pocholtzka sein könnte, um mir mein Bett wieder wegzunehmen oder mir neue Formulare aufzuhalsen. Oder war es gar dieser Teamer 'Michael', der die 'Schwulen' kontrollieren wollte und mich jetzt und hier, in dem günstigen Moment meines Alleinseins aus dem Zimmer zerren würde, um mich lieber in ein nasses, kaltes Zelt zu stecken, als bei solch subversiven Elemente zurückzulassen. Vielleicht waren es gar die Elemente selbst, Sven und Janosch, die sich nicht mehr trauten, unerlaubt ihr eigenes Zimmer zu betreten. Ich würde es wohl nie erfahren, da der Klopfer, wer auch immer es war, geduldigst auf meine Aufforderung wartete und ich mich aus Angst der Möglichkeiten kaum getraute zu atmen. Doch meine Neugierde war stärker als meine Angst und rief ich mir zögerlicher Stimme die beschwörende Formel: »Herein?«

Die Tür öffnete sich vorsichtig und Thorsten bedrücktes Gesicht lugte herein. Ich hatte also doch noch rechtzeitig 'nicht' an ihn gedacht, um das Schicksal von meiner Unbetteiligkeit zu überzeugen, so dass es nicht kurzerhand die Person vor meiner Tür auswechselte. Erfreut dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben und Thorsten wahrhaftig zu sehen, lächelte ich ihm aufmunternd zu und versteckte den Triumph in einem unschuldigsten Klimpern meiner Augen. Thorsten nahm es mit einem Räuspern wahr und kam zögernd herein. Jedoch wagte er sich keinen Schritt weiter auf mich zu, sondern lehnte sich gedrängt an die Tür, als wäre das ganze Zimmer eine Schlangengrube. Und wie um meinen Viperblick zu entgehen, schaute er vor sich auf den Boden. Mit ernster Stimme sprach er: »Wir müssen miteinander reden!«

Mein Triumph rutschte mir aus dem Gesicht, wie Cäsar der Lorbeerkranz vom Kopf, als ihm Brutus' Zuneigung offenbar wurde. Mir wurden auch nicht mehr Worte zuteil, denn als ich zu meiner zurechtgelegten Ausrede ansetzte – »Also das mit heute Morgen, dass ...« – unterbrach mich Thorsten.

»Ich versteh das schon. Sie sind doch auch schwul und da passiert so was halt«, begann er und, im Gegensatz zu mir, hörte er nicht mehr auf.

»Du verstehst eben nicht«, versuchte ich einzuwenden, doch Thorsten redete weiter.

»Das ist ja auch ok und so. Es ist alles meine Schuld. Ich bin halt solch ein Tollpatsch. Ich hätte nicht unerlaubt reinkommen sollen, hätte anklopfen müssen. Ich dachte halt nicht, dass ihr nackt seid und miteinander ... also ...«

»Haben wir nicht!« brachte ich zu meiner Verteidigung vor, doch Thorsten ignorierte mich.

»... das hat mich dann schon etwas überrascht. Es tut mir leid, dass ich weggerannt bin. Du darfst jetzt nicht denken, dass ich etwas gegen euch hätte. Von mir aus könnt ihr machen, was ihr wollt. Es muss ja nicht gleich ... also ich meine in aller Öffentlichkeit sein?«

Ich sagte gar nichts mehr und fand mich mit meiner Rolle als sündig geborener Schwuler ab. Verurteilt ließ ich mich zurück auf das Bett fallen und ihn reden.

»Ich wusste halt nicht, dass da was läuft. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es so schnell bei euch geht. Es ist natürlich schön, wenn ihr euch gefunden habt.« Ich gähnte und kuschelte mich tiefer in mein neues Bett hinein. »Ihr passt gut zusammen. Ich glaub, er ist ganz nett, wenn er auch etwas feminin ist. Und ich dachte, dass der andere sein Freund ist, aber vielleicht ist das auch ok. Warum nicht auch zu dritt. Ihr könnt doch machen, was ihr wollt...« Ich wollte vor allem nur noch schlafen und schloss meine Augen. »Das passt doch super, dass gerade du mit den Lambda-Leuten auf ein Zimmer kommst. Wer hätte das gedacht? Bei uns hättest du dich sicher nicht wohl gefühlt.« Ich hätte zumindest bei dem Geplapper nicht einschlafen können. »Ich hab ja nur gedacht, wir könnten halt tagsüber? Aber ich hab ja kein Anrecht auf dich.« Eins meiner Augen klimperte auf und mein weggedöstes Bewusstsein wandte sich wieder Thorstens Worten zu. »Das alles ist doch total bescheuert. Da bin ich mir nicht sicher, ob ich vielleicht auch so bin? Und dann treffe ich dich hier und ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.« Ich war hell wach und setzte mich auf. »Ich oute mich vor Simon und anstatt mich zusammenzuschlagen, ermutigt er mich auch noch. Und dann komme ich, um mit dir zu quatschen. Und treffe euch und da ...«, Thosten stockte mit einem Mal, als er bemerkte, was er da eigentlich sagte. Doch erfüllte ihn noch immer die Energie seines abgebrochenen Wortschwalls und sie staute sich in seinen Lippen auf und brachte sie zum Beben. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn und Angst brannte in seinen Augen. Ich selbst fühlte mich unfähig, ein Wort zu formulieren. Ich hing an seinen zitternden Lippen, als wären sie das dünne Drahtseil, das die ganze Spannung des Momentes in sich bannte und uns auf seltsame Weise zu verbinden schien. Dann erstarrte ihre Unstetigkeit. Thorsten blickte mir in die Augen und sagte: »... war ich eifersüchtig.«

Als ob Thorsten seine letzten Worte noch zurückhalten wollte, biss er sich auf die Lippen. Doch war es nutzlos, sie trafen mich mit ihrer realen, verbalen Wucht.

Es ist seltsam: Da machte ich mir seit Tagen Gedanken darüber, wie ich an Thorsten herankäme. Versuchte jede Dummheit zu vermeiden und erwischte jede Peinlichkeit. Hoffte, träumte, phantasierte mir eine Welt zurecht, die für uns beide geschaffen war. Und jetzt eröffnete er mir eine Möglichkeit, all dieser Hoffnung eine Zukunft zu verleihen. Er sprach Worte, die ich so oft in meinen Träumen gehört hatte und auf die ich immer nur eine Antwort kannte. Doch hörte ich nicht, wie in meinen Phantasien, meine Troubadourstimme singen, vernahm ich nicht die Worte eines Romeos. Vielmehr stauten sich all die romantisch, geplanten Hymnen am meinem Gaumenzapfen auf und produzierten nicht mehr als ein glutales »Heh?«

Das klang wenig intellektuell, von dem romantischen Wert einer solchen Äußerung ganz zu schweigen. Entsprechend viel konnte Thorsten mit meiner Antwort anfangen. Er schaute mich noch mitleiderregender an und kam damit einem zugedröhnten Robbenbaby gleich. Eben noch hatte er wie ein Orkan seine verbale Gewalt über mich niedergeschüttet und nun saß ich da wie ein begossener Pudel. Und mich quälte nur eine Frage: Was hat ein Pudel mit einer Robbe zu besprechen?

Ich wies Thorsten den Platz neben mir an und erbat damit nonverbal etwas Bedenkzeit. Thorsten ließ sich entkräftet neben mir auf das Bett sinken. Wir saßen in sittsamen Abstand voneinander entfernt. Ich könnte nun behaupten, dass es mir lieber währe, wir würden eine Position, wie Sven und ich am Morgen einnehmen, doch war ich nicht so weit. Es war verlockend, einfach zugreifen, ihn in die Arme zu schließen und den Händen das Reden zu überlassen. Doch widersprach dem Impuls die Vernunft, die mir diktierte, ich sollte erst mit Thorsten reden und nicht wieder alles überstürzen. Ergebnis dieses Zwiespaltes war, dass sowohl meine Hände, als auch meine Zuge gelähmt waren. Ich starrte auf den Boden vor mir.

Im Augenwinkel sah ich, dass es Thorsten nicht anders erging. Seine Hände umklammerten den Bettkasten, dass sie bis zu den Fingerspitzen weiß waren. Er quälte sich - ich quälte ihn, mit meiner fehlenden Antwort. Ich sah es, doch wusste ich nicht, was ich tun sollte. Das alles war zu neu für mich.

„Und es wird immer neu bleiben. Er wird gehen und nie wieder kommen“, schoss es mir durch den Kopf. Schau dir Sven und Janosch an. Was sie zusammengebracht hat, ist Mut. Der Mut zu ihrem Schwulsein zu stehen und dem Anderen zu sagen, was man empfindet. Es war die realistische Erkenntnis der Vernunft, die mir dies sagte. Und sie befreite all die verwirrten, romantischen Worte von meinem Gaumen und formulierte sie zu etwas ganz einfachem: »Ich mag dich.«

Befreit von den Fesseln der Vernunft, ergriff nun auch der Impuls meine Arme. Mein Körper wendete sich Thorsten zu und wollte ihn umschließen. Doch war er nicht der Einzige. Auch Thorsten flog mir entgegen. Und da wir beide gedacht hatten, wir seien allein, mussten wir schmerzhaft spüren, wie es ist, zu zweit zu sein. Unsere Schädel stießen mit einem lauten 'Klonk' aneinander und unsere versöhnende, zärtliche Umarmung endete in einem schmerzhaften Rückzug.

Doch besaß der Schmerz, der unser beider Schädel durchfuhr auch eine befreiende Wirkung. Man könne auch sagen, ich fand es grottenkomisch, wie mich Thorsten aus einem schmerzzusammengekniffenen Auge bösartig und aus dem anderen doch irgendwie lieb anstarrte. Mein Gesichtsausdruck muss nicht minder romantisch gewesen sein, so dass wir beide zugleich in schallendes Gelächter ausbrachen. Und in diesem Lachkrampf entlud sich all die Anspannung der letzten Tage. Es war ein orgastischer Lachmarathon, der uns schmerzhaft den Atem raubte und uns doch immer weiter trieb.

Sollte dieses Bett auf dem wir lagen, über eine Persönlichkeit verfügen und in der Möbelschule jemals über seine Funktion aufgeklärt worden sein, so wird es seine erste Nacht, DIE erste Nacht, wohl in seltsamer Erinnerung behalten. Es hatte sicherlich gelernt, dass der Mensch sich zumeist einseitig und zuweil auch ekelhaft beim Sex im Bett benimmt, doch dass er sich vor Schmerzen kichernd und johlend über das Bett rollt, muss wohl eine der seltsamsten Formen des Sexualaktes sein. Das Bett hatte bis Dato das eher aufwendig anmutende Konzept der körperlichen Fortpflanzung nie nachvollziehen können, den Traditionsjob seiner Familie jedoch auch nie in Frage stellen wollen, doch nach diesem Abend, war es immer etwas neidisch, wenn es Menschen lachen hörte. Das müsse der Sex sein, von dem es immer hat wundernd Raunen gehört und es schien auf jeden Fall: 'lustig'

Für uns war es im Nachhinein vor allem anstrengend gewesen. Erschöpft lagen wir auf dem Bett und blickten einander stumm an. Unsere Stimmbänder hatten wir bis zur Aufgabe herausgekichert und nun hatte uns eine tiefe Zufriedenheit ergriffen. Es war das Bewusstsein, dass wir mit unserem Lachen einander all das gesagt hatten, was wir zu klären hatten. Wir mochten einander und hatten kein Grund mehr, dies voreinander zu verheimlichen. Wir hätten uns nun aufeinander stürzen können, doch waren wir viel zu erschöpft. Wir lächelten uns stumm an, wie wir uns zuvor schallend angelacht hatten.

Gemächlich wanderte meine Hand zu Thorstens Hand hinüber. Ich legte sie ruhig neben die seine und sog die langsam überwechselnde Wärme seiner Haut in mich auf. Als ich mich an sie gewöhnt hatte, tippte ich auffordernd zweimal mit dem Finger gegen seine Hand. Thorsten antwortete mit einem Stups seinerseits. Bestätigt ergriff ich seine Finger und nahm seine Hitze noch tiefer in mir auf. Ich spürte seine samtene Haut und die darunter liegenden Muskeln seiner Finger. Sie widersetzten sich anfänglich, doch zog ich ihn langsam zu mir herüber. Und wie die Entfernung zwischen uns sank, wuchs ein erwartungsvolles Lächeln auf Thorstens Gesicht und als er über mir lag und auch unsere anderen Hände sich umschlungen, berührten auch unsere Lippen einander. Zärtlich umstrichen sie sich und genossen es ausgiebig, den anderen zu erkunden. Mit der Liebkosung unserer Lippen sank Thorsten immer mehr auf mich hinab und wie sich unsere Lippen kennen lernten, so begrüßten auch unsere Körper einander. Und erst als sie ihren gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten, züngelten neugierig unsere Zungen hervor. Vorsichtig ertasteten sie das Terrain, bevor sie sich der wohlig warmen Höhle des Anderen zuwendeten. In dem Moment als unsere Zungenspitzen sich berührten, unsere Hände in den Tiefen unserer Hosen entschwanden und ein Schauder der Lust unsere Körper durchfuhr, schlug unsere Zimmertür mit einem lautem Knall auf.


»Marvin? Thorsten? Seid ihr hier?«, rief eine genervte Stimme.

Wie von der wilden Hummel gebissen sprangen wir auf und versuchten notdürftig, unsere Kleidung in Ordnung zu bringen.

Kaum hatten wir die Hosen zugemacht, stand auch schon Michael, einer unserer Teamer vor uns. Und er wirkte keinesfalls erfreut.

»Wo bleibt ihr denn? Es ist schon längstens Zeit für die Abendbesprechung. Wir wollten doch noch mal die Gruppen abstimmen und klären, wer übermorgen auf die Wanderung mitfährt.«

Dabei musterte er uns sehr kritisch und ich schickte ein Stoßgebet nach dem andren nach oben, dass er unsere zerwuschelten Frisuren nicht bemerkte. Aber mein Draht nach oben war in diesem Moment wohl nicht der Allerbeste.

»Sagt mal... kann es sein, dass ich euch gerade bei irgendetwas gestört habe?«, fragte Michael mit angewiderter Gewissheit in der Stimme.

»Michael, es ist nicht so, wie Du denkst«, stammelte Thorsten los, aber unsere roten Köpfe verrieten ihm das Gegenteil.

»Ich kann es nicht fassen! So etwas in unserer Reisegruppe! Da sind sicher diese Lambda-Schwuchteln schuld. Aber denen werd ich was erzählen! Und was euch beide betrifft: ihr könnt von Glück reden, dass es uns zu teuer käme, euch nach Hause zu schicken. Aber ihr werdet ab morgen statt dem normalen Programm jeden Tag Vormittag und Nachmittag für Frau Pocholtzka arbeiten.«

Weia, war der Typ sauer. Weshalb eigentlich? Auf jeden Fall standen wir beide da wie begossene Pudel, brachten keinen Mucks hervor und unser gerade eben neu gewonnenes Selbstbewusstsein hatte auch schon mehr Löcher als ein Schweizer Käse.

»So! Und jetzt richtet euch endlich her und ab zu den andren. Ich hab hier schließlich nicht den ganzen Tag Zeit, mich mit euren Schweinereien zu befassen.«

Mir war echt zum Heulen und ich fühlte mich wie ein Schwerverbrecher. Und nach einem Seitenblick auf Thorsten sah ich, dass es ihm nicht viel anders ging. Aber diesen Triumph wollte ich dem Teamer nicht gönnen. Nach dem ersten Schreck begann sich mein Selbstvertrauen wieder zu erholen. Es würde zweifelsohne schwieriger werden, mich mit Thorsten zu treffen, weil Michael nun wohl wie ein Schießhund auf uns aufpassen würde, aber ich war grade so nah dran gewesen, meine Unschuld zu verlieren und außerdem war ich verliebt. Und Liebe kann ja bekanntlich Berge versetzen, Dämme sprengen, Unmögliches möglich machen, Blinde sehend, ok, ich glaub es ist klar, was ich meine.

Wie die begossenen Pudel trotteten wir vor Michael her und gingen zu den andern.

Die Besprechung hatte schon begonnen und die Wanderroute und andere Details waren schon besprochen. Michael nickte dem anderen Teamer kurz zu und er fuhr fort. Also jeder, der an der Wanderung teilnehmen möchte, trägt sich bitte nachher hier in der Liste ein. Wer seinen Platz in den regulären Gruppen wechseln möchte, der kann sich jetzt melden. Je nachdem, wer noch wechseln möchte, könnt ihr dann eine der anderen Gruppen auswählen.

Michael hatte Thorsten schon am Weg zur Versammlung klar gemacht, dass er »freiwillig« von der Kulturtruppe zur Instandsetzung wechseln sollte.

So wechselte Thorsten auch unter dem gestrengen Blick von Michael. Simon schaute Thorsten fragend an, da er wusste, dass Thorsten der erste Kulturausflug doch sehr gefallen hatte und sie außerdem gemeinsam in eine Gruppe wollten. Und außerdem wäre in der Kulturgruppe noch ein Plätzchen für Marvin frei gewesen, wäre das der Grund gewesen.

Thorsten erwiderte Simons Blick nicht, sondern schaute verlegen zu Boden.

Nachdem die Versammlung zu Ende war, trafen sich die Leute beim großen Lagerfeuer.

»He Marvin, da sind ja deine beiden Zimmergenossen. Setzen wir uns doch zu denen«, meinte Simon.

»Ok, können wir machen. Hey Sven, ist bei euch noch ein Platz frei für uns?«

»Na klar, für euch doch immer«, meinte Sven ungewohnt zurückhaltend.

Simon schaute sich kurz um und sah, dass Michael, der auf der anderen Seite des Kreises um das Lagerfeuer saß, Marvin und Thorsten genau im Blick hatte, aber sie nicht hören konnte.

»Ok ihr beiden«, meinte er zu Marvin und Thorsten gewandt, »irgendetwas ist faul. Also klärt mich mal auf.«

»Es ist schon ok…«, fing Thorsten an.

»Nichts ist ok. Erst scheint ihr euch endlich gefunden zu haben und jetzt setzt ihr euch der eine links, der andre rechts von mir? Und dass euch Michael nicht aus den Augen lässt, ist mir auch schon aufgefallen.«

Rechts von mir bekamen auch Sven und Janosch große Ohren.

»Also gut, ja, er hat uns vorhin erwischt. Also nicht direkt erwischt, weil da ja dieser Paravent steht, aber die zerwühlten Haare und die notdürftig gerichtete Kleidung waren ihm wohl Beweis genug. Er meinte, dass wir froh sein könnten, dass er uns aus Kostengründen nicht nach Hause schicken könne. Und dass wir den Rest der Zeit statt dem Programm für die Pocholtzka arbeiten müssten. Und dem Teamer von den Lambda-Schwuchteln werde er noch was erzählen. Er glaubt nämlich, dass ihr schuld dran seid.«

»Na toll, endlich kriegt ihrs gebacken und dann macht euch dieser Typ Stress«, ärgerte sich Simon, wofür er einen verwunderten Blick von mir und Thorsten erntete.

»Naja«, meinte Simon erklärend, »ich beobachte euch doch schon ne ganze Weile. Dass ihr beide verknallt seid, war ja ziemlich offensichtlich. Zumindest für mich, wo ich Thorsten doch schon ne Weile kenne. Aber irgendwie habt ihr's euch wohl selber nicht so leicht gemacht wie es hätte sein können.«

»Und was sollen wir jetzt machen?«, fragte Thorsten verzagt.

»Also zu unserem Teamer soll dieser Michael nur kommen«, beruhigte Janosch die beiden. »Auf solche hirnrissigen Theorien und blöden Vermutungen wartet der doch nur.«

»Bleibt nur abzuwarten, was die Pocholtzka mit euch machen wird. Aber vielleicht steckt in dieser kleinen rauen Schale ja ein weicher Kern.«

»Genau«, pflichtete Sven Simon bei. »Und für den Rest versucht euch erstmal zu entspannen. Eure Liebe kann euch keiner wegnehmen. Und heute können wir sowieso nichts mehr an der Situation ändern. Also Kopf hoch, ihr braucht euch für nichts zu schämen. Wenn sich hier jemand schämen sollte, dann wohl der Spinner da drüben für seine hinterwäldlerischen Ansichten.«

Sven hatte sich in Rage geredet und ganz rote Wangen bekommen.

»Hach Schatz, ich bin stolz auf dich, wenn ich dir so zuhöre«, schwärmte Janosch, »aber brems dich bitte ein bisschen ein, sonst bekommen die beiden noch mehr Ärger. Der Typ da drüben hat ja bisher nicht durch fortschrittliche Ansichten auf sich aufmerksam gemacht.«

Der Rest des Abends verlief ruhig, wenn auch die Stimmung durch den Ärger mit Michael bei den fünfen etwas gedrückt blieb. Schließlich machten sie sich auf den Weg zu ihren Zimmern.

»Also dann, gute Nacht«, meinte Thorsten, als sich ihre Wege trennten.

»Moment, so einfach kommst du mir nicht davon«, erwiderte ich und musste über Thorstens erschrockenes Gesicht grinsen.

»Keine Panik, aber nachdem wir bei Michael unten durch sind, können wir uns ruhig einen Gute-Nacht-Kuss vergönnen. Auf den kommt's jetzt auch nicht mehr drauf an.«

»Hm, da haste recht«, musste Thorsten mir beipflichten und küsste mich leidenschaftlich.

»Wir wollen ja das junge Glück nicht stören, aber der Oberaufseher ist im Anmarsch«, meldeten sich die anderen zu Wort.

Schnell wünschten wir uns eine gute Nacht und gingen alle in unsere Zimmer.

»Na das war ja mal ein Abend«, meinte Sven, als wir im Zimmer angekommen waren.

»Das kannst du laut sagen«, pflichtete ihm Janosch bei, »Aber ihr seid auch mit ’nem Hinterwäldler unterwegs. Ich werd auf jeden Fall gleich morgen unseren Teamer vorwarnen, dass er möglicherweise von dieser Dumpfbacke belästigt werden könnte.«

»Danke ihr beiden«, sagte ich und umarmte Sven und Janosch.

»Ooch, da gibt es doch nichts zu danken«, erwiderte Janosch, »Für dich doch immer.«

»Genau, einer für alle und alle auf einen! Oder so ähnlich halt«, posaunte Sven.

Einen Moment lang schaute ich Janosch verwundert an und schließlich brachen wir alle in heftiges Gelächter aus.

Schließlich gingen wir alle zu Bett und nach einer Weile war nur mehr Svens leises Schnarchen zu vernehmen.

Am nächsten Morgen wurde ich von meinem Wecker unsanft aus den Träumen gerissen. Der kleine feuchte Fleck an meinem Zelt, das sich in meiner Unterhose gebildet hatte verriet auch, wovon ich gerade geträumt hatte.

»Och neee«

»Guck mal, unser Herzchen hat von seinem Schatz geträumt!«

So eine Meldung konnte nur von einem kommen! Schlaftrunken drehte ich mich um und blickte in die Augen von Sven, der dreinschaute, als könnte er kein Wässerchen trüben. Daneben zerkugelte sich Janosch fast vor lachen.

»Also wenn ich mir dich so anschaue, dann hast du aber auch nicht grad an den Papst gedacht«, erwiderte ich leicht amüsiert.

Als Sven so an sich runter blickte, musste er feststellen, dass es ihm keineswegs besser als Marvin ging. Schlagartig wurde er tatsächlich rot, was Janosch schließlich einen Lachkrampf bescherte.

Wie aufs Kommando stürzte ich mich mit Sven auf Janosch und wir kitzelten ihn erstmal richtig durch, bis wir durch ein Räuspern unterbrochen wurden.

»Ich finde es ja wirklich schön, wenn ihr euch alle so gut versteht, aber ich denke mal, dass wir unserem Lieblingsteamer nicht noch mehr 'Gründe' für Restriktionen und ähnlichen Blödsinn liefern sollten.«

Thorsten war inzwischen hereingekommen und hatte uns drei schon eine Weile beobachtet. Glücklicherweise hatten sich während der Herumbalgerei die Zelte wieder gelegt, denn sonst hätte es wohl schon am frühen Morgen Stress gegeben.

»Och süß, alle drei mit einheitlich roter Birne«, amüsierte sich Thorsten königlich. »Aber jetzt mal flott, in ’ner Viertelstunde sollen wir schon beim Frühstück sitzen.«

Nach einer Runde Stress und Gedränge in den Waschräumen schafften wir es doch noch, einigermaßen pünktlich beim Frühstück zu erscheinen.

Michael hatte uns offensichtlich schon erwartet, denn er erklärte Thorsten und mir gleich, dass er schon mit Fräulein Pocholtzka gesprochen hatte und sie ihm eine entsprechende Sonderbehandlung für die beiden zugesagt hatte.

»Also frühstückt schnell, sie erwartet euch gleich.«

Verzagt schauten sich Thorsten und Marvin an.

»Keine Panik, wir werden mit unsrem Teamer reden, vielleicht kann der bei der Pocholtzka für euch ein gutes Wort einlegen«, meinte Janosch.

»Naja, ob das wirklich hilft? Die schaut nicht gerade aus, als würde sie sich von irgendwem groß was dreinreden lassen.«

Nach einem sehr unterschiedlichen Frühstück - Thorsten und ich brachten vor Sorge kaum einen Bissen runter, während Sven futterte als gäbe es kein Morgen - machten wir uns auf den Weg zu Fräulein Pocholtzka.

Zaghaft klopfte Marvin an die Bürotür, die auch gleich mit Schwung geöffnet wurde.

»Ah, da sind ja meine beiden Täubchen. Ich habe gehört, ihr konntet die Finger nicht voneinander lassen. Euer Teamer hat bei mir eine Sonderbehandlung für euch bestellt. Na die könnt ihr haben«, donnerte die Walküre los.

Marvin und Thorsten schienen gleich noch ein wenig kleiner zu werden.

»Nanana, wer wird denn hier gleich die Panik bekommen? Ich mag vielleicht ein energisches Persönchen sein, aber sicher kein Unmensch. Und ich habe nur gesagt, ihr bekommt eine Sonderbehandlung, ich habe nicht gesagt, dass die nach dem Geschmack eures Teamers sein wird. Wir müssen doch zusammenhalten, oder?«

Marvin und Thorsten schauten sie entgeistert an. Hatte sie eben »wir« gesagt?

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