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They call us Angels

Teil 1

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Der Geruch von kalter Erde und Lehm stieg in meine Nase. Ein leichtes Vibrieren erschütterte den Raum um mich herum. Ich öffnete die Augen und streckte die Arme aus, doch was war das? Ich stieß mit den Armen an eine Wand. Ich ließ die Augen eine Weile geöffnet, aber kein Lichtfunken erhellte meine Ruhestätte. Mein Oberkörper schoss in die Senkrechte, doch wurde mein Kopf abrupt und hart durch ein Hindernis gestoppt. Die Erschütterung hallte nur dumpf durch meine Stirn, aber wirklichen Schmerz verspürte ich nicht. Langsam sank ich wieder herab und begann mit meinen Händen vorsichtig die Wände meines dunklen Gefängnisses abzutasten.

Stoff, sehr feiner und weicher Stoff. Es fühlte sich so glatt an und ich glaubte fast, er müsse rot sein. Ich wusste nicht wieso, aber es fühlte sich so an, als wäre der Stoff rot.

Ein brennender Schmerz zischte völlig unerwartet durch meinen Kopf und ich erinnerte mich wieder. Der Stoff war tatsächlich rot, ich habe eine Weile auf ihm gelegen, in so einer Art Bett soweit ich mich erinnerte. Nur warum?

Ich griff nach dem Stoff und riss ihn beiseite, ich vernahm einen kaum merklichen, tauben Schmerz in meinen Fingern, der aber sofort wieder nachließ. Ich riss weiter an diesem Stoff, bis ich an einer Holzschicht angekommen war. Ich klopfte sie langsam ab und ein dumpfes Geräusch bestätigte meine Vermutung.

Mit meinen angewinkelten Beinen versuchte ich die Wand über mir wegzupressen, doch – vergebens. Der Gegendruck war einfach zu stark. Wütend trat ich aus. Das Knacken, das ich dann hörte, gab mir neuen Mut. Das Holz schien nachzugeben. Ich trat erneut heftig zu und versuchte auf dieselbe Stelle zu zielen. Erneutes Krachen belohnte meinen Versuch, doch dann brach ein lauter Knall die Stille. Etwas Kaltes, Feuchtes fiel auf mein Bein. Jetzt ergriff mich Panik, denn der Platz in meinem Gefängnis wurde immer kleiner. Etwas rieselte unaufhörlich durch das geschlagene Loch und sollte ich nicht bald einen Weg hier raus finden, würde ich sterben.

Ich nahm all meine Kraft zusammen und schlug heftig gegen die Decke über mir und in einem lauten Knall gab sie nach. Eine feuchte, feste Substanz fiel auf mein Gesicht, der Geruch von Erde nahm weiter zu. Ich griff mit den Händen nach dem Loch, das ich geschlagen haben musste, und tastete. Es war wirklich Erde, ich musste irgendwo unter der Erde gefangen gehalten worden sein.

Ich weitete das Loch mit heftigen Schlägen auf die Ränder des Loches weiter aus und begann dann zu graben. Ich grub und grub, doch die Anstrengung erschien mir nicht wirklich groß und auch schwitzen musste ich nicht. Dann, ein wunderschönes Gefühl, meine Hand berührte nichts, es musste die Oberfläche gewesen sein.

Ich verlangte mir einen letzten Kraftakt ab und grub mich an die Oberfläche. Das Licht blendete mich und das Zirpen der Grillen klang wie eine Kakophonie von verstimmten Flöten in meinen Ohren. Ich musste mich erstmal setzen.

Alles um mich herum war laut und hell. Ich musste weiterhin in meinem Gefängnis sein, denn es klang wie Sirenen und Alarmleuchten, die dazu da waren, mich weiter zu verwirren. Daher fasste ich all meinen Willen zusammen und begann zu laufen.

Hindernissen auf meinem Weg wich ich so gut aus wie mir es möglich war. Da ich die meiste Zeit mit völlig zugekniffen Augen rannte, blieben Zusammenstöße allerdings nicht aus.

Irgendwann gewöhnten meine Augen sich immer mehr an das helle Licht und ich sah mich vor einer Straße stehen.

Ich blickte kurz hinter mich und es schien mich niemand zu verfolgen. Also blieb ich erstmal ruhig stehen und schaute mich genauer um. Die Laternen brannten immer noch sehr in meinen Augen. Auch der Mond kam mir wesentlich heller als in meiner Erinnerung vor. Ich schien vorerst in Sicherheit zu sein.

Meine Ohren hatten sich nun ebenfalls etwas besser an die Geräuschkulisse gewöhnt, allerdings störte ein heftiges Rauschen auf beiden Ohren noch immer meine Wahrnehmung. Also ließ ich mich auf eine Parkbank sinken und blickte mich weiter um, bis mein Blick auf meine Hände fiel. Sie waren schwarz und von oben bis unten mit Erde und Schmutz bedeckt.

Ich begutachtete mich weiter. Ich trug einen schwarzen Anzug mit einem weißem Hemd, einer Fliege und einem weißem Tuch in der Brusttasche. Der erste Gedanke, der mir kam, war: „Ich wurde von meiner Hochzeit entführt!“, aber daran erinnern konnte ich mich nicht. Nur diese dumpfe Erinnerung an roten Stoff. Vielleicht war es der Stoff des Stuhles, an den ich gefesselt wurde. Vielleicht war es aber auch das Kleid meiner Mutter oder das meiner Oma, vielleicht war meine Oma aber auch schon tot.

Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass ich einem Gefängnis entkommen bin und in diesem Outfit sicher leicht wiederzuerkennen war. Mir kam der Gedanke, dass ich mich verstecken müsste, ich blickte mich um und las auf einem Wegweiser „Friedhof“. Dort konnte ich mich sicher gut verstecken, also stand ich wieder von der Parkbank auf und ging Richtung Friedhof.

Dort angekommen ging ich durch die offene Friedhofstür und hoffte inständig, dass die Mythen über Zombies, Vampire und Mumien wirklich nur Geschichten waren und ich mich hier irgendwo verstecken könnte.

Ich kam an einer Wasserpumpe vorbei und nutzte die Chance, um meine Hände und mein Gesicht ein wenig zu reinigen. Das kalte Wasser wusch den Dreck von meinen Händen und auch aus meinen Haaren. Von meinem Gesicht rieselte viel Erde auf den Boden, bis ein Schwall Wasser die Erde in Matsch verwandelte und ein weiterer Schwall den Matsch wegspülte.

Ich fühlte die Kälte des Wassers auf meiner Haut, doch ich fror nicht. Im Allgemeinen ging es mir trotz der Umstände sehr gut. Sie haben mir bestimmt Substanzen zur Entspannung gespritzt, damit sie mich besser kontrollieren konnten, und dies sind nun die Nachwirkungen dieser Substanzen.

„VERDAMMTE HUNDE!“

Ich schnellte herum und erblickte einen Mann mit einer Schaufel in der Hand auf mich zustürmen. Er war relativ groß, ein Mittvierziger mit bereits ergrautem Haar.

„RUNTER VON MEINEM FRIEDHOF, VERDAMMTES PACK!“

Ich stand auf und hob langsam die Hände, was hatte ich mir dabei gedacht, mitten in der Nacht auf einen Friedhof zu gehen.

„Tut mir furchtbar Leid, aber das Tor stand offen und ich dachte...“, begann ich, doch konnte ich den Satz nicht beenden, denn er schrie mich erneut an.

„LOS RUNTER VON DIESEM GELÄNDE ODER ICH RUFE DIE POLIZEI.“

Das Blut in seinen Adern wallte und ich spürte förmlich die Kraft, die es ausstrahlte. Ich konnte es riechen. Meine Arme senkten sich langsam und ich ging ruhig auf ihn zu.

„Ja, ich bin schon weg.“

Und dann, als ich an ihm vorbei ging, geschah etwas, was mich zutiefst erschrak. Ich war nicht mehr Herr meiner selbst. Ein wilder, urtümlicher und bestialischer Gedanke beherrschte mein Tun. Ich wollte nur noch Blut. Sein Blut. Ich sprang auf ihn zu, riss ihm die Schaufel aus der Hand und warf ihn zu Boden.

Ein einsamer Schrei durchfuhr die Nacht. Danach Stille. Warmes Blut umspielte meine Lippen, bevor es in mich eindrang und mich mit neuem Leben erfüllte. Ich hatte mich in meinem Leben noch nie so gut gefühlt wie in diesem Moment!

Ich trank, saugte, schluckte und die Lust in mir flammte auf. Ein Orgasmus war nichts gegen dieses Gefühl! Pure Macht umfloss meine Lippen.

Dann lockerte ich die Umklammerung, ließ mein Opfer zu Boden sinken und das Tier wich wieder aus meinen Gedanken.

Was hatte ich da gerade getan? Ich habe das Blut eines Menschen getrunken, ich habe ihn getötet und es hat mir ein Hochgefühl bereitet, wie ich es niemals zuvor erlebt hatte.

Was war mit mir geschehen? Wem hatte ich das zu verdanken? Was war diese dunkle, wilde Präsenz in mir? Mit diesen Gedanken verließ ich den Friedhof, um Antworten auf meine Fragen zu finden.

Ich schlenderte durch die Straßen, ein Bräutigam, ein entflohener Häftling, eine räuberische Bestie – war ich eins davon oder vielleicht alles zusammen? Ein bekanntes Gebäude riss mich aus meinen Gedanken.

Es war ein Sendemast auf einem Mehrfamilienhaus, der meine Aufmerksamkeit erregte. Ich blieb sofort stehen und beobachtete die blinkenden Warnlichter an der Spitze des Mastes und fuhr langsam über die einzelnen Parabolspiegel hinunter zu dem Mehrfamilienhaus.

Es hatte vier Etagen, eine unscheinbare, graue Fassade und große, weiße Fenster. Es wirkte recht schlicht, aber nicht heruntergekommen, und vor allem machte es einen sehr vertrauten Eindruck auf mich. Ich ging auf die Eingangstür zu, das Außenlicht ging an, wie immer viel zu spät, denn der Bewegungsmelder war defekt. Da war wieder eins dieser kleinen, unwichtigen Details, an die ich mich plötzlich erinnerte.

Ich las die Klingelschilder. Vier Parteien wohnten in diesem Haus, doch eins der Klingelschilder war provisorisch mit weißem Klebeband überklebt. Ich öffnete es und zog den Klebestreifen ab. „Jonathan Michael“ war dort zu lesen.

Beim Lesen dieses Namens stieg ein dumpfer Schmerz in meiner Magengrube auf. Ich kannte diesen Namen, aber ich hasste ihn. Er muss mich eine lange Zeit begleitet haben, denn der empfundene Hass war tief und überwältigend. Ich schlug mit der flachen Hand auf die Klingelschilder und aus allen Wohnungen war das gleiche, stumpfsinnige Klingeln zu hören.

Licht ging in einer Wohnung an und erhellte den Hof ein wenig. Ich stürzte mich in eine kleine Gruppe von Zierbüschen und versteckte mich.

Die Frau, die aus dem Fenster blickte, kam mir seltsam vertraut und doch wieder fremd vor. Sie schüttelte den Kopf und das Licht wurde wieder ausgeschaltet. Allerdings spürte ich ihren Unmut über die nächtliche Störung und wie die weiche Bettdecke sich an ihre Haut schmiegte, so wie sie sich früher oft auch an meine Haut schmiegte.

Ich hatte mit dieser Frau geschlafen, oft und ausschweifend, aber wer sie war, wusste ich nicht mehr. War sie meine Frau oder Verlobte oder habe ich gar meine Frau oder Verlobte mit ihr betrogen? Ich wusste es einfach nicht mehr. Dieser Name allerdings, Jonathan Michael, er wühlte etwas tief in mir auf und ließ eine Wut in mir aufsteigen, die mich erschauern ließ. Dieser Mensch musste etwas Schlimmes mit mir gemacht haben und ich ihn dafür aufs Tiefste verachtet haben, allerdings blieb mir zu diesem Zeitpunkt noch verschlossen, wer er war.

Ich schlenderte, jede einzelne Erinnerung verschlingend, durch die Straßen der Stadt. Einzelne Gebäude, Straßen, sogar Gerüche weckten den Geist der Erinnerung in mir, jedoch regte nichts so starke Gefühle wie die Erinnerung an diesen Namen.

Wer war dieser Jonathan, er musste mir etwas Grausames angetan haben, dass ich ihn so verachtete. Ist er vielleicht mit meiner Frau durchgebrannt? Hatte er meine Frau vergewaltigt? Ist er vielleicht sogar für meine jetzige Situation verantwortlich? Unterbewusst beschleunigte ich bei diesen Gedanken meinen Schritt und fand mich plötzlich erneut vor den Toren des Friedhofes wieder, auf dem ich gerade einen Menschen getötet hatte.

Irgendetwas fehlte, ich hatte hier noch etwas zu erledigen. Ich ließ mich von meinen Instinkten führen und stand vor einem Loch in der Erde, hinter dem ein Grabstein stand.

Ich betrachtete den aus weißem Marmor geschlagenen Grabstein und las: „Hier liegt Jonathan Michael, unser geliebter Sohn, treuer Bruder und geliebter Ehemann. Viel zu früh hat er uns verlassen“ und „13.06.1980 – 28.11.2008“.

Schon wieder dieser Name, vielleicht habe ich ihn auch getötet und wurde dafür eingesperrt, aber dann fiel mein Blick auf das Loch vor dem Grabstein, ein weißes Tuch hing am Rand des Loches, ein Tuch das fast genauso aussah wie das weiße Tuch an meiner Brusttasche.

Ich griff nach dem weißen Tuch, doch war es nicht dort. Ich musste es verloren haben und der Wind hatte es hierher geweht.

Ich hatte viele Gedanken, die versuchten diesen einen aufkeimenden klaren Gedanken zu verdrängen, aber sie waren erfolglos. Ich stand vor meinem eigenen Grab, ich wurde hier beerdigt. Ich wurde nicht verfolgt und gefangen gehalten, die Vertrautheit zu diesem Namen hatte ebenfalls einen Grund. Ich bin Jonathan Michael oder ich war es, denn scheinbar bin ich tot oder sollte es zumindest sein.

Dann schoss mir unvermittelt ein Wort durch den Kopf: „Vampir“. Ich habe Blut getrunken, einen Menschen getötet und verspüre kaum Schmerz. War ich zu einem Vampir geworden? Einem Fürsten der Nacht? Konnte ich jetzt nie wieder Knoblauch essen und eine Kirche betreten? Nie wieder in der Sonne wandeln, ohne durch diese zu verbrennen?

Ich erschrak, denn in diesem Moment bemerkte ich erst, wie meine Schulter in sanftes Licht getaucht wurde. Die Sonne ging auf. Ich warf mich auf den Boden, versuchte hinter einen Busch zu kriechen, wand mich auf dem erdigen Untergrund und fürchtete um mein Leben bis die aufkeimenden Sonnenstrahlen mich komplett umhüllten.

Ich spürte die Wärme, ich wusste, ich würde in jedem verbrennen, und hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen, doch nichts geschah. Ich verbrannte nicht, ich löste mich nicht in Rauch auf. Ich musste nur ein wenig blinzeln, weil mich die Sonne blendete.

Doch dieses durchaus als positiv zu bewertende Ereignis warf wieder Fragen auf. Wenn ich kein Vampir war, was war ich dann, wer war ich dann und warum erinnerte ich mich an kaum etwas?

Nach weiteren unzähligen Stunden, die ich auf dem Friedhofsgelände umher wanderte und zu ergründen versuchte, wer, was und wieso ich war, spürte ich plötzlich wieder einen wilden Hunger in mir. Noch war es ein leiser Funken, der aufbegehrte, so wie ein kleiner Appetit, den man verspürt, wenn man etwas Leckeres riecht. Doch das, was meinen Appetit anregte, war kein Geruch, es war das Schlagen von Herzen, das ich unentwegt wahrnahm, wenn jemand an mir vorbeiging.

Mittlerweile war ein wenig Betrieb auf dem großen städtischen Friedhof eingekehrt und ich setzte mich auf eine Parkbank und beobachtete einen jungen Mann, der sich langsam mit einer Rose in der Hand einem Grab näherte.

Er wirkte trotz seiner breiten Schultern und seiner stabilen Statur doch wie ein kleiner, zerbrechlicher Junge. Sein Herz schlug langsam und schwermütig - es war gebrochen!

Ich beobachtete ihn eine Weile, wie er vor dem Grab stand und immer schwächer zu werden schien. Ich spürte den tiefen Schmerz, den er empfand, aber auch, dass er leiden wollte. Er wollte dieses Leid fühlen, weil es das Einzige war, was bei ihm überhaupt noch Gefühle erweckte.

Er sackte vor diesem Grab zusammen. Ich spürte, wie er zu weinen begann, und eine bittersüße Essenz durchfloss meine Venen. Ich labte mich an seiner Trauer, seinem Leid, seiner Verzweiflung. Es war anders als Blut zu trinken, doch der wilde Hunger in mir verschwand wieder, nachdem ich ihm eine Weile zugesehen hatte.

Was für ein Wesen bin ich geworden? Ich lebe vom Leid und Blut anderer, doch auch diese schwere Erkenntnis löste in mir nur ein leises Echo an Gefühlen aus, die einmal diesen Körper durchflossen hatten.

Ich saß noch eine Weile auf der weißen Parkbank und beobachtete die Trauernden, bis sich ein junger Mann neben mich setzte. Er war weder sonderlich groß noch klein, trug eine verwaschene, dunkelblaue Jeans und ein schlichtes, schwarzes T-Shirt. Seine kurzen, schwarzen Haare wirkten wie kleine Tentakel, die aus seinem Kopf wuchsen und dann doch Locken andeuteten. Er blickte mich mit seinen blau-grauen Augen an und fing an zu lachen.

„Hab ich irgendwas im Gesicht oder so?“, fragte ich ihn sichtlich verwirrt.

Erneut lachte er auf, erwiderte dann doch zynisch: „Im Gesicht ist alles okay, doch du solltest dir was Neues zum Anziehen besorgen, du willst sicher nicht dein ganzes Dasein in dieser Existenz in dem Anzug verbringen, in dem du beerdigt wurdest.“

Erneut lachte er auf und seine feinen Gesichtszüge bildeten kleine Lachfältchen über seinen glatten Wangen. Mein Blick fiel auf meine Hose und ich stellte fest, dass er Recht hatte. Doch wer war er?

„Ich bin Christian. Du hast bestimmt einige Fragen, so wie du aussiehst.“

Ein Grinsen durchdrang sein Gesicht. Ich spürte bei ihm keinen Herzschlag und auch Blut floss keines in seinen Adern. Außerdem strahlte er keine Gefühle aus.

„Ja richtig, ich habe keinen Herzschlag und um deine nächste Frage auch direkt zu beantworten: Ich merke es, wenn du Magie wirkst. Also, gehen wir ein Stück?“

Ich stand also auf und er hakte sich ohne zu fragen bei mir ein, doch ich ließ ihn gewähren, es war die erste Nähe, die ich seit gestern Abend spürte, die keine schlechten Erinnerungen oder böse Gefühle in mir weckte. So schlenderten wir eine Weile schweigend über den Friedhof.

Ich hatte das Gefühl, Christians Geist in meinem zu spüren, doch es war nur eine Ahnung.

Da brach er das Schweigen: „Soso, Jonathan heißt du also?! Und so wie es aussieht, bist du seit nunmehr genau sieben Tagen tot.“

Ich blieb stehen und schaute tief in seine Augen, so tief, dass ich mein Spiegelbild zu erkennen glaubte. Dann stieg meine Frage, die ich ihm eigentlich stellen wollte, wieder in mir auf und riss mich aus meiner Trance:

„Wie bin ich gestorben? Sind wir Vampire?“

Ich wusste so wenig und es schien so viel im Schatten verborgen vor mir zu liegen.

Christian griff nach meiner Hand, seine weichen Finger verhakten sich mit meinen, diese Energie, die zwischen uns floss, erfüllte mich für einen kurzen Moment mit großer Lust und hätte er nicht etwas gesagt, hätte ich mich nicht davon lösen können.

„Wie du gestorben bist, weiß ich nicht, aber das wirst du - wenn du Wert darauf legst - bestimmt herausfinden können. Mir war es egal, da ich mein altes Leben gehasst habe.“

Das stellte mich nur wenig zufrieden, vielmehr warf es neue Fragen auf. Die nächste Frage platzte einfach aus mir heraus:

„Warum kann ich mich nicht an mein Leben erinnern? Konntest du dich erinnern?“

Nun griff er auch noch nach meiner anderen Hand. Unsere Finger umschlangen sich, verhakten sich und ich spürte zum ersten Mal, seit ich erwacht war, wieder Wärme. Erneut spürte ich Erregung, doch warum?

„Ich kann mich immer noch nicht an mein altes Leben erinnern, doch ich weiß, dass ich es gehasst habe. Ich habe gehasst, was ich war, was ich getan habe, was ich verkörperte. Dieses Gefühl musst du auch haben, es macht uns zu dem, was wir sind.“

Ich konnte die Erregung nicht verbergen und zog ihn näher an mich heran. Es verwirrte mich, ich hatte nie Gefühle für Männer empfunden, und vor allem keine erotischen.

Eine kühle Frage in meinen Gedanken schnitt wie ein Schwert durch den Mantel der Erotik dieser Situation:

„Was sind wir?“.

Ich zog Christian noch näher an mich und er schien sich nicht zu wehren. Seine Lippen waren nur noch wenige Millimeter von meinen entfernt. Ich spürte seinen Atem in meinem Gesicht und ich roch seine Macht.

Wir standen mitten in einer belebten Menschenmenge, doch niemand schien uns zu bemerken oder auch nur wahrzunehmen. Wir waren Teil dieser Welt, aber dann auch nicht.

Christians Lippen berührten meine. Ein Schwall von unglaublicher Macht warf mich fast zu Boden. Ich zitterte und die Gefühle, die ich in diesem Bruchteil einer Sekunde erlebte, waren unbeschreiblich.

Er zog sein Gesicht langsam von meinem zurück und sagte leise:

„Man nennt uns Engel.“

Diese gehauchte Wahrheit warf mich nun völlig zu Boden. So saß ich in der belebten Fußgängerzone, in der wir mittlerweile angekommen waren, zu Christians Füßen.

Eine einsame Träne floss über meine Wange. Die Schönheit und Zerbrechlichkeit dieses Moments umspielten wie eine bittersüße Flüssigkeit meinen Gaumen und befriedigten das wilde Tier in mir. Eine tiefe Verbundenheit bettete mich weich in den Asphalt, bevor ich das Bewusstsein verlor.

Ich erwachte durch das Läuten von Kirchenglocken. Ich öffnete langsam die Augen und für einen kurzen Moment dachte ich, es wäre alles nur ein Traum gewesen. Der Weg aus meinem Grab, der tote Friedhofswärter, die vielen Emotionen, die ich in mich aufgenommen hatte, die Begegnung mit Christian. Für einen kurzen Moment war all das nicht geschehen und ich war ein ganz normaler Bräutigam, der gerade das Ja-Wort gesprochen hatte.

Dann öffneten sich meine Augen vollständig und ich sah die Realität. Ich saß auf einer Kirchenbank. Das weich gesessene Holz hatte mich sanft gebettet. Ich drehte langsam den Kopf und schaute mich um.

Einige Bänke hinter mir saß eine ältere Dame. Ich spürte ihre Verzweiflung, ihr Herz schlug voller Leidenschaft, obwohl sie schon fast 80 Jahre alt war.

Sie betete für ihren schwer verunglückten Sohn. Sie war bereit, ihr Leben zu geben, um seines zu retten. Sie flehte Gott förmlich an, ihr Leben für das ihres Sohnes zu nehmen. Dann bemerkte ich Christian, der sich neben die Frau setzte. Er wechselte einige Worte mit ihr, legte dann seine Hand auf ihre Stirn und ich spürte, wie er ihr etwas gab. Ein großes Geschenk und doch eine schwere Bürde. Er gab ihr die Möglichkeit ihren Sohn zu heilen und ihr Leben dafür zu geben.

Sie merkte davon nichts, beendete nur ihr Gebet und verließ dann die Kirche langsamen Schrittes. Sie wusste nicht, welche Gabe ihr verliehen wurde, doch sie würde sie mit Gewissheit benutzen.

Christian setzte sich neben mich und legte seine Hand auf die Innenseite meines Oberschenkels. Ich spürte erneut die Wärme dieser Berührung. Ohne sich zu mir zu drehen sagte er:

„Das ist unsere Aufgabe, wir erhören Gebete, wir geben den Menschen das, worum sie beten, aber nur dann, wenn sie den Preis kennen. Diese Frau wusste, dass ein Leben nur mit einem Leben bezahlt werden kann, und wenn es soweit ist, wird ihr Leben in mir aufgehen und mich für meine Arbeit entlohnen.“

Seine Hand strich sanft über meinen Oberschenkel. Ich bemerkte, dass er mich umgezogen haben musste, denn ich trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Scheinbar war seine Garderobe ein wenig eingeschränkt, aber wenigstens trug ich nicht mehr den Anzug, in dem ich beerdigt wurde. Auch spürte ich ein Portemonnaie in meiner hinteren Tasche.

„Lass uns gehen. Kirchen machen mich immer so...“

Christian unterbrach den Satz abrupt, stand auf und wirbelte herum.

„LOS! STEH AUF! SCHNELL!“, schrie er mich an, und Panik war in seinem Gesicht zu erkennen.

Ich spürte eine grausame Präsenz näher kommen und meine Nackenhaare stellten sich auf.

Ohne weiter nachzudenken stand ich auf und griff nach Christians Hand, doch er wehrte ab.

„Nein, du wirst deine Hände brauchen. Zieh dein Schwert, Jonathan, wir haben Besuch.“

Sein Satz wurde durch das Schließen der Kirchentore beendet und ein in Weiß gekleideter Mann mit einer orangenen Sonnenbrille, blondierten Haaren und zwei Augenbrauenpiercings betrat den Kirchenraum.

„Verlass dieses Haus, Andrej. Du hast hier in diesen Hallen nichts zu suchen. Du wurdest nicht erwählt, also verlass dieses Haus.“

Christians Stimme wirkte fest und entschlossen, er begann etwas zu murmeln. Die Luft um seine Hände begann zu vibrieren und ein Flammenschwert materialisierte sich in seinen Händen.

„Ich werde deine dunkle Seele aus deinem Körper brennen, wenn du dieses Haus nicht sofort verlässt, Andrej“, sprach Christian und hob das Schwert in Angriffsposition.

Ein bösartiges Grinsen breitete sich auf dem Gesicht unseres Besuchers aus, auch sein Herz schlug nicht.

„Ich werde euren kleinen Neuankömmling und dich in kleine handliche Stücke zerfetzen, bevor ich die Gabe, die du dieser Frau geschenkt hast, umkehre.“

Auch die Luft um seine Hände begann zu vibrieren und ein Flammenschwert erschien auch in seiner Hand, doch war es in schwarze, kalte Flammen gehüllt.

„Zieh dein Schwert, Jonathan“, forderte Christian mich auf.

„Ich weiß nicht, wie.“

Plötzlich stürzte Andrej auf Christian zu und lachte verrückt auf.

Christian wehrte den Angriff mit einer kraftvollen Parade ab und ging zum Gegenangriff über. Er schlug hart zu, doch Andrej wehrte die Schläge mit geringer Mühe ab.

„ZIEH DEIN SCHWERT, JONATHAN!“, schrie Christian mir zu und wirkte schon deutlich erschöpft.

Eine Stimme drang in meinen Geist ein, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte. Es war die Stimme von Andrej.

“Du wirst versagen, Kleiner. Dein Lover hier und du könnt in wenigen Minuten auf eure nächste Inkarnation warten. Und so wie ich euch zurichten werde, wird das einige Zeit dauern.“

Dabei sah ich, wie er immer heftiger auf Christian einschlug und es ihm beinahe gelang Christian zu Fall zu bringen.

Dann geschah es, Christian stand mit dem Rücken zur Wand, er wirkte sehr erschöpft, sein Schwerte brannte nur noch schwächlich und in wenigen Sekunden würde er verlieren.

Das durfte nicht sein! Ich sammelte instinktiv meine gesamte Energie in mir und leitete sie durch meinen puren Willen in meine Hände. Mein Schwert erschien in meinen Händen. Es war die Oberste der himmlischen Klingen und sie war mein.

Ein großes, silbrig glänzendes Schwert in goldene Flammen gehüllt. Es würde die Seele dieses Dämons für lange Zeit von diesem Planeten tilgen.

Andrej wirbelte erschrocken um, als er mich bemerkte. Seine Augen weiteten sich, als ich auf ihn hinzu stürzte. Er versuchte meinen mächtigen Schlag zu parieren, doch sein Schwert barst unter der enormen Kraft und ein sauberer Schnitt durch seine Längsachse teilte ihn entzwei.

Die beiden Hälften sanken zu Boden und zerfielen zu Staub.

Auch Christian sah mich mit großen Augen an. Ich steckte mein Schwert weg und ging auf ihn zu.

„Vergebt mir meine Unachtsamkeit. Ich hätte sofort erkennen müssen, dass Ihr zurückgekehrt seid.“ Er senkte den Kopf und versuchte meinen Blicken zu entgehen.

„Los, steh auf, wir müssen hier weg, es kommen doch bestimmt bald mehr.“

Ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen, und so verließen wir die Kirche.

Ich lenkte uns in die Richtung des Stadtparks, ich spürte jedes Lebewesen in diesem Park und nahm die Ruhe dieses Ortes in mich auf. Ich suchte mir einen Weg zu einer Parkbank und wir ließen uns nieder.

Eine Weile schwiegen wir und beobachteten einfach nur den Frieden des Ortes, doch Christians Hände fanden ihren Weg nicht zu meinen. Ich musste ihn eingeschüchtert haben, doch ich wollte ihn nicht von mir fort gleiten lassen, also legte ich meine Hand auf seinen Oberschenkel, streichelte ihn sanft und sagte:

“Was auch immer in der Kirche gerade passiert ist, es wäre gut, wenn du es mir erklären würdest, Christian.“

Dabei griff ich nach seiner Hand.

Er blickte mir direkt in die Augen, drang tief in meine Seele ein und wieder spürte ich Gefühle, die ich nicht beschreiben kann, doch er senkte seinen Blick schnell.

„Verzeih. Du bist nicht nur ein Engel, so wie ich es vermutet hatte. Du bist mehr. Du bist der oberste Erzengel. Lange wurde deine Seele für verloren geglaubt, denn die Dämonen hatten deine letzte Inkarnation sehr übel zugerichtet.“

Ein Zittern in seiner Stimme verriet die Ehrfurcht, mit der er mich betrachtete, doch wollte ich diese Ehrfurcht nicht. Ich legte eine Hand um seine Schulter, bewegte mein Gesicht langsam vor sein Gesicht bis ich wieder seinen Atem spürte.

„Ich erinnere mich weder wer ich in meinem Leben war noch wessen Inkarnation ich bin. Ich bin ich, und ich denke, das ist gut so.“

Unsere Lippen berührten sich und der Himmel selbst weinte vor Hingabe. Nach einer Ewigkeit, so schien es mir, lösten wir unseren Kuss und es waren nur wenige Sekunden vergangen. Ich spürte die Macht, die ich besaß, und dass eine wichtige Aufgabe auf mich wartete, doch ich wusste, dass mir noch viel Arbeit bevorstand.

„Wir gehen besser zu mir in die Wohnung. Dort sollten wir nicht überrascht werden, denn sie werden dich suchen. Die ganze Hölle wird in diesem Moment dabei sein, dich ausfindig zu machen.“

Christian sprach leise und noch durch die Hingabe unseres Kusses inspiriert.

Dann griff er meine Hand und führte mich von der Parkbank weg zum Ausgang des Parks. Dort verharrten wir noch einige Sekunden und beobachteten die aufgehende Sonne, bevor wir unserem neuen Schicksal entgegen traten.

Das heiße Wasser küsste meinen Körper, umspielte ihn und wusch den Schweiß des letzten Tages weg. Die Wärme drang in mich ein und jeder Muskel an meinem Körper entspannte sich. Es klopfte leise an der Tür

„Jonathan? Hast du mittlerweile Schwimmhäute? Du duschst schon seit fast einer Stunde“, drang Christians Stimme durch die Tür.

Er hatte Recht, also genoss ich noch einmal kurz das heiße Wasser auf meiner Haut, drehte die beiden kleinen Rädchen zu und das Wasser versiegte. Ich stieg aus der Dusche und suchte nach einem Handtuch, doch da war keins.

„Christian? Wo hast du deine Handtücher?“, rief ich ein wenig verschämt.

„Ich bring dir sofort eins“, antwortete er und wenige Sekunden später klopfte es an der Tür.

Ich entriegelte das Schloss. Seine Augen wanderten über meinen nackten Körper, bis er plötzlich hoch schreckte, mir das Handtuch zuwarf und die Tür hinter sich schloss.

Hatte ich etwas Falsches gesagt? Ich trocknete mich schnell ab, schwang das Handtuch um meine Hüften und verließ das Bad. Christian saß auf der Couch und las Zeitung. Sein kleines Appartement war gemütlich eingerichtet. Nichts besonderes, aber doch irgendwie heimisch.

„Alles okay? Warum bist du gerade einfach so raus gerannt?“, fragte ich ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Er blickte sichtlich beschämt von seiner Zeitung hoch, drehte sich aber nicht zu mir um.

„Ich....ach du .... nicht so wichtig“, stammelte er vor sich hin und seine Augen blickten nervös von links nach rechts.

„Ich frage es noch mal. Alles okay? Wenn nicht, solltest du es sagen!“

Ein leicht aggressiver Unterton schwang in meiner Stimme mit, was mir noch in dem Moment, in dem ich es sagte, schon wieder Leid tat.

„Hast du schon mal an dir runter geschaut? Du bist nicht ganz so tot wie du denkst“, zischte Christian zurück und lenkte seinen Blick wieder auf die Zeitung.

Ich errötete. Das heiße Wasser und die Entspannung hatten wohl noch andere Dinge als nur meine Muskeln beeinflusst. Ich drehte mich auf dem Absatz um, ging ins Bad und zog mir die Sachen an, die Christian mir hingelegt hatte.

Als ich aus dem Bad zurückkehrte, las Christian immer noch Zeitung. In dem Moment, in dem ich das Zimmer betrat, drehte er sich zu mir um.

„Passt doch alles ganz gut. Schau mal hier in der Zeitung.“

Er hielt die Zeitung in meine Richtung. Das Bild eines toten Mannes mit der Überschrift „Brutaler Mord auf dem städtischen Friedhof“ dominierte die erste Seite der Zeitung.

„Sie schreiben, dass er komplett ausgesaugt und ihm danach das Genick gebrochen wurde. Muss einer von Andrejs Leuten gewesen sein. Zu so etwas ist nur ein Dämon in der Lage“, erklärte Christian mir und ein dumpfer Schmerz in meiner Magengegend breitete sich aus.

„Dämonen saugen das Blut von Menschen?“, fragte ich vorsichtig.

Christians Mimik verhärtete sich. Er sprach langsam und sehr ernst.

„Dämonen leben von Angst und Verzweiflung und auch von Blut. Sie bieten den Menschen teuflische Verträge an und ihr Ziel ist es Chaos, Angst und Perversion zu verbreiten. Wann immer mir ein Dämon begegnet, werde ich mich seinen Zielen entgegenstellen und ihn mit all meiner Macht niederstrecken.“

Sein Gesicht wirkte wie zu Stein erstarrt. Der dumpfe Schmerz in meiner Magengegend weitete sich aus, ich rannte aufs Klo und übergab mich. Christian würde mich niederstrecken, sobald er herausfand, was ich getan hatte. Ich begann, zu weinen, zitterte und wieder übergab ich mich. Erschöpft und noch weinend sank ich auf dem Läufer vor der Kloschüssel zusammen.

Dumpf hörte ich Christian an die Tür hämmern. Er rief meinen Namen. Mir war klar, dass er begriffen haben musste, was ich getan hatte, und er würde mich nun töten. Ich war falsch wiedergekehrt. Der mächtige Engel, der ich sein sollte, war in Wirklichkeit ein Dämon und ich verdiente den Tod. Ich antwortete nicht auf Christians Rufen.

Ein lauter Knall aus der Richtung der Tür ließ meinen Kopf hochfahren. Durch den Tränenschleier auf meinen Augen erkannte ich schemenhaft Christians Gestalt. Ich sah auch leicht schimmernde Flügel, die aus seinem Rücken ragten. Er war gekommen, um mich zu töten.

Ich senkte den Kopf, bereit meine gerechte Strafe zu empfangen. Er kam langsam näher. Ich spürte, wie er sich zu mir hinab beugte und nach meinem Kopf griff. Es war soweit. Er würde mir nun das Genick brechen, wie es so oft im Fernsehen gezeigt wird und wie ich es dem Friedhofwächter angetan hatte.

Ich kniff die Augen zusammen und über meine Lippen huschte ein letztes, gehauchtes „Es tut mir Leid“. Ich schluckte.

„Was tut dir Leid, Jonathan? Was ist geschehen? Hattest du eine Vision?“

Seine Stimme klang besorgt. Seine Hände berührten sanft meinen Kopf. Mit der einen strich er mir sanft durch mein Haar, mit der anderen streichelte er meine Wange.

Ich musste es ihm sagen! Ich konnte dieses schreckliche Geheimnis nicht vor ihm bewahren.

„Der Mann auf dem Friedhof...ich habe ihn getötet...es war keiner von Andrejs Leuten. Ich war es!“

Ich schluchzte kräftig. Die Stille, die dann den Raum erfüllte, wirkte wie dutzende kleine Messerstiche, die mein totes Herz verletzten.

Christian durchbrach das Schweigen:

„Deswegen bist du seit Jahren verschollen. Du hast in einer früheren Inkarnation gegen Lariel selbst gekämpft, mein Liebster. Bei diesem Kampf hast du den obersten Fürst der Hölle beinahe besiegt. Doch mit einer List und durch Verrat auf unserer Seite gelang es Lariel einen Teil seiner Seele mit deiner zu verbinden. Du wurdest wahnsinnig und hast dich selbst zerstört.“

Während er sprach, umarmte er mich und drückte sich fest an mich. Seine Nähe gab mir ein Gefühl von tiefster Geborgenheit und Sicherheit. Ich schluchzte erneut laut auf. Dann hob ich meinen Kopf und schaute Christian direkt in die Augen - seine tiefen, blauen Augen. Ich blickte tief in seine Seele, die vor Güte und Liebe nur so leuchtete. Unsere Lippen berührten sich erneut.

Die große Kraft dieses Kusses warf mich zurück. Eine Erschütterung durchfuhr meinen Körper, Christians Hand fuhr unter mein T-Shirt, löste es langsam von meinem Körper. Ich spürte seine warme, weiche Hand auf meiner Brust. Wir hörten nicht auf uns zu küssen.

Die Umarmung wurde enger und er drückte mich sanft zu Boden.

Dann liebten wir uns. Diese mächtige Liebe war älter als wir, stärker als alle anderen Kräfte auf dieser Welt und für den Bruchteil einer Sekunde waren wir allein auf dieser Welt.

Unsere Körper begannen zu wallen, wir sammelten immer mehr Kraft, bis in einer exstatischen Entladung alles freigesetzt wurde, was so lange gefangen war. Unsere Körper lösten die Umarmung nicht und wir schliefen glücklich und erschöpft ein.

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