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Willkommen in der dunklen Stadt

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Willkommen in der dunklen Stadt

Ich wandere durch die Straßen meiner Heimatstadt. Kein Mensch auf den Wegen, das einzige Licht wird von den Laternen gespendet, die überall am Straßenrand stehen. So laufe ich ins Nichts und erfreue mich an der Dunkelheit, die mich umgibt.

Ich erfreue mich daran allein zu sein, Musik in meinen Ohren und einfach ins Leere laufen, um die Gedanken zu ordnen.

Vorbei am Kloster, der Wohnstätte Gottes. In jeder Gemeinde hat der Typ ein Ferienhaus, doch wenn man ihn mal braucht, ist er nie zu Hause, und einen Anrufbeantworter scheint er auch nicht zu haben, auf einen Rückruf oder ein Wunder konnte man also lange warten.

Neben dem Kloster sehe ich die Stufen, die hinab führen in die Dunkelheit, ohne Licht, dies müssen die Stufen sein, die auch Orpheus auf seinem Weg zur Hölle hinabgestiegen ist.

Mit jeder Stufe verfinstern sich meine Gedanken, dringt die Düsternis in meinen Geist ein und wieder beziehe ich mein Haus in der dunklen Stadt.

Vor einiger Zeit hatte ich sie verlassen in der Hoffnung nie wieder zurückkehren zu müssen, doch nun hat sie mich wieder, die Heimat.

Viele setzen den Begriff Dunkelheit gleich mit der Nacht, doch die wahre Finsternis ist nur in der dunklen Stadt zu finden, sie ist viel mehr als das simple Fehlen des Lichts. An die Nacht gewöhnen sich die Augen, doch die wahre Finsternis kann man nur mit dem Geiste wahrnehmen, da sie aus den Tiefen der eigenen Seele strömt.

Ihr fragt euch jetzt sicher, wo die dunkle Stadt liegt, oder? Sie ist auf keiner Landkarte verzeichnet und trotzdem kennt sie ein jeder von euch. Manche leben nur kurz dort, andere etwas länger und wieder andere werden dort geboren, um dort zu sterben.

Es ist eine Stadt, die nie leer sein wird, obwohl ihre Bewohner immer wieder aus- und wieder einziehen und ständig wechseln.

Der Morgen bricht an, ich strecke mich, versuche mir die Müdigkeit aus den Augen zu reiben, mit mäßigem Erfolg, und stehe auf.

Die Zeitung liegt wie jeden Morgen an der Türschwelle, gelangweilt hebe ich sie auf und werfe sie auf den Küchentisch.

Keine Schlagzeile stand auf dem Titelblatt, sondern nur ein einzelnes Wort, versehen mit einem Fragezeichen.

WARUM?

Es muss also Montag sein, mit WARUM wird die neue Woche einberufen.

Eine der vielen Fragen, die sich wohl nie eindeutig beantworten lassen, eine philosophische Spielerei, ähnlich dem WIESO, am Dienstag, dem WESHALB am Mittwoch, dem WESWEGEN am Donnerstag, usw.

Alles Fragen, die, wenn man sie sich selbst stellt, eigentlich nie etwas Gutes als Antwort herbeiführen, die einzigen Antworten, die man findet, sind Zweifel, wie Bakterien fressen sie am menschlichen Selbstvertrauen und zerstören es von innen heraus..

Doch da ich ja gerade hier bin, sollte ich mich mal mit meinem WARUM auseinandersetzen.

WARUM bin ich also wieder hier? In meinem Haus in der dunklen Stadt?

So viele Schmerzen hatte ich in meinem Leben bisher erlitten, den Schmerz der Einsamkeit, den Schmerz des Andersseins, doch diese Pein, die mich dieses Mal hierher geführt hat, übersteigt alles bisher da gewesene.

Als ich einsam war, suchte ich mir neue Freunde, als ich ``anders`` war, suchte ich Menschen, die auch ``anders`` waren…doch dieses Mal nützt all das Suchen nach Lösungen gar nichts.

Dabei fing alles so schön an…

Ich war verliebt in einen Mann, den ich nicht lange kannte, der mich aber von Anfang an irgendwie in seinen Bann gezogen hat. In seinen Bann gezogen von seinem Humor und seinem bezaubernden Lächeln. Von so jemand hatte ich so lange geträumt und glaubte nun endlich am Ende meiner Suche zu sein.

Doch er war nicht schwul, wie ich, er hat mich belogen und betrogen, doch ich habe ihm immer wieder vergeben, weil ich ohne ihn nicht leben konnte. Jeder einzelne Tag, der verging ohne dass ich ihn sah, hatte keinen Sinn für mich. Er war wie eine Droge für mich, ein Mittel das unendliche Glücksgefühle verspricht, doch wenn die Wirkung vergeht, bleiben nur Schmerz und Elend bis zum nächsten Schuss.

Mehrmals hat er mir Hoffnungen gemacht, um sie immer wieder aufs Neue zu zerstören, und mit jedem Tag der verging, und mir langsam aber sicher klar wurde, dass er mich nie lieben würde, starb ein Teil von mir, verwelkte ein Stück meines Herzens, bis fast nichts mehr davon übrig war. Ich war ein so erbärmliches Bild, meine Wut ließ ich an allem und jedem aus, der mir nahe stand, doch nie dort, wo sie eigentlich hingehörte. Wie gerne würde ich behaupten, ich hätte ihm das Leben zur Hölle gemacht, wenn auch nur um mein gekränktes Ego zu heilen, doch ich konnte ihm bis heute kein einziges Haar krümmen.

WARUM?

WARUM war er so wichtig für mich?

WARUM konnte ich ihm nichts antun?

WARUM bin ich nicht als Frau geboren?

WARUM?

WARUM?

WARUM?

So füllten meine Gedanken den Platz unter dem einsamen WARUM der Montagsausgabe.

Dieses Mal war ich mir sicher für immer ein Gefangener der dunklen Stadt zu sein…

Vielleicht war dies mein Schicksal, das unausweichliche Elend, ich konnte rennen, ich konnte fliehen, doch wo sollte ich mich vor mir selbst verstecken? Und so kam es, dass ich immer wieder zurückkehrte.

Jetzt muss ich warten, warten auf den Tag an dem ein Mensch mein Haus findet, mein Heim in der Dunkelheit und mich mit sich heraus zieht aus der Finsternis und zurück ins Licht.

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