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Der Sommer unseres Lebens
Teil 5
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Informationen
- Story: Der Sommer unseres Lebens
- Autor: Sunshine
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Kapitel 20 – Erwischt!
- Kapitel 21 – Gute Freunde und Idioten
- Kapitel 22 – Wir kommen raus
- Kapitel 23 – Besser geht’s nicht
- Kapitel 24 – Saison-Abschluss
- Kapitel 25 – Jetzt wird’s ernst
- Nachwort
Vorwort
Und nun? Was kann den nun überhaupt noch passieren?
Nichts? Von wegen!
Viel Spaß mit Teil 5!
Kapitel 20 – Erwischt!
Gestern ist es wieder einmal ziemlich spät geworden und so gammeln wir in inzwischen lieb gewonnener Tradition fast bis mittags im Bett herum. Manchmal kann ich kaum glauben, wie gut es uns geht!
Eigentlich könnten wir ja auch mal wieder das Frühstück machen, aber Jan, der gestern dem Alkohol sehr reichlich zugesprochen hat, kehrt noch langsamer ins Leben zurück als ich. So sind wieder meine Eltern vor uns auf und sorgen für alles. Heute warten sie allerdings nicht auf uns, weil sie auf den Trödelmarkt wollen, der nur bis zum frühen Nachmittag geöffnet ist. Immerhin hinterlassen sie uns aber netterweise einen gedeckten Tisch.
Wir frühstücken also alleine und berichten uns gegenseitig, was wir gestern an Neuigkeiten erfahren und mit den anderen besprochen haben. Jan hat auch mitbekommen, dass bei Sylvia und Andy etwas läuft, und ich weiß ja aus sicherer Quelle, nämlich von Manuela, dass sie schon länger ein Auge auf ihn geworfen hat und er - typisch Mann eben, wie ich explizit betone - bisher noch nichts davon bemerkt hat.
Jan versteht den Seitenhieb sofort und fragt mit einem süffisanten Grinsen: "Was soll das denn heißen?"
"Och, nichts", sage ich und funkle ihn herausfordernd an.
"Ist klar", sagt er dann. "Ich verstehe schon. Ich Depp habe ja schließlich auch nichts gemerkt. Das wolltest Du doch damit andeuten, oder nicht?"
"Willst Du das etwa abstreiten?"
"Wie könnte ich denn?", sein Blick wird plötzlich weich und süß wie Karamell. "Du hast ja Recht, ich war ein Idiot."
Unsere Hände finden zwischen Marmeladenglas und Butterdose zueinander.
"Aber Du hast Dich auch nicht so ganz schlau angestellt."
"Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass Du plötzlich Deine Ansichten um 180 Grad ändern würdest?"
"Hättest mir ja einfach vertrauen können."
"Ich tu's jetzt. Ist das auch okay?"
"So gerade eben." Er küsst mich mit seinem Erdbeermarmeladenschnäuzchen. Mmhh, er schmeckt einfach gut.
Nach dem Frühstück räumen wir den Tisch ab und bringen dann die Küche auf Hochglanz. Mit Jan zusammen macht mir sogar das Putzen Spaß. Oh Mann, hoffentlich bemerkt meine Mam das nicht, sie würde es bestimmt eiskalt ausnutzen.
Als meine Eltern zurückkommen, bekommen wir von meiner Mam erst mal ein dickes Lob für die strahlende Küche.
"Was habe ich doch für zwei wohlerzogene Jungs zu Hause!", sagt sie lachend.
"Mam, bitte!"
"Ach komm schon, Dennis. Lass mir doch die Illusion. Was hab ich denn sonst vom Leben?"
Mein Dad wirft sich in Pose. "Mich natürlich!" Dann nimmt er sie in seine Arme und küsst sie. Wir verschwinden lachend, bevor es mit ihnen noch schlimmer wird.
Wir ziehen uns in unser Zimmer zurück, hören ein bisschen Musik und zocken an den Rechnern. Mit den anderen haben wir für heute zwar nichts Besonderes verabredet, aber wir beschließen, nachher mal zum See raus zu fahren. Der eine oder andere wird sicherlich dort sein. Der Strand am See ist wirklich die Konstante dieses Sommers.
"Hey Denny", sagt Jan, ohne seinen Blick von dem Rennwagen auf seinem Monitor zu nehmen und hackt wie ein Weltmeister auf seine Tastatur ein. Manchmal glaube ich, er klopft die Tasten durch das Brett hindurch. Was um alles in der Welt treibt er da bloß?
"Was bekomme ich, wenn ich Dich schlage?"
"Dann hast Du bei mir einen Wunsch frei", sage ich großspurig, denn ich liege wie immer vorn. Hierbei macht er mir nichts vor. Ich lehne mich lässig zurück und drücke ganz ruhig auf ein paar Tasten. Er sollte nicht vergessen, dass er hier mit dem Meister redet. Dem MEISTER!
Eine Hand schwebt plötzlich vor meiner Nase. "Okay. Wenn Du gewinnst, darf ich mir von Dir etwas wünschen. Abgemacht?"
Ich schlage ein. "Abgemacht."
Und dann geht es richtig los! Wir geben alles, hacken wie die Wilden und ziehen alle verfügbaren Tricks aus dem Ärmel. Schnell hänge ich ihn ab und der Abstand wächst. Ha! Wusste ich es doch! Mir macht er nichts vor, der Anfänger. Ich lehne mich siegessicher zurück und bereite mich auf einen unangefochtenen Sieg vor. Ich muss jetzt nur noch in aller Ruhe ins Ziel kommen.
Denkste! Ich habe keine Ahnung, was genau er angestellt hat. Ob es ein Glückstreffer war, oder ob ich einen Fehler gemacht habe. Aber er gewinnt buchstäblich auf den letzten Zentimeter. Dieser Sauhund! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Kann es einfach nicht.
"Waaah!", schreie ich den Monitor an und springe auf, so dass mein Stuhl nach hinten weg fliegt.
"Du hast beschissen, Du Sausack!", werfe ich Jan lautstark vor, springe auf seinen Schoß und würge ihn spaßeshalber.
"Nein, nein! Habe ich nicht." Er wehrt sich lachend, aber halbherzig, bis ich zusätzlich beginne, ihn zu kitzeln. Dann allerdings wird er hektisch. Er versucht meine Hände abzuwehren, hat aber keine Chance mehr. Ich grabble weiter an ihm herum, bis er mich vom Stuhl wirft und mit mir zusammen unsanft auf dem Fußboden landet.
Ich setze mich sofort rittlings auf seine Oberschenkel, drücke seine Arme auf den Boden und halte ihn so fest. Ich kitzle ihn mit meiner Nasenspitze am Hals und küsse ihn, bis er keine Luft mehr bekommt. Eigentlich könnte er mich bestimmt locker abwerfen und mir seine Handgelenke aus den Händen winden, immerhin ist er deutlich größer und stärker als ich. Aber er tut es nicht. Der Lump genießt das hier sogar noch.
"Gib es zu!", fordere ich immer wieder zwischendurch, bis er vor lauter Lachen und Küssen keine Luft mehr bekommt und um Gnade winselt.
"Gib zu, dass Du beschissen hast", flüstere ich in sein Ohr.
"Niemals!"
Ich lege mich der Länge nach auf ihn und frage leise: "Wie hast Du das angestellt, Du Luder? Das war doch ein mieser Trick."
Immer noch halte ich seine Hände fest und reibe mich langsam an ihm. Dass ihn das nicht kalt lässt, kann ich deutlich spüren. Ich knabbere mich langsam an seinem Hals herunter, lasse seine Handgelenke los und schiebe kurz darauf die Hände unter sein Shirt. Jetzt wehrt er sich gar nicht mehr, im Gegenteil. Er schnurrt, als ich sein Shirt hochschiebe.
Mit beiden Händen auf seiner weichen Haut robbe ich wieder an ihm hoch und presse mich gegen ihn. Er erwidert den Druck und legt beide Hände auf meinen Po. Dann suche ich seine Lippen mit meinen. Meine Zunge schlängelt sich in seinen Mund und er erwidert den Kuss leidenschaftlich. Seine Hände schieben mein Shirt ganz langsam hoch, bis ich es fast nur noch um den Hals hängen habe. Zärtlich streichelt er meinen Rücken und...
"Ach Du Scheiße!", sagt plötzlich jemand sehr laut und sehr deutlich. Wir fahren hektisch auseinander und ich weiß nicht, wer größere Panik in den Augen hat, Jens oder wir. Er steht einfach da im Türrahmen, die Türklinke noch in der Hand, und sieht uns an, während wir wie paralysiert mit zerwühlten Haaren und verrutschter Kleidung auf dem Boden sitzen, beziehungsweise immer noch halb liegen.
Verdammt! Ich habe überhaupt nicht gehört, wie er die Treppe hinaufgekommen ist, geschweige denn, wie er die Tür geöffnet hat. Normalerweise platzt hier auch niemand rein ohne zu klopfen!
Keiner von uns dreien sagt ein Wort und wir starren uns gegenseitig an, bis er sich nach endlos erscheinenden Sekunden als erster fängt.
"Entschuldigung, ich... ich hätte wohl nicht so reinplatzen sollen." Er blinzelt mehrmals schnell hintereinander.
Wir drei sehen aus, wie ein ganzes Pfund Tomaten auf Urlaub. Ich schwitze fürchterlich und habe das Gefühl, dass mir jeden Moment der Kopf platzt. So peinlich war mir noch niemals irgendetwas in meinem Leben.
Das war es dann ja wohl mit unserer Geheimniskrämerei. Jetzt bin ich mal gespannt, wie wir aus dieser Nummer wieder heraus kommen. Und ob überhaupt. Ich fürchte, irgendwelche Erklärungs- oder Vertuschungsversuche kann ich gleich vergessen. Das, was er gerade gesehen hat, war einfach zu eindeutig.
Ich stehe langsam auf und ziehe Jan ebenfalls vom Boden hoch. Jetzt sind wir wenigstens alle wieder auf Augenhöhe. Dann sage ich zu Jens, der sich immer noch nicht nennenswert bewegt hat: "Kommst Du rein? Oder willst Du jetzt mit uns nichts mehr zu tun haben?"
Keine Ahnung, wie ich es schaffe, diese Worte heraus zu bekommen, aber es gelingt irgendwie. Auch wenn meine Stimme sich anhört, als würde sie jemand anders gehören.
Er sieht mich an und erwacht jetzt vollständig aus seiner Starre.
"Spinnst Du? Deswegen doch wohl nicht!" Er kommt tatsächlich rein, schließt die Tür hinter sich und lässt sich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. Okay, das klingt zumindest schon mal so, als ob er uns nicht die Freundschaft kündigen würde.
Ich kann sogar schon wieder ein bisschen grinsen. Die ganze Situation ist einfach zu absurd. Wie muss das wohl für ihn ausgesehen haben, als er uns knutschend auf dem Boden vorgefunden hat?
"Brauchst Du einen Schnaps?", frage ich ihn.
"Nee", sagt er und kann auch schon wieder ein bisschen lächeln. "Ich muss noch fahren. Ihr wollt doch heile am See ankommen, oder? Ich wollte Euch nämlich eigentlich abholen." Bei dem Wort 'Euch' stockt er kurz. So, als wäre er sich jetzt erst dessen neuer Bedeutung bewusst.
Er sieht uns an. "Ähm. Ihr kommt doch mit, oder?"
"Klar", sagt Jan und ich nicke zur Bestätigung. Ich bin ziemlich erleichtert, dass er immer noch ganz normal mit uns redet.
Jens schüttelt immer noch ungläubig blinzelnd den Kopf.
"Ich fasse es nicht. Echt nicht. Jetzt weiß ich auch, warum Ihr auf einmal ständig zusammen hängt und warum Deine Eltern Jan hier wohnen las..." Er bricht ab und sieht mich mit großen Augen an. "Wissen das Deine Eltern überhaupt?"
"Ja, wissen sie", sage ich.
"Und sie lassen Dich trotzdem hier wohnen?", fragt er Jan.
"Vielleicht sogar gerade deshalb", sagt Jan. "Glaubst Du nicht, Deine Eltern würden Manuela auch bei Euch wohnen lassen, wenn sie Theater zu Hause hätte?"
"Doch schon." Er verkneift sich das 'aber', das ihm sicherlich schon auf der Zunge gelegen hat, und das rechne ich ihm hoch an. Dann sieht er wieder zu uns, wie wir nebeneinander auf dem Bett sitzen und uns nervös an den Händen halten. Er schüttelt wieder den Kopf, als könne er es immer noch nicht wirklich glauben.
"So, so. Dennis und Jan also. Das ist ja echt ein Ding! Und seit wann führt Ihr uns schon an der Nase herum?"
Ich grinse bei dem Gedanken daran.
"Seit dem Lagerfeuer-Abend. Weißt Du noch, als wir zusammen Holz geholt haben? Na ja..." Ich zucke die Schultern und sehe Jan an, dann wieder Jens. "Da hat er mich ziemlich heftig angegraben."
"Hey, komm schon, sag die ganze Wahrheit", sagt Jan. "Du bist mir doch schon vorher die ganze Zeit hinterher gelaufen. In Wirklichkeit hast Du angefangen."
Er piekst mir in die Seite, wir kichern und Jens verdreht die Augen.
"Na, das kann ja heiter werden", sagt er mit gespielter Verzweiflung, dann sieht er auf die Uhr. "Oh Schreck, wenn wir nicht bald fahren, dann erwürgt mich Manuela. Obwohl - ich glaube, diese Ausrede wird sie ausnahmsweise gelten lassen."
"Du, Jens... Dass Manuela es erfährt ist okay, aber ich glaube, es wäre besser, wenn es außer Euch beiden erst mal niemand von den anderen weiß", sage ich und sehe Jan an, um meine Meinung bestätigen zu lassen. Er sieht aus, als wäre er mehr als einverstanden damit.
"Okay", sagt Jens. "Ich kann schweigen, keine Sorge. Aber für Manu kann ich nicht wirklich garantieren. Wenn die mit ihrem Hühnerhaufen zusammen ist..."
"Ich glaube nicht, dass sie etwas verrät", sage ich. So gut kenne ich Manuela inzwischen. Auf sie kann man sich verlassen.
Wie ich es beinahe vermutet hatte, ist sie nicht extrem überrascht, als wir ihr die Wahrheit über Jan und mich erzählen. Dass ich schwul bin, hatte sie sich schon vor einer Weile gedacht, und dass ich Jan mag, war ihr auch nicht entgangen. Ich kriege die Krise! Jeder will auf einmal längst gewusst haben, dass ich auf Jungs stehe. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Hab' ich das auf der Stirn stehen, oder was? Jan grinst absolut unverschämt, als Manu das sagt, und ich weiß ganz genau, dass er in diesem Moment wieder an den Spruch denkt, den Martina neulich über mich vom Stapel gelassen hat.
Die Tatsache, dass Jan und ich jetzt ein Paar sind, überrascht allerdings sogar Manuela. Sie sagt, damit habe sie überhaupt nicht gerechnet. Weil sie mit Jan nicht gerechnet hat. Sein Ruf als Ladykiller war ja schließlich legendär. Trotzdem kann ich sehen, dass sie sich ehrlich darüber freut, dass wir zueinander gefunden haben.
"Dann haben wir jetzt wirklich bei fast jeder größeren Feier ein neues Paar dazu bekommen", sagt sie grinsend und bestätigt damit, dass es zwischen Sylvia und Andy gestern Abend mächtig gefunkt hat.
Ich wusste, dass ich mich auf Manuela verlassen kann. Sie sagt tatsächlich kein einziges Wort über uns zu den anderen, macht keinerlei Andeutungen und verrät uns auch sonst nicht. Alles ist wie immer und ich glaube nicht, dass irgendjemand Verdacht schöpft. Jedenfalls gibt es dafür keine Anzeichen.
Als es später ruhiger wird und die meisten schon weg sind, setzt sie sich neben mich auf den Steg, lässt ebenfalls die Beine herunterbaumeln und sagt: "So Dennis. Jetzt war ich den ganzen Tag lang so tapfer und schweigsam, jetzt musst Du mir endlich ein paar Einzelheiten erzählen. Bitte, bitte, bitte."
Ich berichte ihr lächelnd, dass ich schon lange in Jan verknallt gewesen war, und wie wir uns letztendlich beim Lagerfeuer gefunden haben. Unsere verkorkste Kuss-Geschichte von vorher lasse ich aus. Die geht außer uns beiden niemanden etwas an.
Jedenfalls freut sie sich riesig mit mir darüber, dass Jan und ich jetzt zusammen sind, und ich kann überhaupt nicht aufhören zu grinsen wie ein gehirnamputierter Idiot.
"Lass mich raten", sagt sie. "Deshalb hast Du auch so komisch reagiert, als ich gefragt habe, wer hinter Deiner Verwandlung steckt, nicht wahr? Oder als ich gesagt habe, ich würde Dir auch auf die Sprünge helfen. Oh Mann, wie konntest Du Dich da überhaupt noch beherrschen? Ich hätte mich nicht mehr eingekriegt."
"Das war echt schwierig, das kannst Du mir glauben. All die Sprüche und Andeutungen, die Ihr immer wieder gemacht habt. Weißt Du noch, dass Du mich mal gefragt hast, wie es ist, mit 18 noch mal einen Bruder zu bekommen?"
"Naja, 'Bruder'...", sagt sie.
Ich grinse. "Ehrlich gesagt, 'brüderlich' ist was anderes."
"Keine Einzelheiten bitte." Sie winkt hektisch ab.
"Keine Sorge. Ich kann mich beherrschen", sage ich und stippe meinen großen Zeh ins Wasser.
"Wann wollt Ihr es den anderen denn sagen? Ihr wollt es ihnen doch sagen, oder?" Sie stellt genau die Frage, deren Beantwortung ich bisher noch erfolgreich vor mir her schiebe. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich vor einer größeren Runde outen soll, und werde alleine bei dem Gedanken daran schon nervös. Bisher ist alles so gut verlaufen, dass ich immer größere Angst vor dem Moment bekomme, an dem ich auf jemanden mit weniger Verständnis stoße.
"Ich weiß noch nicht", sage ich wahrheitsgemäß.
"Und was wollt Ihr machen, wenn die Schule wieder anfängt? Wollt Ihr es dann auch noch geheim halten? Ich glaube, ich könnte das nicht."
"Ich glaube auch nicht, dass ich das kann", sage ich und drehe mich kurz zu Jan um, der mit Andy und Sylvia redet, die auch gerade ihre Sachen packen. Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht können.
Schließlich sind wir vier alleine und Jens und Jan kommen zu uns auf den Steg. Jens setzt sich neben Manu und legt ganz selbstverständlich den Arm um sie. Jan kommt zu mir und als er sich neben mich setzt, nehme ich seine Hand. Jens sieht uns an, schüttelt mit einem nachdenklichen Lächeln den Kopf und sagt: "Daran muss ich mich wohl erst noch gewöhnen."
"Vielleicht geht es so schneller." Jan grinst und legt den Arm um meine Schultern.
Dann sieht er mich an. "Na? Worüber habt ihr denn so geheimnisvoll gesprochen?"
Ich grinse frech. "Über Dich natürlich. Ich habe Manu gerade vorgeschwärmt, wie toll Du küssen kannst."
Er drückt mir prompt einen Kuss auf mein freches Grinsen und ich staune über mich selbst, dass ich das alles vor meinen Freunden wage. Aber ich bin total verliebt und dadurch, dass wir den beiden heute die Wahrheit gesagt haben, immer noch total euphorisch.
Auch wenn Jens bei unserem Anblick immer noch ein bisschen angestrengt wirkt, scheint er es wirklich akzeptieren zu wollen.
Kapitel 21 – Gute Freunde und Idioten
Jan ist bei der Arbeit und Manuela mit ihrer Schwester zum Shoppen gefahren. Ich nutze die Gelegenheit, mich mit Jens zu treffen und noch einmal mit ihm alleine und in Ruhe über die ganze Sache zu reden. Als wir in unserer Küche vor den Kaffeetassen sitzen, sage ich: "Das war für Dich ja bestimmt eine heftige Überraschung gestern."
Er grinst. "Kann man wohl sagen. Ich glaube, das war so ziemlich das Letzte, womit ich gerechnet habe. Allerdings - muss ich wohl ziemlich blind gewesen sein. Manu hat mich gestern Abend noch an ein paar Situationen erinnert, da hätte ich es durchaus sehen können. Aber durch den ganzen Mist mit Jans Eltern und dadurch, dass er jetzt hier wohnt, ist das überhaupt nicht aufgefallen."
"Und? Siehst Du mich jetzt irgendwie anders? Oder Jan?"
Jens überlegt kurz.
"Ja, natürlich. Ich sehe Euch zusammen", sagt er dann. "Sonst eigentlich nicht. Schließlich hat sich keiner von Euch über Nacht verändert. Bei Dino hatte ich damals irgendwie mehr Probleme. Als er sich geoutet hat, waren wir gerade mal fünfzehn oder sechzehn und ich hatte vorher überhaupt noch nichts mit Schwulen zu tun gehabt. Mir sagte das alles nichts und ich wusste gar nicht, was da los ist, was das wirklich bedeutet. Das war schon echt merkwürdig. Ich habe eine Zeit lang sogar darauf geachtet, ob er mich... na ja, komisch ansieht oder so. Ich kannte halt nur so ein paar blöde Sprüche und Gerüchte. Aber inzwischen ist es mir völlig egal, ob er auf Mädchen steht oder auf Jungs. Er hält damit auch nicht gerade hinterm Berg, wie Du vielleicht bemerkt haben solltest."
"Stimmt", grinse ich. "Er hat mich anfangs ganz schön angegraben."
"Typisch Dino", sagt Jens. "Dabei habe ich ihm noch eingeschärft, er soll die Finger von meinen Freunden lassen."
"Sagte jemand anders dann auch. Hat er am Ende ja auch. Aber später hatten wir noch eine nette Unterhaltung. Er hat Jan und mich übrigens sofort durchschaut. Als er 'Love is in the air' gespielt hat, hat er uns fast die ganze Zeit angesehen. Ich habe gedacht, ich sterbe."
"Und ich dachte, das wäre sein Kommentar zu Manu und mir gewesen."
Wir quatschen ziemlich lange. Nicht nur über Jan und mich, sondern über alles Mögliche. Er sagt mir auch, dass er am Anfang höllisch eifersüchtig auf mich war, weil ich mich so gut mit Manu verstanden habe. Er hat gedacht, ich schnappe sie ihm vor der Nase weg. Jetzt können wir uns darüber kringelig lachen. Ich gebe außerdem zu, dass ich ihn auf der Party mit Absicht ein wenig eifersüchtig gemacht habe, damit er es endlich schafft, ihr zu sagen, dass er sie mag.
Was ich an unserem Gespräch besonders angenehm finde, ist das völlige Fehlen von dummen Fragen oder das anstrengende Auslassen und Umkreisen des Themas. Ich schätze, das hat er schon alles erschöpfend mit Dino geklärt und ich ernte jetzt die Früchte seiner Vorarbeit. Im Geiste danke ich ihm dafür. Wenn wir uns noch mal wieder treffen sollten, muss ich es auch mit Worten tun.
Als Jan um vier von der Arbeit kommt, ist Jens immer noch da. Allerdings sind wir inzwischen ins Wohnzimmer gewechselt, wo wir MTV eingeschaltet haben und uns mit Hintergrundbeschallung aus der Glotze weiter unterhalten. Videos laufen ja ohnehin kaum noch, nur diese blöden Klingelton-Werbungen am laufenden Meter oder irgendeine Schund-Soap. Jan kommt rein, begrüßt Jens, küsst mich dann ganz selbstverständlich und verschwindet nach oben, um zu duschen. Im Moment hat er einen ziemlich staubigen Job im Archiv und ist entsprechend dreckig, wenn er nach Hause kommt. Wenn Jens nicht hier wäre, wäre ich jetzt natürlich zu ihm unter die Dusche geschlichen. Na ja, morgen ist auch noch ein Tag...
Während Jan duscht, koche ich noch einmal Kaffee und stelle Brötchen, Butter, Käse und Marmelade auf den Tisch. Dann frage ich Jens, der noch auf dem Sofa sitzt: "Kommst Du mit in die Küche? Du isst doch auch etwas mit?"
Er nickt und grinst: "Ich will die Hausfrau ja nicht enttäuschen."
"Blödmann." Ich knuffe ihn grinsend in die Seite, als er an mir vorbei geht.
"Echt", sagt Jens. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Ihr seid ein altes Ehepaar."
"Altes Ehepaar?", frage ich entgeistert und kann mich gerade noch beherrschen, ihn mit einigen pikanten Anekdoten vom Gegenteil zu überzeugen. Außerdem kommt jetzt Jan mit feuchten Haaren zurück in die Küche. Er sieht einfach unwiderstehlich aus und ich werfe ihm einen tiefen Blick zu. Bevor er sich hungrig zu uns an den Tisch setzt, umarmt er mich und küsst mich so intensiv und leidenschaftlich, dass Jens seinen Eindruck vom alten Ehepaar ziemlich schnell revidieren muss.
Wir mampfen Marmeladenbrötchen und Jan erzählt, dass er den ganzen Tag Akten geschleppt, sortiert und geschreddert hat. Obwohl die Tätigkeit nicht so besonders aufregend ist, hat er trotzdem immer noch Spaß daran, dort zu arbeiten, und dank der Ferienarbeitskollegen hat er so viele lustige Geschichten zu erzählen, dass ich beinahe ein bisschen eifersüchtig werde, weil er jetzt so viel Zeit mit denen verbringt und so wenig mit mir.
Jens' Handy unterbricht uns mit seinem Gepiepse. Es ist natürlich Manu. Sie ist inzwischen fertig mit dem Powershopping und will jetzt unbedingt Jens ihre neuesten Errungenschaften vorführen. Allein diese Andeutung genügt, um ihn zum Aufbruch zu bewegen.
Als er sich verabschiedet, sagt er augenzwinkernd zu mir: "Ich glaube, sie wollte auch Unterwäsche kaufen."
Jetzt weiß ich, warum er es plötzlich so eilig hat...
Als wir danach allein sind, gibt Jan sich alle Mühe, meine Eifersucht gegenüber seinen Kollegen zu zerstreuen. Er ist so sanft und zärtlich und flüstert mir unglaublich süße Dinge ins Ohr, so dass ich sicher bin, mir wirklich keine Gedanken machen zu müssen.
"Du könntest ja auch mal neue Unterwäsche kaufen, damit ich was anzuschauen habe", wispert er und haucht mir kleine Küsse auf den Hals.
"Das kannst Du auch so haben", flüstere ich. Ich trete einen Schritt zurück und beginne, mich langsam, Stück für Stück, auszuziehen. Er sieht mich dabei ganz genau an. Dann winkt er mich mit einer kleinen Bewegung zu sich.
Er nimmt mich in den Arm, zieht mit seinem Finger langsam meine Augenbraue nach und sagt leise: "Du bist so unheimlich süß, Denny. Weißt Du das eigentlich?" Er scheint darauf keine Antwort zu erwarten.
Dann küsst er mich wieder und zieht mich langsam auf das Bett. Ich ziehe ihn langsam und genüsslich aus, küsse jede Stelle, die ich freilege, und knabbere an seiner Haut. Genießerisch schließt er die Augen und lässt sich von mir verwöhnen. Dann dreht er sich langsam auf den Bauch...
Jans zweite Arbeitswoche, die erste nach unserem Outing bei Jens und Manuela, verfliegt nur so und schon ist wieder Freitag. Heute Abend wollen wir ins Kino. Da war ich schon ewig nicht, denn meistens läuft nicht so viel, was mich interessiert. In diesem speziellen Fall ist der Film natürlich nur zweitrangig. In erster Linie geht es darum, mit Jan dort im Dunkeln zu sitzen und vielleicht ein bisschen heimlich herumzuknutschen.
Wir haben überlegt, danach noch irgendwo etwas trinken zu gehen und dann nicht allzu spät nach Hause zu fahren, schließlich ist morgen schon wieder Party angesagt. Die freiwillige Feuerwehr gibt ihre berühmt-berüchtigte Sommerparty und wahrscheinlich werden wir dort auch Jens' Nachbarn wieder treffen. Ich freue mich schon darauf, mal wieder mit Dino reden zu können und ihm ein Update zu geben.
Jan kommt nach Hause und verschwindet nach einem langen Begrüßungskuss unter der Dusche. Ich lasse ihn erst einmal alleine ins Bad gehen und schlüpfe erst durch die Tür, als ich das Wasser rauschen höre. Eigentlich wollte ich gleich zu ihm unter die Dusche steigen, aber was ich da sehe, lässt mich einen Moment innehalten.
Jan steht mit dem Rücken zu mir in der Glaskabine und seift mit langsamen Bewegungen seinen Traumkörper ein. Dann stellt er sich unter den Wasserregen und legt den Kopf in den Nacken, seine Augen sind dabei geschlossen. Ich beobachte, wie das Wasser an ihm herunter läuft und den Schaum von seinem wunderbaren, breiten Rücken abspült. Er kriecht über seinen Knackpo, von dort an seinen Beinen herunter und verschwindet schließlich im Ausguss.
Ich könnte stundenlang dabei zusehen, aber der Wunsch ihn zu berühren wird schließlich so groß, dass ich rasch meine Sachen ausziehe und zu ihm unter die Brause steige. Er dreht sich zu mir um und lächelt. Seine seifigen Hände gleiten langsam über meine Brust und das allein genügt schon, dass nicht nur meine Brustwarzen hart werden.
Jan sieht an mir herunter und lächelt wieder, denn ihm geht es natürlich nicht anders. Er küsst meine Halsbeuge und seine warmen, nassen Hände gleiten weiterhin über meinen Körper. "Hast Du ein Kondom hier?", fragt er leise mit den Lippen an meinem Hals, so dass ich eine ziemlich heftige Gänsehaut bekomme. Ich schüttle den Kopf. Reden kann ich im Moment gerade nicht.
"Okay", flüstert er in mein nasses Ohr. "Dann müssen wir uns das für später aufheben. Aber das macht ja nichts." Er nimmt noch ein bisschen Duschgel auf seine Hand, schäumt es ein bisschen auf und mein Herzschlag beschleunigt sich deutlich. Dann gleiten seine seifigen Hände langsam an mir herunter. Ich lehne mich gegen die Fliesen und lasse ihn mit mir tun, was er will...
Aber auch er geht natürlich nicht leer aus. Daher sind wir ziemlich aufgeweicht, als wir endlich aus der Dusche steigen. Er wickelt uns beide zusammen in ein riesiges Badetuch und küsst mich sanft, während er uns zusammen abtrocknet. Sogar beim Anziehen können wir kaum die Finger voneinander lassen, so dass es ziemlich lange dauert, bis wir endlich fertig sind, um in die Stadt zu fahren.
Von dem Film bekommen wir beide nicht allzu viel mit, da wir die ganze Zeit damit beschäftigt sind, ausgiebig herumzuknutschen. Ich bin immer noch total aufgedreht von unserer kleinen Duschnummer eben. Das Kino ist nahezu leer - kein Wunder, denn draußen ist ein absolutes Traumwetter und alle hocken in den Biergärten und Straßencafés. Wir sitzen ganz alleine in einer der letzten Reihen und nutzen die Gunst der Stunde.
Bereits als das Licht für den Vorfilm ausgeht, schiebt sich Jans Hand immer weiter mein Bein hinauf und als mich zu ihm drehe, um mich darüber zu beschweren, verschließt er meine Lippen mit einem Kuss, bevor ich überhaupt etwas sagen kann.
Selbst im Dunklen kann ich sehen, wie seine Augen leuchten, als er sich wieder von mir trennt und mich ansieht. Anstatt sich wieder in seinem Sessel zurück zu lehnen, legt er seine Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich. Und schon spüre ich wieder seine weichen, warmen Lippen auf meinen. Mein Herz klopft wie verrückt und ich fühle mich total beobachtet, trotzdem öffne ich meine Lippen ein wenig und lasse seine Zunge mit meiner spielen. Kurze Zeit später werfe auch ich meine Hemmungen über Bord.
Als das Licht wieder angeht, lösen wir uns nur widerwillig voneinander und blinzeln ein paar mal, um uns wieder an die Helligkeit zu gewöhnen. Jan grinst mich an und nimmt meine Hand, während wir den Kinosaal verlassen.
Wir schweben auf Wolke Sieben aus dem Kino in die laue Abendluft hinein und werden jäh in die Wirklichkeit zurückgeholt, als ich einen derben, schmerzhaften Schlag in die Rippen bekomme und mir jemand "Widerliche Schwuchtel!" ins Ohr zischt.
Vor lauter Schreck lasse ich Jans Hand los, so dass er sich erstaunt zu mir umsieht, weil er das gar nicht mitbekommen hat.
Plötzlich stehen sie zu dritt um mich herum und trennen mich von ihm. Da ist dieser Typ mit dem kantigen Gesicht, der mich gerammt hat, außerdem seine zwei Kumpels, die mir nicht weniger gefährlich erscheinen. Sie nehmen mich in die Mitte und schubsen mich hin und her, während sie mir ekelhafte Sprüche zuzischen. Es ging alles so schnell, dass ich gar nicht weiß, wie ich überhaupt in diese Situation kommen konnte.
Meine gesamten Innereien ziehen sich krampfhaft zu einem harten Klumpen zusammen und mir steigen vor Angst Tränen in die Augen. Aber ich werde ihnen auf keinen Fall die Genugtuung geben und anfangen zu heulen.
"Was wollt Ihr denn von mir?", frage ich sie. "Habe ich Euch irgendwas getan?"
Aber die wollen nicht reden, die wollen etwas ganz anderes. Ich habe eine abartige Angst, dass sie mich jeden Augenblick zusammenschlagen. Ich will das nicht. Ich will hier weg! Wo ist eigentlich Jan geblieben? Er war doch gerade noch bei mir. Warum um alles in der Welt lässt er mich hier mit diesen Deppen alleine?
"Solche wie Dich wollen wir hier nicht, Du dreckiger Schwanzlutscher", sagt einer von ihnen gerade, und boxt mir mit seiner Faust vor den Brustkorb, so dass ich keuchend ausatme. Ich halte mir die Arme vor den Körper und versuche ihre Schläge so abzuwehren, aber leider nur mit mäßigem Erfolg. Wenn ich bloß nicht so eine panische Angst hätte. Ich kann gar nicht mehr klar denken. Vielleicht sollte ich irgendetwas sagen, doch noch versuchen mit ihnen zu reden. Oder vielleicht sollte ich besser versuchen wegzulaufen? Zitternd sehe ich von einem zum anderen, wie sie mich drohend umkreisen und ich befürchte, dass jetzt wirklich mein letztes Stündlein geschlagen hat.
Dann ist Jan plötzlich wieder da, schiebt einen der Kerle mit Nachdruck zur Seite, nimmt meine Hand und zieht mich aus ihrer Mitte heraus. Er legt seine Arme um mich, sieht sie eisig an und sagt: "Verpisst Euch. Lasst uns in Ruhe."
"Und wenn nicht?", fragt der Typ drohend und stemmt die Arme angriffslustig in die Hüften. "Läufst Du dann weinend zu Mami? Oder haut uns dann Deine kleine Freundin?" Damit meint der Drecksack mich. Ich kann mich nicht mal wehren, so fertig bin ich.
"Nein! Dann gibt's hier gleich mal richtig großen Ärger!", höre ich plötzlich Jens' Stimme hinter mir. Als ich mich in seine Richtung drehe, sehe ich, dass auch Manu und zwei von Jens' Nachbarn dabei sind, die ich vom Lagerfeuer kenne. Sie bauen sich neben uns auf und plötzlich steht es sechs zu drei und auch wenn diese Deppen nicht weiter als bis drei zählen können, ist es offensichtlich, dass sie keine Chance mehr haben.
"Wir hauen ab", sagt der Anführer zu den anderen und sie drehen sich tatsächlich um und gehen.
"Wir sehen uns wieder, Schwanzlutscher", sagt einer von ihnen noch großspurig über die Schulter, als sie sich zurückziehen, und spuckt uns vor die Füße.
"Keine Angst, Hunde, die bellen, beißen nicht", sagt Jens' rothaariger Nachbar und klopft mir aufmunternd auf den Arm, aber dadurch fühle ich mich nicht besser. Im Gegenteil, ich fühle mich total elend. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals eine solche Angst gehabt.
"Und der Köter da hinten hat ganz schön laut gekläfft", bestätigt Jens.
Jan zieht mich fest in seine Arme. Ich zittere immer noch am ganzen Körper.
"Wo warst Du denn auf einmal?", flüstere ich und kann die Tränen kaum noch zurückhalten. "Du warst auf einmal weg. Ich hab gedacht..."
"Tut mir Leid", sagt er. "Ich habe Jens gesehen und ihn zu Hilfe geholt. Ich lass Dich doch nicht alleine. Ich hau doch nicht einfach ab. Was denkst Du denn?"
Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich vor allen Leuten. Ich bin völlig durch den Wind, bibbere immer noch wie Espenlaub und klammere mich an ihn. Ich kann ihn einfach nicht mehr loslassen.
"Jetzt ist es vorbei", flüstert er und auch Manu legt den Arm über meine Schultern.
"Keine Sorge, Dennis. Die Typen sind weg", sagt Jens.
"Das sind doch alles feige Schweine", mosert der Rothaarige. "Lass Dich davon bloß nicht ins Bockshorn jagen."
Die haben alle gut reden. Sie haben ja nicht zwischen den Schlägertypen gestanden und sich von denen hin und her schubsen lassen. Von dem ganzen Mist, den sie geredet haben, habe ich zum Glück nur die Hälfte mitbekommen. Meine Hände zittern immer noch, sobald ich Jans T-Shirt, in das ich mich gekrallt habe, loslasse. Scheiße! Mit so etwas habe ich überhaupt nicht gerechnet.
"Bist Du okay?", flüstert Jan und ich antworte zittrig: "Es geht schon wieder", was glatt gelogen ist. Er streicht mir das Haar aus der Stirn und sieht mich kritisch an. Ich bemühe mich, wirklich okay auszusehen und irgendwann ist meine Darstellung wohl gut genug, so dass er es mir abnimmt. Ich will ja nicht wie eine Heulsuse dastehen, obwohl mir jetzt genau nach Heulen ist. Wie jämmerlich ich bin. Jan hat so einen Terror zu Hause jahrelang durchgestanden und ich werde schon fast ohnmächtig, wenn ich dem nur ein paar Minuten ausgesetzt bin.
Wir verwerfen unseren Plan, alleine wegzugehen, dazu sind wir jetzt beide viel zu aufgewühlt, und schließen uns stattdessen den anderen an. Mir ist das sehr lieb, denn der Gedanke, dass diese Schläger wieder auftauchen, wenn wir später vielleicht alleine in der Stadt unterwegs sind, lässt mir keine Ruhe.
Die anderen beiden Jungs, Jens' Nachbarn, heißen Niklas und Torsten. Torsten ist der Rothaarige, der Dino beim Lagerfeuer gesagt hat, er solle aufhören mit mir zu flirten, und tatsächlich scheint keiner von beiden etwas Ungewöhnliches daran zu finden, dass Jan und ich zusammen sind. Im Gegenteil, sie regen sich immer noch sehr heftig über diese drei Volldeppen auf. Da hat der gute Dino offensichtlich in Sachen Schwulenbewegung wirklich ganze Arbeit geleistet.
Obwohl wir im Laufe des Abends über alles Mögliche quatschen und auch viel lachen, geht mir die Sache von vorhin nicht aus dem Kopf. Machen wir uns doch nichts vor, es wird immer wieder Idioten geben, die versuchen werden, uns klein zu kriegen. Das hat sogar Dino gesagt und er scheint deutlich mehr Erfahrung zu haben als wir.
Das heißt dann wohl, dass ich mich darauf einstellen muss, ohne besonderen Grund angefeindet werden zu können, urplötzlich im Mittelpunkt einer solchen Hetze zu stehen oder auch nur blöd angemacht und beschimpft zu werden. Klar wusste ich auch vorher schon, dass es so etwas gibt, aber da war es noch graue Theorie. Jetzt, mit der praktischen Erfahrung, hat dieses Wissen eine neue Dimension angenommen. Und das ist keine besonders angenehme Aussicht. Im Klartext: Ich habe Schiss! Selbst jetzt und hier.
Will ich das wirklich? Immer mit so etwas rechnen müssen, ständig auf der Hut sein, weil jede Unachtsamkeit einen Aufenthalt im Krankenhaus oder noch Schlimmeres bedeuten kann? Oh Mann, so hatte ich mir das echt nicht vorgestellt. Ein bisschen Gegenwind ist eine Sache, das kann ich bestimmt aushalten. Blöde Sprüche tun niemand weh. Aber meine Rippen, die tun es jetzt schon.
Was, wenn mal niemand in der Nähe ist, der uns zur Hilfe eilt. Was, wenn die anderen wirklich mal in der Überzahl sind? Was, wenn es beim nächsten Mal nicht gut ausgeht?
Und was ist mit Jan? Nachdem er jahrelang von seinem Alten die Hucke voll bekommen hat und endlich da raus ist, soll er sich jetzt alle Nase lang von solchen Volltrotteln vermöbeln lassen? Nein, das geht gar nicht. Es ist auf jeden Fall sicherer, demnächst in der Öffentlichkeit nicht mehr so unbedarft miteinander umzugehen. Es muss ja nicht unbedingt jeder wissen, was zwischen uns läuft. Das heißt ja nicht, dass wir uns weniger lieben.
Jan legt unter dem Tisch die Hand auf mein Bein und streichelt sanft darüber. Er sieht mich an und lächelt: "Hör auf zu grübeln, Denny", sagt er leise. "Das waren nur ein paar Idioten. Willst Du Dich von denen fertig machen lassen?"
Ich schüttle den Kopf. Nein, das will ich nicht. Aber passiert ist es trotzdem.
"Komm mal her", sagt er leise und legt den Arm um mich. Er drückt mich und ohne großartig darüber nachzudenken, lehne ich mich an ihn. Aber nur ganz kurz, denn dann fällt mir ein, dass uns hier jeder sehen kann. Und dass das, was wir hier tun, für viele Leute nicht normal ist. Ich nehme seinen Arm und ziehe ihn wieder herunter.
"Lass mal lieber", sage ich leise zu ihm und versuche, sein enttäuschtes Gesicht zu ignorieren. Klar tut es mir Leid, aber ich kann das heute einfach nicht. Vielleicht kann ich es gar nicht mehr.
Kapitel 22 – Wir kommen raus
Jan und ich haben in der letzten Nacht noch lange über das gesprochen, was nach dem Kino passiert ist. Auch wenn er wirklich versucht hat, mir meine Angst zu nehmen und mir gesagt hat, dass er immer zu mir hält, ist doch irgendwo in meinem Inneren ein komisches Gefühl zurück geblieben. Ich würde ihm so gerne glauben, dass das nur ein Zwischenfall war, dass so etwas nicht ständig passiert und dass wir uns auch in Zukunft einfach frei bewegen können, aber ich kann nicht.
Den ganzen Tag über bin ich irgendwie nervös und rastlos. Sogar meine Eltern haben das bemerkt und gefragt, was los ist. Ich habe gesagt, es sei nichts. Ich will das mit ihnen nicht diskutieren. Ich weiß ja selbst noch nicht genau, wo es lang geht. Außerdem möchte ich nicht, dass sie sich Sorgen machen. Stattdessen habe ich mit Simon telefoniert, als Jan unter der Dusche war, und ihm davon erzählt. Er meinte, ich solle mich von meiner Angst bloß nicht unterkriegen lassen und nicht zulassen, dass solche Idioten bestimmen, was richtig ist und was nicht. Dann erwähnt er noch seinen dunkelhäutigen Studienkollegen, der auch schon einmal derbe angemacht wurde.
"Was soll der denn wohl tun?", fragt er. "Sich weiß anmalen? Wohl kaum. Außerdem sehe ich es nicht ein, dass man alles verstecken soll, was diesen Deppen nicht gefällt. Warum sollen die bestimmen, wie unser Land aussieht? Jeder sollte so sein dürfen, wie er ist. Bitte, Denny, lass Dich nicht von denen verbiegen."
Ich weiß, dass er Recht hat. Jan hat ungefähr das gleiche gesagt und auch da wusste ich schon, dass es stimmt. Ich weiß auch, dass ich nicht alleine bin. Dass ich ihn habe und dass ich Freunde und Familie habe, auf die ich mich verlassen kann. Aber ich fühle mich trotzdem, als müsse ich ständig auf dem Sprung sein, immer aufpassen, wer sich gerade in meiner Nähe aufhält. Zu Hause ist das kein Problem, da bin ich ja sicher und weiß das auch. Aber sobald ich raus komme, ist diese Panik wieder da.
Besonders krass ist es, als wir nachmittags kurz in die Stadt fahren, um ein bisschen shoppen zu gehen. Jan braucht dringend noch etwas für die Party. Ich habe ständig den Eindruck, dass wir verfolgt werden oder dass in jeder Nebenstraße jemand auf uns lauert. Meine Hände sind feucht und mein Herz klopft wie irre. Am liebsten würde ich gleich wieder nach Hause fahren und mich dort einschließen.
Auf dem Weg vom Parkplatz in die Fußgängerzone machen wir auf meinen Wunsch sogar einen Umweg, um nicht durch die schmalen Seitengassen gehen zu müssen. Es ist wirklich grausig. Ich sehe mich ständig um, weil ich denke, wir werden verfolgt, und bei jedem ungewohnten Geräusch zucke ich zusammen wie ein hypernervöses Rennpferd. Dabei halten wir uns nicht mal an den Händen oder so etwas. Wir gehen ganz normal nebeneinander, niemand käme auch nur im Geringsten auf die Idee, dass wir mehr sind als einfach nur Freunde.
"Dennis", sagt Jan irgendwann zu mir. Bisher haben wir es noch nicht mal ganz bis in die Fußgängerzone geschafft. "Hör auf, in jede Gasse zu starren. Es versteckt sich doch nicht hinter jeder Ecke ein Schläger. Hier ist niemand."
"Könnte aber", sage ich kurz angebunden, weil ich befürchte, sonst zu überhören, wenn sich jemand nähert. Hektisch sehe ich mich um.
"Willst Du Dich zu Hause einschließen und verstecken?"
"Am liebsten ja."
"Für immer?"
"Nein. Nicht für immer. Aber erstmal. Zumindest bis... Ach, eigentlich will ich das überhaupt nicht."
Er hält mir die Hand hin und sieht mich abwartend an, aber ich lege meine nicht hinein.
"Jan, ich glaube, das ist keine gute Idee", sage ich. "Wir müssen es doch nicht immer und überall so demonstrativ zeigen. Ich meine, es ist doch nicht schlimm, wenn nicht jeder sofort sieht, dass wir zusammen sind, oder?"
Er antwortet nicht und steckt die Hand einfach wieder in die Tasche. Dann geht er einfach weiter, er schaut nicht mal, ob ich nachkomme. Ich beeile mich, ihm zu folgen, weil ich nicht allein dort stehen bleiben und als Zielscheibe dienen will.
Na toll, jetzt fühle ich mich auch noch wie ein Arsch. Das war natürlich nicht die Reaktion, die er haben wollte. Er wollte, dass ich zu ihm stehe, dass ich mich nicht feige zurückziehe. Ich bin echt ätzend. In der letzten Woche hätte ich noch die ganze Welt umarmen und jedem erzählen wollen, wie verliebt ich in ihn bin, und jetzt falle ich ihm in den Rücken. Ich könnte heulen.
Jan läuft immer noch schweigend neben mir her. Ich weiß nicht, ob er es mir wirklich übel nimmt, dass ich so eine schreckliche Angst habe, dass ich mich am liebsten verstecken würde, aber es ist ziemlich offensichtlich, dass er sich Sorgen macht. Das tue ich auch, allerdings wohl in einer etwas anderen Art als er. In knapp einer Woche fängt die Schule wieder an. Es ist unser letztes Jahr dort und ich habe keine Lust, mir meine Abi-Noten zu versauen, weil ich mich ständig gegen irgendwelche idiotischen Anfeindungen von Schulkameraden wehren muss.
Ich habe auch schon ein paar Kandidaten für dumme Sprüche parat. Ingo, unser Proll vom Dienst, und seine Speichellecker zum Beispiel. Für die wären wir ein gefundenes Fressen, davon kann man ausgehen. Aber auch in den Jahrgängen unter uns gibt es ein paar Exemplare, von denen ich Ärger erwarten würde. Echt, darauf kann ich verdammt gut verzichten. Da ist es vielleicht doch besser, wenn wir in der Schule nichts von unserer Beziehung durchblicken lassen. Ich fürchte nur, dass Jan das nicht besonders gut finden wird.
Ich werfe einen Seitenblick auf Jan. Er sieht mich an und weiß, was in mir vorgeht, das spüre ich. Ich spüre auch, dass ER komischerweise keine Angst hat, aber die hätte ich vielleicht auch nicht, wenn ich seine Statur hätte. Er kann sich notfalls wehren, auch gegen zwei von den Typen - aber ich? Ich habe denen doch nichts entgegen zu setzen.
"Hey", sagt er leise und berührt kurz meine Hand. Ich ziehe sie reflexartig weg.
"Warte mal bitte, Denny", sagt Jan und bleibt stehen.
"Was denn?" Ich halte ebenfalls an.
"So geht das nicht. Mach Dir doch nicht solche schrecklichen Sorgen. Wie willst Du denn leben, wenn Du ständig Angst hast?"
"Keine Ahnung", sage ich. "Aber wie soll ich das vergessen? Verrat mir das mal. Die können jederzeit wieder auftauchen. Oder andere Deppen, die auch nicht besser sind. Von denen gibt es mehr als genug. Soll ich denen einfach treudoof in die Arme laufen und mich vermöbeln lassen?"
Allein bei dem Gedanken daran fange ich schon wieder an zu zittern und merke, wie mir das Wasser in die Augen steigt. Ich gebe zu, dass ich mich gerade ein bisschen hineinsteigere. Ich merke das sogar selbst, aber aufhören kann ich damit trotzdem nicht. Ich atme hektisch und kämpfe mit den Tränen.
"Denny", sagt er leise und zärtlich. "Bitte nicht weinen, sonst muss ich Dich hier und jetzt in den Arm nehmen. Und ich weiß nicht, ob ich Dich dann überhaupt jemals wieder loslassen kann."
Blöderweise treiben seine Worte mir noch mehr Wasser in die Augen. Ich will doch nur mit ihm zusammen sein. Immer und überall. Ich will mich doch gar nicht verstecken! Seine Arme um mich herum sind plötzlich das, was ich am allermeisten will.
"Bitte tu's einfach", flüstere ich und dann tut er es wirklich. Wir stehen einfach da und er hält mich ganz fest. Ich muss alle meine Kräfte aufbringen, um nicht doch noch in Tränen auszubrechen. Seine Nähe und seine Wärme sind so tröstlich. Er ist so stark. Und ich liebe ihn so sehr! Hoffentlich ist meine Liebe auch groß genug, um meine Angst dauerhaft zu besiegen.
Trotz meiner Besorgnis behalte ich seine Hand tapfer in meiner, als wir weitergehen. Die meisten Leute, die uns begegnen, bemerken gar nichts. Nur einige starren uns an, ein paar von ihnen ablehnend, andere sogar lächelnd. Ich versuche, sie alle zu ignorieren, weil ihr Urteil mich nicht interessiert. Nein, ich will mich von denen nicht unterkriegen lassen! Dann hätten diese Pissnelken gewonnen.
Als wirklich nichts passiert, während wir weiter Hand in Hand durch die Stadt schlendern, lässt meine Nervosität ein kleines bisschen nach. Ich bin weit entfernt von meiner früheren Unbedarftheit, aber es wird etwas besser, so dass ich mich dann auch tatsächlich aufs Einkaufen konzentrieren kann.
Wir suchen und finden ein ziemlich scharfes Shirt für Jan, das er sich von seinem ersten Lohn gönnt. Es ist so ein ärmelloses Teil, das seine wunderschönen, muskulösen Oberarme ganz hervorragend zur Geltung bringt. Es ist schwarz mit einem silbernen Herumgeschnörkel auf der Brust und er sieht einfach sensationell darin aus! Das Allerbeste daran ist aber, dass sein Anblick in diesem Teil mich so sehr ablenkt und auf andere Gedanken bringt, dass ich den ganzen Mist mal für eine Weile vergessen kann.
Natürlich wird er es gleich heute Abend zur Party anziehen und ich freue mich jetzt schon darauf, dort mit ihm anzugeben, auch wenn niemand außer Jens und Manuela weiß, dass ich es tue.
Die Sommerparty findet in der Fahrzeughalle der freiwilligen Feuerwehr statt. Natürlich müssen die Einsatzfahrzeuge in dieser Zeit einsatzbereit draußen auf dem Hof parken, schließlich wäre es ja möglich, dass sie währenddessen für einen Notfall gebraucht werden. Diejenigen Feuerwehrleute, die Bereitschaftsdienst haben, feiern natürlich trotzdem mit, halten sich aber an Cola und Wasser, um im Falle eines Falles trotz der Party rasch ausrücken zu können.
Die Werkzeugschränke sind hinter dunklen Stellwänden verschwunden und die grelle Deckenbeleuchtung wurde gegen eine Party-Lichtanlage getauscht. An einer Seite des Raumes sind Tische und Bänke aufgebaut und auf der anderen Seite befindet sich die Tanzfläche. Der DJ, der seine Anlage in einer Ecke aufgebaut hat, wippt unter seinem Kopfhörer und fummelt an den Knöpfen seiner Anlage. Die Musik, die er auflegt, ist jedenfalls nicht verkehrt.
Als wir hineinkommen, winkt uns Manuela sofort zu, sie und Jens haben bereits einen Tisch für die ganze Bande gesichert. Wir versorgen uns mit Getränken und setzen uns zu ihnen. Die anderen trudeln nach und nach ein. Wie schon vermutet, sind Jens' Nachbarn auch hier und setzen sich später ebenfalls zu uns. Torsten fragt zwar nicht direkt, wie ich mit der Situation zurecht komme, aber er kommt kurz zu mir und fragt, ob alles klar ist.
"Ja, geht soweit", antworte ich ebenfalls sehr kurz. Natürlich finde ich es nett, dass er fragt, aber ich habe Sorgen, dass uns jemand zuhören könnte, daher möchte ich das nicht jetzt ausdiskutieren. Dino ist heute Abend leider nicht da, mit dem hätte ich gern noch mal ein paar Worte gewechselt. Er ist so etwas wie ein Verbündeter für mich und ich hätte gerne mal gewusst, ob ihm auch schon mal etwas Ähnliches passiert ist und wie er es schafft, so locker damit umzugehen.
Es ist insgesamt aber ein richtig lustiger Abend und der DJ heizt uns mächtig ein. Vor lauter Tanzen kommen wir kaum dazu, viel zu trinken, geschweige denn zu reden. Mir ist das sehr recht, denn so kann ich mir die üblen Gedanken aus dem Kopf powern, die mich seit gestern hartnäckig verfolgen. Dieses Mal gibt mir Jan beim Tanzen keinen Korb, das finde ich schon mal ziemlich genial.
Zu fortgeschrittener Stunde, als wir gerade mal alle am Tisch sitzen, eröffnet der DJ die unvermeidliche Kuschelrunde. Unsere Pärchen streben logischerweise sofort zur Tanzfläche. Sylvia bringt sogar Andy, der sonst in seiner Tanzverweigerung Mark kaum nachsteht, dazu, sich mit ihr eng umschlungen auf die Tanzfläche zu stellen, denn 'tanzen' kann man das, was die beiden da tun, wirklich nicht nennen. Wieso sind wir nicht wie die? Dann könnten wir jetzt auch da rüber gehen und uns eng umschlungen auf die Tanzfläche stellen.
Ich bin jetzt schon ein bisschen neidisch darauf, dass sie das einfach so tun können, denn ich hätte auch nichts dagegen, mich jetzt ein bisschen von Jan in den Arm nehmen zu lassen. Aber daran ist natürlich nicht zu denken.
Da diese Art der Musik momentan so gut ankommt, legt der DJ noch mal nach. Wir am Tisch Verbliebenen haben leichte Schwierigkeiten das Gespräch in Gang zu halten, während derart schmachtende Klänge die Luft füllen. Als dann tatsächlich auch noch "Chasing Cars" von Snow Patrol gespielt wird, was zurzeit mein absoluter Dahin-Schmelz-Song ist, kriege ich fast die Krise. Ich darf gar nicht daran denken, wie oft ich zu dieser wunderschönen Musik schon mit Jan auf meinem Bett gelegen und gekuschelt habe, sonst laufe ich sofort ganz fürchterlich rot an.
Sehnsüchtig sehe ich wieder einmal zu den anderen herüber, dann kann ich es nicht mehr aushalten und wende den Kopf ab. Dabei bleibe ich an Jans Augen hängen, die mich über den Tisch hinweg geradewegs ansehen. Er weiß wieder einmal genau, was ich jetzt denke, das sehe ich. Ein winziges Lächeln umspielt seine Lippen und er nickt fragend mit dem Kopf und formt lautlos die Worte: "Willst Du?", während seine Augen zur Tanzfläche weisen.
Mein Herz beginnt von jetzt auf gleich so laut zu hämmern, dass ich kaum noch die Musik hören kann. Auch wenn ich beinahe spüren kann, wie die Röte in meinem Gesicht aufsteigt, nicke ich langsam und mit einer winzigen Bewegung. Er streckt mir über dem Tisch offen seine Hand entgegen und ich lege meine hinein, während wir uns lächelnd in die Augen sehen. Unter den fragenden und teilweise fassungslosen Blicken der anderen folge ich ihm auf die Tanzfläche, ohne dass er meine Hand loslässt. Er dreht sich zu mir und schließt mich in die Arme.
"Ich bin so stolz auf Dich", wispert er in mein Ohr und seine Finger kitzeln kurz meinen Nacken. Ich laufe über vor Glück und zittere gleichzeitig vor Panik.
Jens grinst mich über Manus Schulter hinweg an und hebt hinter ihrem Rücken kurz den Daumen. Ich grinse tapfer zurück, obwohl ich das Gefühl habe, jeden Moment zu Staub zu zerfallen. Ich schließe die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie uns alle anstarren und lehne meinen Kopf an Jans Schulter an. Ich versuche zu vergessen, wo wir sind und dass ich eine Scheißangst davor habe, wenn dieses Lied nachher zu Ende geht. Stattdessen konzentriere ich mich nur auf Jan und den Song. "If I lay here, If I just lay here, Would you lie with me and just forget the world?" Oh ja, das würde ich! Das tue ich beinahe gerade.
Dann sind die drei Minuten Ewigkeit plötzlich vorüber und der Song endet. Es folgt wieder schnelles, tanzbares Material. Ich löse mich widerwillig aus Jans Armen und gelange langsam zurück in die Wirklichkeit, in der jetzt all unsere Freunde und auch alle anderen Gäste dieser Party wissen, was mit uns los ist. Morgen weiß es dann auch noch jeder andere, der uns kennt, und sicherlich auch eine Menge Leute, die uns nicht kennen, schätze ich.
Als wir zusammen mit den beiden anderen Pärchen zurück an den Tisch gelangen und uns hinsetzen, starrt uns zu meiner Verwunderung niemand direkt an, wie ich es erwartet hätte. Niemand sagt etwas dazu. Versuchen die uns zu ignorieren oder wollen sie uns nicht in Verlegenheit bringen? Ich weiß es nicht. Aber es macht mich nervös. Viel nervöser als wenn sie blöde Fragen stellen würden.
Als Mark dann etwas erzählt, dabei sehr künstlich lacht und ich außerdem bemerke, wie er meinem Blick mehrmals ausweicht, habe ich die Nase voll.
"Okay, das reicht", sage ich laut und mein Puls steigt in lebensbedrohliche Regionen. Ich ignoriere den leichten Schwindel und das Flimmern vor den Augen und rede weiter. "Nur damit Ihr alle Bescheid wisst und nicht wie wild herumspekulieren müsst, was das eben bedeuten sollte. Jan und ich sind schwul und wir sind zusammen. Und vor allem sind wir glücklich. Falls irgendjemand von Euch ein Problem damit hat, kann ich es nicht ändern."
Ich lege meinen Arm um Jan und sehe mit erhobenem Kopf in die Runde. So, jetzt müssen sie etwas dazu sagen!
Jan wirkt überrascht, weil er mit einer derartigen Ansage meinerseits wohl nicht gerechnet hat, legt dann aber seinen Arm ebenfalls um mich und streichelt mit einer kleinen Bewegung meinen Arm.
Manuela durchbricht das betretene Schweigen, das daraufhin am Tisch herrscht, und sagt: "Ist doch cool, oder? Wir haben bei jeder Party ein neues Pärchen dazu bekommen. Ich bin mal gespannt, was heute Nacht noch so passiert. Hey - Ihr könnt den Mund wieder zumachen! Oder gibt's da etwa wirklich irgendwo ein Problem?"
"Also ich verstehe das ganze Theater nicht", sagt Sandra. "Sind halt zwei Jungs zusammen. Na und?"
Andy nickt. "Sehe ich auch so. Also ich habe damit jedenfalls kein Problem."
Dafür bekommt er auch gleich einen Kuss von Sylvia, die schon bei Sandras Bemerkung ebenfalls zustimmend genickt hatte.
Nach und nach erholen sich auch die anderen von dem ersten Schrecken und auch wenn wir jetzt erst einmal einige blöde Fragen beantworten müssen, stelle ich fest, dass unsere Clique cool ist. Verdammt cool sogar! Ich glaube, jetzt sind mir sogar alle Schlägertypen und Stänkerer egal. Wenn diese Leute hier alle hinter uns stehen, kann uns nichts passieren.
Aus den Boxen kommt jetzt "Der Sommer unseres Lebens" von Sebastian Hämer. Wie passend...
Kapitel 23 – Besser geht’s nicht
"Zieh Deine Sachen aus", flüstert Jan leise in mein noch schlafendes Ohr und bevor ich richtig wach bin, hat er mich schon aus meinem T-Shirt und den Boxershorts geschält. Nackt, noch halb schlafend und völlig wehrlos liege ich neben ihm und das erste, das ich bewusst wahrnehme, sind seine warmen, weichen Hände, die über meinen Körper streicheln.
"Was machst Du denn da?", murmle ich verschlafen und versuche, die Augen zu öffnen. "Schhhh", macht er leise und ich spüre seinen Atem an meinem Hals. "Nicht aufwachen. Lass Dich einfach fallen." Er küsst meinen Hals, meine Schulter und meine Brust, während seine Hand warm und schwer auf meinem Bauch liegt. Er schiebt sie ganz langsam tiefer und ich stöhne leise. Ich schlafe noch zu sehr, um es verhindern zu können.
"Gefällt Dir das?", fragt er leise und schnurrend, während mich seine Fingerspitzen zärtlich kraulen. Ich kann nicht antworten und stöhne etwas lauter. Er verschwindet unter der Bettdecke und ich fühle, wie seine Zunge meine harte, empfindliche Brustwarze umkreist, während seine Hand bereits an einer ganz anderen, noch deutlich empfindlicheren Stelle angekommen ist.
Er küsst sich langsam abwärts, streichelt mich dabei überall und ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Dann fühle ich seine Lippen. Ich biege den Rücken durch und beiße mir auf die Unterlippe, um kein verräterisches Geräusch zu machen.
Als er sich kurz darauf wieder neben mich kuschelt, bin ich ziemlich außer Atem und völlig fertig, aber hellwach. Ich drehe ihm den Kopf zu, küsse ihn zärtlich und sehe in seine wunderschönen Augen.
"Habe ich Dich wach bekommen?", fragt er und kichert leise.
"Ja", hauche ich. "Kannst Du mich ab jetzt immer so wecken?"
"Das hättest Du wohl gerne..."
"Du nicht?"
"Ich bin doch schon wach."
"Dann stell Dich doch einfach noch mal schlafend", sage ich leise und küsse ihn. Dann bin ich derjenige, der unter der Bettdecke verschwindet. Das gestrige Ereignis wirkt offensichtlich wie eine Droge, die uns total euphorisch macht.
Trotz allem sind wir so früh auf, dass wir meinen Eltern das Frühstück machen können. Während wir noch in der Küche herumalbern und uns gegenseitig bei der Arbeit behindern, kommen sie vom Kaffeeduft angelockt herunter, ebenfalls herumturtelnd, so als würde unsere Anwesenheit den beiden noch mal einen richtigen Verliebtheitsschub verpassen. Ich nehme die knusprig aufgebackenen Brötchen aus dem Ofen und wir setzen uns alle gemeinsam um den Küchentisch.
Aufgekratzt erzählen wir von der gestrigen Party, unserem Outing vor den Freunden und wie gut das alles geklappt hat. Meine Eltern freuen sich ehrlich mit uns und erzählen dann ihrerseits vom gestrigen Kegelabend. Wir albern und quatschen noch lange herum und schließlich müssen wir schon fast mit den Vorbereitungen für den Nachmittag anfangen, wenn Martina zu Besuch kommt. Inzwischen habe ich mich sogar einigermaßen daran gewöhnt, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie mich immer und immer wieder beharrlich korrigiert hat, wenn ich es mal wieder mit "Frau Kemper" probiert hatte.
Ich würde mich allerdings deutlich mehr auf diesen Besuch heute freuen, wenn es dabei nicht auch darum gehen würde, wie unsere zukünftige Wohnsituation aussehen wird. Ich habe nämlich die ganz große Befürchtung, die übrigens auch Jan teilt, dass seine Mutter eine Wohnung suchen und mit ihm zusammen dort einziehen will. Der Gedanke, dass wir uns dann trennen müssen und nicht mehr zusammen in einem Bett schlafen können, ist purer Horror. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie wir das aushalten sollen.
Mein Pap verschwindet unter der Dusche, während meine Mam und Jan die Küche auf Hochglanz bringen und den Kuchen fertig machen. In der Zwischenzeit hole ich Martina ab.
Sie begrüßt mich mit einer Umarmung und sieht inzwischen wieder fast wie neu aus. Wenn nicht sogar noch besser. Seit sie sich von Jans Vater - der übrigens immer noch in Untersuchungshaft sitzt und auf seine Verhandlung wegen Körperverletzung wartet - getrennt hat, ist ihr offensichtlich ein so großer Stein vom Herzen gefallen, dass sie jetzt richtig auflebt. Unterwegs erzählt sie mir, wie gut das Zusammenleben mit ihrer Freundin klappt und dass sie ihr angeboten hat, so lange zu bleiben, wie sie will. Ich schöpfe ein bisschen Hoffnung für Jan und mich.
Dann trudeln wir zu Hause ein, Martina wird von allen herzlich begrüßt, wobei sie Jan ganz besonders fest drückt und auch er kann sie kaum wieder loslassen. Ich schätze, er fehlt ihr schon sehr, was meine Hoffnung wieder deutlich herunterschraubt.
Zunächst mal werden aber keine schwierigen Themen gewälzt. Wir unterhalten uns über alles Mögliche und meine Eltern und Martina lernen sich erst einmal kennen. Dann aber kommt der Moment der Wahrheit und mit ihm das Thema 'Wohnen'.
Martina sagt, dass sie natürlich nach einer Wohnung suchen wird, um wieder mit Jan zusammen wohnen zu können, auch wenn ihre Freundin das Angebot gemacht hat, von dem sie mir schon im Auto berichtet hatte. Oh je, das verheißt nichts Gutes.
Jan und ich leiden Höllenqualen und ich bemerke, dass auch seine Hand, die ich fest in meiner halte, immer schwitziger wird, während unsere gemeinsame Zukunft in den Händen unserer Eltern liegt und diese locker ein paar Übungswürfe damit machen.
Mein Pap fragt Martina, wie sie sich entscheiden würde, wenn sie sich um Jan keine Sorgen machen müsste, und sie überlegt eine Weile.
"Wenn Du Dich dort wohl und sicher fühlst, dann solltest Du dort vielleicht wohnen bleiben", sagt er sanft. "Die Jungs sind schließlich bald erwachsen. In einem Jahr fangen sie vielleicht an zu studieren und ziehen weg. Dann wärst Du wieder allein. Mach Dir um Jan bis dahin mal keine Sorgen. Er kann hier bei uns wohnen, so lange er das möchte."
Dann wirft er einen Blick auf uns, wie wir Händchen haltend und mit angsterfüllten Gesichtern nebeneinander sitzen und erfolglos zu verdrängen versuchen, dass wir uns vielleicht bald nicht mehr so oft sehen können.
"Außerdem weiß ich nicht, ob wir die beiden je wieder trennen können, ohne irgendeinen bleibenden Schaden anzurichten", sagt er und kneift mir ein Auge. "Oder habt Ihr Euch am Ende schon längst satt?"
Wir schütteln synchron die Köpfe und zwar so heftig, dass er Angst haben muss, dass sie uns von den Schultern fliegen.
Martina mustert uns lange und mit schräg gelegtem Kopf. Sie sieht aus wie der Hund vor dem Grammophon. Überhaupt wirkt die ganze Geschichte irgendwie seltsam. Irgendwie unecht. Was für eine Nummer ziehen die da eigentlich ab?
"Meinst Du wirklich?", fragt sie dann meinen Pap und grinst unverschämt. "Dann sollten wir ihnen vielleicht endlich sagen, was wir schon längst besprochen haben, oder?"
Meine Eltern nicken und wir schauen blöd aus der Wäsche.
"Wir haben uns überlegt, dass wir erst einmal alles so lassen wollen, wenn alle Beteiligten einverstanden sind. Auch während des Schuljahrs. Wir haben nämlich gestern schon heimlich miteinander telefoniert und nach einer Lösung gesucht", sagt Martina.
In Jans Gesicht geht die Sonne auf. "Ehrlich? Ich darf hier bleiben?"
"Unter einer Bedingung", sagt mein Pap. "Die Schule darf darunter nicht leiden. Sobald Eure Noten schlechter werden, weil Ihr Euch nur noch aufeinander konzentriert, müssen wir noch einmal darüber reden. Verstanden?"
Dieses Mal nicken wir sehr ernsthaft. "Klar."
"Ja dann. Dann ist ja alles geklärt."
"Also darf ich?", fragt Jan noch einmal. Dieses Mal an Martina gerichtet. Sie nickt lächelnd. Jubelnd fliegt er ihr um den Hals und auch ich stürze mich dankbar auf meine Eltern. Danach fallen wir uns in die Arme und küssen uns.
Die drei Erwachsenen sitzen da und grinsen wie der als Weihnachtsmann verkleidete Papi am Heiligen Abend.
"Die haben wir ja schön dran gekriegt", sagt mein Pap grinsend. "Na los, verschwindet schon, Eure ewige Knutscherei kann man ja nicht mit ansehen."
Wir verbringen den Rest des Nachmittags in unserem Zimmer. Jan sitzt auf dem Fußboden und lehnt mit dem Rücken am Bett, ich liege quer zu ihm auf dem Rücken und mein Kopf liegt in seinem Schoß. Wir haben beide die Augen geschlossen und hören Musik.
"Du, Erdbeerschnäuzchen?"
"Hmmhhmm?"
"Hast Du eigentlich manchmal Angst, dass wir uns irgendwann tierisch auf die Nerven gehen, wenn wir die ganze Zeit so dicht aufeinander hocken?"
Jan öffnet die Augen und sieht auf mich herunter.
"Nein", sagt er ohne zu überlegen. "Du?"
Ich schüttle den Kopf. "Kein bisschen. Ist das nicht beängstigend?"
"Überhaupt nicht. Das liegt daran, dass Du meinem unübertrefflichen Charme völlig verfallen bist", sagt er und bevor ich protestieren kann, fügt er hinzu: "Und ich Deinem."
Dann beugt er sich zu mir herunter und küsst mich so zärtlich, dass ich gar nicht anders kann als mich von seinem Schoß zu erheben, neben ihn zu knien und ihm die Arme um den Hals zu legen, um ihm einen langen Kuss zu geben.
"Hey Ihr Turteltauben, zieht Euch mal was an. Ihr könnt Taxi spielen", kommt es dumpf durch die Tür, als meine Mam uns ruft. Frechheit! Glaubt sie etwa, wir würden ständig nur rummachen?
"Ja, sofort!", rufe ich und ziehe mein T-Shirt wieder herunter, das Jan mir gerade fast bis zum Hals hochgeschoben hatte, um ein wenig an meiner Brust herumzuknabbern. Dann stehe ich vom Boden auf und ziehe Jan ebenfalls hoch, nachdem er seine Hose wieder geschlossen hat.
Wir hatten angeboten, Martina mit zurück zu nehmen, weil wir uns ohnehin mit Jens und Manu in der Stadt treffen wollen. Sie verabschiedet sich mit einer Umarmung von meinen Eltern und wir klettern in mein kleines Auto.
"Haben wir Euch einen Schrecken eingejagt?", fragt sie mich, und als ich zögernd "Ja, schon ein bisschen" antworte, sagt sie: "Darüber musst Du Dich bei Deinem Vater beschweren. Er hat den Vorschlag gemacht, Euch erst einmal zappeln zu lassen und dann Entwarnung zu geben."
"War ja klar", sage ich grinsend. "Aber besser so als anders herum." Jans Hand wandert vom Rücksitz her auf meine Schulter und ich drücke sie kurz.
"Also seid Ihr mit der Lösung einverstanden?"
"Machst Du Witze? Mehr als das!"
Als wir sie vor ihrem neuen Zuhause abliefern, steigt Jan mit ihr aus und begleitet sie noch bis zur Tür. Während sie reden, warte ich im Wagen und sehe zu ihnen herüber. Ich kann sehen, dass es dabei offensichtlich ziemlich persönlich zugeht, denn zum Schluss nimmt sie sein Gesicht in beide Hände, sagt etwas zu ihm und dann umarmen sie sich fest.
Er erzählt mir hinterher nicht, worüber sie gesprochen haben, aber das ist nicht schlimm. Es ist eine Sache zwischen ihm und seiner Mutter, denn das ist sie wirklich. Martina ist für ihn mehr eine Mutter, als sein Vater ihm je ein Vater war. Ich hoffe, dass er nicht so bald wieder auf freien Fuß gelangt, denn dann wird er garantiert bei Jan und damit bei uns aufkreuzen. Aber damit werde ich mich beschäftigen, wenn es irgendwann so weit sein sollte. Erst einmal kommt die Verhandlung und dann werden wir weiter sehen.
Kapitel 24 – Saison-Abschluss
Der letzte echte Ferientag ist da! Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergangen ist. Heute ist die Saison-Abschluss-Feier bei Jens. Wir wollen noch einmal ein großes Lagerfeuer machen und alle zusammen trommeln. Das Wetter meint es zum Glück noch einmal richtig gut mit uns. Es ist zwar lange nicht mehr so heiß, wie am Ferienanfang, aber die Sonne scheint und es ist warm genug, dass wir die halbe Nacht draußen sitzen und natürlich auch wieder unser kleines Zeltlager aufbauen können.
Ich rolle das Zelt auseinander und breite es auf dem Boden aus, während Jan die Stangen zusammensteckt und sie dann durch die Schlaufen zieht. Er sieht hoch und grinst mich an.
"Weißt Du noch, beim letzten Mal...?"
Ich grinse zurück. "Und ob. Glaubst Du, das würde ich je vergessen?"
"Ich mit Sicherheit auch nicht. Das war das Beste, was mir bis dahin passiert ist."
Er rückt näher an mich heran. "Das war ganz schön aufregend, weißt Du das?", sagt er leise. Seine Fingerspitzen streicheln vorsichtig mein Knie.
"Ich hatte keine Ahnung, wie Du reagieren würdest." Seine Stimme wird immer leiser, je näher er mir kommt. Ich hebe den Kopf, so dass unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt sind.
"Was glaubst Du denn, wie ich jetzt reagiere?", flüstere ich und dann spüre ich schon seine Hand in meinem Nacken.
"Weiß nicht, ich versuch's einfach." Er küsst mich sanft und vorsichtig, ein bisschen wie beim letzten Lagerfeuer.
"Hey Ihr Turteltauben, könnt Ihr damit später weitermachen? Jan, wir brauchen Dich mal am Auto." Als ich Jens' Stimme höre, wird mir bewusst, wie weit weg ich gerade schon wieder gewesen bin. Mühsam reiße ich mich von Jan los, der dann Jens folgt, um ihm beim Ausladen der Getränke zu helfen.
Ich mache mich daran, das Zelt fertig aufzustellen. Dann stopfe ich die Schlafsäcke hinein und krieche hinterher, um sie schon mal auszubreiten, damit wir das nicht später im Dunklen tun müssen.
Als ich wieder herauskrabble, sind Jens' Nachbarn gerade dabei, das Holz für das Feuer aufzuschichten. Natürlich wieder die Feuerwehr-Pyromanen, war ja klar. Ich will gerade zu ihnen gehen und fragen, ob ich mich dort nützlich machen kann, als plötzlich Dino vor mir steht. Er lächelt mich mit seinem typisch hintergründigen Lächeln an und sagt: "Hey Dennis. Schön, Dich wieder zu sehen. Na, wie geht's Dir?"
Ich lächle zurück und sage: "Danke. Könnte nicht besser sein."
"Das klingt gut. Bist Du etwa allein? Wo hast Du denn Deinen Traumprinzen gelassen?" Er sieht sich um. Was für ein unverschämter Kerl. Und dazu noch so verdammt gut aussehend.
"Der hilft gerade dabei, mein Auto auszuladen", antworte ich und mein Grinsen wird noch breiter. Was hat er denn gedacht? Dass wir schon nicht mehr zusammen sind? Dann höre ich wie aufs Stichwort die Stimme meines Traumprinzen hinter mir.
"Hey Denny. Flirtest Du etwa hinter meinem Rücken mit anderen Kerlen?", fragt er, küsst meinen Nacken und legt von hinten Besitz ergreifend den Arm über meine Schulter.
"Das wagt er nicht, so lange ich in der Nähe bin, sonst gibt's nämlich Ärger!", ruft Jens von der Seite, wo er gerade Bierflaschen in die Zinkwanne legt.
Dino grinst. "Ich sehe schon, hier hat sich einiges getan, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ihr habt Euch also geoutet." Als wenn er das nicht wüsste. Bestimmt haben die anderen ihm doch längst von unserem sensationellen Tanz auf dem Sommerfest erzählt.
Jetzt kommt Jens dazu und sagt mit einem äußerst anzüglichen Grinsen: "So kann man das auch nennen. Sagen wir es mal so: Wenn sie nicht hätten entdeckt werden wollen, hätten sie besser die Tür abschließen sollen, bevor sie übereinander herfallen."
Ich bekomme einen Rippenstoß von ihm. "Nicht wahr, Dennis?" Inzwischen werde ich bei diesen Kommentaren schon nicht mehr rot.
"Was platzt Du auch einfach in mein Zimmer, ohne anzuklopfen?", frage ich zurück. "Da musst Du halt damit rechnen, dass Du Dinge siehst, die nicht für Deine Augen bestimmt sind."
"Ja, aber dass Du gerade mit Deinen Quasi-Bruder rummachst, konnte ich ja wohl nicht ahnen. Wer rechnet denn mit so was?"
Dino sieht während unseres Schlagabtauschs von einem zum anderen und runzelt die Stirn. Er scheint gar nichts mehr zu verstehen. Also erkläre ich ihm die Situation. Dass Jan jetzt bei uns wohnt - den Grund dafür erkläre ich ihm allerdings nicht - und dass Jens uns mehr oder weniger 'in flagranti' erwischt hat.
"Dann ist es ja nur gut, dass Du von mir schon 'ne Menge gewohnt bist", grinst er Jens an und der nickt.
"Das kannst Du laut sagen."
Jens packt dann weiter Bierflaschen in das Fass und wir quatschen noch ein bisschen mit Dino, während nach und nach die anderen eintreffen. Jedes Mal, wenn wir von jemandem ganz normal mit Schulterklopfen und "Hi Jan, hi Dennis" oder noch besser "Hallo, Ihr beiden" begrüßt werden, lächelt er. Bevor er uns alleine lässt, um beim Anzünden des Feuers zu helfen, sagt er leise zu mir: "Seid froh, dass Ihr so coole Freunde habt. Ihr werdet sie bestimmt mal brauchen."
Ich antworte: "Ich weiß."
Die Sache nach dem Kino habe ich immer noch nicht ganz verdaut.
An diesem Abend ist es ganz anders als beim letzten Feuer. Heute werden wir irgendwie alle ein bisschen sentimental. Es ist der letzte richtige Ferientag, dann kommt nur noch das Wochenende und Montag geht wieder die Schule los. Bis zum Abi werden wir alle sicherlich eine Menge Stress haben und solche wunderbaren, chilligen Abende oder wilden Partys werden nicht mehr so oft stattfinden können. Geschweige denn das ewige Herumliegen am See.
Dazu spielt Dino dann noch einige traurige Songs auf seiner Klampfe und Sylvia fängt fast an zu weinen, als sie laut zu überlegen beginnt, was wohl in einem Jahr um diese Zeit sein wird.
"Dann sind wir alle mit der Schule fertig, einige sind vielleicht schon gar nicht mehr da, weil sie zum Studium wegziehen werden. Wir werden uns in alle Winde zerstreuen und das alles hier geht irgendwie kaputt."
Sie hat Recht. Aber leider ist das nicht zu ändern. Mit einigen wird man in Kontakt bleiben, andere wird man aus den Augen verlieren. Aber selbst wenn nicht, ist es nahezu ausgeschlossen, dass wir noch mal einen solchen Sommer wie diesen erleben werden, in dem wir alle ständig zusammen waren und in dem so viel passiert ist.
"Hey, komm schon, Sylvie-Maus", tröstet Andy sie und nimmt sie in seine Arme. "Bis dahin ist es noch ein ganzes Jahr und wir werden sehen, was passiert. Noch sind wir schließlich alle zusammen."
Manu kuschelt sich in Jens' Arme und ich lehne mich an Jan. Auch wenn ich es gerade nicht sehen kann, habe ich Dinos diebisches Grinsen vor Augen, als er wieder 'Love is in the air' anstimmt. Dieser Spinner!
Kapitel 25 – Jetzt wird’s ernst
Ich bin höllisch nervös! Heute ist der erste Schultag nach den großen Ferien, in denen so viel passiert ist. Wahnsinn, mein ganzes Leben hat sich in den letzten sechs Wochen irgendwie völlig umgekrempelt.
Ich laufe aufgeregt hin und her, kann beim Frühstück vor lauter Hysterie nichts herunter bekommen und sehe mindestens hundertmal in den Spiegel, um zu kontrollieren, ob da im letzten Moment irgendwo ein peinlicher Pickel oder etwas ähnliches sprießt, ob ich irgendwo dreckig bin oder meine Haare fies abstehen. Ich bin so fahrig, dass ich allerdings wahrscheinlich nicht mal merken würde, wenn wirklich irgendetwas mit meinem Aussehen nicht in Ordnung wäre. Nur gut, dass meine Eltern schon zur Arbeit gefahren sind, sonst würde ich sie auch noch verrückt machen. So mache ich außer mir selbst nur meinen geliebten Ersatzbruder irre.
Schließlich hat Jan genug von meinem Theater und umarmt mich.
"Du siehst perfekt aus, mein Schatz", sagt er leise und hält mich ganz fest. "Du klappst ja gleich zusammen. Jetzt hör endlich auf damit und komm wieder runter."
Als ich versuche, mich aus seiner Umarmung zu winden, flüstert er mir lüstern ins Ohr: "Oder soll ich DIR einen runterholen? Vielleicht entspannt Dich das ja."
Daraufhin sehe ich ihn so fassungslos an, dass er laut loslacht. Ich kann nicht anders und lache mit. Das fühlt sich richtig gut an und macht mich sogar ein kleines bisschen lockerer.
"Schon besser", sagt er. "Mach Dir nicht solche Sorgen, es wird schon irgendwie hinhauen. Unsere Freunde sind alle da. Was soll Schlimmes passieren?"
Ich sehe ihn an. "Bist Du nicht nervös?"
Er lächelt. "Nein. Du bist doch schon nervös genug für uns beide. Quatsch! Natürlich bin ich nervös. Ich versuche nur, es nicht so zu zeigen, damit Du nicht völlig ausflippst."
"Tut mir Leid", sage ich leise. Ich küsse ihn und versuche, mich noch ein bisschen weiter zu beruhigen. Ich atme tief durch und zwinge mich, nicht noch einmal in den Spiegel zu sehen.
Dann müssen wir uns auch schon beeilen. Ich habe versprochen, Jens und Manu heute mitzunehmen, obwohl Jens selbst ein Auto hat und normalerweise selbst zur Schule fährt. Sie meinten, wenn wir dort zu viert auftauchen, kann gar nichts schief gehen und ich war davon auch überzeugt gewesen. War... Gestern... Heute bin ich es nicht mehr so wirklich.
Wer weiß, wie weit sich die Sache mit Jan und mir schon herum gesprochen hat? Marks kleiner Bruder ist in unserer Schule in der Zehnten, der weiß es bestimmt schon. Und der Rest seiner Bande dann auch. Und was ist mit diesen Dumpfbacken aus unserer Stufe? Ingo und Konsorten? Und all den anderen Deppen? Ich versuche schnell an etwas anderes zu denken, bevor mir wieder ganz flau im Magen wird.
Im Wagen liegt Jans Hand wie immer auf meinem Oberschenkel und diese Geste beruhigt mich ein wenig, weil sie sich so normal anfühlt. Ich sehe zu ihm herüber und lächle ihn tapfer an, wenn ich gerade mal nicht auf den Verkehr achten muss.
"Bereit für den Kampf?", fragt Jens, als er in den Wagen klettert. Ich hebe die Faust und rufe: "Tschacka!"
Aber ich fürchte, er kauft es mir nicht wirklich ab, denn er klopft mir auf die Schulter und sagt: "Wird schon schief gehen, Denny. Außerdem sind wir ja bei Euch." Es war klar, dass er mich durchschaut. Das könnte heute jeder. Ich bin ein waschechtes Nervenbündel. Zum Glück muss ich mich beim Fahren konzentrieren. Dadurch drehe ich nicht völlig ab.
Auch Manu hat aufmunternde Worte für uns, als sie einsteigt. Dann nähern wir uns bereits der Schule und mein Magen startet zu einer neuen Runde durch. Die nächste Fahrt geht rückwärts!
Ich finde für meinen Geschmack viel zu schnell einen Parkplatz. Lieber hätte ich noch ein wenig länger in der Sicherheit meines Autos zugebracht. Der Rest geht dann wie von selbst und dann gibt es plötzlich kein Zurück mehr. Es gibt keine Gnadenfrist mehr für mich und wir betreten zu viert den Schulhof. Mein Herz klopft wie blöde und ich fühle mich, als wäre ich plötzlich in einer anderen Welt.
Alles hat sich verändert, seit ich das letzte Mal durch dieses Tor gegangen bin. Damals war ich ein unscheinbarer Typ, der eher weniger als mehr zu den anderen gehörte und heimlich in seinen Schulkameraden verknallt war. Jetzt hingegen sehe ich einigermaßen brauchbar aus, bin ein fester Teil dieser phantastischen Clique und habe einen Freund, um den mich viele der Mädchen beneiden werden. Vielleicht sogar auch einige der Jungs.
Tief in meinem Inneren breitet sich langsam ein warmes, kribbliges Gefühl aus. Verflucht, fühle ich mich auf einmal gut! Ein siegessicheres Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Jan sieht mich kurz an, bemerkt das offensichtlich und blinzelt mir zu.
Jens hält Manuelas Hand und die beiden steuern zielstrebig auf die anderen zu, die bereits in ihrer - nein, in unserer Stammecke stehen. Wir gehen Hand in Hand neben ihnen her und ich kann die Blicke, die auf uns ruhen, beinahe fühlen. Die allgemeine Neugier drückt sich in leisem Getuschel und einigen halbherzig vorgebrachten dummen Sprüchen aus. Es ist viel weniger schlimm als ich gedacht hatte und es macht mir vor allem viel weniger aus als ich befürchtet hatte. Wer glotzen will, soll von mir aus glotzen, und wer reden will, soll halt reden. Das tut mir nicht weh.
Wir werden mit allgemeinem Schulterklopfen und Guten-Morgen-Wünschen begrüßt und das Geraune um uns herum tritt noch weiter in den Hintergrund. Hey, wir haben Freunde hier, die uns akzeptieren. Jede Menge davon sogar. Nur die sind wichtig, alle anderen können mich mal gern haben.
Und wir lieben uns. Da können die Idioten so viel reden, obszöne Gesten oder dumme Bemerkungen machen, wie sie wollen. Dagegen kommen sie nicht an. Ich werde mich nicht fertig machen lassen. Schon gar nicht, so lange Jan bei mir ist.
Es klingelt zur ersten Stunde. Jan dreht sich zu mir und seine dunkelbraunen Samtaugen sehen mich zärtlich an. Er legt einen Arm um mich und küsst mich sanft. Dann gehen wir zusammen mit den anderen Arm in Arm in das Schulgebäude hinein.
Das war der Sommer unseres Lebens...
Nachwort
Ein Happy-End...
Ich hoffe, ich habe nicht zu viel Zuckerguss aufgetragen und ihr hattet ein bisschen Spaß beim Lesen. Natürlich weiß ich, dass das Leben oft auf Happy-Ends verzichtet, aber gerade deshalb liebe ich es, zu schreiben. Dabei kann ich nämlich selbst entscheiden, wie es ausgeht.
Ich hoffe jedenfalls, dass die beiden laaaaange glücklich zusammen bleiben und alle Stürme des Lebens erfolgreich meistern. Bisher sieht es ja so aus als würde ihnen das gelingen. Ich bin zuversichtlich!
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