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Schwarz und Weiß
Teil 2
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Informationen
- Story: Schwarz und Weiß
- Autor: Sunshine
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Kapitel fünf – Es ist vorbei
- Kapitel sechs – Zurück ins Leben
- Kapitel sieben – Back to Business
- Kapitel acht – Eine bleischwere Entscheidung
Vorwort
Was für ein Schock für Robert!
Also ich würde tierisch ausrasten, wenn mein Freund mir beiläufig an der Wohnungstür verkündet, dass er zu heiraten gedenkt. Vor allem dann, wenn ich bei dieser Hochzeit für keine der beiden Hauptrollen vorgesehen wäre.
Und was jetzt? Sofort Schluss machen? Kämpfen? Sich mit der Sache irgendwie arrangieren? Oder gibt es noch andere Optionen?
Wir werden sehen...
Kapitel fünf – Es ist vorbei
"Ich werde nächstes Jahr heiraten." Dieser Satz schwebt immer noch irgendwo zwischen uns im Raum wie ein Furz, dessen Geräusch zwar bereits verklungen ist, den man aber noch deutlich riechen kann.
Ich fühle mich, als hätte mir gerade jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen. Mitten im Winter.
"Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst, oder?" frage ich fassungslos. Ich glaube, ich spinne! Der sagt das einfach so, als wäre überhaupt nichts dabei. Als wäre es das Normalste der Welt. Aber ich finde das alles andere als normal.
"Ich fürchte, doch. Deshalb war mein Dad auch neulich hier. Und deshalb haben wir uns auch gestritten." Sylvian streckt seine Arme nach mir aus und will mich scheinbar umarmen. Hat der einen Knall?
"Sag mal, hast Du sie noch alle?!" schreie ich ihn an und weiche einen Schritt zurück. Dabei schlage ich seine Hände weg. "Was ist das denn für eine schräge Nummer?"
"Ich habe mir das doch nicht ausgedacht." sagt er genervt und es pisst mich noch mehr an, dass er nicht einmal versucht, sich dafür zu entschuldigen oder eine Erklärung abzugeben oder was weiß ich, irgendetwas halt. Dass er es einfach als gegeben hinnimmt und von mir offensichtlich das gleiche erwartet.
"Du hast ja wohl echt einen Schatten! Heiraten! Wann wolltest Du mir das denn bitteschön sagen? Nie? Hast Du gedacht, ich finde das nicht heraus? Oder hast Du gedacht, ich würde es schon aus der Zeitung erfahren?"
"Nein, ich..." wagt er einen kläglichen Versuch, sich heraus zu reden.
"Was glaubst Du denn, wie es jetzt weiter geht? Wie stellst Du Dir das denn vor?"
Sylvian schweigt.
Ich könnte diesen Dreckskerl erwürgen! Ehrlich! Wie er jetzt einfach blöd da steht, mit hängenden Schultern und nicht einmal in Erwägung zieht, sich zu wehren. Als wäre er hier das arme Opfer und nicht ich. Was für ein Kotzbrocken!
Ich stoße ihn heftig vor die Schulter, um ihn aufzuwecken, um irgendeine Reaktion von ihm zu bekommen, aber er nimmt es einfach hin wie ein Sandsack. Das hier ist definitiv nicht der selbstsichere, manchmal fast arrogante Sylvian, den ich eigentlich kenne.
"Jetzt sag was!" brülle ich ihn an.
"Ich habe keine Ahnung. Ehrlich nicht. Ich wäre doch nie auf so etwas gekommen. Das hat mein Dad eingefädelt." sagt er lahm.
"Und Du bist nicht mal auf die Idee gekommen, dass Du dazu vielleicht auch 'nein' dazu sagen könntest?" frage ich ihn verständnislos. "Weiß er überhaupt, dass Du schwul bist?"
Seinem Vater gegenüber scheint von seinem tollen Selbstbewusstsein nicht viel übrig zu bleiben, wie mir scheint.
"Ja, das weiß er." sagt er leise.
"Und?" frage ich.
"Was und?"
Stellt er sich jetzt mit Absicht blöd?
"Ist ihm nicht aufgefallen, dass das mit einer Heirat nicht so gut zusammen passt?" ergänze ich meine Frage zynisch.
"Doch, aber das stört ihn nicht. Ihm ist nur wichtig, dass die Heirat mit seinen Geschäften zusammen passt. Wir haben so eine Art Abkommen. Er sagt nichts über meine Bekanntschaften, solange ich diskret bin."
Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig. Bekanntschaften? Ist das die Kategorie, in die ich für ihn falle? Ich schüttle den Kopf und weiche noch einen Schritt weiter zurück von ihm. Wer zum Henker ist dieser Mann, der da vor mir steht? Ich habe das Gefühl, ihn plötzlich überhaupt nicht mehr zu kennen. War ich denn wirklich so blind vor Liebe?
"Und das machst Du einfach mit? Ehrlich, das verstehe ich nicht. Du bist doch erwachsen! Außerdem hatte ich eigentlich gedacht, dass ich etwas mehr als nur eine 'Bekanntschaft' für Dich wäre." Ich spucke ihm das Wort vor die Füße wie einen Klumpen Rotz und beginne, aufgeregt auf und ab zu laufen, weil ich nicht mehr weiß, wohin mit meiner Wut.
"Dass Du Dich auf so ein beschissenes Abkommen einlassen konntest! So etwas bescheuertes!" wettere ich dabei.
Ich bin so sauer, dass ich wahllos irgendwelche Dinge zerschlagen könnte. Ich könnte zum Beispiel den Spiegel von der Wand reißen und diese dumme Kommode umwerfen. Bestimmt war das Kackding schweineteuer. Und ich möchte ihm am liebsten seine hübsche Visage einschlagen! In meinem ganzen Leben war ich noch niemals so sauer auf jemanden. Ich schätze, ich sollte besser gehen, bevor ich noch jemanden verletze.
"Robert." sagt er eindringlich.
"Was?! Was?! Was willst Du noch?" fahre ich ihn so laut an, so dass er sogar ein wenig zusammen zuckt.
"Das hat doch nichts mit uns zu tun." sagt er mit einem grässlichen Hundeblick.
"Schwachsinn! Das hat sogar sehr viel mit uns zu tun!" brülle ich und tigere weiter im Flur auf und ab.
"Robert, bitte!" Er streckt den Arm nach mir aus, hält meine Bahn auf.
"Nein!" Ich schüttle die Hand grob ab. "Ehrlich. Ich weiß nicht, was mit Dir los ist."
Sylvian dreht sich zu mir und will mich wieder in den Arm nehmen.
"Ich liebe Dich, das ist mit mir los."
"Halt die Klappe!" Ich stoße ihn zurück. "Halt Deine Klappe und fass mich nicht an, Du Dreckskerl! Nicht, so lange Du Dich von Deinem Vater wie eine beschissene Marionette spielen lässt. Und sag das niemals wieder, wenn Du nicht auch bereit bist, die Konsequenzen zu tragen."
"Bitte. Es ist doch nur auf dem Papier."
"Sag mal, glaubst Du eigentlich, was Du da sagst? Hast Du Dir mal selbst zugehört? Hast Du mal gehört, was für einen Schwachsinn Du faselst?"
Er schweigt und starrt die Wand an. Wie ein Häufchen Elend steht er da, mit hängenden Armen und kann mich nicht einmal mehr ansehen. In diesem Moment hasse ich ihn abgrundtief. Wie konnte er mich nur so hintergehen? Und wie konnte ich nur glauben, so eine arme Pfanne wirklich zu lieben?
"Du bist echt armselig, weißt Du das? Du hast mir gesagt, dass Du keinen 'Daddy-Bonus' bekommst, sondern für alles hart arbeiten musst. Aber dass Du Dein Leben komplett von ihm bestimmen lässt, hast Du mir nicht gesagt."
"Was soll ich denn machen? Ich bin sein einziges Kind und ich arbeite für ihn. Ich werde irgendwann die Firma übernehmen. Wenn ich öffentlich zugebe, dass ich schwul bin, geht das alles den Bach runter. Der Job, die Firma, alles. Da hängt eine Menge dran." Wieder übernimmt er die Opferrolle, die ich bei ihm immer noch nicht sehe.
"Scheiß doch auf die blöde Firma! Such Dir einfach einen anderen Job. Ich denke, Du bist gut in dem, was Du tust. Wo ist dann das Problem?"
"Das verstehst Du nicht."
"Nein, das verstehe ich wirklich nicht. Weißt Du was, Sylvian? Mach Deinen Scheiß doch einfach, wie Du willst, aber lass mich damit in Ruhe. Ich habe mich nicht jahrelang überall geoutet und dafür gekämpft, mich nicht verstecken zu müssen, um mich jetzt auf so einen verlogenen Scheißdreck einzulassen! Dazu bin ich mir wirklich zu schade."
Ich reiße meine Jacke von der Garderobe und habe schon die Türklinke in der Hand, als er mich aufhält.
"Robert, bitte." sagt er flehend.
"Nein!" sage ich bestimmt. "Schluss mit dem Affentheater! Falls Du Dich irgendwann in der Lage siehst, selbst über Dein Leben zu bestimmen, dann lass es mich wissen. Und bis dahin lass mich einfach in Ruhe."
Ich verlasse seine Wohnung und laufe die Treppen hinunter. Er folgt mir nicht. Das hatte ich auch nicht erwartet. So eine feige Mistratte!
- - - -
Ehrlich! Ich verstehe absolut nicht, was das für eine schräge Nummer gewesen ist.
Verlobungsfeier!
Heiraten!
Ich glaube, es hackt!
Wie konnte ich nur so blöd sein, zu glauben, dass wir tatsächlich auch nur den Hauch einer Chance auf eine gemeinsame Zukunft haben würden? Er spielt tatsächlich in einer anderen Liga als ich, das ist mir jetzt schmerzhaft klar geworden. Ich bin nur ein kleines Licht, das glücklich und in Ruhe sein ganz normales Leben leben will. Zumindest sofern man den Wunsch, mit einem Mann zusammen leben zu wollen, noch als normal bezeichnen kann. Ich finde allerdings schon, dass man das kann. Immerhin geht es eigentlich ja nur darum, einen Menschen zu haben, den man liebt und mit dem man zusammen ist. Und der einem nicht so in den Rücken fällt.
Er hingegen spielt in der Liga der Bonzen und Heuchler und zwar ganz vorn, in der ersten Reihe.
Das Schlimmste ist, dass ich es tatsächlich zugelassen habe, mich in den Dreckskerl zu verlieben. Ich hätte von Anfang an auf mein Bauchgefühl hören und es nicht über einen One-Night-Stand hinaus gehen lassen sollen. Aber verdammt, er war einfach so unwiderstehlich, so sexy und so perfekt, dass meine Geilheit gesiegt und mein Herz gleich mit in den Abgrund gerissen hat.
Herrje, ich glaube, ich schweife schon wieder ab. Schon den ganzen Tag sitze ich hier im Büro und denke an alles mögliche nur nicht besonders viel an die Arbeit, wenn ich ehrlich bin. Zum Glück bin ich weit entfernt davon, ständig heulen zu müssen und mich elend zu fühlen, weil ich verlassen wurde. Dazu bin ich derzeit noch immer viel zu wütend.
Tom stellt keine Fragen. Noch nicht jedenfalls.
Ich kenne ihn, früher oder später wird er wissen wollen, warum ich heute den ganzen Tag so stocksauer und genervt bin. Aber noch lässt er mich in Ruhe und dafür bin ich ihm wirklich dankbar, denn ich weiß, wie schwer es ihm fällt und vor allem weiß ich, wie unangenehm ich heute bin.
Ich arbeite verbissen, rede nur das Nötigste, sogar mit den Kunden, mit denen ich es sonst ganz gut kann und mit denen ich sonst immer ein kleines Pläuschchen nebenher halte. In der Mittagspause kaue ich missmutig auf meinem Essen herum aber das meiste bleibt liegen. Ich habe irgendwie keinen Hunger. Alles ist Mist und das Bedürfnis, jemanden zu schlagen oder etwas zu zerstören wird immer größer.
Pünktlich um siebzehn Uhr lasse ich den Griffel fallen und verschwinde aus dem Büro. Allerdings beginne ich mich bereits auf dem Weg zu meinem Auto zu fragen, warum ich so eilig von hier flüchte, denn ich habe keine Idee, wohin ich so dringend will. Ich habe keine Verabredung und zu Hause wartet auch nur eine leere Wohnung auf mich. Leider ist mein Kopf nicht annähernd so leer wie sie. Darin kreisen immer und immer wieder die gleichen miesen Gedanken und kochen mich auf mittlerer Flamme gar.
Schon von Weitem sehe ich den silbernen Prius, der direkt neben meinem Auto steht. Allein der Anblick dieser Karre bringt mein Blut schon wieder zum Schäumen. Was will der denn jetzt hier? Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?
Die Tür öffnet sich und Sylvian steigt aus, als ich mich nähere. Er trägt wieder sein Business-Outfit, in dem ich ihn kennen gelernt habe und leider sieht er in dem hellgrauen Anzug immer noch ziemlich gut aus. Ich lege einen Eispanzer um mich herum, der mich davor schützen soll, wieder weich zu werden.
"Robert." Er tritt einen Schritt auf mich zu.
"Was willst Du? Ist die Verlobung abgesagt?" frage ich eisig.
"Nein, aber..."
"Dann war der Weg hierher umsonst." Ich sehe an ihm vorbei.
"Robert, bitte. Willst Du nicht wenigstens mit mir reden?" fleht er.
"Worüber denn?"
"Das weißt Du genau."
"Nein. Weiß ich nicht. Erklär' es mir." Ich lasse ihn bewusst voll auflaufen. Ich habe keine Lust mehr, mich krumm zu machen, weil er in Papis Spiel unbedingt mitspielen will.
Er sieht sich um. "Nicht hier. Lass uns einen Kaffee trinken gehen."
"Nein. Wenn überhaupt, dann reden wir jetzt und hier."
Eigentlich habe ich auch keine Lust auf eine Szene hier auf dem Parkplatz, aber ich stelle mich aus Prinzip weiter stur. Außerdem will ich sehen, wie ernst es ihm damit wirklich ist. Und ich will nur ein einziges Mal in meinem Leben selbst bestimmen, wann und wo etwas passiert.
"Also gut." sagt er. "Wenn Du es so willst. Dann reden wir jetzt und hier. Ich bin gekommen, weil ich mit Dir zusammen eine Lösung finden will. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht mehr sehen können, auch wenn ich heirate."
Ich sehe ihn fassungslos an und schüttle den Kopf. "Du bist ja nicht ganz dicht!"
"Wieso? Die Sache ist doch nur auf dem Papier. Es hat nichts zu bedeuten, das sagte ich doch schon. Es ist nur ein Deal. Ein Geschäft, wenn Du so willst."
"Will ich aber nicht." antworte ich und klinge genau so angefressen, wie ich es auch bin. "Sieht Deine Braut das eigentlich auch so?"
"Ja."
"Kennst Du sie überhaupt?"
"Ja."
"Wer ist es?" Ich habe keine Ahnung, warum ich das frage. Eigentlich will ich es gar nicht wissen. Sylvian sieht beinahe erleichtert aus, dass ich überhaupt eine Frage stelle und er eine Gelegenheit bekommt, sich zu erklären. Daher redet er sofort wie ein Buch.
"Sie heißt Saskia Mahler und ist die Tochter von Mahler und Söhne. Nur, dass der aktuelle Mahler gar keine Söhne hat, sondern nur diese Tochter. Und die interessiert sich so gar nicht für die Firma. Sie studiert Sprachen und Geschichte."
So viele Informationen wollte ich gar nicht haben. Diese dämliche Tussi interessiert mich nicht die Bohne. Ungeduldig winke ich ab. Es reicht. Er verstummt.
"Und warum sollte sie sich darauf einlassen?"
"Sie darf beruflich machen, was sie will, wenn sie jemanden heiratet, der sich an ihrer Stelle um die Firma ihres Vaters kümmert."
"Und der bist Du?"
"Genau."
"Also geht es nur um ihre Firma."
"Nein. Nicht nur. Wenn ich sie heirate und wir Kinder haben, die später seine Firma übernehmen, lässt mein Dad mich in Ruhe. Dann mischt er sich nicht weiter in mein Leben ein. Ach Robert. Er will doch nur, dass nicht alles den Bach runter geht, was er geschaffen hat. Und so lange ich es nicht unbedingt an die große Glocke hänge, kann ich mich treffen, mit wem ich will."
Wie? Kinder jetzt auch noch? Die Absurdität der Situation und das Gefühl, für die geheuchelte heile Welt der Geschäftsleute weggeworfen worden zu sein, treibt mir das Wasser in die Augen. So ekelhaft wie jetzt habe ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt. Am liebsten würde ich ihm die Faust ins Gesicht rammen. Und selbst das würde ihm bestimmt nur halb so weh tun, wie mir dieses Gefühl. Aber natürlich tue ich es nicht.
Stattdessen sage ich sehr leise und sehr bitter "So billig verkaufst Du Dich also? Und mich gleich mit? Damit Deine Geschäftsfreunde beruhigt auf Dein geheucheltes Familienleben schauen können? Und nebenbei suchst Du Dir dann hin und wieder jemanden, der Dir den Arsch hin streckt und sich von Dir vögeln lässt. Weißt Du was? Ich wünsche Dir viel Erfolg bei der Suche nach einem passenden Arsch. Aber sei sicher, meiner wird es ganz bestimmt nicht sein." Ich bin ganz bewusst so ordinär, aber selbst das kann die Verachtung, die ich für ihn empfinde, nicht einmal annähernd ausdrücken.
"Robert. Ich verstehe, dass Du sauer bist. Aber Deine zynischen Bemerkungen helfen uns nicht weiter. Du weißt doch ganz genau, dass ich nicht auf der Suche nach irgendeinem Hintern bin, sondern dass ich mit Dir zusammen sein will. Am liebsten wäre ich nur mit Dir zusammen und zwar richtig, aber das geht eben nicht. Können wir nicht versuchen, eine Lösung zu finden, mit der wir alle zurecht kommen?"
Er lässt wieder den Geschäftsmann raus hängen und beginnt tatsächlich zu verhandeln. Und das um unsere Beziehung. Um meine Liebe! Der hat sie echt nicht alle!
"Es sieht ganz so aus, als hätte ich mich am Anfang doch nicht in Dir getäuscht. Du bist tatsächlich ein arrogantes Arschloch. Aber Deine Masche zieht bei mir nicht. Meine Liebe ist nicht verhandelbar. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich will nach Hause."
Ich schiebe ihn zur Seite und schließe den Golf auf. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, steige ich ein, lasse den Motor an und fahre los. Blind vor Wut fädle ich mich brutal in den fließenden Verkehr ein und es grenzt an ein Wunder, dass ich nur laute Hupkonzerte dafür ernte und keine neuen Beulen. Verbeult ist momentan nur mein Herz. Hoffentlich ist es kein Totalschaden.
Die Wut, die ich seit unserem Gespräch im Bauch habe, hilft mir in der folgenden Zeit ein wenig dabei, nicht völlig zu verzweifeln. Allerdings ist es auch nicht unbedingt hilfreich, dass sich mir vor lauter Ärger ständig der Magen umdreht. Eigentlich jedes mal, wenn ich auch nur an diesen Mistkerl denke. Das tue ich leider ziemlich oft, denn er ruft mehrmals täglich bei mir an. Nach zwei Tagen schalte ich das Telefon aus, einen weiteren Tag später auch noch das Handy. Lieber möchte ich im Tal der Ahnungslosen verrotten, als mich noch länger von ihm tyrannisieren zu lassen.
Mit jedem Tag, den der ganz bestimmte Samstag näher rückt, wächst mein Frust. Irgendwie hoffe ich immer noch, dass er diesen Wahnsinnsplan aufgibt, aber es passiert nichts, was darauf hinweisen würde. Auch wenn ich telefonisch nicht zu erreichen bin, sollte er doch Mittel und Wege finden, mich davon in Kenntnis zu setzen, dass die Verlobung nicht stattfindet. Falls es denn so sein sollte.
Aber ich werde nicht in Kenntnis gesetzt und ich habe einen ganz schrecklichen Samstag Abend, an dem ich in meinen butterweichen Lieblings-Kapuzensweater gekuschelt auf dem Sofa hocke und versuche, nicht daran zu denken, dass Sylvian jetzt gerade den größten Fehler meines Lebens macht.
Kurz ziehe ich in Erwägung, mich besinnungslos zu saufen, aber dafür bin ich einfach nicht der Typ. Ich habe noch nie aus Kummer getrunken. Das empfinde ich als Verschwendung von Getränken, Gesundheit und Zeit. Außerdem hilft es nicht einmal. Das ist wohl der Hauptgrund, warum ich es unterlasse.
Wider Erwarten schlafe ich trotz allem in dieser Nacht und als ich am nächsten Morgen aufwache, lüfte ich mein Schlafzimmer, beziehe das Bett neu, atme tief durch und beschließe, ihn endgültig zu vergessen. Nein, nicht zu vergessen. Sondern ihn als das zu sehen, was er war. Ein One-Night-Stand, der ein paar Monate dauerte. Ich werde mich einfach daran erinnern, wie schön es mit ihm zusammen war, wie viel Spaß wir hatten und wie gut und unbeschwert ich mich gefühlt hatte. Und ich werde nicht hinter ihm her trauern.
Blödsinn! Wem mache ich hier eigentlich etwas vor? Er wird mir grausam fehlen. Unsere Unternehmungen, die kleinen verbalen Schaukämpfe, die wir gegeneinander ausgetragen haben und unsere stundenlangen Unterhaltungen.
Natürlich werden mir auch seine Zärtlichkeiten fehlen, seine unbändige Leidenschaft und das grenzenlose Vertrauen, das ich ihm entgegen bringen konnte, wenn wir zusammen im Bett waren.
Scheiße! Er wäre mein Mr. Right gewesen, da bin ich sicher.
Lutz und Andrea haben mich mit sanfter Gewalt irgendwie dazu gebracht, heute zum Kaffee zu ihnen zu kommen. Sie wissen nicht, was mit mir los ist. Ich hatte ihnen weder vorher viel von Sylvian erzählt, noch hatte ich ihnen von der dramatischen Wendung zum Schluss berichtet. Ich habe also keine Ausrede, um mich zu drücken, daher mache ich mich auf den Weg zu ihnen. Immerhin macht Andrea eine perfekte Philadelphia-Torte, so hat die Sache wenigstens etwas Gutes.
Sie schaffen es dann auch tatsächlich, mich für ein paar Stunden so sehr abzulenken, dass ich zur Abwechslung wenigstens kurzfristig nicht an Sylvian denken muss. Ich sehe mir Ihre letzten Urlaubsfotos an und wir lachen uns halb krank dabei, weil die Beiden wieder einmal vergessen haben, die 'kritischen' Bilder vorher auszusortieren. Lutz hat außer seinem guten Timing, durch das er Andrea immer wieder in wirklich prekären Situationen erwischt, auch noch die unglaubliche Fähigkeit, in extremen Situationen so lange die Ruhe zu bewahren, bis das Foto im Kasten ist und das zahlt sich wirklich aus.
Trotz mehrerer wirklich ernsthafter Versuche aufzubrechen, bleibe ich letztendlich ganz schön lange bei ihnen. Abends bestellen wir eine Pizza und als wir zusammen am Esstisch sitzen, fragt Lutz mich zum ersten Mal, was mit mir los ist. Er klingt ehrlich besorgt und es tut mir auch irgendwie Leid, aber ich kann ihm das einfach nicht erzählen. Erstens ist es eine viel zu heikle Angelegenheit und außerdem tut es immer noch viel zu weh, als dass ich darüber reden könnte.
"Wenn ich 'nichts' sage, würdest Du mir nicht glauben, oder?" frage ich ihn.
"Nein, das würde ich nicht." antwortet er.
"Das dachte ich mir. Ich kann es aber nicht erzählen, jedenfalls jetzt nicht. Es ist lieb, dass Ihr mir helfen wollt, aber da ist momentan nichts zu machen." sage ich und hoffe, dass ihm das erst einmal reicht.
"Du weißt, dass Du jederzeit zu uns kommen kannst. Egal wann. Egal womit." sagt Andrea.
"Ja, das weiß ich. Danke."
Natürlich glaube ich ihnen, dass sie sich Sorgen um mich machen und ich glaube ihnen auch, dass sie es ehrlich meinen, aber ich kann mit den beiden nicht über solche Dinge reden. Das kann ich mit niemand. Dazu bin ich nicht der Typ. Ich bin eher der immer-alles-in-mich-hinein-fresser.
Auf dem Heimweg drehe ich im Auto das Radio so laut, dass ich nicht mehr denken kann, so geht es einigermaßen.
Es ist Montag Morgen, gerade mal kurz nach sechs und ich bin schon völlig im Eimer! Wie üblich überfliege ich morgens beim Frühstück die Tageszeitung. Ich verschaffe mir einen kurzen Überblick darüber, was in der Welt so passiert und worüber wohl im Laufe des Tages im Büro gesprochen wird. Leider schlage ich dabei auch völlig unbedarft die Seite mit den Lokalnachrichten auf. Ein großes Foto springt mir von dort förmlich entgegen. Ich erkenne ihn sofort! Ein bisschen angestrengt lächelnd präsentiert Sylvian sich zusammen mit seiner Zukünftigen den Vertretern der hiesigen Presse.
Mein Herz gefriert augenblicklich. Jedenfalls fühlt es sich so an. Und mein Magen dreht sich mitsamt seinem Inhalt nach außen. Ich schaffe es gerade eben noch ins Badezimmer, wo ich mein Frühstück dem Gott der Kanalisation opfere. Verzweifelt würgend hocke ich vor der Schüssel, bis nichts mehr kommt, weil einfach nichts mehr in mir drin ist. Mir ist trotzdem noch schlecht.
Bis zuletzt hatte ich wirklich gehofft, dass er es nicht tun würde. Aber er hat es getan. Hat sich von Daddy vorführen lassen, wie ein Esel, der duldsam die schwere Last trägt. Hat sich in ein Leben drängen lassen, in dem er sich selbst verleugnen muss. So ein feiger Volltrottel!
Er mag zwar reicher sein als ich, viel reicher sogar. Und er mag auch bessere Umgangsformen gelernt haben und wissen, wie man mit Geschäftskunden umgeht und wie man geschäftliche Verhandlungen führt, aber im Gegensatz zu ihm würde ich mich niemals, wirklich niemals so billig verkaufen.
Seufzend stehe ich auf und sehe mich im Spiegel an. Auch wenn ich derzeit nicht unbedingt wie das blühende Leben aussehe, kann ich mir wenigstens noch selbst ins Gesicht sehen. An seiner Stelle könnte ich es nicht.
Ich beschließe, dass ich mich nicht für einen derart faulen Deal einlassen werde. Niemals! Irgendwann werde ich jemanden finden, mit ihm zusammen leben und offen zu ihm stehen, genauso wie er zu mir. Ich werde mich nicht verstecken, nach außen heile Familie spielen und mir dann in einem dämmrigen Hotelzimmer irgendeinen willigen Typen für einen heimlichen Fick ins Bett holen. Ich nicht. Und wenn derjenige, mit dem ich dann zusammen sein werde, eben nicht Sylvian ist, wie ich es ursprünglich gehofft hatte, dann kann ich es nicht ändern.
Ich konzentriere mich darauf, die Sache innerlich abzuschließen, putze mir noch einmal die Zähne und stöpsle das Telefon wieder ein, bevor ich zur Arbeit gehe. Auch das Handy schalte ich wieder an. Selbst wenn er sich weiterhin jeden Tag bei mir meldet, wird mich das nicht aus der Bahn werfen. Die Sache ist gelaufen. Für immer. Es gibt kein Zurück mehr.
Nachmittags nach der Arbeit sitze ich mit Kaffee und ein paar Keksen am Tisch und lese die wirklich bedeutsamen Nachrichten in der Zeitung, wobei ich die eine gewisse Seite schnell überblättere, um nicht schon wieder mit der Nase auf diesen Idioten gestoßen zu werden. Ich bin gerade dabei, mich den kleinen Informationsschnipseln aus aller Welt zu widmen, als das Telefon klingelt. Ohne großartig von meiner Lektüre aufzusehen, strecke ich die Hand danach aus und melde mich.
"Weiß." sage ich in den Hörer. Die Fragerei nach meinem eigenen Namen habe ich mir endlich abgewöhnt. Das war ja auch zu blöd.
"Hallo Robert." sagt eine Stimme, die mir wider Willen sofort eine Gänsehaut macht. ER ist es. Das war ja irgendwie klar.
"Hallo Sylvian. Nettes Foto, das da heute in der Zeitung ist. Erwarte aber bitte nicht, dass ich Dir gratuliere." sage ich kalt und lese währenddessen weiter.
"Du hast Recht, dass Du sauer auf mich bist." sagt er leise und ziemlich devot. "Ich hatte auch keine Begeisterung erwartet."
"Dann sind wir uns ja einig."
Pause.
Ich sehe gar nicht ein, das unangenehme Schweigen zu brechen. Schließlich hat er angerufen und nicht ich. Also ist er auch für dieses Gespräch verantwortlich.
"Ich würde Dich gerne sehen." sagt er leise.
Ich glaube, ich höre nicht richtig! "Wozu?"
"Weil Du mir fehlst. Lass uns etwas trinken gehen. Bitte." Seine Stimme klingt leise und schmeichelnd. Aber das zieht nicht bei mir.
"Diese Chance hattest Du schon. Du hast sie versaut."
"Bekomme ich keine zweite?"
"Nein." Es wird dringend Zeit, dass jemand Herrn Schwarz Junior seine Grenzen aufzeigt, finde ich. Und ich bin gerade in der richtigen Stimmung dafür.
"Bitte, Robert. Ich will nur ein bisschen mit Dir reden, mehr nicht."
Jetzt werde ich schon wieder richtig sauer. Was glaubt er eigentlich, was er hier abziehen kann? Für wie blöd hält er mich?
"Tja, siehst Du, Sylvian. Das ist genau das Problem. Ich will nicht nur ein bisschen mit Dir reden. Ich wollte nämlich mehr von Dir. Viel mehr. Und mit weniger will ich mich nicht zufrieden geben. Ein Treffen nur um zu reden können wir uns also von vornherein schenken." sage ich mit fester Stimme und versuche, dabei meine Wut einigermaßen im Griff zu behalten.
"Es muss ja nicht bei einem Treffen bleiben. Wir könnten uns wieder sehen. So wie vorher." sagt er flehend. Ist er wirklich so blöd, zu glauben, dass ich mich darauf einlassen würde? Kennt er mich denn überhaupt nicht?
"Was soll das bringen? Du wirst heiraten, hast Du das schon wieder vergessen? Du wirst sogar eine Familie haben, hast Du gesagt. Was also soll der Mist? Glaubst Du wirklich, ich bin mir so wenig wert, dass ich mich von Dir als heimliche Liebschaft halten lasse? Immer auf Abruf, aber bitte diskret? Willst Du mich in Deinem Bett haben, aber öffentliche Termine mit Deiner Frau wahrnehmen? Vergiss es." Jetzt kann ich meine Wut nicht mehr zurück halten und blaffe ihn ziemlich laut an.
"Robert." Er klingt, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Aber mich kocht er mit dieser Masche nicht weich. Dazu bin ich viel zu wütend.
"Vergiss es! So einen Krampf mache ich nicht mit." sage ich und lege auf. Ich habe die Nase gestrichen voll.
Ich bin richtig stolz auf mich, dass ich nicht nachgegeben habe, denn allein seine Stimme zu hören, hätte mich schon fast wieder schwach gemacht. Er übt einfach immer noch und trotz allem eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus.
Wir hätten ein Traumpaar sein können. Schwarz und Weiß. Ying und Yang. Die perfekte Ergänzung.
Hätten wir. Aber nur, wenn er nicht so feige gewesen wäre. Egal jetzt, Strich drunter, fertig! Ende! Ich muss den Kerl vergessen.
Kapitel sechs – Zurück ins Leben
Drei Wochen später wage ich mich das erste Mal wieder alleine unter Leute. Ich habe zwar nicht die ganze Zeit einsam und leidend in meiner Wohnung gesessen, aber es hatte jedes mal alle Überredungskünste meiner Bekannten gebraucht, mich mit ins Kino oder auf einen Drink in eine Bar zu schleppen. Ich war einfach völlig lustlos gewesen.
Heute aber habe ich endlich einmal wieder etwas Größeres vor. Etwas, worauf ich wirklich Lust habe. Und ich werde alleine dorthin gehen. In einer Galerie in der Stadt wird eine Foto-Ausstellung eröffnet, die mich brennend interessiert: Ein ganzer Saal voller Schwarz-Weiß-Fotographien eines zumindest stadtbekannten Künstlers. Die Bilder sind auf seiner Weltreise entstanden und sie warten nur auf mich. Ich bin schon richtig gespannt darauf, denn das, was ich in der Zeitung gesehen und gelesen habe, klang wirklich viel versprechend.
Zusammen mit etlichen anderen Besuchern schiebe ich mich durch die Ausstellungsräume und lasse mich von den in den Bildern transportierten Emotionen voll einfangen. Schon lange habe ich nicht mehr derart wundervolle Bilder gesehen.
Mein Blut rauscht und meine Haut prickelt, es hat mich voll erwischt. Vor allem dieses eine Bild, vor dem ich gerade stehe, hat mich absolut gefangen genommen. Ich war eigentlich schon längst weiter gegangen, musste aber noch einmal hierher zurück kommen und es ansehen.
Es zeigt zwei Menschen, zwei Männer, beide alt und runzlig, die zusammen vor einem kleinen Haus auf einer Bank sitzen. Ich weiß natürlich nicht, ob meine Phantasie zutrifft, aber ich stelle mir vor, dass sie ein Paar sind. Ich halte dies sogar für durchaus möglich. Entweder das oder sie sind wirklich gute Freunde.
Das, was dieses Bild so besonders macht, sind nicht ihre Falten, das Haus oder ihre Kleidung. Auch nicht die Wahl des Ausschnitts oder die Belichtung. Das Auffällige daran ist, dass sie pures Glück ausstrahlen. Es ist in ihrer Haltung, die sie miteinander einnehmen, es strömt aus ihren Gesichtern, ihren Augen. Dieses Bild zeigt genau das, was ich mir für mich wünsche. Mehr als alles andere auf der Welt.
Seufzend aber mit einem Lächeln im Gesicht wende ich mich nach einer guten halben Stunde schweren Herzens davon ab, sehe mir den Rest an, bin aber nicht mehr wirklich bei der Sache. Immer wieder springen meine Gedanken zurück zu den beiden alten Männern auf der Bank.
Beim Hinausgehen kaufe ich den Katalog der Ausstellung, nachdem ich sicher gestellt habe, dass das Bild darin abgebildet ist. Ich werde es mir zu Hause in einem Rahmen an die Wand hängen. Das Original, das hier hängt, kann ich mir nämlich leider nicht leisten.
Ich fühle mich richtig gut, als ich aus der Galerie komme und habe noch keine Lust, nach Hause zu gehen, also mache ich mich auf den Weg ins Café Rosé, ein kleines schwules Café, in dem ich mich früher deutlich öfter herum getrieben habe. In der letzten Zeit war ich allerdings kaum noch dort. Jetzt erst fällt mir auf, dass Sylvian immer Orte gemieden hat, an denen er allein durch seine Anwesenheit Gefahr gelaufen wäre, geoutet zu werden. Wir waren niemals in schwulen Kneipen, Cafés oder auf Veranstaltungen. Ich hatte mir nie etwas dabei gedacht aber aus der heutigen Sicht verstehe ich natürlich, warum das so war. Ich war so blind!
Carlos, der Kellner erkennt mich trotz der langen Abwesenheit wieder und begrüßt mich mit einem kleinen Freudenschrei und einer lieben Umarmung. Weil ich allein bin und es nicht besonders voll ist, befiehlt er mich an die kleine Theke, damit er sich mit mir unterhalten kann, während ich meinen Latte Macchiato trinke. Auf seine Frage, warum ich mich so lange nicht habe sehen lassen, antworte ich sehr vage und umreiße nur grob, dass ich ein bisschen Stress mit einem Typen hatte.
Carlos drückt mich daraufhin noch einmal an sein Herz und zwitschert, dass er es gar nicht verstehen kann, dass mich ein Kerl abblitzen lässt. Das müsse ja gerade ein richtiger Idiot sein. Den solle ich besser ganz schnell vergessen. Ich stimme lachend ein und habe zum ersten Mal das Gefühl, dass ich es tatsächlich schaffen kann, diesen Mistkerl irgendwann zu überwinden.
Dies hier ist außerdem viel mehr meine Welt als die so genannten 'Locations', an denen sich die Schönen und Reichen herum treiben. Hier bin ich zu Hause.
Ich staune nicht schlecht, als es am Freitag Abend gegen achtzehn Uhr an meiner Tür klingelt und ein Kurier mit einem ziemlich großen Paket in der Hand vor mir steht.
"Herr Robert Weiß?" fragt er mich.
"Ja." sage ich zögerlich.
"Ich habe eine Lieferung für Sie." Nun, das ist ja offensichtlich!
"Ich habe nichts bestellt. Woher kommt es denn?" frage ich immer noch sehr vorsichtig. Diese Sache erscheint mir hochgradig seltsam.
"Tut mir Leid, das steht nicht dabei. Ich soll das nur hier bei Ihnen abliefern. Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden." Er stellt das Paket vorsichtig auf den Boden und hält mir eine elektronische Unterschriften-Box entgegen.
"Nicht, wenn ich damit eine Waschmaschine kaufe." scherze ich.
"Keine Sorge, das tun Sie nicht. Jedenfalls nicht bei mir." Er grinst mich nett an. "Es ist bereits alles bezahlt, keine Sorge."
Die Neugier siegt und ich quittiere die Annahme. Er gibt mir das in braunes Papier verpackte Teil und wünscht mir einen schönen Tag. Ich nehme es mit in die Wohnung und stelle das Ungeheuer erst einmal auf mein Sofa. Nachdenklich betrachte ich es, bevor ich das Papier entferne. Es ist ungefähr einen Meter mal eins fünfzig groß und circa zehn Zentimeter dick. Ich habe nicht die geringste Vorstellung, was darin sein könnte.
Vorsichtig löse ich das Papier und ziehe es herunter. Die Rückseite einer Leinwand kommt zum Vorschein. Nanu? Ein Bild? Oder was? Das Ganze wird immer rätselhafter. Ich entferne das Papier vollständig und drehe es herum. Dann bleibt mein Herz einen Moment lang fast stehen. Es ist das Foto aus der Ausstellung. Das mit den beiden alten Männern vor dem Haus. Und das Schärfste daran – es ist ein Original! Mit Autogramm des Fotografen an der unteren Ecke. Aber wie kann das...? Woher...?
Als ich das Papier durchsuche, fällt ein Kuvert auf mein Sofa. Ich nehme es und ziehe die Karte heraus. Ich erkenne die perfekt geschwungene Handschrift, die darauf zu sehen ist, sofort.
"Lieber Robert. Ich weiß, dass es Dir gefällt. Also sende es bitte nicht aus Trotz zurück. Ich würde mich freuen, wenn wir uns heute Abend im Havanna treffen könnten, aber das ist keine Bedingung für das Geschenk. Das gehört Dir in jedem Fall. Ich bin um 21 Uhr dort. Dein Sylvian."
Jetzt muss ich mich tatsächlich erst einmal hinsetzen. Woher weiß er...? Warum hat er...?
Natürlich! Er muss dort gewesen sein und mich dabei beobachtet haben, wie ich das Bild betrachtet habe. Ich habe ja lange genug davor gestanden und es total in Gedanken versunken angeschaut.
Ich überlege, ob ich ihn heute Abend einfach versetzen soll. Eigentlich habe ich ihm ja deutlich genug gesagt, dass die Sache für mich erledigt ist. Und außerdem hat er explizit geschrieben, dass es keine Bedingung für das Geschenk ist, dass ich dorthin komme. Also bin ich dazu auch nicht verpflichtet. Ich kann ihm ja schriftlich dafür danken.
Am Ende siegt natürlich meine gute Erziehung. Es gehört sich einfach nicht, ein so großes Geschenk anzunehmen und sich dann nicht einmal persönlich dafür zu bedanken. Daran, dass ich es annehmen werde, habe ich nicht einen Moment gezweifelt. Ich wollte dieses Bild. Es war von Anfang an 'mein' Bild gewesen, das hatte ich schon gespürt, als ich es das erste Mal gesehen habe. Es hatte gleich zu mir gewollt. Und jetzt ist es tatsächlich hier. Völlig egal, wie es hergekommen ist. Ein Teil der positiven Stimmung überträgt sich direkt auf mich.
Ich springe rasch unter die Dusche und ziehe mich an. Dieses mal habe ich kein Problem mit meiner Garderobe, schließlich ist es kein Date. Ich treffe einen verlobten Mann, also ist es egal, was ich trage.
Was für eine schreckliche Vorstellung das ist! Verlobt! Wirklich begreifen werde ich das nie.
Viel wird heute Abend sowieso nicht passieren. Ich werde mich bedanken, ihn ein bisschen reden lassen, das tut er ja bekanntlich sehr gern, und dann werde ich mich wieder dezent verabschieden. Nur ein Höflichkeitsbesuch und ein sehr kurzer dazu. Sonst nichts.
Ob er die ganze Zeit die Tür beobachtet hat? Als ich herein komme, sitzt Sylvian am gleichen Tisch, wie an unserem allerersten Abend hier. Wenn er glaubt, mich damit beeindrucken zu können, hat er sich allerdings getäuscht. Ich gehe zu ihm, reiche ihm meine Hand, die er einen Moment zu lange festhält, und begrüße ihn relativ förmlich.
"Hallo Sylvian. Danke für das Geschenk."
"Schön, dass Du gekommen bist, Robert." antwortet er und lächelt. "Ich hatte den Eindruck, dass es niemand außer Dir haben sollte."
"Du hast mich also beobachtet?" frage ich.
"Ja." gibt er ganz offen zu. "Die Gelegenheit war günstig. Du warst so in dieses Bild versunken, dass Du ohnehin nichts anderes wahrgenommen hättest."
Wir bestellen unsere Drinks bei dem Kellner. Ich trinke nur ein Wasser, weil ich noch fahren muss, er einen Daiquiri.
"Vielleicht will ich manche Dinge auch gar nicht sehen." sage ich.
"Wenn Du damit Saskia meinst, ich war ohne sie da. Sie hockt momentan in irgendeiner Ausgrabung in Griechenland." antwortet er.
"Ich hatte eigentlich Dich gemeint." sage ich kühl.
"Du willst mich also immer noch nicht wieder sehen?" fragt er leise. "Warum bist Du dann hier?"
"Weil Du mir ein ziemlich großes Geschenk gemacht hast und ich mich persönlich bedanken wollte. Das gehört sich schließlich so." Immer noch wahre ich eine gewisse Distanz. Nicht nur räumlich, sondern vor allem gefühlstechnisch.
"Aber Du gibst es mir doch nicht zurück, oder?" fragt er vorsichtig.
"Nein." antworte ich spontan und mit fester Stimme. Wider Willen muss ich jetzt doch ein bisschen lächeln. Und dann lasse ich es außerdem zu, doch noch ein bisschen persönlich zu werden. "Ich liebe dieses Bild, das weißt Du doch genau. Wie könnte ich es zurück geben?"
"Das ist gut." Er wirkt erleichtert. "Ich bin froh, dass Du es behältst. Und ich bin froh, dass Du hier bist. Ehrlich. Ich habe Dich vermisst." Er setzt einen Dackelblick auf.
"Hör auf damit."
"Du sperrst Dich wieder, genau wie bei unserem ersten Treffen. Wie lange willst Du das durchhalten?"
"So lange es nötig ist."
"Soll ich vielleicht wieder etwas von mir erzählen?"
Ich sehe ihn an und antworte nicht. Was soll ich darauf auch sagen? Soll er doch tun, was er will.
"Okay." sagt er. "Was willst Du wissen? Willst Du wissen, ob ich mit Saskia wirklich zusammen bin? Das bin ich nicht. Wir haben uns außer bei der Feier nur einmal getroffen. Willst Du wissen, ob ich sie liebe? Nein, gar nicht. Wie auch? Ich kenne sie ja gar nicht. Oder willst Du wissen, ob ich Dich noch liebe? Das tue ich. Sehr sogar. Und ich wünschte, Du würdest mir noch eine Chance geben." Er sieht mich flehend an.
"Sylvian, hör auf damit. Ich würde Dir vielleicht sogar eine Chance geben, aber nicht unter diesen Voraussetzungen. Ich kann nicht mit einem verheirateten Mann zusammen sein, verstehst Du das immer noch nicht?" Ich weiß gar nicht, warum ich es ihm immer wieder erklären muss. So schwer ist das doch nicht zu verstehen.
"Verheiratet!" schnaubt er. "Ich werde doch nur auf dem Papier verheiratet sein. Es ist eine Unterschrift unter einem Vertrag. Mehr nicht."
"Du hast gesagt, Ihr werdet vielleicht sogar Kinder haben. Wie stellst Du Dir das vor? Das ist eine große Verantwortung, die Du da übernehmen musst. Dann kannst Du nicht mehr einfach in der Gegend herum vögeln oder Dich heimlich mit irgendwelchen Kerlen treffen."
Sein Blick schweift hektisch hin und her. Ich glaube, er hat bisher überhaupt nicht über die Tragweite seines Handelns nachgedacht.
"Robert. Ich komme aus der Nummer nicht mehr heraus. Ich habe keine Wahl." Sein Blick flackert unruhig und er wirkt jetzt fast ein bisschen panisch.
"Natürlich hast Du die. Du hast immer eine Wahl." sage ich.
"Dann bin ich ruiniert." sagt er mit erstickter Stimme. Er klingt fast wie ein kleiner Junge, der Angst im Dunklen hat.
"Unsinn. Du bist gut in Deinem Job, jedenfalls hast Du mir das gesagt. Das werden auch andere erkennen. Du findest auch woanders eine Stelle."
"Nicht, wenn mein Dad mit mir fertig ist. Dann kann mich niemand mehr nehmen. Einen solchen Klotz wird sich keine Firma ans Bein binden. Du hast ja keine Ahnung, wie mächtig er ist." sagt Sylvian.
Nervös fummelt er an seinem Glas herum. Er wirkt verzweifelt, gar nicht mehr arrogant, gar nicht mehr selbstbewusst. Eher total verzagt. Ich glaube, ich möchte derzeit nicht in seiner Haut stecken. Vielleicht würde ich ja auch nicht anders handeln, wenn ich in der Situation wäre. Vielleicht glaube ich nur, dass ich es täte, weil ich diese Entscheidung nicht treffen muss. Vielleicht bin ich in Wahrheit im Moment der deutlich arrogantere von uns beiden.
Er tut mir jetzt richtig Leid. Und wenn ich ehrlich bin, vermisse ich ihn auch. Sehr sogar. Ich seufze und sehe ihn an. Nein, ich kann ihn nicht einfach so aus meinem Leben verbannen. Ich will zumindest, dass wir immer noch etwas miteinander zu tun haben, auch wenn daraus nicht mehr das werden kann, was wir vorher hatten. Also treffe ich eine Entscheidung. Hoffentlich werde ich das, was ich jetzt sage, nicht später bereuen.
"Willst Du mir vielleicht morgen dabei helfen, das Bild aufzuhängen?" frage ich leise.
Das Blau seiner Augen leuchtet plötzlich wieder auf. Er sieht mich an und strahlt.
"Natürlich! Gerne."
"Weißt Du eigentlich, dass Du vorher noch nie bei mir warst?" frage ich ihn. Wir haben uns immer nur bei ihm getroffen. Er hat nie wirklich versucht, ein Teil meines Lebens zu werden. Unsere Beziehung war immer etwas, das auf einer anderen Ebene statt fand. Nicht in meinem Leben aber irgendwie auch nicht in seinem.
"Doch. Sicher war ich das." sagt er mit voller Überzeugung. Scheinbar ist ihm das selbst noch gar nicht aufgefallen.
"Ja, im Flur vielleicht. Aber weiter noch nicht." sage ich.
Er überlegt kurz. "Ehrlich nicht?"
"Ehrlich nicht."
"Dann wird es ja allerhöchste Zeit. Wieviel Uhr soll ich da sein?"
"Nachmittags. Wann hast Du Zeit? Vielleicht gegen fünf?"
"Okay. Ich komme um fünf." strahlt er. Wahrscheinlich hätte er für drei Uhr morgens genau so begeistert zugesagt.
"Versprich Dir nicht zu viel davon." versuche ich, seine Begeisterung zu bremsen. Er soll nicht denken, dass von jetzt auf gleich alles wieder in Ordnung ist.
"Ich verspreche mir gar nichts davon. Ich bin froh über jede Kleinigkeit, die ich von Dir bekomme. Dich überhaupt wieder sehen zu können ist schon das Größte." Sylvian lächelt und ich beschließe, die Blockade ein wenig aufzugeben.
Plötzlich können wir auch wieder ganz normal miteinander reden. Leider wird mir durch die fehlende Mauer um meine Seele sehr schnell bewusst, wie viel er mir noch bedeutet. Er ist immer noch der Mann meiner Träume. Das geht nicht so ohne weiteres wieder weg.
Noch ist er ja nicht verheiratet. Vielleicht besteht ja doch noch die Möglichkeit, dass er sich seines Fehlers bewusst wird und die Hochzeit absagt. Vielleicht war die Taktik, ihn auflaufen zu lassen, völlig falsch. Vielleicht ist es viel besser, wenn er noch einmal genau vor Augen geführt bekommt, was er durch die Hochzeit verlieren wird. Wenn er mit mir zusammen glücklich ist, dann entscheidet er sich vielleicht doch noch anders. Ich wage es, ein ganz kleines bisschen Hoffnung zu schöpfen.
Auf Sylvians Pünktlichkeit ist immer noch Verlass, das muss ich schon sagen. Um zwei Minuten vor fünf klingelt er und ich drücke auf den Summer. Dann höre ich ihn die Treppen hinauf eilen, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und kurz darauf steht er ein bisschen atemlos vor mir. Obwohl er nichts Besonderes trägt, lediglich Jeans und ein Shirt, sieht er schon wieder unverschämt gut aus. Ich versuche, das erst einmal zu ignorieren um nicht Gefahr zu laufen, es ihm zu einfach zu machen.
"Hallo Sylvian." sage ich freundlich aber distanziert.
"Hallo Robert. Ich freue mich, Dich zu sehen." Er nimmt meine Hand und drückt sie, so lange ich ihn lasse.
"Komm rein." bitte ich ihn.
"Danke." sagt er mit warmer Stimme.
Zum ersten Mal sieht er sich interessiert in meiner Wohnung um. "Du hast es richtig schön hier. Gemütlich." sagt er und ich habe den Eindruck, dass es seine ehrliche Meinung ist.
"Danke. Ich wohne auch sehr gerne hier." antworte ich.
Ich zeige ihm erst einmal alles. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer und sogar das Badezimmer. Das alles ist kein Vergleich zu seiner Designer-Hütte, das ist mir schon klar. Trotzdem bin ich stolz darauf, denn im Gegensatz zu seiner Wohnung wurde meine mit Liebe eingerichtet.
Dann komme ich zum eigentlichen Grund seines Besuchs. Auch meine aufkommende Nervosität sorgt dafür, dass ich mich jetzt lieber erst einmal mit etwas konkretem beschäftigen möchte.
"Ich dachte, dass das Bild hier am Besten aussehen würde." sage ich und deute auf eine große, freie Wand im Wohnzimmer. "Außerdem kann ich es dort immer sehen."
"Ja." sagt er. "Das finde ich auch. Dort wird es sicher umwerfend aussehen. Soll ich es mal dorthin halten, damit Du schauen kannst, wie es wirkt?"
Sylvian lässt sich zum Glück bereitwillig einspannen. Ich gebe ihm das Bild und er mustert die Wand, bevor er es in etwa mittig dorthin hält. "So?"
"Halte es mal etwas höher."
Er rückt es ein Stückchen nach oben. "So?"
"Jetzt ist es schief."
Er dreht es.
"Noch etwas nach links. Also von Dir weg. Stopp! Ja, genau so."
Das Bild sieht dort, wo er es gerade an die Wand presst, phantastisch aus. Es ist die perfekte Stelle dafür. Dieses Bild ist einfach wunderbar, ich könnte es stundenlang ansehen. Versunken stehe ich da und betrachte es. Ab und zu schweift mein Blick zu Sylvian herüber und ich kann es noch so sehr zu ignorieren versuchen, aber er sieht nahezu genau so perfekt aus wie das Bild. Und damit meine ich nicht nur seine äußere Erscheinung. Auch seine Aura, seine Präsenz ist immer noch faszinierend. Warum nur macht er so einen Unsinn?
Eine ganze Zeit lang stehe ich nur dort und beobachte. Dann fällt mir auf, dass er ziemlich verkrampft dort steht und das Bild mit ausgestreckten Armen gegen die Wand drückt, was ganz schon anstrengend sein muss. Höchste Zeit, ihn zu erlösen.
"Jetzt halte ich es mal und Du kannst schauen." sage ich und reiße mich unwillig von beiden Anblicken los.
Ich gehe zu ihm, greife das Bild und halte es genau so fest, wie er es die ganze Zeit gehalten hat. Er geht hinüber zu der Position auf der ich gerade gestanden habe und betrachtet die Wand mit prüfendem Blick. Dann sieht er mich an.
"Ja, das ist perfekt." sagt er dann und nickt. "Soll ich eine Markierung machen?" Zuerst war ich nicht ganz sicher, ob er wirklich nur das Bild gemeint hat, oder mich aber ich entscheide mich dafür, erst einmal die praktischen Dinge zu erledigen und dann vielleicht noch einmal darüber nachzudenken.
"Ja, bitte." antworte ich. "Da liegt ein Bleistift auf dem Couchtisch."
Er nimmt den Bleistift-Stummel und kommt wieder zurück zu mir.
"Markier' einfach die beiden oberen Ecken, dann messe ich die Mitte aus." erkläre ich ihm, wie ich dabei vorzugehen gedenke.
Er kritzelt erst rechts einen kleinen Winkel auf die Tapete, dann links, wo ich stehe. Dabei kommt er mir so nah, dass ich seinen Duft riechen und die Wärme seiner Haut durch seine Kleidung spüren kann. Ganz kurz schließe ich die Augen und genieße es.
Sylvian hält inne. Scheinbar ist ihm auch gerade aufgefallen, wie nahe wir uns gekommen sind. Er dreht den Kopf langsam zu mir, ohne sich sonst zu bewegen. Der Bleistift berührt immer noch die Tapete. Wie in Zeitlupe lässt er den Arm sinken.
"Du kannst es jetzt abstellen." flüstert er heiser und sieht mir dabei tief in die Augen.
Das Bild sinkt herunter und ich in seine Arme. Der Bleistift landet dabei irgendwo auf dem Fußboden. Nicht einmal eine Stunde lang habe ich es geschafft, ihm zu widerstehen. Nicht einmal eine einzige Stunde.
Ich bin so verhungert nach seinen Berührungen, seinen Küssen und Zärtlichkeiten, dass ich mich heftig an ihn klammere, ihm noch im Wohnzimmer die Klamotten förmlich herunter reiße und ihn wild knutschend in mein Schlafzimmer zerre. Dort packt er mich, schiebt mich heftig atmend auf das Bett und zieht mich mindestens genau so schnell aus, wie ich ihn.
Er kneift mir mit den Zähnen sanft in die Brustwarzen und schiebt mir dann die Zunge heftig in den Mund. Gleichzeitig bringt das, was er mit seiner Hand anstellt, mich dazu, vor Lust laut aufzustöhnen.
Ich flehe ihn förmlich an, mit mir zu schlafen und er lässt sich nicht lange bitten. Er nimmt mich fest aber sehr beherrscht und ich muss irgendwann einsehen, dass er einfach nicht tiefer und härter kann.
Kapitel sieben – Back to Business
Am nächsten Morgen lehnt das Bild immer noch an der gleichen Stelle, denn wir haben an diesem Abend das Schlafzimmer nicht mehr verlassen. Ich weiß nicht, wie oft wir es noch getan haben aber jedes Mal war der helle Wahnsinn. Egal ob er mich heftig rangenommen hat oder ob er sanft und zärtlich war. Irgendwann reißt die bewusste Erinnerung ab und es bleibt nur noch ein warmes, summendes Gefühl in meinem Inneren. Wie sehr ich das vermisst habe!
Ich werde nach und nach immer wacher und das erste, was ich bewusst fühle, ist eine Hand, die meine Brust streichelt. Ich mache ein wohliges Geräusch und die Hand zieht sich darauf hin zurück.
"Hey, ich habe nicht gesagt, dass Du damit aufhören sollst." murmle ich. Dann öffne ich die Augen und sehe, dass er auf der Seite liegt, den Kopf in die Hand gestützt, und mich direkt ansieht.
"Was machst Du? Beobachtest Du mich?" frage ich ihn.
"Die Gelegenheit war schon wieder so günstig." sagt er leise. Er streicht mir zärtlich das Haar aus der Stirn und lächelt. "Hattest Du das etwa so geplant?"
"Nein." sage ich. "Hatte ich nicht. Wirklich nicht."
"Aber prinzipiell ausgeschlossen hattest Du es auch nicht." Sein Finger wandert langsam über meine Augenbraue.
"Sagen wir mal, ich habe es wohlwollend in Kauf genommen." antworte ich und räkle mich ein wenig herum.
Er küsst mich. Dann wird sein Blick wieder ernster.
"Wie soll es denn jetzt mit uns weiter gehen? Ich weiß wirklich nicht, wie wir das machen sollen. Und wenn Du..."
"Rede nicht darüber. Jetzt nicht." Ich schlinge den Arm um seinen Nacken und ziehe ihn zu mir. "Küss mich lieber noch mal."
Er tut, worum ich gebeten habe, dann legt er seine Arme um mich und zieht mich auf sich. Ich setze mich rittlings auf seine Oberschenkel und sehe auf ihn herunter. Ich will ihn nie wieder hergeben, aber ich weiß, dass das nicht nur von mir abhängt. Ich wische den Gedanken beiseite und konzentriere mich darauf, nur unser Zusammensein zu genießen und weiter nichts.
Die nächsten Tage und Wochen sind wir wieder wie im siebten Himmel. Es ist fast wie beim ersten Mal, als wir uns immer näher und näher kamen. Nur ist es dieses Mal noch viel intensiver, weil wir inzwischen beide wissen, wie es ist, wieder ohne den anderen sein zu müssen. Gefallen hat es keinem von uns.
Irgendwann liegen wir wieder einmal Sonntags Morgens in meinem Bett. In der letzten Zeit sind wir recht häufig bei mir. Scheinbar fühlt er sich inzwischen in meiner Wohnung sehr wohl. Er hat mich gerade mit zärtlichen Küssen geweckt und wir flirten leise kichernd miteinander. Dann schneidet er wieder das leidige Thema Nummer eins an. Seltsam, bisher hatte ich gedacht, ich sei der einzige, der sich ernsthaft damit beschäftigt. Nur will ich jetzt, da er es ebenfalls tut, eigentlich nichts mehr damit zu tun haben. Jedenfalls im Moment nicht.
Vielleicht ist es falsch, das zu verdrängen aber ich habe das Gefühl, dass wir derzeit keine Lösung finden können und wenn ich mir das wirklich bewusst mache, müsste ich eigentlich sofort die Konsequenzen ziehen. Und das will ich derzeit nicht, denn dann wäre es schon wieder vorbei.
"Wie soll es denn jetzt mit uns weiter gehen?" fragt Sylvian leise.
"Ich fürchte, das hängt maßgeblich von Dir ab." antworte ich.
Er sagt darauf nichts, sieht nur auf meine Finger, die mit seinen spielen. Es sieht aus, als müsste wieder einmal ich etwas dazu sagen. Wie immer.
"Sylvian, ich kann nicht mit Dir zusammen sein, wenn Du erst verheiratet bist. Das geht einfach nicht. Ich werde meine Meinung dazu nicht ändern." sage ich, während ich meine Fingerkuppen weiter leicht über seinen Handrücken wandern lasse.
"Aber es ist doch nur ein Blatt Papier." versucht er es wieder einmal herunter zu spielen.
"Nein. So einfach ist das nicht. Du wirst mit Deiner Frau zusammen wohnen. Und Du wirst vielleicht Kinder mit ihr haben. Da werde ich mich nicht dazwischen drängen." sage ich. Diese Vorstellung erscheint mir geradezu grotesk.
"Kinder müssen ja nicht sein. Ich wüsste sowieso nicht, wie ich die mit ihr hin bekommen sollte." sagt er unglücklich.
"Selbst dann nicht. Außerdem glaube ich nicht daran, dass Dein Vater darauf verzichten wird. Er wird Enkel einfordern. Wozu hätte er Dich sonst in diese Ehe drängen sollen? Es geht doch letztendlich um einen Erben für die Firmen. Aber wie auch immer, egal, ob mit Kindern oder ohne. Ich will nicht nur der Kerl in Deinem Bett sein. Ich will Dein Leben mit Dir teilen und meines auch. Ich will nicht ansehen müssen, wie Du nachts heimlich von mir weg schleichst und am nächsten Tag mit ihr zu einer öffentlichen Veranstaltung gehst. Ich will nicht allein hier sitzen und beim Frühstück Dein Foto in der Zeitung sehen. Ich will zu Dir gehören und zwar ganz und gar. Ich kann gar nichts anderes."
Er sieht mich traurig an. "Dad würde mich fertig machen. Ich wäre gar nichts mehr. Nicht einmal mehr der Dreck unter seinen Schuhen." flüstert er, als habe er Angst, dass sein alter Herr es hören könnte, falls er es laut ausspricht.
Ich setze mich ein wenig weiter auf und sehe ihn fest an.
"Sei sicher, Sylvian, wenn Du den Aufstand gegen ihn wagst, stehe ich felsenfest hinter Dir, egal was passiert. Und ich bin sicher, dass wir das schaffen würden. Du bist gut in dem, was Du tust und das werden auch andere sehen."
Er seufzt abgrundtief und ich weiß, dass er verdammt tief in der Klemme steckt und dass ich die Schraube zusätzlich enger ziehe, obwohl es ihm jetzt schon weh tut. Aber ich kann ihm nicht helfen, so lange er nicht einmal in Erwägung zieht, die Sache abzusagen. Ich würde es hassen, ihn verlassen zu müssen, aber ich werde es tun, wenn er heiratet. Das muss ihm ganz klar sein.
Unsere Diskussion endet wie immer in einer der beiden möglichen Varianten. Das heißt, eigentlich laufen beide Varianten letzten Endes auf das gleiche hinaus. Entweder wir hören irgendwann einvernehmlich auf zu reden, weil wir uns ohnehin nur im Kreis drehen und haben stattdessen Sex. Oder wir fangen an, zu streiten, weil er wieder den Bonzen raus hängen lässt und mir unseren Standesunterschied deutlich unter die Nase reibt. Dann schreien wir uns an, bis er irgendwann nachgibt und sich entschuldigt und wir haben dann Sex. Dieses mal hören wir früh genug auf zu reden, um uns nicht erst zu streiten.
Aber auch wenn das vielleicht jetzt so klingt, als würden wir pausenlos nichts anderes tun, als permanent durch die Betten zu rocken, ist das absolut nicht so. Wir tun durchaus auch eine Menge anderer Dinge. Wir sitzen zum Beispiel oft bei mir zu Hause und reden – bei ihm in der Möbelausstellung kann man es ja nicht aushalten! – oder wir gehen zusammen aus, wir hören Musik, sehen uns Filme an, kochen und essen zusammen, nehmen Schaumbäder. Wir tun eigentlich all das, was andere Paare auch tun. Nur schwebt ein ganz bestimmtes Datum über unseren Köpfen. Der fünfzehnte vierte ist der Tag der Entscheidung und er rückt unaufhaltsam näher.
Je mehr wir uns aneinander annähern, je fester unsere Beziehung wird, umso seltener sprechen wir über die anstehende Hochzeit. Auch angesichts der Tatsache, dass die Zeit bis dahin immer knapper wird. Es gibt nicht sonderlich viele Optionen, also warum sollen wir sie immer und immer wieder durch kauen? Das führt zu nichts. Ich kann nur abwarten, wie er sich entscheiden wird und hoffen, dass seine Entscheidung für mich gut sein wird. Es liegt nicht an mir, wie diese Sache ausgeht. Leider nicht. Natürlich ist das schrecklich, aber ich kann es nicht ändern.
Heute ist er zur Anprobe seines Anzugs gefahren. Er hatte tatsächlich gefragt, ob ich mitkommen will, aber ich hatte dankend abgelehnt. Das tue ich mir nicht an, schließlich weiß ich, wie umwerfend er in Anzügen aussieht. Dass dieser Anzug unsere Beziehung beenden wird, wenn er ihn zu dem vorgesehenen Anlass trägt, daran hat er bei seiner Einladung wohl nicht gedacht. Ich allerdings schon. In den letzten Tagen denke ich kaum noch an etwas anderes, wenn ich ehrlich bin.
Vielleicht glaubt er auch nicht, dass ich es wirklich ernst meine, aber ich bin fest entschlossen. Wenn er wirklich heiratet, ist Schluss. Und dieses Mal werde ich mich nicht wieder breit schlagen lassen, egal wie sehr ich ihn liebe und egal, wie sehr ich ihn vermisse. Diese Entscheidung ist dann endgültig. Ich hoffe, er ist sich darüber im Klaren.
Nach der Anprobe will er wieder zu mir kommen und die Nacht hier verbringen. Ich darf nur nicht ständig daran denken, dass es nicht mehr viele Nächte sind, die wir miteinander haben, sonst kriege ich die Krise. Es sind nur noch zwei Wochen und seine Eltern sind in heller Aufregung und in wilder Hektik, damit alles rechtzeitig fertig wird. Sylvian nervt das alles kolossal aber es liegt allein an ihm, das abzustellen.
Die Trauung soll in der Stephanskirche stattfinden. Von dort geht es dann zum Fotografen und anschließend folgt ein kurzer Pressetermin im Haus seiner Eltern. Wenn die Knipser dann weg sind, beginnt die bombastische Feier mit allem Pipapo. Ich habe ihm schon mindestens einhundert Mal gesagt, dass ich das alles gar nicht wissen will, aber er hat alle Einzelheiten aufgezählt. Was auf dem Buffet stehen wird, wie viele Musiker die Kapelle hat, wie viele Gäste da sein werden, einfach alles. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zu gehalten und geschrien, um es nicht hören zu müssen. Aber er hatte immer weiter gesprochen und ich hatte zugehört.
Eisfiguren, Kaviar, Champagner, das volle Programm. Und nachts um zwölf werden er und seine Frau – ist mir schlecht, wenn ich nur daran denke – zuerst die Hochzeitstorte, dreistöckig, versteht sich, anschneiden und sich dann von den Gästen verabschieden, um ihre Flitterwochen anzutreten. Ein Geschenk von seinen Eltern. Sie fahren auf die Malediven, wo sie sich dann sicherlich um die hübschen Kellner streiten werden, wie er sagte. Er mag die Vorstellung vielleicht witzig finden, mir dreht sie den Magen um.
Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, um diesen ganzen Krampf wieder aus dem Kopf zu bekommen, wie soll ich das nur anstellen? Ehrlich, ich wollte mich davon nicht so fertig machen lassen, das hatte ich mir fest vorgenommen, aber jetzt bringt mich jeder Gedanke in diese Richtung fast zum Wahnsinn. Aber ich werde trotzdem stark bleiben. Ich werde nicht vor ihm einknicken und vor allem werde ich nicht heulen. Jedenfalls nicht in seiner Gegenwart. Einen Mann mit Tränen weich zu klopfen ist ja wohl die unterste Schiene! Das habe ich nicht nötig.
"Hey. Na, wie war es?" begrüße ich ihn mit etwas angestrengter Fröhlichkeit, als er zurück kommt.
"Ganz okay." grinst er schief.
Er wirkt angespannt. Ich lege die Hände in seinen Nacken und massiere ihn zärtlich. Ich bin immer noch dabei, ihm zu zeigen, dass ich eigentlich der Mensch bin, mit dem er sein Leben verbringen will und niemand sonst. Ich halte das für eine bessere Idee als zu klagen und zu jammern.
"Alles okay?" frage ich leise.
"Ich weiß nicht. Ich glaube, jetzt wird es langsam ernst." sagt er nervös, als müsste er jetzt sofort vor den Altar.
"Noch kannst Du da raus." sage ich so beiläufig wie möglich.
"Robert, bitte. Das hatten wir doch schon." sagt er gequält. Er zupft an meinem Haar und küsst mich. "Hast Du Hunger? Ich führe Dich aus."
"Ja, habe ich. Wohin geht es?" Praktische Überlegungen sind gut. Die werden uns von diesem Mist ablenken. Und essen kann nie schaden.
"Was hältst Du vom Alhambra?" fragt er.
Mmmhhh, dieses Steak-Haus ist nicht schlecht, wir waren schon ein paar Mal dort. Meine Preisklasse ist es nicht, aber er kann es sich leisten und vielleicht sollte ich die Gelegenheit noch einmal ausnutzen, dass sein schlechtes Gewissen ihn plagt. Auch wenn ich lieber Nudeln mit Ketchup essen und auf diesen Mist verzichten würde.
"Okay. Ich ziehe mich rasch um." sage ich und verschwinde im Schlafzimmer. Kurz darauf trete ich ihm einigermaßen chic wieder entgegen.
"Du bist wunderschön." flüstert er in mein Ohr und küsst mich, bevor wir aufbrechen.
Völlig überfressen sitzen wir nach einem wirklich überaus köstlichen Mahl vor unseren leeren Tellern. Es ist geradezu ekelhaft, wie viel totes Tier ein einziger Mensch verschlingen kann. Und dass dann immer noch Platz für ein Dessert ist, ist ebenfalls ekelhaft. Zumindest aber ist es erstaunlich. Ich jedenfalls kann mich nicht mehr rühren ohne Gefahr zu laufen, dass mir irgendetwas wieder aus den Ohren heraus kommt. Nicht einmal reden mag ich mehr. Für den Moment bin ich zufrieden, wenn ich einfach nur hier sitzen und verdauen kann.
"Wenn ich jetzt zahle, rollst Du mich dann danach zum Auto rüber?" fragt Sylvian und streichelt seinen trotz allem unverschämt flachen Bauch wie eine Schwangere im neunten Monat.
"Ich würde Dir sogar Deinen Bauch kraulen." sage ich, beuge mich mühsam zu ihm und ergänze leise "Oder auch noch andere Stellen, wenn Du willst."
Er grinst. "Zahlen, bitte!"
Bei mir zu Hause wälzen wir uns erst einmal auf das Sofa und versuchen, uns wieder in den Griff zu bekommen. An Fummeln ist jetzt überhaupt nicht zu denken, wir sind beide viel zu voll. Wie zwei tote Schweine hängen wir auf der Couch und zappen das Fernsehprogramm durch. Weil Sylvian die Fernbedienung hat und mir kaum eine Chance lässt, mich überhaupt auf eins der Programme einzustellen, bevor es schon wieder weiter geht, schalte ich innerlich ab. Meine Augen schweifen herum und ich betrachte wieder einmal die beiden Alten auf dem Bild. All das Glück, das sie ausstrahlen. Tja, sieht aus, als wäre dieser Traum für mich jetzt doch ausgeträumt...
Dieser Gedanke, die Tatsache, dass ich total überfressen bin und die Schnäpse, die wir bei dem verzweifelten Versuch, das Essen zu verteilen, getrunken haben, führen dazu, dass ich ganz plötzlich und sehr heftig melancholisch werde.
Noch bevor ich mir dessen selbst völlig bewusst werde, fange ich auch schon an, zu heulen. Ganz plötzlich und unerwartet. Sogar für mich selbst kommt es überraschend. Bei meinem zweiten Schniefer dreht sich Sylvian um und sieht mich völlig entsetzt an.
"Hey, Robert." sagt er erschrocken, rutscht erstaunlich behände vom Sofa herunter und kniet sich vor mir auf den Boden.
"Hey, was ist denn mit Dir?" Er legt die Arme um mich und zieht mich an sich.
Ich kann nicht antworten, Schluchzer schütteln mich und die Tränen kullern nur so über mein Gesicht. Er drückt mich an sich und wiegt mich sanft hin und her.
"Wein doch nicht, bitte. Ich weiß gar nicht, was ich dann machen soll. Robert, bitte hör doch auf zu weinen."
Er küsst mein nasses Gesicht, wischt meine Tränen weg und sieht mich an. Seine Unterlippe zittert ebenfalls, aber noch hat er sich im Griff.
"Bitte nicht mehr weinen. Das kann ich nicht ertragen. Ich weiß doch auch nicht, was ich tun soll." flüstert er zittrig.
"Heirate nicht." sage ich abgehackt und würde mir am liebsten sofort auf die Zunge beißen. Ich wollte ihn nicht auf diese Art unter Druck setzen. Druck bekommt er von zu Hause genug. Ich wollte ihm nicht die Entscheidung zwischen seinem bisherigen Leben und mir aufzwingen. Einerseits, weil ich das unfair finde aber andererseits vielleicht auch, weil ich befürchte, zu verlieren. Natürlich will ich, dass er sich für mich entscheidet. Aber er soll es tun, weil er es will, nicht weil er es muss.
Er hält mich weiterhin ganz fest, als wolle er mich nie wieder loslassen. Dabei drückt er den Kopf fest gegen meinen Bauch und gibt leise, summende Geräusche von sich. Das einzige, was die Illusion vom gemeinsamen Glück zerstört ist, dass er in mein Shirt flüstert "Ich muss aber. Du weißt doch, dass ich nicht will. Aber ich habe doch keine Wahl."
Ich sehe ein, dass ich wohl tatsächlich verloren habe. Ihn verloren habe. Doch anstatt jetzt völlig auszuflippen und noch mehr zu heulen, reiße ich mich wieder zusammen. Ich schniefe ein letztes Mal, wische mit dem Handrücken energisch die Tränen aus meinen Augen und versuche, mich irgendwie mit der Tatsache abzufinden, dass wir uns nur noch zwei Wochen lang sehen können. Ich fürchte nämlich, auch in dieser Zeit werde ich ihn nicht mehr umstimmen können.
Kapitel acht – Eine bleischwere Entscheidung
Durch die Vorbereitungen hat Sylvian leider deutlich weniger Zeit für mich. Trotzdem versucht er, sich immer wieder ein bisschen Freiraum zu schaffen, um mich sehen zu können. Ich freue mich natürlich darüber, dass er es tut und ich weiß, wie schwierig das für ihn ist. Dass er es trotzdem tut, rechne ich ihm hoch an, aber ich weiß auch, worauf er spekuliert. Er geht davon aus, dass ich nicht ernst machen werde. Dass wir uns auch nach seiner Hochzeit noch sehen werden. Heimlich, versteckt, mal eben eine schnelle Nummer schieben und dann wieder zurück ins traute Heim. Aber genau diesen Zahn werde ich ihm heute ziehen. Ich werde Schluss machen. Jetzt ist der Moment der Wahrheit gekommen.
Es klingelt an der Haustür und ich lasse ihn herein. Seltsam, anfangs war er nie bei mir und jetzt sind wir es meistens. Er sagt, weil er sich in meiner Wohnung so wohl fühlt, aber ich schätze, es hat auch damit zu tun, dass uns hier niemand von seinen Leuten erwischen wird.
Er sprintet die Treppen hoch wie immer und weiß noch nicht, dass es das letzte Mal sein wird, wenn nicht doch noch plötzlich ein Wunder geschieht. Dann steht er strahlend vor mir. Er begrüßt mich mit einem Kuss und nimmt mich in die Arme. Ich präge mir das Gefühl seiner Lippen auf meinen ganz fest ein und seufze.
"Übermorgen ist es also so weit." sage ich leise und gehe vor in mein Wohnzimmer.
"Ja." sagt er ernst. "Aber lass uns jetzt bitte nicht darüber sprechen. Ich muss sonst schon pausenlos über nichts anderes reden."
"Das tut mir Leid für Dich. Aber wir müssen das jetzt auch tun." sage ich langsam und konzentriert. Nur mühsam bringe ich die Worte heraus, ohne dabei die Fassung zu verlieren.
"Was meinst Du?" fragt er und sieht mich alarmiert an.
"Sylvian, Du weißt genau, was ich meine. Ich habe Dir von Anfang an gesagt, dass ich mich nicht mehr mit Dir treffen werde, wenn Du heiratest. Und das habe ich auch von Anfang an ernst gemeint." Nie ist mir etwas so schwer gefallen, wie das hier.
Er lässt sich auf mein Sofa fallen wie ein Stein und sieht mich entsetzt an. "Machst Du Schluss?"
"Ja." Mir wird eiskalt. Dieses eine Wort tötet all meine Gefühle. Tod durch Erfrieren.
Er schließt seine Augen und legt die Hände vor das Gesicht. Ich versuche, pausenlos daran zu denken, dass er heiraten wird, dass er Kinder haben wird, damit ich nicht versucht bin, nachzugeben, einfach zu ihm zu stürzen, ihn in die Arme zu nehmen und zu sagen, dass ich es nicht so gemeint habe.
"Ich habe Dir immer gesagt, dass ich es ernst meine. Beides zusammen geht einfach nicht. Nicht mit mir." sage ich zu seinen Handrücken. Die Hände sinken herunter und er sieht mich an. Unendlich traurig.
"Es tut mir so Leid, Robert. Tut mir Leid, dass ich es kaputt gemacht habe. Ich weiß, dass es nur meine Schuld ist. Es tut mir so unendlich Leid." seine Stimme ist nur noch ein Flüstern und seine Unterlippe zittert.
"Ich gehe dann wohl besser." Er steht auf, geht langsam an mir vorbei aus dem Wohnzimmer in den Flur, dann höre ich die Wohnungstür zuklappen. Ich selbst stehe immer noch an der gleichen Stelle und starre die Stelle an, auf der er gerade noch gesessen hat.
So, das war es jetzt also. Ich habe ihn tatsächlich verloren. Irgendwie hatte ich bis zum Schluss immer noch geglaubt, dass er sich für mich entscheiden würde. Dass alles gut werden würde. Falsch geglaubt.
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