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Vorwort

Für das Lesen dieser Story ist das Lesen von »Blue Folder« und »A little Big City« Voraussetzung

 

Eines Abends im Chat:

0:59 !Xabbu: Hey du, wieso nennst du dich denn Dreamer? Bist du denn immer soweit weg mit den Gedanken? Na dann hoff ich mal dass du überhaupt merkst dass ich dir schreibe :-)

1:05 !Xabbu: Haaaalllllooooooo!!! Jemand da? Scheinst wohl wirklich ein Träumer zu sein.

1:06 Dreamer: Yepp, bin da. War grad mit den Gedanken woanders. Erklärt wohl auch wieso ich mich Dreamer nenne. :-)

1:07 !Xabbu: Doch noch da *freu* Hey, wo warst du denn mit den Gedanken? Bei nem Boy?

1:09 Dreamer: Yepp, er nennt sich Ralf.

1:11 !Xabbu: :-( Schon vergeben? Schade.

1:13 Dreamer: Is nur mein Bruder *g*

1:15 !Xabbu: Hey, das war nicht nett.

1:15 !Xabbu: ;-)

1:17 !Xabbu: Na dann erzähl mal was über dich.

Es war wieder mal etwas spät geworden im Chat und grade als ich mich ausloggen wollte, sprach mich dieser doch ganz nett wirkende Boy an. Auch sein Profil gefiel mir:

»!Xabbu: Bin 18, blaue Augen, schwarze Haare. Liebe das Leben, Gedichte, meine Freunde und vielleicht auch bald dich. ;-)« stand darin.

Da ich ein ziemlich fleissiger Gedichtesschreiber bin - wenn auch kein besonders guter - hatte ich vielleicht ja schon mal was worüber wir chaten konnten... Also was sollte es schon ausmachen wenn ich noch ein paar Minuten blieb?

1:19 Dreamer: Na dann mach ich das mal. Bin der Domenik… werd aber nur Domi genannt, 18 und immo eben solo. Du magst Gedichte? Bin ein ziemlich fleissiger Schreiber. :-) Sonst geh ich einfach noch viel aus, Chate für mein Leben gern und häng viel bei uns am See rum.

1:21 !Xabbu: Hört sich supi an. (vor allem das solo sein ;-) ). Von woher kommst du denn?

1:21 Dreamer: Zürich, du?

1:22 !Xabbu: Ich aus Olten, kennst du ja sicher.

Den Rest erspar ich euch jetzt mal, den ganzen Chat durchzulesen will ich euch nicht antun ;-).

Eigentlich wollt ich ja nur noch ein paar Minuten bleiben, doch ganze drei Stunden sass ich noch vor dem PC und hab so ziemlich viel über ihn erfahren.

Er arbeitet wie ich auch im Büro, ist wie ich noch ungeoutet, will aber bald mal den Schritt machen und hat eigentlich genau die gleichen Hobbys wie ich. Ausgenommen ist da das Gedichteschreiben, da hätte er kein Talent dazu, sagt er.

Ihr werdet jetzt wohl denken: ‚In den 3 Stunden muss es aber mehr gegeben haben.' Wenn das euer Gedanke war, seid ihr ja echt neugierig. ;-) Na klar gab's mehr, wir hatten uns z.B. beide die Geschichte erzählt, wie wir's gemerkt hatten, dass wir schwul sind. Interessierte mich eigentlich immer wieder, wenn ich jemanden kennen lernte.

Irgendwie komisch, aber auch da waren wir uns ähnlich. Beide hatten wir uns in der Schule in einen Klassenkollegen verguckt. Ich hab mich nie getraut etwas zu sagen, wie gross war die Chance schon, dass ausgerechnet der grösste Mädchenschwarm der Klasse schwul war? Und selbst wenn, war ich sicher nicht sein Typ und überhaupt… ich wollte damals nicht schwul sein… manchmal wäre ich es auch jetzt am liebsten nicht.

Bei ihm war's ein wenig anders, er wurde auf einen Jungen in seiner Klasse aufmerksam, weil der immer in seine Richtung schaute. Er wurde regelrecht von diesem verfolgt und er fand das zuerst ein wenig seltsam und unangenehm… doch bald fand er es irgendwie süss und den Jungen dazu auch noch. Da wurde er sich drüber klar, dass er halt nicht auf Mädchen stand. Nur leider getraute er sich nie den Jungen anzusprechen, weil er einfach Angst hatte als Schwuchtel dazustehen.

Natürlich gab's noch einiges mehr, worüber wir gechattet haben, aber das lass ich jetzt mal, darüber auch noch zu schreiben. Eines hatte ich leider damals nicht gefragt… wie sein Name war... Na ja, nach 3 Stunden musste ich dann leider doch raus, war viel zu müde zum weitermachen.

Irgendwie fühlte ich mich ein bisschen schlecht ihm… aber auch jemand ganz anderem gegenüber, denn ich hatte ihm gesagt, ich sei solo, obwohl ich's nicht war. Da gab es immer noch Thomas… aber lange würde es eh nicht mehr dauern mit ihm. Ich frage mich langsam, ob ich ihn überhaupt je geliebt habe…

Als ich den PC und das Licht ausgeschaltet hatte, legte ich mich ins Bett und dachte noch kurz über »!Xabbu« nach. Irgendwie spürte ich dabei so ein komisches Gefühl in der Magengegend, waren das die berühmten »Schmetterlinge im Bauch«? Schon alleine sein Nick hatte ihn mir schon sympathisch gemacht, stammte er doch aus meinem derzeitigem Lieblingsbuch »Otherland« und wenn der Nick auch nur das geringste über jemanden aussagte, war das schon mal ein gutes Zeichen.

****

Es war schon hell, als ich aufwachte. Ganz langsam öffnete ich die Augen und hörte schon meine Mutter rufen: »Schatz! Das Mittagessen ist gleich fertig, komm doch bitte runter!« Mann, ich hasste es, wenn sie mich »Schatz« nannte, hab's ihr auch schon ein paar mal verklickert, doch aufgehört hat es bis heute nicht. Na ja, ich denk mal jede liebende Mutter ist da ein bisschen eigen, also konnte ich's ihr ja schlecht übel nehmen.

Da kam mir plötzlich der Gedanke: »Hat sie grade eben 'Mittagessen' gesagt?«, schnell schaute ich auf die Uhr. Blinkende Zeichen zeigten 5:47 an, war wohl ein Stromausfall in der Nacht gewesen… War schon mal passiert, aber musste das ausgerechnet heute sein? Mist verdammter…

Schnell zog ich mich an, rannte die Treppe runter und fragte meine Mum, wie spät es ist. »Es ist halb eins, Schatz.« Wieder dieses Schatz… dachte ich kurz, aber jetzt gab's wichtigeres. Hatte doch heut um neun mit Thomas abgemacht, oh oh... das konnte was geben. »Thomas hat angerufen.«, begann meine Mutter, als ich zum Telefon ging; »Hat nach dir gefragt… wollte aber nicht, dass ich dich wecke. Du sollst ihn heute nicht mehr anrufen, er wolle erst morgen wieder was von dir hören. Hat noch irgendwas von nem Treffen heut gesagt… hab aber nicht recht verstanden, was er meinte.« Er war also sauer weil ich unser Treffen vergessen hatte… sah ihm ähnlich sich dann zu verkriechen.

Jetzt war's also eh schon zu spät und ich ass erst mal zu Mittag. Meine Schwester sah heut wieder mal zum Heulen aus, schon ne ganze Woche verbreitete sie in jedem Raum den sie betrat ne Trauerstimmung. Ihr Fr… äh Ex-Freund hatte sich neu verliebt und mit ihr Schluss gemacht, das traf sie schon hart.

Aber noch viel härter war für sie, dass seine neue Liebe »Raphael« hiess. Kann einen sicher schon hart treffen, wenn man merkt, dass der Freund nur gedacht hat, er liebe einen, oder es nur getan hat um seine wahre Neigung zu verstecken.

Ich musste irgendwann mal mit ihr reden, schliesslich konnte ich ihr seine Situation besser erklären als irgendjemand anders hier im Haus. Aber das verschob ich erst mal auf später, jetzt hatte ich echt keine Lust dazu. Übrigens ist meine Schwester die einzige, die darüber Bescheid weiss, dass ich schwul bin.

Jetzt aber erst mal überlegen, was ich mit Thomas mache: Er würde sicher wütend sein, wenn ich ihn schon zum zweitem Mal hintereinander versetzt hab und ich sag euch, der kann manchmal wirklich ganz schön nervtötend werden bei solchen Sachen.

Hmm... ich glaub, ich sollt euch noch etwas mehr über Thomas erzählen. Er ist der süsseste Boy, den man sich vorstellen kann, vor allem in seinen blauen Augen versank ich richtiggehend, wenn ich ihn ansah oder besser gesagt: Ich hat es mal gekonnt. Neun Monate war ich schon mit ihm zusammen und leider war von der Verliebtheit vom Anfang nicht mehr sehr viel übrig geblieben bei mir und wir hatten auch öfters mal Krach miteinander... der Alltagstrott hatte uns eingeholt… Irgendwann geht halt alles zu Ende und das ist bei uns leider nicht mehr weit.

Nur konnte ich mich bisher nicht überwinden, weil er - glaube ich zumindest - wirklich noch richtig stark verliebt in mich war und ich nicht allzu gern den Herzensbrecher spiele. Aber es musste sein, morgen würde ich ihm alles sagen. Nahm ich mir, wie immer wieder mal, vor.

Frisch gestärkt durchs Mittagessen und die Gedanken immer noch bei Thomas habend, kam ich wieder in meinem Zimmer an.

Jetzt musste ich mich erst mal ablenken von dem Ganzen, und was gibt's für ne bessere Ablenkung, als den PC einschalten und mich in meinen Lieblingschat einloggen? Apropos Chat, das erinnert mich grad an den süssen Typen von gestern, schade dass er kein Pic von sich hatte, aber ich hatte ja auch keins. !Xabbu war leider nicht im Chat und da fragte ich einfach mal in die Runde rein, ob ihn denn jemand kenne und ein Typ Namens SubZonic antwortete mir per Query.

13:21 SubZonic: Hi Dreamer. Yepp, denn kenn ich. Was willst du denn von ihm?

13:21 Dreamer: Ich hab gestern ziemlich lange mit ihm gechattet und will nur mal wissen, wann er so im Chat ist. Weißt du's?

13:23 SubZonic: Er hat nicht so seine bestimmten Zeiten, aber gestern war er mal ziemlich lange online. Hast du dich etwa in ihn verknallt? ;)

13:24 Dreamer: Hast mich ertappt, aber sag's ihm ja ned. Bitte mach das nicht, Oki?

13:24 SubZonic: Schon zu spät.......

»Was soll das bedeuten...« begann ich zu schreiben. Doch da sah ich ne Chat-Meldung: »SubZonic ändert seinen Nicknamen auf !Xabbu.«

13:25 Dreamer: Du bist fies ;)

13:26 !Xabbu: Gestern hast du mich erwischt, heut hab ich's bei dir geschafft *fg*

13:27 Dreamer: Is ja gut :) Aber jetzt zu was ernsterem... Du ich glaub, ich hab mich gestern total in dich verknallt.

13:27 !Xabbu: Wirklich? Sorry, aber red doch keinen Unsinn… Kann ich dir jetzt ned so recht glauben, hast mich ja noch nie gesehen.

Eine knappe Stunde später:

14:23 Dreamer: ...und dann hat er sich doch tatsächlich gedacht, ich würd's ihm so schnell verzeihen.

14:24 !Xabbu: Könnt ich auch ned. Hey, ich muss leider :-( Aber hab dir ja meine Handy-Nummer gegeben. Um 17:00 Hab ich heut Arbeitsschluss, ruf mich doch dann mal an. Vielleicht können wir uns mal treffen, werden mal sehen, ob du dann immer noch in mich verknallt sein wirst. ;-)

14:24 Dreamer. Was könnt mich schon von was anderem überzeugen :-)? Also, bis um fünf.

14:26 Dreamer: Warte noch schnell. Ich weiss immer noch nicht deinen echten Namen, wie heisst du?

Ich wartete noch zwei Minuten, aber er schien leider schon weg zu sein.

Mann, war ich nach dem Chat super drauf… ich fühlte mich, als könnt ich fliegen, irgendwie komisch, hab ihn weder real, noch auf einem Bild gesehen... und doch war ich verliebt in ihn. Ich legte mich aufs Bett und schloss die Augen und dachte an all das, was er mir gesagt hatte.

****

Doch nach knapp 10 Minuten war mir das ganze genug… ich kam einfach nicht weiter. Irgendwie waren diese Gefühle so verwirrend. Dauernd dachte ich daran, dass ich Thomas nicht verletzen wollte… Aber jetzt war's genug, ich konnte einfach nicht mehr weiter drüber nachdenken… Also ging ich erst mal in die Küche, um mir was zu trinken zu holen. Als ich aus meinem Zimmer rauskam und zum Kühlschrank lief, schaute mich meine Mutter ganz komisch an. »Thomas, komm nachher mal zu mir… Du machst schon die ganze Zeit schon wieder deine Trauermiene.«

Das mit der Trauermine erklärt sich so: Vor einem Monat begann der Krach mit Thomas, wir hatten Streit wegen irgendwas. Was, weiss ich nicht mehr, war wohl nur eine Kleinigkeit. Aber egal... ich will jetzt nicht dran denken… Mann… vorher war alles so schön gewesen…

Als ich wieder aus der Küche zurückkam, sah mich meine Mutter immer noch so seltsam an. »Unglücklich verliebt?« fragte sie plötzlich. Sie wusste sofort, dass sie recht hatte, als ich eine Sekunde zu lange schwieg… Sie kannte mich viel zu gut. »Und wer ist denn...« Sie darf es nicht wissen! unterbrach ich sie in Gedanken. Ich hasse das, jetzt muss ich ihr wieder was von nem Mädchen vorlügen… »...der Glückliche?« beendete sie den Satz lächelnd. Hatte ich grade richtig gehört? Hat sie gesagt: Der Glückliche?

Da stand ich nun und schaute meine Mutter verblüfft an, wie konnte sie das bloss gemerkt haben? »Jetzt willst du sicher wissen, wie ich das gemerkt habe.«, kam sie meiner Frage zuvor. »Na ja, ich würde jetzt ja gern sagen: 'Eine Mutter spürt so was'. Aber ich will dich nicht anlügen, hab's ziemlich zufällig entdeckt. Eine Kollegin von mir wollt mir zeigen, wie man übers Internet chattet und da sind wir halt in einen Chat gegangen und irgendwie war ich da dann unter deinem Namen drin. Hab dann gesehen, dass du ziemlich viele Jungs in deiner... wie nennt man es schon wieder?... ach ja Kontaktliste hattest und die hatten auch ziemlich verdächtige Namen…«

Mann, ich sollte mich wirklich daran gewöhnen, meine Cookies nach meinen Chat's wieder zu löschen, aber zu spät. Nun wusste sie's. »Und was ist jetzt?«, schaute ich sie fragend an. »Mir ist das wirklich egal und ich steh weiterhin zu dir. Aber ich bin nicht dein Vater und ich glaube, er wird Probleme damit haben, lass das vorerst unser Geheimnis bleiben.« Damit war ich einverstanden, denn mein Vater hatte schon öfters abfällig über »diese schwulen Schweine«, wie er uns so schön betitelte, gesprochen.

Jetzt wusste es also auch meine Mutter und die Reaktion, die sie zeigte, war um einiges weniger schlimm, als ich's mir vorgestellt hatte. Zum Glück hatte es meine Mum und nicht Dad raus gefunden… Dad hätte ja kaum so gelassen reagiert.

»Wenn du irgendwas hast, kannst du ruhig zu mir kommen, ich hab wirklich kein Problem damit. Weißt du, ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis, dein Onkel Florian ist auch schwul.«, sagte meine Mum ganz leise. »Weißt du das etwa schon?«, fragte sie verwundert als ich nur mit einem Grinsen reagierte.

Yep, ich wusste es. Ich hatte ihn mal in ner Gaybar getroffen und jetzt war er mit nem guten Kumpel von mir zusammen, er ist übrigens erst 25 Jahre (mein Onkel) und wenn er kein Familienmitglied wäre… Sieht wirklich zum anbeissen aus *g*.

War eigentlich seltsam, dass sie es wusste, Florian hat mir gesagt, dass es niemand von der Familie wissen kann... Aber das war ne Weile her und seitdem hab ich ihn schon ne Weile nicht mehr gesehen. »Ja, ich hab ihn mal in einer Gaybar getroffen.« Hätte nie gedacht, meiner Mutter solche Sachen so offen zu sagen, aber sie schien wirklich kein Prob damit zu haben. »Okay. Aber jetzt ab nach oben und mach dich bereit, Thomas hat noch angerufen und sich entschuldigt, dass er heute morgen echt nicht kommen konnte. Er will dich um halb fünf am Bahnhof treffen.« Sie schien also nichts von Thomas und mir zu ahnen und das sollte auch so bleiben, wollte ned, dass sie sich da einmischt.

Hmmm… Thomas war also auch nicht aufgetaucht? Das nennt man wohl Glück, ich atmete auf aufgrund der Vorstellung mal keinen Ärger mit Thomas zu bekommen wegen einem verpassten Date.

Also dann lief ich mal in mein Zimmer rauf und stand jetzt vor dem Kleiderschrank. Mein blaues T-Shirt mit dem rotweissem Drachen drauf und meine schwarzen Shorts waren genau das Richtige, jetzt aber ab unter die Dusche und sich nochmals so richtig abspülen.

****

»Kommst auch endlich?«, grummelte ich Thomas an »Warte schon ne ganze halbe Stunde auf dich.« Er umarmte mich einfach und sagte mit seinem treusten Hundeblick, den er drauf hatte: »Nana, mein Liebling wird doch so ne kurze Wartezeit noch verkraften können? Dafür lass ich dich jetzt nie mehr los, du bleibst jetzt bei mir, mein Lieber.«

Scheisse... fühlte ich mich schlecht bei so was, ich wollte es ihm endlich sagen, doch sobald ich in sein Gesicht schaute, konnte ich es nicht. »Was ist denn mit dir los? Liegt dir was auf dem Herzen? Du wirkst in letzter Zeit so kalt...«, fragte er besorgt. »Ich muss es dir endlich sagen. Ich...«, ich stockte kurz, »Ich liebe dich nicht mehr, ich wollte es dir schon lange sagen.« Endlich war es raus.

»WAS???«, schrie mich Thomas an. »Du meinst das aber nicht ernst, oder?« Während er das sagte, wurde er schon fast hysterisch und ich wusste, warum ich's solang verschoben hatte, es zu sagen. »Ich mein es ernst. Tut mir leid Thomas, ich wollte es dir sch...« Weiter kam ich gar nicht… Denn plötzlich schlug Thomas mit voller Wucht zu, wodurch ich nach hinten umkippte und mir den Kopf stiess.

Wie gelähmt lag ich am Boden, während Thomas über mir stand und mich anschrie. Halb weggetreten wie ich war, verstand ich nicht was er sagte. Langsam versuchte ich aufzustehen und gegen das Hämmern in meinem Kopf anzukämpfen. Doch dann fiel ich wieder hin und mir wurde schwarz vor Augen.

Kapitel 2 –Treffpunkt am See

Eintrag aus dem Tagebuch von Thomas Munz:

17.09. Ich bin wütend auf Domi… heute hat er mir gesagt, was ich irgendwie schon lang vermutet hatte, doch nie habe ich es gewagt, den Gedanken nicht einfach weg zu schieben und ihn statt dessen wirklich in Erwägung zu ziehen. Wahrscheinlich dachte ich, dass ich dadurch alles retten könnte… mir nur einzubilden brauche, es sei alles in Ordnung, auch wenn es das nicht ist. Genau darum bin ich nicht nur auf Domi wütend… sondern auch auf mich selber. Ich war so unglaublich dumm… Jetzt sitze ich hier… schreibe in mein Tagebuch und Tränen tropfen auf das Papier. Ich nehme ein Taschentuch und tropfe sie ab, damit die Tinte nicht vollständig verläuft, damit ich später noch lesen kann, was ich hier schreibe. Doch will ich das später überhaupt noch lesen? Gibt es ein Später? Ich fühle mich schwach… ich habe keine Lust mehr…

Nein… ich darf mich nicht unterkriegen lassen davon, ich sage das anderen oft genug und jetzt bin ich mal dran meinen eigenen Ratschlägen zu folgen. Ich glaube, ich werde jetzt noch ein wenig rausgehen. An den See runter und mich dort ein wenig beruhigen. Bis bald mein Tagebuch... Ich werde dich mitnehmen, vielleicht wirst du heute nochmals von mir hören.

****

Als ich langsam wieder aufwachte, lag ich in einem Krankenzimmer mit zwei Betten, wovon ich eines besetzte und das andere leer war. Meine Mutter und ein Arzt standen im Zimmer und sprachen gerade miteinander. Vorerst machte ich mich nicht bemerkbar, um mitzubekommen was passiert… wie mein Zustand war. »Was hat er denn?«, fragte meine Mutter sorgenvoll. »Keine Angst, es ist nichts schlimmes. Eine leichte Gehirnerschütterung ohne Folgen.« Also nichts schlimmes, ich atmete auf… was mir ein leises Ächzen entlockte, ganz topfit war ich nun wohl doch nicht.

Meine Mutter drehte sich um, anscheinend hatte sie mich gehört. »Endlich bist du wach, wie geht's dir? Hast du Schmerzen?« »Nein Mum... mir geht's gut.« Sie setzte sich ans Bett. »Ich bin dann mal weg, wenn sie jemanden brauchen müssen, sie nur den Klingelknopf drücken«, sagte der Arzt und zog sich zurück. »Danke.«, sagte meine Mutter, bevor sie sich wieder mir zuwandte »Ich habe von Thomas alles erfahren, was passiert ist, er ist immer noch sehr wütend auf dich und ich versteh ihn. Hätte ich wirklich nie von dir erwartet, dass du so was tust.« So wie sie sprach, kam ich mir vor wie ein kleines Kind, das man erst noch erziehen musste.

Ihr Besuch dauerte nicht sehr lange, sie musste wieder an die Arbeit und bald war ich allein im Zimmer. Ich fühlte mich ziemlich schlecht, denn ich musste Thomas wirklich sehr verletzt haben. Es klopfte an der Tür und bald darauf kam meine Schwester rein.

»Hey Chris, was hast du denn wieder angestellt?«, rief sie mir schon von der Tür aus zu. »Bitte nicht so laut.«, antwortete ich und hielt mir meinen Kopf, der wieder ein klein wenig zu schmerzen begann. Sie kam zum Bett und setzte sich auf die Kante. »Ich muss dir ehrlich sagen, du tust mir überhaupt nicht leid. Was du da für ein Spielchen mit Thomas getrieben hast... so was hätte ich nie von dir erwartet. Ich hab ihn heut noch auf dem Bahnhof gesehen, er sah ziemlich verweint aus und wollte nicht mit mir reden. Mutter hat mir dann alles erzählt. Ach, apropos... Wieso erfahr ich jetzt erst, dass sie Bescheid weiss?«, schaute sie mich vorwurfsvoll an.

»Ach nerv nicht... Sie hat's erst heut erfahren.«, antwortete ich mürrisch. »Okay, wenn du so drauf bist, geh ich besser wieder. Bis dann mal, Brüderchen.«, sagte sie und verschwand wieder. War vielleicht besser… im Moment war's ganz gut allein zu sein.

Froh sie endlich los zu sein, nahm ich meinen Discman, den mir meine Mutter vorhin gebracht hatte, hervor und hörte ein bisschen Musik. Dabei muss ich dann wohl eingeschlafen sein.

****

Zwei Tage später lag ich leise weinend im Bett. Ich vermisste Thomas sehr, liebte ich ihn vielleicht doch noch mehr, als ich gedacht habe? Ja, ich spürte es... irgendwie! Aber ich würde ihn nicht wieder sehen. Ich an seiner Stelle hätte nach alldem auch nichts mehr mit meiner Person zu tun haben wollen. Ich fühlte mich so schrecklich scheisse, und ich war wütend. Wütend auf mich selbst und Thomas. »Ich hasse dich Thomas, warum tust du mir das an?«, sagte ich leise... als würde er mich absichtlich mit der Erinnerung, der Liebe zu ihm, quälen. Ich hatte ein paar alte Sachen gefunden gehabt und dabei kam alles wieder hoch… Ich merkte dabei erst richtig, wie wichtig er mir war.

Ring Ring...

Ich schreckte hoch, als mich mein Handy mit seinem pseudo-altmodischen Klingelton aus meinen Gedanken riss. Auf dem Display stand nur »Unbekannter Anrufer« Wer konnte das wohl sein? Ich nahm ab und fragte, wer da sei. »Hi Domi. !Xabbu aus dem Chat. Warum hast du dich nicht gemeldet?« Ups, den hatte ich ja total...

»Sorry, hatte dich total vergessen.« antwortete ich ihm hastig. »Tja, hattest wohl einen guten Grund.«

»Ja, ich lag bis heute morgen im Krankenhaus, aber mach dir keine Sorgen, es ist nichts schlimmes. Wie heisst du eigentlich?« fragte ich ihn.

»Was ist denn passiert? Und was ist jetzt gerade los mit dir? Du klingst, als hättest du gerade geweint. Bin der Markus... hatte ich dir das noch nicht erzählt?«

Markus? Konnte es etwa wirklich sein, dass...? Diese Stimme kam mir bekannt vor… und ich hatte den leisen Verdacht schon die ganze Zeit, dass er… »Hast du mal woanders gewohnt Markus?« Es konnte nicht sein… aber...

»Ja, in Bülach. Wieso fragst du?« Jetzt wusste ich es, er war es! Als ich nicht sofort antwortete, fuhr er weiter. »Na ja, auch egal. Aber wieso hast du geweint?«

»Ich habe mit meinem Freund Schluss gemacht, er hat das nicht verkraftet und ist völlig ausgerastet. Er hat mich geschlagen und ich bin mit dem Kopf auf den Boden geknallt. Aber keine Angst, geht mir schon wieder besser.«, gab ich als Antwort.

»Ich hab gemeint, du seiest solo? Und warum hast du geweint?«

»Hatte grade ziemlich starke Schmerzen, aber inzwischen hat mir die Schwester was gegeben.« Die erste Frage ignorierte ich schlicht….

»Okay. Was meinst du, wollen wir uns mal treffen? So am Samstag in Zürich? Oder bist du dann noch nicht draussen?« Mir kam das ganze ein bisschen zu schnell… darum sagte ich dankend ab.

Nach dem Anruf war ich wieder mal geschafft, gleichzeitig liebte ich Thomas immer noch, aber er würde mir wohl kaum verzeihen und in Markus hatte ich mich eben auch ein wenig verliebt und jetzt erst recht, als ich wusste, wer er war, er war der Junge in den ich mich hoffnungslos in der Schule verknallt hatte, es war schon seltsam jetzt erst zu erfahren, dass es ihm damals nicht anders ergangen war... Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, was ich nun tun sollte. Mann, in was für Situationen musste ich mich auch immer bringen?

****

Tagebuch von Thomas Munz
17.09. Nachtrag

Es ist noch viel passiert an diesem Abend liebes Tagebuch. Wie im letztem Eintrag geschrieben bin ich noch ein bisschen an den See runter… wollte mich etwas entspannen, Domi aus meinen Gedanken vertreiben und einen Moment Klarheit in meine Gedanken bringen. Doch es nützte nichts… immer wieder musste ich an ihn denken, ob ich wollte oder nicht. Wir hatten es doch immer so schön, oder? Wir haben immer viel unternommen und auch viele romantische Abende verbracht… Wie konnte er so kaltblütig sein und sich bis auf die letzten zwei Wochen nichts anmerken lassen? Oder war ich zu dumm, um früher etwas zu merken?

Wie auch immer… ich schweife von dem ab, was ich dir eigentlich anvertrauen wollte. Irgendwann stieg die Wut auf Domi in mir so hoch, dass ich einen Stein vom Boden nahm… ich legte möglichst viel meiner Wut in den Wurf und es tat gut… ein bisschen wenigstens. Immer mehr Steine flogen auf den See hinaus, doch irgendwann rutschte mir einer der Steine aus. Zum Glück traf er selbst niemanden, er fiel nahe dem Ufer ins Wasser, doch das aufspritzende Wasser traf ihn… Martin. Als ich mich entschuldigte, reagierte er nur völlig abweisend, als wäre nix gewesen… und als ich kurz in sein Gesicht sah, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Darum lud ich ihn zu ner Coke ein, und mehr oder weniger freiwillig kam er mit mir. Lange war nichts aus ihm herauszukriegen… Er sah verheult aus und war sehr schüchtern, auch bedrückte ihn irgendetwas, das spürte ich einfach. Nach einiger Zeit erzählte er mir eine Geschichte. Darüber wie er in seinem Dorf lebte und dort eigentlich schon immer raus wollte, er war es satt von Dorftrotteln umgeben zu sein, wie er sagte, und schliesslich lernte er Ron, einen Jungen der aus Zürich kam, kennen und fuhr später mit diesem in die Stadt. Anfangs war Martin begeistert und er begann Ron immer mehr zu mögen, doch durch irgendwelche Zufälle erfuhr er, dass Ron schwul ist…

Als ich daran nichts fand und ihm klarmachen wollte, dass es nichts schlimmes ist, schrie er mich an und der Kellner bat uns auf seine »subtile« Art das Lokal zu verlassen.

Wir taten dies auch und ich entschied mit Martin zum See zurückzugehen… während des ganzen Weges fragte ich mich, ob ich mich täuschte… irgendwie passte es nicht zu Martin, wie er sich verhielt. Er war viel zu nett dafür jemand zu sein, der so ein Homo-Hasser ist und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mir was verheimlichte und als ich ihn fragte, wich er mir immer wieder aus. Als ich ihn an der Hand nahm, um ihm noch mal zu sagen, dass ich ihm doch nur helfen will, zuckte er von der Berührung zusammen, als würde ich unter Strom stehen und er hätte einen Elektroschock bekommen… Von einem Moment zum nächstem stand er auf und rannte weg. Einholen konnte ich ihn leider nicht mehr… aber dafür traf ich dort, wo Martin in ein Tram eingestiegen war, jemanden… es war Ron, der Freund von Martin und da war ich dann sehr überrascht… Es war der Ron, der früher mein Nachbar gewesen war. Er hatte mich und Martin die ganze Zeit über belauscht und war uns nachgeschlichen. Aber die Überraschung war sein Outing bei mir… der, für den ich ne ganze Weile heimlich geschwärmt hatte (das hatte ich ehrlich gesagt für viele Jungs getan *g*), war auch schwul.

Nun sitze ich hier bei Ron zuhause, ich werde bei ihm auf ner Matratze am Boden übernachten, weil durch die langen Gespräche, die wir heute Abend noch geführt hatten, war es viel zu spät geworden, um noch nach Hause zu gehen…

****

Es regnete diesen Abend und es war schon dunkel, als ich im Auto meiner Mutter auf dem Rückweg nach Zürich sass… ich hatte mit meiner Mutter in irgendeinem Gasthof zu Abend gegessen und nun waren wir auf dem Weg nach Hause. Wir waren am Nachmittag bei einer Tante von uns gewesen, die ich nicht gerade mochte und dabei wollte ich eigentlich lieber etwas anderes machen. Gestern war ich erst aus dem Krankenhaus entlassen worden und da wär's mir lieber gewesen, mal wieder was mit den Freunden zu unternehmen, die ich während der Zeit im Krankenhaus nicht gesehen hatte. Aber nein… ich musste unbedingt mitkommen.

Irgendwann schlich ich mich dann am Nachmittag einfach raus und lief ein wenig die Wege entlang. Meine Mutter hatte ja meine Handy-Nummer und würde schon anrufen, wenn was wäre, dachte ich mir. Nach einiger Zeit setzte ich mich auf eine Anhöhe auf eine Bank. Meine Tante wohnte in den Bergen und hier - ein wenig über dem Dorf - hatte man normal eine gute Aussicht ins Tal und weit ins flachere Land dahinter. Wenn die Sicht ungetrübt war, sah man sogar bis Zürich doch heute sah man nicht viel. Unten im Tal lag noch Nebel und man sah nur die Berge herausragen, das Bild sah seltsam beruhigend aus. Ich musste plötzlich an das Lied »Über den Wolken« denken und münzte es auf Nebel um… Wäre wirklich schön, wenn man alles einfach so hinter sich lassen könnte, weit weg hinter Nebel verborgen und die Freiheit dadurch grenzenlos wäre...

Plötzlich hörte ich neben mir eine Stimme. »Schön hier oben…«

Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sich ein Junge neben mich gesetzt hatte. Ich nickte nur. »Du bist Dominik, oder?«, hörte ich ihn plötzlich sagen…

»Ja, aber woher…?«, antwortete ich verdutzt.

»Oh… ich bin Feriengast bei deiner Tante, hab dich aber nur vom Fenster aus gesehen heute Morgen und da sie mir von eurem Besuch erzählt hat, nahm ich an, du seiest es. Hat dir niemand was von mir gesagt?« Musste ich verneinen, aber vielleicht hatte ich meiner Tante in dem Moment auch gar nicht zugehört. »Wundert mich…«, begann er wieder »...aber auch nicht so wichtig. Habe mich übrigens dann nochmals ein wenig hingelegt, deshalb haben wir uns danach auch noch nicht gesehen. War mir auch lieber, nichts gegen deine Tante, aber sie redet mir etwas zuviel.«, sagte er – Michael wie ich später erfuhr - zu mir und wurde mir damit schon sympathisch. Meine Tante war wirklich in Ordnung und nett, aber wenn sie erst richtig zu reden anfing, dann hiess es für mich immer »schnell weg«.

Lange hatte ich noch mit ihm geredet, aber irgendwann rief mich dann meine Mutter an und wir machten uns zusammen auf den Weg zurück zum Haus meiner Tante.

Jetzt war es spät in der Nacht und wir - wie schon erwähnt - längst auf dem Heimweg, inzwischen sogar schon in Zürich angekommen und wir fuhren Richtung Stadtteil »Zürich Enge«, wo wir wohnten. Die ganze Fahrt lang hatte ich aus dem Fenster gestarrt, die Lichter vorbeiziehen sehen und in meinem Kopf war nur Chaos gewesen… Ich wusste nicht, was ich von alledem halten sollte. Thomas… Markus und nun auch noch Michael. Ich konnte einfach nicht mehr unterscheiden, was Liebe und was nur freundschaftliche Gefühle waren. Vielleicht habe ich das bei Thomas von Anfang an nie wirklich gewusst?

Tagebuch von Thomas Munz
18.09.

Manchmal sollte ich mich besser auf mein Gehör verlassen, Tagebuch... Dachte ich gestern noch, wo ich kurz aufwachte, dass jemand in der Wohnung war, liess ich es sein nachzusehen. Heute wurde ich von Ron geweckt, der sehr nervös wirkte. Als er auf mich einredete, war ich immer noch halb schlaftrunken und verstand erst mal nichts... und als ich nachfragte, musste ich loslachen, auch wenn Ron nicht sehr belustigt wirkte. Die Geschichte war auch urkomisch und das Bild, wie er auf dem nacktem Martin lag, hätte ich gern gesehen, natürlich der Komik wegen. Ron war ins Bad reingestolpert - im wahrstem Sinne des Wortes – und da voll auf Martin drauf, der gerade aus der Dusche gekommen war.

Aber Ron hatte recht… komisch war das nicht. Martin dachte wohl jetzt eher an den Versuch einer Vergewaltigung, oder was weiss ich... er hatte schon Erfahrungen mit solchen Typen, wie ich diese Nacht noch erfahren hatte.

Wir hörten schon, wie er nebenan seine Sachen zusammenpackte und wussten nicht, was wir tun sollten... Würde er Ron das abnehmen, was es wirklich war, nur ein Unfall? Wahrscheinlich nicht! Also liessen wir ihn… bald hörten wir, wie die Tür aufging und einen Moment später wieder zu. Er war also weg.

»Es tut mir echt leid für dich Ron.« Doch irgendwie war das auch eine Lüge...

Die alte Schwärmerei, die damals begonnen hatte, als er in dem Wohnblock einzog, wo auch ich früher gewohnt hatte, war wieder aufgeflammt, auf meiner Seite zumindest. Er war damals wie heute verdammt süss.

Plötzlich klopfte es an der Tür und ich zuckte zusammen... Nein, Martin war nicht gegangen, sah ich, als Ron die Türe aufmachte und bekam ein schlechtes Gewissen wegen meiner Gedanken vorher. »Ich muss mit dir reden Ron«, sagte er und zerstörte mir damit diese Hoffnungen sowieso schon fast gänzlich. Ich liess die beiden dann allein und nun warte ich hier und frage mich, was da passiert. Was soll ich bloss machen wenn… Entschuldige, muss aufhören. Ron ruft nach mir.

****

Heute war es soweit… heute würde ich diesen Jungen treffen, der mir so bekannt war und dennoch so fremd. Es waren nun doch schon 4 Jahre vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte und da konnte man sich in jungen Jahren doch sehr verändern in dieser Zeit. Ganz nervös machte ich mich bereit, duschte schnell, wählte aus, was ich anziehen wollte (wechselte das etwa 5mal) und machte mich sonst wie zurecht…, versuchte die Müdigkeit einer unruhigen Nacht aus meinem Gesicht zu vertreiben. Lange hatte ich wach gelegen… hatte an Thomas gedacht, an Michael, den ich seit dem Besuch bei meiner Tante (was heute schon 2 Wochen her war) nicht mehr gesehen hatte und natürlich auch an Markus… vielleicht würde ich mir heut klarer darüber werden, was ich wollte.

10 Minuten bevor der Zug mit Markus ankam, war ich am Bahnhof unten, obwohl ich von der Wohnung zum Bahnhof gerade einmal 5 Minuten brauchte. Und wie es immer kommt, hatte ich in meiner Hektik etwas durcheinander gebracht und rannte noch mal zur Wohnung rauf… zwei verschiedene Paar Schuhe sahen nicht nur etwas sondern sehr lächerlich aus!

Als ich schon fast zur Wohnung raus war, bekam ich einen Anruf aufs Handy und nahm ab. »Hallo...«

»Hallo Domi… was ist? Wo bleibst du?«, hörte ich Markus Stimme. »Komme gleich.«, antwortete ich und legte nach einem kurzem Okay von ihm auf. Noch nervöser rannte ich nun zum Bahnhof hinab. Ausgerechnet beim erstem Treffen zu spät zu sein, war nicht gut. Kurz bevor ich am Treffpunkt war, stoppte ich… die Angst vor dem Ganzem kam in mir hoch. Woher wusste ich überhaupt, dass es dieser Markus war, den ich aus der Schule kannte? Würde er mich mögen und all solcher Quatsch, der mich aber doch sehr verunsicherte, ging mir durch den Kopf. Doch ich fasste mir ein Herz… jetzt war ich schon so weit gegangen, ich konnte nicht mehr zurück…

Jetzt war der Moment gekommen, in dem sich vielleicht wenigstens ein Teil meiner Verwirrung auflösen würde.

Tagebuch von Thomas Munz
2.10.

Entschuldige liebes Tagebuch, dass ich schon lange nichts mehr hier hinterlassen habe. Aber es war soviel los, dass ich keine Zeit gefunden hab. Heute war wieder ein verdammt schöner Tag, wir waren zu dritt ein bisschen unterwegs gewesen… Shopping in der Altstadt von Bern und nachher im Café. Bei Martin hatte sich glaub ich endgültig seine Berührungsangst mit uns gelegt… seine Vorurteile hatten sich immer mehr verflüchtigt und ich und Ron kamen uns immer näher. Meine Befürchtungen im letztem Eintrag waren völlig unbegründet, das spürte ich in jedem Augenblick. Was könnte schöner sein? Na ja… wenn wir zusammen wären natürlich doch, bisher hatte ich mich nicht getraut etwas zu sagen… morgen vielleicht. Aber heute nicht mehr… die gute Laune von heute Nachmittag hat nämlich am Abend einen herben Dämpfer bekommen. Ich hab Domi gesehen, wie er auf einer Parkbank an einen Jungen gelehnt sass.

Es tat weh zu sehen, dass er nun wohl jemand anderen hatte… Ich schlich mich schnell davon, damit er mich nicht sah. Das wollte ich mir ersparen. Seltsam... wie sehr ich ihn noch liebte, nach all dem… Nicht dass ich mir wirklich Gedanken darum machte, denn es wäre auch dumm gewesen ihm nachzutrauern. Ich sollte aufhören immer wieder an ihn zu denken. Vorbei ist vorbei!

Ich ging gerade um die Ecke und lief in jemanden rein und half diesem seine Taschen aufzulesen, die er beim Zusammenstoss verloren hatte. Der Typ bedankte sich kurz bei mir, ging weiter und da sah ich auch schon Markus, der auf mich zukam.

»Domi??? Ist ja kaum zu glauben, bist du echt der Dreamer aus dem Chat?«, sagte er, als er mich erreicht hatte. Ich nickte nur, weil ich verdattert darüber war, dass er mir nur bis zu den Schultern reichte, damals in der Schule war's umgekehrt. Er war ja richtig gross geworden und auch sonst sah er nur noch besser aus, als damals schon. »Hallo? Noch da?«, unterbrach er meine Betrachtung seiner selbst und ich konnte nur nicken…

»Bist du es nu?«, fragte er noch mal. Ich bejahte und schaute ihm mit langsam abflauender Nervosität in die Augen. »Komm, wir gehen erst mal besser ins Café statt hier blöd rumzustehen.«, sagte er, stand auf und zog mich mit.

****

»Du siehst noch genauso aus wie damals…«, begann er, als wir uns beide ne Cola bestellt hatten und der Kellner gegangen war. »…damals, als du mich so verwirrt hast, besser gesagt, als ich mich in dich verknallt hab. Hast du nicht gemerkt, dass ich es war? Du hast mir doch so ne seltsame Frage gestellt von wegen, wo ich früher gewohnt hätte.« Ich konnte diese Frage nur bejahen. »Und wieso hast du mir nichts gesagt?«

»Ich wusste nicht wie anfangen und dann hab ich dich im Chat nicht mehr gesehen… und per Handy hab ich mich nicht getraut.«, antwortete ich und wieder war still. Das Gespräch hier war schwer… diese alte Liebe zu ihm war immer noch da und doch war da eine Barriere zwischen uns.

»Ist schon etwas tolles bei uns beiden, oder?«, sagte er plötzlich und ich sah ihn nur verwirrt an. »Wie… wie meinst du das? Nun genau?« – »Ach nein, nicht so. Ich meine, wir waren beide verknallt ineinander und nun sehen wir uns nach Jahren wieder und erfahren das jetzt erst.«

Ich nickte und wieder war das Gespräch verstummt… ich sah ihm lange in die Augen und spürte den Kloss, der mir im Hals steckte, als er plötzlich näher kam und mich küsste. Ich sass wie versteinert da, als sich unsere Lippen berührten und dieser Moment war schön... Aber als er vorbei war, hatte er nur einen noch verwirrteren Dominik hinterlassen. Markus sah wohl meinen Blick und schnell wurde er rot und entschuldigte sich. Ich winkte ab. »Ist schon gut, die ganze Situation hier ist nur seltsam.« Wir trennten uns daraufhin bald, wir wollten uns Zeit lassen das Ganze zu verdauen.

****

Ich schaute von meinem Lieblingsplatz am See hinaus aufs Wasser, auf dem sich die leuchtend roten Farben des Sonnenuntergangs spiegelten. Doch so sehr ich diesen Anblick sonst genoss, konnte ich dies diesmal nicht. Es waren zu viele Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, zu viele um wirklich nachdenken zu können… Ich dachte an Thomas, spürte, dass da noch was war... mehr als Freundschaft, was ich für ihn fühlte. Ich dachte an Michael, der bei meiner Tante gewohnt hatte… er hatte seltsames in mir ausgelöst, ich kann es nicht direkt beschreiben … noch bei keinem Menschen hab ich so schnell gewusst, dass ich vertrauen konnte… dass er… dass… Mann, wie soll man das bloss sagen? Und ich dachte natürlich an Markus, inwieweit konnte die Liebe von damals heut noch da sein? Wie sehr war sie damals da?

»Geht's dir etwas besser?«, fragte Frank neben mir mich sanft und ich nickte. Frank war schon lange gut mit mir befreundet und hatte mich hier unten am Ufer gesehen, als er auf seinem Nachhauseweg war. Ich hatte zu der Zeit leise geweint, weil mir einfach alles über den Kopf wuchs und er nahm mich in die Arme und tröstete mich. Er war auch der erste Mensch, bei dem ich mich outete und hatte als Hetero zuerst etwas Probleme damit… aber inzwischen war das Gegenteil der Fall.

Er stand auf und verabschiedete sich von mir und ging, weil seine Frau auf ihn warte. Ich sah ihm noch länger nach und als er aus meinem Blickfeld entschwand, versank die Sonne gerade im See und langsam erlosch das Licht um mich.

***

Tagebuch von Thomas Munz
3.10.

Heute hätte es soweit sein sollen… heute wollte ich Ron endlich sagen, was ich für ihn empfinde und hoffen, dass es ihm nicht anders geht. Doch es ist nicht soweit gekommen… und ich habe es zugelassen, hab es sogar gefördert, dass Ron und Martin zusammenkommen. Ron war für Martin also doch mehr als nur ein Freund… Ron war für ihn jetzt der Freund! Und seltsam… es stört mich nicht, ich freu mich sogar richtig für die beiden! Liegt vielleicht auch daran, dass ich heute einen Jungen getroffen habe…

Es war seltsam, aber er war mir irgendwie vertraut und ich fühlte mich wohl bei ihm, jedoch war dies ein ganz anderes Gefühl als bei Ron oder bei Domi damals. Er hat nicht viel geredet mit mir, sagte lediglich, er müsse dringend weg, aber er werde wieder im Park sein... morgen, da wo wir uns getroffen haben und auf mich warten. Ich werde da sein…

****

Ich schlenderte schon den ganzen Tag durch die Gegend, teils in Gedanken versunken, teils mich beim Shoppen davon ablenkend. Ich weiss wirklich nicht, was besser war. Damals am 4.10. war auch mein Geburtstag, aber ich war überhaupt nicht in Feierlaune und hielt mich fern von all den Glückwünschen und Gratulationen…

Jedenfalls landete ich da, wo ich vorgestern war. Nur sass diesmal kein Frank neben mir, der mich tröstete und ich begann schon wieder leise zu schluchzen, als sich jemand neben mich setzte. Ich versuchte meine Gefühle zu unterdrücken, damit die Person nichts mitkriegte, aber irgendwann reichte mir diese dann doch wohlwissend ein Taschentuch und ich nahm es dankend an ohne sie anzuschauen. Während dem Schnäuzen spürte ich noch, wie die Person mir in die Jackentasche langte, wo auch meine Brieftasche war. Ich nahm zuerst nicht wahr, was passierte und als ich mich umdrehte, sah ich nur noch, wie eine Person gerade um die Ecke flitzte… zu weit schon, um erkennbar zu sein.

Erschrocken fasste ich mir in die Jackentasche, doch die Brieftasche war immer noch da, aber auch ein kleiner Brief…

Hallo Domi…

Ich wusste, dass wir zwei uns irgendwann hier über den Weg laufen werden. Wir mochten beide den Park hier sehr und waren oft hier, als wir noch zusammen waren. Wahrscheinlich hab ich dir diesen Brief nicht persönlich zugesteckt, ich will und kann nicht mit dir persönlich reden, noch nicht.

Ich will dir nur sagen, dass ich dir trotz allem verzeihe. Du weißt ja, dass ich kein Mensch bin, der sehr lange nachtragend ist. Ich hoffe für dich, dass du jemand anderen findest und dass wir irgendwann wieder ganz einfach Freunde werden können… Aber jetzt noch nicht, ich hab noch zuviel Gefühle für dich.

Ich werde mich bei dir melden.

Liebe Grüsse, Thomas

Völlig verdutzt starrte ich auf die Zeilen, das war jetzt völlig unerwartet und verwirrte mich nur noch mehr, als ich es ohnehin schon war.

»Hallo Domenik.«, erklang es plötzlich neben mir und ich erschrak im erstem Moment. »Typisch für dich, so schreckhaft zu sein.«, sagte die Person neben mir lächelnd. In dem Moment, als ich fragte, wer er sei, erkannte ich ihn… Es war Michael, der neben mir sass, der Junge, den ich bei meiner Tante kennen gelernt hatte.

»Weißt du doch. Und? Was machst du hier?«, fragte er und ich stellte ihm die gleiche Frage, ohne wirklich zu antworten. »Och, ich bin öfters hier. Und du bist hier, weil dich das mit Thomas beschäftigt… und auch das mit Markus, oder?« Ich nickte nur…. Habe ich ihm das alles wirklich erzählt? Ich konnte mich nicht daran erinnern.

»Mach dir um Thomas keine Sorgen… ihm geht's gut, ich weiss das.«

»Woher willst du das wissen? Kennst du ihn etwa?«

»Frag bitte nicht weiter. Nur soviel will ich sagen: er hat einen neuen Freund gefunden, denke ich. Aber nun zu dir… was fühlst du für Markus? Liebst du ihn?« Ich war erst mal baff von der Frage. »Ich weiss, du warst verliebt in ihn… aber ist das heute noch so? Nein… ich glaube nicht daran… ich kenne dich dafür viel zu gut. Weißt du… mir fällt zu dir ein Satz aus einem Buch ein, das ich mal gelesen habe… 'Liebe… suche sie nicht, sie findet dich. Doch suchst du sie, dann klopft sie vielleicht in dem Moment an deine Türe, wenn du nicht zuhause bist.' Denke über dies nach mein Schützling.« Seine letzten Worte wiederholten sich wie ein mystisches Echo und wurden immer leiser…

Als sie verstummt waren, hörte ich noch, wie jemand nach Lumino rief… er solle zurückkommen… dann fielen meine Augen zu und die Welt um mich wurde schwarz.

****

Tagebuch von Thomas Munz
4.10.

Liebes Tagebuch… Ich weiss nicht mehr, was das alles soll… erst werde ich von Domi auf diese Art verlassen… Er hat mich nicht mehr geliebt... schon lange nicht mehr… als wäre ich's auch gar nicht wert. Vielleicht war ich's auch nicht… Ron hat mein Gefühle nicht erwidert und nun war dieser Junge von Gestern nicht hier erschienen und hatte mir nur diesen einen Zettel hinterlassen…

Lieber Thomas

Es tut mir sehr leid… ich weiss es nicht in Worte zu fassen, wie leid es mir tut, aber ich kann nicht.. ich darf dich kein einziges weiteres Mal mehr treffen. Bitte vergiss mich besser, irgendwann wirst du sicher jemanden finden, mit dem du glücklich sein kannst… oh wie sehr ich dir das wünsche!

Alles Gute für dich.

Lumino

Es ist unfair… es ist einfach unfair! Ich helfe anderen immer, aber ich selber werde enttäuscht! So was wie Gott gibt es nicht… und auch keine Gerechtigkeit.

Das wird mein letzter Eintrag sein… ich hab es satt hier. Ich gebe soviel und bekomme nichts zurück…

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Liebe… sie findet dich. Hallten die Worte in meinem Kopf nach, als ich erwachte und ich versuchte die Fragmente dieses Traumes festzuhalten, aber die Erinnerungen waren längst dabei zu zerfasern, zu verblassen. Irgendetwas bewog mich dazu aufzustehen und mich auf den Heimweg zu machen… Es dunkelte ja auch schon und ich sass schon zulange hier… Mir taten alle meine Glieder weh. Ich lief das Ufer entlang und bog bald ab…

Da sah ich etwas, was mich einen Moment erstarren liess und bald rannte ich los. Ich riss die Person, die gerade über die Brüstung der Brücke klettern wollte, weg und fiel mit ihr nach hinten hin. Sie wollte sich wieder losreissen, doch ich hielt fest. »Thomas… bitte beruhige dich.«, sagte ich besänftigend und augenblicklich wurde er ruhig. Er sah mich an, als würde er aus einem Traum erwachen… »Domi..?«, sagte er langsam und ich nickte. »Was wolltest du da tun?«, fragte ich sanft, nachdem ich ihm aufgeholfen hatte.

»Du weißt es Domi…«

»Aber warum?« Er gab mir keine Antwort… drückte mir nur sein Tagebuch in die Hand und ich setzte mich mit ihm auf die nächste Parkbank und begann zu lesen…

****

»Thomas… ich verstehe dich, aber bitte glaub mir, das ist keine Lösung.«, sagte ich und sah ihn an. Er nickte nur langsam und ich konnte einfach nicht anders und drückte ihn an mich und eine Weile sagten wir beide nichts…

»Versteh das bitte nicht falsch, Thomas.«, begann ich nach einer Weile. »Ich will nicht, dass wir wieder zusammenkommen… es ist zuviel passiert und wir passen wohl auch nicht zusammen.«

»Ist schon klar… sehe ich ja jetzt auch so.«, sagte er sachlich… aber man spürte, dass da mehr dahinter war und wir sassen wieder lange schweigend nebeneinander. »Liebe… suche sie nicht, sie findet dich. Doch suchst du sie, dann klopft sie vielleicht in dem Moment an deine Türe, wenn du nicht zuhause bist.«, sagte ich leise vor mich hin und Thomas schaute mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf… »Das ist nur ein Satz, den ich irgendwo aufgeschnappt hab, frag mich nicht wo, ich weiss es nicht mehr… Aber eins ist klar: es stimmt! Wir beide haben zu sehr danach gesucht…«

»Ja…«, antwortete Thomas leise und drehte sich dann zu mir um und nahm meine Hand… »Freunde?«

»Freunde.«, antwortete ich und war froh, dass ich diesen wundervollen Menschen wieder hatte.

Vielleicht sogar mehr als früher...

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