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Elchgeflüster... oder warum Rentiere alberne Ohren haben
Weihnachtschallenge 2007
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Informationen
- Story: Elchgeflüster... oder warum Rentiere alberne Ohren haben
- Autor: Tasfarel
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Challenge
Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007
Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Haustür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi fünf vor zwölf und wer bis jetzt noch nicht angefangen hat völlig verstört durch die Gegend zu spurten, um noch irgendwelchen Schnickschnack für die Familie zu bekommen, der gehört wirklich in die Kategorie – nur die Harten kommen in den Garten – und solche Leute musste man einfach bewundern.
Denn eigentlich ist das Ganze ja auch so. Wieso sich schon am 23. Dezember solch einen Stress antun, wenn die Läden doch am 24. auch noch geöffnet sind? Wozu denn sonst braucht man bitte Karate, wenn nicht für die Weihnachtszeit? Für nichts! Den Unfug in den Chuck Norris Filmen glaubt doch sowieso keiner. Der wahre Meister zeigt sich nur in den Augenblicken, in denen man mit anderen frustriert-panischen Ehemännern oder Söhnen an der Wühltheke steht, etwas sinnlos Tolles für Frau, Mutter oder Schwiegermutter entdeckt hat und es einfach haben muss. Nur dann sichert das Zusammenspiel von Kraft, Geschick, Geistesgegenwart und großem Mundwerk den Erfolg und die Sicherheit die Feiertage ohne größere Blessuren zu überstehen. Alle anderen, die sich dieser Herausforderung nicht stellen wollen, sind einfach hemmungslose Weichpittis. Wozu bitte soll man auch für einen Tag, der sowieso wie jeder andere mit einem Sonnenauf- und einem Sonnenuntergang endet, schon Monate im Voraus irgendwelche Geschenke besorgen.
Und falls sich das jetzt wirklich noch jemand fragen sollte, nein, ich mag Weihnachten nicht, sonst würde ich jetzt ja auch wie ein Wahnsinniger in der Stadt herumrennen und versuchen irgendwelche Geschenke für Familie und bucklige Verwandtschaft zu besorgen. Da sitze ich doch lieber an meinem Schreibtisch, surfe und schreibe nebenbei meine Gedanken zu Weihnachten auf. Eben jetzt in dieser zehntausendstel Sekunde frage ich mich echt, wer auf den behämmerten Gedanken mit den Feiertagen überhaupt gekommen ist. Wer braucht den Unsinn eigentlich? Ich mein, bis auf die Möglichkeit lange zu schlafen kommt an solchen Tagen doch nichts heraus. Das Fernsehprogramm ist noch nervtötender als sonst, weil irgendwelche drittklassigen, supertollen Filme gezeigt werden müssen, die natürlich den Sendeplatz meiner Lieblingsserien kriegen. Ich könnte da echt pausenlos fremden Leuten die Augen blau einfärben. Was bitte interessiert mich das, ob so eine alte Tatteromi ihren Mantel aus Hundefell bekommt oder nicht, wenn ich stattdessen vor Lachen weinen könnte, weil der König von Königinnen mal wieder irgendetwas verbockt hat. Und wenn dann doch ausnahmsweise ein in Ansätzen interessanter Film kommt, dann mitten in der Nacht, damit ihn auch nur die Erwachsenen sehen können und nicht etwa die ach so schützenswerten Heranwachsenden. Da merkt man mal wieder, dass die Leute, die für das Fernsehprogramm zuständig sind, auf der Wurstbrühe hergeschwommen sind. Denn erstens schlafen die meisten Erziehungsberechtigten um solch eine Uhrzeit schon lange vor dem Fernseher. Zweitens haben die meisten Leute in meinem Alter sowieso einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer und drittens würde es, zum Beispiel meine Erzieherfront gar nicht mitbekommen, wenn ich ihren Videorecorder nutzen würde um mir einen Porno oder andere interessante Sachen aufzunehmen. Die haben nämlich absolut keinen Plan von Technik.
Aber zurück zum Thema Feiertage. Weihnachten ist da ja wirklich das Fass, dass den Tropfen zum überlaufen bringt. Drei Tage in Folge Familie. Kann mir mal bitte einer erklären was daran gut sein soll, dass einem die Familie drei Tage am Stück auf der Pelle hockt? „Fest der Liebe“, was für ein Hohn. So etwas muss doch einfach in Mord und Totschlag enden, wenn man Leute zusammensperrt, die sich auf den Tod nicht ausstehen können, die allerdings auch zu feige sind dem Gegenüber mal die Meinung ins Gesicht zu sagen. Stattdessen verkriechen sie sich lieber das ganze Jahr an einen möglichst weit entfernten und schwer erreichbaren Ort, um letzen Endes zu Weihnachten doch wieder im gleichen Haus zu landen. Da geht einer dem anderen natürlich schon nach ungefähr zehn Minuten so auf die Nerven, das spätestens zum Kaffee und Kuchen die Bombe platzt. Da finde ich meine Einstellung doch bei weitem besser. Ich muss mich zwar auch zwangsläufig dem ganzen Brimborium unterwerfen, aber ich halte wenigstens nicht mit meiner Laune hinter dem Berg. Es können ruhig alle wissen, dass ich Weihnachten blöd finde und ich, sobald der Weihnachtszirkus anfängt, ebenfalls anfange schlechte Laune zu versprühen. Natürlich ist es ein wenig schwierig ab Oktober ständig schlecht gelaunt zu sein, aber man sollte zu seinen Prinzipien stehen und diesen unnötigen Kult bekämpfen, wo es geht.
Der einzige Lichtblick in dieser gar grausamen Zeit ist Bea. Bea versteht mich nämlich voll und ganz und mit Bea kann man sich auch immer gut amüsieren.
Gestern wollte ich mit ihr mal wieder einen Stadtbummel machen. Also, einfach eine Runde über Leute lästern, äh, will sagen unsere Gedanken zu unseren Mitmenschen äußern. Ich steige also ohne böse Vorahnung aus der Straßenbahn und traue meinen Augen nicht. Blonde Haare bis zum Arsch, absolut hübsches Gesicht, dazu noch ein hübscher Vorbau und einen ziemlich guten Klamottengeschmack und daneben das ganze Gegenteil. Ungefähr genauso groß wie der blonde Engel, aber dafür schwarz gefärbte Haare, schwarz lackierte Fingernägel, dunkel geschminkte Augen und ebenso dunkle Klamotten und wahrscheinlich ungefähr das doppelte an Gewicht. Da frage ich mich doch glatt, was macht die dumme Trine hier und wieso quatscht die meine Bea von der Seite voll?
Ich also hin und die blöde Kuh erst einmal standesgemäß als depressive Planschkuh begrüßt, ihr gesagt, dass ihr Klamottengeschmack von Mal zu Mal beschissener wird und sie doch endlich mal ihre Zähne richten lassen soll. Vielleicht hat sie es ja dieses Mal verstanden und lässt mich in Zukunft in Ruhe.
Auf jeden Fall hieß es nun erst einmal so schnell wie möglich Land gewinnen und aus dem Sichtfeld dieser Frau zu verschwinden. Da sie aber nun auch anfing sich lautstark zu äußern, drehte ich mich noch einmal zu ihr um und rief ihr zu, dass die blonde Haartönung genau so billig aussah wie sie es wohl war und hakte mich danach wieder bei Bea unter.
Die hatte von Sabrinas Redeschwall natürlich überhaupt nichts mitbekommen, weil sie mal wieder Kopfhörer im Ohr und die Lautstärke auf Maximum hatte. So etwas war einfach typisch Bea. Neben ihr konnte ein Wolkenkratzer einstürzen. Wenn sie Musik im Ohr hatte, bekam sie davon nichts mit. Da war es dann natürlich auch kein wirkliches Kunststück das Gebrabbel von Sabrina zu ertragen. Jetzt war allerdings ich da, die Kopfhörer wanderten zurück in ihre Tasche und wir konnten erst einmal gepflegt eine Runde über Sabrina philosophieren. Im Grunde genommen zogen wir wohl einfach nur über sie her, aber das hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Ich mein’, ich kann ja nichts dafür, wenn das Mädel ein Einfaches „Nein“ nicht versteht und bis auf meine Feiertagsallergie bin ich auch sonst recht friedliebend. Aber wenn jemand auch das zwanzigste „Nein“ noch nicht verstanden hat, geht auch mir so langsam die Hutschnur.
Deshalb bin ich dann irgendwann dazu übergegangen sie zu beleidigen. Die meisten Leute reagieren auf so etwas ja recht unerfreut. Aber Sabrina stört nicht einmal das, sie hat solche Kommentare nämlich, ungelogen, nach fünf Minuten schon wieder vergessen. In meiner Not habe ich ihr sogar mal ins Gesicht gebrüllt, dass ich schwul bin. Und was macht die Frau? Erzählt die mir doch tatsächlich etwas von einer Phase. Ich dachte wirklich ich muss Amok laufen. Was zum Teufel denkt die sich eigentlich? Sehe ich vielleicht aus wie ein Mädchen? Ich habe verdammt noch mal keine Periode und weil nicht einmal das Argument gezählt hat, habe ich es dann schließlich aufgegeben. Sabrina hätte mir wahrscheinlich nicht einmal geglaubt dass ich tot bin, selbst wenn ich am Seil vor ihr baumeln würde.
Also habe ich Bea in meiner Not dazu verdonnert, mein mich liebendes Eheweib zu mimen, weswegen sich Sabrina in ihren Redeattacken nun folgerichtig meistens auf Bea konzentriert. Was selbige aber wiederum nicht wirklich stört, denn Bea ist nämlich so etwas wie ein Fels in der Brandung ist, nämlich meiner. Die Frau lässt sich durch fast nichts aus der Ruhe bringen. Ich selbst habe sie auch erst einmal in Aktion gesehen, nämlich an dem Tag als wir Freunde geworden sind.
… Das muss so vor ungefähr einer Fantastilliarde Jahre gewesen sein, also quasi zu der Zeit als wir noch in der Grundschule waren. Ja genau, vierte Klasse, zweites Halbjahr. Da war ich nämlich neu auf ihrer und inzwischen auch meine Schule gekommen, weil die alten Leute sich zu Silvester einen angetrunken und sich dann einfach so mir nichts dir nichts überlegt hatten, den Heimatstandort zu wechseln. Ich war logischerweise total begeistert von dieser hirnverbrannten Eingebung.
Was kann man sich auch Besseres vorstellen, als erst alle Freunde auf einen Schlag zu verlieren, dann gleich noch in eine neue Stadt, in der man natürlich kein Schwein kennt, verfrachtet zu werden und zur Krönung auch noch die zukünftige Klasse voller Kackbratzen vorzufinden. Aber selbst das ist ja noch kein Beinbruch, weil man sich die Leute ja erziehen kann. Wenn dann aber alle anderen schon untereinander total die besten Freunde sind und keiner Bock auf den Neuen hat, ist der Ofen doch irgendwie aus. Ganz Klasse, eben quasi ein halbes Jahr mit mir selbst spielen, ich freu mir `nen Ast. Wenn das mal keine super Aussichten sind.
Allerdings merkte ich dann schnell, dass ich nicht der einzige Außenseiter war. Da saß nämlich noch jemand allein und zwar Bea. Ich wusste zuerst nicht wieso. Vielleicht war sie ja gemein, aber irgendwie machte sie nie etwas, auch nicht, wenn die Anderen sie ärgerten und das haben sie oft getan. Sie haben sie gehänselt wegen ihren Klamotten und weil sie eben etwas kräftiger gebaut war. Irgendwann reichte es mir dann. Ich schubste Max weg, als er mal wieder auf Bea herumhacken wollte und sagte ihm, dass er gefälligst damit aufhören sollte. Max war nämlich so ziemlich der größte Depp in der Klasse und deswegen wohl auch der Beliebteste.
Tja, und mir nichts dir nichts war dann meine Nase schon am Bluten und ich lag im Dreck. War ja auch nicht anders zu erwarten, weil ungefähr jeder in der Klasse größer und stärker war als ich, sogar die Mädchen. Also, größer waren die, stärker ganz bestimmt nicht… glaube ich jedenfalls… hoffe ich irgendwie. Jedenfalls tickte Bea da plötzlich aus, trat Max erst einmal kräftig in die Weichteile und entfernte ihm dann gleich noch mit einem gepfefferten Schwinger zwei Milchzähne aus seinem dämlichen Grinsen. Alter Falter, das gab vielleicht einen Stress. Erst unsere Klassenlehrerin und dann die Eltern von Max. Aber Bea ist das am Arsch vorbeigegangen und als sich dann meine alten Leute eingemischt haben, weil ich ihnen alles aus meiner Sicht erzählt hatte, war ganz schnell Schicht im Schacht. Bei solchen Sachen sind sie nämlich ziemlich gut und lassen sich nur selten die Butter vom Brot nehmen und außerdem hatte ich sie dieses Mal noch nicht einmal angelogen.
Am nächsten Tag war dann wieder alles beim Alten. Na ja, fast. Bea wurde von niemandem mehr gehänselt und ich saß neben ihr. Das haben wir auch bis heute so beibehalten und sind nebenbei die besten Freunde geworden…
Inzwischen waren wir im Kaufhaus unseres Vertrauens angekommen. Vertrauen deshalb, weil es hier nämlich immer etwas zum Lachen gab und die Preise in der, von uns bevorzugten, Teekonsumierungslokalität durchaus human waren. Und bevor ich es vergesse, ganz besonders toll an dem Cafe war außerdem, das man hier ungestört rauchen konnte, während das Fernsehprogramm direkt vor einem ablief. Ich hatte das früher einmal zu Hause ausprobiert, das Rauchen meine ich. Weiß der Geier warum, mir war halt einfach danach. Ich habe mich also, mit dem Aschenbecher bewaffnet, im heimischen Wohnzimmer breit gemacht, meine innigst geliebte Zitronenlimonade taktisch günstig neben mir auf die Couch positioniert, die mitgebrachte Tüte Chips aufgerissen und dabei halb über den Couchtisch verteilt und mir eine Kippe angezündet. Es war auch alles vollkommen locker bis die alten Leute plötzlich in der Türe standen und die weibliche Hälfte meiner Erziehungsbeauftragten in einen ausgewachsenen Schreikrampf verfiel, weil ich erstens meine Füße noch mit den Schuhen daran auf die Glasplatte unseres Couchtisches abgelegt hatte, meine Zuckerwasserflasche mal wieder nicht zugeschraubt war und wahrscheinlich vor allem, weil ich jung und unschuldig, wie ich wohl immer noch aussah, eine Zigarette im Gesicht hatte. Dass ich rauchte hatte ich nämlich irgendwie vergessen meinen alten Herrschaften gegenüber zu erwähnen, zur Vermeidung unnötiger Aufregung sozusagen.
Das Ende vom Lied war, dass ich schwören sollte nie wieder so einen bösen Glimmstängel in den Mund zu nehmen, woran ehrlich gesagt niemand glaubte, auch wenn ich dem Wunsch oder sagen wir eher dem hysterisch dahingekreischten Befehl nachkam und meine sofortige Abstinenz gelobte. Zum Glück wusste zu der Zeit keiner von beiden, dass unter meinem Bett noch eine ganze Stange Lungentod auf Abfertigung wartete.
Inzwischen haben sie es, ich glaube, eingesehen, dass ich ab und zu so ungefähr drei Zigaretten in der Stunde rauche. Mal mehr und mal weniger, je nachdem in welcher Stimmung ich gerade bin.
Kurz nachdem wir uns dann, einen uns beiden genehmen Platz gefunden hatten, fing das Kinoprogramm auch schon an.
Erster Akt, erster Aufzug. Eine etwa fünfzigjährige Frau, die aber un- un- unbedingt wie Mitte Zwanzig aussehen wollte mit ihrer wahrscheinlich besten Freundin, ungefähr gleiches Alter, weil ähnlich schwer zu schätzen, da gleichen Schatten wie Frau Nummer eins. Beide bepackt mit ungefähr zwanzig Tüten Einkaufsbeute, was bedeuteten musste, dass sie ihre Männer definitiv hier irgendwo in der Nähe geparkt hatten. Aber erst einmal setzten sich die beiden genau vor unsere Nase und fingen doch tatsächlich an über Handtaschen zu philosophieren. Faltenwegmachpreisvergleiche sind lustig, über ‚Scheinfreunde-herzieh-Gespräche’ sind durchaus sehr amüsant, aber was zum Plastefuchs interessieren mich Handtaschen. Können die so etwas Langweiliges nicht im Privaten klären? Ich will hier Action!
Bea neben mir interessierte das natürlich mal wieder einen feuchten Frosch, die schaute lieber irgendwelchen Männerhintern hinterher und das, obwohl sie doch einen Freund hatte, sogar schon ziemlich lange. Man wird es kaum glauben, aber ihr Freund ist tatsächlich eben jener Max, dem sie anno dazumal die Kauleiste verbogen hatte. Das läuft, ich glaube, unter so einem ‚Liebe ist Schmerz’ Ding und muss demnach wohl so etwas wie `ne Zahnlücke auf den ersten Schlag gewesen sein. Das Lustigste daran ist, dass Sabrina das noch nicht einmal mitbekommen hat, obwohl die beiden des Öfteren Knotenübungen auf dem Schulhof machen. Ach egal, Themenwechsel, sonst fange ich am Ende auch noch an über Handtaschen zu reden.
Ah es geht weiter. Erster Akt, zweiter Aufzug. Auftritt einer älteren Dame, wahrscheinlich gleiches reales Alter wie die Dummtrinen - will sagen Damen der gehobenen Klasse - vor uns, die scheinen sie nämlich zu kennen, denn sie winken ihr zu. Im Schlepptau der neuen Oma befindet sich noch ein Gör der Kategorie Enkeltochter, die jetzt zusammen mit ihrer Oma auf den Tisch der beiden Fünfundzwanzigjährigen im Körper einer Fünfzigjährigen zugewackelt kommt. In der Folge entwickelte sich dann ein Gespräch über alle möglichen langweiligen Sachen, so dass ich mich doch lieber meinem Tee widme.
Aber dann geht’s endlich los. Action und zwar ganz doll viel. Das Enkelkind mitschleppende weibliche Wesen hat sich nämlich eben wieder in die Weiten des ‚Geld gegen Plunder’ Tempels verabschiedet als die beiden Spinatwachteln - will sagen Frauen von Welt - vor uns auch schon damit anfangen Gift zu spritzen. Zuerst über den Ehemann der Person, der im Leben ja nie etwas erreicht hätte. Wahrscheinlich wusste der bloß schon in jungen Jahren, dass aus den beiden vor uns später einmal solche Kräuterhexen werden würden und hat sie deswegen abblitzen lassen, um die nette Omi von eben zu ehelichen. Er war dann demzufolge auch öfter als notwendig zu Hause und musste auch kein beschissenes Familienleben durch übermäßigen Erfolg im Beruf kompensieren, wie die armen Trauerklöße, die sich bei den beiden Damen Ehemänner nennen durften, nein, wohl eher mussten.
Inzwischen sind die beiden Damen dazu übergegangen auch die Nachfolgegeneration der Oma durch den Kakao zu ziehen und dann geben sie mir doch tatsächlich echt einen Grund mich einzumischen. Die fangen doch wirklich an sich über den scheinbar, angeblich, möglicherweise, offensichtlich schwulen Enkel der Oma zu echauffieren. Auf so was stehe ich echt total. Scheintolerantes Dreckspack. Nach außen hin immer fein den Daumen hochhalten, aber sobald es sich anbietet wird der Schwule wieder als etwas Krankes und Schlechtes hingestellt. Das ist genau so ein Gedöns wie dieses „ich habe nix gegen Schwule, so lange sie mich nicht anmachen“ Gequatsche. Bei so etwas wachsen mir echt Haare am Kinn.
Als ob Schwule irgendwie dämlich sind und ein Nein nicht verstehen, ganz abgesehen davon das ja jeder Mensch seinen ganz persönlichen Geschmack hat, na gut, Randgruppen gibt es immer, geschmacks- und verstandstechnisch.
Außerdem traut sich das eh keiner, einen Wildfremden einfach so anzuquatschen, weil man sich ja dann der Gefahr aussetzt, dass ein um sein heterosexuelles Erscheinungsbild besorgter Mitbürger sofort um sich schlägt, statt einfach nein danke zu sagen und weiterzugehen. Ich mein, man kann sich doch wohl geehrt fühlen, wenn man ein Kompliment bekommt, egal, ob das von einem Menschen mit oben mehr und unten weniger oder einem Menschen mit oben weniger und unten mehr kommt. Vor allen Dingen wird Schwulen ja wohl nicht einfach nur so ein gewisses Geschick und Urteilsvermögen nachgesagt, wenn es um Ästhetik und gutes Aussehen geht. Aber lassen wir das, weiterbringen tut es nämlich sowieso niemanden und ich wollte jetzt eh erst mal die beiden Damen am Nachbartisch weichspülen.
Noch ein kurzer Blick an mir herunter um sicher zu gehen, dass die beiden mir auch wirklich in die Falle gehen und dann so schnell wie der Wind oder besser gesagt so schnell wie angemessen und mit einem letzten verschmitzten Grinsen zu Bea in Richtung Nachbartisch aufbrechen. Hier erfordert es natürlich dann die Höflichkeit zu warten, bis man mich bemerkt hat.
„Was wünschen Sie?“
„Wenn die Damen vielleicht kurz einen Moment Zeit hätten, ich habe nämlich eben unabsichtlich, absichtlich ihr Gespräch über dieses Subjekt mitgehört“
Kurzes Warten. Ein Blick nach links und rechts. Die beiden habe ich im Sack. Somit kann ich auch gleich zum zweiten Teil meines kleinen Theaterstückes kommen und zwar so, dass es auch die Herren und Damen an den Nachbartischen mitbekommen.
„Also, ich wollte ihnen eigentlich nur sagen, dass ich ihnen am liebsten ihren Kaffee über ihre billigen Imitate schütten würde, wenn ich nicht wüsste, dass ihnen irgendwer sowieso zuviel Geld dafür abgeknöpft hat. Ich würde ihnen auch gerne ins Gesicht spucken, allerdings will ich mir ja keine Anzeige einhandeln. Und ich würde ihnen gerne ins Gesicht sagen, was für elende Existenzen sie sind und dass es so etwas wie sie in Zukunft zum Glück nicht mehr geben wird, aber das würde sicher von ihnen als Beleidigung aufgefasst werden. Deshalb gehe ich jetzt einfach zu meinem Tisch zurück und genieße weiter meinen Tee. Sie werden jetzt ganz schnell das Thema wechseln und dann auch so schnell wie möglich bezahlen, sonst tue ich genau das, was ich ihnen eben sicherlich durchaus bildlich beschrieben habe und noch ein paar andere nette Sachen. Und übrigens, wenn ich so ein trostloses Leben wie sie hätte, dann würde ich mir ganz schnell ein Hobby suchen. Stricken soll ja durchaus beruhigend wirken. Schönes Leben noch.“
Also, irgendwie war ich noch viel zu nett geblieben, musste wohl doch etwas zu viel Zucker im Tee gewesen sein. Auf jeden Fall erntete ich ein paar anerkennende Blicke von einem der Nachbartische, was ja schon ein Hurra-Erlebnis in der heutigen Gesellschaft ist. Trotzdem irgendwie ein komischer Blick, den mir dieser ältere Herr da zuwarf.
Als ich dann wieder saß, hatten sich auch die beiden Giftspritzen, äh will sagen weibliche Wesen älteren Jahrgangs, wieder gefangen und warfen mir mordlüsterne Blicke zu. Ich grinste freundlich zurück und winkte die Kellnerin heran, die ich dann umgehend zum Nachbartisch schickte, damit sie die Damen abkassieren konnte. Daraufhin hörte ich ein gemurmeltes „die verdorbene Jugend von heute“ und irgendetwas von einem bösen Ende, was Bea sogleich mit einem „besser jung und verdorben als alt und verbittert“ konterte. Daraufhin gab die eine nur noch ein gezischtes „Manfred“ von sich, während die andere Nuklearwaffen mit ihren Augen konstruierte.
Manfred und sein Tischnachbar gesellten sich nun zu ihren geliebten Ehefrauen und ich staunte nicht schlecht, denn jetzt konnte ich den Blick, den Manfred mir eben zugeworfen hatte auch deuten.
Die nächsten beiden Akte, oder besser gesagt, die nächste Stunde verbrachten wir damit, uns aus der Ferne über die Leute zu amüsieren. Ob es nun die Modepüppchen waren, die wegen einer neuen Hose einen halben Herzkasper bekamen, die halbstarken, absolut chilligen Checker mit der großen Klappe und nichts dahinter, oder die von ihren genervten Freunden genervten Freundinnen, die es hier zuhauf gab. Wir konnten uns gar nicht entscheiden, so schier unendlich war die Auswahl an möglichen Zielen, aber ich bin felsenfest überzeugt, dass wir es hinbekommen haben, fast alle witzigen Szenen mitzubekommen.
Und dann kam es schließlich. Das Finale. Letzter Akt, letzter Aufzug. Mein Ex-Freund, aber nicht alleine, sondern zusammen mit dem Typen, den ich wegen ihm abgeschossen hatte. Einen Galgen, eine Schaufel oder Harry Potter dem sein Vater seinen Mantel, ich brauche irgendetwas davon und zwar am besten gestern. Tja, wie sagt man doch so schön: ätsch, bätsch, Pech gehabt. Die Zwei haben uns entdeckt und kommen auf uns zugewackelt und sind, igitt wie ätzend, total verliebt, oder tun zumindest so. Kann mal bitte einer die beiden netten älteren Damen von eben zurückholen, ich brauche ganz dringend Hilfe.
Die beiden setzten sich natürlich ungefragt an unseren Tisch und fingen sofort wie die Blöden an zu turteln. Echt mal, so etwas ist doch eklig. Das muss man doch nicht in aller Öffentlichkeit, vor aller möglicher Leute Augen veranstalten. Na ja, vor allem nicht vor meinen Augen.
Wahrscheinlich haben die beiden Frischverliebten noch irgendein besonders herausragendes Geschenk für einander gesucht und wollen sich jetzt gegenseitig damit beschenken mir den Tag verdorben zu haben. Das fällt flach, aber so was von!
Dass wussten die beiden bloß noch nicht und fingen erst mal munter einen ebenso sinnfreien und von unserer Seite auch unprovozierten Smalltalk an. Da fragt man sich wirklich manchmal, was in den Hirnen der Leute vorgeht. Gibt es da eine besonders weiterentwickelte Gattung, die in ungewöhnlichen Situationen einfach ihr Hirn ausschaltet und damit dann eine sowieso schon bescheidene Situation zu einer vollkommen peinlichen oder unkontrollierbaren Situation macht? Also, mal ganz ehrlich, wenn ich will, dass mich jemand mit völlig sinnentleerten Sätzen über das „Ach und wie toll“ einer Beziehung quält, dann such ich mir für fünf Wochen einen Freund. Von der helfenden Hand einer Freundin namens Bea, war natürlich auch nichts zu sehen. Die hatte nämlich viel mehr damit zu tun, das laute Lachen zu unterdrücken oder nicht vom Stuhl zu kippen oder vielleicht auch mit beidem, denn sie konnte sich wohl ganz genau denken, was gleich passieren würde.
Erst einmal wurde es aber noch schlimmer. Nun mussten die Zwei mir doch tatsächlich auch noch erklären wie sehr sie sich doch liebten. Welcome to land of to much information. Also, so etwas geht mir wirklich am Poppes vorbei. Und das sagte ich ihnen auch, genauso wie ich ihnen mitteilte, dass ich sie beide noch heute ins Bett bekommen könnte, wenn ich es denn darauf anlegen würde. Das war dann wohl zuviel, sie gaben den Plan mit ihrem gegenseitigen Geschenk auf, zogen pikiert und vor sich hin zickend ab, also schlussfolgerte ich kongenial: Treffer, versenkt. Das brachte mir aber auch nicht viel, denn die beiden Deppen hatten meine gute Laune leider tatsächlich gekillt.
Deshalb brachen Bea kurz darauf ebenfalls unsere Zelte ab und ich verkrümelte mich erst einmal wieder nach Hause, bevor sich dieser wunderschöne Tag mit noch mehr Unnötigkeiten für meine so schon schlechte Laune überschlagen konnte. Das wiederum war ein großer Fehler, denn hier herrschte eine Stimmung zum davonlaufen. Hektik, Friede, Freude, Eierkuchen, einfach Weihnachten pur. Deswegen wird es auch niemanden verwundern, dass ich sofort einen bösen Ausschlag bekam, der mich die nächsten Tage an mein geliebtes Bett fesseln würde, womit gleichzeitig mein Überleben und die Umgehung größerer physischer Schäden, durch die vermaledeiten Weihnachtsfeiertage, gesichert war.
Mein Plan ist soweit aufgegangen. Ich habe mich immer nur kurz beim Essen sehen lassen, was von meinen Eltern toleriert wurde. Allerdings erhielt ich vorhin die Order mich gefälligst zum Kaffee und Geschenke bestaunen einzufinden. Da muss ich dann wohl durch.
Im Moment starre ich allerdings immer noch auf meinen Bildschirm. Ich kann mir ja eigentlich nicht wirklich etwas vorwerfen. Mehr als versuchen kann man es schließlich auch nicht, obwohl es mir auch gleich hätte klar sein können, dass gerade ich so etwas nicht hinbekomme. Wie auch, wenn man Weihnachten nicht wirklich mag? Trotzdem ist es irgendwie schade, denn ich hätte schon gedacht, dass es mir irgendwie gelingt, schließlich kenne ich fast alle Geschichten auf Nist. Im Grunde weiß ich gar nicht mehr, wann ich auf die Seite gestoßen bin, doch seitdem prangt in meinen Favoriten ein kleines Icon, welches mich jederzeit auf nickstories.de bringt, wenn ich mal wieder Ablenkung brauche. Ja, auch Leute wie ich haben manchmal einen schwachen Moment und lesen dann eben etwas Herzschmerzlektüre. Beim letzten Anfall dieser Art ist mir dann der Wettbewerb aufgefallen und ich habe mir gedacht, jetzt oder nie... Pyromanie, aber bis auf das euphorische Feuerwerk der Ideen am Anfang ist nicht allzu viel herausgekommen. Die Abgabefrist ist inzwischen schon lange überschritten und mehr als den vorgegebenen Anfang kann man bei mir auch nicht mehr finden, denn alle anderen Versionen sind bereits unfertig ins Datennirwana eingegangen. Es hat eben nicht sein sollen.
Inzwischen ist es sowieso Zeit meinen PC schlafen zu schicken, bevor sich noch meine, aufgrund eines nicht komplett gefüllten Kaffeetisches, mordlüsterne Mutter in meinem Zimmer materialisieren und mir im wahrsten Sinne des Wortes Feuer unter dem Hintern machen kann. Früher hielt ich den Spruch mit der brennenden Luft noch für kompletten Nonsens, aber dann habe ich meine Mutter mal richtig in Aktion erlebt. Ungelogen, die Frau hätte in dem Moment sogar im Vakuum ein Feuer hinbekommen. Logischerweise vermeide ich seitdem solche Situationen lieber. Außerdem will ich heute Abend noch weggehen und da brauche ich keinen Stress vorher. Schließlich ist heute Abend ‚Cafe der einsamen Herzen’ und nein, ich bin nicht einsam. Das heißt eben so, kostet keinen Eintritt, man sieht Leute die nicht jenseits der 40 oder noch weit entfernt von der Pubertät sind und außerdem kommt dort halbwegs anständige Musik. Was aber das Allerwichtigste ist, es ist eben nicht zu Hause und man kann demzufolge ein bisschen Spaß haben.
... Beas große Schwester wird bestimmt auch anwesend sein und das bedeutet, es wird definitiv lustig, weil Rabea nämlich stets und überall gute Laune verbreitet. Was sich die Eltern der beiden jedoch bei dieser selten genialen und zudem äußerst abwechslungsreichen Namenswahl für ihre beiden Töchter gedacht haben, möchte ich gar nicht wissen. Gott sei Dank haben die keinen Sohn verbrochen. Wer weiß, wo sie das Bea in seinem Namen platziert hätten.
Aber zurück zu Rabea. Die Frau ist ein Phänomen und ich würde behaupten sie schläft nie mehr als vier Stunden pro Nacht, soviel wie sie neben ihrem Studium, ihren zwei Nebenjobs, ihrem Freund und ihren ganzen anderen Freunden zu tun hat. Wahrscheinlich hat sie sich selbst geklont, weil, sie studiert auch irgendetwas in die Richtung biophysische Chemie oder biochemische Physik. Was genau sie studiert weiß ich aber nicht, ist für mich nämlich alles eine große Suppe.
Rabea wiederum habe ich kennen gelernt, als mich Bea zu einer ihrer WG-Partys mitgeschleppt hat. Meine Fresse war die Party übel. Ich war nämlich schon kurz vor elf stocknüchtern, aber so was von, dass ich überhaupt nicht mehr schräg laufen konnte. Danach hat mich dann mein Erinnerungsvermögen ganz verlassen. Allerdings weiß ich aus sicherer Quelle, nämlich Bea, dass ich nichts ausgelassen habe. Sie meinte zwei Tage später doch tatsächlich einfach so, dass sie mir einen schönen Gruß von Rabea sagen solle und dass es mir durchaus gelungen wäre einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Was das genau zu bedeuten hatte, wurde mir höchst selbstloser und aufopferungsvoller Weise natürlich auch noch mitgeteilt. Ich hatte wohl zuerst die Toilette verschönert, bevor ich kurzzeitig eines der Fensterbretter verschönert hatte. Danach war mir wohl ein Stift in die Hände gefallen mit dem ich umgehend einem der betrunken schlafenden Gäste zu einer indianischen Kriegsbemalung verholfen hatte. Wie sich später, also quasi während Beas Erzählung herausstellte, war eben jener vermeintliche Gast einer von Rabeas Mitbewohnern gewesen.
Dann war ich wohl versucht gewesen einen der Gäste aus der Wohnung zu werfen, weil der mir unerhörter Weise einfach so die Tequilaflasche entwendet hatte. Übrigens war das auch einer von Rabeas Mitbewohnern.
Zum Schluss hatte ich dann wohl noch versucht einen anderen Gast mit mir im Bad einzusperren, um dann in aller Seelenruhe über ihn herzufallen. Das scheiterte jedoch nach einigen Augenblicken an Bea, die es sich, rauchender Weise, auf dem Fensterbrett in eben jenem Badezimmer gemütlich gemacht hatte. Daraufhin ergriff mein Begleiter umgehend die Flucht und das, obwohl wir erst beim zweiten Drittel unseres Zungenkusses waren. Nach dieser Pleite hatte ich mich dann wohl zu Bea gesellt und die nächste halbe Stunde rauchend und vor mich hin sinnierend verbracht.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt das Rabea genau drei Mitbewohner hat? Nein? Dann ist das hiermit geschehen.
Dementsprechend peinlich verlief dann auch unser nächster Besuch in Rabeas WG. Dass meine Gesichtsfarbe ständig wechselte, muss ich wohl niemandem erklären und den Trick mit dem Menschen verschluckenden Boden hätte ich mir auch von Rumpelstilzchen abschauen sollen.
Zum Glück nahmen sie mir meinen leichten Ausraster dann aber doch nicht wirklich übel und nachdem ich versprochen hatte für alle zusammen zu kochen, wurde mir schließlich gänzlich vergeben. Einzig Coco, welchen ich ins Badezimmer entführt, äh, will sagen verführt hatte, war wohl immer noch weniger gut auf mich zu sprechen, aber der sollte mal langsam wieder klarkommen, schließlich ist noch kein Hetero nach einem meiner Zungenküsse gestorben. Rabea meinte dann aber, dass er wohl immer so war und eigentlich fast nie redete, außer man fragte ihn direkt etwas. Da sie ihn schon ein wenig länger kannte, glaubte ich ihr einfach dass sie wusste, wie man mit ihm umgehen musste und ließ es fürs erste dabei bewenden.
Warum alle seine Freunde ihn Coco nannten, erfuhr ich zwei Wochen später, als ich wieder in der WG war, um den Herrschaften das versprochene Essen zu kredenzen. Hierbei bleibt zu Beginn erst einmal festzustellen, dass ich gut kochen kann, solange es sich um Wasser für meinen Tee handelt. Schwierigere Sachen enden meist, wie soll ich es sagen, im absoluten Chaos. So sah dann auch die Küche fünf Minuten nach meiner Ankunft aus und mein Frustpotential war entsprechend groß, als Coco sich plötzlich in selbige verirrte.
Er besah sich kurz die Situation und hätte er auch nur ein einziges falsches Wort gesagt, ich wäre ihm sofort an die Gurgel gegangen. Doch stattdessen knallte er seine Jacke aufs Sofa, krempelte die Ärmel hoch, übernahm die Regie und das alles ohne ein Wort zu verlieren.
Während ich Obst und Wurst in kleine und noch viel kleinere Stückchen zerlegte, kümmerte er sich um den Rest, denn ich hatte ja ein recht umfangreiches Menü geplant, wie man anhand des Wustes an Verpackungen auf dem Küchentisch erkennen konnte. Das von mir bis ins Detail geplante Menü beinhaltete eine Vorsuppe, der alsbald ein schmackhafter Berg Bratkartoffeln folgen sollte, der wiederum von einem Nudelauflauf und dem nachfolgenden Obstsalat übertrumpft werden sollte. Allerdings waren die Sachen in meiner Vorstellung fertig aus ihrer Verpackung herausgefallen. Dank Coco entstanden sie nun auch nach und nach in der Realität. Ich hätte ihm während des Kochmarathons zu gern ein Gespräch ans Knie genagelt, aber meinen Versuch eines kleinen Smalltalks hatte er ganz schnell durch einsilbige Antworten auf den Grund der Ostsee hinab torpediert und wirklich interessante Themen wollten mir nicht einfallen. Außerdem war ich ja ständig mit irgendeiner Hilfsarbeit beschäftigt und so verlief unsere Zusammenarbeit recht schweigend.
Als dann schließlich alles nahezu fertig war, sagte er mir noch schnell, wie lange die einzelnen Sachen noch auf dem Herd stehen sollten und verließ die Küche so plötzlich, wie er in sie hereingeplatzt war. Mein leise gemurmeltes Danke überhörte oder ignorierte er jedenfalls. Das Grübeln über sein Verhalten verschob ich auf später, denn mit den restlichen Vorbereitungen war ich vollends ausgelastet.
Auf die Sekunde genau zehn Minuten später rief ich den Haushalt, nebst Bea, zum Essen fassen in die Küche und präsentierte stolz den Küchentisch. Alle Anwesenden waren durchweg begeistert, nur Bea schlief ganz leicht das Gesicht ein, denn sie kannte als einzige meine wirklichen Kochkünste. Wir beide hatten in der Beziehung nämlich ein Erlebnis der erschreckenden Art geteilt, als ich versucht hatte für uns beide Spaghetti zuzubereiten. Letztlich gab es an dem Abend Pizza vom Italiener um die Ecke, deshalb wartete Bea auch erst ab, bis die Anderen gekostet hatten und nicht schreiend geflüchtet waren, bevor sie vorsichtig von ihrer Suppe probierte und sie, noch verwunderter, als schmackhaft befand.
Beim Essen selbst beschränkte man sich dann nur auf das Allernotwendigste an Konversation, besser gesagt Rabea erzählte zwischen kauen und Mund wieder füllen ein paar Sachen, die zur allgemeinen Heiterkeit beitrugen. Ich für meinen Teil beschränkte mich darauf Coco ab und an dankbar anzugrinsen, was dieser zumeist mit einem amüsierten Blitzen seiner Augen quittierte.
Wo wir gerade dabei sind. Ich hatte doch erwähnt das Bea mein Fels ist, hatte ich doch, oder? Trotzdem war sie nebenbei auch noch eine Frau und wie es bei Frauen so üblich ist, nannte auch Bea einen ausgeprägten Hang zur Neugier ihr Eigen, der eben, als wir das Essen hinter uns oder besser gesagt in unser aller Mägen gebracht hatten, zum Vorschein kam. Denn statt mir meinen kleinen Erfolg zu gönnen fragte sie natürlich nach, welche Armee von Heinzelmännchen mir denn beim Kochen geholfen hätte, da ich alleine ja nicht einmal eine Portion Spaghetti zustande bekäme.
Wie gewonnen, so zerronnen. Damit war mein neuer Ruf als Spitzenkoch natürlich passé. Mir blieb also nichts anderes übrig, als Coco zu outen, dem das Ganze allerdings eher peinlich als recht zu sein schien, was ich während meiner Erzählung vor allem an dem Feuermelder auf seinen Schultern festmachte. Man kann es den Menschen eben nie Recht machen. Da verzichte ich großzügig auf den mir zwar unverdient, nichts desto trotz zustehenden Ruhm als Dreisternekoch, überschlage mich in meiner Hommage an einen fremden Löffelschwinger und der würde deswegen am liebsten im nächsten Mauseloch verschwinden, statt sich im Lob zu sonnen. Seine Mitbewohner schienen allerdings auch durchaus erstaunt über meine Offenbarung zu sein, denn ihre Gesichter hatten mehr und mehr die Züge von Autos angenommen und ich meine an dieser Stelle nicht die kleinen Twingos, sondern eher die großen Lastwagen.
„Ich wusste gar nicht, dass du so gut kochen kannst, geschweige denn, dass du es überhaupt kannst. Hätte ich das mal eher gewusst, wärst du schon öfter in die Küche dirigiert worden. Aber wieso wundere ich mich da eigentlich noch. Stille Wasser sind halt tief, nicht wahr Sebastian?“
Daher wehte also der Wind. Da musste sich Rabea ja glatt noch bei mir dafür bedanken, dass ich ihren Mitbewohner geoutet habe. Allerdings stellt sich mir gerade eine nicht zu unterschätzende Frage. Who the fuck ist denn jetzt bitte schon wieder Sebastian?
Also, Max, Jan, Rabea und Coco wohnen hier und sonst keiner, oder habe ich das geheime Zimmer übersehen? Oh, Moment, ich hab’s. Coco ist Sebastian und Sebastian ist Coco. Aber wieso nennt ihn dann alle Welt Coco, da kommt man ja überhaupt nicht vom einen auf das Andere. Da muss mehr dahinter stecken und ich bin zum Glück neugierig, wenn auch nichtweiblicher Ausprägung.
„Wie bist du eigentlich zu deinem Spitznamen gekommen, Coco?“
War das etwa ein leichter Rotschimmer, der sich da in Windeseile in seinem Gesicht ausbreitete? Ja, definitiv und nicht nur ein leichter, da war jemand alles andere als begeistert.
„Wenn es denn unbedingt sein muss. Du kennst doch sicher Batida de Coco, also die Alkoholsorte, oder? Dachte ich’s mir doch. Jedenfalls war das eine ganze Weile mein Lieblingsgetränk und ich war auf jeder Feier egal welchen Anlasses in Begleitung einer dieser Flaschen zu finden. Deshalb kam dann irgendwer auf die total beknackte Idee mich Coco zu nennen. Dass ich davon nicht unbedingt begeistert war, kann man sich wohl denken, aber irgendwann habe ich es aufgegeben mich darüber aufzuregen, denn das bringt am Ende ja sowieso nie etwas. Und seitdem heiße ich eben Coco. Zufrieden?“
Also, ehrlich gesagt nein. Das ist ja mal eine völlig bescheuerte und außerdem total langweilige Spitznamenfindungsgeschichte. Einen Namen verpasst zu bekommen, bloß weil man eben ein bestimmtes Lieblingsgetränk hat, zeugt meiner Meinung nach ja nicht gerade von hoher kreativer Intelligenz.
„Also, ganz ehrlich? Nein! Ich finde die Story vollkommen bescheuert, wenn ich ehrlich bin und ich möchte mal wissen welcher Vollidiot von so was auf so was kommt.“
Schallendes Gelächter aus drei Kehlen, zwei Mal verwunderte Gesichter und einmal ein belämmertes Gesicht. Ich glaube es nicht, der hat sich den Scheiß echt selber ausgedacht. Wen glaubt er denn damit überzeugen zu können? Na gut, fast hätte ich ihm seine Geschichte abgenommen, aber eben nur fast.
„Na, wie sieht’s aus Sebastian? Erzählst du dem Kleinen die richtige Story? Ich denke mal verdient hat er es sich, nach dem tollen Essen... Ach so äh ich meine nachdem er dir so gut assistiert hat.“
Genau Sebastian, hör’ auf Rabea. Die hat nämlich total Recht. Ich habe es so was von verdient das zu wissen, schon allein deshalb, weil ich neugierig bin. Moment, hat sie mich grad klein genannt? Also, mal ganz langsam...
„Muss das wirklich sein? Ist doch schon schlimm genug, das ihr die Story alle kennt und mich ständig deswegen aufzieht. Da muss die doch nicht auch noch der Rest der Welt wissen.“
Was soll denn das bitte heißen? Ich bin keine alte Klatschbase und wenn doch, dann nur ein ganz kleines bisschen. Auf jeden Fall platze ich langsam vor Neugier. Das muss ja eine richtige lustige Geschichte sein, wenn er sich so sehr dagegen sträubt.
„Wir können ihm ja auch der Einfachheit halber das Video zeigen, wenn du keine Lust zum Erzählen hast.“
Wie jetzt, das gibt es auch auf Video. Muss ja etwas richtig Geniales sein. Oh, da scheint jemandem mächtig das Gesicht einzuschlafen. Zum Glück sind seine Augen festgeklebt, sonst wären sie Coco wohl in dieser Sekunde aus dem Kopf gesprungen.
„Ich kann mich auch gerne als Akupunkteur versuchen und eine Stecknadel nach der anderen auf deiner Nase platzieren Jan.“
Ich glaube, ich brauche meinen alten Fahrradsturzhelm, hier fliegen die Kartoffeln gerade sehr tief. Vielleicht sollte ich auch meinen Schuh ausziehen und meine Socke in die Luft halten, dann rennen alle schreiend aus der Küche. Obwohl das klappt auch nur, wenn man sich seine Füße eine Woche nicht gewaschen oder mindestens eine Fantastilliarde Stunden Sport hinter sich hat.
„Also, pass auf Leander. Ich erzähle dir das jetzt ein einziges Mal. Diese Geschichte verlässt unsere Küche nicht, denn ansonsten sehe ich mich leider dazu gezwungen mich schrecklich zu rächen.“
Wie kann man denn so einen Wind um einen Spitznamen machen? Ich meine, schau mich an. Ich heiße Leander und bin meinen Eltern dafür auch absolut und unglaublich dankbar. Zum Glück sagen die meisten Leute Leo zu mir und wenn doch mal einer auf die Idee kommt, das man aus Leander ja doch eher Lea ableiten kann, rücke ich sein Weltbild ganz, ganz, ganz, ganz schnell wieder ins rechte Lot. Ich habe nämlich einen Waffenschein für mein Mundwerk. Aber Coco wollte ja etwas erzählen.
„Ich bin ganz Ohr.“
„Also pass auf. Ich möchte nur noch einmal kurz vorher erwähnen, dass ich euch alle abgrundtief dafür hasse, dass ich die Geschichte erzählen muss und weise daraufhin, dass ich mich bei entsprechender Gelegenheit gar fürchtervoll rächen werde.
Die Geschichte an sich ist eigentlich auch nicht wirklich weltbewegend und wenn sie denn meine Eltern nicht auf Video aufgenommen hätten, dann hätte wohl niemals jemand davon erfahren. So ist das Ding aber bei irgendeiner Party meinen herzallerliebsten Freunden in die Hände gefallen und seitdem heiße ich Coco. Der Grund dafür ist einfach der, dass ich auf dem Video als zweijähriger Zwerg im Schlafanzug zu sehen bin, wie ich mit meinem Schmusekissen meiner Mutter hinterher wackle und ständig ‚Basti will Kokolade haben’ brabble. Tja, das fanden wohl einige Menschen zutiefst bewegend, brachen vor lauter Lachen erst einmal in Tränen aus und seitdem nennt mich alle Welt nur noch Coco.“
Aha. Und was ist daran jetzt bitte so total peinlich, dass man die ganze Geschichte nur unter Androhung von schlimmen Strafen erzählt? Wir haben doch als Babys alle irgendwelche Dummheiten angestellt, das braucht doch niemandem wirklich peinlich zu sein. Obwohl die Bilder von mir auf dem Topf würde ich gerne irgendwo ganz tief vergraben, wenn ich mir das so überlege. Wenn die bucklige Verwandtschaft solche Bilder nämlich in die Finger bekommt, dann ist man mit einem Mal wieder total süß und niedlich und all so einen Kram, auch wenn man dieses Alter schon Ewigkeiten hinter sich gelassen hat. Deshalb beschränkte sich auch meine Reaktion nur auf ein neutrales Grinsen, was den Rest der Tischgesellschaft in erstauntes Schweigen versetzte, hatten sie doch wohl mit einem heftigen Lachanfall meinerseits gerechnet.
Der Lachanfall folgte ein Weilchen später, denn neugierig wie ich nun einmal bin, habe ich bei einem meiner vielen Besuche in der WG und auch in Sebastians Zimmer, ein bisschen Columbo gespielt und nach einigem Suchen ist mir doch tatsächlich eine unbeschriftete Videokassette in die Hände gefallen. Da ich dafür nicht einmal einen Schrank öffnen musste hielt sich auch mein schlechtes Gewissen so ziemlich in Grenzen. Der kurz darauf folgende Lachorkan war allerdings nicht von schlechten Eltern und rief wiederum Coco auf den Plan. Der war erst alles andere als begeistert davon, dass ich in seinen Sachen herumgeschnüffelt hatte. Mir war das allerdings vollkommen egal und er mir auch nicht allzu lange böse, denn das Video hatte es nun einmal wirklich in sich. Man stelle sich einfach vor, dass man einen Menschen kennt und dann sieht man ihn auf einem Video in einem Strampelanzug mit einem lilagelb gepunkteten Bärchen in Brusthöhe, den Schnuller in der Rechten, das Schmusekissen in der Linken und mit dem Mund das Wort Schokolade in akrobatischer Leistung verunstaltend. Da blieb sogar mir die Luft weg.
Nach diesem Erlebnis ist der Stein irgendwie ins Rollen gekommen, also besser gesagt Sebastian und ich haben uns mit der Zeit mehr und mehr angefreundet. Er hatte ja wegen der Küchenaktion schon etwas gut bei mir und nach und nach hat sich dann herausgestellt, dass er nicht nur kochen, sondern auch gut zuhören und darüber hinaus auch den ein oder anderen Ratschlag geben kann. So fand ich durch Zufall oder besser gesagt durch meine ab und an recht stürmische Art jemanden, dem ich alles erzählen konnte und der mich auch verstand. Zuerst war das ziemlich verwunderlich, denn ich hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass ein Hetero so gut zuhören bzw. sich so in meine Situation hineinversetzen kann. Es ist ja auch nicht so, dass ich Bea nicht alles erzählen könnte, aber es ist eben einfach auch so, dass die gute Bea nun einmal leider Gottes ein Mädchen ist und so offenherzig und redselig ich auch bin, manche Sachen erzählt man einer Frau eben nur sehr ungern. Ich weiß, eigentlich erzählt man das auch keinem Hetero, oder eben gerade doch? Ich weiß es wirklich nicht, aber bei Coco war das mit dem offen und ehrlich sein nie ein Problem. Er ist nämlich einer der wenigen Menschen, die sich erst etwas bis zum Ende anhören, bevor sie sich eine Meinung bilden, beziehungsweise zu bilden versuchen. Dazu kommt noch, dass er mich immer hat ausreden lassen, wenn ich denn mal am erzählen war und das ist mir bis dato auch nicht untergekommen. Im gleichen Maß hat er mir dann auch beigebracht ihn ausreden zu lassen, denn so etwas ist, wie er es immer ausdrückt, keine Einbahnstraße, sondern eine Frage des Verstandes und des Anstands. Verstanden habe ich es nicht ganz, aber geschadet hat es mir bisher noch nicht. Aber wahrscheinlich genau, weil er mich immer hat ausreden lassen, habe ich ihm auch jedes Mal von den Typen, von denen ich etwas wollte oder mit denen ich etwas hatte und auch von den Typinnen, die mich ab und an belagerten, erzählt. Er hat es sich immer angehört. Egal, ob ich ihm die Ohren vollgejammert habe, weil mir alle Welt das Leben schwer macht und er mir danach den Kopf wieder gerade gerückt hat. Egal, ob ich mich gerade mal wieder unglücklich in irgendwen verschossen hatte und er mich nachher wieder aufgebaut hat. Egal, ob ich mal wieder im Arschlochland war und das mein gesamtes Umfeld spüren ließ und er einfach gewartet hat, bis ich es selbst eingesehen habe. Er kennt auch als Einziger, die ganze Geschichte mit meinem Exfreund und ich hätte einiges dafür gegeben, wenn ich ihn an dem Nachmittag in meiner Nähe gehabt hätte. Früher wollte ich es nicht glauben, aber solche Menschen sind einfach Gold wert. Leute die zuhören, die Ratschläge geben, die man nicht hören will, obwohl sie vollkommen richtig sind und es eben genau deswegen tun.
Das Witzige an der Sache ist ja, dass ich ihn sogar dazu bekommen habe, mich in Szenekneipen zu begleiten und ihn auch auf entsprechende Partys gezerrt habe. Das war vielleicht ein Theater, na gut, ein Verständliches, aber dennoch. Wir waren unterwegs und ja, ich wusste ganz genau, dass ich ihn an diesem Abend in genau das Lokal bekommen wollte, aber ich habe es mir natürlich nicht anmerken lassen, sondern mich vielmehr darüber ausgelassen, dass wieder einmal alle Kneipen voll wären. Nach erfolgloser Suche hatte ich ihn dann endlich so weit, dass er nachgab und wir die drei Stufen in meine Welt hinter uns brachten. Zuerst hat er sich fast ein klein wenig hinter mir versteckt, aber irgendwann ist er dann wieder aufgetaucht und hat sich von den Eindrücken überrennen lassen. Ihn danach auf eine der Partys zu bekommen war vergleichsweise einfach, denn Musik ist Musik und tanzen macht immer Spaß. Egal wo, egal wann, das einzig Wichtige ist mit wem. Und was soll ich sagen, außer, dass mein Lieblingshetero den Kulturschock gut überstanden hat, denn das kann man am Anfang schon ohne weiteres so bezeichnen, wenn man plötzlich so mir nichts dir nichts von Klischees pur umspült wird. Das kennt ja wohl jeder, die vorgefertigten Meinungen, die einstudierten Vorurteile und das auf Nichtwissen basierende Halbwissen, welches sich im eigenen Verhalten widerspiegelt. Coco hat schnell gemerkt, dass es nicht immer so war, wie er sich das vorher wohl gedacht hatte und auch nicht jeder dem Vorzeigeklischee entspricht, dass die heutige Meinung immer wieder heraufbeschwört. Sicher gibt es unzählige Paradiesvögel, die in den meisten Fällen aber durchaus nett und unterhaltsam sein können, wenn man sie denn nicht von Anfang an mit Ablehnung bombardiert, denn jeder Mensch hat irgendwo seine Marotten.
Na gut, eigentlich haben wir nie wirklich darüber geredet, wie er die Leute so findet. Aber er ist schließlich auch ein zweites und drittes Mal mitgekommen, nachdem ich ihn gefragt habe und festgehalten hat er sich auch nie an mir. Meistens musste ich ihn suchen und fand ihn mal wieder mit irgendeinem Bekannten im Gespräch vertieft.
Im Gegenzug bin ich dann auch zu ein paar Sachen mitgegangen, die Coco mag. Lesungen von irgendwelchen Jungautoren und Konzerte von mir ziemlich unbekannten Bands. Letztlich hat mir das sogar ziemlich viel Spaß gemacht, denn sein Geschmack ist, wie ich festgestellt habe, nicht von schlechten Eltern, wenn es auch ziemlich ungewohnt für mich war. Also, sozusagen ein auf Gegenseitigkeit beruhender Kulturschock zum beiderseitigen Vorteil...
Aber so langsam sollte ich doch mal durch die Tür in den Flur und dann die Treppe runter ins Wohnzimmer gehen. Hier stehen und vor mich hin sinnieren hat zwar so einiges für sich, aber ich werde ja leider Gottes schon erwartet.
Das Kaffeetrinken und anschließende Geschenke bestaunen, mit dem sich wieder anschließenden obligatorischen Kartoffelsalat verputzen, hatte ich hinter mich gebracht und stand gerade im Bad, als es klingelte. Kurze Zeit später stand Bea hinter mir im Bad und musterte mich kritisch.
„Wen willst du denn heute Abend aufreißen?“
„Niemanden, ich hatte einfach Lust.“
So ganz nahm mir das Bea wohl nicht wirklich ab. Trotzdem hatte ich nicht vor irgendjemanden aufzugabeln, ich wollte einfach nur mal wieder meine Lieblingsklamotten anziehen und mir selber gefallen. Diesen ganzen Beziehungsstress musste ich mir in nächster Zeit sowieso nicht geben, dafür hatte mir der Auftritt meines Ex gestern nur zu gut gezeigt, dass ich eher für lockere Freundschaften ohne großes Tamtam zu haben war. Hoffentlich würden die beiden heute Abend nicht auch noch auftauchen, obwohl die Wahrscheinlichkeit leider ziemlich hoch war, da nur die eine Party in unserer Umgebung stattfindet. Wenigstens wusste Bea zu berichten, das auch Rabea und ihre Mitbewohner auftauchen würden, zumindest hatte ihre Schwester ihr das so gesagt.
Eine Stunde und eine Flasche Wein später waren wir endlich auf dem Weg. Ich war zufrieden, denn der Abend konnte einfach nur spitze werden. Weit und breit keine Elternfront in Sicht und jemanden aus dem Kreise meiner Verwandtschaft über den Weg laufen musste ich auch nicht wirklich fürchten.
Nachdem wir unsere Jacken losgeworden waren, besorgte ich uns erst einmal ein wenig Flüssignahrung, pflanzte mich neben Bea auf eines der bequemen Sofas und wir lauschten erst einmal der Musik. Eine Stunde und zwei weitere Flaschen Desperados später bekamen wir schließlich Gesellschaft. Aus einem Pulk einrückender Leuten löste sich plötzlich Rabea, kam auf uns zugestürzt und erlöste erst einmal Beas Desperados von seinen Leiden. In ihrem Schlepptau befand sich Coco, der genauso alkohollüstern schaute, weswegen ich sofort meine Flasche ansetzte und sie selber leerte. Man muss solche Sachen nämlich nicht provozieren. Entsprechend belämmert schaute Coco aus der Wäsche, als er meine leere Flasche sah und während ich mir einen grinste spurtete er unverzüglich zum ‚Getränke gegen Geld’ Holzbrett, um dieses gegen jenes zu tauschen. Wenigstens war er mir nicht wirklich böse. Denn als er endlich wieder vor uns stand hatte er nicht nur eine, sondern gleich vier der hübschen Flaschen in seinen Händen.
Als dann das übliche Tatü Tata besprochen war, verdrückte ich mich zusammen mit Rabea in Richtung Musikaustauscher, um wenigstens ein kleines bisschen mit den Füßen zu wippen. Tanzen war nämlich am Weihnachtsabend nicht angesagt, dennoch musste man sich der Musik zumindest ein klein wenig hingeben. Unser Gespräch plätscherte zwischen diesen und jenen Themen hin und her, bis Rabea mir ungefähr anderthalb Desperados später den Boden unter den Füßen wegzog.
„Wie findest du eigentlich Coco?“
Wie bitte? Was ist denn jetzt kaputt? Frauen und Alkohol ich sag’s ja immer wieder. Aber wenn sie unbedingt eine Antwort haben will, dann kann sie die haben, denn genug getrunken habe ich dafür schon.
„Hm, niedlich, süß und total hetero. Wieso willst du etwas von ihm? Du hast doch einen Freund.“
„Seit wann ist Coco hetero? Wie kommst du denn auf den Trichter?“
Wald. Urwald. Prähistorischer Urwald. Wo ist die Sonne hin? Ich sehe bunte Dinos...
„Na ja, er hat mir doch von seinen Freundinnen... nein, hat er nicht. Aber er hat mir gesagt, dass er auf Mädchen... nein, hat er auch nicht. Aber... aber... ich muss weg!“
Das kann ja wohl echt nicht wahr sein. Da sagt die Frau mir doch einfach so, nach fast einem ganzen Jahr, in einer Alkohollaune, dass mein bester Heterofreund auf Typen steht. Ich fass es nicht. Das geht doch auf keine Kuhhaut.
Die nächste Viertelstunde habe ich den ganzen Laden auf den Kopf gestellt, aber von Coco war natürlich keine Spur zu finden. Zum Schluss blieb mir nur noch der Dachboden und da saß er tatsächlich zusammen mit Bea und unterhielt sich. Schnell noch ein Sturzdesperados für unterwegs von der netten Frau hinter dem Holzbrett besorgt und dann auf in die Schlacht.
„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“
„Was habe ich dir nicht gesagt?“
„Na, dass du schwul bist vielleicht?“
„Du hast nicht gefragt.“
Ich glaube mich knutscht ein Zebrasl. Gleich gibt’s hier ein Massaker, mit Blut und spritzenden Eingeweiden und Erdbeeren auf Sahne. Sahne? Hirn bleib da! Zurück auf Anfang. Ein Zebrasl ist eine Kreuzung aus Zebra und Esel und ist beheimatet in den südlichen Tälern des... Nicht soweit! Neustart!
Der sagt mir echt eiskalt ins Gesicht, dass ich ihn das hätte fragen sollen. Hallo. Hallohooo! Soll ich das vielleicht riechen, dass mein bester Heterofreund eigentlich am gleichen Ufer steht wie ich. Wenn ich das eher gewusst hätte, dann... dann hätte ich ihn natürlich versucht rumzukriegen und hätte wohl einen meiner besten Freunde nie kennen gelernt. Was wird denn das jetzt? Werde ich doch endgültig weich in der Birne? Ach verdammt, am Ende stimmt das wirklich. Natürlich hätte ich versucht ihn herumzubekommen, schließlich sieht er ziemlich gut aus. Scheiße was jetzt?
„Hallo Leander. Bist du noch da?“
„Ich pack das nicht. Ich steige da jetzt wirklich überhaupt nicht mehr durch. Du sagst mir einfach so, dass ich dich hätte fragen sollen. Ich dachte echt wir sind Freunde und du verschweigst mir so was einfach.“
„Eben deswegen, weil wir Freunde sind.“
„Deine blöde Logik muss ich jetzt nicht verstehen oder? Freundschaft heißt ehrlich zueinander sein und dieser ganze andere Kram.“
„Leo, reg dich ab. Es ist doch vollkommen egal ob Coco nun auf Typen oder auf Tussis steht.“
„Halt dich da raus Bea. Warte mal. Du hast das gewusst... Leckt mich, alle beide. Und das nennt sich Freunde. Tschüss!“
Die haben ja wohl alle den Arsch offen und ich dachte echt die wären mit mir befreundet. Mir so was einfach nicht zu erzählen und verdammt hätte ich das eher gewusst, dann hätte ich alles anders gemacht. Ich hätte ihm doch nie von irgendwelchen anderen Typen vorgeschwärmt, sondern... Mist, ich brauche noch etwas anderes zu trinken. Und bevor ich es vergesse. Weihnachten ist der letzte Dreck! Und wenn die Frau an der Bar sich nicht langsam mal mit meinem Desperados beeilt, dann werde ich zum Nussknacker und ihr Kopf hält als Walnuss her. Die schmecken nämlich richtig gut, die Dinger, auch wenn es immer eine Heidenarbeit ist, sie aus der Schale herauszubekommen. Fuck, ich habe eindeutig zuviel Alkohol intus. Ich sollte mich besser langsam verziehen, warten muss ich ja sowieso auf niemanden mehr.
Gerade als ich es geschafft habe meine Jacke vom Kleiderständer herunterzubekommen steht auf einmal Coco hinter mir. Ich freu mir echt ein drittes Loch in den Arsch. Kann der mich nicht in Ruhe lassen. Ich war eben ja wohl deutlich genug? Oder will er etwa Nachschlag?
Typisch. Ganz typisch. Erst mir alles Mögliche verschweigen und dann einen auf verständnisvoll und ‚lass uns reden’ machen. Mich interessieren seine Gründe einen feuchten Kehricht. Ich will den ganzen Scheiß nicht hören.
„Pass auf Sebastian... du kannst mir echt erzählen was du willst. Es interessiert mich nicht. Du hast mich angelogen, nein du hast dich einfach vor der Wahrheit gedrückt. Weißt du eigentlich, dass ich mich das ganze Jahr zusammengerissen habe, damit ich dich nicht ständig angrabe. Und das nur, weil ich vollkommen davon überzeugt war, dass du auf Frauen stehst und ich unsere Freundschaft nicht ruinieren wollte. Und jetzt, jetzt kommt einfach Rabea zu mir und erzählt mir einfach mal so nebenbei... übrigens dein bester Freund, der ist eigentlich auch schwul. Schönen Dank auch für die Mitarbeit.“
„Hast du es dann langsam, ich würde nämlich auch gerne mal was dazu sagen.“ Will der mir jetzt mit dem knurrenden Unterton in seiner Stimme irgendwas mitteilen? Ich bau dir gleich ein Pfefferkuchenhaus, Freundchen.
„Nein, ich habe es noch lange nicht. Verdammte Axt, was denkst du denn warum ich dich am ersten Abend ins Bad geschleift habe. Weil ich verdammt noch mal vollkommen scharf auf dich bin, war, bin. Ach Scheiß drauf. Ich will deine ganzen Argumente nicht hören. Ich will, dass du mich einfach in Ruhe lässt.“
„Leo, kannst du vielleicht endlich mal die Fresse halten?“
„Kann ich nicht! Will ich nicht! Werde ich nicht! Geh zu deinen Freundinnen zurück und lass mich gottverdammt noch mal in Frieden.“
Bevor das Spielchen jetzt noch weitergehen konnte, drängelte ich mich rücksichtslos an Sebastian vorbei und verpisste mich so schnell wie möglich nach Hause. Natürlich musste mir hier auch noch die Elternfront an die Karre fahren. Die war nämlich soeben vor dem Fernseher erwacht, wollte sich ins Bett schleichen, erkannte mich jedoch vor der Tür und machte sich alsbald daran mir eine Moralpredigt zu halten. Da war es dann soweit. Bei mir flog die letzte Sicherung raus und ich fing an die Elternfront erst anzuschreien, ihr dann ihr beschissenes Verhalten der letzten Jahre vorzuhalten, mir daraufhin eine Ohrfeige einzufangen, mich hernach weiterhin schreiend in Richtung meines Zimmers zu bewegen und schließlich die Tür zuzuknallen und der Welt eine möglichst beschissene Nacht zu wünschen.
Wie war das noch mal? Weihnachten ist die schönste Zeit des Jahres. Ich fahr dich um, mit meinem neuen Trecker! Und wenn der Typ in seinem roten Kostüm durch den Kamin kommt, dann haue ich ihm meine neue Digicam über die Rübe, zu irgendetwas müssen die Geschenke meiner Erziehungsberechtigten ja wohl gut sein. Nächstes Jahr wandere ich vor Weihnachten aus nach Simbabwe oder ins Taka Tuka Land, mir egal. Hauptsache Sonne, Hauptsache warm und Hauptsache keine Nadelbäume in einem Radius von hundert Kilometern.
Hallo liebes Tagebuch. Ich wusste gar nicht, dass es dich noch gibt. Es tut mir auch sehr leid, dass ich dich so schmählich vernachlässigt habe, aber ich hatte das Jahr über viele andere Sachen zu tun. Ich bin jetzt nämlich schwanger. Äh nein bin ich nicht, aber ich bin morgen früh um 13 Uhr genau ein Jahr mit Sebastian, der morgen auch endlich nach Hause kommt, zusammen. Er war ja die letzten beiden Monate in der Weltgeschichte unterwegs. Irgendwelche hochwichtigen Praktika hinter sich bringen und für seine Zukunft vorplanen, während ich noch nicht einmal weiß, welches Paar Socken ich am nächsten Morgen anziehen will.
Ach ja, wie das alles gekommen ist? Nun ja das war so. Morgen vor einem Jahr saß nämlich ebenjener Sebastian in meinem Zimmer, als ich völlig gerädert aus dem Traumland in die Wirklichkeit zurückfand. Ich glaube er hat die ganze Nacht da gesessen. Keine Ahnung, wie er reingekommen ist, aber ich glaube ja fast meine Mutter hat ihn hereingelassen, nachdem ich sie im Flur habe stehen lassen. Er sah verdammt fertig aus und ich habe ihn für mindestens eine Viertelstunde einfach nur stumm angeschaut. Irgendwann habe ich es dann aufgegeben mich umgedreht und bin etwas mehr zur Wand gerückt. Er hat es verstanden und ist neben mir unter die Decke gekrabbelt. Verdammt, seine Füße waren eiskalt, aber ich hatte ihn in meiner Nähe und ich glaube, da ist der Knoten bei mir geplatzt. Wenn ich mich selbst zwei Wochen früher so gesehen hätte, ich hätte mir links und rechts eine reingehauen. Schließlich hatte ich mir immer vorgenommen nie so ein verweichlichter Romantikheini zu werden, der irgendwelche komischen Sachen sagt und macht. Der extra eine Stunde nach Mitternacht aufsteht, um seinem Freund Frühstück zu machen, der total bescheuert grinsend durch die Gegend läuft, bloß weil er gerade auf dem Weg in ein anderes Bett ist. Tja, das alles habe ich mir genau an diesem Morgen eingebrockt, denn wir haben beschlossen es miteinander zu versuchen. Keiner von uns beiden hat an dem Tag auch nur ein einziges Wort gesagt. Wir haben einfach nur nebeneinander im Bett gelegen, jeder mit seinen Gedanken irgendwo anders. Wir haben uns gemeinsam zum Abendessen hochgequält und uns ohne ein Wort zu sagen, zu meinen Eltern an den Tisch gesetzt und danach habe ich mich sogar mit ihm zu den beiden aufs Sofa gesetzt und irgendeinen bescheuerten Film angeschaut, bis ich an Sebastians Schulter eingeschlafen bin. Die beiden haben nie ein Wort darüber verloren, obwohl sie es bis zu dem Augenblick nicht gewusst haben. Allerdings haben sie etwas anderes getan. Sie haben Sebastian nämlich eine Woche später einen zweiten Haustürschlüssel auf den Nachttisch gelegt, den ich Sebastian einen Monat später dann überreicht habe. Ich glaube, seitdem mag ich meine Eltern ein kleines bisschen, na ja, ich bin eigentlich ziemlich stolz auf die beiden, denn die scheinen mich doch wirklich zu lieben sonst wären die doch nie einfach so mir nichts dir nichts mit so etwas klargekommen.
Das war’s dann aber auch schon. Nein, wir haben uns natürlich auch in den nächsten zwei Wochen gesehen, sogar ziemlich oft. Aber mit körperlicher Zuneigung war nichts. Kein küssen, kein fummeln, noch nicht einmal Sex. Wir sind zwar jeden Abend zusammen im Bett gelandet, aber außer ankuscheln, festhalten und schlafen war nichts. Nach zwei Wochen war ich dann bereit für meinen ersten Amoklauf. Ich hatte die Schlagzeile schon vor Augen. Achtzehnjähriger erdolcht Freund mit einer Packung abgelaufener Spaghetti. Zitat: „ Der wollte nicht knutschen, schon zwei Wochen nicht!“
Ich bin nicht sexsüchtig oder kuschelbedürftig, obwohl na gut das könnte man in Klammern setzen, also das ‚nicht’. Auf jeden Fall war ich dazu bereit, erbittert mein Recht zu fordern. Schließlich bin ich 18 und meine Hormone sind es auch.
Deshalb war ich dann auch am nächsten Tag auf dem Weg zu Sebastian um ihn entweder zu verführen oder umzubringen oder aber wenigstens um einen Teller von seinem Chili abzubekommen. Als ich ankam war aber irgendetwas komisch. Außer uns beiden war erstens niemand da und zweitens roch es nicht nach Chili. Die Schweine! Einfach so mein Chili wegzufuttern und sich dann aus dem Staub zu machen, wie unkollegial.
Dementsprechend missmutig schlurfte ich hinter meinem Freund in die Küche und war verzückt. Nein, das klingt kitschig. Ich war nicht verzückt, sondern von jetzt auf gleich auf Drogen. So etwas wie zuviel Zucker im Tee und deswegen völlig verpeilt und Unsinn brabbelnd durch die Gegend rennen meine ich. Ihr kennt das ja sicher alle. Warum das so war ist ganz einfach zu erklären, denn mein Freund hatte die WG-Küche geputzt und total romantisch hergerichtet. Und ich rede jetzt nicht von so normalem Romantikschmus, er hatte nämlich die ganze Küche dekoriert und zwar mit essbarer Dekoration. Ich wusste gar nicht, was ich als Erstes probieren sollte und stürzte deshalb von einer Ecke zur anderen um möglichst von allem erst einmal einen Bissen zu bekommen. Den freundlichen Hinweis von Sebastian mich doch noch bis zum Hauptgang zurückzuhalten hätte ich beinahe überhört, aber nur beinahe. In Lichtgeschwindigkeit saß ich auf meinem Platz, hatte Messer und Gabel in der Hand und ein „ich habe Hunger, Hunger, Hunger, habe…“ auf den Lippen. Und das war auch gut so, denn das Essen war das reinste Gedicht.
Und wenn ich wegen Coco in den nächsten Jahren zwanzig Kilo zunehme, werd ich ihn zwar mindestens fünf Minuten dafür hassen, aber dann kann er gleich weiterkochen. Es ist mir nämlich egal, ob ich nach drei Jahren Beziehung unter die Bowlingkugeln gehe. Sein Essen ist das nämlich einfach mal wert.
Da ich aber nicht nur zum Essen gekommen war, na ja, eigentlich war das schon Grund genug, ihn zum Essen zu besuchen, aber ich wollte ja dringend noch ein paar Sachen klären und wollte dann auch gerade loslegen, als mir Sebastian den Nachtisch servierte. Und während ich da so löffelnd und schmatzend saß, lernte ich eine neue Seite an meinem Freund kennen. Der holte nämlich währenddessen tatsächlich eine Klopapierrolle hervor, die von ihm scheinbar mit vielen Wörtern verziert worden war.
Also, wenn ich nicht gerade mit meinem Nachtisch beschäftigt gewesen wäre, wäre mir echt der Unterkiefer heruntergeklappt. Da ich aber eben doch noch mit meinem Nachtisch zu tun hatte, blieb mir wenigstens diese Peinlichkeit erspart. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich so einen kreativen Freund hatte. Der erzählte mir nämlich mindestens zehn Minuten lang, was er so alles mit mir anstellen würde, wenn ich ihn jemals mit einem Anderen betrügen würde. Na gut, vollkommen wahnsinnig trifft es wohl eher, aber ich muss ehrlich zugeben, einige seiner Vorschläge waren noch besser, als ein paar von denen, die ich auf meiner eigenen Liste stehen hatte. Das sagte ich ihm dann auch offen.
Wir waren also quasi zwei Wahnsinnige, die man aufeinander losgelassen hatte. Weil allerdings auch noch ein kleiner Funken Verstand in unseren von Gefühlen durchweichten Hirnen übrig war, versprachen wir uns, dass wir einfach einen Schlussstrich ziehen würden, wenn denn einer von uns beiden des anderen überdrüssig geworden war.
Bis heute ist das allerdings nicht passiert. Ihr kennt ja sicher alle das Sprichwort mit dem Sex und der Beziehung, das gilt bei uns ein wenig abgewandelt. Wenn der Sex schlecht ist, dann macht er viele, viele Prozente der Beziehung aus und wenn er gut ist, dann macht er nur einen kleinen Teil aus. Bei uns konvergiert dieser Prozentsatz konsequent gegen Null. Dabei geht es noch nicht einmal darum, dass einer von uns beiden der absolute Hengst ist, das sind wir nämlich beide absolut, total und so. Es ist ganz einfach so, dass, wann immer wir miteinander in der Kiste landen und ich möchte darauf hinweisen, dass das durchaus zwischen ziemlich häufig bis sehr oft bis fast ständig hin und herpendelt. Äh, was wollte ich aufschneiden, äh, sagen, äh, Hirn! Ach so, jetzt hab ich’s wieder. Die Sache ist einfach die, dass wir immer unseren Spaß haben und zwar richtig. Darauf kommt es ja am Ende auch an, oder?
Eine Sache ist allerdings gleich geblieben. Ich hasse Weihnachten immer noch abgrundtief, denn die Verwandtschaft nervt einfach bis zum bitteren Ende. Deshalb gehen wir heute Abend erst mal richtig einen saufen. Es ist nämlich wieder mal soweit. Dezember der 24. und nur ein Weg um den Tag gut zu verkraften, nämlich das alljährliche ‚Cafe der einsamen Herzen’.
Und morgen Mittag schlagen wir dann alle gemeinsam bei meiner buckligen Verwandtschaft auf, um sie mal richtig zu schocken. Den Plan hat mein Vater gerade gefasst und das schon nach dem dritten Bier. Ich habe nämlich beschlossen, dass die beiden dieses Mal mitkommen dürfen, auch wenn sie eigentlich schon jenseits der Rente sind, also über dreißig. Aber nun ja, ich werde halt auch irgendwie weich und die beiden irgendwie immer pflegeleichter. Muttern ist vorhin mit Bea und Rabea verschwunden, um dem Musiktauscher mal etwas über gute Musik beizubringen, während wir zwei beiden, zusammen mit meinem alten Herrn, eines der Sofas belegen. Außerdem haben meine Eltern mir gleich noch den Schock fürs Leben verpasst. Die haben nämlich den Chef hier begrüßt und mindestens fünf Minuten mit ihm geredet, kannten sich scheinbar von früher. Man lernt wirklich nie aus, auch nicht über seine Eltern.
Und wenn ich mir das gerade so recht überlege, ist es eigentlich auch nicht schlimm ein kleiner Weichpitti zu sein. Manchmal ist das in Ordnung. Denn auch wenn man sein Geschenk schon zwei Monate vorher besorgt hat, macht das herumsitzen, schauen und lästern in der Einkaufspassage immer noch so viel Spaß, wenn nicht sogar mehr.
Bevor ich nun als vollkommen wirr im Schädel abgestempelt werde, möchte ich noch eine Sache loswerden. Ich weiß durchaus, dass das Alles unwirklich klingt, denn wer schleppt schon sein Tagebuch mit in einen Club, zumal es ja wenn, dann ein elektronisches Tagebuch wäre. Aber die Sache ist einfach die, meinen Kopf nehme ich sowieso immer und überall mit hin und warum soll ich etwas aufschreiben, wenn ich es doch sowieso nicht vergesse, denn die wirklich wichtigen Dinge merke ich mir für immer.
Und jetzt ist Schluss, weil nämlich schon kurz vor fünf. Die alten Leute sind schon vor Äonen nach Hause getorkelt und das werden wir jetzt auch tun. Es gibt nämlich heute noch Weihnachtsgeschenke, äh will sagen Weihnachtsüberraschungen, will sagen Weihnachtssex und da brauche ich meine Hirnwindungen für andere Tätigkeiten.
EL MATADOR!
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