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Quersummen
Teil 2 - Vorsicht Jojo
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Informationen
- Story: Quersummen
- Autor: Tasfarel
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
Vorgeplänkel
So dann mal wieder das unumgängliche Gestammel des Verfassers am Anfang. Vielen Dank für das positive Feedback. Ich habe dieses Mal versucht nur Florian reden zu lassen und meinen eigenen Mund zu halten. Mal schauen wie es mir gelungen ist. Die anderen Hoffnungen konnte ich hoffentlich auch erfüllen, bis auf das schnelle Schreiben, das ging in die Hose. So viel bleibt mir eigentlich nicht mehr zu sagen bzw. ich habe einfach vergessen was ich sonst noch so loswerden wollte. Auf jeden Fall wünsche ich dem Korrektor wieder viel Spaß, obwohl ich mich dieses Mal bemüht habe. Tassilo du kennst das ja schon. Sollte es jemand anderen erwischen. Es tut mir leid Ansonsten viel Spaß beim Lesen.
1.2
Verdammt! Wie dämlich muss man eigentlich sein, um in den falschen Bus zu steigen. Das ist doch eigentlich nicht schwer den Unterschied zwischen Linie 35 und Linie 36 zu erkennen. Aber das so etwas nur mir passieren kann ist ja mal wieder typisch. Es heißt ja nicht umsonst: Augen auf im Straßenverkehr. Na ja jetzt ist es sowieso zu spät. Bloß raus hier, wer weiß wo ich sonst noch lande.
Also den Spruch mit dem Augen auf im Straßenverkehr kann sich derjenige, der sich das ausgedacht hat, ja mal getrost in die Haare schmieren. Das sollte besser heißen: Hirn an, wenn du aus der Tür gehst. Ich bin ausgestiegen, so wie ich mir das vorgenommen hatte, aber dummerweise bin ich sonst wo gelandet oder besser gesagt ich bin am Arsch der Welt gelandet. Wenn der Arsch wenigstens Kleinkleckersdorf kurz vor ‚hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht’ gewesen wäre. Weit gefehlt, ich bin in irgendeiner heruntergekommen Bruchbudensiedlung gelandet, die früher vielleicht mal ein florierendes Wirtschaftsstadtteildings gewesen ist. Wobei früher wohl bedeutet irgendwann im letzten Jahrhundert. Zum Glück gibt es hier Bushaltestellen, also haben die Hinterwäldler wenigstens schon einmal etwas von Zivilisation gehört und ich muss nur auf den nächsten Bus warten. Obwohl, wir hatten ja schon mal das mit dem Glück, vielleicht gibt es hier ja auch irgendwo einen Taxistand.
Weiß der Plastefuchs, wo die hier die Taxistände hingebaut haben. Wahrscheinlich in irgendeiner Tiefgarage, damit sie nicht aufgebrochen werden während der Fahrer in seiner Zeitung liest. Und besagte Tiefgaragen haben sich meinen Blicken natürlich verschlossen, so dass ich, trotz 30minütiger Suche, kein einziges, beschissenes Taxi gefunden habe und nun wieder an dieser vermaledeiten Bushaltestelle stehe, mit einem blöden Plan, der mir sagt, dass ich soeben den Bus um fünf Minuten verpasst habe und jetzt noch mal brav eine halbe Ewigkeit warten darf, bis der nächste Busfahrer seine Mühle hier parkt. Und dabei wollte ich seit zehn Minuten am Einkaufszentrum sein, um mich endlich mal wieder beim Musikdealer meines Vertrauens mit Hörkultur einzudecken. Aber nein, ich muss ja den falschen Bus nehmen und irgendwo in der Pampa landen. Dann finde ich nicht einmal ein gelbes Auto, welches mich gegen Bezahlung aus meiner Misere befreien kann. Die Suche nach einer Telefonzelle habe ich mir lieber gleich gespart und bevor ich trampe fahr ich lieber mit einem Tretroller nach Hause. Was jetzt eigentlich nur noch fehlt, sind ein paar Hinterwäldler, die besoffen um die Ecke... Gehirn an Gehirn hör auf so einen Mist zu denken... wenn man vom Teufel spricht. Na ja vielleicht entdecken sie mich ja nicht.
Das entwickelt sich zu einer wahren Odyssee hier. Erst lande ich im Nirgendwo, dann komm ich nicht wieder zurück ins Irgendwo und jetzt hab ich auch noch einen Haufen angetrunkener Schwachstromelektriker am Hals. Ich will dass mich Scotty hier wegholt und zwar sofort!
Das Positive zuerst. Die Schwachstromelektriker verstehen anscheinend meine Sprache. Das war’s dann aber auch schon. Das Negative an der Sache ist, sie haben meine Antworten auf ihre dummen Sprüche irgendwie in den falschen Hals bekommen. Vielleicht sollten die Lutscher nicht soviel Alkohol am helllichten Tag in den Hals schütten, das müsste ihnen auf jeden Fall mal irgendwer sagen. Ich kann das im Moment nicht, da ich zu sehr mit Rennen beschäftigt bin, meine neuen Freunde aber irgendwie nicht abgehängt bekomme. Dabei bin ich weder unsportlich noch sonderlich schwer beladen. Es muss an meinen Schuhen liegen, obwohl, nein nix gegen meine Converse, die sind spitze. Also liegt es am Wetter oder anders gefragt, wieso können die Typen eigentlich so schnell laufen? Spielen die Fußball oder so was?
Ich weiß nicht mehr allzu genau, was schiefgelaufen ist. Rein prophylaktisch würde ich ja sagen, es war ein Fehler überhaupt aufzustehen, aber das passiert mir ja irgendwie jeden Tag aufs Neue. Um es kurz zusammenzufassen: Ich bin auf einer dreimal verfluchten Bananenschale ausgerutscht. Dieses Stück ausgelutschtes Obst hat es sich wirklich zur Aufgabe gemacht, mein junges Leben zu beenden, denn während ich abgesegelt bin haben mich meine neuen Freunde eingeholt und wollen mir jetzt ans Leder. Normalerweise würde ich mir an dieser Stelle richtig derb in die Hose pinkeln, aber ich hab so dermaßen schlechte Laune, ich könnte jetzt irgendwem an die Gurgel hüpfen und sie nach Seemannsart gekonnt verknoten. Ah da kommen meine Kumpels, na ja wenigstens hat dieser Tag und mein verkorkstes Leben nun endlich ein Ende.
Also irgendwie hat heute jemand einen ziemlich großen Kasper zum Frühstück gehabt. Das passt ja echt auf keine Kuhhaut mehr. Ich bin fast versucht zu glauben, dass ich in einem drittklassigen Actionfilm mit der Billigvariante von Dolph Lundgren gelandet bin. Halt Moment, Filme mit Dolph Lundgren sind doch auch schon drittklassig. Na ja ihr wisst schon was ich meine. Jedenfalls, um mal zurück zum eigentlich wichtigen Thema zu kommen, nämlich meinem Leben, ich besitze es noch. Dafür sind meine neuen Freunde tot, was mich allerdings nicht allzu sehr kratzt, schließlich wollten die Typen ja mir ans Leder.
Wie bereits erwähnt hatte ich ein folgenschweres Date mit einer Bananenschale, welches ein Date mit den Schwachstromelektrikern nach sich zog. Soweit ich das mitbekommen hab wollten die Typen mir erst ans Leder und dann ans Leben. Dazu kam es dann allerdings nicht, denn während ich gut verschnürt auf einem Stuhl saß, tauchte der Actionhero auf, der die Prinzessin retten wollte. Da keine Prinzessin da war, hat er halt mich gerettet und nebenbei die anderen ins Jenseits verfrachtet. Dafür wollte ich mich natürlich, artig wie ich bin, ausführlich bedanken. Wenn es doch mal beim wollen geblieben wäre. Mir ist ja schon das Gesicht eingeschlafen als ich gesehen habe, wer mich da gerettet hat. So ein kleiner blonder Milchbubi, der garantiert nicht älter ist als ich. Aber kämpfen kann er, auch wenn er nicht danach aussieht. Auf jeden Fall bin ich ganz gentlemanlike zu ihm hingegangen, wollte artig Patschehändchen drücken und danke Anke sagen. Das hat ihn aber nicht wirklich interessiert, dafür hat er dazu angesetzt mir eine Moralpredigt zu halten, was mich natürlich dazu veranlasst hat mein Gehör auf Durchzug zu schalten. Als er dann endlich fertig war, hab ich ihm, blöd wie ich nun mal bin, gesagt, wenn ich mich irgendwie bedanken kann, dann soll er es ruhig sagen. Großer Fehler, ganz großer Fehler. Drückt der mich doch tatsächlich an die Kiste hinter mir und steckt mir seine Zunge in den Hals. Ja nein, natürlich wollte ich keinen Kuss haben, aber ich war einfach viel zu baff um meinen Mund zuzukriegen. Ich hab ihm dann postwendend vom Ohrfeigenbaum erzählt und ihn freundlichst darauf hingewiesen, das er gerade sehr heftig daran geschüttelt hat und ich das nächste Mal eine kleine Gesichtsdisco bei ihm veranstalten würde. Das mit der Gesichtsdisco hab ich eigentlich weggelassen, schließlich hatte der Typ ein ziemlich böses Brotmesser in der Hand. Er hat mich nur irgendwie ganz traurig angeschaut und dann gemeint ich sollte besser nachdenken bevor ich handle, weil ich mir damit selbst alles schwer machen würde. Weiß der Geier, was er damit gemeint hat, ich hab ihn nicht verstanden. Na ja solche Leute sind halt sowieso ein bisschen komisch. Als sich dann von draußen neue Partygäste angekündigt haben sind wir über die Dächer getürmt. War irgendwie ein cooles Gefühl... der Wind und die Höhe...
4
So etwas gehört wirklich verboten. Schule mitten in der Nacht. Ich frage mich echt welcher Irre sich das ausgedacht hat und wie er auf die selten dämliche Idee gekommen ist, normale Leute könnten schon morgens halb acht geistige Höchstleistungen vollbringen. Wenn ich ihn mal treffen sollte, parke ich definitiv meine Faust in seinem Gesicht. Der ‚schlechte Laune Express’ so am frühen Morgen ist definitiv das einzige, was das Gezwitscher und Gefiepe und sämtliche anderen schlafraubenden Geräusche, die einen neuen Morgen ankündigen, halbwegs erträglich macht und hilft, die stets aufs Neue aufkeimenden Mordgelüste zu besänftigen. Aber wie es nun einmal mit den schönen Sachen im Leben ist, irgendwann ist Ende und das unvermeidliche Aufstehen lässt sich nicht weiter aufschieben. Eigentlich bin ich ja ein recht hartes Kerlchen, das sich von nichts und niemandem umwerfen lässt. Den Claudia-Express lasse ich allerdings lieber aus. Denn wie sagte schon irgendein bestimmt ganz berühmter Mensch: Gute Laune am Morgen, bringt Kummer und Sorgen.
Wäre ja alles nicht so problematisch, wenn ich heute Nacht ordentlich gepennt hätte. Irgendwer hat mir das jedoch nicht gegönnt und mich mit wirren Träumen beschenkt, das häuft sich irgendwie in letzter Zeit. Werde mich bei Gelegenheit mal drum kümmern und es auf meine ‚Muss ich unbedingt noch erledigen Liste’ schreiben. Wobei mir da gleich einfällt, dass ich die Liste auch mal anlegen sollte. Na ja, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.
Wo waren wir stehen geblieben. Ist ja echt unglaublich, so früh am Morgen schon den Faden verloren und das in meinem Alter. Ich glaube ja immer mehr Claudia hat da ein Sieb in meinen Kopf eingebaut, um mich für mein vorbildliches Verhalten als Kleinkind zu belohnen. Ah, jetzt fällt’s mir wieder ein. Über den elendig frühen Morgen hatte ich schon gemosert und festgestellt, dass mein Schlafvolumen merklich abgenommen bzw. durch wirre Träume beeinträchtigt wurde. Aber, heute kann mich das nicht wirklich vom Aufstehen abhalten. Es geschehen halt noch Zeichen und Wunder. Und zwar in Person meiner guten Freundin Susi, die mich heute Nacht ja unbedingt von meiner wohlverdienten Nachtruhe abhalten musste. Im Endeffekt habe ich die eine Stunde aber gerne geopfert, schließlich hat mir die Gute einige höchst interessante Sachen erzählt. Ich bin mir zwar dessen bewusst, dass sie wohl zu Anfang nicht davon begeistert sein wird, dass ich das Versprechen ihr gegenüber gebrochen habe. Allerdings kann sie mir, wenn sie ehrlich ist, im Nachhinein nichts vorwerfen. Schließlich sollte man sich vor solchen Leuten in Acht nehmen. Dass ich dadurch gleichzeitig noch meine Revanche für den Auftritt unseres Neuen gestern bekomme ist nettes Beiwerk, aber nicht etwa der Hauptgrund, falls das irgendwer vermuten sollte.
Ach du Güte, jetzt hätte ich doch glatt die Zeit verpeilt. Schon strange, wie ich das immer wieder schaffe, vor mich hinzuträumen und mit einem Mal alles um mich herum zu vergessen. Und mein neuer Radiosender tut auch noch sein Eigenes dazu. Schließlich habe ich mir nicht umsonst einen Sender gesucht, der sich durch hörbare Musik auszeichnet. Das Problem dabei ist nur das man versucht ist, immer auf das nächste spektakulärtolle Lied zu warten.
Hatte ich es eigentlich schon erwähnt? Heute ist mein Tag!
Claudia bin ich schon wieder glücklich zuvorgekommen und hatte dementsprechend meine Ruhe im Bad. Da ist mir doch dann tatsächlich der wahnwitzige Gedanke gekommen, mal etwas aus meinen Haaren zu machen. Gott sei Dank war das nur ein spontaner und allenfalls temporärer Anfall spontaner Verblödung, und ich konnte das Bad nach einem professionellen Zahnputz und der kurzzeitigen Symbiose von Wasser und meinem Gesicht wieder verlassen. Anschließend hätte ich doch beinahe Claudia um die Ecke gebracht. Das war aber keinesfalls geplant. Man(n) kann ja nicht ahnen, dass sie bei einem halbwegs freundlich dahin genuschelten „Guten Morgen“ gleich ihr Brötchen im Hals verkantet und versucht, sich selbst zu ersticken. Hab mich nach kurzer Überlegung dazu entschlossen, dass es ohne fürsorgliche, wenn auch nervige, Mutter auch Scheiße ist und ihr deshalb mal kräftig auf den Rücken geklopft. Hat sie aber nicht davon abgehalten mich weiter wie einen Alien anzustarren. Gut wie ich bin hab ich das aber gekonnt übersehen und mich in den Kampf mit Butter und Marmelade gestürzt.
Nach einem ausgedehnten Frühstück bin ich sogar noch rechtzeitig an der Haltestelle gewesen und bin seit Jahren mal wieder zeitiger als pünktlich an der Schule. Sogar der Wettergott meint es heute gut. Strahlender Sonnenschein und keine einzige Wolke am Himmel zu sehen.
Ne oder? Eine Wolke in Form und Gestalt von Susi wartet an der Haltestelle auf mich. Weiß der Geier was die Frau jetzt schon von mir will. Sie sollte doch eigentlich wissen, dass ich im Normalfall am frühen Morgen zu keinerlei Konversation bereit bin. Nun ja, heute ist ein besonderer Tag, aber das muss sie ja wohl nicht gleich ausnutzen.
Ich glaub ich versuche das gleich noch einmal mit dem Mordanschlag.
„Moin Susi, du siehst ja mal wieder fantastisch aus. Wartest du etwa auf mich?“
Geklappt. Ich glaube, wenn ich sie noch zehn Sekunden länger angegrinst hätte, wäre sie schreiend und wild mit den Armen fuchtelnd vor die nächste Straßenbahn gesprungen. Aber ich bin ja sozial veranlagt und habe das Grinsen deshalb rechtzeitig eingestellt, so dass sie sich wieder fangen konnte.
„Sag mal Flo... nimmst du Drogen?“
„Meinst du, dass ist etwas, das ich mal probieren sollte?“
„Na ja, was auch immer du geraucht hast, rauch es öfter!“
„Da hat man einmal gute Laune und schon wird man als Junkie abgestempelt. Ich bin entsetzt und zutiefst enttäuscht von dir Susanne!“
„Junge dir haben sie heute eindeutig einen Kasper in den Kakao geschmuggelt. Wer steckt denn hinter der guten Laune?“
‚Na ja, so ein Mädchen, nennen wir sie Susi, hat mir da was ganz, ganz Tolles verraten und jetzt warte ich auf meinen Auftritt. Aber das binde ich dir garantiert nicht auf die Nase, sonst kommt die Flut... oder so etwas in der Art.’
„Niemand. Ich habe einfach nur gute Laune.“
„Wie auch immer. Ja, ich habe auf dich gewartet, weil ich noch einmal über die Sache von Gestern mit dir reden wollte.
‚Ich hab’s befürchtet. Jetzt kommt sie garantiert mit ihrem ‚Geheimnis für mich behalten’ – Monolog. Also einfach auf Durchzug schalten, ab und an bestätigende Kommentare zum Besten geben und auf das Ende warten.’
„Also das Ganze, das musst du wirklich für dich behalten. Das hat mir Peter wirklich im Vertrauen erzählt, aber ich musste doch mit jemandem darüber reden und da bist nur du mir eingefallen. Ich verlasse mich da auf dich, Flo.“
‚Sie versucht es tatsächlich. Sie will mich an meiner Ehre packen und mich so zur Verschwiegenheit verdammen. Aber nicht mit mir. Da hast du dich geschnitten Susi! Nix Ehre, Rache ist Blutwurst, äh will sagen... ich muss uns doch schützen.’
„Keine Sorge Susi. Ich mache nichts was nicht OK ist. Da kannst du dich drauf verlassen.“
„Also irgendwie weiß ich nicht so recht, was ich von dem Satz gerade halten soll. Aber ich vertrau dir. Wehe wenn du mich verarschst.“
Damit war das Gewitter vorbeigezogen und ich konnte mich wieder allein dem schönen Morgen widmen, denn wie der Zufall wollte, traf Susi Sekunden später auf zwei ihrer engsten Freundinnen, mit denen sie unbedingt noch diverse höchstbrisante und für männliche Exemplare der Gattung Mensch vollkommen unverständliche Themen diskutieren musste. Es ging also ums Schminken, so jedenfalls die weitläufig unter Männern verbreitete Meinung. Fünf Minuten später hatte ich das Schulgebäude erreicht und wollte gerade ins Schulhaus einreiten, als ich Uwe und den Rest unserer Clique etwas abseits in der Raucherecke stehen sah. Als unbedarftes Kerlchen würde man sich natürlich nichts dabei denken, das unser neuer Mitschüler neben meinen Freunden stand. Aber mir war glasklar, dass die Type einfach nur darauf aus war mir meine Freunde auszuspannen und wahrscheinlich... na ja egal. Da ich meinen Auftritt minutiös geplant hatte, ging ich meinen Leuten gekonnt aus dem Weg und setzte mich geschwind in die rettenden Flure des altehrwürdigen Schulhauses ab. Schließlich musste ich die Zeit bis zur großen Pause ohne Peterkonfrontation überleben, um meine wohlverdiente Rache, äh will sagen, um uns alle eindrucksvoll retten zu können.
Schlau wie ich bin konnte ich dem Subjekt auch erfolgreich aus dem Weg gehen, indem ich mich hinter einem meiner Lieblingsbücher versteckte und so tat als wäre ich vollkommen in die Lektüre vertieft. Die in der zweiten Stunde anstehende Chemiearbeit hatte ich leider fast vollkommen vergessen, wurde aber durch Susi noch einmal daran erinnert und konnte mich rechtzeitig mit meinem Hefter verabreden. Der hat mir freundlicherweise auch ein paar Spickzettel geschenkt, mit denen ich die Zwei auf dem Endjahr sichern konnte. Den Rest des Unterrichts bekam ich dann nicht mehr wirklich mit, denn die Umsetzung meines Planes stand nun kurz bevor, und nichts was mir die Lehrer hätten erzählen können wäre interessanter gewesen, außer vielleicht dass die Erde nun doch eine Scheibe ist. Hat mir aber keiner erzählt, deshalb war dann auch plötzlich die Frühstückspause heran und ich auf dem Weg zur Toilette. Schließlich musste ich mich noch einmal kurz sammeln und die einzelnen Passagen meiner Rede kapitulieren. Gerade als ich freudestrahlend auf den Hof stürmen wollte, hatte sich mal wieder eine unergründliche Gottheit gegen mich verschworen. Genau neben der Toilette wartete Peter auf mich und schaute mich mit einem Blick an, da kriegt man tierisch Gänsehaut und wird weich in der Birne, wenn man nicht, so wie ich durch jahrelanges Training, vor dem Hundeblick gefeit ist.
Der Junge hatte es sich anscheinend zum Ziel gemacht mir meinen großen Auftritt zu vergeigen und mir hier an Ort und Stelle ein Gespräch ans Knie zu nageln. Da ich, höflich wie ich leider bin, stehen geblieben war setzte er dem Ganzen mit seinem dämlichen Grinsen noch die Krone auf. Es war wieder einmal soweit, dass ich mir sehnlichst eine Axt zu wünschen begann.
„Morgen Flo. Kann ich mal bitte mit dir reden. Ich hab dir ja gestern schon gesagt, dass du mich nicht so einfach loswirst. Das war eigentlich eher Spaß, aber ich möchte dir etwas wirklich Wichtiges erzählen.“
So ein Ärger aber auch. Nun ja da konnte man wohl nichts machen. Das bedeutete wohl, dass ich jetzt einfach improvisieren und ihm gleich hier die Meinung geigen musste, bevor ich die ganze Sache vor meinen Freunden zur Sprache bringen würde.
Dreist wie das Kerlchen ist, nahm er mein Schweigen als Zeichen der Zustimmung und zerrte mich in ein leeres Zimmer um mir ungestört ein Ohr abkauen zu können. Aber da hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Notgedrungen ließ ich mich in das Zimmer zerren und harrte der Dinge die da folgen sollten. Doch nicht ohne zuerst einmal etwas zum wiederholten Mal klarzustellen.
„Sag mal Junge, wie dämlich bist du eigentlich? Soll ich dir aufs Band sprechen, dass ich meine Ruhe vor dir haben will? Oder würdest du eine an deine Stirn genagelte Notiz bevorzugen? Ich sag’s dir jetzt einfach zum letzten Mal ganz klipp und klar, damit es auch das Stroh in deinem Kopf durchdringt. Ich habe keine und wirklich nicht die geringste Lust mich in irgendeiner Form mit dir zu unterhalten oder gar mit dir Freundschaft zu schließen. Du bist für mich einfach nur Luft, oder vielleicht eher ein störendes Insekt und ich will mit Leuten wie dir nichts zu tun haben. Hast du das jetzt gespeichert?“
Beinahe hätte ich mir das Finale ruiniert, aber der erste Angriff hatte schon einmal gesessen. Das penetrante Lächeln ist erledigt, und für eine halbe Minute ist ihm ich glaube sogar das Gesicht eingeschlafen. Sicher hat er fieberhaft überlegt, was ich wohl mit meinem letzten Satz gemeint haben könnte. Die Möglichkeit, dass ich genau das gemeint habe, was er gedacht hat, dass ich es meinen könnte, hat er aber dann wohl verworfen. Na ja lassen wir ihm den Vorspann und reißen seine Bühne dann im ersten Akt ein, schließlich will ich den kleinen Lutscher nicht dumm sterben lassen und die Pause geht auch nicht ewig.
„Ich weiß echt nicht was ich dir getan habe. Wir waren früher doch die besten Freunde und ich dachte doch... wir... wir könnten das irgendwie wieder aufleben lassen. Ist es weil ich dich gestern berichtigt habe? Das war doch überhaupt nicht böse gemeint. Auf jeden Fall wollte ich dir noch etwas anderes erzählen was mich betrifft, aber ich glaube nicht, dass das der richtige Zeitpunkt ist, denn scheinbar willst du wirklich nichts mehr mit mir zu tun haben.“
Bin ich ein offenes Buch oder wie jetzt? Steht mir das auf die Stirn geschrieben, dass ich ihm die Sache mit der Matheaufgabe nachtrage. Das hat ihm bestimmt Susi auf die Nase gebunden, damit er sich entschuldigen und einschleimen kann. Und dann wenn alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen ist, kommt er mir mit seinem Geheimnis. Und dann... igitt. Es ist Zeit den Sack zuzumachen, bevor er noch mehr geistigen Dünnpfiff von sich gibt.
„Da hast du ganz Recht. Die Betonung liegt auf waren. Denkst du etwa ich sage so was aus Spaß? Glaubst du etwa ich will mit so einem wie dir etwas zu tun haben?“
Der hat gesessen. Ich glaube jetzt kommt ihm langsam die Erkenntnis.
„Ja Freundchen, da schaust du wie ein Schwein ins Uhrwerk. Ich weiß alles über dich und deine perversen Neigungen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass auch nur ein Mensch an dieser Schule etwas mit einem kleinen Schwanzlutscher zu tun haben will. Also halt dich einfach von mir fern und wenn du es wagen solltest, mich noch einmal anzulabern oder gar anzutatschen, dann garantiere ich für nichts!“
Treffer, versenkt. Das hat definitiv gesessen. Von dieser Abfuhr wird sich der kleine Penner so schnell hoffentlich nicht mehr erholen. Ich glaub das Entsetzen in seinem Gesicht werde ich in meinem Gehirn abspeichern und bei Gelegenheit immer mal wieder abspielen.
Jetzt musste ich mich allerdings beeilen, schließlich dauert die Pause ja auch nicht ewig. Also ließ ich Peter im Zimmer stehen und machte mich schleunigst auf den Weg zu unserem üblichen Fleckchen neben der Raucherecke. Susi schaute mich zwar etwas komisch an, als ich eintraf, sagte aber nichts weiter. Ich dagegen saß wie auf Kohlen, während ich mir Uwes Bericht über das letzte Fußballspiel anhörte Es dürfte nicht mehr lange dauern und dann wäre er endlich fertig und ich konnte endlich die Bombe platzen lassen.
Blind für meine Umgebung merkte ich allerdings nicht, wie Susis Gesicht sich erst aufhellte nur um dann gleich wieder ernst zu werden. Kurz darauf hatte ich eine Hand auf der Schulter. Da es Hinz und Kunz hätten sein können, die mir irgendetwas Wichtiges erzählen wollten, drehte ich mich erst mal mit einem recht freundlichen Gesichtsausdruck um. Nun waren es jedoch meine Gesichtszüge die entgleisten. So viel bodenlose Dummheit war wirklich zuviel für mein armes Hirn. Da stand der Typ doch tatsächlich hinter mir und versuchte mich schon wieder voll zu heulen. Moment mal. Damit hat er mir doch die perfekte Bühne für den zweiten Akt aufgebaut.
In Sekundenschnelle verfinsterte sich mein Blick und ich ballte meine Fäuste.
„Sag mal, du kleiner, dämlicher Schwanzlutscher, wie oft noch? Lass deine Drecksgriffel von mir!“
Endgültig fertig mit den Nerven landete mein Gegenüber auf der Erde, nachdem ich ihm einen kräftigen Stoss verpasst hatte und fing tatsächlich an zu flennen. Ich bin ja normalerweise nicht der Mann fürs Grobe und Schlägereien sind etwas für Leute, denen die Argumente ausgehen, aber hier und heute brach ich zum ersten Mal mit meiner eigenen Regel. Ich hatte ihn oft genug gewarnt.
„Ich hab dir vorhin schon gesagt, dass wir hier auf deine Anwesenheit hier verzichten können. Ich frage mich sowieso, wie sie so was wie dich auf unsere Schule lassen konnten. Das nächste Mal, wenn du kleiner Arschficker mich mit deinen Griffeln antatschst, verarbeite ich dein Gesicht zu Brei. Hast du mich verstanden?“
Wenn sich der Kerl von dieser Abfuhr noch mal erholte, wäre das ein Wunder. Schließlich wussten nun alle Leute was für ein kleines mieses Stück unser neuer Mitschüler war.
Das hartnäckige Klopfen irgendwo in meinem Kopf ignorierte ich einfach. Schließlich war ich gerade erst richtig warm geworden. Wenn ich noch ein wenig nachlegen würde, sollte es kein Problem sein, dass der Kerl bis spätestens nächste Woche von unserer Schule verschwunden war. Ich hatte meine Sätze eben zwar nicht laut herausgeschrieen, aber es waren genug Leute in unserer Nähe, die meine Worte mitbekommen haben mussten.
‚Irgendwie macht das Ganze nicht so viel Spaß, wie ich mir das eigentlich gedacht habe…Schnauze Kopf!’
Also weiter im Text.
„Am besten du schnappst dir dein Zeug und ziehst sofort Leine sonst ...“
‚Kann mal einer das Licht wieder anmachen? Wieso stehe ich plötzlich im Schatten? Sonne kaputt oder was?’
„Sonst was?“
‚Der redet ja doch noch. Stop!’ Das war definitiv nicht Peters Stimme. Langsam und mit möglichst unfreundlichem Gesicht drehte ich mich um. Welcher Depp unterbricht mich hier mitten in meinem Gespräch. Ich tue hier was für die Allgemeinheit denn schließlich... Ach du Heimatland... der Depp ist 2,10 m, geht in die zwölfte Klasse und ist Juniorenmeister im Boxen, und er hat auch noch seinen Fanclub mitgebracht. Das „Wartet bis ihr dran seid“ blieb mir im Halse stecken während ich langsam den Kontakt zum Boden verlor.
„Ich hab dich was gefragt du Penner!“ knallte er mir seine Frage erneut ins Gesicht.
„Ich... ich...“ was soll ich denn dazu jetzt sagen. Ich schütze unser aller Ärsche vor dem Typen hinter mir, also geh mir aus dem Licht? Töte mich bitte schnell und schmerzlos?
„Pass auf, du Hans Wurst. Ich sage dir was passiert, wenn du den Kleinen da noch einmal anfasst oder auch nur schief anschaust. Dann werden wir dich als Sandsack benutzen, solange bis dich deine Eltern nicht mehr wiedererkennen. Ist das klar?“
Eigentlich sollte ich ihn jetzt darauf hinweisen, dass meine Mutter alleinerziehend ist, aber dafür hänge ich doch ein bisschen zu sehr an meinem Leben.
Natürlich ist das klar. Sehe ich etwa aus als wäre ich lebensmüde? Gott sei Dank, da kommt Susi angerauscht und den Blick kenne ich. Jetzt bist du fällig. Boxer hin oder her Susi macht dich alle.
„Malte, kannst du das Stück Scheiße mal bitte runterlassen. Ich würde ihn gerne kurz töten!“
Wie jetzt? Ich bin ein Stück Scheiße? Sind hier alle dämlich geworden?
Nachdem mich Malte, so hieß der Kerl also, runtergelassen hatte, fing ich mir sofort eine Ohrfeige. Tatsache, alle vollkommen wahnsinnig. Ist denn hier keiner mehr geistig auf der Höhe? Ein Blick in die Runde bestätigte mir meinen Verdacht. Da war ja nirgends ein zustimmendes Nicken zu sehen. Ich wurde gerade mit Blicken getötet. Obwohl halt da hinten schienen wenigstens ein paar Leute meiner Meinung zu sein. Dummerweise bemerkte Susi meinen Blick und schaute kurz in die gleiche Richtung und wandte sich dann wieder mir zu.
„Florian Gerber, du bist das Letzte. Ich dachte du wärst ein vernünftiger Mensch. Peter hat dir rein gar nichts getan und du spielst dich hier als Retter der Unschuldigen auf. Du kleiner verklemmter Penner. Wir waren einmal befreundet. Wenn du dich noch einmal bei mir meldest schicke ich dir Malte vorbei.“
Das war’s Susi war fertig und rauschte an mir vorbei in Richtung Peter, während ich wie ein begossener Pudel da stand.
„Peter tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Florian so eine Scheiße hier abziehen würde. Ich dachte echt er würde sich wieder einkriegen. Es tut mir echt Leid, dass ich es ihm gesagt habe, aber ich musste mit jemandem darüber reden und eigentlich dachte ich er würde dich verstehen.“
„Passt schon Susi. Ich werde jetzt besser nach Hause gehen. Scheinbar bin ich hier unerwünscht.“
„Das wirst du keinesfalls tun.“ Was wollte den Uwe jetzt noch? „Unser ehemaliger Freund hat vielleicht diese Meinung, aber wir garantiert nicht. Wenn einer unerwünscht ist, dann Florian.“
Fünf Minuten später stand ich immer noch wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Hof. Ich hatte gerade meine Freunde verloren. Man hatte mir zum ersten Mal in meinem Leben Prügel angedroht und das alles wegen dieser dämlichen Schwuchtel, die es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht hatte mein Leben zu zerstören. Eine Hand auf meiner Schulter riss mich aus meinen Gedanken. Nicht schon wieder, das hält doch kein Mensch aus. Moment, wer ist das denn? Den kenn ich eigentlich nur vom Sehen her.
„Hi, alles in Ordnung mit dir?“... blöde Frage, nächste Frage... „Wir haben die ganze Sache mitbekommen und wir stehen auf deiner Seite. Dieses Schwuchtelpack und seine Sympathisanten haben hier nichts verloren. Früher wäre man anders mit solchen Elementen umgegangen. Eine Schande ist das.“
Also aus welchem Film kam denn dieser Typ. Dem hatte man wohl ins Hirn geschissen... meine Freunde einfach so zu beleidigen. Aber Moment ich habe keine Freunde mehr und endlich sieht jemand die Sache mal genau so wie ich.
„Ich bin übrigens Ingo. Wenn dir dieses Pack noch einmal Probleme macht, sag einfach Bescheid, dann machen wir da mal richtig Ordnung.“
‚Toll wo waren du und deine Freunde eigentlich vor fünf Minuten als ich vor versammelter Mannschaft rundgemacht worden bin?’ Die angebotene Hand nahm ich trotzdem und kurz darauf entfernte sich Ingo mit seinen beiden Freunden die eine nette Kurzhaarfrisur – hatten die eigentlich überhaupt Haare auf der Rübe oder waren die nur aufgemalt - und ziemlich gemein aussehende Stiefel anhatten.
Wieder meinen eigenen Gedanken überlassen, ließ ich mich auf die Bank in der Raucherecke nieder und zog meine Schachtel aus der Hosentasche. Auf den Schock musste ich erst einmal eine rauchen, auch wenn ich das sonst nur sehr selten tue. Die Schulklingel ließ mich vollkommen kalt. Ich war mehr damit beschäftigt den ganzen Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. An irgendeiner Stelle musste mir ein Fehler unterlaufen sein.
Alles hatte damit angefangen, dass Susi mich kurz nach Zwölf vom Schlafen abhalten musste. Sie klang ziemlich geknickt am Telefon und deshalb hatte ich auch nicht sofort wieder aufgelegt. Wie ich dann nach einigen Minuten wusste, hatte sie nach dem Sportunterricht auf Peter gewartet, der als erster die Turnhalle verließ.
‚Das war mir auch schon aufgefallen, weil er ja nicht mehr in der Kabine war, als ich ihn massakrieren wollte.’
Sie war ihm dann solange auf die Nerven gegangen bis er sich schließlich bereit erklärt hatte sich mit ihr zu treffen.
‚Das eine musste man der Frau lassen, sie ließ nichts anbrennen.’
Allerdings hatte sich ihr Plan Peter abzuschleppen im Laufe des Abends zerschlagen. Die beiden waren zuerst im Kino gewesen, um sich irgendeinen Schmachtfetzen anzuschauen, den Susi schon mindestens zehn Mal gesehen hatte. Sie hatte alle ihre Reize spielen lassen und war Peter wohl ziemlich auf die Pelle gerückt. Der war aber keineswegs auf ihre Anmache eingegangen und hatte sich stattdessen lieber den Film angesehen. Danach war Susi, immer noch überzeugt davon heute den Fang ihres Lebens zu machen, mit ihm noch in eine Kneipe gegangen, wo das ganze Spiel von vorne anfing. Aber wie schon im Kino gingen alle Versuche, ihr Gegenüber zu becircen, vollkommen daneben. Schließlich hatte Peter wohl die Faxen dicke und war, nachdem er seinen Drink bezahlt hatte, aufgesprungen und davongerannt. Susi war ihm hinterhergerannt und hatte ihn an der nächsten Bushaltestelle erwischt und zur Rede gestellt. Da war es dann schließlich herausgekommen. Ich wusste zwar nicht wie Susi es angestellt hatte, aber schließlich hatte Peter ihr erzählt, das sie zwar sehr hübsch wäre, er aber nichts mit Mädchen anfangen könne, weil er schwul wäre. Das war natürlich ein herber Schlag für Susi gewesen, aber mitfühlend wie sie nun einmal als Frau war, hatte sie Peter in die nächste Kneipe gezerrt und sich seine ganze Geschichte angehört. Seine Familie war umgezogen weil es auf der alten Schule ziemlichen Ärger gegeben hatte, nachdem er unfreiwillig geoutet worden war. Was genau abgegangen war, konnte Susi zwar nicht in Erfahrung bringen, aber so wie sie es erzählt hatte, musste da Einiges vorgefallen sein.
Susi hatte immer und immer weiter geredet, aber nachdem das Wort schwul aufgetaucht war, hatte ich geistig abgeschaltet. Mir war da ein perfekter Gedanke gekommen, ein geradewegs genialer Plan, wie ich Peter wieder loswerden konnte. Hätte ich mein Hirn weiter mitlaufen lassen, wäre mir wohl die Idee gekommen, dass mein Plan ein kompletter Fehlschlag werden würde. Wäre mein Hirn heute morgen an Bord gewesen, hätte ich mir wohl auch denken können, wie meine Freunde reagieren würden, aber euphorisch und dämlich wie ich war, kam mir so etwas überhaupt nicht in den Sinn.
Und jetzt? Jetzt stehe ich als Schwulenhasser da. Ich hatte mich bisher noch nicht einmal mit dem Thema auseinandergesetzt. Im Grunde genommen ist es mir vollkommen egal, wer was wann mit wem macht. Ich wollte Peter nur eins auswischen, dafür, dass er mich vor der gesamten Klasse bloß gestellt hatte.
‚Dein kindischer Stolz hat dich soeben alles gekostet was du hattest. Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen‘
‚Danke Hirn... schön das du dich jetzt schon meldest...’
Grob zusammengefasst kann man also sagen, dass ich mein Leben in einen Haufen Scheiße verwandelt habe. Das einzige was mir jetzt noch bleibt, ist mich mit einem Haufen Nazis auf den Hof zu stellen, da ich beim Rest meiner Freunde unten durch bin. Vielleicht renkt sich auch alles wieder ein, wenn ich so tue als ob nichts passiert wäre. Aber da wird wohl auch eher der Wunsch der Vater des Gedankens sein.
So langsam sollte ich mich auch wieder auf den Weg in die Schule machen, sonst würde ich spätestens morgen einen ordentlichen Anpfiff aufgrund unerlaubten Fehlens bekommen. Die Deutschstunde hatte ich zwar verpasst, wie mir auch die Schulklingel soeben bestätigte, aber das würde ich mit spontanem Unwohlsein und ebenso spontaner Genesung rechtfertigen. Frau Müller war in der Hinsicht kein großes Problem, man kann sie getrost als treusorgenden Muttityp bezeichnen.
Der kurze Umweg über die Toilette hatte mir bestätigt, dass ich halbwegs vorzeigbar war. Also ab in die Höhle des Löwen. Jetzt stand Mathe auf dem Plan, also würde Susi wohl oder übel mit mir reden müssen, denn wie ich sie kannte hatte sie mal wieder keine Hausaufgaben erledigt.
‚O.K. irgendetwas ist hier anders.’
Manchmal könnte ich die kleine Klugscheißerstimme in meinem Kopf erschießen. Als ob ich nicht selbst das Offensichtliche bemerken würde. Seit jetzt hatte ich nämlich keine Banknachbarin und so wie mich meine Klassenkameraden ansahen, würde mich wohl der Großteil der versammelten Mannschaft gerne lynchen oder wenigstens teeren und federn. Somit war also klar, dass alle von meiner Aktion auf dem Schulhof wussten und der Großteil nicht eben begeistert von meinem Auftritt war. Schöne Scheiße! Na ja zwei, drei Leute schien die ganze Situation nicht weiter zu interessieren oder sie behielten ihre Meinung lieber für sich. Aber das waren auch nur diejenigen, die ich schon vor langer Zeit als Idioten abgestempelt hatte. Wenn mich nicht alles täuscht würden sie auch ziemlich gut in die Clique von Ingo passen.
Und Susi, die kleine Verräterin, die hatte sich doch tatsächlich neben Peter gesetzt. Hätte ich mir eigentlich denken können, nachdem sie sich vorhin so aufgeführt hatte. Zum Glück erlöste mich die Klingel von weiteren Überlegungen und Frau Schaller enterte, wie üblich, fröhlich unser Klassenzimmer. So jedenfalls stellte ich mir das Ganze vor. In Wahrheit musterte sie mich sehr kritisch und knallte ihre Tasche auf ihr Pult. Bitte, irgendwer muss mich ganz schnell erschießen, denn wenn ich den Blick meiner Klassenlehrerin richtig deute, und in solchen Sachen bin ich ziemlich gut, dann bin ich jetzt gleich Mode.
„Morgen meine Lieben. Schön war er bis letzte Pause einige Schüler in meinem Vorbereitungszimmer aufgetaucht sind. Ihr alle kennt ja den Begriff ‚rasende Wildsau’. Und wenn so was, wie heute noch ein einziges Mal vorkommen sollte, werdet ihr erleben, wie ich mich in eine solche verwandle. So, damit hätten wir das geklärt. Zurück zur Mathematik. Susanne, Florian euch beide sehe ich nach der Stunde in meinem Raum! Uwe Tafel. Der Rest kontrolliert im Heft mit.“
Bin ich schon tot? Scheint nicht so, denn mein Herz versucht immer noch meine Brust zu sprengen. Die kurze Ansprache von Frau Schaller war dann doch mehr als eindeutig gewesen. Eine andere Reaktion von ihr hätte mich allerdings auch ziemlich gewundert. Aber wieso zum Kuckuck hatte sie Susi und mich zu sich bestellt. Würde ich jetzt noch mal im kleinen Kreis eine Abreibung bekommen?
Den Rest der Stunde bekam ich nicht wirklich mit. Frau Schaller fragte mich zwar das Eine oder Andere, aber irgendwie konnte ich mich nicht konzentrieren und nach mehreren erfolglosen Versuchen ließ sie es dabei bewenden und suchte sich ein neues Opfer für ihre Fragen. Nach dem Pausenklingeln trottete ich mit hängenden Schultern Susi hinterher, die mich noch immer keines Blickes würdigte. Während meine ehemals beste Freundin in Frau Schallers Raum Rede und Antwort stand, durfte ich vor der Tür warten. Weiß der Geier was die Beiden zu besprechen hatten, jedenfalls musste es etwas sehr Heikles sein, denn einmal hörte ich meine Klassenlehrerin sehr laut „Susanne“ rufen. Den Rest bekam ich leider Gottes nicht mit, da sich ihre Stimme gleich wieder auf Zimmerlautstärke gesenkt hatte. Die Pause war schon längst von der nächsten Stunde abgelöst worden, als Susi endlich wieder aus dem Zimmer kam. Ich wurde kurzzeitig mit Blicken getötet und machte mich deswegen beinahe schon erleichtert daran, das Mathevorbereitungszimmer zu betreten.
Bis gerade eben hatte ich nicht gewusst, dass Frau Schaller Raucherin war. Ihre Klamotten hatten nie in irgendeiner Weise nach kaltem Zigarettenrauch gerochen, ergo rauchte sie nur in besonderen Situationen. Mir wurde mit einem Fingerzeig bedeutet, dass ich mich setzen solle, was ich auch tat während mir mein Herz komplett in die Hose rutschte.
„Du kannst dir denken warum ich dich hierher gebeten habe?“ ‚Sehe ich aus wie ein Vollspaten? Klar weiß ich dass sie mir einen Kuchen schenken wollen, weil ich immer so gut bin in Mathe.
„Nein, warum haben sie mich herbestellt?“ Dumm stellen hilft am Ende doch ein wenig. Mein Gegenüber musterte mich mit einer Mischung aus Unverständnis und Traurigkeit.
„Na gut. Dann werde ich dir sagen, weswegen du hier bist Florian. Ich habe gestern Susi’s Hausaufgaben kontrolliert und, oh Wunder, sie hatte den gleichen Fehler wie du. Es ist ja vollkommen in Ordnung wenn du deinen Mitschülern hilfst, aber es bringt ihnen nichts, wenn du sie abschreiben lässt.“
Also jetzt stand ich vollkommen im Wald. Ich war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass mir Frau Schaller die Leviten lesen würde für die Aktion auf dem Hof. Das mit den Hausaufgaben hatte ich schon wieder vollkommen vergessen. Umso besser, dann würde ich doch heil wieder hier heraus kommen.
„Sie haben ja Recht Frau Schaller, und das wird wohl auch nie wieder vorkommen.“ Du meine Güte was für einen Stuss labere ich hier zusammen?
„Weißt du, die gleiche Antwort habe ich von Susi bekommen. Das bringt mich auch gleich zum zweiten Punkt unseres Gespräches... Sag mal, bist du eigentlich des Wahnsinns fette Beute? Uwe hatte vorhin Peter dabei, der, nur so nebenbei, ein Häufchen Elend war. Was sollte diese Aktion von dir auf dem Hof? So kenne ich dich gar nicht. Das hätte ich nie von dir erwartet. Also, was bitte ist vorgefallen, dass du so reagierst?“
Ich hätte das Ganze jetzt einfach so aufklären können. Aber wieder schaltete sich mein Ego ein und mein Hirn aus. Ich stand ohne Scheiß neben mir, während ich meiner Klassenlehrerin erklärte, dass ich keiner Schwuchtel erlauben würde, mich anzutatschen. Langsam aber sicher redete ich mich immer mehr in die Scheiße hinein. Ob meine Worte Wahrheit oder Lüge waren, konnte ich selbst nicht mehr ermessen. Es ging mir nur darum zu vermeiden, dass die Frau, die ich an dieser Schule am meisten bewunderte meine wirklichen Gedanken und Gefühle erkannte. Es war mir egal in welche Situation ich mich damit brachte, aber wenn ich die Wahrheit ausgesprochen hätte, wäre ich hier vor ihr zusammengebrochen und hätte geflennt wie ein kleines Mädchen.
Ihr Blick sprach Bände. Wohl zum ersten Mal in ihrer Karriere schien sie sich komplett in einem Menschen getäuscht zu haben. Der sonst so warme Blick wurde von einem kalten, abschätzenden abgelöst. Und wäre es mir möglich gewesen, ich hätte mir in diesem Moment selbst auf die Fresse gehauen. Unglaublich aber wahr, ein paar wenige Sätze aus meinem Mund hatten ausgereicht, die beste und netteste Lehrerin der Schule gegen mich aufzubringen. Jetzt war es zu spät. Meine Position war durchaus klargeworden. Auch wenn mich das wohl die letzten Sympathien in der Schüler- und Lehrerschaft gekostet hatte, so war ich doch wenigstens nicht zum Gespött aller geworden. Welcher normale Mensch würde denn schon wegen einer solchen Lappalie wie einem Fehler in einer sinnlosen Hausaufgabe, so vollkommen aus der Haut fahren. Das war doch der Grund gewesen, oder?
„Und du meinst das wirklich ernst Florian? So kenne ich dich nicht und ich glaube auch nicht, dass du das wirklich so meinst.“
„Doch Frau Schaller ich meine das alles genau so wie ich es eben gesagt habe.“ Jetzt war es eh zu spät. Den Strohhalm der mir da gereicht wurde übersah ich komplett. „Und wenn sich die Schwuchtel noch...“
„Wenn du Peter noch einmal in meiner Gegenwart so nennst, dann... geh bitte jetzt.“
Ich glaub’ sie hätte ihre Faust in meinem Gesicht geparkt, wenn ich den Satz doch noch zu Ende gesprochen hätte. Aber danach war mir nicht wirklich. Wie ein geprügelter Hund schlich ich aus ihrem Zimmer. Als die Tür hinter mir geschlossen war, blieb ich jedoch mit klopfendem Herzen stehen. Ein weiterer Schritt wäre einfach unmöglich gewesen. Ich musste mich sammeln um nicht doch noch zusammenzubrechen, die Tür wieder aufzureißen und die Wahrheit zu sagen. Irgendwann erwachte ich wieder aus meiner Starre. Es war ungewöhnlich still und obwohl ich zurück in die Klasse gehen sollte, bewegte ich mich keinen Meter. Irgendetwas hielt mich fest und nach kurzer Zeit erkannte ich wieder Frau Schallers Stimme.
„... ich muss unbedingt mit dir reden.“ Mich erschreckte nicht die Stimme meine Lehrerin, sondern viel mehr das laute Schluchzen, was diesen Worten folgte. Obwohl meine gute Erziehung es mir eigentlich verbot, legte ich mein Ohr ans Schlüsselloch und was ich da hörte ließ mein Blut in den Adern gefrieren. Frau Schaller, der Fels in der Brandung, war vollkommen fertig, und das wegen mir. Ich hatte nie ein Zeichen der Schwäche an ihr erlebt und bloß weil einer ihrer Schüler vollkommen am Rad drehte, war sie jetzt zusammengebrochen?
„... ich hätte so etwas nie von ihm erwartet. Bei den meisten anderen wäre ich damit klar gekommen. Aber Florian war immer ein guter Mensch... ja ich weiß, dass das pathetisch klingt, aber ich dachte ich kenne den Jungen... Er hatte es nie leicht, das hat mir seine Mutter erzählt, aber...“
Das gab mir vollkommen den Rest. So schnell ich konnte verpisste ich mich aufs Klo und ließ meinen Gefühlen vollkommen freien Lauf. Irgendwann klingelte es wieder zur Pause und ich schleppte mich, nachdem mein Gesicht wieder halbwegs vorzeigbar war, zurück ins Klassenzimmer. Zum Glück ging der restliche Schultag schnell vorbei. Ich wurde von meinen ehemaligen Freunden einfach ignoriert und tat das Selbe mit ihnen. Einen klaren Gedanken hätte ich sowieso nicht formulieren können. Dafür war ich viel zu aufgewühlt. Eine dumme Idee hatte mich all meiner Freunde beraubt. Meine Lehrerin, eine Person auf die ich große Stücke hielt, war wegen mir vollkommen fertig.
Und wer war an dieser ganzen Misere Schuld? Peter! Hätte er mich nicht einfach so weiterleben lassen können wie bisher? Warum musste er gerade an unsere Schule und in unsere Klasse wechseln?
Vor der Schule erwartete mich Ingo mit seinen Kumpanen. Scheinbar dachte er, dass er in mir einen neuen Mitstreiter gefunden hatte, den er sich zwar noch ein wenig erziehen musste, der aber trotzdem recht brauchbar schien. Im Normalfall wäre ich schnurstracks weitergegangen, heute war jedoch eh schon alles schiefgegangen, also ließ ich mich einfach in ihren Jugendtreff mitschleifen. Dort angekommen entdeckte ich doch tatsächlich meine beiden Klassenkameraden zwischen einigen recht... ähm... stolzen Jungnationalen. Es ging anscheinend doch noch schlimmer. Natürlich wurde ich ob meiner Frisur und Kleidung recht schief angeschaut, aber Ingo, mein neuer toller Lieblingsfreund, klärte die Anwesenden sofort über die allgemeine Sachlage auf. So kam ich dann doch ungeschoren um die befürchtete Prügel herum, es wurde mir nur nahegelegt mich in Zukunft anständig zu kleiden. So verbrachte ich dann den Nachmittag auf einer versifften Couch und hörte mir sinnloses Geprotze und Geprolle an, obwohl mir eigentlich mehr nach allein sein war. Aber was für eine Wahl hatte ich eigentlich? Außer diesen Idioten würde sich keiner an der Schule mehr etwas mit mir zu tun haben wollen. Die Frage, die sich mir also stellte, war, solche Freunde oder gar keine?
Nachdem ich mir dann noch irgendwelches nationale Gefasel antun musste, stand meine Entscheidung fest. Spätestens als der Satz ‚und so etwas schimpft sich Deutscher’ gefallen war, wusste ich das ich eher einsam und allein auf einer Insel im Nordmeer krepieren würde, als mich solchen Schwachstromelektrikern anzuschließen. Ein weiterer Punkt der für meine Argumentation sprach, war dass Claudia mich wahrscheinlich köpfen würde, wenn sie erfuhr, dass ich mir hier rumtrieb.
Bevor mir der Kragen doch noch platzte verließ ich den Clubraum mit der Ausrede, dass mich meine Mutter zu Hause erwarten würde, und verzog mich schnellstmöglich in ein belebteres Viertel. Auf der erstbesten Parkbank machte ich es mir dann bequem und beschäftigte mich mit dem Thema: Die Welt hasst mich und ich hasse die Welt. Erst als es langsam dunkel wurde, fiel mir ein, dass ich mich besser mal auf den Heimweg machen sollte.
Zu Hause erwarte mich der nächste Hammer. Claudia.
„Florian!“ den Peitschenknall hätte auch ein Tauber mitbekommen.
„Wo warst du?“ Nachdem ich sie einfach anschwieg, fuhr Claudia, fuchsteufelswild, wie sie war, fort.
„Du kannst die Zwillinge doch nicht den ganzen Nachmittag unbeaufsichtigt lassen. Weißt du, was die beiden für ein Chaos in der Küche angerichtet haben? Hausaufgaben haben sie auch keine gemacht.“
Ich ließ sie einfach stehen. Der heutige Tag hatte eh alles kaputtgemacht, also konnte der Streit mit meiner Mutter auch nicht viel schlimmer sein. Kurzerhand machte ich mich auf den Weg in die Küche und beseitigte dort schweigend das Chaos meiner beiden Geschwister. Claudia war mir gefolgt und schrie am Anfang fast. Irgendwann jedoch gab sie es auf und verzog sich ins Wohnzimmer. Meiner Meinung nach hatte nicht viel gefehlt und sie hätte mir eine gescheuert, aber ich konnte und wollte heute mit niemandem mehr reden.
Irgendwann verzog ich mich, ohne ein Wort zu sagen, in mein Zimmer, warf die Anlage an und gab mich Placebo hin. Die Hausaufgaben für den nächsten Tag waren mir egal. Ich hätte mich sowieso nicht konzentrieren können, bei dem Tornado der gerade durch mein Hirn fegte.
1.4
Ich hatte die Gruppe schon den ganzen Abend beobachtet. Sie waren schon angetrunken, als sie mir das erste Mal aufgefallen waren. Diese Fünf bedeuteten definitiv Ärger, wen auch immer es treffen würde.
In der letzten halben Stunde hatten sie sich in der Nähe einer Bushaltestelle herumgedrückt. Vor einigen Minuten hatte ein Bus hier angehalten und zwei Jungen ungefähr in meinem Alter waren ausgestiegen und hatten sich dann ziemlich verloren umgeschaut. Einer von beiden war blond, während der Andere, genau wie ich, dunkle Haare hatte.
Es war normalerweise nicht ungewöhnlich das hier Leute ein- und ausstiegen, aber weder taten sie dies um diese Uhrzeit, noch trugen sie solche Kleidung. So wie die Zwei da aussahen, hatten sie definitiv den falschen Bus genommen und wenn sie nicht bald mit dem Händchen halten aufhörten, dann würden es die Fünf, die ich unauffällig beschattete, unweigerlich mitbekommen.
Wie auf Befehl fing der Anführer der Schläger plötzlich wild an zu gestikulieren und zeigte dabei auf die zwei Jungen an der Bushaltestelle. Kurz darauf wurden die ersten unschönen Bemerkungen gerufen und von dem Blondschopf nicht minder unverschämt beantwortet.
‚Verdammt verpisst euch endlich, sonst gibt es heute Abend noch tierisch Ärger’ schoss es mir durch den Kopf. Aber die Kacke war bereits am Dampfen. Wilde Verwünschungen und derbe Flüche rufend rannten die Schläger auf die beiden Jungs zu, welche sich zuerst unschlüssig, dann doch schnell aus dem Staub machte. Nun war es an mir ihnen zu folgen, denn so schnell gaben die fünf Schläger nicht auf. Und aufgrund des Altersunterschiedes hätten sie sowieso keine Chance gegen ihre Verfolger gehabt. Irgendwann trennten sich die beiden Jungen. Sie hatten während ihrer bisher erfolgreichen Flucht ständig miteinander geredet. So wie es mir schien hatten sie sich gestritten. Schließlich bog der Dunkelhaarige nach rechts ab und verschwand erst einmal aus meinem Blickfeld, während der Blonde nach links rannte, dann aber plötzlich stehen blieb und die Schläger durch Rufen und wildes Gestikulieren auf sich aufmerksam machte. Kurz danach nahm er endlich und fast schon zu spät die Beine in die Hand und machte dass er weg kam. Rennen konnte das Kerlchen, das war klar. Sogar mir wäre es schwer gefallen ihm zu folgen ohne meine Deckung aufzugeben. Er wäre den Anderen auch sicher entkommen, wenn er denn nicht auf irgendetwas ausgerutscht wäre und den Boden geküsst hätte. Während er liegen blieb hatten ihn die Anderen schließlich eingeholt und schleppten den scheinbar ohnmächtigen Jungen in eine der nahegelegenen Lagerhallen.
Es dauerte einige Zeit bis ich mich über eines der Dachfenster ins Innere des Hauses vorgearbeitet hatte. Schnell hatte ich eine geeignete Position gefunden und beobachtete das Geschehen während ich lautlos meine Waffe zusammensetze. Der blonde Junge war scheinbar immer noch ohnmächtig. Doch während ich noch das Zielfernrohr festschraubte, schreckte mich ein Schmerzschrei auf. Seine Peiniger hatten offensichtlich beschlossen, dass es nun an der Zeit wäre, sich genauer mit ihrem Opfer zu befassen. Für mich war es demzufolge auch an der Zeit eine günstigere Position zu finden, von der aus ich auch hören konnte worüber gesprochen wurde.
„So Freundchen. Ich glaube jetzt werden wir ein bisschen Spaß miteinander haben. Und wenn wir mit dir fertig sind dann ist Ende Gelände für dich!“
Mein Mund blieb geschlossen und irgendetwas setze in meinem Kopf aus. Was tat ich hier eigentlich? Wieso sollte ich dem Kerlchen da unten helfen. Schließlich war er selber schuld an seiner Misere. Hätte er die Typen nicht beleidigt wäre er wohl mit ein paar Schlägen und vielleicht dem ein oder anderen gebrochenen Knochen davongekommen. Selbst Schuld, sollte er sehen, wie er da wieder herauskam. Die Typen würde ich mir irgendwann anders schnappen. Ich hatte sowieso ein schlechtes Gefühl bei der Sache gehabt. Am Ende wäre etwas schiefgegangen und dann ich hätte den Salat gehabt. Schließlich waren so einige Leute hinter mir her, nachdem ich angefangen hatte, die Gegend hier ein wenig sicherer zu machen.
Leise schlich ich zurück zum Dachfenster und machte mich aus dem Staub. Es würde eine andere Nacht kommen, in der ich den Kerlen den Garaus machen würde. Ich ließ hier keinen Unschuldigen zurück, er hatte sich selbst in diese Situation hereingeritten. Seine Schreie blendete ich aus meinem Denken aus... so gut es eben ging.
Meine Waffen hatte ich zurück in ihr Versteck gebracht und mir selbst wieder alltagstaugliche Kleidung angezogen. Der Bus würde bald kommen und ich musste schnellstens nach Hause. Eben als ich über die Straße gehen wollte, sah ich ihn da sitzen. Der dunkelhaarige Junge hatte irgendwie zur Haltestelle zurückgefunden und saß den Kopf in die Hände gestützt, blind für seine Umgebung an der Haltestelle. Gerade als ich wieder leise zurück in die Schatten der Häuser verschwinden wollte, entdecke er mich. Er rief mir irgendeinen Namen zu, während ich vollends in der Dunkelheit verschwand.
Ohne Probleme hatte ich die nächstgelegene Feuerleiter erklommen und lag nun still auf dem kleinen Vordach irgendeiner Fabrik. Irgendwie war es dem Jungen gelungen mir bis hierher zu folgen, auch wenn ich mir sicher war, dass er mich hier oben nicht entdecken würde. Er rief immer noch den gleichen Namen, wie vorhin und klang dabei vollkommen verzweifelt. Als ich die Tränen in seinen Augen sah, machte es endlich klick.
Ich rannte, rannte so schnell wie noch nie. Was hatte ich angerichtet? Ich war einfach gegangen und hatte es zugelassen, hatte mir eingeredet dass alles nicht so wäre, wie es offensichtlich war. Das Gewehr schlug mir des Öfteren gegen die Hüfte, aber darauf konnte ich im Moment nicht achten. Ob ich Geräusche machte, war vollkommen nebensächlich. Hoffentlich nicht zu spät, war das Einzige woran ich denken konnte.
Ich war zu spät. Was hatte ich nur angerichtet. Die Fünf waren gerade damit beschäftigt noch mehr Alkohol in sich hinein zu schütten. Der blonde Junge lag zusammengekrümmt in einer Ecke. Eine Blutlache breitete sich langsam unter ihm aus. Meine Schuld.
Den ersten erledigte ich als er sich hinter einer der Kisten erleichtern wollte. Seinen Kumpan, der nach ihm sehen wollte, traf das gleiche Schicksal. Als die restlichen drei merkten, dass irgendetwas faul war sank auch schon einer von ihnen getroffen zusammen. Ich ließ mein Gewehr fallen. Mehr als diesen einen Schuss würde ich heute nicht abgeben. Während die beiden verbliebenen Gestalten ihre Pistolen zogen hatte ich mich von links an sie herangeschlichen. Die Hand, die mein Gegenüber schützend erhoben hatte, fiel, vom Rest des Körpers getrennt, zu Boden. Bevor er noch schreien konnte hatte ich ihn von seinen Leiden erlöst. Nun war nur noch der Anführer dieser Bande übrig.
Blutverschmiert verließ ich die Lagerhalle. Den blonden Jungen hatte ich notdürftig wieder angekleidet. Ich war zu spät gekommen. Es war meine Aufgabe gewesen... Der dunkelhaarige Junge saß, wie schon zuvor, an der Bushaltestelle. Dieses Mal bemerkte er mich nicht. Erst als ich seinen Freund neben ihm auf den Boden legte realisierte er, dass er nicht mehr alleine war.
Mein geflüstertes „Es tut mir leid“ ließ ihn von seinem toten Freund zu mir aufblicken.
„Wieso?“
„Ich war zu spät. Es... es tut mir leid.“
„Wieso hast du das getan? Warum konntest du nicht über deinen Schatten springen?“
Ich blickte in meine Augen. Seine Fäuste schlugen auf mich ein, während ich es geschehen ließ.
...
Ich hatte ihn wieder im Stich gelassen
6
Hatte ich das alles geträumt oder war der gestrige Tag wirklich passiert. Ich war mir nicht wirklich sicher. Mein Gefühl sagte mir ja, aber so recht glauben konnte ich es nicht. Die Digitalanzeige meines Weckradios zeigte 05:30. Ich war also eine geschlagene Stunde früher wach geworden als üblich. Der Schlaf wollte sich trotzdem nicht wieder einstellen, und so grübelte ich nochmals über die letzten beiden Tage nach. Irgendwo hatte ich einen fatalen Fehler begangen. Einen Fehler, der die restlichen Ereignisse losgetreten hatte. Ich fand den Fehler einfach nicht. An Montag wollte ich nicht mehr denken und der Dienstag hatte sich wider Erwarten als Fiasko ohne Gleichen herausgestellt. Mir blieb nichts anderes übrig als die Sache vom Anfang an aufzurollen.
Es hatte definitiv etwas mit Peter zu tun. Er war in unsere Klasse gekommen und hatte mich wiedererkannt. Mein Gedächtnis hatte mich in der Situation gnadenlos im Stich gelassen. Allerdings hatte er auch nicht mehr allzu viel Ähnlichkeit mit dem kleinen, zierlichen Blondschopf mit dem ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht hatte. Es mag an der unchristlichen Uhrzeit gelegen haben oder an dem allumfassenden kosmischen Chaos, in diesem Moment fiel es mir langsam wieder ein.
...
Unser Reihenhaus und die anderen der kleinen Siedlung, waren kurz nach der Wende in der Nähe einer der damals noch beliebten Hochhaussiedlungen errichtet worden. Wie meine Eltern an das Haus herangekommen waren, hatte mich nie interessiert. Ich glaube mein Vater hatte in der Hinsicht einige brauchbare Beziehungen. Wo wir davor gewohnt hatten weiß ich nicht mehr genau, wahrscheinlich in einem der Hochhäuser. Meine ersten Erinnerungen drehen sich auf jeden Fall um den Garten, der an unsere Häuserhälfte anschloss und den Sandkasten, welchen wir uns mit den Nachbarn teilten. Meine Eltern hatten sich mit den Nachbarn, einer Familie Steinberg, geeinigt, keinen Zaun aufzustellen und so konnte ich auf größtmöglicher Fläche das Maximum an Dummheiten veranstalten. Bei einer dieser Gelegenheiten waren der Steinberg’sche Tretroller und die Gerber’sche Hecke neben mir die Hauptdarsteller. Weiß der Geier wie ich es geschafft hatte, aber mir war eine nahezu perfekte Symbiose von Hecke und Tretroller gelungen, als hinter mir plötzlich die Hölle losbrach. Es waren zu meiner Erleichterung weder Hexen noch böse Zauberer gewesen, vielmehr war es ein kleiner Blondschopf, ungefähr in meinem Alter, der erst leise weinend, dann immer lauter brüllend mitten im Garten stand und mich in den wenigen Momenten, in denen ihm seine Augen einen klaren Blick auf das Geschehen erlaubten, vorwurfsvoll anstarrte.
Von diesem Radau aufgeschreckt füllte sich der Garten zusehends mit Erziehungsberechtigten, die sich, anfangs ratlos, einen Überblick über die Situation verschafften. Ich für meinen Teil war vorsichtshalber auch dazu übergegangen zu heulen, denn egal was war, wenn klein Florian plärrend auf Mama zurannte, waren Strafen nicht zu befürchten. In diesem Fall ging meine Rechnung allerdings nicht auf. Der Klaps auf den Hintern verbesserte meine Laune nicht unbedingt und die anschließende Entschuldigung war mir auch nicht recht. Schließlich konnte ich ja nichts dafür, dass die blöde Hecke im Weg stand.
Ein Gutes hatte die ganze Veranstaltung jedoch. Ich hatte meinen ersten besten Freund gefunden und in den folgenden Jahren machten wir die Gegend gemeinsam unsicher. Unsere Mütter waren des Öfteren damit beschäftigt irgendwelche Blessuren zu behandeln, während unsere Väter aufgebrachte Nachbarn beruhigen durften. Denn eines waren wir ganz sicher nicht, Kinder von Traurigkeit. Egal was man anstellen konnte, um Erwachsene auf die Palme zu bringen, wir fanden es heraus und setzten es entsprechend um.
Unsere Eltern kamen sich in der Zeit näher und freundeten sich miteinander an. Auch wenn ich glaube das zwischen Herrn Steinberg und meinem Vater immer eine gewisse Spannung herrschte. Aber da kann ich mich auch täuschen, denn schließlich war ich zu der Zeit noch ein kleiner Hosenscheißer, für den Sandburgen wichtiger waren als irgendwelche Erwachsenen. Mutter Steinberg und Claudia verstanden sich jedenfalls prächtig, das weiß ich noch hundertprozentig. Vor allem als die beiden Zwillinge das Licht der Welt erblickten, hingen die beiden Frauen fast ständig aufeinander. Eigentlich hätte ich ja eifersüchtig werden müssen, da ich nun nicht mehr der Liebling Nummer 1 war, aber Peter und ich hatten viel zu viel damit zu tun, irgendwelchen Unsinn anzustellen.
Als dann das Abenteuer Schule begann - ja damals war ich noch motiviert und ging gerne zur Schule, aber aus Fehlern lernt man ja bekanntlich – erweiterte sich unser „Duo Infernale“ auf ein „Quartett noch viel infernalischer“. Anja und Torben wohnten nur ein paar Häuser weiter, aber bisher waren wir uns irgendwie noch nie über den Weg gelaufen. Das änderte sich jedoch umgehend und die Nachbarschaft hatte nun gleich unter vier Plagen zu leiden. Aber das war ja nicht wirklich unsere Schuld, schließlich waren die Leute ja freiwillig in unser Revier gezogen. Nun mussten sie auch mit den örtlichen Gepflogenheiten leben.
Das Thema Schule allerdings entwickelte sich nicht unseren Wünschen oder besser gesagt Peters Wünschen entsprechend. Der Kerl war eben ein kleiner Tollpatsch, und bei einer seiner Aktionen bekam einer der älteren Schüler eine Ladung Kompott auf die Hose. Trotz unzähliger Entschuldigungen hatte dieser Junge Peter ab da auf dem Kieker. Zu Peters Leidwesen war sein neuer Intimfeind schon um einiges größer und kräftiger und machte sich ziemlich oft einen Spaß daraus, meinen besten Freund herumzuschubsen.
Ob es mein übermäßiger Fernsehkonsum zu dieser Zeit oder einfach ein Anfall von Blödheit war, lässt sich heute nicht mehr genau rekapitulieren. Jedenfalls wurde es mir irgendwann zu bunt und ich versorgte den netten Jungen bei passender Gelegenheit ebenfalls mit einer Kompottschale. Und da ich ein schlechtes Vorbild war folgten Anja und Torben meinem Beispiel umgehend. Es war ein wahres Fest, das unser Gegenüber scheinbar doch überforderte. Nachdem er sich bei den örtlichen Streitkräften beschwert hatte, beorderte der Direktor umgehend unsere Eltern zum Gespräch in die Schule. Als ich jedoch den Ursprung des Ganzen darlegte, änderte sich die Lage wieder zu unseren Gunsten. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir wieder Ruhe und konnten uns gänzlich dem außerschulischen Unsinn zuwenden.
Dann kam die Geschichte mit meinem Vater. Claudia hatte mir vor einer Weile grob geschildert was sich zugetragen hatte. Während ich in der dritten Klasse fleißig lernte, war mein Vater immer öfter zu Hause. Dafür ging meine Mutter wieder arbeiten. Aber irgendetwas war anders geworden, das merkte ich schnell, denn mein Vater war schneller reizbar als früher und trank auch immer öfter Bier. Von da an war ich ziemlich oft bei den Steinbergs, was meine Mutter befürwortete, meinen Vater jedoch zunehmend ärgerte. Warum das so war konnte ich mir nicht erklären, denn schließlich waren unsere Familien doch dick befreundet. Irgendwann kam es dann zum Streit. Ich bekam eine Tracht Prügel, von der ich bis heute nicht weiß wofür sie war, und durfte von da an nur noch sehr selten zu unseren Nachbarn. Wenigstens mit Peter durfte ich noch spielen wann ich wollte und das hatte ich wohl Claudia zu verdanken, wenn ich mir das Ganze heute noch mal überlege.
Nach dem Ende der vierten Klasse mussten wir dann umziehen. Mein Vater saß inzwischen den ganzen Tag zu Hause und ich versuchte soviel wie möglich außer Haus zu sein, was im Winter natürlich schwierig war. Wir zogen in einen anderen Stadtteil und eine kleinere Wohnung. Meine Einsprüche zählten da natürlich keineswegs und so ging meine kleine noch relativ heile Welt den Bach herunter. Irgendwie haben wir uns dann aus den Augen verloren, glaube ich jedenfalls. Warum eigentlich?
...
Und jetzt hast du deinen besten Freund von damals wiedergetroffen. Er wollte deine Freundschaft immer noch und was machst du? Du trittst ihn mit Füßen und benimmst dich wieder der letzte Vollspaten. Und das alles nur weil du eine Lappalie in den falschen Hals bekommen hast.
...
So wirklich weiter hatten mich meine Überlegungen nicht gebracht. Irgendetwas war schief gelaufen, dass war das Einzige worüber ich mir sicher sein konnte. Aber wer genau den Fehler gemacht hatte, darauf war ich immer noch nicht gekommen.
Da in wenigen Minuten mein Radio sowieso das Zimmer beschallen würde, konnte ich auch aufstehen. Heute war ein neuer Tag, und am Ende waren meine Freunde wieder zur Besinnung gekommen und hatten eingesehen, dass ihre Reaktion völlig überspitzt gewesen war. Schließlich hatte Peter mir den Fehdehandschuh hingeworfen und ich hatte einfach nur entsprechend reagiert.
Während ich mir unter der Dusche die Anstrengungen der letzten beiden Tage herunterzuspülen versuchte, tauchten einige Fetzen der komischen Träume von heute und gestern Nacht wieder in meinem Kopf auf. Aber so sehr ich es auch versuchte. Ich konnte mich nicht wirklich an einzelne Details erinnern. Mehr als die paar Bruchstücke wollten mir nicht mehr einfallen. Also brach ich sowohl die Dusche als auch das Denken ab und schleppte mich runter in die Küche.
Claudia sah mir an, dass mich irgendetwas bedrückte, aber mir war definitiv nicht danach, meine Mutter über die Ereignisse der letzten beiden Tage in Kenntnis zu setzen. Ich hatte schließlich so schon genug Stress an der Backe. Da fehlte es mir gerade noch von meiner treusorgenden Mutter bequatscht zu werden.
Ein Gutes hatte die Situation jedenfalls. Ich hatte meine übliche Bahn nicht verpasst, nein ich war ihr sogar vorneweg gefahren und hatte das Schulgelände um Einiges eher als üblich erreicht. Meine Hoffnung, dass Susi am Eingang auf mich warten würde, zerschlug sich ziemlich schnell. Sie stand mit den Anderen aus unserer Gruppe, wie immer, etwas links von der Raucherecke. Da Peter zwischen ihnen stand war für mich klar, dass ich kein gern gesehener Gast wäre und so beschränkte ich mich auf einfaches stur vor mich hinstarren, bis mir jemand ziemlich derb auf die Schulter schlug.
„Na alles klar bei dir?“ fragte mich Ingo, der sich unhöflicher Weise mit seinen Freunden zu mir gesellt hatte. Logischerweise schaute ich erst einmal wie ein Schwein ins Uhrwerk, bis mir einfiel, dass ich ja zum neuesten Mitglied der Gruppe ‚wir sind toll, weil wir deutsch sind’ auserkoren worden war. Nun hieß es schleunigst das Weite suchen und das versuchte ich dann auch erfolglos in die Tat umzusetzen. Erfolglos einfach deshalb, weil sich Ingo mit dieser unausgesprochenen Abfuhr wohl nicht zufrieden geben wollte. Es blieb mir also nichts anderes übrig als ihm mal kurz die Meinung zu geigen und mich dann zu verpissen. Allerdings brachte ich nichts weiter als ein „Lasst mich gefälligst zufrieden!“ heraus. Das stellte mein Gegenüber jedoch keinesfalls zufrieden, und so wurde ich einfach schnurstracks in die nächstbeste Ecke gezerrt, wo mir eingeschärft wurde, dass ich den gestrigen Nachmittag vergessen sollte, weil mir sonst wohl etwas zustoßen würde.
Mir war das vollkommen recht. Ich wollte sowieso nur meine Ruhe haben, schließlich war diese meine Welt ein einziger Haufen Scheiße, den ich so schnell wie möglich hinter mir zu lassen gedachte. Trotzdem musste ich auf den Schock erst einmal in Ruhe eine Zigarette hinterzerren, was unweigerlich dazu führte das ich zu spät zur ersten Stunde kam. Eigentlich sollte das mit dem Rauchen keine feste Angewohnheit werden, aber scheiß auf Prinzipien. Hier macht ja sowieso jeder was er will.
Herr Zeisig, der heute wieder die erste Stunde bestritt, konnte mein zu spät kommen natürlich nicht ignorieren und warf mir denn auch sofort die behämmerte Frage entgegen, warum ich denn heute schon wieder zu spät sei. Ich war kurz versucht mir eine Ausrede zu überlegen, verließ mich dann aber auf mein loses Mundwerk und legte einfach los.
„Ich musste erst noch eine rauchen, damit ich sie und den Haufen von Spasten hier ertragen kann.“
Hätte man natürlich auch freundlicher sagen können, aber so war die Wirkung wenigstens gesichert. Wie erwartet wurde der gute Zeisig erst einmal blass und dann rot, während mich meine Klasse mit Blicken tötete. Zur Umsetzung ihrer Pläne kamen meine lieben Mitschüler aber nicht mehr, weil ich vom Zeisig umgehend zum Direktor geschleift wurde. Dort gab ich wahrheitsgemäß das eben Gesagte erneut von mir und wurde mit einer Moralpredigt belohnt. Außerdem wurde mir ein Brief an meine Mutter angedroht, wenn so etwas noch mal vorkäme.
Da ich mich aber inzwischen mit meiner Rolle angefreundet hatte, erzählte ich den beiden Herren im Zimmer, dass mir das herzlich egal sei und sie tun sollten was sie für richtig hielten. Ich für meinen Teil würde, so sie denn dann endlich fertig wären, zurück in den Klassenraum gehen und mir die letzten paar Minuten Physikunterricht antun. Das hatte wohl erst einmal gesessen. Ich schlurfte im Schlepptau von Herrn Zeisig zurück ins Klassenzimmer und pflanzte mich auf meine Bank, froh alleine zu sitzen und meine Ruhe zu haben.
Der Rest des Schultages verlief dann auch erwartungsgemäß ereignislos. Die restlichen Lehrer schienen von meinem Physikpauker informiert worden zu sein und ließen mich einfach in Ruhe. So konnte ich mich nach überstandenem Unterricht dann auf den Weg nach Hause machen und den Nachmittag in meinem Zimmer verbringen. Die Zwillinge hatte ich mit einigen kurzen klaren Sätzen verjagt, so konnte ich mich wenigstens in Ruhe meiner Musik hingeben. Das war auch schon das Einzige, was mich noch halbwegs interessierte. Mein altes Leben war erledigt, denn zurück konnte ich nicht mehr, diesen Weg hatte mir diese dämliche Schwuchtel ja gründlich verbaut.
7
Willkommen in meinem neuen Leben. Mein Name: Florian Gerber. Meines Zeichens das meistgehasste Exemplar der Gattung Schüler an meiner Schule. Zum Glück hatte ich diese unselige Zeit fürs Erste hinter mir, denn endlich waren die Ferien erreicht. Bis vor kurzem hatte ich zwar so etwas wie ein halbwegs erträgliches Leben und sogar ein paar Leute, die ich als Freunde bezeichnen konnte, aber das hat sich inzwischen erledigt. Inzwischen habe ich aber ein paar andere Leute gefunden, die mich so akzeptieren wie ich bin und mich einfach in Ruhe lassen. Außerdem habe ich zwei neue beste Freunde. Sie heißen PallMall und Sternburg Export. Beide sagen nie etwas, passen aber perfekt zu meiner neuen Lebensführung.
Das kleine Männchen in meinem Kopf bezeichnet das als ‚sozialen Abstieg, Volume 2’. Aber nach 2 Flaschen Sternburg und einer halben Schachtel Kippen hatte ich es meistens ruhig gestellt und konnte mich mit den anderen Gestalten um mich herum auf das Rumlungern im Park konzentrieren. Ich musste einfach trinken, ansonsten hätte mich die Stimme in meinem Kopf noch in die Klapse gebracht und ihre Tipps waren eh keinen Pfifferling wert. Was sollte es schon bringen mich bei dem Drecksack zu entschuldigen oder zu meinen angeblichen alten Freunden zurückzukriechen.
Warum sollte ich das auch tun, schließlich hatten sie den Fehler begangen und nicht ich. Die größte Frechheit war es gewesen, als mich Uwe doch tatsächlich zur Seite nahm und noch einmal versucht hatte auf mich einzureden. Er wollte mir doch tatsächlich klarmachen, dass ich mich bei Peter für mein Verhalten entschuldigen sollte, da dies doch nie meine Art gewesen wäre und er mich nie als ein homophobes Arschloch eingeschätzt hätte. Ich sagte ihm, dass mir seine Meinung herzlich am Arsch vorbeigehen würde und er sich mit seinen Moralapostelanwandlungen an irgendein Schaf wenden sollte. Die würden ihm sicher zuhören und zu allem Määh und Amen sagen.
Auch Frau Schaller suchte ständig das Gespräch mit mir und versuchte irgendwie auf mich einzuwirken. Ich ließ sie jedes Mal aufs Neue abblitzen in der Hoffnung, dass sie es endlich einsehen und mich aufgeben würde. Den Gefallen tat sie mir allerdings nicht, und so blieb mir nur eine Wahl, wenn ich nicht mein Gesicht vollends verlieren wollte. Glaubte sie denn etwa im Ernst ich würde ihr erzählen, dass ich einfach mal vollkommen ins Klo gegriffen hatte, weil man meinen dummen Stolz gekränkt hatte? Da blieb ich doch lieber weiter allein und suhlte mich angemessen in Selbstmitleid. Da sie mir diesen Weg jedoch nicht zugestehen wollte, blieb mir nur die Möglichkeit, mich von ihren Stunden und zunehmend auch vom restlichen Unterricht fernzuhalten. Stattdessen kreuzte ich im Park auf und trank mein Bier, bis mein Kopf das Denken endlich einstellte. Trotzdem tauchte ich immer rechtzeitig auf, um die blauen Briefe an Claudia entgegenzunehmen und sie dann umgehend in Flammen aufgehen zu lassen.
Das war auch notwendig, denn zu Hause lief es auch nicht besonders. Die Zwillinge gingen mir ständig auf die Nerven und ich ließ sie das auch mehr als einmal spüren. An einem Abend bekam Claudia so einen Wortwechsel mit und nahm das natürlich gleich zum Anlass, um mal wieder den Moralischen rauszukehren. Was sie nicht wusste war, dass ich schon meinen üblichen 3-Bier-Pegel intus hatte, den ich nur mit Hilfe eines starken Kaugummis überdecken konnte. Trotzdem stoppte sie mitten in ihrer Predigt, und musterte mich mit einem Mal ganz komisch, drehte sich um und ließ mich einfach stehen. Keine Ahnung ob sie irgendwie den Alkohol gerochen hatte oder ob ich einfach erbärmlich nach Zigaretten stank, jedenfalls verzog ich mich umgehend in mein Zimmer und hörte, wie so oft in letzter Zeit, bis spät in die Nacht Placebo. Die nächsten Tage blieb alles ruhig. Es schien fast, dass Claudia mir aus dem Weg ging. Deshalb riss ich mich am letzten Schultag zusammen und erschien seit Langem mal wieder pünktlich in der Penne. Na gut ich war eine halbe Stunde zu spät, aber wen interessiert das schon? Die ersten beiden Stunden durften wir dann noch mit einem sinnlosen Film totschlagen. Ich glaub es war Doktor Schiwago, bin mir aber nicht sicher, weil bei dem Film sofort mein Notfallprogramm anspringt und ich nur noch Blümchen und Schäfchen sehe. In der Frühstückspause war ich dann doch versucht mich mit Sternburg zu befassen, allerdings hätte ich dafür wieder einen Anpfiff bekommen und darauf hatte ich im Moment wirklich keinen Bock. So setzte ich mich einfach wie immer etwas abseits in den Schatten und zog meine üblichen zwei Zigaretten hinter.
Kein Plan was mich geritten hat, aber während ich mir meine zweite Kippe anzündete, ließ ich meinen Blick seit langem mal wieder über den Pausenhof wandern. Und was ich nicht für möglich gehalten hatte, ein Lächeln stahl sich langsam auf mein Gesicht. Letztlich hatte die ganze Aktion also doch einen Sinn gehabt. Meine Ex-Freunde standen an ihrer üblichen Stelle, bis auf eine Person. Die saß abseits und schien noch schlechter drauf zu sein als ich. Als sich unsere Blicke kreuzten schaute er mich erst verwundert, dann fragend und schließlich leicht unsicher grinsend an. Doch dieses dämliche Grinsen wischte ich ihm schnell wieder aus dem Gesicht indem ich ihn mit einer eindeutigen Geste bedachte, die anderswo auf dem Schulhof scheinbar auch ein paar Leute zum Lachen animierte. Ich hätte nicht unbedingt aufsehen müssen um mitzubekommen, wer es war, aber mit einem kurzen Seitenblick bestätigte sich meine Vermutung. Ingo und seine Versagerclique hatten die Aktion mitbekommen und als ich mich noch einmal nach Peter umblickte, sah ich wie er sich eilig ins Schulhaus verdrückte. Dass diese Penner meinen Erfolg mitbekommen hatten, störte mich zwar kurzzeitig, aber die Aussicht auf das erste Bier ließ mich schnell wieder in meine übliche Lethargie zurückfallen, bis mich ein Schatten erneut aufblicken ließ.
Ich konnte mir nicht vorstellen was Susi von mir wollte, schließlich hatten wir seit einer Ewigkeit weder Worte noch Blicke gewechselt, aber scheinbar wollte sie mir heute auf die Nerven gehen. Das wiederum stand aber definitiv nicht auf meinem Plan.
„Susanne, verpiss dich einfach, ja?“
„Das kannst du vergessen, du kleiner Penner. Unsere alte Freundschaft hat mir mal etwas bedeutet und deswegen verlange ich jetzt fünf Minuten von dir. Dann kannst du entscheiden, ob sich unsere Wege endgültig trennen oder ob dir an mir und deinen anderen Freunden noch etwas liegt.“
‚Alter Falter. Frauen sind wirklich noch dämlicher als Schwule. Die Alte kriegt’s wohl echt nicht auf die Ketten, dass ich mit der ganzen Scheiße hier abgeschlossen habe.’ Es war also Zeit ihr das endgültig klarzumachen.
„Pass auf Susanne. Ich hab’s dem Schwuli schon mehrfach erklärt und du solltest eigentlich wissen, dass du und der Rest sich für mich erledigt haben, nachdem ihr mir in den Rücken gefallen seid. Also sieh es einfach ein und leb dein Leben.“
Das dürfte auch für eine strohdumme Blondine gereicht haben, und Susi gestand ich dann doch ein Mindestmaß an Intellekt zu.
„OK. Sag mir was du zu sagen hast und dann verschwinde.“
Hatte ich das jetzt eben gerade wirklich gesagt oder nur gedacht. Dieses verfluchte kleine Männchen in meinem Schädel. Der kleine Drecksack hatte genau auf so einen Moment gewartet, um mich noch mal kräftig in die Scheiße reinzureiten. Jetzt blieb mir nur noch mich zu erheben und schnellstmöglich Land zu gewinnen.
Es ging einfach nicht, ich war viel zu geschafft, um aufzustehen, so musste ich mir wohl oder übel Susis Monolog anhören, denn eine Antwort würde sie von mir garantiert nicht bekommen.
„Ich weiß echt nicht was mit dir los ist Florian. Du warst doch eigentlich immer ein netter Kerl und dann diese Scheiß Aktion. Was hat dir Peter getan? Er wollte doch nur deine Freundschaft. Und erzähl mir nicht noch mal den Scheiß, dass du ein Problem mit Schwulen hast. Das kaufe ich dir nicht ab. Da muss irgendetwas Anderes dahinterstecken.“
‚Da kannst du Gift drauf nehmen, dass ich ein Problem mit Schwulen hab, die mir an den Arsch wollen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass es so Einem um Freundschaft geht. Die haben doch nur das Eine im Kopf. Aber eine Antwort kriegst du trotzdem nicht!’
„Du weißt es echt nicht? Du weißt nicht was du angerichtet hast oder?“
‚Was soll das schon sein? Ich habe dem Schwuli die Meinung gegeigt. Fertig aus.’
„Seitdem du ihn so fertig gemacht hast, schneidet er jeden Menschen hier in der Schule. Ich hab zigmal versucht mit ihm zu reden, aber er blockt einfach nur ab, genauso wie du. Und Ingo und seinen Schlägern hast du den perfekten Vorwand geliefert, um Peter ständig fertig zu machen. Aber auch das hast du wahrscheinlich nicht mitbekommen. Du kriegst ja gar nichts mehr mit. Alle Leute um dich herum gehen kaputt und du kleiner Idiot schnallst echt nix. Du stellst dich einfach doof wie drei Meter Feldweg und suhlst sich in Selbstmitleid. Das Schlimme ist, du tust mir wirklich leid, denn wenn du nicht bald aufwachst verlierst du alles. Und Peter... ach vergiss es einfach.“
Was hatte sie jetzt damit gemeint? Alle Leute um mich herum gehen kaputt? Zu viele Schnulzenfilme geschaut oder was. Was gehen mich die Sorgen anderer Leute an. Mein Eigenes ist ein einziger Trümmerhaufen. Aber wen hat sie dann mit ‚Leute’ gemeint? Ich meine, ja klar, das ich an Peters Depressionen Schuld sein soll, kann ich mir denken und ist mir vollkommen Schnitte. Aber wen könnte sie sonst noch meinen?
Egal, die Stunde hat angefangen und ich sollte mir mein Zeugnis abholen, bevor ich mich zuschütten gehen kann.
Frau Schaller hat mir den Wisch einfach auf den Tisch gelegt und nix gesagt. Mit den anderen Leuten hat sie geredet, aber an mir ist sie einfach so vorbei. Sollte mich wohl treffen und zum Nachdenken anregen. Hat in dem Fall aber nicht geklappt, weil mir das herzlich schnuppe ist! Jetzt kann ich mich endlich von hier verpissen und ob ich noch mal wiederkomme... wer weiß.
War auf jeden Fall ein total entspannter Nachmittag. Ich weiß gar nicht wie das genau passiert ist, aber ich habe jetzt noch einen neuen Freund. Sein Name ist Johnie und er haut so was von tierisch rein. Einer der Anderen aus dem Park hat heute eine Runde spendiert. Na ja ich hab irgendwie vier Runden abbekommen und musste mich dann auch mal ganz kurz erleichtern. Jetzt bin ich gerade auf dem Heimweg und darf auch noch laufen, weil mich so ein dämlicher Kontrolleur in der Bahn erwischt hat. Kann ich ja nichts dafür, dass ich kein Ticket habe. Ich muss meine Knete schließlich einteilen.
Gleich ist es zehn Uhr und ich werde langsam wieder richtig klar im Kopf. Als ich die Haustür nach einigen Versuchen endlich aufbekommen habe, ging es los. Claudia erwartete mich schon im Flur und fragte mich ziemlich laut, woher zur Hölle ich um diese Uhrzeit käme. Dann ist sie mit einem Mal kreideweiß geworden und hat mir eine geschallert, dass ich gegen die Wand gekracht bin. Bevor ich irgendetwas erwidern konnte wurde ich schon nach oben gezerrt und so wie ich war in die Dusche gestopft. Dann ist sie vollkommen abgedreht und hat das kalte Wasser angestellt. Während ich unter der Dusche stand. Sie ist dann davon gerauscht und hat mir gesagt, dass ich in meinem Zimmer warten sollte und wenn ich auch nur einen Schritt vor die Tür machen würde, dann würde es richtig knallen.
Ich wollte sie anschreien, was sie sich denn da eigentlich erlaube und das ich sie wegen Misshandlung anzeigen würde. Letztlich ließ ich es bewenden und duschte bis mein Kopf langsam wieder klarer wurde. Inzwischen sitze ich seit einer geschlagenen halben Stunde in meinem Zimmer und Claudia redet mit irgendwem. Das habe ich mitbekommen als ich aus der Dusche geschlichen bin.
Tja, inzwischen sitze ich in unserem Wohnzimmer. Claudia und Frau Schaller sitzen mir gegenüber auf dem Sofa und noch eine andere Frau sitzt mit im Zimmer. Ich weiß nicht was die von mir wollen, aber ich werde es einfach über mich ergehen lassen und einfach auf Durchzug schalten. Claudia scheint ziemlich fertig auf den Reifen zu sein. Jedenfalls ist sie total verheult. Geschieht ihr recht, was schlägt sie mich auch einfach.
„Flo. Ich weiß echt nicht mehr was ich sagen soll. Ich hatte ja schon seit einer Woche den Verdacht, aber dass du betrunken nach Hause kommst. Was ist in dich gefahren? Willst du genauso werden wie dein Vater? Und ohne Frau Schaller wüsste ich wohl auch nicht, was du in der Schule alles abgezogen hast.“
... Moment mal. Hat sie es eben gewagt und mich mit diesem Stück Mensch, dass sich mein Erzeuger schimpft, zu vergleichen. Sehe ich etwa aus als wäre ich so ein verkommener Suffi?
‚Wenn du mal in den Spiegel geschaut hättest...’
Was soll der Scheiß ich hab zwar ab und an mal Einen getrunken, aber das ist ja wohl erlaubt und irgendwen grundlos angeblafft habe ich auch nicht.
‚Und die Sache mit den Zwillingen...’
Verfluchte Scheiße ich bin zu meinem Vater mutiert. Das, das kann doch nicht wahr sein. Ich bin nicht so, ich will so nicht sein. Das... das kann doch nicht wahr sein...
Den Rest des Abends saß ich einfach nur noch da und hörte mir an, was ich getan hatte und was als Nächstes passieren sollte. Claudia hatte sich entschieden, mich mit den Zwillingen zusammen in ein Ferienlager zu schicken, damit ich aus meinem Alltagstrott herauskäme. Dort wäre ich laut Frau Schaller immer unter Aufsicht und könnte keinen Unsinn anstellen. Gleichzeitig schärfte mir meine Mutter ein, das ich mich um die Zwillinge zu kümmern hatte, wenn ich mir je wieder ihr Vertrauen verdienen wollte. Ich sollte heute Abend noch meine Sachen packen, da wir Morgen losfahren würden. Es war mir egal. Es war einfach alles egal. Den Rest des Gesprächs bekam ich nicht mehr wirklich mit, da sich meine Gedanken nur um ein Thema kreisten.
Ich hatte alles versaut
Ich hatte alles falsch gemacht
Und er war daran schuld
Dafür würde ich ihn bluten lassen.
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