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Leanders Erbe

Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort:

So endlich geht es weiter mit "Widerstand". Sorry, dass es bis zum vierten Teil so lange gedauert hat. Ich gelobe Besserung und freue mich wie immer über ein Feedback von euch.

An dieser Stelle auch noch mal ein Dankeschön an Torsten, der sich schon vorab mit meiner Zeichensetzung rumärgern durfte!

-Marlon-

„Ah, er kann also doch reden!“

Marlon war erschrocken herumgefahren. Da war er wieder … Lauri, der Schatten, und funkelte ihn misstrauisch an. Wie schaffte er es nur, sich immer so anzuschleichen? Marlon presste die Lippen fest aufeinander. Mit ihm würde er nicht reden, soviel stand fest.

„Ja es scheint ihm etwas besser zu gehen, nicht wahr …?“ Finn blickte Marlon fragend an. „Ähm … Entschuldigung, wie heißt du eigentlich?“

„Marlon …“, flüsterte dieser. Mist. Er wollte doch nichts mehr sagen.

„Mh, Marlon!?“ Lauri schlich wie ein Wolf um den Tisch herum und ließ sich auf einen Hocker ihm gegenüber nieder, ohne Marlon aus den Augen zu lassen. Sein eisblauer Blick bohrte sich geradezu in Marlons braune Augen, als könne er irgendwelche Geheimnisse förmlich aus ihm herauslesen wie aus einem aufgeschlagenen Buch. Aber diesmal wandte Marlon sich nicht ab, sondern hielt Lauris Blick stand. Sollte er doch starren. Er machte Marlon keine Angst!

Finn räusperte sich. „Tja, schön, also Marlon – Lauri, Lauri – Marlon. Könntet ihr jetzt aufhören mit dem Unsinn?“

Lauri entspannte sich etwas und nahm einen Becher von Finn entgegen. Er lehnte sich zurück und beobachtete seinen Freund, der in der Vorratsecke nach etwas Essbarem kramte.

Marlon ließ den Dunkelhaarigen dabei jedoch nicht aus den Augen. Gut, er hatte ihm zwar geholfen, aber was wusste er schon über die beiden Männer?

Gerade als Lauri sich noch ein Stück weiter in Richtung des blonden jungen Mannes drehte, erstarrte Marlon. Lauris Hemd war etwas verrutscht und auf der Brust zeigte sich die Ecke eines Brandmahls, das Marlon nur zu gut kannte. Er musste nicht mehr davon sehen, um sich sicher zu sein, dass die beiden, oder zumindest Lauri, etwas mit Genzo und den anderen Männern zu tun hatte.

Schlagartig wurde ihm schlecht und er musste sich zusammenreißen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Am liebsten wäre er aufgesprungen und weggerannt.

Im Geiste versuchte er das Gespräch mit Finn zu rekonstruieren … Hatte er doch zu viel verraten?

„Marlon?“

„Mh?!“ Erschrocken fuhr er hoch. Zwei Augenpaare beobachteten ihn. Was spielten die beiden für ein Spiel?

„Äh … ich fragte, ob du auch etwas essen möchtest? Du siehst nicht gut aus? Geht’s dir wieder schlechter?“ Finn machte zumindest einen wirklich besorgten Eindruck. Aber vielleicht war der aufgeweckte junge Mann auch nur ein guter Schauspieler.

„Ich … äh …“, stammelte Marlon und hilfesuchend wanderte sein Blick über den Tisch und blieb auf den Notizzetteln von Finn hängen. Marlon konnte nicht wirklich gut lesen, aber ein Wort fiel ihm sofort ins Auge – Finigan. Der Kloß in seinem Hals schnürte ihm fast die Luft ab. Er schluckte schwer und traute sich kaum wieder aufzublicken. Was wussten die beiden wirklich?

Finn war wieder näher gekommen und streckte die Hand nach ihm aus. Instinktiv wich Marlon davor zurück, was ihm nun wieder verwunderte Blicke von beiden Männern einbrachte.

„Ich … Entschuldigung! Ich muss mich, glaub ich, noch was hinlegen“, murmelte er schnell und verzog sich fluchtartig in die Ecke, in der er aufgewacht war. Verdammt! Wie kam er hier nur weg? Vielleicht in der Nacht? Aber der Schatten hatte seine Augen überall.

-Lauri-

Der Junge hatte sich wieder in die schummrige Schlafecke verzogen. Lauri sah ihm nachdenklich hinterher, während er die Füße auf dem freigewordenen Hocker ablegte.

„Du kannst sagen, was du willst, aber irgendwas stimmt nicht mit ihm!“, raunte er Finn zu. Aber sein Freund machte mit einer wegwerfenden Handbewegung deutlich, dass er mal wieder der Meinung war, das Lauri maßlos übertrieb.

„Ach was … er ist nur verunsichert. Er hat Schmerzen, ist ganz allein. Ich bin sicher er fängt sich schon wieder!“

Finn deckte den Tisch für die beiden Freunde und Lauri griff nach den verstreuten Papieren, die Finn noch liegen gelassen hatte.

„Was ist das?“

Finn drehte sich um. „Oh, das sind noch ein paar Zettel von Luca. Rechnungen und so was, ich hatte die Sachen einfach eingesteckt, als ihr reingekommen seid.“

„Mh!“, brummte Lauri und raffte die Zettel zusammen, um sie ins Feuer zu werfen. „Können wir ja dann verbrennen!“

Mit einem Satz hechtete Finn dazwischen.

„NEIN! Äh, warte mal … Vielleicht sind die ja noch mal nützlich?!“

Lauri musterte seinen Freund verwundert. War Finn jetzt auch noch übergeschnappt? Sie würden Wessington Forrest doch so bald wie möglich ohnehin verlassen, was wollte er da mit ein paar alten Rechnungen? Er sagte jedoch nichts und überließ Finn den Zettelhaufen, der die Papiere ordentlich zusammenfaltete und in einer der Satteltaschen verstaute, die neben dem Nachtlager stand.

Das Feuer war fast völlig heruntergebrannt. Finn schlief schon tief und fest. Wo er nur diese Ruhe hernahm. Manchmal beneidete Lauri ihn darum. Der blonde junge Mann hatte sich in Lauris Armbeuge gekuschelt und sein ruhiger gleichmäßiger Atem machte auch Lauri langsam schläfrig, wäre da nicht …

Moment! Lauri horchte ins Dunkel. Marlon, der Junge, er war aufgestanden. Er versuchte leise zu sein, aber er bewegte sich zu unsicher, um kein Geräusch zu verursachen.

„Wo willst du hin?“, zischte Lauri.

Marlon erstarrte und es dauerte einige Sekunden, bis er antwortete.

„Pinkeln …“, murmelte er und huschte danach flink ins Freie.

„Nie im Leben!“, fuhr es Lauri durch den Kopf. Er traute Marlon kein bisschen. Also wand er sich schnell aus Finns Umarmung und schlich Marlon nach.

Es war Vollmond. Glück für Lauri, Pech für Marlon. Lauri brauchte nicht lange, um sich in der nächtlichen Umgebung zurechtzufinden. Und Marlon schien nicht besonders geschickt zu sein, wenn es um das Verschwinden ging. Im hohen Gras am Ufer hatte er geradezu eine Schneise geschlagen, die Lauri sofort ins Auge fiel. Dass er in diese Richtung in den Wald hineinsteuerte, kam für Lauri einem Geständnis gleich. „Von wegen Pinkeln …“, fluchte er leise und rannte Marlon hinterher. Er musste verhindern, dass dieser kleine Spitzel irgendwem von ihrem Versteck berichtete. Überhaupt sollte niemand erfahren, dass Finn noch am Leben war.

Die Spur am Ufer entlang war nicht zu übersehen, aber auch im Wald fiel es Lauri nicht schwer, Marlon zu folgen. Marlon musste ja damit rechnen, dass Lauri bald merken würde, dass er nicht nur um sich kurz zu erleichtern vor die Tür getreten war. Doch schien er kein guter Läufer zu sein, so dass Lauri ihn bald zwischen den Bäumen ausmachen konnte. Von Wut angetrieben legte er noch einen Zahn zu und nahm dabei in Kauf, dass auch Marlon ihn nun hörte.

Der Junge registrierte seinen Verfolger in der Tat und beschleunigte ebenfalls. Er hatte jedoch gegen Lauri keine Chance. Er versuchte ein paar Haken zu schlagen, doch da Lauri seine Schritte vorherzusehen schien, lief er ihm damit schlussendlich fast schon in die Arme.

Wortlos hatte Lauri Marlon umgeworfen und sich mit seinem ganzen Gewicht auf den schmächtigen Oberkörper gesetzt, bevor er den blassen Jungen am Kragen packte.

„So, pinkeln also …“, fauchte er.

Marlon zitterte unter ihm.

„Nein! Bitte tu mir nichts!“

„Wo wolltest du wirklich hin?“

Marlon versuchte gar nicht erst, sich gegen Lauri zu wehren.

Tränen schossen ihm in die Augen.

„Ich schwöre, ich kann euch nichts verraten! Ich weiß gar nichts!“

„Wovon redest du denn da?“

„Lauri!“ Der junge Mann fuhr überrascht herum, ohne den Druck auf Marlons wehrlosen Körper zu verringern. Finn tauchte zwischen den Büschen auf.

„Was zum Teufel ist denn hier los?“

„Dein armes Opfer war grad auf dem Weg, um uns zu verpfeifen!“

Marlon riss die Augen auf.

„Was? Nein!“

Finn kam näher und erst die Hand, die er auf Lauris Schulter legte, ließ ihn etwas von Marlon abrücken.

„Warum bist du denn weggelaufen?“

Marlon starrte verwundert zwischen den beiden jungen Männern hin und her.

„Er wird uns sowieso nur Lügen auftischen, Finn! Er war sicher auf direktem Wege zu Genzo!“

„WAS?“ Marlons Stimme überschlug sich fast und er zitterte nur noch mehr.

„Ich … was? Auf dem Weg zu Genzo? Ich verstehe euch nicht!“

„Lauri …“ Sanft schob Finn ihn zur Seite und hockte sich stattdessen neben Marlon, der sich nun auf die Unterarme aufstützte, aber immer noch völlig verwirrt aussah.

„Was verstehst du daran nicht? Du bist doch ein Spitzel! Wer hat dich geschickt? Genzo? Colin?“, fauchte Lauri.

Marlons Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich. Sollte das ein Grinsen werden? Lauris Wut kochte wieder hoch. Besonders als Marlon plötzlich anfing zu lachen.

„Du miese kleine …“ Finn musste ihn zurückhalten, sonst hätte er diesem unverschämten, kleinen Verräter seine Faust ins Gesicht gerammt.

„Hey, jetzt warte mal!“ Marlon rutschte jetzt wieder ernst ein Stückchen von Lauri weg.

„Ihr dachtet, ich sei ein Spitzel von Genzo?“

„Das dachte ich nicht nur, das denke ich immer noch!“, zischte Lauri.

„Bist du das nicht? Warum bist du dann weggerannt?“ Finn war immer so verdammt diplomatisch.

Statt einer Antwort deutete Marlon nur ernst auf Lauris Brust, auf der sich das Brandmal der Wessington Bande vom Mondlicht beschienen hell abzeichnete.

„Wenn dann gehört wohl eher ihr zu diesen Typen!“

-Finn-

Wie hypnotisiert starrte auch Finn auf Lauris Brust. Richtig, das Brandmal, mit dem Luca sie gekennzeichnet hatte - vor einer gefühlten Ewigkeit. Das hatte Marlon also gedacht? Dass sie zur Bande gehörten? Was musste der Junge für Ängste ausgestanden haben und auch die Unterhaltung gestern Abend konnte er ja nur falsch verstanden haben. Und ganz offensichtlich war er wirklich kein Spitzel, sondern einfach nur ein verletzter, verängstigter Junge, so wie Finn es sich schon gedacht hatte.

„Oh … das …“, Finn rang um Worte. Marlon beobachtete sie beide argwöhnisch.

„Wir … ja, wir gehörten mal dazu. Aber jetzt nicht mehr!“

Marlon stieß verächtlich die Luft aus: „Pff, und wieso sollte ich euch glauben?“

Finn bemerkte, wie Lauri sich neben ihm bereits wieder anspannte und legte ihm beruhigend eine Hand aufs Bein, während er weitersprach: „Du hast recht. Beweisen können wir das kaum. Es ist aber die Wahrheit. Wir sind aus der Bande ausgestiegen und wollten Wessington verlassen, sobald ich reisetauglich bin!“

Lauris Blick sprach Bände … Ob ihm aufgefallen war, dass er „wollten“ statt „wollen“ gesagt hatte? Sein Magen krampfte sich kurz zusammen und er konzentrierte sich wieder auf den Jungen.

„Komm schon! Du bist verletzt. Wir werden dir nichts tun, aber es ist für dich im Moment bestimmt sicherer bei uns!“ Er streckte Marlon die freie Hand entgegen. Der Junge schien angestrengt nachzudenken, aber schlussendlich seufzte er und reichte Finn die Hand, so dass dieser ihm auf die Beine half.

An Lauris Blick konnte Finn erkennen, dass er nicht zufrieden mit der Situation war, aber zumindest blieb Marlon bei ihnen, also hätte er auch keine Chance, sie zu verpfeifen, sollte er wider Erwarten doch ein Spitzel sein.

Stumm wanderten die drei durch den Wald, bis man das Plätschern des Flusses wieder hören konnte und sie auf die Lichtung kamen.

Als sie sich alle wieder hingelegt hatten, kuschelte Finn sich wie immer an Lauri, aber er fand keinen Schlaf mehr. Ob Lauri und Marlon überhaupt schlafen konnten jetzt? Wahrscheinlich hing jeder von ihnen seinen Gedanken nach. Finn starrte in die Glut und grübelte vor sich hin. Dieser Zettel mit der Handschrift seines Onkels ließ ihm keine Ruhe und auch Colins Verhalten warf nur immer mehr Fragen auf. Sein mulmiges Gefühl wurde immer stärker. Wessington verlassen? Nein, das kam nicht infrage. Er hatte dafür gesorgt, dass Colin nun der Anführer der Bande war. Indirekt vielleicht, aber das tat nichts zur Sache. An seinen Vater wollte er lieber gar nicht erst denken. Es war einfach so! Unmöglich konnte er es mit seinem Gewissen vereinbaren, dieses Chaos hier einfach hinter sich zu lassen. Sie mussten etwas gegen Colin unternehmen. Nur was? Und wie zum Teufel sollte er das Lauri beibringen? Es ging ihm immer besser und Lauri würde nicht mehr lange warten wollen …

-Lauri-

Besorgt hatte Lauri die letzten Tage bemerkt, wie Finn sich immer mehr zurückgezogen hatte. Es schien fast so, als hätte Colins Angriff auf das Dorf und das Auftauchen des verletzten Jungen alte Wunden wieder aufgerissen. Finn war schweigsam und in sich gekehrt und vor allem schien er viel zu viel mit sich selbst auszumachen, statt mit Lauri zu sprechen.

An den Türrahmen gelehnt, betrachtete Lauri eine Zeitlang Finns Silhouette, die sich dunkel vor dem rötlichen Abendhimmel abzeichnete. Wieder einmal saß Finn auf dem Steg und starrte schon viel zu lange einsam auf das träge vorbeifließende Wasser.

Lauri stieß sich entschlossen vom Türrahmen ab und legte Finn nach wenigen Schritten eine Hand auf die Schulter.

„Hey!“

„Hey!“ Finn sah mit einem müden Lächeln zu ihm auf.

„Was ist los?“ Lauri ließ sich neben seinem Freund nieder.

Finn schwieg einen Moment nachdenklich, während er wieder auf das Wasser hinausschaute.

„Es ist paradox … Ich fühle mich schlecht, weil ich mich nicht schlecht fühle! Und gleichzeitig ist da diese wahnsinnige Leere in mir, seit Luca tot ist. Als wäre ein Teil von mir mit ihm gestorben.“

Lauri folgte Finns Blick.

„Der Tod verändert uns!“

„Hast du schon mal jemanden getötet?“

Lauri konnte den Schmerz in Finns Stimme förmlich spüren und sein Magen krampfte sich ebenfalls schmerzhaft zusammen.

„Nein …, aber du darfst nicht vergessen, dass ich viele Jahre meines Lebens auf nichts anderes hingearbeitet habe, als genau das zu tun!“

Es war seltsam, wie sehr er sich ebenfalls in den letzten Monaten verändert hatte. Der Schmerz, die Wut, all das von früher war immer noch da, aber … irgendwie schien langsam, ganz langsam alles zu verblassen und seine Gedanken und Gefühle kreisten hauptsächlich nur noch um diesen einen wundervollen Menschen neben ihm.

„Weißt du …“, setzte Lauri an, „die Erinnerung wird immer ein Teil von dir sein. Was passiert ist, wirst du nie wieder los …, aber … es wird leichter, damit zu leben … mit der Zeit … und wenn wir von hier weggehen, dann …“

„Ach Lauri! Das ist es nicht!“ Finn suchte nach Worten.

„Ich … ich würde das alles gern vergessen, Wessington in jeder Hinsicht hinter mir lassen und mit dir irgendwo ein ganz neues Leben anfangen!“

„Aber das werden wir!“ Lauri ergriff Finns Hand und führte dessen Fingerspitzen an seine Lippen. Finn blickte ihn mit seinen tiefgrünen Augen an und schüttelte traurig den Kopf.

„Du verstehst nicht! Ich würde das gern hinter mir lassen …, aber das kann ich nicht. Wir können nicht von hier weggehen, Lauri!“

-Finn-

„Was?“ Lauri blickte ihn verwirrt an, so als wäre er sich nicht sicher, ob er Finn richtig verstanden hatte.

Finn spürte, wie er wieder einmal rot anlief. Wie sollte Lauri das jetzt auch verstehen? Schließlich hatte er ja vor wenigen Wochen noch regelmäßig auf Lauri eingeredet und ihn bekniet, mit ihm von hier wegzugehen. Und jetzt? Jetzt war er es, der bleiben wollte.

„Ich … wir … wir können jetzt nicht weggehen!“, wiederholte er leiser.

Lauris Gesichtsausdruck wechselte langsam von Verwirrung zu völligem Unverständnis. Er wartete auf eine Erklärung.

Finn atmete tief durch. In seinem Kopf war er die ganzen Punkte schon unzählige Male durchgegangen. Jetzt war es an der Zeit, seine Gedanken mit Lauri zu teilen.

„Ich glaube, wir haben eine Verantwortung! Dein Vater hatte hier damals etwas Wunderbares geschaffen. Mein Vater hat all das zerstört und ins Gegenteil verkehrt und Colin setzt dem Ganzen jetzt noch die Krone auf! Wir wissen, was da los ist, und davor können wir doch nicht einfach die Augen verschließen! Ich schäme mich dafür, was mein Vater und jetzt auch Colin den Menschen hier antut. Aber noch mehr würde ich mich vor mir selbst schämen, wenn ich dem Ganzen jetzt den Rücken kehre und so tue, als ginge mich das alles nichts an!“

Lange sah Lauri ihn nun schweigend an. Was er wohl dachte? War er sauer? Hielt er Finn einfach nur für verrückt? Oder dachte er, das wäre nur ein blöder Scherz?

Lauri seufzte. „Finn … ich verstehe, was du meinst, aber wie stellst du dir das vor? Colin baut sich gerade ein kleines Imperium auf. Er scharrt immer mehr Männer um sich. Das ist eine Übermacht gegen uns. Was sollen wir da ausrichten? Wir sind nur zwei!“

„Nein! Das seid ihr nicht!“

Finns und Lauris Köpfe schnellten herum.

„Marlon?!“

Der Junge stand mit grimmigem Blick in der Tür. Hatte er schon lange zugehört?

Lauris Blick verfinsterte sich beim Anblick des Jungen. Er vertraute Marlon wohl immer noch nicht, dachte Finn bei sich, bemüht dem schmächtigen Jungen trotz der Überraschung ein aufmunterndes Lächeln zu schenken.

Zaghaft kam der Junge näher. Er schien selbst mit sich zu ringen.

„Tut mir leid, dass ich euch belauscht habe …, aber ich glaube, Vieles verstehe ich jetzt besser! Und … ihr seid nicht allein!“

„Wovon redest du da?“, fuhr Lauri ihn grob an.

Marlon bedachte ihn mit einem ebenso geringschätzigen Blick und wandte sich anschließend wieder an Finn.

„Es gibt noch mehr, die gegen Colin vorgehen …!“

-Marlon-

Er hatte mit sich gehadert, als er die Unterhaltung der beiden jungen Männer mit angehört hatte. Sie hatten ihn nicht bemerkt, also war es wahrscheinlich die Wahrheit, was die beiden da besprochen hatten. Und das bedeutete, dass Finn tatsächlich Lucas Sohn sein musste, und, was Marlon irgendwie seltsam fand, Lauri schien Leanders Sohn zu sein. Lias hatte ihm von Leander erzählt. Er war ein Held gewesen und für die anderen Männer war er immer noch ein leuchtendes Vorbild.

Außerdem hatte Finn also etwas mit Lucas Tod zu tun?! Verdammt viele neue Informationen, die Marlon binnen Sekunden verdauen musste. Das erklärte zumindest, warum die beiden nicht mehr zur Bande gehörten, wie Finn ihm ja vor einigen Tagen erklärt hatte. Lauris Rolle war ihm noch nicht ganz klar, aber nun gut, obwohl er ein Idiot war, schien er zu den Guten zu gehören. Hoffentlich tat er das Richtige …

Er holte tief Luft.

„Nein! Das seid ihr nicht!“

Die beiden jungen Männer sahen ihn an, Finn überrascht und Lauri wie immer ziemlich grimmig.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen.

„Es gibt noch mehr, die gegen Colin vorgehen …!“

Lauri schüttelte den Kopf, aber Finn sah ihn aufmerksam an.

„Was meinst du? So eine Art Widerstand!“

Marlon nickte.

„Sie versuchen die Dörfler zu schützen und die Bande zu schwächen. Aber ich glaube, sie wären froh über weitere Unterstützung und ihr habt ja scheinbar auch einige nützliche Informationen, da ihr mal Teil der Bande ward!“

„Dann habt ihr letztes Jahr die Hütte auf der Lichtung in Brand gesetzt?“ Finn war wirklich immer sehr schnell im Kombinieren.

Marlon nickte, eine von vielen Aktionen.

„Kannst du uns zu diesen Leuten bringen?“ Finns Gesicht strahlte regelrecht vor Vorfreude, während der Schatten immer grimmiger schaute.

„Finn!“, zischte er.

Marlon überlegte und kaute dabei auf seiner Unterlippe. Konnte er es riskieren, die beiden zu Lias und den anderen zu bringen? Schließlich gab es immer noch ein Restrisiko, dass Finn und Lauri in Wahrheit doch noch mehr mit der Bande zu tun hatten, als sie zugaben? Auf der anderen Seite waren die beiden, wie Lauri ja schon betont hatte, „nur“ zu zweit und Lias hatte einige starke Männer, die die beiden jungen Männer locker in Schach halten könnten, wenn dies nötig sein sollte.

„Ja, könnte ich …“, begann Marlon und blickte die beiden abwechselnd nachdenklich an. „Aber nur, wenn ihr euch die Augen verbinden lasst und ich euch führe!“

„Kommt nicht in Frage!“, grollte Lauri sofort und stand auf. Marlon wich nicht vor ihm zurück, auch wenn Lauri ihn sicher um anderthalb Köpfe überragte. Finn stand ebenfalls auf und wandte sich zu Lauri um. Mit einer Hand an dessen Brust versuchte er seinen Freund zu beruhigen.

„Lauri! Jetzt warte doch mal! Wenn das stimmt, was Marlon erzählt …“

„Ja, WENN! Vielleicht lockt er uns aber auch in eine Falle und wir lassen uns noch mit verbundenen Augen und womöglich wie ein Päckchen verschnürt auf dem Präsentierteller ausliefern!“

Marlon schüttelte beschwichtigend den Kopf.

„Nein! Die Augenbinde nur zum Schutz. Keine Fesseln oder so was!“

Finn schien ebenfalls zu überlegen. Lauri hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah nicht aus, als müsste er noch überlegen.

Der Blonde wandte sich schließlich zu Lauri um. Marlon hielt sich diskret zurück, aber Finns Worte konnte er dennoch verstehen.

„Lauri, ich weiß du hast Angst, aber ich hab ein gutes Gefühl dabei! Ich vertraue Marlon und wenn es wirklich einen Widerstand gegen Colin gibt, dann ist das unsere Chance, etwas zu unternehmen!“

Lauri schwieg, aber etwas in seinem Blick schien Finn eine positive Antwort gegeben zu haben, denn dieser drehte sich lächelnd zu Marlon um.

„Wann kann es losgehen?“

Marlon zuckte mit den Schultern. „Wann ihr wollt. Morgen früh?“

Finn nickte erfreut und steuerte auf die Hütte zu. Beim Vorbeigehen legte er Marlon eine Hand auf die Schulter und drückte sie freundschaftlich. „Danke Marlon!“

Als Marlon sich wieder in Richtung des Flusses umdrehte, stand der Schatten schon wieder viel zu dicht vor ihm. Lauris eisblaue Augen bohrten sich in seine, als er fast lautlos zischte: „Wenn Finn irgendwas passieren sollte, werde ich dich umbringen!“ Damit ließ er Marlon am Steg allein zurück und verschwand kurz nach Finn in der Hütte.

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