Stories
Stories, Gedichte und mehr
Leanders Erbe
Teil 7
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Leanders Erbe
- Autor: Teufelsfisch
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Historisch
Inhaltsverzeichnis
-Finn-
Er machte sich richtige Vorwürfe. Wie hatte er nur den Zettel vergessen können?! Robin tigerte angespannt auf und ab und Finn kaute betroffen auf seiner Unterlippe. Hoffentlich passierte Lias nichts.
„Gott sei Dank hab ich ihm noch 3 Männer mitgeschickt. Finigan dieser schleimige … Ah, ich hätte wissen müssen, dass er ein mieser Verräter ist!“ Robin redete mehr mit sich selbst und schien unschlüssig, was sie jetzt tun sollten.
„Ich sollte ihm nachreiten oder?!“, verzweifelt sah er Lauri und Finn an.
Lauri schüttelte mit aufeinander gepressten Lippen den Kopf. Finn zuckte nur hilflos mit den Schultern.
„Aber irgendwas müssen wir tun?“ Wieder begann Robin mit seiner Wanderung. Auf und ab, auf und ab …
Mittlerweile hatte es sich schon herum gesprochen und auch Sylvester wartete bei den jungen Männern. Marlon tigerte am Eingang des Dorfes auf und ab und wartete auf ein Zeichen.
„Wer ist denn dieser Finigan überhaupt? Und wo wollten sie sich genau treffen?“, fragte Lauri.
Robin hielt in seiner Wanderung inne. „Er … stammt aus einem der Dörfer auf der anderen Seite des Flusses, wohnt aber zeitweise auch in der Stadt. Er hatte immer wieder Andeutungen gemacht, dass er sich uns anschließen will. Aber irgendetwas an ihm hatte uns von Anfang an misstrauisch gemacht. Ich kann das nicht beschreiben. Er war komisch. Wirkte immer so gehetzt. Auf jeden Fall hielten wir ihn etwas hin. Wir wollten ihm nicht gleich unser Versteck verraten, aber ab und zu gaben wir ihm die Möglichkeit uns zu unterstützen. Wir wollten erst sehen, ob er wirklich auf unserer Seite steht, bevor … Naja, auf jeden Fall wusste er, dass Lias und ich ursprünglich aus diesem Dorf kamen.“ Dabei wies er mit dem Finger auf den Zettel, der auf dem Tisch lag, wie etwas giftiges, was niemand mehr berühren wollte. „Einer unserer Männer hatte mitbekommen, dass Colin und Genzo sich mit einem Haufen Schläger auf den Weg dorthin machten und Marlon sollte die Leute warnen, aber er lief ja vorher schon einigen dieser Handlanger über den Weg, bevor er den Dorfvorsteher Michael benachrichtigen konnte. Jetzt wissen wir zumindest, warum sie dort alle niedergemetzelt haben.“ Der Schmerz und die Bitterkeit in seiner Stimme ließen Finn kalte Schauer über den Rücken fahren.
Gleichzeitig fragte er sich, warum er von all dem nichts wusste. Hatte sein Vater wirklich Colin ins Vertrauen gezogen und ihm, seinem Sohn, nichts verraten? Colin hatte sicher bei seinem Vater in der Stadt eben diesen Brief mit der Nachricht von Finigan abgeholt, während er und Lauri auf der Lichtung an der zerstörten Hütte gearbeitet hatten. Er wusste also schon die ganze Zeit Bescheid. Ob Lucas Aufforderung, diesen unschuldigen Bauern zu töten, vielleicht ein Test war?! Wollte sein Vater testen, ob sein Sohn überhaupt dazu taugte, weiterhin Teil der Bande, oder sogar deren Kopf zu werden? Na, er hatte in dieser Hinsicht zumindest auf ganzer Linie versagt, aber selbstverständlich war er nicht traurig darum, diesen Test seines Vaters nicht bestanden zu haben. Sein Vater hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass Colin sein Nachfolger sein würde und nicht er. Eigentlich fast ein Grund stolz zu sein …
„Na schön, lass uns Lias nachreiten!“
Überrascht fuhr Finn herum. Kam das wirklich von Lauri? Auch Robin blickte Lauri mit großen Augen an. In seinem Blick war aber mehr. Hoffnung? Dankbarkeit?
Lauri räusperte sich. „Naja, wir versuchen nur rauszufinden wo sie sind, in Ordnung? Vielleicht ist ja auch gar nichts passiert!? Vielleicht haben wir uns getäuscht?“
Robin nickte eifrig und begann sofort sich fertigzumachen, als Lauri sich an Finn wandte. Finn wusste schon, was jetzt kommen musste. Er kannte diesen Blick.
„Ich gehe mit Robin, in Ordnung? Bitte bleib du mit Marlon und Sylvester hier, falls sie zurückkommen!“
„Mit den Kindern und den Alten darf ich zurückbleiben!“, fuhr es Finn kurz durch den Kopf, aber er nickte nur. Es hätte keinen Sinn, jetzt mit Lauri zu diskutieren.
Lauri kannte ihn mittlerweile aber genauso gut. Er hatte Finn an den Schultern gefasst und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor er flüsterte: „Bitte verzeih mir, dass ich dich so bevormunde. Ich will nur unter allen Umständen verhindern, dass Colin erfährt, dass du noch am Leben bist!“
-Lauri-
Er wusste, wie sehr es Finn missfiel, dass er zurückgelassen wurde. Aber Robins Angst um Lias schürte auch seine eigenen Sorgen um Finn aufs Neue.
Rasch hatten sie sich Umhänge übergeworfen und waren nun schon auf dem Weg durch den Wald.
Es würde bald dämmern und das würde ihre Suche nicht unbedingt einfacher machen.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit sollten sie in Wessington sein und bis zur Sperrstunde mussten sie zumindest eine Unterkunft gefunden haben.
„Weißt du wo genau Lias sich mit diesem Finigan treffen wollte?“
Robin fuhr sich mit der Hand fahrig durchs Gesicht. „Mh, was war das?! Irgend so ein Gasthaus in der Nähe des Hafens … ich glaube, es war irgendwas mit einem Fisch …? Verdammt, wie hieß der Laden bloß?“
Lauri brauchte nicht lange zu überlegen. „Zum silbernen Schwertfisch, vielleicht?“
„Ja genau! Das wars! Kennst du die Schenke?“
Lauri zuckte mit den Schultern. „Ich hab in der Nähe des Hafens gearbeitet. Da hab ich zumindest häufiger von diesem Gasthaus gehört. Nicht gerade einer der besten Läden in der Stadt.“
„Warum wundert mich das nicht …“, grummelte Robin.
Eine Weile ritten sie schweigend und als sie Wessington erreichten, übernahm Lauri die Führung, da er sich hier besser auskannte. Die schmuddelige Schenke direkt am Hafen hatten sie bald gefunden.
Der Lärm aus dem Gasthaus drang wie der Lichtschein durch die kleinen Fensterschlitze und Lauri machte sich innerlich schon auf den Gestank gefasst, der ihnen sicher entgegen prallte, sobald sie einen Fuß in dieses Drecksloch setzen würde.
„Sie sind sicher nicht mehr hier …“, begann Lauri fast entschuldigend. Er befürchtete irgendwie, Robin könnte sich zu große Hoffnungen machen. Robin nickte: „Aber vielleicht finden wir wenigstens raus, ob sie hier gewesen sind.“
Wie Lauri befürchtet hatte, traf sie eine warme Welle verschiedenster Gerüche, als sie die Holztür zum Gasthaus aufstießen. Es war wie erwartet verraucht, verdreckt und bis unters Dach voller zwielichtiger Gestalten.
Etwas unschlüssig standen die beiden jungen Männer zunächst im Eingangsbereich und versuchten sich einen Überblick zu verschaffen. Verschiedenste gescheiterte Existenzen reihten sich an der Theke auf der linken Seite aneinander und in den Ecken des Schankraums war man sicherlich froh darüber, dass wenig Licht diese Fleckchen berührte. Es war verdammt voll und verdammt laut.
„Hast du jemanden entdeckt?“, brüllte Lauri Robin ins Ohr. Man verstand kaum sein eigenes Wort. Robin schüttelte nur den Kopf.
„Steht hier nicht im Weg rum!“, wurden sie plötzlich von einer dicken Matrone angefahren, die sich mit mehreren Krügen durch die Menschenmenge presste.
„Fragen wir mal den Wirt“, schlug Robin vor, nachdem sie zur Seite ausgewichen waren.
Also kämpften sie sich zur Theke vor. Der vollbärtige und dickbäuchige Wirt wischte mit einem Lappen, der mindestens so dreckig war wie seine löchrige Schürze, gerade durch einige Becher und Lauri fragte sich, ob der Kerl wirklich dachte, er täte seinen Gästen etwas Gutes damit?
„Entschuldigung?! Wir suchen jemanden! Es sollten 5 Männer sein. Einer davon hat langes braunes Haar, dunkle Augen, schlank, etwa so groß wie ich …“
„Junge! Hast du dich hier mal umgesehen? Glaubst du, ich seh mir meine Gäste so genau an?“, raunzte der Wirt unfreundlich zurück. „Wenn ihr was trinken wollt, setzt euch. Wenn nicht, dann verschwindet!“
Lauri und Robin tauschten kurz Blicke aus. So kamen sie nicht weiter.
Und Lauri fühlte sich unwohl hier. Er spürte einige Blicke in seinem Rücken und war sich sicher, dass er die dazugehörigen Personen nicht sehen wollte. Er hasste diese Stadt. Zuviel was ihn an eine Vergangenheit erinnerte, an die er nicht mehr erinnert werden wollte.
Als der schmierige Typ sich neben Lauri an den Tresen lehnte, umhüllte ihn gleich dieser typische Säufergestank, saurer Atem, abgestandener Wein, Schweiß … Lauri lief es kalt den Rücken herunter und dieses Gefühl wurde schlimmer, als der Kerl ihn ansprach.
„Hey mein Hübscher … wir kennen uns doch!“
„Ich denke nicht!“, zischte Lauri, auch wenn in ihm einige unschöne Erinnerungen hochstiegen, an die Zeit, in der er sich anderweitig über Wasser halten musste.
„Doch, doch! Komm trink einen mit mir!“, lallte der Typ und Lauri nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie er die Hand gehoben hatte, um sie wohl vermeintlich freundschaftlich auf Lauris Schulter abzulegen.
„Fass mich nicht an!“
Seine Stimmte hatte einen bedrohlichen Unterton angenommen und er spürte bereits Robins verwunderte Blicke auf sich. Der Kerl jedoch schien bereits zu voll zu sein, um noch irgendetwas zu merken. Seine Hand fuhr sogar langsam Lauris Rücken herab.
Ein Übelkeit erregendes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus und nur für einen kurzen Moment sah er dem Typen angewidert direkt in seine blutunterlaufenen Augen.
„Wenn du nicht willst, dass ihr dir den Arm breche, nimmst du sofort die Hand da weg!“
Der Besoffene kicherte vor sich hin: „Na komm schon! Hab dich nicht so …“
Es ging schnell. Die Wut und der Hass von früher waren immer noch da. Eine leichte Drehung, einmal zupacken, ein Schlag auf den Arm und noch einer in die hässliche Visage. Beide Male knackte es laut. Der Typ wehrte sich nicht einmal, so überrascht war er. Lauri hielt sich nicht länger mit ihm auf.
Er fuhr herum und warf Robin, der ihn erschrocken anstarrte, nur ein kurzes „Komm wir gehen!“ zu.
Endlich an der frischen Luft.
Lauri steuerte auf die beiden angebundenen Pferde zu und versuchte krampfhaft die Bilder seiner Vergangenheit und den dazu passenden Würgereiz zu verdrängen. Aber er befürchtete, dass Robin ihm gleich einige Fragen stellen würde …
„Äh … Lauri?!“ Robin sah besorgt aus. „Ist alles in Ordnung?“
Lauri nickte nur und rieb sich die schmerzenden Fingerknöchel.
„Ich will wohl nicht wissen, was das gerade zu bedeuten hatte, oder?!“
Dankbar schüttelte Lauri den Kopf. Er wollte jetzt wirklich nicht zwingend darüber reden.
„Ist lange her …“, grummelte er nur ausweichend. „Wir sollten uns auf Lias und die anderen konzentrieren!“
„In Ordnung …“, nickte Robin, aber sein mitfühlender Blick drückte trotzdem aus, dass er Lauri jederzeit zuhören würde, wenn er sich entschließen würde zu reden.
Sie hatten sich bereits wieder auf die Pferde geschwungen, als die Tür zur Schenke erneut aufgestoßen wurde und ein junges Mädchen herauskam Sie schaute sich kurz um und als sie die beiden jungen Männer entdeckte, steuerte sie direkt auf die Beiden zu.
„Bitte entschuldigt …“, begann sie.
Sie hatte von der Hitze im Schankraum ganz gerötete Wangen und einige hellbraune Haarsträhnen waren unter ihrer Haube hervor gerutscht.
Lauri schloss aus ihrer verdreckten Schürze, dass sie wohl ebenfalls im Gasthaus arbeiten musste.
„Ich … ich habe gehört, dass ihr jemanden sucht!“
Die Männer wurden hellhörig.
„Ich glaube, ich habe sie gesehen. Sie waren hier. Einer von ihnen passt auf eure Beschreibung und ein anderer von ihnen war Finigan Flint.“
„Das müssen sie gewesen sein.“ Robin war aufgeregt.
„Du kennst Flint?“, fragte Lauri.
Das Mädchen nickte schüchtern. „Nun ja … er ist öfter hier. Näher kenne ich ihn nicht.“
„Wann waren sie hier und weißt du wo sie hingegangen sind?“ Robin bestürmte das Mädchen mit Fragen.
„Es sind schon einige Stunden vergangen, seit sie hier gewesen sind …“, entgegnete sie wage. „Wo sie hin sind, weiß ich nicht. Sie sind aber zusammen aufgebrochen.“
„Hast du eine Idee, wo wir Flint finden können?“ Lauri hoffte zumindest von dem Verräter einige Informationen zu erhalten.
Sie legte nachdenklich den Kopf schief. „Er wohnt hier ganz in der Nähe. Mein Vater hat ihn schon oft nach Hause gebracht, wenn er zu betrunken war, um den Weg allein zu finden.“
Die Tür der Schenke schwang abermals auf. „Marie, du faules Stück. Schwing deinen Arsch hier rein. Ich bezahl dich nicht fürs Quatschen!“
Hektisch griff sie nach ihren Haarsträhnen und begann sich bereits zurück zum Gasthaus zu bewegen. „Ich, entschuldigt mich … versucht es in der Siedlung gegenüber vom Hafen. Flint ist hier bekannt wie ein bunter Hund!“
„Danke!“
Und schon war sie wieder in der Schenke verschwunden.
„Na dann schauen wir doch mal, ob wir Flint nicht finden …“ Lauri war froh, sich so schnell wieder ablenken zu können. Robin wirkte nervös und angespannt. Zumindest waren sie hier gewesen und scheinbar erfreuten sich vor einigen Stunden noch alle Männer bester Gesundheit. Lauri hoffte, dass es immer noch so war.
Die schäbige, kleine Siedlung war nicht weit und das Mädchen hatte durchaus Recht gehabt. Flint war hier sehr bekannt und es war nicht schwer, sich zu seiner Hütte durchzufragen.
Die Fensterläden waren geschlossen, aber Lauri hatte deutliche Bewegungen in der kleinen Baracke wahrgenommen. Er nickte Robin zu und dieser klopfte an die morsche Holztür.
„Flint?“
Sie bekamen keine Antwort, aber Lauri war sich sicher, dass der Verräter in der Hütte hockte. Er legte einen Finger auf seine Lippen, um Robin ein Zeichen zu geben und schlich langsam um die Hütte herum, während Robin ein weiteres Mal energischer an die Tür klopfte.
„Flint! Mach auf!“
Lauri hatte sich nicht getäuscht. Auf der anderen Seite der Hütte gab es eine weitere, wenn auch unscheinbare Tür und genau diese öffnete sich nun einen Spalt.
Der schmächtige Bewohner dieser Behausung hatte selbstverständlich nicht mit Lauri gerechnet, der in Sekundenschnelle einen Fuß in der Tür hatte und diese aufstieß. Dabei knallte die Tür Finigan mit voller Wucht gegen die Nase, an die er sich reflexartig griff, während er zurück in die Hütte taumelte.
Da die Hütte vielleicht gerade mal zwei Meter breit war, kaum mehr als ein Schuppen, stieß er mit dem Rücken gerade wieder gegen die vordere Wand und Lauri drückte lediglich seinen Unterarm drohend unter Finigans Kinn. Dieser starrte ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an, während ein dünnes Rinnsal Blut aus seiner Nase rann.
Mit der freien Hand öffnete Lauri schnell die Vordertür für Robin. Finigans Augen wanderten sofort zu dem muskulösen, blonden, jungen Mann und auch wenn sein Blick keine Erleichterung erkennen ließ, stahl sich ein falsches Lächeln auf seine Lippen und er hob beschwichtigend die Hände.
„Oh Robin … du bist das! Ich äh … war gerade auf dem Sprung. Was …?“
„Wo ist Lias?“, knurrte Robin nur.
„Mh? Wer?“ Lauri verstärkte mit einem Ruck den Druck auf Finigans Kehle, was offensichtlich seinen Verstand etwas auf Trab brachte.
„Lias! Ach Lias meinst du … äh, keine Ahnung?!“
„Lüg mich nicht an! Du hast dich heute mit ihm getroffen!“ Lauri musste überrascht zugeben, dass der sanftmütige Robin durchaus auch anders konnte. Finigan zuckte erschrocken zusammen. Sein Blick huschte immer wieder zwischen den beiden jungen Männern hin und her.
„Robin, hey … ich schwöre ich hab keine Ahnung!“ Lauri baute sich noch etwas bedrohlicher vor diesem Mistkerl auf und schnell plapperte er weiter: „Ja ja … du hast Recht, ich hab ihn getroffen, aber nach unserem Treffen ist er seiner Wege gegangen und ich meiner! Ich schwöre es dir!“
Lauri und Robin tauschten kurz einen Blick aus.
„Ich … er, er ist bestimmt längst zu Hause und wartet auf dich!“, stammelte Finigan. Lauri war nicht überzeugt. Es war wie Robin gesagt hatte. Der Kerl wirkte nervös und gehetzt und alles an ihm schrie nach Lüge.
„Du willst also sagen, du hast nichts mit dem Angriff auf unser Dorf zu tun?“
Lauri bemerkte sofort, wie der Verräter kreidebleich wurde. Er schien nur kurz zu überlegen und änderte dann seine Strategie von 'Unwissend' zu 'Reuevoll'.
„Robin! Ich … sie haben mich erpresst. Wirklich! Ich hatte keine Wahl! Es tut mir so leid …“
„Halt dein verlogenes Maul!“, mischte sich nun Lauri ein und Finigan verstummte. „Wohl eher bestochen statt erpresst!“, zischte der dunkelhaarige junge Mann und stieß mit seinem Knie gegen den dicken Beutel klimpernder Münzen, der an Finigans Gürtel baumelte.
„Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ Diesmal hatte Flint ein schmieriges, falsches Grinsen aufgesetzt und Lauri war angewidert darüber, wie schnell Finigan sein Gehabe anpassen konnte, je nachdem was er für angemessen hielt. Seine Menschenkenntnis war jedoch offensichtlich denkbar schlecht, wenn er dachte, Lauri mit seinen Schauspielkünsten beeindrucken zu können.
Schon zum zweiten Mal an diesem Abend kochte die Wut in ihm hoch, ohne dass er sich dagegen hätte wehren können. Mit aufeinander gepressten Zähnen versetzte er dem Verräter einen Faustschlag ins Gesicht. Sogar Robin war zusammengezuckt.
„Bestell Colin schöne Grüße von mir. Ich bin Lauri.“ Damit ließ er Flint los, der sofort an der Wand herabrutschte und ihm ein blutiges Lächeln schenkte. „In Ordnung …“
Lauri war kurz davor noch einmal zuzuschlagen, doch Robin hielt ihn sanft zurück und schob ihn zur Tür hinaus.
„Lauri nicht! Er ist es nicht wert! Wir werden nicht mehr aus ihm rauskriegen. Lass uns verschwinden!“
Lauri fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Was war nur wieder in ihn gefahren? Er ließ sich von Robin zu den Pferden manövrieren und spürte die nachdenklichen Blicke seines Freundes auf sich.
Mit einem kurzen Nicken zum Himmel murmelte er: „Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch vor der Sperrstunde raus aus der Stadt …“ Robin nickte, aber der seltsame Blick ruhte weiterhin auf ihm.
Ohne weitere Worte zu wechseln, trieben sie die Pferde an und ritten gerade noch rechtzeitig durch die Stadttore, als die Wächter bereits begannen, die schweren Türen zu schließen.
„Ist wirklich alles in Ordnung, Lauri?“
Er fühlte sich eigentlich nur noch schlechter, dadurch dass Robin fragte.
Robin (und er ja im Grunde auch) hatten zur Zeit ja eigentlich ganz andere Sorgen. Sie mussten Lias finden. Aber gerade fühlte er sich, als hätte er Steine im Magen. Warum fiel es ihm nur so schwer, sich unter Kontrolle zu halten? Sylvester hatte Unrecht, wenn er ihn mit Leander verglich. Leander wäre nie so ausgerastet wie er. Aber er? War auch nicht besser als die prügelnde Meute von Colin und Genzo.
„Lauri?“
„Ich … ja. Tut mir leid!“
„Was meinst du?“
„Ich hätte das nicht tun sollen, eben …“
Robin zuckte die Schultern und ein fast amüsiertes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
„Flint hat’s verdient. Und der andere Kerl wahrscheinlich auch …“, setzte er leise nach.
„Wie konnten wir nur so dumm sein, Flint zu vertrauen!?“ Jetzt klang seine Stimme wieder verbittert und Lauri traute sich wieder Robin anzusehen.
„Ihr konntet es nicht wissen!“
„Ich hätte auf meinen Bauch hören sollen. Verdammt. Was machen wir denn jetzt?“
Lauri wusste es auch nicht. Es blieb ihnen erst mal nichts anderes übrig, als zum Versteck zurückzukehren . Die winzig kleine Hoffnung blieb, dass Lias und die anderen doch noch heil zurückgekommen waren.
…
„Julian ist zurück!“ Marlon stürzte ihnen entgegen, als sie das Dorf erreichten. Er war kreidebleich und die beiden Männer waren sofort von den Pferden abgesprungen und folgten dem Jungen.
Statt der ganzen Gruppe war nur Julian zurückgekehrt. Er musste von mehreren Männern gestützt werden, als er halbtot vom Pferd gerutscht war. Sie hatten ihn in Sylvesters Hütte gebracht.
Lauris Blick wanderte unwillkürlich zu Robin. War er eben schon angespannt gewesen, so war das sonst so fröhliche Lächeln gänzlich verschwunden. Der blonde junge Mann presste die Lippen aufeinander und Lauri erkannte in Robins Gesicht dieselbe Angst, die ihn so oft befallen hatte. Lias war nicht zurückgekommen …
Marlon war ebenfalls völlig aufgelöst. „Wo ist Lias?“ Finn bemühte sich, den aufgewühlten Jungen zu beruhigen, aber niemand von ihnen konnte Marlon eine Antwort darauf geben. Vielleicht konnte Julian das, doch er war übel zugerichtet und bisher nicht ansprechbar gewesen. Jeder von ihnen ahnte, wer dafür verantwortlich zu machen war.
Sylvester kümmerte sich um den Verletzten und Marianna, Julians Schwester, wich nicht von seiner Seite. Der junge Mann hatte offensichtlich starke Schmerzen. Der Alte zog Lauri beiseite.
„Ich bin mir unsicher, aber ich denke Julian hat innere Verletzungen, gegen die ich nichts tun kann!“
Lauri nickte betreten und hockte sich neben den verletzten jungen Mann. Vorsichtig tastete er den Oberkörper des Verletzten ab. Julian stöhnte mehrere Male schmerzvoll auf.
Die Bauchdecke war steinhart. Lauri nickte mehr für sich selbst. Alles sprach für eine innere Blutung. Was hatten diese Schweine nur mit Julian angestellt?
Plötzlich fing er den Blick des verletzten Mannes auf. Er schien wieder wach genug zu sein und der junge Mann wirkte seltsam gefasst, doch Lauri war sich sicher, dass Julian aus seinem Blick die Wahrheit herausgelesen hatte. Erschöpft ließ er den Kopf nach hinten fallen und schloss für einen Moment die Augen.
Doch dann öffnete er wieder die Augen und wandte sich an die Männer, insbesondere an Robin. „Sie haben uns erwartet. Sie wussten, dass wir kommen. Wir hatten keine Chance. Marvin und Cedric haben sie direkt getötet …“
Lauri schluckte. So viele Menschen hatten Genzo und Colin schon auf dem Gewissen. Er fühlte förmlich Robins und Marlons Unruhe über den Verbleib von Lias.
„Lias haben sie am Leben gelassen. Sie haben ihn mitgenommen. Und mich haben sie zurückgeschickt …“
„Lias lebt!“ Marlon konnte sich kaum zusammenreißen.
Lauri war sich allerdings nicht so sicher, ob dies unbedingt immer noch der Fall sein musste. Vielleicht hatten sie von ihm nur irgendwelche Informationen bekommen wollen, bevor sie ihn ebenfalls umgebracht hätten? Auch die Gesichter der anderen Männer verrieten, dass keine besonders große Erleichterung die Runde machte.
„Was wollen sie?“ Sylvester hatte Wein geholt und setzte Julian den Becher an die Lippen. Auch er wusste, dass man für Julian nicht mehr viel tun konnte, außer ihm die Schmerzen so gut wie möglich zu nehmen.
Robin räusperte sich. Seine Gesichtszüge waren nach wie vor angespannt und eine Sorgenfalte ließ das sonst so weiche Gesicht härter wirken.
„Ich weiß, was sie wollen …“
Alle Augen richteten sich auf den ruhigen jungen Mann.
Robin wirkte fast verlegen, als er tief Luft holte: „Mich!“
Lauri verstand nicht und auch die anderen wirkten verwirrt.
Leise begann Robin zu erklären. „Um Lias zu schützen, haben wir nach Außen verbreitet, dass ich der Anführer wäre!“
„Wie Robin Hood, quasi?!“, unterbrach Marlon ihn.
Ein sanftes Lächeln huschte über Robins Lippen, als er Marlon durch die Haare fuhr. „Ja so ungefähr … Auf jeden Fall weiß Colin also gar nicht, dass er den Kopf unserer Gruppe gefangenhält.“
„Ist das jetzt gut oder schlecht?“, überlegte Finn.
Robin zuckte mit den Schultern. „Es verschafft uns zumindest etwas Zeit, denke ich …“
Er warf einen Blick auf Julian, der mittlerweile schwer atmete und sich immer wieder vor Schmerzen verkrampfte. „Darum haben sie Julian zurückgeschickt. Um mir diese Nachricht zu übermitteln.“
„Ich hoffe … ihr schafft es … holt Lias … da raus …“ Der Verletzte hatte noch einmal die Augen geöffnet, aber die blauen Augen des jungen Mannes waren schon glasig und Sylvester nutzte jede Gelegenheit, ihm weiteren Alkohol einzuflößen.
Betreten standen die Anderen schweigend um das Lager herum. Marianna hielt Julians Hand, sie schluchzte leise. Alle wussten, dass es nicht mehr lange dauern würde.
„Danke mein Freund!“, flüsterte Robin. „Wir werden alles versuchen!“
…
Robin wanderte schon seit Stunden in der Stube auf und ab. Marlon war längst vor Erschöpfung auf der Bank eingeschlafen und Finn und Lauri saßen am Tisch und kamen nicht umhin, Robins endlose Wanderung mitanzusehen.
Lauri konnte seine Zerrissenheit gut verstehen. Wie würde er sich fühlen, wenn er Finn in den dreckigen Händen von Genzo und Colin wüsste?!
„Ich sollte einfach hinreiten!“ Robin hatte abrupt an der Tür gestoppt und starrte nach draußen. Finn sah Lauri unglücklich an. Was sollten sie jetzt tun? Wie sollten sie vorgehen? Keiner von ihnen wusste darauf eine Antwort, aber dass Robin langsam verrückt wurde, war verständlich.
Lauri stand auf und legte Robin eine Hand auf die Schulter.
„Und was dann? Dann haben sie euch beide?“
„Sie wollen mich. Vielleicht lassen sie ihn gehen, wenn…?“
„Vergiss es, Robin! Du weißt, wozu Colin fähig ist.“ Dabei konnte er Robin nur zu gut verstehen. Er würde genauso handeln wollen, wäre es Finn, den sie gefangen hielten.
„Aber irgendetwas müssen wir tun. Irgendwas muss ich tun! Wer weiß, was sie ihm antun!?“
Lauri schluckte. Ja wer wusste das schon.
„Wir werden gehen!“, vernahm Lauri plötzlich Finns Stimme hinter sich und sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
Robin und er fuhren beide gleichzeitig herum und starrten den blonden jungen Mann an. Finn stand entschlossen vor ihnen.
„Robin hat Recht! Irgendwas müssen wir tun. Colin wird nicht ewig warten!“
„Aber …“ Lauri setzte an ohne zu wissen was er sagen sollte.
Finn sprach schon weiter bevor Lauri Worte finden konnte. „Colin erwartet, dass Robin kommen wird, um Lias rauszuholen. Darauf wird er sich vorbereiten. Wen er nicht erwartet, das sind wir! Und wir kennen uns im Lager aus!“
Lauri war in keinster Weise überzeugt. Diese Aktion, die Finn da vorschwebte, war das reinste Selbstmordkommando. Robin stand unschlüssig vor Finn. „Das mag stimmen, aber wie du schon sagst, er erwartet mich und wird sich mit seinen Männern darauf vorbereiten. Das ganze Lager wird also nur so vor Bandenmitgliedern wimmeln und Lias wird er sicher kein bisschen aus den Augen lassen!“
„Dann müsst ihr Colin ablenken!“ Finn verschränkte die Arme vor der Brust und sah Lauri und Robin abwechselnd an. An seinem Gesichtsausdruck erkannte Lauri, dass Finns Entschluss feststand. Die Angst um seinen Freund schnürte ihm zwar fast die Kehle zu, aber dagegen anreden, hätte jetzt nichts mehr genützt, also riss Lauri sich zusammen und zog sich einen Stuhl an den Tisch.
„Na schön, aber dann brauchen wir einen wasserdichten Plan! Colin ist zwar dumm, aber so blöd nun auch wieder nicht, dass er nicht auf die Idee kommen würde, dass man ihn durch ein Ablenkungsmanöver vom Lager weglocken will.“
Robin setzte sich ebenfalls dazu und auch Finn hatte wieder Platz genommen.
„Was schlägst du vor?“, fragte Finn.
„Wir müssen ihn so empfindlich treffen, dass er keine Wahl hat, zumindest einige Männer vom Lager abzuziehen!“, überlegte Lauri.
„Dann am besten gleich an mehreren Stellen!“, fügte Robin hinzu. Finn nickte zustimmend.
Er zog einen Bogen Papier aus der Satteltasche, die in der Ecke stand und begann das Lager und die umliegenden Stützpunkte zu skizzieren.
-Finn-
„Wie wäre es, wenn du einfach hier bleibst? Und ich mach das mit Robin allein?!“
Finn verdrehte die Augen. „Lauri! So ein Unsinn!“
Lauris Miene wirkte mal wieder düster. Natürlich machte er sich Sorgen. Finn verstand das, aber es ging hier schließlich um einen Freund! Nur gemeinsam hatte sie überhaupt eine Chance, Lias da rauszuholen.
Er schlang seine Arme um Lauris Hals. „Wir kriegen das schon hin!“
Lauris Arme hingen neben seinem Körper herab. Seine blauen Augen bohrten sich mit diesem zweifelnden, unglücklichen Blick, den Finn schon zur Genüge kannte, in seine.
„Komm schon …“ Finn legte sanft seine Lippen auf Lauris. „Bitte hab keine Angst!“
Er wusste, dass das wahrscheinlich unmöglich für Lauri war. Trotzdem hoffte er, dass Lauri einsah, dass Finn nicht schon wieder tatenlos allein im Dorf sitzen konnte.
Zumindest hob er endlich seine Hände und legte sie an Finns Wangen. „Versprich mir, dass dir nichts passiert!“, sagte er leise und sah seinen Freund eindringlich an. Finn nickte, auch wenn er wusste, dass er das nicht versprechen konnte. Lauri musste das genauso gut wissen, wie er.
Trotzdem drückte er jetzt seine Lippen auf Finns und zog den blonden jungen Mann nah an sich heran. Seine Hände begaben sich auf Wanderschaft über Finns Körper und fanden bald auch ihren Weg unter die Kleider. Er war fordernd und gleichzeitig wirkte er fast verzweifelt, so als wäre es das letzte Mal, dass er Finn so nah sein konnte …
-Marlon-
Den ganzen Tag über hatte er mit angesehen, wie Robin, Lauri und Finn über ihren Plänen brüteten. Es machte ihn wahnsinnig. War er eigentlich der Einzige, der etwas unternehmen wollte? Das ganze Gerede der drei Männer führte doch zu nichts. Sie mussten handeln, bevor diese Typen Lias etwas antaten.
Leise steckte er den Dolch, den Lias ihm geschenkt hatte, in seine Tasche, warf sich einen Umhang um und huschte in die Nacht.
Das Dorf war um diese späte Uhrzeit wie ausgestorben. Nur ein paar Männer bewachten den Eingang zum Versteck, aber Marlon hatte längst einen eigenen Weg raus aus dem Dorf entdeckt. Gerade groß genug für ihn.
Wenn die anderen schon nichts unternahmen. Er würde handeln …
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.