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Lias und Robin

Wie alles begann ...

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„Du bist echt ein guter Schütze!“ Lias nickte anerkennend und Robins schiefes Lächeln offenbarte zwei Grübchen.

„Danke. Es macht auch echt Spaß.“ Robin hatte den Bogen abgestellt und fuhr gedankenverloren mit der rechten Hand über das glatte Holz. Lias jagte ein angenehmer Schauer über den Rücken.

„Eines Tages möchte ich mal so einen Bogen haben wie Jakob.“ Als er aufblickte, strahlten seine blauen Augen. „Er hat eine ganze Sammlung, aber er versteckt sie. Faselt immer was von Dieben.“ Lias stimmte in das glucksende Lachen seines Freundes ein. Die Freude, die Robin empfand, war ansteckend. „Würde ich ja gern mal sehen, was Jakob so heilig ist, dass er es versteckt.“

Robin kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe.

„Naja, ich weiß wo er sie versteckt. Aber es gäbe mächtig Ärger, wenn er uns erwischt.“

Ein breites Grinsen breitete sich auf Lias Gesicht aus und Robin tippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen.

„Erzähl das aber bloß Niemandem.“ Robins warmer Atem streifte Lias Wange, als der blondgelockte Junge sich verschwörerisch zu ihm beugte.

„Ich schweige wie ein Grab!“ Lias hob theatralisch eine Hand und legte die andere auf seine Brust.

Robin verzog den Mund und stützte sich auf seinen Bogen.

„Ich meine das ernst, Lias. Jakob ist da echt eigen. Der bringt mich um oder setzt mich vor die Tür, wenn er das erfährt.“

„Ich sag ja. Von mir erfährt Niemand was!“

Robin schien überzeugt. Er nickte.

„Na gut. Es dämmert schon. Schießen kann ich jetzt eh nicht mehr. Aber wir warten besser noch ein bisschen. Abends trinkt er meistens zu viel und schläft dann vor dem Feuer ein.“

Ein schwacher Lichtschein drang durch die geschlossenen Fensterläden, ansonsten erhellte nur der Mondschein die Schmiede und die angrenzende Hütte. Robin schlich voran und winkte Lias zu, ihm zu folgen. Leise huschten die Jungen durch die kalte Schmiede. Letzte Reste der Glut glommen im Dunkeln. Robin legte einen Finger auf seine Lippen und Lias nickte verstehend, bevor sie sich an der steinernen Rückwand entlangdrückten.

Als ein Geräusch aus der Hütte drang, blieb Robin abrupt stehen. Lias wäre fast mit ihm zusammengestoßen.

„Wer schleicht da draußen rum?“ Die ruppige Stimme des Schmieds drang gedämpft aus der Hütte. Robin räusperte sich. „Ich … äh, ich bin es nur, Robin!“

„Was treibst du dich noch draußen rum? Mach, dass du ins Bett kommst, Bursche!“

Lias spürte sein eigenes Herz rasen und gleichzeitig war er sich sicher, dass auch seinem Freund das Herz bis zum Hals schlug. Würde Jakob jetzt die Tür öffnen, ständen beide Jungen direkt im Lichtschein.

Aber der alte Schmied war wahrscheinlich selbst zu müde und möglicherweise schon zu angetrunken, um sich nochmal vom Kamin wegzubewegen.

Lias schob sich leise ein Stück näher an Robin heran, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, doch Robin wand sich rasch zum ihm um und legte ihm eine Hand auf den Mund. Den Blick hatte er immer noch nervös zur Tür gerichtet, aber mit seinen Körper presste er Lias an die steinerne Rückwand, in der Hoffnung, den Freund vor den Blicken des Schmieds verstecken zu können.

Lias spürte langsam eine Hitze in sich aufsteigen. Der Nervenkitzel ihres Unterfangens, das nun Adrenalin durch seine Blutbahnen jagte, verstärkte leider nur das angenehme Kribbeln, das sich überall dort ausbreitete, wo Robin ihn berührte. Er spürte die Wärme des fremden Körpers und der sanfte Druck mit dem Robin ihn gegen die kühle Steinwand presste. Ohne es zu wollen, oder gar steuern zu können, sammelte sich ein nicht unbeträchtlicher Teil seines adrenalingeschwängerten Blutes in tieferer Region. Da der blondgelockte junge Mann ihm so nahe war, gab es für Lias auch keine Möglichkeit nach hinten auszuweichen. Ihm blieb also nichts übrig, als in dieser Position auszuharren und zu warten …

Dass es zwischen den beiden Jungen noch enger geworden war, blieb jedoch auch Robin nicht verborgen.

Langsam wand er nun doch den Blick von der Tür ab und ein überraschter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Die Hand, die er zuvor noch auf Lias Lippen gelegt hatte, ließ er nun langsam sinken.

Erleichtert stellte Lias fest, dass sich zwar Überraschung in den blauen Augen seines Freundes spiegelte, aber immerhin kein Ekel oder Wut. Lias blitzte ihn aus seinen dunkelbraunen Augen schelmisch an und ließ sich zu einem frechen Grinsen hinreißen, da Robin selbst keine Anstalten machte, von ihm abzurücken.

„Scheiß auf die Bögen“, flüsterte er tonlos.

„Robin?“, drang nun wieder die Stimme des Schmieds nach draußen und riss die Jungen aus ihrer Erstarrung.

Robin räusperte sich. „Ja, ich … ich geh jetzt schlafen.“

Wieder legte er mahnend einen Finger auf seine eigenen Lippen und zog Lias danach mit sich, raus aus der Schmiede.

Flink schlichen die Beiden durch das Dorf bis sie die Scheune von Lias Vater erreicht hatten.

Nachdem Lias die hölzerne Tür hinter sich geschlossen hatte, standen die beiden Jungen unschlüssig voreinander. Lias brach das Schweigen als Erster.

„Wegen eben … vielleicht erwartest du, dass ich mich entschuldige, aber …“

Robin unterbrach ihn: „Nein, das erwarte ich nicht. Nicht von dir.“

„Gut, denn das werde ich auch nicht tun. Es tut mir nicht leid.“

Über Robins Gesicht huschte ein Grinsen, welches Lias ermutigte.

„Ich mag dich halt. Wahrscheinlich mehr noch als das. Aber die Tatsache, dass wir hier stehen und du mir noch keine reingehauen hast, werte ich mal als gutes Zeichen.“

Jetzt musste Robin leise lachen.

„Ja, wahrscheinlich ist es das. Ein gutes Zeichen.“

Lias, immer mutiger, trat näher an seinen Freund heran. Robin wich nicht zurück sondern beobachtete jede von Lias Bewegungen aufmerksam.

„Wir könnten … ausprobieren …“ Lias Stimme klang fast etwas heiser. Er spürte bereits Robins etwas hektischen Atem auf seinen Lippen. Sanft strich er mit einem Finger über die vollen Lippen vor sich, die sich daraufhin wie von Zauberhand leicht öffneten. Vorsichtig legte Lias nun seine Lippen auf die seines Freundes. Sein Herz raste und ob der Nähe des fremden Körpers konnte er spüren, dass auch Robins Herz schneller schlug als sonst.

Als sie sich nach endlos scheinenden Sekunden voneinander trennten, grinste Lias wieder über das ganze Gesicht. „Das war … gut. Sehr gut. Findest du nicht?“

Robin blickte ihn mit undefiniertem Blick an und legte den Kopf schief.

„Mh, ich weiß nicht.“

Lias hatte das Gefühl, als hätte sein Herz einen kleinen Aussetzer.

Robin kam jetzt auf Lias zu und dieser wich unwillkürlich einen Schritt zurück, wobei er gegen die hölzerne Scheunenwand stieß.

Der Schmiedegeselle griff nach Lias Kragen und das freche Grinsen von dessen Gesicht war wie weggewischt.

„Ich glaube, ich muss … das nochmal testen.“

Als sich Robins Lippen nun deutlich fordernder auf seine legten, fiel die Anspannung von Lias ab. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlang er seine Arme um den jungen Mann.


Sie lehnten beide mit dem Rücken an der Scheunenwand. Den Blick in den sternenklaren Himmel gerichtet, hing jeder seinen Gedanken nach. Schließlich wandte Lias seinen Kopf in Robins Richtung. Ungeniert betrachtete er den jungen Mann im Mondlicht und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

Robin musste den Blick bemerkt haben. Auch er fing an zu grinsen.

„Was ist?“

„Was soll sein?“, fragte Lias zurück. „Ich seh dich gern an.“

Robin wandte sich nun auch Lias zu. „Du weißt schon, dass das irgendwie komisch klingt?!“

Lias zuckte halbherzig mit einer Schulter. „Ist mir egal, wie das klingt.“

Robin lachte leise.

„Was ist daran so witzig?“

Robin setzte ein gutmütiges Lächeln auf. „Du bist so …“

„Ja?“

„Du hast keine Angst, oder?“

Langsam erstarb das Lächeln von Lias Lippen.

Robin kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. „Ich meine, was wäre passiert, wenn ich es nicht gewesen wäre. Was wäre passiert, wenn du versucht hättest, einen der anderen Jungs aus dem Dorf zu küssen? Einen, der das nicht normal findet?“

„Ich wollte aber keinen von den Anderen küssen.“

„Du weißt was ich meine.“

Wieder zuckte Lias mit den Schultern.

„Dann hätte er mir wahrscheinlich seine Faust ins Gesicht gerammt.“

„Und dann?“

„Was und dann?“

„Dann wüsste es bald das ganze Dorf!“

„Wird es das nicht sowieso erfahren?“

Lias dunkle Augen bohrten sich eindringlich in Robins Blick.

Robin zögerte etwas bis er antwortete: „Ich weiß nicht? Wird es das?“

„Ich kann mir nicht vorstellen, mein ganzes Leben lang eine Lüge zu leben“, gab Lias zurück.

Wieder sah er Robin tief in die Augen. „Ich will mein Leben mit dir leben!“

Endlich zeigten sich wieder Robins Grübchen.

Lias setzte sich auf den Schoß seines Freundes und nahm dessen Gesicht sanft in beide Hände. „Und es ist mir egal, ob die Anderen das wissen oder nicht und was sie davon halten.“

Zärtlich strich Robin Lias die dunklen Strähnen aus dem Gesicht und erwiderte ruhig: „In Ordnung“.

„Brauchst du mich noch?“ Aufgedreht wippte Lias von einem Bein aufs andere.

Sein Vater Marvin sah überrascht auf. „Was hast du denn vor?“

„Ach nur einen Freund treffen.“ Lias setzte eine Unschuldsmiene auf, die Marvin fast zum Lachen brachte. Eigentlich hätte dieser Gesichtsausdruck ihn misstrauisch machen müssen. Aber zum einen vertraute er seinem Sohn blind und zum anderen erinnerte er sich, dass er selbst mal jung gewesen war und jede Gelegenheit genutzt hatte, sich vor der Arbeit zu drücken.

Gutmütig lachend stützte er sich am Karren ab, den sie gerade gemeinsam beladen hatten.

„Na mach schon, dass du weg kommst. Aber nicht, dass Michael nachher vor meiner Tür steht und mir wieder eine Litanei herunterbetet, was du alles angestellt hast!“

„Niemals!“, kam voller Überzeugung zurück und schon war Lias verschwunden.

Lachend drehte Marvin sich um und griff nach dem Geschirr des alten Zugpferdes.

Lias war überaus gut gelaunt seit einiger Zeit. Ob er verliebt war? Der ältere Mann schmunzelte. Was sonst sollte einen jungen Mann so aufblühen lassen?

Lias streifte in Windeseile durch die Felder. Sein Herz raste, zum einen vom Rennen, zum anderen beim Gedanken an Robin. Der Schmiedegeselle stahl sich schon den ganzen Tag immer wieder in seinen Kopf.

Fast stolperte er über seine eigenen Füße und fing sich gerade noch an einer kleinen Birke ab, die das Feld vom Weg abgrenzte. Der Wind trug das Geräusch des Schmiedehammers, den der kräftige Schmied in einem eintönigen Rhythmus auf den Amboss donnerte, zu ihm herüber. Robin war also noch beschäftigt. Breit grinsend trabte Lias weiter den Weg entlang bis hinein in das kleine Dorf, immer dem Klang des Hammers folgend.

Als er schließlich in Sichtweite der Schmiede angekommen war, verlangsamte er seinen Schritt und wartete etwas abseits des Platzes an einer Häuserwand, von wo aus er einen guten Blick auf das Geschehen hatte.

Obwohl er nicht mehr rannte, klopfte ihm das Herz nach wie vor bis zum Hals und er hatte das Gefühl seine Wangen brannten. Sicher musste er wie eine Fackel leuchten, aber zum Glück wurde er von den meisten Dorfbewohnern nicht großartig beachtet.

Auch der Schmied und Robin schienen ihn nicht bemerkt zu haben, was Lias ganz recht war. So hatte er die Gelegenheit seinen Freund ganz ungeniert zu beobachten.

Gerade hatte der alte Schmied seine Arbeit unterbrochen und winkte den jungen Gesellen zu sich heran. Er schien Robin etwas zu erklären und und zeigte von dem frischgeschmiedeten Schwert auf ein Becken mit Wasser. Robin nickte eifrig, auch sein Gesicht war gerötet, sicher von der Anstrengung. Lias konnte das Leuchten in den blauen Augen erkennen, als Robin ehrfürchtig das Schwert mit beiden Händen anhob und es einen kurzen Moment senkrecht vor sich hielt.

Der Anblick gefiel auch Lias. Das Metall glühte noch mit einem rötlichen Schimmer und die Hitze in der Schmiede ließ das Bild vor Lias Augen flackern. Wie ein Krieger, fuhr es Lias durch den Kopf, und er hatte das Gefühl, dass seine Hose etwas enger geworden war. Aber im nächsten Augenblick ließ Robin das glühende Schwert nach Jakobs Anweisung in das Wasserbecken gleiten und eine Wolke aus heißem Wasserdampf verdeckte Lias die Sicht auf seinen Freund.

„Weißt du eigentlich, wie heiß du aussiehst, während du arbeitest?“

Robins Mund verzog sich unter Lias Lippen zu einem Grinsen. „Du spinnst“, nuschelte er und biss sanft in Lias Unterlippe, was diesen aufstöhnen ließ.

Lias rollte sich daraufhin über Robin, so dass dieser auf dem Rücken lag. Er stützte sich mit beiden Unterarmen rechts und links von Robins Kopf ab. Seine dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht. „Ich mein das ernst. Du sahst aus wie ein Krieger, als du das Schwert gehalten hast. Wie ein Ritter oder so.“

Robin lachte und schob seinen rechten Arm unter seinen blondgelockten Schopf. „Ein Ritter?! Du bist wirklich übergeschnappt. Hast du überhaupt schon mal einen Ritter gesehen?“ Er schob Lias eine der dunklen Strähnen hinter das Ohr und ließ seine Fingerspitzen dann über den Hals seines Freundes nach unten fahren, bis zum Schlüsselbein und zu dem Kragen des Leinenhemdes, welches er nun packte und Lias daran zu sich runter zog.

„Aber freut mich, wenn mein Anblick dir Freude bereitet.“

„Oh das tut es in der Tat.“

Sie trafen sich erneut für einen Kuss, während dessen Robins Hände sich vorsichtig unter Lias Hemd schoben. Die zaghaften Berührungen ließen Lias erschauern und jagten ihm eine Gänsehaut über den Rücken.

Er schnappte kurz nach Luft und ließ seine Lippen dann über Robins Gesicht und Hals wandern. Langsam rutschte er dabei tiefer und schob mit beiden Händen Robins Hemd nach oben. „Dieser Anblick gefällt mir glaube ich noch besser“, murmelte er, was Robin ein Glucksen entlockte und die wohldefinierten Bauchmuskeln zum Tanzen brachte.

Nach kurzem Aufrichten hatten sich beide Jungen ihrer Hemden entledigt und erkundeten ausgiebig den Körper des anderen.

„Lias, bist du …“ Die Köpfe der jungen Männer schnellten nach oben. „…hier?“

Marvins Gesicht verriet keine Emotion, außer höchstens Überraschung. Sein Blick wanderte zwischen den beiden Jungen hin und her. Die Tatsache, dass beide nur wenig bekleidet waren, schien die Sachlage recht eindeutig zu erläutern.

Langsam rutschte Lias von Robins Schoß herunter. „Ja?!“ Das kleine Wörtchen war gleichzeitig eine Antwort auf die Frage seines Vaters, als auch seinerseits eine Frage, die in Robins Ohren schon fast genervt klang.

Marvin räusperte sich und wandte nun doch den Blick von den beiden Jungen ab.

„Ich dachte du … aber Julian kann mir auch helfen.“ Marvin verschwand fast so schnell aus dem Blickfeld der Jungen, wie er erschienen war.

„Ist er sauer?“, fragte Robin schließlich leise in die anhaltende Stille.

Lias sah auf Robin hinunter und schob die Unterlippe vor. Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Klang nicht so.“

„Vielleicht sollte ich besser gehen …“ Robin angelte nach seinem Hemd.

Jetzt sah Lias enttäuscht aus. Als Robin sein Hemd über den Kopf gezogen hatte, strich er seinem Freund sanft über die Wange. „Vielleicht solltest du das mit deinem Vater klären, meinst du nicht?“

„Ich wüsste nicht, was es da groß zu klären gibt. Er kennt ja jetzt die Tatsachen. Wenn er jetzt meint, mich vor die Tür zu setzen, soll er es tun.“

Ein Zucken im Mundwinkel offenbarte eines von Robins Grübchen. „Du klingst wie ein trotziges Riesenbaby.“

Lias verschränkte die Arme vor der nackten Brust und streckte Robin die Zunge raus.

Robin grinste und zog Lias erneut für einen Kuss heran.

„Aber trotzdem liebe ich dich. Und jetzt rede mit deinem Vater!“

„Irgendwie nervt es, dass du immer so vernünftig sein musst.“

„Wenigstens einer von uns.“

„Wobei soll ich dir helfen?“ Lias lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen.

Sein Vater warf nur einen flüchtigen Blick über die Schulter, als wolle er sich vergewissern, dass sein Sohn allein war.

„Julian hat mir schon geholfen die Säcke abzuladen.“

Marvin trocknete sich langsam die Hände ab. Zögerte er es hinaus seinem Sohn in die Augen zu sehen?

Lias wurde ungeduldig.

Er konnte sehen, wie sich die Rückenmuskulatur seines Vaters unter dem groben Hemd anspannte.

„Aber ich wollte mit dir ohnehin noch sprechen.“

Lias holte tief Luft, wusste dann aber nicht was er sagen sollte, also wartete er bis sein Vater sich zu ihm umdrehte.

„Lias, Junge, du bist jetzt alt genug …“

„Wofür?“

Der hagere Mann räusperte sich. War er verlegen?

„Gustavs Mädchen zählt bald 14 Sommer. Sie ist nett anzusehen und sie würde eine ordentliche Mitgift mitbringen und …“

„Du willst, dass ich heirate?“ Lias stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit.

Marvin schwieg einen Moment und fuhr sich durch das grau schimmernde Haar.

„Der Hof …“

„Ich kann den Hof auch ohne Frau weiterführen, wenn du mich lässt.“

Der Ältere presste die Lippen aufeinander und schlug die Augen nieder. Lias erkannte die Verärgerung in den Zügen seines Vaters.

„Ist das wegen dieses Jungen?“

„Sein Name ist Robin.“ Die Stimme war fast nur ein Flüstern.

Als Marvin aufsah, trafen sich die Blicke von Vater und Sohn.

„Hör zu Lias, heirate dieses Mädchen – lass mich ausreden! Heirate dieses Mädchen und es soll mir egal sein, was du hinter verschlossenen Türen tust. Zwei Dörfer weiter haben sie einen aufgeknüpft, weil er … ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert, verstehst du das? Heirate sie, mach ihr ein paar Kinder, aber gib den Leuten keinen Grund …“ Sein Blick war ernst.

Lias ließ sich Zeit mit der Antwort. Es tat gut zu wissen, dass sein Vater sich um ihn sorgte. Dennoch … Er ahnte, dass Marvin das zwischen Robin und ihm für kindische Spielerei hielt, aber es war mehr als das.

Er holte tief Luft.

„Tut mir leid. Ich … ich weiß, du nimmst das nicht ernst, aber ich kann keine Frau heiraten. Ich will mich nicht verstecken. Ich würde weder sie glücklich machen, noch wäre ich es selbst. Ich liebe Robin. Ich … ich denke ich verstehe, dass du das nicht gutheißen kannst, aber …“ Lias musste schwer schlucken. Seine Kehle fühlte sich trocken an.

„Wenn du trotzdem zu mir stehst, führe ich gerne den Hof weiter. Aber wenn du willst, dass ich von hier fort gehe, dann … dann werde ich deinen Wunsch akzeptieren.“

Fast zuckte er zusammen, als er die schwere Hand seines Vaters auf seiner Schulter spürte.

„Du bist mein Sohn. Dein Platz ist hier.“

Mehr sagte er nicht. Aber Lias hatte selten so viel Liebe in den Worten seines Vaters gespürt wie jetzt.

„Danke.“

Danach sprachen sie nie wieder über das Thema Heirat.

Aber sie sprachen auch nicht über den Jungen. Marvin schwieg das Thema tot und Lias beließ es dabei. Nach wie vor traf er sich mit Robin, oft genug heimlich. Aber Lias wusste, dass Marvin es wusste und es vielleicht nur deshalb stillschweigend akzeptierte, weil er nicht gewusst hätte, wie er es seinem Sohn hätte verbieten sollen.

Auch wenn Marvin sicher niemandem davon erzählt hatte, schien das Gerücht, dass der Sohn des Hofbesitzers ein Auge auf den Schmiedegesellen geworfen hatte, langsam die Runde zu machen.

Der Stein traf Lias unvermittelt am Kopf. Überrascht rieb er sich über die schmerzende Stelle und erst als er sich umdrehte, nahm er die Gestalten war, die sich ihm durch das Dickicht näherten.

Sie verloren nicht viele Worte, sondern fielen direkt mit Schlägen und Tritten über ihn her.

Auch wenn Lias kräftig war und es seinen Angreifern nicht einfach machte, lag er doch bald am Boden, die Arme schützend um seinen Kopf geschlungen, die Beine angezogen. Er spürte jeden Tritt und jeden Schlag und er wusste wofür er sie kassierte. Dennoch bemühte er sich keine Schwäche zu zeigen und presste die Lippen aufeinander, um nicht bei jedem Schlag vor Schmerz aufzuschreien.

Das Surren wäre fast zu überhören gewesen, doch Lias kannte und liebte das Geräusch so sehr, dass er es trotzalledem wahrgenommen hatte.

Seine Angreifer reagierten erst, als der Pfeil neben einem der Schläger in einen Baumstamm einschlug.

Abrupt ließen die Schläge und Tritte nach.

Der Kerl, der dem Pfeil am nächsten war, zog diesen mit abfälligem Grinsen aus der Rinde des Baumes und deutete damit auf den blondgelockten Schützen, der bereits den nächsten Pfeil angelegt hatte.

„Du hast nicht getroffen, du Trottel.“

Lias konnte trotz der Schmerzen ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Ich habe genau dorthin getroffen, wo ich hintreffen wollte. Du solltest mich nicht herausfordern, woandershin zu zielen.“

Robins Blick blieb ernst.

„Treibt ihr es eigentlich auch mit Tieren?“

Der zweite Pfeil streifte die Wange des Sprechers und hinterließ einen blutigen Kratzer auf der Haut.

Diese Demonstration von Robins Schießkünsten schien die Jugendlichen schlussendlich doch zu beeindrucken. Mit grimmigen Gesichtern zogen sie ab. Die gemurmelten Drohungen überhörten Lias und Robin großzügig.

Lias rappelte sich schmerzerfüllt auf. Robin kniete sofort neben ihm. „Alles in Ordnung?“

Lias presste verbissen die Zähne aufeinander. „Nicht wirklich.“

„Komm wir bringen dich erst mal zu Sylvester.“

„Aaahh“

„Tut mir leid, Junge. Die Rippe wird gebrochen sein. Ansonsten hast du Glück gehabt.“

Mit Robins Unterstützung setzte Lias sich auf, damit der alte Mann einen stützenden Verband anlegen konnte.

„Wo ist er?“

Marvins aufgebrachte Stimme war zu hören, schon bevor er die Tür zu Sylvesters Hütte aufstieß.

„Was ist passiert?“

Lias Vater warf nur einen kurzen Blick auf Robin, der den Jungen verlegen von Lias abrücken ließ.

Sofort wandte er sich seinem Sohn zu. „Geht es dir gut? Sag schon, was ist passiert?“

Da Lias verbissen schwieg, antwortete Robin schließlich: „Ein … ein paar Typen haben ihn zusammengeschlagen.“

Seufzend ließ Marvin sich auf einen Hocker fallen. Sein Blick sprach Bände. Lias blitzte ihn böse an, da er den Gesichtsausdruck seines Vaters nur zu gut deuten konnte: „Habe ich es dir nicht gesagt?!“ Deutlicher konnte er es mit Worten auch nicht aussprechen.

Eine Weile schwiegen sie sich an, während Sylvester geschäftig in seinen Heilkräutern wühlte und Robin versuchte, sich unsichtbar zu machen.

Schließlich setzte Marvin an, wurde jedoch unwirsch von seinem Sohn unterbrochen: „Es ist mir egal was du sagen willst. Ich habe nichts falsch gemacht! Ich habe niemandem … NIEMANDEM … etwas getan.“

„Die Menschen bekämpfen immer, was sie nicht kennen!“

„Dann ist es vielleicht an der Zeit, dass sie mich kennenlernen!“

Marvins Blick wanderte zu dem blonden Jungen neben seinem Sohn.

„Findest du das richtig?“

„Ich … äh …“

„Lass Robin da raus!“, fauchte Lias seinen Vater an. „Er war da, als ich Hilfe brauchte. Du hast gesagt, du stehst hinter mir, oder etwa nicht?“

Marvin beugte sich auf dem Hocker nach vorne.

„Doch, ich … ich will lediglich, dass du auf dich aufpasst.“

Tränen der Wut rannen über Lias Wangen.

„Und ich will mich nicht mehr verstecken!“

Marvin fuhr sich hilflos durch die Haare.

„Wie stellst du dir das vor Lias?“

„Wie wäre es, wenn du mal anfängst, mich so zu akzeptieren, wie ich bin?“

Überrascht sah Marvin auf.

„Aber das tue ich doch.“

Lias schüttelte den Kopf.

„Nein tust du nicht. Du sagst du akzeptierst das mit Robin und mir, aber in Wahrheit tust du das nicht. Du duldest es vielleicht, weil du nicht weißt, wie du es mir verbieten könntest. Aber im Grunde denkst du genauso wie die Leute da draußen. Du findest es nicht normal. Du findest MICH nicht normal.“

Marvin schien tief betroffen zu sein. Er setzte zu einer Antwort an, fand aber keine Worte.

Stattdessen zog Lias seinen überraschten Freund an sich und küsste ihn leidenschaftlich, ungeachtet seiner schmerzenden Rippe. Anschließend wandte er sich wieder an seinen Vater: „Gewöhn dich an den Anblick!“

So schnell die Schmerzen es zuließen, rappelte er sich auf und zog Robin mit nach draußen.

Marvin blieb fassungslos zurück und starrte den Boden an, bis er Sylvesters Hand auf seiner Schulter spürte.

„Das Temperament hat dein Junge offensichtlich von seiner Mutter“, schmunzelte der Alte, während er dem verzweifelten Vater einen Becher Met anbot.

Dankend nahm Marvin den Becher an. „Sag mir lieber, was ich mit ihm machen soll?“

Sylvester zuckte lächelnd mit den Schultern. „Vielleicht hat er Recht?!“

„Ist das dein Ernst?“

„Lias ist ein guter Junge. Es sollte dich stolz machen, dass er für sich einsteht.“

„Aber die Anderen …“

„Herrgott Marvin! Wen interessiert was die Anderen sagen? Dich sollte interessieren, was Lias zu sagen hat. Glaubst du ernsthaft, dass du nicht stolz auf ihn sein kannst, nur weil er einen Jungen liebt? Er ist immer noch dein Sohn! Und darüber hinaus ist Robin auch ein guter Junge, wenn du dir mal die Mühe machen solltest, ihn kennenzulernen.“

Lias stapfte wütend über den Hof. Robin hinter ihm her.

„Ich hasse ihn!“

„Nein tust du nicht!“

Robin griff nach seiner Hand und Lias fuhr herum, immer noch Tränen der Wut in den Augen.

„Doch, er … er ist feige, er …“

„Er hat Angst um dich!“

„Nein, er hat Angst was die Leute sagen werden.“

Robin trat näher und zog Lias in seine Arme. Lias ließ es geschehen, aber seine Arme hingen kraftlos herunter.

„Er ist ein guter Vater und das weißt du. Er ist noch … überfordert und verunsichert. Aber er liebt dich und das ist das Wichtigste.“

Mit einem schiefen Lächeln, was auch Robins Grübchen wieder zum Vorschein kommen ließ, setzte er hinzu: „Also wenn mein Vater noch leben würde, hätte er mich schon längst vor die Tür gesetzt.“

„Das dein Vater ein Arsch war … ist aber noch keine Entschuldigung für meinen.“

„Gib ihm Zeit.“

Einen Moment betrachtete Lias seinen Freund nachdenklich.

„Du … du willst dich doch auch nicht verstecken müssen, oder?“

Robins Antwort darauf war ein zärtlicher Kuss.

„Nein“, seufzte er anschließend. „Ich liebe dich und das darf gerne die ganze Welt wissen.“

Die körperliche Arbeit verlangte ihm einiges ab. Die Rippen schmerzten und wenn er sich versehentlich stieß, blieb ihm oft genug die Luft weg.

Marvin stützte sich seufzend auf die Harke und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Geh nach Hause Lias!“

Entsetzt sah sein Sohn auf, eine Hand bereits wieder auf die schmerzenden Rippen gepresst.

„Ich, nein, es ist nichts ….“

„Los, mach dass du nach Hause kommst. Schick mir Julian, wenn du ihn siehst.“

Marvin nahm seinem Sohn das Werkzeug aus der Hand und wandte sich um, um weiterzuarbeiten.

Daher entging ihm wie Lias seine Hände wütend zu Fäusten geballt hatte.

„Du schickst mich weg?“

Marvin arbeitete unbeeindruckt weiter.

„Natürlich.“

„Was … was denkst du eigentlich? Hältst du mich für … für ein Weichei?“

Die Wut in Lias Stimme ließ Marvin überrascht wieder herumfahren.

Der erst verständnislose Blick wandelte sich, als die Erkenntnis durchsickerte.

Sofort kam er seinem erstarrten Sohn entgegen.

„Ach Lias.“ Er zog den nun seinerseits überraschten Jungen in seine Arme, wohl darauf bedacht, die schmerzenden Rippen nicht zu drücken.

„Was denkst du von mir?“ Er schob seinen Sohn mit den Händen an dessen Schultern wieder auf eine Armlänge Abstand und sah ihm tief in die braunen Augen. „Ich … du bist verletzt, das ist alles! Du musst dich auskurieren, damit du bald wieder voll einsatzfähig bist. Dachtest du, ich beurteile dich danach, mit wem du das Lager teilst?“ Wieder zog Marvin seinen Sohn an seine Brust. Bald schon würde Lias seinen Vater überragen. Aber jetzt … jetzt ließ Lias Abwehr ein Stück weit nach und er presste seinerseits seine Wange an die starke Schulter seines Vaters.

„Was macht … ähm … Robin eigentlich? Vielleicht könnte er mir zur Hand gehen, bis es dir besser geht?“

Lias sah überrascht auf. Sein Vater hatte bisher nie nach Robin gefragt, geschweige denn seinen Namen genannt.

Mit einer Hand an den Rippen trat Lias einen Schritt zurück.

„Er macht eine Lehre beim Schmied. Aber ich, ich kann ihn fragen.“

Marvin nickte und brachte ein verlegenes Lächeln zu Stande. „Gut, gut, dann … ich schaff das hier schon. Aber falls du Julian siehst …“

Lias nickte. „Ja ich schick ihn her.“

Nachdenklich wandte Lias sich ab und ließ seinen Vater allein auf dem Feld zurück.

Wie von Zauberhand führten Lias Schritte ihn zur Schmiede.

Das Hämmern war schon von Weitem zu hören und bald schon schlug Lias auch eine Hitzewelle entgegen.

Einen Moment betrachtete Lias seinen Freund wie so oft aus der Ferne.

Während der Schmied mit unübersehbarer Muskelkraft ein Stück Eisen bearbeitete, assistierte Robin indem er bei Bedarf einen großen Blasebalg betätigte, um das Feuer anzuschüren.

Das Feuer ließ seine blonden Locken immer wieder rötlich schimmern und dank der Hitze überzog ein glänzender Schimmer die nackte Haut seiner kräftigen Arme.

Mit einem angenehmen Ziehen in der Lendengegend beobachtete Lias das Muskelspiel seines Freundes, bis dieser ihn ebenfalls bemerkte. Die kurze Verzögerung von Robins Arbeit wurde durch seinen Meister umgehend mit Beschimpfung und einem unsanften Schlag auf den Hinterkopf quittiert. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen setzte Robin seine anstrengende Arbeit fort.

Plötzlich wurde die Arbeit der beiden Männer in der Schmiede jedoch erneut unterbrochen.

Einer der Dorfbewohner stapfte mit missmutigen Schritten, gefolgt von seinem Sohn, auf die Schmiede zu. Mit Magenschmerzen erkannte Lias in dem Jungen einen der gestrigen Angreifer wieder. Es war der Junge, den Robin mit seinem Pfeil verletzt hatte.

„Hey! Jakob!“, raunzte der Vater sofort unfreundlich los. Der mürrische Schmied warf Robin einen kurzen Blick zu, als wisse er bereits was passiert war. Ob Robin ihm davon erzählt hatte? Unauffällig schob Lias sich zwischen einigen dicken Bäumen vorbei.

„Was willst du Johann? Ich hab zu tun!“

„Was ich will? Dass du dir das hier ansiehst!“, sprach der aufgebrachte Mann und zerrte seinen Sohn am Arm nach vorne, so dass der Schmied einen Blick auf die Wunde im Gesicht des Jungen werfen konnte.

Jakob wischte sich ungerührt mit einem Tuch den Schweiß vom Gesicht und zuckte mit den Schultern.

„Und weiter?“

„Das war dein Mündel! Du trägst die Verantwortung für ihn. Das war einer seiner Pfeile!“

„Dann sollte dein Sohn wohl demnächst nicht nochmal in Robins Schussbahn laufen.“

„Willst du damit sagen, er hat selbst Schuld?“

„Wahrscheinlich. Robin ist ein sehr guter Schütze …“ War das etwa ein Grinsen auf Jakobs Gesicht.

Der Vater des Jungen schien genauso überrascht wie Lias.

„Du … er …“ unschlüssig sah er seinen Sohn an, dann wieder zu Jakob und Robin, der sich dezent im Hintergrund hielt.

Statt weiter auf Jakob einzureden, verpasste er nun seinem eigenen Sohn einen Schlag auf den Hinterkopf und schubste ihn unsanft vor sich her von der Schmiede fort.

Ohne sich zu dem blondgelockten Jungen umzudrehen, blaffte Jakob plötzlich: „Das Feuer, Junge!“

und begann wortlos weiter auf das Metall zu hämmern, nachdem Robin hastig den Blasebalg betätigte.

Die restliche Zeit schwiegen sie, bis der Meister seinen Lehrling schließlich mit einem Kopfnicken entließ.

„Er geht aber ganz schön hart mit dir um?!“ Lias war von Jakobs ambivalenten Verhalten Robin gegenüber verwirrt.

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, schmunzelte Robin.

„Nein Jakob ist schon in Ordnung. Nach dem Tod meines Vaters hat er mich bei sich aufgenommen. Er sorgt gut für mich und steht hinter mir.“ Sie gingen gemeinsam einige Schritte, bevor Lias nach Robins Hand griff.

Hinter der nächsten Häuserwand drängte Lias seinen Freund überraschend gegen die Mauer. Obgleich Robin deutlich stärker war als Lias, ließ er es sich gerne gefallen, dass Lias hungrige Lippen seinen Mund verschlossen.

„Was machst du eigentlich schon hier? Ich dachte du hilfst deinem Vater.“

Seufzend ließ Lias von seinem Freund ab.

„Er hat mich weggeschickt.“

Fragend zog Robin eine Augenbraue nach oben.

„Wegen der Rippen. Ich bin ihm grad keine Hilfe.“

Sanft legte Robin eine Hand auf die schmerzende Seite seines Freundes.

„Tut es noch sehr weh?“

Missmutig zuckte Lias mit den Schultern.

„Vor Allem nervt es.“ Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe. „Mein Vater hat nach dir gefragt.“

„Tatsächlich? Ich dachte, er weiß nicht mal wie ich heiße und ignoriert die Tatsache, dass ich überhaupt existiere.“ Die Grübchen kamen zum Vorschein.

„Doch er hat sogar deinen Namen gesagt. Er hat vorher noch nie nach dir gefragt.“

„Und was wollte er wissen?“

„Er hat gefragt, was du so machst und ob du ihm auf dem Hof zur Hand gehen würdest, solange ich außer Gefecht gesetzt bin.“

Robin strich Lias eine Strähne aus dem Gesicht.

„Und warum schaust du so zerknirscht aus?“

Lias zuckte etwas unmotiviert mit den Schultern.

„Ich find’s seltsam. Wie du schon sagst, sonst hat er sich über uns … über dich ausgeschwiegen.“

„Vielleicht hat er erkannt, dass er das mit uns nicht ewig ignorieren kann. Meinst du er will mich kennenlernen?“

Wieder ein Schulterzucken von Lias.

Robin hob sanft das Kinn seines Freundes an und gab ihm einen zärtlichen Kuss.

„Ja würde ich.“

„Mh?“

„Deinem Vater helfen. Jakob gibt mir zwar nicht viel Freizeit, aber wenn die Schmiede kalt bleibt, steh ich zur Verfügung.“

„Du bist der Beste!“

„Ich weiß.“

Anfangs war es seltsam. Marvin bemühte sich Robin genauso zu behandeln wie seine anderen Knechte. Aber eine angespannte Stimmung lag trotzdem in der Luft, wenn die beiden Männer aufeinandertrafen.

Manchmal war es leichter, wenn Lias nicht dabei war, als ob erst die Zweisamkeit der beiden jungen Männer Marvin daran erinnerte, wer Robin war.

Dennoch musste Marvin anerkennen, dass der kräftige junge Mann eine Bereicherung darstellte. Er arbeitete schnell, fleißig und zur vollsten Zufriedenheit des Hofbesitzers.

„So, das war der letzte Ballen.“ Robin klopfte sich die Hände an der staubigen Hose ab.

„Danke. Gute Arbeit.“ Marvin griff nach den Zügeln des alten Zugpferdes.

„Brauchst du mich noch?“

„Nein.“ Marvin zögerte einen Moment. „Aber … ähm … wie wäre es, wenn du heute zum Essen bleibst?“

Robins Augen weiteten sich überrascht. „Lias würde sich sicher freuen“, setzte Marvin leise nach.

Robin nickte verlegen lächelnd. Damit hatte er nicht gerechnet.

Genauso wenig wie sein Freund, der ebenso große Augen machte, als sein Vater, gefolgt von Robin, durch die Tür trat.

Peinlich berührt standen alle drei einen Moment voreinander.

„Ich habe Robin gebeten, zum Essen zu bleiben“, erklärte Marvin sich rasch, bevor er entschwand, um Hände und Gesicht zu waschen.

„Das ist eine Überraschung.“ Lias schien in Robins Augen eine Antwort auf zahllose offene Fragen zu suchen, aber der blondgelockte junge Mann zuckte nur grinsend mit den Schultern. „Ja. Freust du dich wenigstens, mich zu sehen?“

„Immer.“

Sie trafen sich für einen lange überfälligen Kuss.

Das Eintreten von Lias Vater, der beim Anblick der Jungen abrupt stehenblieb, ließ zumindest Robin verlegen von seinem Freund abrücken.

„Entschuldigung, ich wollte nicht …“

Marvin schüttelte ebenso verlegen den Kopf und hob beschwichtigend die Hand.

„Nein, ich … schon in Ordnung.“

Geschäftig begann er den Tisch zu decken und rief nach seiner Magd Marianna, die das Essen auf den Tisch bringen sollte.

Robin machte sich sofort nützlich, während Lias nachdenklich auf seiner Unterlippe kaute. Bemühte sein Vater sich tatsächlich, ihn und Robin endlich zu akzeptieren? Überrascht beobachtete er wie Marvin sogar mit Robin scherzte, scheinbar so lange er nicht zu deutlich vor Augen hatte, wer Robin für seinen Sohn war. Der Kuss eben hatte seinen Vater überrumpelt, aber jetzt war die Stimmung wieder gelöst und Robin warf Lias unbemerkt ein triumphierendes Grinsen zu.

Auch beim Essen blieb die Atmosphäre entspannt. Lias kleiner Bruder Marlon hatte Robin schon längst ins Herz geschlossen und auch Julian und Marianna nahmen Robin gelassen in der Runde auf.

„So Marlon, ab ins Bett mit dir.“

„Aber ich bin nicht müde!“, quengelte der Junge und musste sich dabei ein Gähnen verkneifen.

Liebevoll strich Marvin dem Kleinen durch das wuschelige Haar und nickte dann Lias zu.

„Komm schon, Lias bringt dich ins Bett.“

Schmollend, mit vorgeschobener Unterlippe ließ Marlon sich von seinem Bruder aus der Stube schieben. Auch Julian und Marianna verabschiedeten sich nun rasch.

Während Marvin einen Holzscheit nachlegte, rutschte Robin nervös auf der Bank herum.

„Ich, danke für das Essen … ich sollte dann wohl …“

Marvin stocherte weiter in der Glut. „Willst du schon gehen?“

Die Frage überraschte und verwirrte Robin. Er wusste nichts darauf zu erwidern.

Marvin drehte sich wieder zu dem jungen Mann an seinem Tisch um. Das Feuer warf flackernde Schatten auf das Gesicht des alternden Mannes. Die dunkelbraunen Augen wirkten fast schwarz im Dämmerlicht. Genauso durchdringend wie die Augen seines Freundes, befand Robin im Stillen.

„Du bedeutest ihm wirklich viel.“

Robin fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.

„Ja, er … er bedeutet mir auch viel.“

„Du liebst ihn?“

Robin nickte und weil er das Gefühl hatte, es bekräftigen zu müssen, setzte er hinzu: „Ja, ja das tue ich. Mehr als ich es mit Worten beschreiben könnte.“

Marvin nickte stumm und stocherte wieder in der Glut, so dass Funken in die Luft stoben.

Robins Puls beschleunigte sich. Er wollte noch so viel sagen, aber er wusste nicht wo er anfangen sollte. Würde Marvin es überhaupt verstehen? Aber er schien sich wirklich Mühe zu geben, seinen Sohn verstehen zu wollen, oder?

Robin holte tief Luft, als Marvin begann zu sprechen.

„Es tut mir leid.“ Der Mann sah ihn nicht an. Ein dicker Kloß bildete sich in Robins Hals. Würde er ihn jetzt vor die Tür setzen? Ihm erklären, dass er es versucht habe, sich aber nicht überwinden könne, ihn an der Seite seines Sohnes zu akzeptieren?

„Es tut mir leid, dass ich mir nicht eher die Mühe gemacht habe, dich kennenzulernen.“

Robin verschluckte sich fast. Seine Finger krallten sich um die Kante der hölzernen Bank.

„Du bist ein guter Junge.“

Als sich erneut ihre Blicke trafen, hielt Robin die Luft an. Er wusste immer noch nicht in welche Richtung dieses Gespräch abdriftete.

Marvin lächelte traurig, oder war es Schuld, die in seinen dunklen Augen glänzte?

„Dein Vater ist tot, nicht wahr?“

Überrascht über den plötzlichen Themenwechsel nickte Robin mechanisch.

„Er, ja … schon lange. Meine Mutter auch, aber Jakob, er, ich bin sein Mündel.“

Marvin schien nachzudenken. Plötzlich stand er auf und trat um den großen Holztisch herum. Fast zuckte Robin zusammen, als der Vater seines Freundes ihm die rechte Hand entgegenstreckte.

„Wenn das in eurem Sinne ist, ich … ich könnte deinen Vater nicht ersetzen, aber …“

Ungläubig starrte Robin die Hand vor seinem Gesicht an. Bot Marvin ihm tatsächlich gerade an, ihn in seine Familie aufzunehmen?

Zaghaft griff er nach der dargebotenen Hand. Tränen schossen ihm in die Augen, als er zum Vater seines Freundes aufsah, der zwar ebenfalls verunsichert aussah, aber gleichzeitig so viel Güte ausstrahlte, wie Robin sie bisher selten erfahren hatte.

Mit einem Ruck zog Marvin den Jungen auf die Beine und drückte ihn an sich.

Schwer atmend spürte Robin, dass Marvins Herz mindestens genauso schnell schlug, wie sein eigenes. Er fühlte wie Marvin ihm sachte einen väterlichen Kuss auf die Locken hauchte und musste die Tränen wegblinzeln. Als der Schleier sich lichtete sah er, dass Lias versteinert im Türrahmen stand und diese unwirklich anmutende Szene stumm beobachtete.

Vorsichtig löste Robin sich von Marvin, der seinerseits die Anwesenheit seines Sohnes wahrnahm.

Lias trat langsamen Schrittes näher. Dennoch fand er als erster die Sprache wieder.

„Ich … ich bin ehrlich verwirrt gerade.“

Robin entwich ein heiseres Lachen, die Szene musste wirklich seltsam ausgesehen haben.

Marvin räusperte sich. „Ich dachte, da ihr … also am einfachsten wäre es, ich würde Robin wie einen Sohn annehmen, oder nicht?“

Lias sah mindestens so fassungslos und verwirrt aus, wie Robin sich eben noch gefühlt hatte.

„Ich, ich … versteh ich das richtig? Du willst, dass Robin hier einzieht?“

Marvin hob hilflos die Hände. „Naja, ich müsste das wohl mit Meister Jakob besprechen, da Robin sein Mündel ist, aber …“

Lias kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Du akzeptierst das mit uns? Du akzeptierst, dass wir einander lieben? Mit allen Konsequenzen?“

Er kam näher, und wie um seinen Vater auf die Probe zu stellen, griff er herausfordernd nach Robins Hand.

Marvin entging diese Geste nicht. Er lächelte scheu.

„Ich … ja, ihr seid beide großartige junge Männer, auf die jeder Vater stolz sein kann. Ich … ich möchte, dass ihr glücklich seid.“

Lias schien immer noch nicht vollends überzeugt. Provokativ griff er in Robins Nacken und zog den jungen Mann zu einem Kuss näher an sich heran. Robin selbst war zu überrascht, um den Kuss abzuwehren, dennoch trennte er sich peinlich berührt rasch wieder von seinem Freund.

Es war zu offensichtlich, dass Lias seinen Vater provozieren wollte, unbedingte Klarheit einforderte.

„Mit ALLEN Konsequenzen?“, fragte er erneut und der bissige Unterton war unverhohlen erkennbar.

Marvin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte anschließend.

„Mir ist klar, dass mein bisheriges Verhalten dich derart herausfordern muss, Lias. Das tut mir leid. Ja ich … ich bin mir durchaus im Klaren darüber, was alles zu einer Beziehung zwischen zwei … Menschen dazu gehört und ich werde euch in der Hinsicht keine Vorschriften machen. Ich bitte euch lediglich daran zu denken, dass in diesem Haushalt noch mehr Personen leben und dass jeder hier ein Privatleben hat, von dem nicht alle alles hautnah miterleben müssen, wenn ihr versteht was ich meine.“ Er räusperte sich.

Robin nickte hektisch, während Lias seinen Vater immer noch feindselig anblitzte.

„Du meinst Sex! Herrgott nochmal warum redest du immer um den heißen Brei herum. Kannst du nicht einmal offen reden, Vater? Kommst du damit klar, wenn wir es hier tun? Unter deinem Dach? Und das werden wir!“

„Lias!“ Robin packte seinen Freund mahnend am Oberarm. Aber Lias riss seinen Arm unsanft los und wartete weiter auf eine Reaktion seines Vaters.

Marvin nickte kaum merklich mit aufeinandergepressten Lippen. Er hatte die Arme um sich selbst geschlungen. Robin tat der Mann leid. Er gab sich so viel Mühe gerade und Lias ließ ihn dermaßen auflaufen.

„Ja, ich sagte doch, ja das ist in Ordnung.“ Seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Lias durchbohrte seinen Vater noch einen Moment weiterhin mit seinem Blick. „Gut.“

Er zog Robin hinter sich her, vorbei an Marvin.

„Tut mir leid!“, raunte Robin Marvin zu. Ihm war diese ganze Situation unglaublich unangenehm.

Vor der Tür schüttelte er Lias Griff ab.

„Was sollte das?“

Lias fuhr herum. „Was?“

„Na, warum bist du so gemein zu deinem Vater? Das war echt unnötig.“

Lias Fassade begann zu bröckeln. Die harten Züge in seinem Gesicht wichen einer Verunsicherung, die ihn wieder jung und verletzlich erscheinen ließ.

Er öffnete den Mund, aber er fand keine Worte.

„Ich meine, er bemüht sich so, er steht zu dir …“

Lias ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den Boden gleiten.

„Ich bin ein Arsch, oder?“

Robin hockte sich vor seinen Freund, die Grübchen kamen dank eines Lächelns wieder zum Vorschein.

„Nicht grundsätzlich.“

Lias ließ den Kopf hängen. „Ich, ich weiß auch nicht, warum ich so fies zu ihm gewesen bin. Ich war so sauer, weil er … er hat so lange gebraucht.“

Robin schmunzelte und strich den Vorhang aus dunklen Haaren beiseite, um seinem Freund in die Augen sehen zu können.

„Es kann halt nicht jeder von vornherein so klar in seinen Entscheidungen sein wie du.“

Lias verzog den Mund, was Robin zum Lachen brachte.

„Ist doch so. Es ist eigentlich der Wahnsinn, dass du nie mit dir selbst gehadert hast. Du darfst einfach nicht von dir auf andere schließen. Dein Vater leistet Großartiges. Gib ihm einfach Zeit.“

Robin ließ sich zwischen die Beine seines Freundes gleiten und näherte sich für einen Kuss.

Lias drehte das Gesicht zur Seite, was Robin jedoch nicht davon abhielt.

Unter seinen Lippen spürte er den Puls seines Freundes, der sich langsam beschleunigte, auch wenn Lias den Abweisenden mimte.

Er wand sich unter Robins Küssen, die seinen Hals hinunterwanderten, aber ein Lächeln stahl sich wieder auf seine Lippen. Lias presste mit rein symbolischer Abwehr seine Hände gegen Robins Schultern, was dieser zum Anlass nahm, die Hände seines Freundes kurzerhand rechts und links vom Oberkörper zu fixieren.

Grinsend wand Lias seinem Freund nun doch das Gesicht zu. „Auf sowas stehst du also.“

„Du stehst auf sowas“, gab Robin zwischen mehreren Küssen zurück.

„Stimmt.“

Trotz des provokanten Verhaltens seines ältesten Sohnes, hielt Marvin sein Wort.

Er besprach mit Meister Jakob, dass Robin seine Lehre dort weiterführen sollte, aber dennoch seine restliche Zeit auf dem Hof arbeiten und leben würde. Da der Schmied zwar ein netter, aber recht knauseriger Kerl war, kam es ihm gerade Recht, ein hungriges Maul weniger zu stopfen. Zu Marvins Überraschung stellte Jakob auch keine weiteren Fragen zu Marvins Beweggründen oder äußerte sich in anderer Form abfällig über den Jungen, obwohl sich Marvin sicher war, dass auch der Schmied über die Beziehung zwischen den Jungen Bescheid wusste.

Trotzdem dauerte es nicht lange bis auch Marvin Gegenwind zu spüren bekam.

Zunächst waren es nur schräge Blicke und Getuschel, wenn er vorbeiging, aber bald sprachen ihn die Leute sogar auf offener Straße unverhohlen an.

„Du duldest das?“

„Du holst dir das Pack ins Haus?“

„Hast du keine Angst um deinen Jüngsten?“ …

„Ich sag es dir frei heraus Marvin. Du bist ein netter Kerl. Aber wir wollen sowas in unserem Dorf nicht haben?“

Marvin seufzte genervt und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Gut, dass ich auf meinem Hof entscheiden kann, was und wie ich es für richtig halte.“

„Das wird kein gutes Ende nehmen!“

„Willst du mir drohen?“, knurrte Marvin.

Sein Gegenüber funkelte ihn mit kaltem Blick an.

„Wir haben nichts gegen dich und deinen Kleinen, aber …“ Der Blick wanderte an Marvin vorbei und fixierte die beiden jungen Männer, die gerade dabei waren Rübensäcke auf den Wagen zu laden.

„Du sprichst hier von meinem Sohn! Und jetzt mach, dass du wegkommst, bevor ich mich vergesse.“

Der ungebetene Gast trollte sich und Marvin wand sich traurig zu den Jungen um. Er war nicht mehr der Jüngste. Bisher wurde er geachtete und respektiert im Dorf, aber wie lange konnte er die Jungen schützen? Er sollte mit Sylvester und Leander sprechen, wobei die beiden gerade andere Sorgen zu haben schienen.

„Ich muss nachher noch etwas erledigen.“

„Wo gehst du hin, Vater?“ Marlon sprang an seinem Vater hoch wie ein junger Hund.

Liebevoll fuhr er dem Jungen durchs Haar und nahm ihn auf den Arm.

„Ich muss noch etwas mit Sylvester und Leander besprechen. Aber jetzt setz dich und iss.“

Er setzte das Kind auf der Holzbank neben seinem Bruder ab.

„Kommt ihr klar hier, solange ich weg bin?“ Die Frage war an die jungen Männer gerichtet.

Überrascht sah Lias von seiner Schüssel auf. „Wirst du lange weg sein?“

Marvin rang sich ein Lächeln ab, er drückte die Schulter seines Ältesten. „Ich weiß nicht genau. Sylvester sagte es gibt Probleme und ich … ich wollte auch noch etwas mit den beiden besprechen. Vielleicht bin ich erst morgen im Laufe des Tages wieder hier, aber ihr kennt euch ja aus und zur Not ist Julian ja auch noch da.“

Robin und Lias nickten.

„Kümmert euch um Marlon, ja?“

„Dein Vater sah besorgt aus, findest du nicht?“

Robin spielte mit einer von Lias Haarsträhnen.

„Den Eindruck macht er auf mich schon länger. Meinst du das hat was mit uns zu tun?“

Lias drehte sich in Robins Arm und schlang seinen Arm um den Oberkörper seines Freundes.

„Keine Ahnung. Ich glaube er muss sich schon so einiges von den Leuten anhören, weil er mich bei euch aufgenommen hat.“

Lias verzog das Gesicht. Mal wieder wurde ihm bewusst, dass er sich immer noch nicht bei seinem Vater entschuldigt hatte.

„Lias? Robin?“ Die Köpfe der beiden jungen Männer schnellten nach oben, als der kleine Marlon die Leiter hochgeklettert kam, die zum Schlaflager der beiden führte.

„Hey Marlon, was ist los?“

„Darf ich bei euch schlafen heute? Ohne Vater ist es so gruselig.“

Lias schlug das Fell zur Seite, aber statt an die Seite seines großen Bruders zu krabbeln, schmiss sich Marlon freudestrahlend in die Mitte zwischen die beiden jungen Männer.

Über den Kopf des Jungen hinweg grinste Robin seinen Freund an.

„Luca hat WAS getan?“ Marvin riss entsetzt die Augen auf, während Sylvester nervös seine Hände knetete.

„Und meines Wissens haben sie auch den Jungen.“

„Wir hätten ihm nie trauen dürfen, genauso wenig wie Genzo. Leander war schon immer zu gutmütig.“ Angewidert spuckte Jakob aus. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis das auf ihn zurückfällt.“

„Wie konnte das überhaupt passieren?“, fragte Michael, der Dorfvorsteher.

Sylvester zuckte traurig die Schultern. „Sie müssen die beiden abgefangen haben.“

„Was machen wir jetzt?“ Marvin war aufgesprungen. Seine eigenen Sorgen waren verblasst, als er bei dem Treffen erfahren hatte, dass Leander von Leuten aus den vermeintlich eigenen Reihen überfallen worden war.

„Wir müssen doch etwas tun? Was will Luca überhaupt? Was verspricht er sich von dieser Aktion?“

„Als wäre das nicht offensichtlich“, knurrte der Schmied als Antwort auf Marvins aufgebrachte Fragen. „Er wird Leander aufschlitzen. Ihm die Kehle durchschneiden, wenn er es nicht schon getan hat.“

„Aber der Junge …“, warf Sylvester erneut ein. „Auch mit dem wird Luca kurzen Prozess machen“, schnaubte Jakob, aber jetzt sah sogar der missmutige Schmied betroffen aus.

Marvin presste die Lippen aufeinander. „Also, was ist jetzt. Gehen wir? Selbst wenn sie schon tot sind, sind wir es Leander schuldig. Luca sollte damit nicht so einfach davon kommen.“ Er wand sich zur Tür. Jakob, Michael und zwei weitere Männer folgten ihm sofort zur Tür.

Sylvester humpelte ebenfalls hinter den Männern her, doch Marvin griff nach der Schulter des älteren Mannes. „Sylvester, lass uns das regeln. Aber eine Bitte habe ich.“

Der eindringliche Blick aus den dunklen Augen reichte aus, damit Sylvester verstand.

„Deine Jungs. Ich hab ein Auge auf sie. Aber du kommst schön zurück mein Freund.“

Marvin presste erneut die Lippen aufeinander und nach einer kurzen Umarmung verschwand er mit den anderen Männern in der Nacht.

Robin, der gerade dabei war Feuerholz zu hacken, sah Marvin als erster.

Erst hob er die Hand zum Gruß, doch schnell wurde ihm klar, dass etwas nicht in Ordnung war.

Der Vater seines Freundes war kreidebleich und … waren das Blutflecken auf seiner Kleidung?

Sofort ließ Robin das Beil fallen und rannte auf den Mann zu, während er nach Lias brüllte.

„Marvin! Was, was ist passiert?“

Er ergriff den Hofbesitzer an den Oberarmen und hatte bald den Eindruck ihm Halt geben zu müssen. Der Ältere sah ihn mit glasigen Augen an. „Wir waren zu spät.“

„Zu spät? Was? Wovon sprichst du?“

Robin führte Marvin zu einem Schemel der vor dem Haus stand und endlich kam auch Lias dazu, gefolgt von Julian, die in der Scheune gearbeitet hatten.

„Vater!“ Lias stürzte auf seinen Vater zu und griff sofort nach seiner blutverschmierten Hand.

„Was ist passiert?“, flüsterte Julian ehrfürchtig, aber Robin konnte nur mit den Schultern zucken.

„Also ist es wahr?“

Die Stimme ließ die jungen Männer herumfahren.

Sylvester wirkte zerbrechlicher als sonst, wie er so da stand, auf seinen Gehstock gestützt, zitternd.

„Leander ist tot.“

Ein kaum merkliches Nicken von Marvin. „Genzo hat ihm tatsächlich die Kehle durchgeschnitten.“

Sylvesters Augen wurden feucht.

„Der Junge?“

Marvin schüttelte den Kopf. „Wir haben ihn nicht gefunden und Luca hat uns versichert, dass wir das auch nicht werden.“

Julian war an den alten Freund der Familie herangetreten und bot ihm einen stützenden Arm an.

Die jungen Männer hatten Leander nicht gut gekannt, aber sie wussten, was er Sylvester und vielen anderen Menschen im Dorf bedeutet hatte, und sie wussten auch von seinem Sohn, vielleicht gerade mal fünf Jahre älter als Marlon. Betroffenheit machte sich breit.

„Was bedeutet das jetzt?“ Julian schluckte.

Marvin und Sylvester sahen einander fest in die Augen und beide nickten als Sylvester mit überraschend fester Stimme sagte: „Das bedeutet Krieg!“

Marvin war von Lucas Schergen übel zugerichtet worden.

Sylvester hielt ihm das vorwurfsvoll vor, als er die Wunden des Mannes versorgte.

„Wir sind halt Bauern, keiner Kämpfer.“

„Dein Bein sieht übel aus.“

„Sylvester?“

„Mh?!“

„Ich habe Angst.“ Die alten Augen sahen Marvin wissend an.

Trotzdem setzte Marvin zu einer Erklärung an.

„Die Zeit ist im Umbruch. Die Entwicklung mit Luca und Genzo macht mir Angst, noch dazu Lias und Robin. Ich weiß, dass es viele im Dorf gibt, die das nicht billigen. Ich glaube ich kann sie nicht beschützen. Nicht mehr lange.“

Sylvester presste die schmalen Lippen aufeinander und nickte kaum merklich.

In der folgenden Woche baute Marvin immer weiter ab.

Er bemühte sich, die Schwäche und die Schmerzen vor den Jungen nicht zu zeigen. Aber es fiel ihm langsam immer schwerer, den Schein zu wahren.

„Argh!“

Robin fuhr herum, als er das Stöhnen vernahm und griff Marvin gerade noch rechtzeitig unter die Arme, bevor dieser den Halt verlor.

„Marvin. Alles in Ordnung?“

Der Ältere presste die Lippen mit schmerzverzerrtem Gesicht aufeinander und schüttelte schließlich langsam den Kopf.

Die Hände, die er gerade noch auf seinen rechten Unterschenkel gedrückt hatte, zogen nun zitternd das Hosenbein hoch.

Scharf sog Robin die Luft ein, als er den blutigen Verband sah, der offensichtlich eine eiternde, entzündete Wunde verdeckte.

„Marvin! Warst du damit bei Sylvester?“

Der Vater seines Freundes atmete angestrengt und ließ sich von Robin auf dem Boden absetzen.

„Ja, aber er kann es nicht aufhalten.“

„Nicht aufhalten? Was meinst du?“ Robins Puls beschleunigte sich. Seine Lippen wurden trocken.

Marvin sah ihn von unten herauf mit müden Augen an. „Die Entzündung, sie wandert immer weiter hoch.“

„Aber …“ die Worte blieben dem jungen Mann im Hals stecken. Er traute sich nicht die tausend Fragen auszusprechen, die durch seinen Kopf jagten.

„Robin?“

Er hob den Kopf und blickte in die braunen Augen, in die gleichen braunen Augen, in denen er sich so oft verlieren konnte. Aber Marvin sah erschöpft aus und alt. So viel älter als noch vor einer Woche.

„Du hast mal zu mir gesagt, dass du Lias liebst, mehr als du es mit Worten beschreiben kannst.“

Robin nickte, es war genau derselbe Wortlaut, den er verwendet hatte. Aber dieses Gespräch entwickelte sich in eine Richtung, die ihm überhaupt nicht gefiel.

„Du … versprich mir, dass du auf ihn aufpasst! Er ist so ein Hitzkopf. Und Marlon …“

Robin umfasste Marvins Schultern.

„Warum sagst du das?“ Seine Stimme zitterte.

Marvin sah ihn wieder traurig an. Robin kannte die Antwort und er wollte sie auch gar nicht hören.

„Versprich es mir, Robin!“

„Lias weiß nicht, wie es um dich steht, oder?“ Schwang da ein Vorwurf mit?

Marvin verzog das Gesicht. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen.

„Ich, ich wollte euch so gut und so lange es geht schützen. Es gibt im Dorf zu viele, die dagegen sind. Die gegen euch sind. Wenn ich nicht mehr bin, vergessen manche vielleicht das letzte bisschen Respekt, das sie zumindest mir noch entgegengebracht haben …“

„Du hättest es ihm sagen müssen!“ Jetzt schwang ganz sicher ein Vorwurf mit.

Marvin wischte sich mit dem Ärmel kalte Schweißperlen vom Gesicht und nickte.

„Ja, wahrscheinlich hätte ich es Lias sagen müssen. Euch beiden. Aber ihr … ich wollte euch das nicht nehmen, solange es ging. Er war … so glücklich und unbeschwert. Mit dir.“

„Er muss es wissen, Marvin! Jetzt!“

Marvin nickte langsam. „Ja, hol ihn.“ Bevor der junge Mann aufspringen konnte, packte Marvin ihn mit überraschend viel Kraft am Hemd und zog ihn noch einmal zu sich herunter.

„Versprich es mir Robin!“

Robin spürte wie Tränen in seinen Augen aufstiegen, aber er nickte. „Das brauche ich dir nicht zu versprechen. Ich würde ihn ohnehin mit meinem Leben beschützen, wenn es sein müsste.“

Daraufhin ließ Marvin ihn ziehen und Robin rannte, wie noch nie in seinem Leben runter zum Hof.

„LIAS!“

Der Klang seiner Stimme schien nicht nur Lias klar zu machen, dass es ernst war.

Auch Julian und Marianna hatten ihre Arbeiten liegen lassen und kamen Robin entgegen.

Aber Robin hatte nur Augen für seinen Freund.

„Dein Vater, Lias …“

„Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?“

„Nein, leider geht es ihm gar nicht gut. Komm mit!“

„Hol Sylvester!“, rief Lias noch Julian zu, während er Robin in Richtung der Felder folgte.

„Was ist denn los? Was ist passiert?“, keuchte er um Atem ringend. Die gebrochene Rippe machte sich bei solchen Aktivitäten gleich wieder bemerkbar.

„Es … ihm geht es nicht gut.“ Mehr brachte Robin nicht heraus, während sie durch das goldgelbe Korn jagten.

Völlig außer Atem fiel Lias schließlich vor seinem Vater auf die Knie.

„Vater, was ist? Robin sagt, dir geht es nicht gut?!“

Marvin streckte eine Hand nach seinem Sohn aus und fuhr ihm durch das dichte dunkle Haar.

Sein Blick wanderte zu Robin hoch, dann zurück zu seinem Sohn.

„Lias, ich werde sterben.“

Ein leicht hysterisches, freudloses Lachen entwich Lias Kehle, aber er war schlagartig blass geworden.

„Wir werden alle irgendwann sterben.“

Marvin nickte. „Ja, aber ich werde nicht irgendwann sterben, sondern bald.“

Lias Züge verhärteten sich um ihm danach wieder zu entgleisen. Er sah plötzlich viel jünger aus.

„Red keinen Unsinn! Du kannst nicht sterben.“

„Lias …“

„Nein!“ Tränen schossen Lias in die Augen und er rang um Fassung. Und auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, musste er sich insgeheim eingestehen, dass sein Vater schlecht aussah. Krank, schwach, alt …

„Warum überhaupt? Was hast du denn? Sylvester kann …“

„Er kann nichts mehr tun“, unterbrach Marvin ihn sanft und griff nach der Hand seines Sohnes.

Leise begann er zu erzählen.

„In der Nacht als wir versuchten Leander und den Jungen zu befreien wurde ich verletzt. Eine der Wunden entzündete sich und die Entzündung breitete sich zu schnell aus. Sylvester war machtlos …“

Lias presste die Lippen aufeinander und schüttelte langsam den Kopf.

„Du kannst nicht sterben …“

„Lias!“

„Nein, weil … wenn … wenn du wirklich sterben würdest, dann müsste ich dir noch so viel sagen.“

„Dann sag es! Sag mir, was du noch loswerden willst!“

Mittlerweile liefen die Tränen über Lias hohe Wangen.

„Nein, denn dann … dann müsste ich mich bei dir entschuldigen. Dir sagen, dass es mir leid tut, wie respektlos ich mich dir gegenüber verhalten habe und …“

„Lias, du musst dich nicht entschuldigen.“

„… ich müsste dir sagen, dass ich gelogen habe, als ich gesagt habe, dass ich dich hasse! Das stimmt nicht! Ich …“

„Ich weiß.“

„ … müsste dir sagen, dass ich das alleine nicht schaffe! Ich brauche dich noch!“

Auf Marvins angestrengtem Gesicht zeigte sich ein sanftes Lächeln.

„Hast du mir nicht gesagt, du kannst den Hof auch alleine weiterführen?“

„Ja, aber … doch nicht so, nicht jetzt!“

„Außerdem … bist du nicht … allein.“ Man merkte dem älteren Mann an, wie sehr ihn das Sprechen mittlerweile anstrengte. Sein Blick schweifte zu Robin, der sich neben seinen Freund hockte und einen seiner starken Arme um die bebenden Schultern legte.

„Und Marlon?!“

„Pass auf ihn auf. Du bist jetzt erwachsen, Lias. Ein Mann. Alles, worauf ein Vater nur stolz sein kann. Du kannst das! Ihr könnt das!“

Dabei wanderte der glasig werdende Blick zwischen Robin und Lias hin und her.

„Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit gehabt. Wünschte, ich hätte euch mehr Zeit schenken können …“

Ein Krampf fuhr durch Marvins Körper und ließ ihm die Stimme versagen.

Lias stürzte sofort zu seinem Vater und zog den Oberkörper des Mannes auf seinen Schoß.

Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr und als er aufsah, blickte er in Sylvesters traurige Augen.

„Tu doch was!“, brüllte Lias den alten Mann an.

Aber Sylvester stützte sich nur müde auf seinen Gehstock. „Ich kann nichts mehr für ihn tun. Ich wollte ihm etwas gegen die Schmerzen geben, aber das hat Marvin abgelehnt. Es tut mir leid, Lias!“

Der Krampf hatte aufgehört, aber Marvin war nicht mehr bei Bewusstsein.

Mühsam ging Sylvester in die Hocke und fühlte nach dem Puls seines Freundes.

„Was passiert jetzt mit ihm?“, fragte Lias mit tränenerstickter Stimme.

„Seine Lebensgeister schwinden.“

„Aber wie kann das sein? Du kannst doch sonst jede Krankheit und jede Wunde heilen!“

„Ich bin kein Zauberer, Junge.“ Sylvesters Stimme klang trotz der harschen Worte sanft.

„Vielleicht war die Klinge, die deinen Vater verletzt hat, in etwas Giftigem getränkt worden, vielleicht hatte dein Vater auch einfach nur Pech. Wundbrand ist immer eine gefährliche Sache.“

Es dauerte nicht mehr lange. Nach einem der folgenden Krampfanfälle tastet Sylvester schließlich keinen Puls mehr.

Betroffen konnten Robin und Sylvester nur daneben stehen und zusehen, wie Lias anschließend brüllend und tobend durch das Feld stob, bis er schlussendlich neben dem leblosen Körper seines Vaters schluchzend zusammenbrach. Robin hielt ihn, so gut es eben ging, aber auch auf seinem staubigen Gesicht waren die Tränenspuren deutlich zu sehen.

Es dämmerte bereits als Lias endlich ruhiger wurde. Die Tränen versiegten und machten einem bitteren, ernsten Gesichtsausdruck Platz.

Schweigend legten sie Marvin auf den Wagen, den Julian irgendwann stumm gebracht hatte und machten sich gemeinsam auf den Weg zum Hof.

Julian führte das Zugpferd, während Lias und Robin hinter dem Wagen herstapften.

„Marlon wird das nicht verstehen. Ich kann es ja selbst kaum verstehen.“ Seine Stimme war vom Brüllen heiser. Robin nickte nur und drückte Lias noch etwas fester an sich.

Bei der Beerdigung des Hofbesitzers tauchten zwar fast alle Dorfbewohner auf, aber Robin fielen die feindseligen Blicke mancher Zeitgenossen auf, besonders nachdem Lias irgendwann nach seiner Hand gegriffen hatte und diese während der Zeremonie nicht mehr losgelassen hatte. Die meisten Leute erwiesen Marvin die letzte Ehre, ohne ein Wort des Trostes an Lias zu richten. Lias schien das in seinem Schmerz nicht wahrzunehmen, was vielleicht auch besser so war, befand Robin im Stillen. Dennoch musste er an Marvins Worte denken. Dass es viele Menschen im Dorf gab, die es missbilligten, dass Marvin ihn in seinem Heim aufgenommen hatte, wohlwissend, dass er und Lias mehr als nur Freunde waren. Wachsam beobachtete er die Menschen um ihn herum. Er hatte Marvin versprochen auf Lias aufzupassen.

„Mein Beileid, Lias! Marvin war ein wichtiger Teil der Dorfgemeinschaft.“ Michael, der Dorfvorsteher, reichte Lias die Hand. „Schlimm, dass das passiert ist.“

Lias nickte mechanisch.

Auch Jakob, der Schmied, machte bei den jungen Männern Halt und murmelte ein paar Worte.

Sylvester war der letzte, der noch mit den Angehörigen am Grab verweilte, als schon alle anderen gegangen waren.

„Braucht ihr noch irgendetwas, Jungs?“

Lias schüttelte den Kopf und wandte sich schon ab. Er drückte die Schulter seines kleinen Bruders und schob ihn langsam vor sich her in Richtung des Hofes.

„Sei wachsam, Robin!“, raunte Sylvester, als auch der Schmiedegeselle sich zum Gehen wenden wollte. Der blonde junge Mann folgte Sylvesters Blick und die Gruppe Männer, die am Rande des Friedhofes gestanden hatte, wandte sich zügig ab.

Robin blickte wieder zu Sylvester und nickte, bevor er rasch zu Lias und seinem Bruder aufschloss.

Er hatte also Recht mit seiner Einschätzung. Er musste die Augen aufhalten.

„Lias! Lias wach auf!“

Verschlafen fuhr Lias sich mit der Hand durchs Gesicht.

„Was ist los?“

„Riechst du das? Irgendwas stimmt nicht. Ich glaube es brennt!“

Sofort war Lias hellwach und Robin hatte Recht. Der beißende Geruch von brennendem Holz und Stroh drang durch jede Ritze in den Wänden.

„Schnell, raus!“

In Windeseile stürmten die jungen Männer aus dem Wohnhaus. Draußen liefen sie bereits Julian in die Arme.

„Lias! Die Scheune steht in Flammen. Das Feuer greift schon auf das Wohnhaus und die Ställe über. Was sollen wir tun?“

Lias schaltete schnell. „Du öffnest die Ställe. Bring so viele Tiere raus wie möglich, Julian. Robin und ich versuchen das Feuer zu löschen.“

Doch als die beiden Männer sich dem Brunnen zuwandten, stürmte bereits eine völlig aufgelöste Marianna auf sie zu.

„Lias! Die Kinder! Marlon und Elisabeth, sie sind noch im Haus!“

Robin ließ sofort den Eimer fallen, den er in die Hand genommen hatte und stürmte ohne zu zögern gefolgt von Lias zurück ins Haus.

Die Sicht wurde ihnen bereits durch dichten Qualm erschwert und die Hitze trieb ihnen die Schweißperlen auf die Stirn. Tief gebückt suchten sie die Stube ab.

Sie riefen nach den Kindern, doch das laute Prasseln des Feuers erstickte die meisten Geräusche. Panisch suchten die Jungen in jedem Raum.

Robin entdeckte die verängstigten Kinder schließlich, versteckt hinter einer Truhe.

Als sie endlich, jeder mit einem der Kinder auf dem Arm, die brennende Hütte verließen hatte sich schon eine Menschentraube vor dem Hof versammelt.

Marianna nahm die beiden weinenden Kleinkinder entgegen und Lias und Robin griffen sofort erneut nach den Eimern, um Wasser vom Fluss zu holen.

„Helft uns!“, forderte Lias die glotzende Menge auf, doch nur wenige Menschen folgten seinem Aufruf.

Jakob, Michael, Sylvester und Julian taten ihr Bestes, doch jeder Eimer Wasser war wie ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Lias musste mitansehen, wie der Hof seines Vaters bald komplett in Flammen stand.

Erschöpft sank er auf die Knie. Tränen standen in seinen Augen und rollten über die rußverschmierten Wangen.

„Es war klar, dass es so kommen musste.“

Wütend fuhr der junge Mann herum und blitzte den Sprecher böse an.

„Was redest du da? Warum helft ihr uns nicht?“

Eine weitere gehässige Stimme war aus der Meute zu vernehmen.

„Marvin war ein guter Mann, aber du … sowas wie euch, wollen wir hier nicht haben!“

Zornig sprang Lias auf die Beine.

„Was willst du damit sagen? Habt ihr das Feuer gelegt?“

Robin und Julian mussten Lias zurückhalten. Doch aus der gaffenden Menge war nur trockenes Lachen zu vernehmen.

„Der Hof war alles, was wir hatten!“, brüllte Lias.

„Dann gibt es ja jetzt nichts mehr, was euch hier hält“, kam es kalt zurück.

Schließlich griff Michael, der Dorfvorsteher ein und stellte sich zwischen die Menschenmenge und Lias, der nur mühsam von Robin und Julian gehalten werden konnte.

„Schluss jetzt. Geht nach Hause.“

Nur langsam zerstreute sich die Menge und Lias sackte in sich zusammen. Robin sank mit ihm auf die Knie und hielt seinen Freund fest. Erneut.

Michael sah traurig auf die jungen Männer herab.

„Es tut mir leid, Lias.“ Seine Stimme war fast nur ein Flüstern.

Dann wandte auch er sich ab und ging.

Robin spürte eine starke Hand an seiner Schulter und als er aufsah, traf er den mürrischen Blick des Schmiedes.

„Wenn ihr Hilfe braucht, weißt du, wo du sie findest.“ Dann warf Jakob erneut einen Blick auf den brennenden Hof, nickte den Jungen dann zu, und kehrte ebenfalls zu seiner Schmiede zurück. Es gab hier nichts mehr zu tun.

Zurück blieben nur Julian und Marianna, an die sich immer noch beide Kinder klammerten, sowie der alte Sylvester.

Mühsam rappelte Lias sich auf, gestützt von Robin, den Blick nach wie vor auf sein Zuhause gerichtet, welches gerade dabei war, in sich zusammenzufallen.

Zögerlich trat nun Julian an Lias heran.

„Lias, was … was sollen wir jetzt tun?“

„Ich … der Hof war alles was wir hatten. Ich kann euch nichts mehr bieten, Julian.“

Der Knecht nickte traurig.

„Ja, geht uns ja nicht anders.“ Er warf seiner Schwester Marianna einen resignierten Blick zu.

„Marvin war immer gut zu uns. Also falls du unsere Hilfe brauchst, bitte zögere nicht.“

„Soll ich den Jungen mitnehmen?“, fragte Marianna. „Ich könnte …“

„Nein! Nein … danke, aber Marlon gehört zu mir.“ Lias breitete seine Arme aus und der kleine Junge stürzte sich sofort in die Arme seines Bruders.

Marianna strich sanft über den Haarschopf ihrer Tochter. „Ja ich weiß, ich dachte nur, er wäre vielleicht sicherer …“

„Willst du damit sagen, dass ich nicht auf meinen Bruder aufpassen kann? Dass er bei mir nicht sicher ist?“ Zorn blitzte in den dunklen Augen auf. Aber Marianna hob sofort beschwichtigend die Hände. „Nein, nein natürlich nicht.“

Lias drückte Marlon an sich. Er spürte das kleine Herz durch den Stoff rasen.

Er seufzte. „Ich, Marianna ... tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe. Danke für dein Angebot. Aber wir, wir kommen schon klar!“

Sie nickte gutmütig.

Zusammen machten Julian und Marianna sich nun ebenfalls auf den Weg, um einen neuen vorübergehenden Schlafplatz zu finden.

„Kommt ihr drei!“, forderte nun Sylvester, der als letzter übrig geblieben war, die Jungen auf.

„Ihr kommt jetzt erstmal mit zu Martha und mir.“

Lias strich Marlon gedankenverloren durchs Haar. Sein Blick wirkte leer und er starrte auf die kahle Holzwand vor sich, während er seinen kleinen Bruder in den Schlaf wiegte.

„Er hat das nicht verdient“, flüsterte Robin und drehte den Becher in seiner Hand, während er seinen Freund beobachtete.

Sylvester zog sich einen Schemel heran und ließ sich gegenüber von Robin nieder. Er seufzte.

„Nein. Das habt ihr beide nicht.“

„Marvin hat das vorausgesehen. Er wusste, dass so etwas passieren würde.“

Sylvester nickte.

„Aber geschehen ist geschehen. Wie geht es weiter, Robin.“

Der Junge löste seinen Blick von Lias und sah den alten Mann direkt an.

„Ich, naja … ich könnte weiter bei Jakob arbeiten. Dann hätten wir zumindest ein kleines Einkommen. Julian konnte zumindest einen Teil der Tiere retten. Die Vorräte und der Karren sind, glaube ich, verbrannt. Aber ohne Mittel und Unterstützung, die wir im Dorf wohl eher weniger bekommen, glaube ich nicht, dass wir den Hof wieder aufbauen können.“ Er sah wieder zu Lias hinüber. „Aber aufgeben wird er nicht. Das würde er niemals!“

„Ich verstehe es nicht Robin, wirklich nicht.“

Robin kaute zerknirscht auf seiner Unterlippe. Verstehen konnte er es auch nicht.

„Ich … wir haben doch niemandem etwas getan. Aber diese … diese Brandstifter haben ja nicht nur meinen und deinen Tod in Kauf genommen. Sie haben auch das Leben von Julian, Marianna und Marlon und Elisabeth aufs Spiel gesetzt. Wie kann man so sein? Ich versteh es einfach nicht.“

Lias knibbelte missmutig am Holztisch. Robin musste leider feststellen, dass sich Lias schon ziemlich lange mit diesen Gedanken beschäftigte anstatt sich mit konstruktiven Lösungen für ihre momentane Situation auseinanderzusetzen.

„Diese miese Ratte! Das tut er nicht wirklich?“

Robin und Lias wurden hellhörig, als sich, wie an so vielen Abenden, einige Männer des Dorfes bei Sylvester einfanden und mal wieder eine hitzige Diskussion entbrannte.

„Doch, er bedroht die umliegenden Bauern und knöpft ihnen Vorräte und Geld ab.“

„Das kann ich bestätigen. Ich weiß es von meinem eigenen Cousin. Bei ihm waren sie schon.“

„Er nennt es Schutzgeld, aber das ist es nicht …“

Lias stand auf und ging zu der Gruppe hinüber. Robin folgte zögernd.

„Von wem sprecht ihr?“

Die Männer fuhren herum und starrten die beiden Jungen einen Moment an.

„Es geht um Luca“, erklärte Sylvester müde.

Lias wusste, dass dieser indirekt für den Tod seines Vaters verantwortlich war. Aber auch das, was er gerade gehört hatte, wühlte ihn innerlich auf.

„Und das lasst ihr euch gefallen?“

„Lias …“ Robin griff seinen Freund sanft an der Schulter und wollte ihn zurückziehen, doch Lias stand wie ein Fels und rührte sich kein Stück.

„Was mischst du dich in Sachen ein, von denen du nichts verstehst, Bursche“, fuhr ihn einer der Männer an.

„Mein Vater ist tot, genauso wie Leander. Das reicht mir, um zu verstehen, dass man dagegen etwas unternehmen sollte.“

Die Männer schwiegen, manche sahen betreten zu Boden oder räusperten sich.

Ein grimmiges, wenn auch kein feindseliges Lächeln umspielte Jakobs Lippen.

„Und was willst du dagegen unternehmen, Junge?“

„Auf jeden Fall nicht nur rumsitzen, reden und darauf warten, dass noch weitere Menschen sterben.“

Die Männer sahen einander unschlüssig an.

„Wenn wir nichts tun, wird er immer dreister werden, weil er denkt, dass er machen kann, was er will!“, sprach Lias weiter.

„Dann geh doch und stell dich ihm in den Weg, wenn du dich traust!“, murrte einer der Männer.

Sylvester schob sich zwischen Lias und den Sprecher.

„Das kommt gar nicht in Frage!“

„Warum, er ist doch alt genug. Lass ihn machen …“ Ein anderer Dorfbewohner lehnte sich mit abschätzigem Gesichtsausdruck und verschränkten Armen zurück.

„Das sagst du nur, weil es nicht dein Sohn ist“, gab Jakob zurück.

„Mein Sohn käme auch nicht auf solche bescheuerten Ideen und … und … seht ihn euch doch an?!“ Der Mann war zornig aufgesprungen und wedelte mit ausgestreckter Hand vor Lias auf und ab, als wolle er den anderen den jungen Mann präsentieren.

„Was soll man von so einem schon erwarten. Soll er doch gehen, dann haben wir hier auch gleich ein Problem weniger!“

Sofort sprangen einige Männer auf, die sich zwischen Lias und den wütenden Mann stellten und lauthals für die eine oder andere Seite argumentierten.

Robin stellte beruhigt fest, dass es neben Jakob, Sylvester und Michael auch noch andere Männer gab, die Lias verteidigten, aber auch auf der anderen Seite waren viele Dorfbewohner aufgestanden.

Mit einem lauten Knall schlug Sylvesters Gehstock auf den hölzernen Tisch und schlagartig verstummte der laute Streit.

„Schluss jetzt!“, befahl Sylvester mit fester Stimme.

„Wer nur hergekommen ist, um Lias zu beleidigen, der darf mein Haus jetzt gern verlassen.“

Tatsächlich gab es einige Männer, die der Aufforderung nur zu gern nachkamen.

Der Rest ließ sich nach und nach wieder auf den verschiedenen Sitzgelegenheiten nieder.

Erschöpft sank auch der alte Schmied wieder auf einen Schemel, bevor er sich an Lias wendete.

„Aber mal im Ernst Junge. Sich Luca offen entgegenzustellen, dürfte derzeit reiner Selbstmord sein.“

Lias schob entschlossen das Kinn vor.

„Wer sagt denn was von ‚offen‘?!“

Marlon lag schnarchend in Lias Rücken, während Lias seinem Freund zugewandt lag und die Konturen dessen Gesichtes mit dem Finger nachfuhr.

„Du kannst kämpfen, oder nicht?“

Robin zog eine Augenbraue hoch.

„Naja, mit dem Bogen kann ich umgehen, das weißt du. Mit dem Schwert … ein wenig. Jakob hat …“

„Dann musst du es mir beibringen!“

„Lias …“

„Oder ich frage Jakob selbst.“

Robin seufzte.

„Generell wäre das sicherlich sowieso die besser Wahl, aber bist du dir sicher, dass es das ist was du willst?“

Lias Finger wanderte über Robins Lippen.

„Ich habe nur noch wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen.“

„Das klingt wirklich ein bisschen nach Selbstmordkommando.“

„Ist aber gar nicht so gemeint.“

Lias ersetzte kurz den Finger durch seine Lippen.

„Ich möchte in Zukunft friedlich leben können, mit dir. Das kann ich hier nicht und solange Luca sein Unwesen treibt, kann das wahrscheinlich keiner. Also …“

„Also kämpfen wir?“

„Also kämpfen wir!“

Lias holte tief Luft.

„Bist du dabei?“

Robin lächelte.

„Immer!“

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