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NetEscape
Teil 6
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Informationen
- Story: NetEscape
- Autor: Thomas
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Coming Out, Lovestory
Am Freitag war dann der große Tag, Richie hatte Geburtstag. Ich hatte echt keine Ahnung, was ich ihm schenken sollte, aber er wollte auch den Grill anwerfen und da wärs ja vielleicht ne ganz gute Idee, den Garten ein bißchen aufzuräumen. War zwar bestimmt nicht das schönste Geschenk, aber ich glaub, er hat sich trotzdem ein bißchen gefreut, jedenfalls bin ich dann nach dem Frühstück los und hab mir den ganzen Kram zusammengesucht und dann ging's los, Rasen mähen, Kanten abstechen, zwischen den Büschen so 'n bißchen harken und Unkraut rausreißen ... hm, obwohl ich nicht so ganz sicher war, ob alles, was ich da rausholte, wirklich Unkraut war, aber wenn 'n paar Blumen oder sowas dazwischen waren, hat's jedenfalls keiner gemerkt. Okay, vielleicht Rinty, aber der hat's nicht weitererzählt. Als ich vor dem Mittagessen unter die Dusche ging, hab ich jedenfalls ganz fest gehofft, daß meine neue Familie nicht so 'n großen Garten hat, das war echt Arbeit. Nach dem Essen bin ich dann noch Nick fragen gegangen, ob er nicht so 'n paar Lichter besorgen kann, die wir an die Bäume hängen könnte und dann ging ich ins Wohnzimmer. Lag vielleicht auch 'n bißchen an der Hitze oder das ich beim Essen ganz gut zugeschlagen hatte, jedenfalls sah das Sofa verdammt gemütlich aus, naja, für 'n paar Minuten die Augen zumachen konnt' ja wirklich nicht schaden.
»David, kommst du? Kaffee ist fertig!«
Mmh, also, an den Service könnt' ich mich gewöhnen. Ich weiß auch nicht, es ist schon verrückt, aber wenn jeder so 'n bißchen was tut, dann geht sowas ganz von alleine und irgendwer machte immer Kaffee oder räumte die Spülmaschine ein oder ...
»David? Möchtest du den Kaffee lieber am Sofa?«
»Damit ihr die Plätzchen ohne mich essen könnt? Vergiß es, ich komme!«
Das war auch so 'ne Sache, hier gab's nie einfach nur Kaffee, irgendwas stand da immer noch rum und irgendwoher kamen auch immer so 'n paar Blumen und das war dann gleich viel gemütlicher. Ich trabte also in die Küche und dann lief ich vor die Wand ... ich hab echt gedacht, ich würd' wieder durchdrehen oder so ... weil ... also da saß Schröder. _Der_ Schröder. Und er grinste mich an und krallte sich so 'n Plätzchen
»Hi, Blondie. Hätte mir ja denken könne, dass du irgendwo rumliegst und pennst.«
»Ich ... sie ... das ... also ...«
»Ich will ja gar nicht so tun, als ob ich Deutschlehrer wäre, aber wenn ich dich trotzdem an das erste Schuljahr erinnern darf: Sprich in ganzen Sätzen, Subjekt, Verb, Objekt sind da meistens eine ganz gute Idee. Kann ich noch einen Kaffee haben?«
Also, wenn ich's bis dahin nicht geglaubt hatte, jetzt wußte ich es ganz genau - das war Schröder. Und ich wußt' einfach nicht, was ich machen sollte, ich hatte mir ja ziemlich viel Mühe gegeben, nich' mehr an Zuhause zu denken und jetzt saß da Schröder ... aber dann machte ich das, was richtig war und als ich ihn umarmte, da tat das unheimlich gut. Er klapste mit so 'n bißchen auf den Rücken und wußte natürlich nicht, wo er sich hintun sollte - Schröder eben.
»Wie sind Sie hier hin gekommen, ich mein, woher wußten Sie, daß ich hier bin?«
Er grinste.
»Gar nicht. Als ich heute morgen zum Einkaufen gegangen bin, sprach mich Herr Westermann, also Roland, an. Er hat mich gefragt, warum ich dich eigentlich so intensiv suche und wir haben uns etwas unterhalten. Er wußte schon sehr, sehr viel über mich ...«
Roland unterbrach ihn.
»Tut mir leid, es war notwendig, möglichst viel Informationen zu sammeln. Du hast ja wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und damit war klar, daß dir was an David liegt. Wir sind natürlich immer an Leuten interessiert, die sich für Jugendliche einsetzen und da bist du uns natürlich aufgefallen.«
Schröder wurd' echt 'n bißchen rot.
»Äh ... ja, jedenfalls hat er mich dann gefragt, was ich von einer Gruppe halten würde, die Jugendlichen wie dir, David, hilft. Hörte sich ganz interessant an und dann wollte ich unbedingt den Wahnsinnigen kennenlernen, der dich in sein Haus lässt, also bin ich mitgefahren. Tja, und hier bin ich.«
Er nu' wieder. Als ob jeder mit 'nem wildfremden Typen halb durch Deutschland fahren würde, nur um mich zu finden. Ich wußt' echt nicht, was ich sagen sollte, aber freute mich unheimlich und es war auch irgendwie ein tolles Gefühl. Schröder erzählte ein bißchen, was inzwischen alles so passiert war.
» ... tja, und nachdem deine Eltern wohl ... vergessen hatten, dich bei der Polizei als vermißt zu melden ...«
Hm, und wer war dann zur Polizei gegangen? Wahrscheinlich Schröder.
» ... hatten sie sehr großen Ärger mit der Kripo. Die hatten nämlich das blutige Bettzeug gefunden...«
Stimmt, das hatte ich ja nur in die Ecke geworfen, als ich aus dem Krankenhaus wiederkam.
» ... und hatten den Verdacht, daß dein Stiefvater dich vielleicht ... beseitigt hätte. Dafür gibt es aber keine Beweise, leider ja auch nicht für die Mißhandlung. Ich fürchte, dein Stiefvater ist ein freier Mann ... es sei denn, du kommst zurück und machst deine Aussage.«
Ich krallte mir erstmal die Kaffeekanne und ich merkte, wie mich alle anguckten.
»Und dann, Herr Schröder? Meine Mutter wird sagen, daß er mich nie geschlagen hat und das ich mit 'nem Messer auf ihn losgegangen bin. Wenn ich Schwein hab, geh ich ins Heim und wenn nich' ... naja. Nee, das will ich nicht. Wissen sie, ich weiß jetzt, daß es Leute gibt, die sich freuen, wenn ich ins Zimmer komme, ich war sogar mal bei einer Familie, die mich gern aufgenommen hätte und es gibt eine Familie, die sich auf mich freut und auf mich wartet ... zum ersten Mal im Leben. Nee, das laß ich mir nicht von dem Arsch kaputtmachen.«
So richtig klargekriegt hatte ich das auch erst, als ich es gesagt hatte ... Schröder nickte langsam.
»Du scheinst ja viele interessante Dinge erlebt zu haben. David, versteh das bitte nicht falsch, ich würde mich sehr freuen, wenn du mir ein bißchen mehr erzählen würdest. Roland hat mir nur gesagt, daß es dir gut geht, es ist natürlich deine Entscheidung.«
Ich guckte Rip an.
»Darf ich?«
Rip guckte Roland an und der nickte.
»Ja, du kannst ihm alles erzählen. Aber vielleicht setzt ihr euch besser in den Garten, daß wird ja wohl länger dauern.«
Rip lächelte.
»Das ist eine gute Idee, David hat den ganzen Vormittag mit Gartenarbeit verbracht und er hat das sehr gut gemacht.«
Hm, wenn er meinte, jedenfalls krallten wir uns noch 'n bißchen Kaffee und setzten uns dann unter die Bäume.
»Blondie, geht es dir hier wirklich gut?«
»Es ist mir noch nie im Leben besser gegangen. Aber eigentlich ist das hier nur für 'n paar Wochen, dann fahr ich nach England und dann nach Amerika.«
Passiert ja nicht so oft, daß Schröder den Mund nicht mehr zukriegt und ich mußte einfach grinsen. Und dann hab ich alles erzählt, von meiner Mutter und von Julian und Rick und von der Gruppe und Rip und England ...
»Moment, ich muß ihnen noch was zeigen!«
Ich düste eben ins Haus und holte das Bild.
»Hier, das ist meine neue Familie!«
Schröder guckte lange auf das Bild und dann nickte er langsam.
»Ich weiß, daß so ein Foto nicht viel sagt, aber ich habe ein gutes Gefühl, scheinen nette Leute zu sein.«
Er gab mir das Bild wieder.
»Und dann? Was hast du vor? Studieren, Heiraten, Kinder und so weiter? Oder ...«
Er grinste.
» ... wirst du Musiker? Oder Schauspieler? Dir steht die Welt jetzt offen, es liegt an dir.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Ich ... ich weiß noch gar nicht, was ich eigentlich gern machen will ... oder was ich gut kann. Ich hab doch eigentlich immer nur ... naja ... irgendwie ...«
Schröder nickte.
»Irgendwie warst du immer damit beschäftigt, über die Runden zu kommen. Ich glaube, du wirst noch viele neue Dinge an dir entdecken. Aber jetzt hast du die Chance dazu. Eines ist aber doch schade, ich hätte gern gesehen, wie du dich entwickelst.«
Ich grinste.
»Wieso? Sie haben doch gesagt, ich wär 'n mieser Schüler?«
»Wenn ich das gesagt habe, wird es wohl stimmen. Aber du hast in der letzten Zeit etwas viel wichtigeres, als Mathematik gelernt ... und ich auch.«
Ist schon komisch, war kein Problem gewesen, Schröder zu sagen, was mir so passiert war, aber jetzt, wo Schröder was erzählen wollte, wurd' ich doch 'n bißchen nervös.
» Was ... was meinen sie?«
Schröder kratzte sich am Kopf.
»Als du in der Klinik warst, da habe ich mich gefragt, warum ich nicht eher eingegriffen habe. Ich konnte mir ungefähr denken, was bei dir zu Hause los war und ich habe trotzdem nichts unternommen. Als du dann plötzlich verschwunden warst, da war das auch meine Schuld und ...«
»Äh, Moment, also das ...«
»Laß mich bitte ausreden. Also, da war das auch meine Schuld und ich hatte unheimlich viel Angst, daß du vielleicht für immer einfach weg bist. Ich hab mir dann geschworen, daß mir so etwas nie wieder passiert und einfach versucht, dich zu finden. David ...«
Er guckte mich ganz fest an.
» ... ich werde nicht mehr weggucken. Nie wieder. Ich wollte dir das nur sagen. Ich habe etwas gelernt.«
Tja, und nu'? Naja, wenn's für Schröder wichtig war, mir das zu erzählen, okay. Aber er hatte natürlich mal wieder vergessen zu sagen, daß er da gewesen war, als ich ihn brauchte. Aber dann guckte ich mal auf die Uhr.
»Okay, mögen sie lieber Würstchen oder Fleisch?«
»Wieso?«
»Naja, Richie will doch grillen! Deshalb hab ich doch den Garten saubergemacht, weil ich kein Geschenk hatte.«
»Was?«
Himmel, Schöder war doch sonst nicht so schwer von Begriff.
»Richie hat heute Geburtstag und da grillen wir. Und weil ich ja schlecht einkaufen gehen konnt', hab ich halt so 'n bißchen den Garten vorbereitet.«
»Ja, aber was soll ich denn auf einer Geburtstagsfeier, ich kenne ihn doch gar nicht und ein Geschenk habe ich auch nicht und vielleicht fährt mich noch jemand zum Bahnhof, da geht bestimmt noch ein Zug und ...«
Ich hatte gar nichts gesagt, aber ich glaub' er kriegte selber mit, was er da für einen Schwachsinn redete. Für 'n Lehrer 'ne tolle Leistung.
Es wurd' dann auch wirklich schön und als Janosch mitkriegte, das Schröder mich 'Blondie' nannte, wusste ich, dass ich jetzt wieder meinen alten Namen hatte. Schröder hatte sowieso 'ne Menge Spaß und später ... also ziemlich viel später, hat er dann sogar angefangen zu singen. Rinty ist dann freiwillig und rückwärts in seine Hütte gegangen. Davor hab ich dann noch Markus kennengelernt, das war der Sohn von Roland und ich hab Jason das letzte Würstchen weggefressen - er hat mich dann mit der Ketchupflasche in der Hand ein paar Mal durch den Garten gehetzt und natürlich rannte Rinty bellend hinter uns beiden her und irgendwann konnten wir vor lachen nicht mehr laufen ... wir hatten einfach Spaß.
Schröder pennte bei Roland und fuhr am nächsten morgen wieder nach Bochum und deshalb hatten wir uns schon am Abend verabschiedet. Der Samstag ging mit lange schlafen und aufräumen drauf und am Sonntag sprang ich dann doch mal in Rips Pool, genau, zusammen mit Nick, wir hatten das ja schon lange mal vor.
Tja, und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Es war wieder ein Montag und ich saß wieder in Rip's Zahnarztstuhl, aber diesmal hatte ich keine Angst. Rip mußte mir nur so 'n komischen Ding in den Mund schieben, da war sowas wie Kaugummi dran und da mußte ich dann draufbeißen und durfte nicht reden - wär' sowieso schwierig gewesen, mit dem Ding im Mund und war froh, als es wieder raus war.
»Gut, in ein paar Tagen hast du deine Vorderzähne wieder. Ach ja, das wollte ich dir noch sagen, Roland hat angerufen, er bringt deinen Paß heute nachmittag vorbei und damit ...«
Er holte tief Luft.
» ... ist es für dich an der Zeit, weiter zu gehen. David ... hast du mal daran gedacht, hier zu bleiben? Bei uns? Der Papierkram wäre kein Problem und ...«
Ich weiß nicht, was er noch gesagt hat. In meinem Kopf drehte sich alles. Hier bleiben ... bei Rip und Nick und den anderen. Morgens in die Schule gehen und dann gerne nach Hause kommen. Einen Vater haben, der mich lieb hatte. Freunde finden. Und dann fiel mir das Foto von der neuen Familie wieder ein. Die hatten so ausgesehen, als ob sie sich wirklich auf mich freuen würden. Und in Deutschland ... irgendwie wollte ich da nicht mehr leben. Ich hätte genausogut sterben können, vor ein paar Wochen, als ich nicht wußte, ob's nicht besser wär', einfach aus dem Fenster zu springen. Ich glaub', ich wollte einfach neu anfangen, ganz neu.
»Rip ... das hier, ich mein, so zu leben, das wär' mein Traum gewesen. Aber ich kann das nicht mehr, nicht hier in Deutschland. Wenn mein neuer Vater nur halb so gut ist, wie du, dann ... dann ...«
Weiter ging's nicht, ich hab ihn einfach nur umarmt und geweint und ich glaub', er hat's verstanden.
So gegen fünf bellte Rinty und Rip rief mich ins Büro. Roland gab mir die Hand.
»Hallo David. Na, bereit für den großen Augenblick?«
»Ja, klar. Jetzt ist doch ...«
Ich grinste.
» ... der Moment, in dem ich Amerikaner werden.«
»Nicht ganz. Vor ungefähr einer Woche haben die Vereinigten Staaten Zuwachs bekommen, da tauchte ein gewisser David Masters in den Computern auf. Übrigens, nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Deine neue Familie wohnt in einer ländlichen Gegend und da haben wir deinen Geburtstag etwas vorgezogen, damit du schon Auto fahren darfst.«
»Hey, klasse! Ob die mich wohl auch mal fahren lassen?«
Rip lächelte.
»Das will ich doch schwer hoffen. Tut mir leid, daß wir dich wegen des Datums nicht gefragt haben, aber es sollte ein Überraschung sein. Schau mal in deinen Paß!«
Tat ich dann auch ... tja, da stand es wirklich, ich war jetzt David Masters, Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, geboren am ... 4. Juli! Ich schluckte doch mal ganz heftig, klar hatte ich Independence Day gesehen und seitdem wußte ich auch, was 4. Juli bedeutet. Und jetzt war mein Geburtstag auch mein eigener Unabhängigkeitstag, das paßte wirklich.
»Danke! Das ist wirklich 'ne tolle Idee!«
»Haben wir uns auch gedacht. Rip hat gleich noch was für dich, aber erstmal kommt die Arbeit.«
Er schob mir einen Haufen Papier rüber.
»Da sind alles Unterlagen, die du vielleicht irgendwann brauchen könntest, Geburtsurkunden, Sozialversicherungsnummern, Schulunterlagen und noch vieles andere. Und das hier ...«
Roland gab mir so einen roten Schnellhefter.
»... lernst du bitte auswendig.«
»Was? Den ganzen Kram?«
»Tut mir leid, aber da kommst du nicht drumrum. Das ist deine Familiengeschichte, also das, woran du dich sicher erinnern würdest, wenn du als David Masters aufgewachsen wärst. Geburtstage und Namen deiner Eltern - übrigens auch Fotos -, eure Urlaubsfahrten, deine Verwandtschaft usw. Wir haben dafür gesorgt, daß die Geschichte wirklich sauber ist, du kannst jeden einzelnen Punkt auch einem Staatsanwalt erzählen, du bist auf der sicheren Seite. So, und damit dein Unabhängigkeitstag nicht nur in deinem Paß steht, hat Rip noch etwas für dich.«
Der machte sich erstmal 'ne Kippe an.
»David, deine Eltern waren sehr umsichtige Leute. Sie haben dafür gesorgt, daß du nicht mittellos dastehst, wenn etwas passiert, deshalb haben sie bei deiner Geburt Lebensversicherungen abgeschlossen, die auf dich ausgeschrieben sind und zur Auszahlung kommen, wenn beide Eltern tot sind - was ja jetzt der Fall ist. Das Geld liegt auf einem Treuhandkonto der Bank of Michigan und du kannst darüber verfügen, sobald du 18 bist. Hier ist der aktuelle Kontostand.«
Er gab mir 'n Stück Papier ... mein Englisch war noch nicht gut genug, um alles zu verstehen, was da stand, aber die Zahlen konnt' ich lesen ... und die Zahlen waren verdammt hoch.
»Nein. Das ist viel zu viel, daß kann ich nicht annehmen ... und ich brauch' doch gar nicht so viel Geld. Ich werd' mir einfach einen Job besorgen und ...«
Rip und Roland redeten gleichzeitig und sie sagten sogar das gleiche.
»Vergiß es!«
Wir mußten alle mal kurz grinsen, dann machte Rip weiter
»Du gehst auf jeden Fall weiter zur Schule und bemühst dich um eine gute Ausbildung. Die ist in den Staaten aber nicht ganz billig ... David, ich weiß nicht, ob deine neue Familie viel Geld hat, aber mit dem Konto kannst du dir ein gutes Studium leisten und darum geht es uns. Hey, wir können dir nur einen guten Start verschaffen, laufen mußt du schon selbst. Was mich zu einem anderen Punkt bringt, ich habe Nick gebeten, in den nächsten Tagen mit dir einkaufen zu gehen. Du brauchst wirklich noch ein paar Sachen, wenn du nach England gehst.«
Aber zuerst ging's am Dienstag zu Janoschs neuer Wohnung ... sah ziemlich gut aus, alles neu und hell, echt nicht schlecht. Naja, war ja irgendwie klar, dass sie jetzt auch neu anfangen wollten und da war 'ne neue Wohnung schon was feines. Nach dem Kaffee schleppte mich Janosch noch mal in sein Zimmer.
»Sag mal, der Teddy, den du dabei hast, der ist doch von deinem Bruder, oder?«
»Ja. Benni hatte ihn nachts immer mit im Bett.«
»Ich bin ja nicht wirklich dein Bruder, aber irgendwie schon und da hab ich mir gedacht, dass ... na ja, weil wir ja jetzt in eine neue Wohnung ziehen und du ja nach Amerika gehst ... damit du nicht allein bist.«
Und er drückte mir was braunes, kuscheliges in die Hand.
»Das ist Miko. Ich hab ihn immer mit ins Bett genommen, als ich noch klein war und als dann ... das mit meinem Vater anfing, da hab ich ihn wieder mitgenommen, ich dachte ... damit er mich beschützt ... und ich nicht allein bin. Er hat mich nie allein gelassen, egal, wie schlimm es wurde und ... ich möchte, daß er jetzt auf dich aufpasst.«
Der Teddy sah so aus, als hätt' er schon 'ne Menge mitgemacht und ich wollt' gar nicht dran denken, was er so alles gesehen hatte. Und ich wusste ganz genau, dass er jetzt auf mich aufpassen würde und das war ein verdammt gutes Gefühl. Und es war ein verdammt gutes Gefühl, meinen neuen kleinen Bruder ganz fest zu umarmen. Ich glaub, wir wußten beide, dass das hier ein Abschied war. Klar, wir konnten uns Mails schreiben oder telefonieren, aber so ... nah würden wir uns wahrscheinlich nie wieder sein.
Oh Mann, wenn ich gewußt hätte, was Rip gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass ich mit Nick noch 'ein paar Sachen' kaufen sollte ... wir fingen an einzukaufen, als die Geschäfte aufmachten, Mittagessen fiel aus und so gegen drei waren wir fertig ... fix und fertig. Soviel Klamotten hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt, nicht mal, wenn man jede Windel mitzählt. Nick hatte überall mit so 'ner Karte bezahlt und manchmal ist mir fast schlecht geworden, wenn ich den Preis gesehen hab. Ich hatte einen großen Fehler gemacht, ich hatte Nick meine Größen gesagt und immer, wenn ich anfing, mich zu wehren, dann grinste er nur und kaufte einfach noch ein paar Sachen. Zum Glück mußten wir den ganzen Kram nicht schleppen, die Leute aus den Geschäften würden ihn einfach vorbeibringen ... ziemlich praktisch. Naja, ehrlich gesagt hat's ja schon Spaß gemacht, ich mein, wann kann man sich schon mal all das Zeug kaufen, was man immer schon mal haben wollte? Auf der Rückfahrt fiel mir noch was ein.
»Du, Nick, Rip hat mal gesagt, daß du die Familie in England besser kennst, als er. Was sind das eigentlich für Leute?«
Er lächelte.
»Hat Dad dir das nicht gesagt? Ich hab dir doch von Davey erzählt, meinem Freund, der bei dem Unfall mit meiner Mutter gestorben ist. Es ist Daveys Familie. Du gehst nach Scarborough, da bin ich ja aufgewachsen. Als Davey beerdigt wurde, da waren Richie und Jason auch dabei und Richie hat Daveys Familie nach Hamburg eingeladen. Sie waren schon ein paar mal hier, aber das ist jetzt gar nicht so wichtig. Also, da wäre Paul, er arbeitet bei ...«
Also, für 'n Moment war er wirklich ganz weit weg.
» ... bei Scotland Yard.«
Super. 'n Bulle.
»David, mir ist da gerade etwas klar geworden. Das kann eigentlich nur bedeuten, daß Paul auch zu dieser Gruppe gehört. Das ist wirklich verrückt ... aber damit hast du dann auf jeden Fall sehr viel Rückendeckung. Jane ist ... war Daveys Mutter und Tom ist sein kleiner Bruder ... naja, er ist etwas älter als du. Die drei sind wirklich in Ordnung ... und abgesehen davon lernst du ja dann auch meine alte Schule kennen.«
Oops.
»Wieso Schule? So lange bin ich doch gar nicht da.«
»Stimmt, aber du sollst ja englisch lernen und das ist auch eine gute Gelegenheit. Abgesehen davon ...«
Nick grinste über beide Backen.
» ... was meinst du, warum wir so viele weiße Hemden gekauft haben? Sagt dir das Wort 'Schuluniform' etwas?«
»WAS? Nee, echt nicht! So richtig mit Schlips und so?«
Ich hatte das mal im Fernsehen gesehen, sowas war schon 'n bißchen daneben.
»Jepp, wart mal, ich weiß nicht, ob ich das noch zusammen bekomme ...«
Oh, oh, Nick hatte das wohl mal auswendig lernen müssen - und dann ging's los.
» ... Ein Schüler der Winsfield-School trägt ein langärmliges weißes Oberhemd mit der Schulkrawatte, mittel- oder dunkelgraue Hose - keine Jeans -, graue Socken, schwarze Schuhe - keine Sportschuhe -, bei kühler Witterung einen dunkelblauen Pullover mit V-Kragen und dem Schulwappen, sowie während des Unterrichts ein dunkelblaues Sakko mit dem Schulwappen. Sämtliche Kleidungsstücke sind deutlich mit dem Namen des Schülers zu kennzeichnen.«
»Ach du Schande! Ist das 'n Knast oder so?«
»Hey, keine Panik, so groß ist der Unterschied zu deutschen Schulen gar nicht ... obwohl, eigentlich schon. Die Schule fängt später an, aber dafür hast du auch nachmittags Schule und die Hausaufgaben sind nicht sonderlich umfangreich. Das ist in den USA aber auch so ähnlich, also gewöhn dich schon mal dran. Übrigens hat die Schule sehr gute Kurse für alles, was mit Wasser zu tun hat, mich hat das damals nicht so interessiert, aber wenn du segeln lernen willst, kannst du da schon mal reinschnuppern.«
Also, so, wie sich das anhörte, segelten die wahrscheinlich im Frack oder so. Naja, war ja nur für 'n paar Wochen.
Jedenfalls ging das dann alles ziemlich schnell, ich kriegte meine Zähne und fing an, zu packen. Es war verdammt schwer, mich von Rip und Nick und den anderen zu verabschieden. Es war viel zu wenig, einfach nur Danke zu sagen, aber mehr konnt' ich nicht machen. Als wir am Flughafen standen und ich eigentlich gerade gehen wollte, da gab mir Nick noch eine kleine Tüte.
»Hier, damit du uns nicht vergißt!«
Ich lächelte ... ein bißchen traurig.
»Nee, ich vergeß euch bestimmt nicht!«
Naja, gut, Rip hatte sowieso gemeint, daß ich wegen der Zähne ab und zu mal reinschauen sollte, vielleicht konnt' ich ja mal in den Ferien nach LA fahren, aber da mußte ich dann erst meine neue Familie fragen. Ich war schon allein, als ich durch dieses Sicherheitsdingsbums gehen mußte und dann saß ich noch 'n bißchen rum und guckte in die Tüte von Nick. Wow! So 'n Mini-CD-Player und ... hm, 'ne CD, aber sah aus, wie selbstgemacht und auf dem Cover war ein Foto von allen. Und hinten drauf war 'n Foto vom Garten und Rinty. Na, mal sehen, was drauf war ... und dann hörte ich Nick und Richie und Rip und Janosch und wie sie mir alles Gute wünschten, oh Mann, da hatt' ich schon feuchte Augen. Und dann hat Nick nochmal diesen Song von der Rose gesungen und dann kam noch ein Lied und das war so schön, daß es schon wieder weh tat:
Davy's on the road again
Wearin' different clothes again
Davy's turning handouts down
To keep his pockets clean
All his goods are sold again
His word's as good as gold again
Sez if you see Jean now ask her please to pity me
Jean and I we moved along
Since the day - down in the hollow
When the mind went driftin' on
And the feet were soon to follow
Davy's on the road again
Wearin' different clothes again
Davy's turning handouts down
To keep his pockets clean
Sayin' his goodbyes again
Wheels are in his eyes again
Sez if you see Jean now ask her please to pity me
Downtown in the big town
Gonna set you back on your heels
With a mouth full of memories
And a lot of stickers for my windshield
Shut the door
Cut the light
Davy won't be home tonight
You can wait till the dawn rolls in
You won't see our Davy again....
Davy's on the road again
Wearin' different clothes again
Davy's turning handouts down
To keep his pockets clean
Sayin' his goodbyes again
Wheels are in his eyes again
Sez if you see Jean now ask her please to pity me
Downtown in the big town
Gonna set you back on your heels
With a mouth full of memories
And a lot of stickers for my windshield
Shut the door
Cut the light
Davy won't be home tonight
You can wait till the dawn rolls in
You won't see our Davy again
(»Davey's on the road again«, Manfred Mann's Earth Band, 1978)
Oh Scheiße. Aber es stimmte ja, ' Davey's on the road again', ja, und ich hatte so die Schnauze voll davon, ich wollte gern einfach wieder David sein, ein Junge, der morgens zur Schule geht und dann wiederkommt, seine Hausaufgaben macht, sich vielleicht mit ein paar Freunden trifft ... jemand, der weiß, was morgen ist. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, was in ein paar Stunden sein würde ... Ich kriegte grad noch mit, wie da so 'ne Frau kam und sich alle in 'ner Schlange aufstellten, okay, schnell Nase putzen und dann mal los.
Die Startbahn wurde immer schneller und dann rumpelte es ein bißchen und dann waren wir in der Luft. Also, irgendwie hatte ich mir das aufregender vorgestellt, wir waren ja grade oben, da ging's schon wieder runter, da ist Achterbahnfahren spannender. Naja, jedenfalls hatte ich Glück, meine ganzen Koffer brauchte ich in London nicht zu schleppen, das ging irgendwie automatisch und da konnt' ich mir 'n bißchen den Flughafen angucken. Rip hatte mir 'n Haufen englisches Geld gegeben und da gab's so 'ne Art Supermarkt ... sah alles 'n bißchen anders aus, also hielt ich mich lieber an Schokolade. Der Rest war warten, wieder ins Flugzeug und diesmal nach Leeds und da wurd's dann spannend. Ich krallte mir einen von diesen kleinen Wagen und stapelte mein ganzes Zeug da drauf, seit meiner Einkaufstour mit Nick hatte ich so viele Klamotten, Wahnsinn! Okay, nochmal tief Luft holen und dann durch die Tür, Rip hatte den Leuten gesagt, wie ich aussehe und ich stand da für 'n Moment und nichts passierte und keiner kam und ich dacht' schon, daß da irgendwas völlig falsch gelaufen wär', aber dann stand da auf ein Mal so 'n älterer Mann.
»David Masters?«
»Äh ... yes ... sir.«
Himmel, war das peinlich, ich hatt' doch bei Rip so oft Englisch geredet, aber hier war das schwierig. Wenigstens war mir das 'Sir' noch eingefallen. Nick hatte ja schon gesagt, daß der Typ 'n Bulle war und irgendwie merkte man das auch, sogar ziemlich heftig ... hm, so wie der mich anguckte, wußt' ich nicht so genau, ob ich nicht gleich in Handschellen 'n Knast von innen sehen würde.
»Ich bin Paul Williams und das ist meine Frau.«
Dauerte 'n Moment, aber dann hielt er mir doch die Hand hin. Oh Mann, das würd' bestimmt eine rasend tolle Zeit werden. Wenigstens lächelte seine Frau und das war nicht gespielt. Wir fuhren ziemlich lange und die meiste Zeit guckte ich aus dem Fenster. Als wir ankamen ging's erst mal in die Küche und da wurd's dann besser, ich glaub, weil Mrs. Williams da das Sagen hatte.
»Na, was möchtest du, Tee, oder lieber Kaffee?«
»Ich trinke gern Kaffee, danke.«
»Ist sofort fertig.«
Ging auch wirklich schnell, und als ich das Zeug probierte, wußt' ich auch, warum. Nichts gegen Kaffee zum auflösen, aber das Zeug war heftig. Echt heftig.
»Hm, lecker, wirklich ein ausgezeichneter Kaffee, danke. Könnte ich vielleicht ein bißchen Milch dazu haben?«
Kriegte ich ... und einen Kommentar von Mr. Williams.
»Na, ist er dir ein bißchen zu stark? Da gewöhnst du dich schnell dran. Freust du dich denn schon auf die Zeit hier?«
Hm, jetzt sicher nicht mehr, aber das konnt' ich ihm ja schlecht sagen. Naja, ich hatte ja schon beim Kaffee gelogen.
»Ja, natürlich. Und ich wollte auch schon mal Danke sagen, ich freue mich sehr, dass ich ihre Sprache und ihr Land kennen lernen darf.«
Sollte noch mal wer sagen, ich könnt' nicht höflich sein. Wenn das hier so weiter ging, würd' das eher 'n Trainingslager werden ... »Lügen und Bescheißen für Fortgeschrittene« - oh Mann, das hatt' ich mir echt anders vorgestellt. Warum mochte der Typ mich eigentlich nicht? Ich mein, ich hatte doch gar nichts gemacht und wenn er mich nicht wollte, hätt' er mich doch auch nicht nehmen müssen. Scheißladen. Naja, so wie ich Nick verstanden hatte, würd' ich sowieso die meiste Zeit in der Schule sein ... richtig, stimmt ja.
»Entschuldigung, gehe ich morgen schon zur Schule?«
Naja, fragen konnte ich ja mal.
»Nein, morgen hast du noch frei und dann ist sowieso Wochenende, da können wir etwas zusammen unternehmen und am Montag geht es dann los.«
Da konnt' ich gut drauf verzichten, also, auf das zusammen was unternehmen und ich war nicht sonderlich gespannt darauf, was Mr. Williams vorhatte ... so, wie der guckte vielleicht eine Kerkerbesichtigung und danach eine fröhliche Tour über den Friedhof mit Probeliegen. Und dann ging 'ne Tür auf, klar, das konnt' nur dieser Tom sein ... aber ich dacht' im ersten Moment, das wär' Davey. Nick hatte mir das Foto gezeigt und Tom sah genauso aus. Aber ich hatt' auch noch nie gesehen, daß ein Junge mit Pferdeschwanz und weißem Hemd mit Schlips durch die Gegend lief, sah schon echt 'n bißchen komisch aus.
»Hi, ich bin Tom! Schön, daß du da bist!«
Und das hat er ganz ernst gemeint, das konnt' ich sehen.
»Hi, danke! Ich hab für dich auch ganz viele Grüße von Nick und Richie und den anderen mitgebracht!«
Klar war ich aufgestanden und jetzt hielt ich ihm die Hand hin, aber er umarmte mich einfach.
»Komm, ich zeig dir dein Zimmer!«
Und weg war er. Und ich hinterher. Er hat dann nach der Treppe auf mich gewartet und dann sind wir ins Zimmer gegangen.
»Hier, komm rein. Das war Daveys Zimmer und wir benutzen es jetzt als Gästezimmer.«
Hm, war ganz normal eingerichtet, aber da stand 'n Foto auf dem Tisch.
»Ist er das?«
»Ja. Er war ein toller Bruder.«
»Nick hat mir von ihm erzählt. Und ... und er hat ... geweint ...«
Ganz kurz lächelte er nicht mehr und guckte ganz weit weg.
»Ja ... die beiden haben sich wirklich geliebt ... ja, und du gehst in die Staaten?«
»Nach Michigan, das weiß ich schon und ich hab sogar ein Foto von meiner neuen Familie! Willst du mal sehen?«
»Klar!«
Wir mußten wieder runter, weil, da stand mein Rucksack ja noch und da war das Foto drin, zusammen mit den Bildern von Julian und Benni und den Teddys ... die wirklich wichtigen Sache wollt' ich nicht in 'n Koffer tun. Tom nahm das Foto.
»Hey, die sehen aber nett aus. Mom, Dad, guckt mal, das ist Davids neue Familie!«
Die letzten Worte hörte ich nur noch, Tom war schon wieder weg, Himmel, gab's irgendwas, das er nicht schnell machte? Ich ging in die Küche, wo alle sich das Foto anguckten und dann war Tom schon wieder bei mir.
»Komm, ich zeig dir die Gegend!«
Tja, und schon waren wir unterwegs. Klar gab's 'n McDonalds und natürlich war da auch 'ne Burg, ich mein, war ja England, aber eigentlich war das alles gar nicht so anders. Tom machte mit mir so 'ne Art Führung, aber so spannend hab ich alte Häuser noch nie gefunden, die Leute waren viel interessanter. Und da gab's 'ne Menge von, Leute, die Musik machten und Zeug verkauften oder einfach nur rumstanden, hm, alles 'n bißchen ruhiger als Bochum, aber viele Leute lächelten und da hab ich dann beschlossen, Scarborough zu mögen.
»Kannst du eigentlich schwimmen?«
»Ja, klar. Wieso?«
»Wir haben eine Mannschaft in der Schule und da mache ich auch mit. Wir sind nicht die Besten, aber es macht einfach Spaß und wenn du willst, kannst du einfach mitkommen. Ich hab mit dem Coach gesprochen, er hat nichts dagegen.«
»Äh ... das wird 'n bißchen schwierig, weil ... ich kann zwar schwimmen, aber ich war schon lange nicht mehr im Wasser.«
Ich hab einfach nur ganz fest gehofft, daß er von irgendwas anderem weiterredet. Tat er natürlich nicht. Nicht Tom. Wenn er mal eine Idee hat, gibt's glaub ich nichts, was ihn aufhält.
»Hey, das ist doch kein Problem! Absaufen wirst du schon nicht und der Rest ist Training. Du sollst ja nicht um die Meisterschaften schwimmen, einfach nur mitmachen, es ist toll!«
Meinte er. Fand ich aber gar nicht. Und ich war auch 'n bißchen sauer, weil er mich da unbedingt mitnehmen wollte.
»Für dich ist es vielleicht toll. Und was soll ich den Leuten sagen? Unter Wasser fällt's nicht auf und wenn man nicht so genau hinguckt, geht's auch, aber ich kann doch nicht stundenlang schwimmen gehen!«
Tom blieb stehen.
»David ... wovon redest du eigentlich?«
»Von den Narben. Wie soll ich die erklären? Soll ich mir 'n Schild um den Hals hängen, wo draufsteht 'Guckt nicht so blöd, die sind von meinem Stiefvater', oder was?«
»Du hast Narben von deinem Vater?«
»Stiefvater. Ich weiß nicht, wer mein Vater ist. Und, ja, er hat uns ziemlich oft verprügelt. Man sieht nicht mehr so ganz viel, aber sie sind da.«
Tom holte tief Luft.
»Sorry, das wußte ich nicht. Aber ... willst du dich denn den Rest deines Lebens verstecken? Es ist doch nicht deine Schuld und du bist, was du bist. Wenn dich die Jungs fragen, dann sag es ihnen und dann ist es gut.«
»Du bist gut! Ich soll ...«
»Genau. Sag ihnen, was Sache ist und dann hat es sich.«
Na, Tom hatte ja wohl 'n Schuß, oder wie? Was würden die denn über mich denken? Die würden sicher meinen, daß meine Familie völlig im Arsch wär' und das meine Eltern der letzte Dreck wären und ... und ... und das stimmte ja auch. Scheiße. Also, eins hatte ich früher schon gelernt 'Wenn du nicht weglaufen kannst, dann guck ihnen in die Augen'. Na, lustig würd' das bestimmt nicht werden.
»Okay. Ich mach's.«
»Gut. Nimm Montag deine Schwimmsachen mit, dann geht's los. So, und jetzt lächel mal, da kommt Philipp, der ist in deiner Klasse!«
Noch so 'n Sportler. Der Typ joggte auf uns zu, also, ganz ehrlich, orange Socken zu roten Schuhen, das tat weh, okay, für die Schweißflecken auf dem T-Shirt konnte er nichts, war ja wohl Sinn der Sache und dann lächelte er Tom an und dann guckte er mich an und ich guckte ihn an. Und wir guckten uns an. Und die Zeit blieb stehen. Einfach so. Nee, nich' wegen Liebe oder so, also, 'n Friseur hätte im gut getan und die kleine Narbe über dem Auge störte 'n bißchen. Und er hatte so 'ne Stupsnase und 'ne Menge Sommersprossen, aber das war nicht so wichtig. Es war wegen seinen Augen, die hatten schon viel gesehen und ich wußt' sofort, daß er anders war, ist schwer zu erklären, irgendwie sieht man das einfach.
»Hi Philipp, das ist David, er ist für ein paar Wochen bei uns, um Englisch zu lernen.«
War schon komisch, er hielt mir nicht die Hand hin, aber irgendwie war's richtig.
»Hi.«
»Hi.«
Tja. Und das war's dann. Philipp lief weiter und ich ging weiter. Und ... irgendwie war ich jetzt doch neugierig auf die Schule ... na ja, neugierig auf Philipp ...
»Tom?«
»Ja?«
»Warum ... warum mag dein Vater mich nicht?«
Er blieb stehen.
»Oh. Du hast es gemerkt?«
»War ja nicht zu übersehen. Also, was ist los?«
»Das dauert länger. Da hinten ist eine Bank.«
Wir setzen uns hin und ich machte mir eine an.
»Also?«
»Vor ungefähr sechs Monaten war ein anderer Junge hier, Chad. Er kam aus London und hatte ... viele schlimme Sachen erlebt. Dad hat sich mächtig reingehängt, er hat wirklich alles versucht, aber es ging schief ... richtig schief. Nach ein paar Wochen haben sie sich nur angeschrieen, Chad hatte was mit Drogen zu tun und wir haben dann mitgekriegt, dass er wirklich viel von dem Zeug in seinem Zimmer hatte und zum Schluß hat Chad dann unser Auto gestohlen und ist damit abgehauen. Dad würde es nie sagen, aber er war wahnsinnig enttäuscht, ich glaube, es hat ihm sehr weh getan.«
»Und warum hat er mich dann genommen?«
»Wegen Mum. Und auch wegen Rip. Mum hat sehr lange mit ihm gesprochen und Rip sagte, dass du wirklich in Ordnung bist. Sie hat Dad ein bisschen überredet, das stimmt. Gib ihm eine Chance.«
Ach. Ich hatte keine, aber er sollte eine haben. Super.
»Ich hab sowieso keine Wahl und es ist ja nur für ein paar Wochen.«
»David ... warum bist du hier?«
»Wegen Englisch.«
»Nein, ich meine, warum bist du nicht mehr in Deutschland, bei deinen Eltern?«
»Bei meiner Mutter. Naja, ich konnt's mir aussuchen. Mein Stiefvater hätt' mich totgeschlagen, weil ich ihn bei den Bullen verpfiffen hab, ich konnt' aus dem Fenster springen oder ich konnt' abhauen. Da bin ich losgezogen.«
»Scheiße.«
»Ja.«
Das Abendessen war 'n bisschen anstrengend. Ich hatt' mich sogar extra umgezogen und ich war so was von nett und freundlich, dass ich bestimmt schon so 'ne scheiß Schleimspur hinter mir her zog. Dafür redete er sogar 'n bisschen mit mir, aber ich war einfach froh, als es vorbei war. Ich verzog mich in Daveys Zimmer und packte meinen Kram aus ... die beiden Teddys kamen ans Bett und die Bilder tat ich auf den Schreibtisch und da war's schon ein bisschen mehr mein Zimmer. War schon fast schwierig, mein ganzes Zeug in den Schrank zu kriegen, Nick hatte echt eingekauft, wie ein Blöder. Ich wußt' nicht so genau, was ich machen sollte und wollte eigentlich ins Bett gehen, als es kurz klopfte und Mr. Williams reinkam - Scheiße, der hatte mir jetzt wirklich noch gefehlt. Er sagte nichts, sondern guckte nur rum ... und redete immer noch nicht und ging zum Schreibtisch und guckte sich die Bilder an und so langsam wurd' ich sauer. Ich hatte ja noch nich' so viel mit Bullen zu tun gehabt, aber ich hatt' genug Krimis gesehen, das Spiel kannte ich. Eigentlich machen die so was nur bei Leuten, denen sie ans Bein pinkeln wollen. Super. Als er zu den Teddys ging und die Hand ausstreckte, hatt' ich die Schnauze voll.
»Sie können den Schrank durchsuchen oder alles auf den Kopf stellen, aber wenn sie die Teddys anfassen, liegt einer von uns beiden am Boden.«
Ich glaub, ich hab da erst mitgekriegt, wie sauer ich wirklich war.
»Ach, dann könnte es aber sein, dass du ganz gewaltige Prügel beziehst.«
Oops, er war aber auch mächtig stinkig.
»Na und? Hab ich drei Jahre gekriegt, auf einmal mehr kommt's auch nicht mehr an.«
»Was ist mit den Teddys? Was ist da drin?«
Ja, klar, ich würd' da 'n halben Zentner Gewehre drin verstecken. So ein Arsch. Er nahm Miko, den Teddy von Janosch und der Rest ging ganz von alleine. Er ließ mich ins Leere laufen und dann lag ich am Boden und hatte ihn auf dem Rücken.
»Kleiner, ich bin Polizist. Für so was musst du schon mehr bringen.«
Ich knurrte nur noch.
»Nächstes Mal.«
»Es wird kein nächstes Mal geben. Wir klären das hier und jetzt. Sag mir, wo du das Zeug hast, ich werde es dann wegwerfen und wenn du willst, kannst du dann neu anfangen. Also, wo?«
Weil Tom mir das mit diesem Chad erzählt hatte, wußt' ich, dass er Drogen meinte.
»Ich nehm' den Scheiß nicht, was soll das?«
»Das kannst du deiner Oma erzählen. Ich kenne niemanden, der auf der Straße war und keine Drogen nimmt. Also noch mal: Wo hast du das Zeug versteckt?«
Und dann wurd's schlimm. Richtig schlimm. Er suchte überall, zuerst im Zimmer und dann bei mir. Gründlich.
»Okay, das war's.«
»Toll. Sonst noch was? Wollen sie mich nicht einsperren? Oder mich ans Bett fesseln? Oder mir noch 'n paar aufs Maul hauen?«
»Das hat wohl schon jemand anders getan, abgesehen davon schlage ich nur, wenn ich mich wehren muß - so wie eben. Warum sollte ich die Teddys nicht anfassen? Ich war sicher, du hättest irgendwas in den Dingern versteckt.«
»Das können sie nicht verstehen.«
»Woher willst du wissen, was ich verstehe?«
»Ich weiß, dass sie gar nichts verstehen! Ich bin abgehauen, weil mich mein Stiefvater sonst totgeschlagen hätte und sie ziehen hier die gleiche Nummer durch! Super, echt klasse! Was ist das hier? 'n Knast? Okay, ich hab früher geklaut, wenn sie wollen, sperren sie mich ein, schlimmer als hier kann der Knast auch nicht sein!«
»Also, jetzt mach mal halblang. Vielleicht habe ich es ein bisschen übertrieben, aber du kannst doch ...«
Und dann ging's ab. Es klopfte und Mrs. Williams kam rein. Ich hab gehört, wie sie nach Luft geschnappt hat, na ja, die brauchte sie auch, weil, als ich mich wieder rumdrehen konnte, da brannte die Luft. Wow! Schröder hatte mal erzählt, dass er noch gelernt hatte, was man bei einem Angriff mit Atomraketen machen muß. Egal, was es war, hier wär's völlig witzlos gewesen. Mr. Williams war sauer und zum Glück nicht auf mich. Ihre Stimme wackelte 'n bisschen
»Paul! Wir sprechen uns unten!«
Hehe, gründlicher hätte ihn auch 'ne Kugel nicht erwischt.
»David, ich kläre das. Es tut mir leid und ich verspreche dir, so etwas wird nie wieder vorkommen.«
Da war ich verdammt sicher. Ich hatt' ja eigentlich echt nicht vorgehabt, 'n Familienkrach zu bauen, aber ich konnt' den Adler richtig kreisen sehen und ... okay, ja, ich freute mich, weil der Arsch mal so richtig einen mitkriegen würde.
Ungefähr zur gleichen Zeit in Kalamazoo, Michigan/USA
Christopher 'Kit' Anderson
»Was meinst du, streichen oder tapezieren?«
»Dad! Streichen natürlich, er ist doch wohl noch nicht scheintot!«
»Was ja wohl heißt, daß ich schon verwese, oder? Ich hab Tapeten in meinem Büro.«
Ich grinste.
»Naja, es sind die ersten Anzeichen. Aber was hältst du davon, wenn wir den ganzen Mist hier erstmal ausräumen und dann richtig saubermachen?«
Dad seufzte.
»Gut, daß du den Sinn für's Praktische von deiner Mutter geerbt hast. Nimm du das Schränkchen, ich trag die Truhe.«
»Dad! Seh ich aus wie Schwarzenegger?«
Zu spät. Dad geht in völliger Selbstverständlichkeit davon aus, daß jeder seine Muskeln hat ... und ich hätte sie ja auch gern - wie gesagt 'hätte'. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie jemand, der eigentlich nur am Schreibtisch sitzt, soviel Kraft haben kann. Die Truhe, mit der er gerade um die Ecke verschwand, hätte ich bestenfalls zu zweit gehoben und das 'Schränkchen', das ich nehmen sollte, war fast ein ausgewachsener Kleiderschrank. Na gut, da gab es noch genug Gerümpel, das mehr meine Kragenweite hatte. Zum Glück mußten wir das Zeug nicht allzuweit tragen, neben dem Seitenausgang stand der Pick-up, ich hatte wirklich keine Lust, den Müll bis zu Feuerstelle zu schleppen. Trotzdem dauerte es ungefähr anderthalb Stunden, bis das Zimmer leer war, wir hatten das Zimmer als Abstellkammer benutzt und natürlich war es wirklich voll mit Gerümpel.
»Pause!«
Ich schaute auf die Uhr.
»Wohl eher Mittagspause. Pizza?«
»Ja, doppelt Thunfisch, Pepperoni ...«
»Schinken und Ei. Dad, du bist der einzige Mensch auf diesem Planeten, der so eine Mischung essen kann.«
Er zog die Augenbraue hoch.
»Faszinierend. Ich habe nie behauptet, ein Mensch zu sein.«
Oh nein, bitte nicht.
»Dad, komm wieder runter. Das hier ist nicht eines deiner Bücher ...«
Von denen wir lebten.
»... sondern Realität. Und dieser Junge braucht ein vernünftiges Zimmer, also gehe ich die Pizzen bestellen und du fängst schon mal an, den Boden sauber zu machen.«
Hätte ja sein können, daß es funktioniert.
»Stehenbleiben, Erdling! Ich werde das primitive Kommunikationssystem dieses Planeten benutzen, um Nahrung zu beschaffen und du wirst unterdessen die notwendigen Vorbereitungen treffen.«
»Okay, großer außerirdischer Krieger, für mich Artischocken, Spinat und Schinken.«
Wie üblich dauerte es ungefähr eine halbe Stunde, bis die Pizza kam - wir wohnen ein bißchen abseits. Gut, nicht wirklich am Ende der Welt, aber kurz davor und ohne Fahrrad ging gar nichts. Mom hatte gesagt, daß der Junge aus einer Stadt käme und ich war wirklich mal gespannt, ob das klappen würde. Ehrlich gesagt war ich auch ein bißchen beunruhigt, dieser Junge hatte wohl schon so einiges hinter sich und ich hatte wirklich keine Lust darauf, so einen durchgedrehten Chaoten im Haus zu haben. Auf der anderen Seite wollte ich gern einen Bruder ... das wäre wirklich schön. Jemanden, der im nächsten Zimmer wohnte, dem ich ein paar CD's klauen konnte, mit dem ich mich auch mal fetzen konnte ... und mit dem ich reden konnte. Natürlich, Dad war da, aber er war nun mal mein Vater, und wenn ich mal die anderen treffen wollte, mußte er mich fahren oder ich war endlos mit dem Rad unterwegs.
»Kit? Wir machen den Boden nicht sauber. Wir legen einen neuen.«
»Wir? Bedeutet das, du machst mit?«
Dad erzählt immer aller Welt, daß er ein Schreiberling ist, der keine Ahnung von den praktischen Dingen hat - so drückt er sich vor den Reparaturen. In Wirklichkeit kann er sehr wohl mit Werkzeug umgehen, er hat nur keine Lust dazu.
»Natürlich. Heute nachmittag reißen wir den Boden raus, morgen kaufen wir den neuen und legen ihn und übermorgen brauchen wir dann nur noch zu streichen.«
Okay, er kann mit Werkzeug umgehen, aber das bedeutet nicht, daß er der geborene Handwerker ist.
»Dad, es ist bestimmt besser, wenn wir erst streichen und dann den neuen Boden legen.«
»Oh. Gut, daß du den Sinn fürs Praktische ...«
»Von meiner Mutter habe, ich weiß. Dafür hat auch niemand einen besseren Vater als ich!«
Dad grinste.
»Jetzt, wo du es erwähnst - du hast recht. Kit ... tun wir das Richtige?«
Ich wußte genau, was er meinte, wir hatten ja oft genug darüber gesprochen.
»Das wissen wir erst in ein paar Monaten.«
»Wir können immer noch zurück?«
»Ich weiß, aber ... wir sollten es versuchen. Für ihn ... und für uns.«
Scarborough
Das Frühstück war spät und 'ne ruhige Sache, weil ich mit Mrs. Williams alleine war und ich schaffte es sogar, den Kaffee zu trinken ... mit verdammt viel Milch. Dann zog ich los, Mrs. Williams hatte mir gesagt, dass ich besser meinen Ausweis mitnehmen sollte, die Bullen hier sehen das nicht so gern, wenn man nicht in die Schule geht. Naja, ich glaub, ich war wirklich einer der ganz wenigen Leute unter 50, die unterwegs waren, aber nach 'ner Zeit roch ich Kaffee, ich mein richtigen Kaffee. Hm, »The Ancient Mariner« sah gar nicht so alt aus, wär' mir auch egal gewesen, ich ging rein und bestellte 'n großen Kaffee und es kam ... Kaffee, ich mein richtiger. Okay, der Laden hier war wohl eher was für Touristen und die Brühe war schweineteuer, aber ich wußt' genau, dass ich hier öfter sein würde. Es ging mir gleich drei Klassen besser und ich ging weiter Richtung Osten, wenn die Sonne scheint und man den Trick mit der Uhr kennt, ist das kein Problem und natürlich kam ich dann ans Ende von England, ans Meer. Wow. Und noch mal wow. Heute musste wohl mein Glückstag sein, erst Kaffee und jetzt das Meer. War ja eigentlich ganz schön, in der Sonne liegen, das Wasser plätschern hören und ich war froh, mal 'n bisschen Ruhe zu haben. Puh, irgendwie saß ich ja wohl ziemlich in der Scheiße. War ja inzwischen eigentlich nichts Neues mehr, aber ich hatt' eigentlich gehofft, dass das vorbei wäre, na ja, war ja nur für 'n paar Wochen, aber trotzdem. Ich hatte einfach Angst davor, wie das wohl in Amerika sein würde. Ich hatte Angst, dass meine neue Familie vielleicht auch nicht so toll wäre. Bei Rick und Rip war's ja toll gewesen, aber das hier war 'n echter Griff ins Klo ... und das konnte ja wohl auch in den Staaten passieren. Scheiße. Und jetzt? Rip hatte mal gesagt, dass ich nicht immer nur weglaufen konnte ... und er hatte bestimmt recht. Okay, den Leuten in Amerika konnt' ich ja 'ne Chance geben ... aber dann musste ich das ja wohl auch irgendwie durchstehen. Irgendwie. Ist schon komisch, eigentlich hatte ich ja nur Ärger mit Mr. Williams, Tom war, glaub ich, in Ordnung und Mrs. Williams auch. Sollte ich mir nur von dem einen Typen das alles versauen lassen? Nee, sicher nicht, er war nicht mein Vater und er ging ja auch arbeiten, also war er oft weg ... das würd' schon klappen. Irgendwie.
Ich war ziemlich lange am Meer geblieben und das war keine so gute Idee gewesen, mein Nacken brannte 'n bisschen und vielleicht hätte ich doch was mit langen Ärmeln anziehen sollen, war aber jetzt auch egal, ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr rumzuschleimen, brachte nichts und kotzte mich auch an. Wenigstens war Mr. Williams noch nicht da und ich ging ins Wohnzimmer, schließlich wollte ich Mrs. Williams nicht im Weg stehen. Auf Fernsehen hatte ich keine Lust, mal sehen, was sonst noch so rumstand ... Gläser, Fotos, 'n paar Bücher, sahen nicht so aus, wären sie oft gelesen würden ... hey, was war das denn, Kinderbücher? Moment, das kannt' ich doch, Winnie the Pooh hieß das hier. Benni hatte sowas gehabt, natürlich in deutsch. Mann, das hätt' ich ja nicht gedacht, mal sehen, was da drin stand. Ich packte mich auf's Sofa und war ganz schnell mit Winnie auf Reisen, war schon verrückt, für 'n Moment dachte ich, Benni säß neben mir ... und dann war plötzlich das Buch weg.
»Laß diese Bücher in Ruhe, die gehen dich nichts an!«
Toll, Mr. Williams war also wieder da. Das Abendessen war eigentlich nur zwischen Mrs. Williams, Tom und mir, Mr. Williams saß nur dabei und war in Rekordzeit wieder weg - sollte mir recht sein.
»Mrs. Williams, ich hab eben im Wohnzimmer die Winnie Bücher gelesen, aber ihr Mann fand das wohl nicht so toll und ...«
»Ach du liebe Güte, Paul und seine Winnie the Pooh Bücher, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Paul hat sie Davey geschenkt, als er noch klein war. Es gab immer eins zu Weihnachten, Davey hat sie geliebt. Sie standen lange in seinem Zimmer und als Davey dann ... gestorben ist, da hat Paul sie ins Wohnzimmer gebracht. Es sind seine einzigen Erinnerungsstücke, ich wollte sie weggeben, aber er hat es nicht erlaubt.«
Hm, konnt' ich irgendwie verstehen. Ich bin dann zu ihm hingegangen.
»Mr. Williams?«
»Ja?«
»Vielleicht verstehen sie doch, warum ich wegen der Teddys so sauer war.«
»?«
»Ihre Frau hat mir gerade erzählt, warum sie nicht wollen, daß ich die Bücher lese. Einer der Teddys da oben ist von Benni, meinem Bruder. Er ist gestorben. Ich hab nur das Foto und den Teddy. Der andere ist Miko, er ist von Janosch, der hat bei Rip gewohnt, als ich da war. Janosch hat ziemlich schlimme Sachen erlebt und der Teddy war dabei und er hat ihn mir geschenkt, damit er jetzt auf mich aufpaßt.«
»Du meinst, deine Teddys sind so etwas ähnliches wie meine Bücher?«
Er legte die Zeitung weg.
»Hm ... in dem Fall ... wär ich wohl auch sauer geworden.«
Ich glaub, das sollt' sowas wie 'ne Entschuldigung sein. Er war aber noch nicht fertig.
»Du, sag mal, ich bin Polizist und wenn du mir erzählst, daß dieser ... dieser Janosch etwas schlimmes erlebt hat und sein Teddy war dabei ... ist es das, was ich denke?«
Ich schluckte.
»Ja.«
»Gut, daß er bei Rip ist. Hat man den Typen erwischt?«
»Ja, 'n Baum hat ihn gekriegt, endgültig.«
»Ich hoffe, dem Baum ist nichts passiert. David, ich weiß, ich habe einen schlechten Anfang gemacht, aber darf ich dich etwas fragen?«
Ich nickte und ich war auch 'n bißchen gespannt. So langsam wurd' aus dem Bullen 'n Mensch, aber mal abwarten.
»Meine Frau hat mir lang und breit erklärt, was dein Stiefvater mit dir gemacht hat, aber sie hat nicht viel von deinem Bruder erzählt. Du mußt das nicht sagen, aber ... hatte dein Stiefvater etwas damit zu tun?«
»Nee, ausnahmsweise nicht. Also, das war so ...«
Ja, ich weiß, ging eigentlich alles viel zu schnell, ich mein, der Typ hatte mich ja eigentlich echt mies behandelt, aber irgendwie hatte Tom ja schon gesagt, daß ich Mr. Williams 'ne Chance geben sollte. Und ich wollt' ja auch lieber gut mit ihm auskommen, jedenfalls hab ich angefangen, zu erzählen, zuerst mal von mir, ich konnt' nicht so direkt von Benni reden. Er grinste, als ich von Schröder erzählte, aber als er klarkriegte, warum ich eigentlich abhauen mußte, da wurd er dann doch sauer, immerhin nicht auf mich.
»Mist, das darf doch nicht wahr sein, so etwas darf nicht passieren!«
Tja, und dann hab ich ihm von Benni erzählt. Wir haben danach ziemlich lange nur gesessen und nichts gesagt, aber als Mr. Williams in die Küche ging, da hat er mir die Hand auf die Schulter gelegt und da hab ich gewußt, daß wir so 'ne Art neuen Anfang hingekriegt hatten ... und an dem Abend hatte ich mal keine Schwierigkeiten mit einschlafen.
Am nächsten Tag gings dann nachmittags ein Stückchen nach Norden, in die berühmten Moore. Ja, ich weiß, ich kannte sie bis dahin auch nicht, aber es ist ein Nationalpark und die Leute sind ziemlich stolz darauf, und weil Scarborough praktisch direkt um die Ecke liegt, sind wir mal eben hingefahren. Aber bevor wir losgingen, mußten wir uns erstmal alles einreiben, wegen der Mücken und was da sonst noch so rumflog und Blut sehen wollte. Wir haben gestunken wie die Geier, aber es hat echt funktioniert. Ist aber auch egal, ich hab ja nichts gegen Waldspaziergänge, aber ich konnte eigentlich nicht so ganz verstehen, warum wir deswegen ins Moor fahren mußten. 'ne Stunde später wußte ich es. Also am Anfang hatte wir uns unterhalten und Tom hatte so richtig aufgedreht, aber so langsam waren wir alle ruhiger geworden. Wir sind ganz lange gegangen und haben kaum was gesagt und es war wirklich okay. Ist schwierig zu erklären ... es war das Moor, ich glaub' es hätte mich überhaupt nicht gewundert, wenn uns so 'n Dino über 'n Weg gelaufen wäre oder 'n paar von diesen alten Rittern gekommen wären, es hätte echt gepaßt. Es war wie ein ganz anderes Land und es reichte völlig, einfach nur da zu sein, sogar Tom wurd' ganz still und der tobte ja sonst wirklich quer durch den Tag.
Abends wurd's dann wieder normaler ... naja, nicht ganz, weil wir gingen essen. Ja, ich weiß, ich hatte vorher auch schon gehört, daß das englische Essen 'n bißchen seltsam ist. Es ist wirklich lange nicht so schlimm, wie der Kaffee und wenn die mal 'n bißchen Gewürz an's Gemüse tun würden, wäre es fast perfekt. Dafür hatte das Essen echt Stil, wir kriegten erst was zu trinken, dann gingen wir in ein anderes Zimmer, da gabs dann was zu essen und danach gings wieder ins andere Zimmer und da tranken wir dann noch was - das war doch wirklich was anderes, als sich bei McDonalds mit 'nem Tablett durch die Leute zu quetschen. Wir haben nicht so ganz viel gelacht, dafür war das alles viel zu vornehm, aber als wir wieder nach Hause kamen, da war das schon so 'n bißchen wie nach Hause kommen.
Montag morgen. Genau, jetzt gings los. Ich hab zum ersten Mal im Leben mit Schlips und weißem Hemd beim Frühstück gesessen, Tom hatte mir ein paar von diesen Schulklamotten geliehen, weil, der Schlips mußte grün und blau gestreift sein und auf der Jacke war so 'n Aufnäher mit 'nem Pferd und 'nem Steuerrad, wie beim Schiff. Pferde fahren ja eigentlich keine Schiffe, aber was solls. Jedenfalls war's ein blödes Gefühl, weil ich nicht so genau wußte, wie das wohl werden würde. Und es war gar nicht so einfach, den Kaffee unten zu behalten, okay, klar war ich nervös wie ein nasses Handtuch, aber das Zeug war auch wirklich mies. Ich hatte ja mal gelernt, das die Engländer sich in einer Reihe aufstellen und auf den Bus warten, naja, das mit der Reihe ging ja noch, aber als der Bus kam, war Essig mit Reihe und jeder kämpfte sich so durch. Die Schule war so 'n bißchen außerhalb, war aber auch kein Wunder, das war ein riesen Ding und ganz schnell war ich genau in der Mitte vom Chaos und all die anderen sahen ungefähr so aus, wie ich. Tom schlug sich so durch und ich hab nur versucht, irgendwie hinter ihm zu bleiben, kann ja sein, daß Engländer höflich sind, die hier waren jedenfalls genauso wie die Leute an meiner alten Schule. Das wurd' aber ganz schnell anders, als wir im Büro angekommen sind. Da war's ganz leise und ich kriegte erstmal einen ganzen Haufen Papier, alles Zeug, was ich ausfüllen mußte. Gut, daß ich inzwischen meine Geschichte auswendig gelernt hatte, was die alles wissen wollten - puh! Dann hab ich alles abgegeben und wieder warten und dann kam mein Betreuungslehrer oder wie das heißt, jedenfalls war Mr. Clent für mich irgendwie zuständig. Ich hab später mitgekriegt, daß oft Leute aus anderen Ländern zur Winsfield kommen und deshalb gibt es halt so einen Lehrer, der sich um alles mögliche kümmert.
»Mr. David Masters?«
»Ja ... guten Morgen.«
»Guten Morgen, kommst du bitte!«
Natürlich kam ich - in ein kleines Büro.
»Setz dich, du bist ja wirklich ein ganz außergewöhnlicher Fall. Du bist amerikanischer Staatsbürger, warum hast du denn eine Heimatadresse in Deutschland angegeben?«
Dank sei Roland und seiner roten Mappe, in der alle Antworten standen.
»Mein Vater ist ... war Amerikaner, meine Mutter Deutsche und ich bin in Deutschland aufgewachsen. Jetzt, wo meine Eltern tot sind, gehe ich zu Verwandten nach Amerika, die ziehen aber gerade nach Michigan um (okay, natürlich war das gelogen) und die neue Adresse habe ich noch nicht. Mr. Masters in Hamburg ist ein ... Freund der Familie und ich hab' ein paar Wochen bei ihm gewohnt, deshalb die Adresse.«
»Ah, ja, du machst also quasi bei uns eine Zwischenstation?«
»Genau, ich muß ja die Sprache noch besser lernen und weil ich sowieso bei den Williams' wohne ...«
»Ah, ja, gut. Dann wollen wir mal sehen ...«
Und dann hat Mr. Clent mir erklärt, wie das so läuft ... ich hab so ungefähr die Hälfte verstanden und davon wieder die Hälfte behalten und wußte am Ende eigentlich gar nichts mehr.
»Entschuldigung, ich weiß nicht, ob ich mir das alles merken kann.«
»Ah, ja, keine Sorge ...«
Also, dieses 'Ah, ja' ging mir mächtig auf die Nerven.
» ... du bekommst noch einen Begleiter, der dir in den nächsten Tagen hilft.«
Ah, ja, ich dachte, das wär' dieser Mr. Clent.
»Du kannst dich natürlich jederzeit an mich wenden, aber es hat sich als sinnvoll erwiesen, einen Mitschüler zu beauftragen, dir die notwendige Hilfestellung zu geben. In deinem Fall hat sich Mr. Bradly freiwillig gemeldet. Wir ermutigen unsere Schüler dazu, sich zu engagieren und können glücklicherweise auf einen Stamm erfahrener Schüler zurückgreifen. Bei dir allerdings hat Mr. Bradly um diese Aufgabe gebeten. Kennst du ihn?«
Woher denn wohl? Trottel!
»Tut mir leid, ich denke nicht.«
»Ah, ja, nun, wie dem auch sei, ich bin sicher, daß er diese Aufgabe gut erledigen wird ... auch wenn er sich äußerst kurzfristig und wie ich hinzufügen möchte - erstmalig - gemeldet hat. Wir haben noch ein paar Minuten, ich werde dich noch etwas herumführen, dann werden wir Mr. Bradly treffen. Kommst du?«
Und wieder kam ich ... und aus den paar Minuten wurde locker 'ne halbe Stunde und er hat das so hingekriegt, daß wir genau halb elf vor der Klasse waren, in die ich mußte - naja, er machte das ja auch nicht zum ersten Mal. Jedenfalls schellte es und wir gingen rein ... ich hab mich eigentlich nur gewundert, warum die in 'ner Abstellkammer Schule machen. Ich mein, meine alte Schule war ja nu' auch nicht so toll, aber das hier sah aus, wie bei mir unter'm Bett. Die Tafel hatte Löcher und Macken ohne Ende und in die Tische hatte bestimmt schon Kolumbus seinen Namen geritzt. Nee, der war ja Portugiese, also hatte bestimmt schon Richard Löwenherz seinen Namen geritzt. Dafür waren aber auch höchstens 15 Leute da, kein Wunder, mehr paßten da auch nicht rein. Mr. Clent machte das mit dem Vorstellen und dann kriegte ich meinen Platz neben Mr. Bradly. Ich hab das nie verstanden, in der Klasse war ich David und in den Pausen oder nach der Schule hieß ich Mr. Masters. Naja, Schulen sind halt ein bißchen komisch. Jedenfalls hab ich mich dann neben Mr. Bradly hingesetzt und er hat mir wieder nicht die Hand gegeben und wieder war's irgendwie richtig. Hätte ich auch von selbst drauf kommen können, es war Philipp. Und wir konnten immer noch nicht reden, weil Mr. Hancock meint, daß Schüler die Klappe halten sollen, wenn er Mathe macht. Und so 'n bißchen flüstern war nicht, dafür war das Zimmer viel zu klein. War jedenfalls todlangweilig, nach 'n paar Minuten hab ich nichts mehr verstanden und ich war nur froh, daß ich hier keine Arbeiten schreiben mußte. Also, eigentlich bin ich in Mathe gar nicht soo schlecht, aber ich hab die Sprache einfach nicht verstanden, da würd' ich wohl mal Tom fragen müssen, aber erstmal hab ich zwei Stunden rumgesessen. War ja klar, wieder auf diesen scheiß Kindergartenstühlen. Als der Quatsch vorbei war, sagte Pilipp nur »Komm!« und wir sind wie die Blöden durch die halbe Schule gelaufen, war aber ganz gut so, weil, in dieser Cafeteria war's schon ziemlich voll, aber als ich dann mein Essen hatte, war die Schlange noch viel länger. Da gibt's nur lange Tische, aber es war so laut, daß wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Taten wir aber trotzdem nicht, weil ... da war wieder dies komische Gefühl, nee, nicht komisch, irgendwie ... als ob ich ihn schon lange kennen würde und da brauchte man nicht so viel reden.
»Was machst du heute nachmittag?«
»Nich... Schwimmen.«
Mist, das hätte ich fast vergessen.
»Nee, ich meine nach der Schule.«
»Keine Ahnung, hast du ne Idee?«
Er nickte.
»Wenn du willst, kannst du mit laufen.«
Au ja, klasse, durch die Gegend laufen, davon hatte ich ja schon lange geträumt - als Albtraum.
»Klar gern, holst du mich ab?«
Wenn ich gewußt hätte, was ich da sagte ... egal, jedenfalls kam dann das Schwimmen. Philipp hat mich hingebracht und ich wollte mir ein ruhiges Plätzchen in der Umkleidekabine suchen - war wohl nicht, ich hatte die Kabine fast für mich allein, nur Tom und fünf Jungs waren noch da. Ich hab mich dann schnell umgezogen, war komisch, eine von diesen knallengen Badehosen anzuziehen. Tom hat den Jungs dann kurz gesagt, wer ich bin und dann gings los - zu Mr. Alcriss, allerdings sagten alle nur Coach. Der hat dann auch gesagt, daß viele aus dem Team zu 'nem Wettkampf weg waren und das er deshalb jetzt Zeit hätte, mit uns besser zu trainieren. Ich wußte ja nicht, daß wir für Olympia oder so trainierten, weil, wir machten uns erstmal warm, okay, die anderen machten sich warm und ich bin eher heißgelaufen. Die Dusche vorher hätte ich mir auch schenken können, ich bin dann schnell nochmal hin und da hab ich dann das erste Flüstern gehört ... hatte ja lange genug gedauert. Tom nickte mir zu, als ich wiederkam, gut, tief Luft holen.
»Okay, was ist los?«
»Die Jungs wundern sich nur ... wegen den Narben.«
Ich hab sie dann angeguckt, in die Augen meine ich und sie guckten eigentlich nur neugierig, mal sehen, ob das so bleiben würde.
»Meine Mutter hat mit 'nem Typen zusammengelebt, der ziemlich mies war. Der hat mich auch mal so richtig verprügelt und davon sind die Narben.«
Chris nickte.
»Und macht der das immer noch?«
»Nee, meine Mutter hat ihn weggeschickt ... sie ist schon gestorben und ich bin gerade auf dem Weg zu Verwandten in die Staaten.«
Okay, die Neugier war weg, aber ich glaub, sie mochten mich. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß der Coach hinter mir gestanden hatte und ich bin richtig zusammengezuckt, als er plötzlich was sagte.
»Okay, dann wollen wir dich mal für die USA fit machen, die können bestimmt einen guten Schwimmer brauchen.«
Ich hab 'n Spezialtraining gekriegt und das war dann jedes Mal so. Zuerst hab ich gedacht, der Coach hätte was gegen mich, aber dann hab ich mitgekriegt, daß er mich ganz gern hatte.
»Du schwimmst wie ein besoffener Wal nach einer Flossenamputation mit einer Harpune im Bauch! Das Wasser ist dein Freund, du brauchst es nicht zu verprügeln! Benutz deine Beine, sonst kannst du dich gleich einsargen lassen! Im Wassertreten bist du großartig, aber du sollst deinen Hintern zur anderen Seite bewegen!«
So ungefähr lief das immer, aber er hat mir auch wirklich was beigebracht. Aber beim ersten Mal war ich doch ein bißchen erschrocken und ich hab alles gegeben, was ich so hatte und zum Schluß war's reines Glück, daß ich nicht abgesoffen bin. Sagen wir's mal so: Ich war nur zu stolz, um auf allen Vieren zum Schulbus zu kriechen.
»Tom?«
»Bei der Arbeit.«
Naja, er schaufelte sich gerade 'ne Schüssel Cornflakes rein.
»Ich glaub', ich brauch 'n bißchen Hilfe in Mathe. Ich versteh die ganzen Wörter nicht und ...«
Es klingelte. Zum Glück ging Tom hin.
»Hi David, können wir?«
Mir ist, glaub ich, so ziemlich alles runtergefallen. Philipp hatte ich nu' völlig vergessen ... und wir wollten laufen.
»Äh ... hi Philipp. Ich ...«
Eigentlich wollt' ich ihm sagen, daß ich viel zu kaputt war, aber da hab ich gesehen, wie sein Lächeln wegging.
»Ich zieh mich gleich um, gib mir noch ein paar Minuten, okay?«
Und dann fiel mir ein, wie ich vielleicht noch ein bißchen Zeit rausschlagen konnte.
»Komm doch mit.«
Ich bin die Treppe raufgekrochen und Philipp hinterher. Dann hab ich erstmal Sportklamotten zusammengesucht und ...
»Wer ist das?«
Philipp hatte das Foto von Benni in der Hand.
»Mein Bruder. Er ist gestorben.«
»Oh. Tut mir leid. Und das sind deine Leute?«
Er meinte das andere Foto.
»Nee ... oder doch ... naja, irgendwie schon. Ich hätte auch bei Julian und seinen Eltern bleiben können, dann wär' das jetzt meine Familie.«
War schon komisch, mit 'ner Unterhose in der Hand über solche Sachen zu reden.
»Und was ist das für eine Gruppe?«
Philipp hatte aber echt 'n Blick drauf.
»Äh ... das ist keine Gruppe, das sind ... Freunde von meiner Mutter, bei denen ich die letzten Wochen gewesen bin.«
Philipp schmiß das Cover von der CD von Rip's Leuten auf den Tisch.
»Ich geh besser. Ich finde es ziemlich mies, daß du mich anlügst.«
Manchmal bin ich schneller, als ich es selber weiß, jedenfalls war ich vor ihm an der Tür.
»Warte. Bitte. Ich ... Du hast recht, ich hab dich belogen.«
Oh Mann, okay, er war stehengeblieben.
»Bitte, setz dich hin. Ich erklärs dir. Also ...«
Scheiße, irgendwie hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt und Roland wär bestimmt in Ohnmacht gefallen und ich machte gerade alles kaputt, was die Gruppe aufgebaut hatte und trotzdem wars richtig.
» ... genau, der Junge auf dem Cover ist Janosch, wir sind auch Brüder und von ihm hab' ich auch den Teddy. So, jetzt weißt du alles.«
Er nickte.
»Okay. Können wir?«
»Können wir was?«
»Laufen.«
Ich hatte das Gefühl, vor 'ne richtig schöne dicke Mauer zu laufen. Ich hab dann nur genickt, weil, was sollt' ich sonst schon machen. Wir sind also gelaufen ... am Anfang war's schwierig, dann gings besser und zum Schluß wär' ich fast gestorben und es wär' mir egal gewesen. Ich konnt' einfach nicht mehr, gar nicht mehr und ich war sogar zu kaputt, um mich noch vor's Haus zu setzen. Philipp lächelte mich an.
»Wenn du willst, können wir morgen wieder laufen.«
Ich sagte gar nichts, wär auch schwierig gewesen, ich war viel zu sehr mit Luft holen beschäftigt.
»David, dieser Junge ... er ist dein Bruder, weil sein Vater solche Sachen gemacht hat?«
Nicken konnte ich und das tat ich dann auch.
»Find ich gut. Also, bis morgen ...«
Er hatte sich schon fast umgedreht, aber das letzte Wort hab ich doch noch gehört, auch wenn er es ganz leise gesagt hat.
» ... Bruder.«
Nachwort
So, und weil es so schön ist, noch ein kleines Nachwort. Es ist euch wahrscheinlich aufgefallen, daß David die Welt von Rick's »Little Lies« inzwischen verlassen hat, auch wenn er noch ein wenig bei Rick's Figuren in Scarborough bleibt. Rick, ein ganz, ganz dickes DANKE an dich, es hat mir auch unheimlich viel Spaß gemacht, all die Diskussionen, Mails ohne Ende und alles, was sonst noch dazu gehört. Es ist etwas wirklich besonderes, in die Welt eines anderen Autors hineinschreiben zu dürfen, der dazu auch noch ein guter Freund ist und dann noch die Stories zusammen zu legen - es war Klasse!
Noch ein Wort zur Sprache: Ich weiß auch, daß es im Englischen kein Du oder Sie gibt, aber die Story ist nun mal in Deutsch, deshalb habe ich auf englische Sprachgewohnheiten keine Rücksicht genommen und werde das auch nicht tun.
Ich bin nie in England zur Schule gegangen und mir fehlt auch die Zeit, da ausführlich zu recherchieren, ich hoffe, meine Vorstellungen sind nicht völlig daneben. Falls jemand Erfahrung mit dem American Way of Life hat, besonders mit dem Schulsystem und bereit wäre, mir ein paar Fragen zu beantworten, wäre ich sehr dankbar.
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