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Streetkids

Teil 2

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Am nächsten Morgen schrien die Vögel wie blöd und ich brummte irgendwas von wegen 'kann ich den Wecker ja wegschmeißen', aber Kevin kannte sich aus.

»Die beiden haben Hunger und Durst, also tu was dagegen, sind ja schließlich deine!«

»Ach, du großer Vögelexperte, und was fressen die? Tasse Kaffee und ein Stück Brot?«

War nett, Kevin so richtig entsetzt zu sehen.

»Was? Um Himmels willen! Wasser und Vogelfutter natürlich, das Päckchen steht im Karton und Wasser hast du ja in der Leitung. Nu mach mal und setz doch auch gleich Kaffee auf und mach Frühstück, aber sei leise.«

Sprach's und kuschelte sich in die Decke - auch in meine Hälfte der Decke, tja, der 'Tim-wird-verwöhnt-Tag' war wohl vorbei. Na gut, ich krallte mir den Käfig ... das mit dem Wasser war ja kein Problem, aber wie sollten die kleinen Kerlchen denn von diesem Körnerfraß leben? Ich steckte noch ein Stückchen Apfel durch die Käfigstangen.

»So, meine Kleinen, es ist zwar kein Schnitzel und wenn ihr Ketchup wollt, dann müßt ihr es sagen, aber versucht es erstmal. Und hört auf, den ganzen Käfigboden vollzuscheißen, könnt ihr euch vielleicht auf eine Ecke einigen und ...«

»Tim, quatsch den Vögeln kein Ohr ab, sei still, ich will schlafen!«

»Da will man mal nett sein ...«

Kevin hatte schon ein Kissen auf dem Ohr, also schmiß ich die Kaffeemaschine an und ging duschen ... als ich wiederkam, schlief Kevin, und während ich Frühstück machte, ging ich so im Geiste die gemeinsten Möglichkeiten durch, ihn zu wecken, und dann machte ich das richtige, ich küßte ihn ... obwohl das mit der großen Spinne aus Gummi auf der Bettdecke sicher auch ganz schön gewesen wäre.

Beim Frühstück störte mich irgendwas und nach der zweiten Tasse Kaffee kam ich dann drauf.

»Kevin, Vögel haben Flügel, oder?«

Er grinste.

»Ja, genau. Und stell dir vor, sie fliegen sogar damit!«

»Dann ... finde ich, sollen sie das auch tun!«

Ich machte das Fenster zu und die Käfigtür auf, in der Reihenfolge ... nur hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich da anrichtete. Naja, erstmal gar nichts, die Vögel kriegten wohl nicht mit, daß die Tür jetzt offen war ... aber dann! Erst flogen sie wie bescheuert im Kreis herum und dann landete einer neben meiner Kaffeetasse und der andere im Kochtopf ... also, er landete da nur drin, der Topf war natürlich kalt. Der blaue, der neben meiner Tasse, war ziemlich fertig und schiß auch gleich auf den Tisch, worauf Kevin natürlich nicht mehr aufhörte, zu kichern. Also gut, entweder die Vögel einsperren, oder dauernd saubermachen ... und einsperren kam nicht in Frage, das Gefühl kannte ich noch verdammt gut.

»Sag mal, Tim, wie sollen die beiden eigentlich heißen?«

Ich stöhnte.

»Also, jetzt mach mal langsam! Ich mag sie ja auch, aber es sind Vögel, keine Babys!«

»Ach, und wer hat eben noch mit den beiden geredet?«

»Na gut, einen du, einen ich.«

Der Gelbe war inzwischen wieder aus dem Topf raus und flog ein bißchen weiter, als ich zur Spüle ging, ein Glas Wasser holen, dann spritzte ich ein paar Tropfen in seine Richtung.

»Ich taufe dich auf den Namen ... Blue.«

»Bist du farbenblind? Das ist der gelbe!«

»Aber er kann kein deutsch, nur wellensittichianisch, oder wie das heißt. So, und jetzt bist du dran!«

»Tim, 'Blue' ist immer noch englisch und nicht deutsch und jetzt gib mir das Glas.«

Womit er recht hatte, als kriegte er das Wasser.

»Na gut, ich taufe dich auf den Namen George!«

»Häh?«

»George ... so wie Georg, nur englisch.«

Ich vergaß immer wieder, daß Kevin aus einem ganz anderen Zuhause kam. Aber ehrlich, einen armen, kleinen, blauen Wellensittich George zu nennen, sowas konnte nur Kevin bringen und ...

»Und dich taufe ich .. Süßchen!«

Platsch. Das Wasser lief mir das Gesicht runter.

»Na warte ...«

George flog weg und ich schaffte es immerhin, den Rest Wasser über Kevin zu verteilen. Naja, als wir auf der Couch landeten, war das mit dem Wasser völlig egal und ich blieb kurz ganz ruhig liegen. Das war es, wovon ich immer geträumt hatte, da lag dieser Junge über mir, er sah richtig gut aus und er mochte mich und ich mochte ihn und es war alles so richtig ... mußte wohl Liebe sein. Ich glaub nicht, daß es was schöneres gibt. Ich hielt ihn ganz fest, war ein tolles Gefühl, wie er auf mir lag und es warm wurde ... zwischen uns. Zum Glück war meine Hand nicht mehr so großartig verbunden, da war's viel einfacher, ihm Hemd und T-Shirt auszuziehen, dann küßte ich seine Brustwarzen und dann seinen Bauchnabel und dann ging es weiter runter. Kevin kriegte es echt noch hin, mich auch auszuziehen und wir spielten ziemlich lange. Hinterher lagen wir noch ein bißchen aufeinander, ich mein, nebeneinander geht auf dem Sofa nicht, ist ja auch egal, jedenfalls guckte ich dann hoch und fing an zu lachen.

»Guck mal hoch, Kevin.«

Tat er und dann lachten wir zusammen. George und Blue saßen nebeneinander auf dem Schrank und schauten neugierig auf uns runter.

»Also, Tim, die beiden sind noch ein bißchen zu jung, um sowas zu sehen. Du solltest sie demnächst ins Bad bringen, wenn ... wenn ...«

»Wenn wir uns lieben? Quatsch, die beiden sollen zugucken, irgendwie müssen sie ja lernen, wie es geht. Aber ...«

Ich setzte Kevin hin und mich auch ... ja, das war ziemlich eindeutig.

»... ich werde eine Decke über das Sofa legen müssen, unsere Flecken gehen nicht so gut raus.«

Naja, so ungefähr lief das die nächsten Tage auch, Schule, Essen, Mathe und dann wieder Essen und Kevin, oder Kevin und Essen oder nur Kevin. Es war einfach wunderschön, wir lebten zusammen und ich wünschte mir nur, daß es niemals aufhören würde und als Kevin dann doch wieder nach Hause mußte, da war das ziemlich schwierig. Ich saß in meiner Wohnung und fühlte mich verdammt alleine und es war schon eine gute Sache, daß wenigstens die Vögel waren. Aber immerhin wußte ich ja, daß ich auch mal bei Kevin wohnen würde und natürlich machten wir auch weiterhin zusammen Mathe ... okay, nicht nur Mathe. Ich war jetzt auch ab und zu mal bei ihm, wir mußten nur ein bißchen aufpassen, daß seine Mutter nicht gerade zu Hause war und Kevin bestellte manchmal so merkwürdige Sachen ... nichts gegen chinesisches Essen, aber wegen meiner können die Chinesen es gern allein essen - woher sollte ich denn wissen, daß das grüne Zeug nur Verzierung war, Kevin wär fast vor lachen gestorben, als ich da rein biß. Ist ja auch egal, jedenfalls kam ich mal abends von Kevin wieder und da saß wer vor meiner Wohnungstür und guckte mich ziemlich erschrocken an, als ich die paar Stufen hochkam. Im ersten Moment wußte ich wirklich nicht, wer das war, ich mein, ein Junge in einem Anzug, so richtig mit weißem Hemd und Krawatte, das war schon ziemlich schräg.

»Hi, wer bist ... Sascha?«

Er war es wirklich.

»Ja, ich bin`s. Du hast mir doch deine Adresse gegeben und gesagt, daß ich mal für eine Nacht vorbeischauen könnte.«

Scheiße, ich hatte ihm das zwar gesagt, aber ich hatte echt nicht gedacht, daß er wirklich kommen würde.

»Ja, klar ... komm erstmal rein.«

Hm, in was für eine Scheiße war ich denn jetzt geraten? Sascha humpelte ein bißchen und er setzte sich ziemlich vorsichtig hin und er lehnte sich nicht an und da wurde mir so einiges klar.

»Hast du Hunger?«

Oops, falsche Frage, ich war schon zu lange aus dem Geschäft, also nochmal.

»Oder willst du was zu trinken?«

»Ja, das wäre gut.«

Ich hatte eine Flasche Rum im Küchenschrank, eigentlich hatte ich sie mal für's Backen organisiert, aber Sascha brauchte jetzt etwas, um den Geschmack loszuwerden ... den Geschmack im Mund, gegen die Erinnerung konnte ich nichts tun. Ich hab keine Schnapsgläser, wofür auch, aber Sascha nahm auch das Wasserglas ... war sowieso besser, seine Hand zitterte. Ich war eigentlich ziemlich fertig und hatte mich schon auf mein Bett gefreut, aber ich wußte ganz genau, daß ich jetzt ganz wach sein mußte. Wenn ich jetzt Mist baute, war der Junge schneller weg, als ich gucken konnte, verdammt, ich hätte viel dafür gegeben, wenn Ingo da gewesen wäre. War er aber nicht, also was das jetzt mein Spiel.

»Sascha, ich setz noch einen Kaffee an, willst du auch eine Tasse?«

»Ja, gern ... und hör auf, mich Sascha zu nennen, ich heiße Marlon. Wo hast du denn deinen Freund gelassen?«

»Kevin ist bei sich zu Hause, ich komme gerade von ihm.«

»Du wohnst hier alleine?«

»Ja, sicher. Meistens, manchmal übernachtet Kevin hier. Und natürlich Blue und George, die Vögel.«

Die saßen allerdings ziemlich still im Käfig, wahrscheinlich hatten sie schon geschlafen.

»Muß schön sein, so eine eigene Wohnung.«

»Ist es auch, vor allem, weil mein Bett mir gehört.«

»Keine Angst, ich kann auch auf dem Boden schlafen, das ist kein Problem.«

Tim, du Trottel, konzentriere dich und denk nach, bevor du was sagst.

»So habe ich das nicht gemeint, wie es aussieht, brauchst du das Bett nötiger als ich.«

Er zuckte zusammen.

»Wie meinst du das?«

Ich holte tief Luft und versuchte, ganz ruhig zu klingen - ist ja nicht so, als hätte ich von Ingo nichts gelernt.

»Du humpelst, du lehnst dich nicht an, deine Hand zittert und du guckst wie ein verschrecktes Kaninchen. Du hast wahrscheinlich Pech gehabt, oder?«

Ja, das war der Moment. Ich weiß noch, wie ich bei Ingo im Büro saß und nicht wußte, wie es weitergehen sollte und es war so verdammt schwer, zu sagen, daß ich ganz allein nicht weiter kam. Und das mußte Marlon jetzt auch tun. Ich konnte richtig sehen, wie er dachte und er nahm noch einen Schluck, bevor er was sagte.

»Ja. Habe ich. Der Typ schien ganz okay zu sein, aber er war es nicht. Ich hab's geschafft, abzuhauen, aber Silly ist nicht da und ich wußte einfach nicht, wo ich hin sollte und ich konnte doch nicht arbeiten und ...«

Und dann ging's los. Er fing an, zu heulen und er hörte so schnell nicht mehr auf. Ich nahm seine Hand und streichelte ihm über den Kopf, wär' keine gute Idee gewesen, ihn zu umarmen.

»Schschsch, ist ja gut, du bist ja jetzt hier .... es ist vorbei, wenn du willst, für immer. Hey, ist schon gut ... das wird schon wieder ...«

Naja, ich redete irgendwas, woher sollte ich denn wissen, was ich machen sollte? Es schien jedenfalls zu funktionieren, irgendwann wurde er ruhiger und ich holte den Verbandskasten.

»Ich bin zwar nicht Silly, aber mich hat sie auch mal verarztet, ich weiß so ungefähr, wie das geht.«

Hatte ich gedacht. Sein Rücken war blutig und das Hemd auch und es dauerte ewig, bis wir das Hemd weg hatten ohne gleich den ganzen Schorf mit abzureißen.

»Marlon, krieg das jetzt bitte nicht in den falschen Hals, aber kannst du dich einfach ausziehen und auf das Bett legen? Ich glaube, das ist das einfachste.«

Er kriegte es nicht in den falschen Hals, aber er sah nach Arbeit aus. Den Rücken mußte ich nur ein bißchen saubermachen, das mit dem Blut sah schlimmer aus, als es wirklich war, aber eine Etage tiefer hatte das Arschloch echt zugeschlagen

»Marlon, das wird jetzt wehtun!«

»Mach einfach, ich halt das schon aus.«

Naja, er jaulte ziemlich ins Kissen, aber ich bin nun mal kein Arzt. Anschließend noch ein bißchen Salbe auf die Gelenke ... ja, so sollte es gehen, an dem Knie konnte ich sowieso nichts machen

»Okay, das war's. Willst du noch einen Schnaps?«

»Danke. Ja, den brauche ich jetzt. Und hast du vielleicht doch was zu essen?«

Marlon aß im Stehen und trank noch zwei Gläser Rum, also, der Junge hatte bestimmt nicht zum ersten Mal ein Glas in der Hand.

»Wow, das hat gut getan, danke! Tim?«

»Ja?«

»Ist es wirklich okay, wenn ich heute Nacht hierbleibe? Ich glaube, ich schaffe es jetzt auch so und ich kann ja ...«

»Marlon, hör auf, Blödsinn zu quatschen. Du legst dich jetzt ins Bett und schläfst und morgen sehen wir weiter.«

Ich gab Marlon ein sauberes Bettuch zum Zudecken, schmiß seine Klamotten in kaltes Wasser und legte mich auf die Couch und trank Kaffee ... ich wartete, bis Marlon eingeschlafen war, dann krallte ich mir die Zigaretten und ging nach draußen, war Zeit, ein bißchen nachzudenken ... dauerte ungefähr drei Kippen, dann wußte ich, was richtig war.

Ich war natürlich der einzige, der vom Wecker wach wurde, bevor ich losging, weckte ich Marlon.

»Hi, guten Morgen. Wie geht's dir?«

»Boah, bist du bescheuert? Ist mitten in der Nacht!«

Naja, für ihn war es wirklich früh.

»Du kannst ja gleich weiterschlafen, aber ich muß los. Wie geht's dir?«

Er reckte sich versuchsweise, war keine so gute Idee, denn er zuckte gleich zusammen - ja, das hatte ich mir schon gedacht. Er stöhnte leise.

»Mist!«

»Ist okay, bleib liegen. Vielleicht kann ich nach der Schule was organisieren, keine Angst, das kriegen wir schon wieder hin.«

Nicht, daß ich irgendeine Ahnung gehabt hätte, wie wir das hinkriegen sollten. Ich erwischte Kevin noch vor der ersten Stunde.

»Hi, Kevin, erinnerst du dich noch an Marlon?«

»Marlon? Nie gehört.«

»Du hast ein Gedächtnis wie ein Sieb! Der Stricher, mit dem wir essen ... oh sorry, du erinnerst dich an Sascha, oder?«

»Ja, klar. Tim, was ist los?«

»Also, Sascha heißt eigentlich Marlon und liegt in meinem Bett, hoffe ich jedenfalls.«

Kevins Gesicht war ein einziges Fragezeichen, ich bin halt nicht so gut darin, Sachen zu erklären. Ich erzählte ihm dann einfach die ganze Story.

»... und ich hab ihm gesagt, er soll erstmal liegenbleiben. Hast du Geld? Ich brauch ein paar Sachen aus der Apotheke.«

»Ja, klar. Ich kann gleich nach der Schule mitkommen und ...«

»Kevin, wart mal.«

Ich legte ihm nur die Hand auf die Schulter, ein paar Leute aus der Schule dachten sich zwar ihren Teil, aber Kevin hatte sein coming-out noch vor sich und da wäre ein Kuß nicht so gut gewesen.

»Ich hab echt keine Ahnung, was ich mit dem Jungen machen soll, ich mein, sowas wäre eigentlich Ingos Sache und ... naja, ich versuche halt, zu tun, was sich richtig anfühlt. Ich glaub nicht, daß es eine gute Idee, wäre, wenn du heute schon kommen würdest, es geht ihm nicht gut und ich brauch noch Zeit, ich muß ihm erst noch zeigen, daß ich ihm nicht ans Bein pinkeln will.«

Kevin grinste.

»Versteh schon, du zockst hier nur meine Kohle ab und machst dir einen schönen Abend.«

Ich lachte.

»Klar, ich mach ein paar Orgien und dafür bist du viel zu sensibel.«

»Na dann, viel Spaß, reicht ein Fünfziger?«

»Sicher, ich verspreche dir auch, daß du es nicht zurückbekommst.«

Ich geb's ja zu, ich hab die Schule an dem Tag nur abgesessen und die Stunden waren verdammt lang und mir ging so einiges im Kopf herum. Ich kaufte das ganze Zeug in zwei Apotheken ein, sonst hätte vielleicht noch wer Fragen gestellt und Kevins Kohle reichte so gerade eben, aber ich hatte auch gleich die Großpackungen genommen. Dann noch schnell zum ALDI, es dauerte noch ein paar Tage, bis ich wieder Geld kriegte und Kevins Zeit bei mir hatte ein ziemliches Loch in meine Finanzen gerissen, also gab's nur ein Glas Marmelade und ein Brot. Als ich bei mir zu Hause ankam, holte ich erstmal tief Luft, von aufräumen hatte Marlon wohl noch nie was gehört ... naja, da konnte er nun wirklich nichts für.

»Hi Marlon, alles klar?«

»Ja, sicher, ich hab mir noch ein bißchen Frühstück gemacht. Hast du hier echt kein Fernsehen?«

Ich mußte einfach grinsen, das konnte doch alles nicht wahr sein. Marlon hatte es mit verdammt viel Schwein geschafft, abzuhauen, es gab so einige Stellen, die ihm sicher weh taten, er hatte keine Ahnung, was morgen sein würde, aber er lag nackt auf meinem Bett und seine einzige Sorge war ein Fernseher!

»Nee, hab ich nicht. Aber ich hab Hunger, was hältst du von Mittagessen?«

»Klar, für mich einen Big Mac und große Pommes und ...«

»Hast du schon mal Kartoffeln geschält?«

»Kartof... nein.«

»Dann lernst du es jetzt. Ach so, ich hab' dir noch ein paar Sachen mitgebracht.«

Naja, irgendwie fühlte ich mich nicht so ganz wohl, wenn Marlon so völlig nackt in meiner Wohnung rumlief und bevor er sich was anziehen konnte, mußte ich ihn erstmal verarzten.

»Okay, laß mal sehen!«

Der Rücken sah ziemlich bunt aus und ich schmierte großzügig Salbe drauf, bei seinen Arschbacken war ich ein bißchen vorsichtiger und da legte ich dann auch so ein Verbandstuch drauf, denn ein paar von den Stellen würden sicher wieder aufplatzen und ich hatte keine Lust, dauernd blutige Unterhosen zu waschen.

»So, hier hast du was zum Anziehen, warte mit dem T-Shirt noch, bis die Salbe trocken ist. Und ... hier, die kannst du nehmen, wenn es wirklich weh tut.«

Ich gab ihm die Packung, die Dinger waren aus der Apotheke, nicht von der Straße. Er guckte mich an, als ob ich drei Ohren hätte.

»Willst du mich verarschen? Hast du nichts vernünftiges oder wenigstens was zu rauchen?«

War schon klar, daß er keine Kippen meinte. Darüber hatte ich in der Schule nachgedacht, ich mein, daß Marlon nicht nur Vitamintabletten nahm und bis jetzt hatte ich keine Ahnung, was ich machen würde. Marlon mußte sich entscheiden, hier und jetzt und das konnte ich ihm nicht abnehmen. Er stieg gerade in die Unterhose und ich schubste ihn aufs Bett, er jaulte, weil er auf den Rücken fiel, aber es gibt schlimmeres. Ich ging ganz nah an ihn ran, er konnte mir nur zuhören.

»Du hast zwei Möglichkeiten: Verkauf deinen Arsch und dröhn dich zu, damit du vergessen kannst, was du da machst. Wenn du das willst, dann hau ab und komm nicht wieder. Ich hab mein Wort gehalten, du hast die Nacht hier gehabt. Wenn du das nicht willst, dann helfe ich dir und dann werden dir auch Kevin und Ingo helfen, aber dann vergiß alles, was mit Drogen zu tun hat. Es ist deine Entscheidung, ich komme in einer halben Stunde wieder. Entweder du bist weg oder du hast die Kartoffeln geschält und angefangen, deinen Mist aufzuräumen.«

Ich krallte mir die Kippen und ging gerade zur Tür, als mir noch was einfiel.

»Wenn du versuchst, mich zu bescheißen, dann hau ich dir was auf's Maul, das verspreche ich dir! Ja oder nein, das mußt du wissen.«

Es tat weh, wie er mich anguckte und als ich auf der Treppe war, blieb ich erstmal stehen. Oh Mann, war vielleicht doch ein bißchen zu hart gewesen ... vielleicht hätte ich einfach Ingo anschleppen sollen, der hatte sowas drauf. Mist, wenn Marlon einfach ging, dann war das meine Schuld ... und wenn er nicht ging, dann wußte ich auch nicht, wie das weiter laufen sollte. Ich trabte durch den kleinen Park und suchte mir eine Bank. Eigentlich müßte ich Hausaufgaben machen und gegessen hatte ich auch noch nicht und ich wäre gern bei Kevin. Die ganzen anderen Leute, die da so rumliefen und keine Ahnung hatten ... manchmal beneidete ich die und heute war wieder so ein Tag. Muß was schönes sein, nach Hause zu kommen und sich gut zu fühlen, vielleicht sogar geliebt. Naja, immerhin freute sich Kevin auf mich und das war schon ein verdammt gutes Gefühl. Ich mein, alleine zu sein ist zwar manchmal ganz schön, aber ich kriegte immer noch Herzklopfen, wenn Kevin kam. Aber das war jetzt egal, die halbe Stunde war fast rum und ich ging zurück.

So, nochmal tief Luft holen und dann die Tür aufmachen ... das Erste, was ich sah, war Marlon. Er hatte ein bißchen aufgeräumt und bearbeitete gerade eine Kartoffel. Er guckte mich nicht richtig an, sondern sagte nur leise.

»Ich bin noch nicht ganz fertig, aber ich schaff' das schon.«

Da war so ein Zittern in seiner Stimme und als ich näher kam, da konnte ich sehen, daß Marlon geweint hatte. Verdammt, ich kann sowas einfach nicht, ich hab ihn nur noch in den Arm genommen und ich hab mit ihm geweint.

Danach war alles anders. Ich weiß nicht so genau, warum eigentlich, aber vielleicht ist einfach etwas besonderes, wenn man zusammen weint, jedenfalls war Marlon ein Freund geworden und ich würde ihn bestimmt nicht hängenlassen. Wir kochten zusammen und Marlon konnte echt was essen, ich mußte die Tage unbedingt mit Ingo reden und versuchen, ein bißchen mehr Geld zu kriegen. Aber erstmal mußte ich noch was mit Marlon klären. Die meisten Stricher sind nicht schwul und ich wollte nicht, daß er auf falsche Ideen kam.

»Marlon ... ich weiß nicht, wie das bei dir ist, ich mein, ich bin schwul und ich wollte dir nur sagen ... daß du da keine Angst haben mußt, ich bin mit Kevin zusammen.«

Marlon lächelte, zum ersten Mal.

»Danke! Ich mein, daß du es gesagt hast. Wenn das der Preis gewesen wäre, daß du mir hilfst, hätte ich es gemacht, aber ich glaube, ich brauche ich gerade einen Freund, keinen Lover.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nee, du brauchst sicher keinen, der deinen Arsch als Bezahlung will. Die Zeiten sind vorbei ...«

Ja, okay, ich bin nun mal neugierig.

» ... du kannst dir jetzt eine Freundin suchen und mit ihr Spaß haben.«

Dauerte was, bis Marlon was sagte.

»Und wenn ... wenn ich ...«

Er schluckte.

» ... gar keine ... gar keine Freundin will?«

Scheiße, da hatte ich wohl Mist gebaut. Ich wollte ja eigentlich nur mal hören, was Sache war, aber was Marlon da gerade gemacht hatte, nennt man wohl coming-out.

»Du meinst, du bist auch schwul?«

»Ja.«

»Hey, toll! Wer weiß das denn alles?«

»Du und ich.«

Hatte ich also richtig gelegen. Und jetzt war auch klar, warum es so schwer für Marlon gewesen war, es zu sagen. Okay, für alle, die nie auf dem Strich waren: Sowas sagt man nicht, sowas denkt man nicht mal.

»Ich bin also der erste, dem du es gesagt hast? Danke!«

Ich glaub, er wußte, daß ich das verdammt ernst meinte. Ich machte Kaffee, mach ich eigentlich immer, wenn es was zu feiern gibt.

»Okay, Marlon, wie geht's denn jetzt weiter?«

Marlon guckte ziemlich nachdenklich.

»Das frage ich mich auch. Ich find's ja wirklich schön bei dir, aber ich kann ja nicht ewig hierbleiben. Kennst du nicht wen, bei dem ich ein bißchen bleiben kann? Wie ist das denn mir deinem Freund?«

»Bei Kevin?«

Ich lachte - auch wenn es nicht so ganz echt klang.

»Seine Mutter würde deinen Kopf unter Wasser drücken und lächelnd warten, bis keine Blasen mehr hochkommen.«

»So schlimm?

»Schlimmer! Zum Glück ist sie nicht oft da, aber dieses Versteckspielen ist ziemlich mies. Ich hab noch keine Ahnung, wie wir das hinkriegen sollen, wenn sie mitkriegt, daß ihr Sohn sich ausgerechnet in einen vorbestraften Ex-Stricher verliebt hat, dann kann ich gleich mein Testament machen.«

»Wieso, du hast es doch hinter dir? Du hast eine Wohnung, du gehst zu Schule, so wie alle anderen auch!«

Ich lächelte, aber es fühlte sich traurig an.

»Nee, Marlon, wir sind beide nicht wie alle anderen. Vielleicht in ein paar Jahren ... wenn das mit dem Abi klappt und wenn ich woanders hingehen kann, wegen Studium, dann hab ich vielleicht eine Chance. Aber bis dahin ... Marlon, jeder hier weiß, daß das Jugendamt meine Bude bezahlt und in der Schule weiß jeder, wo ich herkomme.«

Ich wollte einfach nur ehrlich sein, wenn Marlon aussteigen wollte, dann sollte er wissen, wie das lief.

»Du willst studieren?«

»Klar, warum denn nicht?«

»Und was?«

Na, das hatte ich bis jetzt nur Kevin erzählt - aber es war ja eigentlich nichts schlimmes.

»Medizin. Ich möchte gern Arzt werden.«

Ich hatte so halb gedacht, daß er anfangen würde, zu lachen, aber er nickte nur langsam.

»Ja, ich glaub, du wärst ein guter Arzt. Auch wenn das gestern ganz schön weh getan hat.«

Ich grinste.

»Weichei! Ich kenne aber wen, der uns helfen kann.«

»Dieser Typ vom Jugendamt?«

»Ja, Ingo. Ich vertraue ihm, er ist ein Freund.«

Dauerte was, aber er nickte.

»Okay.«

Puh, das war geschafft, jetzt hatte Marlon eine Chance und ich fühlte mich so richtig gut.

»Dann laß uns mal losgehen!«

Taten wir dann auch, zum Glück war's ja nicht so weit, Marlon hatte die Tabletten nicht angerührt und das laufen tat bestimmt weh. Ingo grinste natürlich, als ich reinkam.

»Hi Kleiner, bist du am verhungern oder hast du Scheiße gebaut?«

»Ich hab Hunger, aber vor allem hab ich deinen Job gemacht.«

»Du hast immer Hunger und an dem Tag, an dem du meinen Job machst, geht die Sonne nicht mehr auf.«

»Dann kauf schon mal Kerzen. Marlon?«

Der kam langsam rein und Ingo guckte kurz zu mir und dann wieder zu Marlon.

»Hi, ich bin Ingo. Wenn du mit Tim kommst, hast du hier ein Heimspiel. Hat er was über mich erzählt?«

»Nein, eigentlich nicht, nur, daß sie mich nicht besch ... das sie ehrlich sind.«

Ingo grinste.

»Ich wünschte, das Finanzamt würde das auch glauben! Willst du einen Kaffee?«

Na, jetzt war es aber gut.

»Hey, mir bietest du nie Kaffee an!«

»Natürlich nicht, dann würdest du den ganzen Tag hier rumhängen und mir den Kaffee wegsaufen. Abgesehen davon weißt du genau, wo die Kanne steht, hol doch mal drei Tassen und den ganzen anderen Kram.«

»Sklaventreiber!«

»Hey, du wolltest doch meinen Job, gewöhn dich schon mal dran, gehört alles dazu!«

Marlon wußte, glaube ich, nicht so ganz, was da grade abging, aber er kriegte mit, daß wir uns mochten ... naja, ich mein, ich wollte echt keinen Vater mehr, aber wenn ich einen gewollt hätte, dann wär's Ingo gewesen. Ich holte alles zusammen und goß uns Kaffee ein, Ingo machte irgendwas an seinem Telefon und setzte sich dann auch hin.

»Okay, wer will anfangen?«

»Marlon, wenn das okay ist, erzähl ich erstmal, wie wir uns kennengelernt haben und was so los ist und dann bist du dran. Also, ich bin mal mit Kevin ...«

Ich erzählte ihm alles, was ich wußte, er fragte nur ein paar Mal dazwischen.

» ... ja, und dann hab ich Marlon gesagt, daß wir jetzt besser zu dir gehen.«

Ingo nickte.

»Das habt ihr gut gemacht und ... Tim, ich glaube, ich gehe gleich ein paar Kerzen kaufen, für den Fall, daß die Sonne nicht mehr aufgeht. Ich würde gern mit dir allein sprechen, Marlon, wenn du einverstanden bist. Ich weiß, daß du Tim vertraust und das kannst du auch, aber vielleicht gibt es ein paar Dinge, die besser unter uns bleiben.«

Marlon schaute mich an und ich nickte und ging aus Ingos Büro. Naja, klar war ich ein bißchen enttäuscht, ich hätte schon gerne gehört, was die beiden da redeten, aber ich war auch froh, daß Ingo die Sache jetzt in die Hand nahm. Ich lief den Gang rauf und runter und setzte mich hin und stand wieder auf ... dauerte ewig. Ich war schon am überlegen, ob ich nicht meinen Schlafsack holen sollte, nicht, daß ich einen gehabt hätte, als Ingo die Tür aufmachte. Und er lächelte und das war ein verdammt gutes Zeichen, Ingo macht keine Show.

»Komm rein, Kleiner, dein Kaffee ist kalt.«

Ich trank ihn trotzdem und Ingo fing an, zu erzählen.

» Marlon hat sein Okay gegeben, daß ich dir sagen kann, was wir vorhaben. Also, es wäre ganz gut, wenn er noch ein oder zwei Tage bei dir bleiben könnte ...«

Marlon schaute zu mir rüber und ich nickte.

» ... bis dahin habe ich eine gute Unterbringung für ihn gefunden. Ich habe da schon eine Idee, aber das muß ich erst absprechen. Dann müssen wir die ganze Angelegenheit auch noch auf der juristischen Ebene klären, aber da sehe ich keine größeren Schwierigkeiten. Geh mal davon aus, daß Marlon bald sein eigenes Zimmer hat. Tim?«

Oops, das klang ernst.

»Ja?«

»Dafür schulde ich dir was.«

War ein verdammt gutes Gefühl.

Zwei Tage später war es dann wirklich soweit. Wir trafen uns bei Ingo, Marlon, Kevin und ich und dann ging's los. Wir fuhren gar nicht so weit, aber Ingo ist nun mal zu faul zum laufen und wir brauchten den Bus später sowieso und dann standen wir vor einem ziemlich mittelprächtigen Altbau. Ingo schellte und dann gingen wir in den zweiten Stock, und da stand schon ein Junge in der Tür.

»Hi Dominique! Wie geht's?«

Ingo nu wieder. Er ging einfach rein, der Junge hinterher und dann wir. Ingo blieb mitten im Flur stehen und wedelte mit den Armen.

»Also, das wird dein Zimmer, da ist die Wohnküche, da Bad, da Dominiques Zimmer. Du hast nicht zufällig Kaffee oder?«

Der Junge, mußte ja wohl Dominique sein, nickte.

»Ja, im Wohnzimmer ...«

Ingo ging gleich durch, aber ich lächelte erstmal den Jungen an.

»Hi, ich bin Tim und das ist Kevin, wir wollten Marlon gern zu seiner neuen Wohnung bringen. Hast du das alles eingerichtet?«

»Ja ... mit ein bißchen Hilfe von Herrn Glast. Er hat auch gesagt, daß ihr mitkommt und da hab ich Kaffee gemacht.«

»Echt? Danke!«

Also, eins konnte ich gleich sehen, Dominique hatte viel mehr Geschmack als ich. Die Tischdecke war alt, aber die Farbe paßte zu den Tassen und er hatte sogar Blumen, ich mein, nicht so'n Unkraut, wie ich, sondern richtige Blumen mit Blüten. Er hatte ein paar Plätzchen in eine Schüssel getan und daneben stand eine Kerze und unter die Kerze hatte er ein paar Blätter getan ... eigentlich ganz einfach und es machte die Sache wirklich schön und da gab's noch ziemlich viele von diesen Kleinigkeiten. Ich hatte ja nun keine Ahnung, wer Dominique war, aber er konnte aus dem ganzen Sperrmüll eine gemütliche Wohnung machen. Er stand aber nur da und lächelte, fast ein bißchen ängstlich, naja, eigentlich kein Wunder, er kannte uns ja nicht. Marlon stand auch da, aber er lächelte nicht, sondern guckte mit strahlenden Augen immer wieder durchs Zimmer.

»Kann ich echt ... hier wohnen? Verarscht ihr mich nicht? Ich mein ... Wahnsinn!«

»Gefällt es dir?«

Dominique lächelte Marlon an und der strahlte so richtig. Ingo grinste und flüsterte.

»Na, hab ich zu viel versprochen?«

»Nee, wirklich nicht. Das hast du super hingekriegt!«

Ingo knurrte und ich konnte sehen, daß er verdammt glücklich war.

»Ja, wäre doch schade, wenn der Kaffee kalt wird. Dürfen wir uns setzen?«

Das war keine Frage und Ingo saß schon auf dem besten Sessel, bevor ich wußte, was los war. Der Kaffee tat gut und wir redeten ein bißchen, naja, war gar nicht so einfach, denn wir kannten uns natürlich, aber ich glaub, Dominique wußte echt nicht, was er denn so von uns halten sollte ... aber er guckte immer wieder zu Marlon, er war bestimmt neugierig. Kevin und ich teilten uns einen alten Sessel und dauernd rutsche einer von uns runter und als ich zum dritten Mal auf dem Fußboden gelandet war, hatte ich die Schnauze voll und setzte ich mich einfach auf Kevins Schoß und lehnte mich an. Ich konnte richtig fühlen, wie Kevin grinste.

»Gute Idee, aber beweg dich nicht so viel, du sitzt genau auf meinem besten Stück.«

Das hatte er ja noch ganz leise gesagt, aber dann fing er an, an meinem Ohrläppchen zu knabbern. Ich hatte ja nichts dagegen, aber ...

»Seid ihr schwul?«

Dominique hatte den Mund offen und er war auch ein bißchen rot geworden. Scheiße, er konnte ja ruhig wissen, daß ich schwul war, aber bei Kevin konnte das ein Problem werden.

»Ich bin schwul und ...«

»Ich auch!«

Oops, Kevin wollte also auch ehrlich spielen.

»Okay, also, wir sind beide schwul. Hast du ein Problem?«

Marlon guckte ganz genau auf Dominique, war ja klar, wenn der keine Schwulen mochte, dann war game over bevor es angefangen hatte. Nur Ingos Augen lächelten ... und Ingo macht nie Show ... und da schwante mir was. Sah ziemlich lustig aus, wie Dominique da saß und den Mund offen hatte, aber es kam nichts raus ... und ich merkte, wie Kevin unter mir so langsam nervös wurde. Ingo kriegte wohl was mit, keine Ahnung, wie er sowas macht.

»Nun, das ist sicher etwas ... überraschend für Dominique. Laß uns doch erstmal Marlons Zimmer ausmessen, wir müssen ja auch noch am Lager vorbei. Komm, los, arbeiten! Tim, kümmere dich mit Dominique ums Spülen, wir gehen ausmessen!«

Pöh, die andern gingen spielen und ich mußte natürlich wieder arbeiten, aber weil wir hier zu Besuch waren, hielt ich wohl besser die Schnauze ... bis ich mitkriegte, daß Ingo mich anguckte, mit so einem Blick, als müßte er mal ganz dringend aufs Klo. Ich bin ja nu' kein Klo, also wollte er was von mir ... und dann hatte ich es.

»Okay, das heißt, wenn Dominique nichts dagegen hat, daß ihm ein Schwuler beim Spülen hilft.«

Die anderen waren schon raus und Ingo stand auch auf.

»Tja, da wirst du ihn wohl selbst fragen müssen.«

Super. Also manchmal könnte ich Ingo treten. Also dann, ich räumte ab und Dominique machte die Spüle klar.

»Tim?«

»Ja?«

»Danke, daß du mir hilfst.«

»Tu ich gern, es gibt nur Leute, die keine Schwulen mögen.«

Nee, ich wollte ihm keinen reinwürgen, ich dachte mir nur, wenn Marlon hier wohnen würde, dann wär's besser, wenn klar wär, was Dominique von Schwulen dachte. Der lächelte ... ein bißchen traurig.

»Das brauchst du mir nicht zu sagen.«

Aha. Half mir irgendwie überhaupt nicht weiter. Ich nahm die nächste nasse Tasse zum abtrocknen.

»Hast du das auch schon erlebt?«

»Ja, mein Vater mag keine Schwulen.«

Half mir auch nicht weiter, der Junge war übers Jugendamt hier, da ist der Vater sowas ähnliches, wie Hundescheiße - abputzen und vergessen. Aber so langsam hatte ich die Schnauze voll davon, hier um den heißen Brei rum zu reden. Ich stellte die Tasse weg.

»Dominique, können wir mal Klartext reden? Ich versprech dir, ich hau dir nicht auf's Maul, aber kannst du einfach sagen, was Sache ist?«

»Ich habe wirklich nichts gegen Schwule, okay?«

Ich glaubte ihm. Er hatte mich direkt angeguckt und bei sowas kriege ich mit, ob wer lügt und Dominique hatte nicht gelogen.

»Gut. Danke.«

Damit hatte Marlon eine Chance, sich hier sowas wie ein Zuhause zu bauen - und ich hatte die Chance, ab und an mal vorbeizuschauen und einen Kaffee abzustauben.

Wir fuhren dann noch ins Lager, also Ingo, Kevin, Marlon und ich, Dominique mußte noch zum Zahnarzt, und Marlon suchte sich seine Möbel aus, naja, das übliche, was man so braucht. Das ging ja alles noch, aber dann wurde es echt Arbeit. Das ganze Zeug in den Bus, dann in den zweiten Stock und es waren mindestens 40 Grad im Schatten. Wir schwitzen wie Sau und als wir den Kram in Marlons Zimmer zusammenbauen mußten, da waren wir alle nur noch in kurzer Hose, okay, bis auf Ingo. Der hatte einen Werkzeugkasten mitgebracht und das war auch gut so, der Tisch war einfach, das Bett ging auch noch irgendwie, aber der Schrank war echt eine Katastrophe, da paßte einfach gar nichts und wir ackerten wie die Blöden, damit wenigstens die Türen so halbwegs zu gingen. Dann ging die Tür auf, also die Zimmertür ... Dominique.

»Hi, ich hab was zu trink ...«

Tja, und dann schlugen zwei Flaschen Wasser auf dem Fußboden auf, krachte aber nur, klirrte nicht. Kevin grinste.

»Danke, das ist eine gute Idee, aber du kannst uns die Flaschen auch einfach geben, wir ... hey, ist doch nichts passiert?«

Häh? Marlon und ich hielten gerade die zweite Schranktür fest und Ingo schraubte und wir wußten echt nicht, was los war, ich verdrehte mir den Kopf ... oh Scheiße, Dominique saß ziemlich weiß aus, bestimmt noch vom Zahnarzt und dann die Hitze.

»Kevin, leg ihn irgendwo hin und gib ihm was zu trinken. Wir kommen gleich. Ingo, hau rein, Dominique geht's nicht gut!«

Der saß so halb im Schrank und konnte gar nichts sehen und er keuchte ziemlich.

»Okay, noch zwei Schrauben, dann müßte es erstmal halten.«

Dominique protestierte irgendwie, so richtig kriegte ich das nicht mit, aber dann waren er und Kevin weg und wir machten die blöde Tür noch fest und dann gab's für Marlon kein halten mehr. Er war aber nur zwei Schritte vor mir im Wohnzimmer und da saßen Dominique und Kevin.

»Na, geht es wieder? Hat der Zahnklempner so heftig zugeschlagen?«

»Nein, ich hab mich nur erschrocken.«

Glaubte ich ihm nicht so ganz, aber was soll's. Ich grinste.

»Ja, ich sag Kevin schon seit Tagen, daß er mal wieder zum Friseur muß, er sieht schlimm aus.«

Kevin schüttelte kurz den Kopf.

»Nein, das hat was mit euch zu tun. Ich glaube, Ingo und ich bauen noch ein bißchen weiter auf, ihr habt hier was zu besprechen.«

Sprach's nahm Ingo und ging. Eigentlich mag ich es ja, wenn er auch mal sagt, wo es langgeht, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, was überhaupt Sache war. Wir setzten uns hin.

»Ihr wollt jetzt sicher wissen, was los ist, oder?«

»Ja.«

»Ich war einfach nur erschrocken, euch zu sehen ... euch so zu sehen.«

Was sollte das denn jetzt, ich mein, Marlon sah verdammt gut aus und so häßlich bin ich ja nun auch nicht. Marlon guckte ein bißchen verletzt.

»Tut mit ja leid, aber es gibt auch Leute, die meinen, daß ich ganz gut aussehe.«

»Tust du auch! Äh ... ich meine ... also, das meinte ich nicht. Euch hat doch jemand ziemlich verprügelt, oder?«

»Ach sooo!«

Ja, klar, Marlons Rücken war immer noch ein bißchen bunt und meine Narben würde man sicher noch ein paar Jahre sehen. Tja, und dann erzählten wir und Dominique hörte zu, ich meine, er hörte wirklich zu. Als wir fertig waren, nickte er nur und dann fragte er Marlon.

»Also bist du auch schwul?«

»Wieso?«

»Naja, du warst doch auf dem Strich und hast mit Männern geschlafen.«

»Das hat damit nichts zu tun. Das ging es um Kohle. Aber ... wir wohnen ja wohl zusammen ... okay, ja, ich bin schwul. Ist das denn so verdammt wichtig für dich? Ist das alles, was du wissen willst? Nur, ob ich schwul bin?«

»Das verstehst du nicht. Ich hab immer gedacht ... ihr kommt hier rein und erzählt einfach, daß ihr schwul seid und ich dachte ... ich hab gemeint, ich wäre der einzige auf der ganzen Welt, der so ist. Und ihr schämt euch nicht mal und ihr tut so als wärt ihr ganz normal und ...«

»STOP!«

Also, da ging ja alles durcheinander.

»Ich bin ganz normal und ich schäme mich nicht, weil ich Kevin liebe und ...«

Mal sehen, ob ich das richtig mitgekriegt hatte.

»... du mußt dich auch nicht schämen!«

So ein bißchen zuckte Dominique doch zusammen.

»Ja, aber ich bin doch schwul!«

Er sagte das so, als ob es eine ansteckende Krankheit wäre. Da hatte Marlon noch so einiges zu tun und der fing auch gleich an. Er setzte sich direkt neben Dominique und legte ihm den Arm um die Schulter.

»Na, fühlt sich das denn so krank an?«

Da war ich wohl überflüssig und ich ging in Marlons Zimmer.

»Ingo, du bist ein riesengroßes Arschloch!«

»Klar, aus Überzeugung und immer wieder gern. Warum diesmal?«

»Du hast das hier alles geplant! Du wußtest genau, daß sowas passieren würde und du wußtest genau, daß die beiden zusammen passen wie Arsch und Klopapier!«

»Natürlich. Und?«

»Du hast nichts gesagt! Du hast uns benutzt! Du hast uns in die Falle laufen lassen! Die beiden werden sich verlieben und du bist schuld! Du ... du ... ach, du bist einfach klasse!«

Ingo grinste fröhlich.

»Dann bin ich eben eine klasse Arschloch. Ich muß aber trotzdem so langsam mal nach Hause, meine Kinder erkennen mich schon nicht mehr und meine Frau stellt das Abendessen für mich schon ganz automatisch in den Kühlschrank. Ach ja, richtig, sag mal, hättet ihr Lust, mal zum Abendessen bei mir reinzuschauen, vielleicht könnten wir grillen?«

Oops, das war jetzt aber echt eine Sensation. Ich wußte nicht mal, wo er wohnte und das er Kinder hatte.

»Klar! Kevin?«

»Sicher!«

»Okay, dann machen wir das, ich lade noch eben Dominique und Marlon ein.«

Kevin kam später noch mit zu mir und wir träumten noch ein bißchen.

»Was meinst du, ob wir auch so eine Wohnung kriegen könnten?

»Keine Ahnung, wenn deine Alten dich rauschmeißen, vielleicht. Aber dann kannst du auch hier einziehen.«

»Stimmt, wozu brauchen wir zwei Schlafzimmer. Aber ein größeres Bett wäre gut.«

Ich grinste.

»Ach, willst du mich nicht mehr so nah bei dir haben?«

»Doch, gerade jetzt will ich das! Komm, setzt dich doch noch mal auf mich, das war ziemlich gut!«

»Klar, aber das macht viel mehr Spaß, wenn wir nackt sind ...«

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