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Blickwinkel

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Chapter 10

Mrs Sanches

»Eric, hör doch mal: Raumpflegerin für Herrenhaus gesucht. Chiffre. Ob das die neuen Besitzer des Rutherford Manor sind?«, fragte Mrs Sanches ihren Gatten beim Frühstück. »Das findest du heraus, wenn du dich da meldest. Hast du denn überhaupt Zeit?«, brummte Captain Sanches vor sich hin. »Nun, an drei Vormittagen. Du gehst dann ja deine Hobbys nach und ich sitze hier herum. Was glaubst du, wie oft man ein Haus gründlich reinigen kann?« Mr Sanches blickte seine Frau nachdenklich an. Dann kam er zu einem Entschluss: »Du hältst unser kleines Reich vorbildlich in Schuss. Ich sehe deiner Nasenspitze an, dass du dich dafür interessierst. Gerda, tu es. Alles andere wäre von mir egoistisch.« Liebevoll lächelte Mrs Sanches ihren Gatten an. Noch am gleichen Tag schrieb sie auf dieser Anzeige. Der Antwortbrief kam eine Woche später und enthielt tatsächlich eine Einladung zur Vorstellung. Im Hotel saß sie zwei jungen Männern gegenüber. Neben dem Tisch lagen zwei Hunde. Einer davon trug ein weißes Geschirr. »Mrs Sanches. Möchten sie einen Tee oder Kaffee?« »Einen Tee bitte.« Andreas bestellte ein Kännchen Tee. Währenddessen unterhielt sich Carsten mit der Bewerberin. Andreas hörte noch einige Fetzen des Smalltalks. Dann ging es um die Ausschreibung. Abwechselnd beschrieben Carsten und Andreas die Aufgaben. »Rutherford Hall ist ein großes Haus. Glauben sie, dass es reicht, wenn dreimal die Woche gesäubert wird?«, hakte Mrs Sanches nach. »Wir denken schon. Unser Haushalt ist recht klein und die meisten Zimmer sind Gästezimmer. Die werden also nicht ständig genutzt. Wichtig sind uns die sanitären Einrichtungen. Die sollten regelmäßig gereinigt werden. Alle anderen Räume nach Bedarf. Es soll gepflegt aussehen.« Mrs Sanches war überrascht. Die beiden Herren hatten eine realistische Auffassung von Sauberkeit. »Um es noch weiter auszuführen,«, fuhr Carsten fort, »haben wir uns dazu entschlossen, Ihnen freie Hand zu lassen. Organisieren Sie nach ihrem Ermessen. Falls etwas Besonderes anliegt, informieren wir Sie rechtzeitig. Sind Sie damit einverstanden?« »Das klingt akzeptabel.« Dann räusperte sich Andreas. »Der Tarif für Raumpflegerinnen ist die Grundlage ihres Gehalts. Die Bezahlung erfolgt monatlich.« Mrs Sanches nickte zustimmend. »Ich nehme Ihr Schweigen als Zustimmung?«, fragte Carsten höflich nach. »Oh ja, Mr von Feldbach. Wann soll ich anfangen?« »Nun, die Renovierungen sind soweit abgeschlossen. Die Handwerker räumen noch ein wenig auf. Nächste Woche sollte eine Grundreinigung sein …« »Darf ich mich dort einmal umsehen?«, unterbrach Mrs Sanches. »Kommen Sie morgen gegen 10 Uhr. Dann ist auch unser Architekt anwesend; falls Sie Fragen haben, wird er Ihnen diese beantworten. Den Umzug habe wir für Februar vorgesehen. Unsere Familien unterstützen uns dabei.« Nach einer guten Stunde trennten sich ihre Wege.

»Wie war es?«, begrüßte Mr Sanches seine Angetraute. »Ich habe die Stelle bekommen. Mr Zahradník und Mr von Feldbach sind sympathische junge Männer. Ich frage mich, wie sie sich so ein Anwesen leisten können?« Eric sah seine Frau einen Lidschlag verständnislos an. Da kam ihm eine Erinnerung in den Sinn »Du kennst Mr von Feldbach nicht mehr? Er war der Pianist, der vor 10 Jahren bei den Proms das Brahms-Konzert spielte. Du warst damals von diesem Konzert hin und weg.« »Du nimmst mich auf den Arm.« »Nein, absolut nicht. Ich habe mich mit einigen Bauarbeitern im Pub unterhalten. Mr Zahradník ist ein erfolgreicher Landschaftsgärtner. Er hat rund um das Haus die Grünanlagen gestaltet. Mr von Feldbach, so wurde mir gesagt, hat im vergangenen Jahr durch seine Konzerte viel Geld verdient. Er ist mir sympathisch, weil er es zulässt, dass unter dem Dach Fledermäuse wohnen dürfen. Wie geht es jetzt weiter? Das Manor ist ja schon sehr groß.« »Ich sehe mir das morgen an. Die Sanierung scheint abgeschlossen zu sein. Nächste Woche soll alles einmal gründlich gereinigt werden. Dann steht der Einzug an.« »Du halst dir eine Menge Arbeit auf.« »Du kennst mich. Es klingt schlimmer, als es ist. Die jungen Herren geben mir Spielraum, so kann ich mir meine Arbeit einteilen. Ich werde mir einen Plan machen und dann reichen die drei Vormittage sicher aus«, erklärte sie ihr Vorhaben. Captain Sanches schüttelte lediglich seinen Kopf. Nun, auf das zusätzliche Einkommen waren sie nicht angewiesen. Die Royal Scots Dragoon Guards, seine ehemalige Einheit, erlaubten ihm, als pensionierter Captain ein wohlhabendes Leben zu führen. Nachdem der alte Küster und Organist vor mehr als einem Jahr starb, kümmerte sich seine Gattin um ihren Haushalt. Während er seine Hobbys hatte, langweite sich Gerda. Daher fand er die Idee gut und unterstütze das Vorhaben.

Im Haus waren nur noch wenige Handwerker zugange. Sie sammelten ihre restlichen Werkzeuge ein und machten grob sauber. Mrs Sanches wurde von Andreas und dem Architekten durch das Haus geführt. Unter dem Dach erläuterte Andreas ihr den Zweck der Einrichtung. »Hier brauchen Sie eigentlich nicht viel zu machen. Die Fledermäuse befinden sich hinter der schallisolierten Tür. In zwei der ehemaligen Bedienstetenräumen befindet sich die Technik zu Photovoltaik und Sonnenkollektoren. Da reicht es aus, hin und wieder mal auszukehren. Ansonsten haben Sie hier nicht viel zu tun.« »Was ist mit den Hinterlassenschaften der Tiere?« »Einmal im Jahr wird sich ein Zoologe darum kümmern. Der Raum wurde entsprechend ausgestattet. Da besteht keine Möglichkeit zur Kontaminierung der anderen Räume«, informierte sie Andreas. »Der Korridor bedarf auch nur einer gelegentliche Reinigung.« »Alle zwei Wochen einmal feucht durchwischen sollte reichen«, murmelte Mrs Sanches vor sich hin. Arthur nickte zustimmend. Die Besichtigung dauerte eine gute Stunde. Sowohl Andreas als auch der Architekt erläuterten noch einige Dinge und beantworteten Fragen. Die Bibliothek wirkte leer. Doch irgendwie hatte Mrs Sanches sie größer in Erinnerung. Arthur schmunzelte, als er ihren Blick sah. Dann zeigte er ihr den Raumteiler und die darin integrierte Tür. Er erklärte ihr in fließendem Scots die Funktion. Dann räusperte sich Andreas. »Mrs Sanches, noch etwas Technisches. Wir haben ein eigene Biokläranlage. Ihre Putzmittel sind alle biologisch leicht abbaubar. Daher bitten wir Sie, sich an diese Reinigungsmittel zu halten.« Mrs Sanches war angenehm überrascht. Ihr Gegenüber sorgte sogar für ihre Utensilien.

Die Grundreinigung gestaltete sich recht einfach. Mrs Sanches fing unter dem Dach an. Andreas und Carsten arbeiten sich vom Keller hinauf. Beide Hunde wuselten immer auch mal zwischen ihnen herum. Die beiden wollten nur sichergehen, dass alles in ihrem Revier in Ordnung war. Ansonsten fand sie die Hunde sehr rücksichtsvoll. Sie hielten sich nämlich überwiegend im Erdgeschoss und im Garten auf.

Während des Umzugs halfen viele Familienmitglieder mit. Es war auch erstaunlich, wie viel die jungen Herren bereits besaßen. Drei große LKWs brachten ihre Sachen. In einem waren zwei Flügel. Mrs Sanches war überrascht, wie umsichtig die Möbelpacker mit den Instrumenten umgingen. Den größeren stellten sie in Mr von Feldbachs Arbeitszimmer auf. Es war ein wirklich schöner nussbrauner Flügel. Der kleine wurde genauso umsichtig in Andreas‘ Arbeitszimmer aufgestellt. Es dauerte wirklich eine ganze Woche, bis alle Kisten ausgepackt waren. Mit einem Mal wirkte das Manor gemütlich auf Mrs Sanches. Mit der Zeit hatte sich alles eingespielt. Keiner der Herren störte sich daran, dass sie ihre Teepause in deren Küche machte. Dann war da noch Merlin. Ein Dauergast. Doch er wurde fast wie ein Familienmitglied behandelt. Er verhielt sich sehr zurückhaltend, auch sein Kater, den er mitbrachte. Dieser hatte einen Unfall gehabt und wurde liebevoll wieder gesund gepflegt. Mrs Sanches gewöhnte sich an die beiden. Vor allem, weil Merlin mit ihr oft nur in Scots sprach. Bei Tee erzählte er ihr von seiner Vergangenheit. Dieses Vertrauen änderte ihre Meinung zu ihm und ihren Arbeitgebern. Klar, sie waren ein schwules Paar, doch sie gingen wie jedes Paar miteinander um. Zu ihren Aufgaben zählten sie auch mal, die Wäsche zu machen. Andreas sagte ihr, dass gerade die Hundedecken regelmäßig gewaschen werden sollten, damit diese nicht unangenehm riechen. Dafür standen insgesamt drei Maschinen zur Verfügung. Eine war nur für die Hunde reserviert. Wo sie dann schon mal dabei war, machte sie auch gleich die Haushaltswäsche. Dabei war auch die Bettwäsche und auf einigen Laken sah sie die Spuren von den Intimitäten. Als gestandener Hausfrau machte ihr das nichts aus. Hatte sie doch selbst drei Kinder großgezogen. Letztendlich stellte sich die Zusammenarbeit als positiv heraus. Das war dann auch der Zeitpunkt, wo sie ihre Arbeitgeber mit Vornamen anreden durfte. In den warmen Monaten nahm sie sich Zeit, auch mal mit den Hunden im Garten zu spielen. Beide waren wahre Gentledogs. Ihre Geschäfte erledigten sie immer außerhalb der Gartenanlage. Wie Carsten es fertigbrachte, ihnen das zu vermitteln, blieb ihr ein Rätsel. Lediglich Andreas sah sie öfters in den Bereich, um die Hinterlassenschaften zu beseitigen. Sowohl Carsten als auch Andreas waren oft in ihren Arbeitszimmern. Obwohl Mrs Sanches wusste, dass sie anwesend waren, sah sie sie nicht. Konsequent ging sie ihren Aufgaben nach. Lediglich trafen sie sich gelegentlich in der Küche bei Kaffee und Tee. Dabei diskutierten sie über diverse Anliegen. Einmal sprach Carsten sie auf eine weitere Haushaltskraft an. Sie schlug Edward als Verwalter des Anwesens vor. Sie kannte den jungen Mann aus dem Dorf. Edward war seit seinem Studium zu einem weltoffenen Mann herangewachsen und ihrer Meinung nach genau die richtige Person für diese Stelle. Kurzerhand vermittelte sie ihm diese Stelle. An seinem ersten Arbeitstag wurde es jedoch etwas turbulent. Als Mrs Sanches morgens zur Arbeit fuhr, traf sie die beiden im Auto. Dabei teilte ihr Andreas mit, in Edinburgh etwas erledigen zu wollen, was den ganzen Tag dauern könnte. Freundlich bat er sie, sich dann um Edward zu kümmern. Kurzerhand rief sie ihren Eric an und teilte ihm mit, sich an dem Tag selbst zu versorgen.

Beim Fleischer gab es Gerüchte um ein in der Grafschaft ausgesetztes Neugeborenes. Zwei Tage später berichteten ihre Arbeitgeber über gewisse Umstände auf ihrem Anwesen. Aus dem Gerücht wurde eine Tatsache. Nie und nimmer hätte sie gedacht, dass ein homosexuelles Paar sich um eine Adoption bemühen würde. Wie sollte es gehen? Zwei Männer ohne eine Frau im Haushalt? Carsten eröffnete ihr, dass im Haus einige Veränderungen durchgeführt werden sollten. Im ersten Moment hatte sie protestieren wollen. Doch ihr Gegenüber, obwohl blind, ließ keine Zweifel aufkommen, dass alles genau so umgesetzt werden würde. Nachdem die Handwerker nach einer Woche wieder abzogen, machte sie sich an die Reinigung der neuen Räume. Obwohl diese noch ohne Einrichtung waren, konnte sie das kleine Paradies für Cedric erkennen. Es war nicht nur ein Kinderzimmer. Es gab für ihn ein eigenes Bad, einen großen Kleiderschrank und sehr viel Platz zum Spielen. Die Einrichtung selbst war auf ein Neugeborenes abgestimmt. Wickeltisch, eine spezielle Badewanne, ein sicheres Bett. Die Dekoration animierte jedes Kind, sich darin wohl zu fühlen. Der kleine Mann zog drei Monate nach dem Vorfall ein. Mrs Sanches sah, wie beide Väter sich liebevoll um den Winzling kümmerten. Ihre Zweifel waren mit einem Mal davon. Diese beiden Männer unterschieden sich in nichts von anderen Eltern. Im Gegenteil, der kleine Mann wurde vorbildlich gepflegt und was noch viel wichtiger war: Geliebt. Wie bei typischen Eltern machten sie sich Sorgen, wenn Cedric schrie. Da unterbrach Carsten auch schon mal seine Arbeit und ging zu ihm. Mrs Sanches sagte ihm mal, dass es nicht nötig wäre, jedes Mal nach ihm zu sehen. Da lachte er herzhaft. Mit seinem Humor entgegnete er ihr, dass er erstens sicher nicht nach dem kleinen Mann sehen würde, da er ja eben nichts sah. Andersherum meinte er, schon kleine unterschiedliche Nuancen herauszuhören, die ihm sehr wohl die Bedürfnisse von Cedric vermittelten. Er war es auch, der sie bat, sich um Cedric zu kümmern, wenn er mit den Hunden unterwegs war. Dabei lernte sie, dass sich im Leben Situationen wiederholen. Liebevoll lächelte Cedric sie nach dem Wickeln an und prompt war die neue Windel wieder voll. Sie konnte sich dem Charme des kleinen Gentlemans nicht entziehen und begann die Prozedur erneut. Daneben waren auch die Hunde immer ein Anlass, eine kleine Unterbrechung einzulegen. Dann ließ sie die beiden Gesellen in den Garten und sah ihnen beim Toben zu. Sie mochte einfach den Ausblick. Klar, der Garten war auf der einen Seite etwas Repräsentatives. Besonders, als noch Staturen aufgestellt wurden, wirkte er professionell. Dennoch, es war wohl eine gewisse Philosophie von Andreas, wirkte alles zusammen auch sehr intim. Durch die vielen Beete von Blumen und Stauden lud er zum Verweilen und Genießen ein. Etwas abseits lagen ein größeres Gewächshaus und der Nutzgarten. Beide standen nicht im Blickfeld der Terrasse, aber waren bequem zu erreichen. Darin befanden sich schön angelegte Kräuterbeete. Im Gewächshaus waren einige Arbeitsflächen und noch einmal davon abgetrennt zwei kleinere Abschnitte. In einem befand sich ein kleines Labor. Carsten erklärte ihr, dass Andreas dort selbst Analysen durchführen würde. Es war in der Regel auch verschlossen. Die zweite Abteilung enthielt ihre kleine Wasseraufbereitung. Edward zeigte ihr die ganze Einrichtung. Mrs Sanches war über diese Einrichtung mehr als erstaunt. Da haben sich ihre Arbeitgeber wirklich etwas einfallen lassen, um die Umwelt zu schonen.

Die Ankündigung, dass die Familien zu Besuch kamen, brachte da noch einmal mehr Aufwand. Sie ging gewissenhaft durch die Gästezimmer und sah, ob auch alles in Ordnung war. Andreas und Carsten hatten sogar persönlich die Betten bezogen. So etwas kannte sie gar nicht. Dann war jedes Gästezimmer auch individuell dekoriert worden. Eines wirkte mediterran, ein weiteres erinnerte sie an ihren Urlaub in Prag. Das dritte Zimmer dekorierten Carsten und Andreas gemeinsam. Anscheinend war das für Carstens Eltern gedacht. In diesem Zimmer hatte er auch Hundebetten gestellt. Sie kannte bereits die Gäste. Immerhin hatten sie gemeinsam bei Einzug geholfen. »Mrs Sanches, unsere Gäste bleiben eine Woche«, eröffnete Carsten ihr. »Während dieser Zeit brauchen Sie die Bäder nicht zu reinigen. Da lassen sich unsere Mütter nicht die Butter vom Brot nehmen.« »Aber es sind doch ihre Gäste?« »Es ist unsere Familie. Sie wissen genau, was sie mögen und was nicht. Schmutzige Bäder zu hinterlassen gehört definitiv zu Letzteren.« Mrs Sanches musste unwillkürlich lächeln.

»Na, Darling, im Manor alles klar?«, begrüßte Mr Sanches seine Frau. »Ich habe mir erlaubt, für uns heute ein Dinner zuzubereiten. Es gibt Forelle.« »Oh, du überrascht mich. Ja, in Rutherford Hall ist alles in Ordnung. Heute reisen die Gäste an. Andreas stand den ganzen Nachmittag in der Küche und bereitete ein üppiges Dinner vor. Cedric wird auch immer munterer. Salvatore bleibt jetzt öfters bei ihm. Er scheint sein unheimlicher heimlicher Bodyguard zu sein.« »Du nimmst mich auf den Arm.« »Nein, Eric, ich würde dir davon abraten, dich ohne dessen Sympathie Cedric zu nähern. Warst du mir sehr böse?« Mr Sanches sah seine Gattin liebevoll an. »Nein. Ich kenne dich. Du würdest mich nie ohne einen triftigen Grund um einen solchen Gefallen bitten. Jetzt lass uns den Abend genießen.«

Am folgenden Tag trafen die Sanches‘ die kleine Familie auf dem Markt. Mr Sanches grüßte mit einem kleinen Kopfnicken. Dabei sah er, wie beide Hunde ihn ins Visier nahmen. Seine Frau hatte vollkommen Recht. Die Hunde beschützten ihr Rudel vorbildlich. Gegen Mittag flog ein Hubschrauber über die Ortschaft und zog das Interesse der Bevölkerung auf sich. Schnell machte sich die Nachricht breit, dass es einen schweren Autounfall gab. In den lokalen Nachrichten wurde davon berichtet. Es gab auch Bilder von der Unfallstelle. Mr Sanches hatte in seinem Leben so manche Unfälle erlebt. Das war ein wirklich schwerer Unfall. Nach fast 700 Fuß Leitplanke, schätzte er, war der Wagen auf dem Dach liegengeblieben. Mrs Sanches entfuhr ein Ausruf des Entsetzens. »Das ist der Wagen von Andreas und Carsten. Weiß man etwas von den Insassen?« »Laut dem Bericht wurden zwei Personen nach Edinburgh geflogen.« Nach einer Pause. »Liebes, ich kann mir vorstellen, dass im Herrenhaus einiges los ist. Geh hin und hilf. Ich treffe mich nachher eh mit Collin zum Angeln.«

Merlin

Da lag er nun, entkräftet in der Senke. Diese dämlichen Mountainbiker haben ihn schlichtweg vom Weg gedrängt und dann schlug er mit dem Kopf hart auf. Dann spürte er eine feuchte Nase und, er konnte es nicht glauben, eine lange Zunge im Gesicht. Wenig später kam ein junger Mann und tätschelte ihm die Wange. Dann wurde ihm wieder schwarz vor den Augen. Das nächste Mal fand er sich in einem warmen Bett wieder. Der junge Mann hielt seine Hand. Wie durch Watte hörte er ihn etwas sagen, irgendetwas mit einem Salvatore. Doch so richtig konnte er sich keinen Reim darauf machen. Zwei Tage später besuchten ihn sein Sozialbetreuer und DI Blackmoore schon am frühen Morgen. Das Gespräch war kurz. Doch die Essenz war, dass mit dem Umherziehen Schluss war: Entweder ein Jugendheim oder einen anderen festen Wohnsitz. Dann kündigte sich weiterer Besuch an. Der behandelnde Arzt hatte alle Untersuchungen abgeschlossen und war mit den Ergebnissen zufrieden. Es sprach nichts gegen eine Entlassung. Der junge Mann von zwei Tagen zuvor erschien und lud den Jugendlichen ins Café ein. Dort lernte Merlin nicht nur Carsten kennen, sondern auch seinen Retter Salvatore. Ein Labrador mit einem recht ungewöhnlich gefärbten Fell. Andreas bestellte noch einige Sandwiches. Im Verlauf des späten Frühstücks machten sie ihm einen Vorschlag. In Erinnerung an die Alternative sagte er zu.

Diese jungen Männer hatten Humor. Schleppten ihn in alle möglichen und unmöglichen Shops. Nach guten vier Stunden hatte Merlin einen guten Grundstock an neuer Kleidung. Obwohl Carsten blind war, hatte er eine gesunde Einstellung, was dem Jugendlichen wohl gefallen würde. Auf dem Rückweg sah sich Merlin die Gegend an. Wohin sie wohl fahren würden? Irgendwie kam ihm alles bekannt vor. Dann sah er etwas am Straßenrand. »Stopp!«, rief Merlin. Andreas reagierte schnell. Noch bevor der Wagen wirklich stand, lief er die Straße ein Stück zurück. Hatte er doch richtig gesehen, eine angefahrene Katze lag mit blutverschmiertem Fell am Straßenrand. Die nächste Station war nach der Unterbrechung der Tierarzt. Obwohl die Praxis schon geschlossen war, wurden sie erwartet. Dr. Miller versorgte das Tier und Andreas assistierte ihm dabei. Anschließend gab der Arzt Merlin noch Pflegeanweisung. So bekam er Verantwortung für den kleinen Kater. Nachdem noch ein kleiner Zwischenstopp eingelegt wurde, fuhr Andreas zu dem alten Manor. Merlin war schon mehrere Monate nicht dort gewesen und staunte nicht schlecht. Da hatte jemand Geld in das Haus investiert. Seine erste Reaktion war entsprechend: Die beiden wollten ihn auf dem Arm nehmen. Doch beide Hunde schienen sich hier wohl zu fühlen. Dann schloss Carsten das Portal auf. »Willkommen, Merlin«, meinte er lediglich. Dann half der Junge, die Einkäufe und die Katze ins Haus zu tragen. »Komm, gehen wir in die Küche. Carsten hat sicher schon etwas vorbereitet«, meinte Andreas lediglich. Merlin entfuhr ein ›Wow‹. Die Küche hatte er anders in Erinnerung. Sie wirkte mehr als einladend, richtig familiär. Carsten servierte frischen Kaffee und etwas zum Essen. Dabei erzählten beide, wie es weiter gehen würde. »Ich bin also euer Gast?«, hakte Merlin noch einmal nach. Die Annahme bestätigten beide wie aus einem Mund. Dann zeigte Andreas ihm sein Zimmer. Es sah wirklich modern aus und doch, es passte alles auch zu einem viktorianischen Manor. Das Bad war ein Hammer. Es war funktionell mit Badewanne, Dusche und zwei Waschbecken. Andreas erklärte Merlin, dass dieses Bad für zwei Gästezimmer gedacht war. Daher gab es auch zwei Zugänge. »Das Bad wird einmal die Woche von Mrs Sanches nass gereinigt. Ansonsten wirst du hier alles in Ordnung halten«, erklärte Andreas weiter. »Das werde ich hinbekommen«, antwortete ihm Merlin. »Wegen der Hunde können die Türen nicht verschlossen werden. Wir sind kein Hotel, dennoch gilt die Etikette: Ohne Zustimmung wird der Raum nicht betreten. Lediglich Mrs Sanches muss da mal durch, wenn sie zum Bad will.« Dann zwinkerte Andreas Merlin zu. »Also lass keine peinlichen Dinge herumliegen.« »Äh, nein«, beeilte sich Merlin zu antworten. Unter der Dusche dachte er darüber nach, ob es richtig gewesen sei. Diesen Gedanken schob er schnell wieder beiseite. Anscheinend bildeten seine Gastgeber eine WG. Doch dann fiel ihm etwas ein. Beide Männer trugen einen gleichaussehenden Ring. Waren die wohl miteinander verheiratet?

In den folgenden Tagen lernte er seine Gastgeber näher kennen. Seine Annahme bestätigte sich: Andreas und Carsten waren ein schwules Paar. Er hatte immer gedacht, dass solche Paare sich irgendwie abhoben und extravagant wirkten. Aber das Gegenteil traf zu. Abgesehen davon, dass Rutherford Hall schon ein imposantes Anwesen war, wirkte es doch sehr freundlich und familiär. Was wohl an deren persönliche Philosophie lag. Andreas war Landschaftsarchitekt. Er hatte aus dem Garten ein kleines grünes Paradies gezaubert. Er wusste anzupacken und war wohl mehr im Garten als in seinem Büro. Daneben war er auch ein Meister an den Töpfen und Schüsseln. Carsten war ein bekannter Musiker und Dozent am Royal College of Music. Daneben war er der Rudelführer von Leonardo und Salvatore. Die beiden Hunde liebten es, mit ihm Gassi zu gehen. Merlin bemerkte leichte Unterschiede im Verhalten der Hunde. Bei Andreas nahmen sie sich kleine Freiheiten heraus. Keine Spur davon bei Carsten. Die jungen Männer waren wohlhabend, das konnte jeder sehen, der sie besuchte. Dennoch machten sie einen sehr bodenständigen Eindruck. Im Dorf mischten sie sich gerne unters Volk. Besuchten den Wochenmarkt regelmäßig und interessierten sich für die Probleme der Gemeinde. Der Gärtnerei Hill gaben sie einen lukrativen Auftrag. Beim Spielplatz bezogen sie regionale Betriebe ein. Mrs Palmer berichtete von einer Herausforderung für ihren Sohn, als Andreas die Idee mit Kletterwänden hatte. Dem Möbelschreiner des Ortes erteilte er den Auftrag für eine Balkenwippe. Mrs Baker, die Schmiedemeisterin aus dem Nachbardorf, sollte einen schmiedeeisernen Zaun aufstellen. Dann halfen beide auch dem Jungen, wieder Fuß zu fassen. Erst war Dr. Miller auf ihn zugekommen. Sabine hatte sich ihren Fuß verstaucht und sollte nicht viel stehen. Anscheinend hatte er bei einer kleinen Unterweisung ein gewisses Feeling für Tiere an den Tag gelegt. Merlin brauchte nicht wirklich lange überlegen. Ein Praktikum war eine gute Möglichkeit, etwas Nützliches zu tun. Die zweite Überraschung kam von Ben. Der Wirt vom Pub. Ihn suchte der Junge auf, um sich für einen kleinen Diebstahl zu entschuldigen. Ben war ein wahrer Bär von einem Mann. Doch er zeigte sich als Mann von praktischen Lösungen. Kurzerhand schlug er ihm vor, seine fehlende Schulausbildung bei seiner Gattin zu beenden. Gwenda war ehemalige Lehrerin und hatte noch ausgezeichnete Beziehungen. Bei ihrem ersten Treffen hatte sie seine alten Schulunterlagen parat. »Merlin, ich habe einige Kontakte spielen lassen«, begann sie zu erklären. »Mit Hilfe deines Betreuers beim Jugendamt konnten wir deine Zeugnisse und den Lehrstoff besorgen. Mit meiner Erfahrung habe ich dir bereits einen Stundenplan erstellt. Denn ganz so schlimm wie es scheint ist es nicht. Dennoch wird es eine harte Arbeit.« »Nun, einfach habe ich es mir auch nicht vorgestellt. Immerhin fehlt mir ein gutes Schuljahr«, schätze Merlin die Situation realistisch ein. »Glaubst du, ich könnte einen College-Abschluss erreichen?« Gwenda lächelte. »Du zeigst Ehrgeiz. Einen solchen Abschluss bekommen wir hin.« Dann begann schon die erste Stunde in Mathematik und Physik.

Andreas und Carsten boten dem Jungen sogar ihre Hilfe an. Bei Andreas war es keine Frage. Als Gärtner musste er sich in den Naturwissenschaften auskennen. Dass auch Carsten sich damit auskannte, wunderte Merlin nun doch. Die Erkenntnis kam ihm, als Gwenda ihn mit den physikalischen Grundlagen konfrontierte. Klar, Musik ist die praktische Anwendung von Schall. Eine Teildisziplin der Physik. Aber auch die anderen Naturwissenschaften waren für ihn kein unbekanntes Gelände. In Chemie half er dem Jungen bei der Stöchiometrie. Trockene Theorie, doch dadurch konnte er bei Dr. Miller punkten.

Eine Überraschung war der Besuch von Carstens Schwester. Eigentlich Frau Dr. Vet. von Feldbach - Lombardo. Doch schon bei der ersten Begegnung schlug sie das Du vor. Andrea brachte auch einen Golden Retriever-Welpen mit. Gina war ein Energiebündel und beschäftigte Leonardo und Salvatore ausgiebig. Dennoch machten die beiden Brüder ihr ganz schnell klar, dass der Garten zum Lösen tabu war. Leonardo war der etwas schwerere Hund und packte die kleine Lady kurzerhand am Nacken. Gemeinsam gingen sie in den Übergang ihres Reviers. Dafür hatte Andreas einen Bereich angelegt, der kaum frequentiert wurde. Abends ging es dann in die Sauna. Merlin hatte noch keine Erfahrung. Aber der Nachmittag bei Dr. Miller war hart. Hausbesuche bei den Landwirten. Bei den Moors wurden die Jährlinge untersucht. Selbst mit der anstrengenden Arbeit war es im Stall auf längerer Zeit einfach kalt. Das spürte er am Abend. Daher war ein Besuch in der Sauna wohl angebracht. Mann, Andrea, Andreas und Carsten blieben ganz locker, mehr oder weniger sich nackt gegenüber zu sitzen. Zum Leidwesen des Jungen bekam er bei dem Anblick weiblicher Brüste eine Erektion. Doch die drei entschärften die Situation mit viel Humor.

Am folgenden Morgen ging es mit Frau Doktor direkt zum Cattle. Dr. Miller war von dem Besuch angetan. Bei der Untersuchung konnte sie nämlich mit fundiertem Fachwissen und einer Diagnose überzeugen. Bei der anschließenden Behandlung war Merlin froh, dass Andrea dabei war. So ging der kleine Eingriff schnell über die Bühne. Danach verabschiedete sie sich zu ihrem Termin in Edinburgh. Das anschließende Wochenende beschäftigte sich Merlin mit Hausaufgaben. Das Pensum war enorm. Doch Merlin kämpfte sich eifrig da durch. Zum Lunch holte ihn Leonardo. Der Hund stand plötzlich im Zimmer und erinnerte den Jungen, eine Pause einzulegen. Klar, dass die kleine Unterbrechung etwas länger dauerte. »Merlin, ich glaube, du solltest ruhig noch eine Runde mit den Hunden im Garten toben. Das befreit vor allem den Geist«, meinte Carsten. »Gwenda hat mir schon viel aufgegeben«, war er etwas skeptisch. »Weißt du, es gibt da so eine Empfehlung. 45 Minuten konzentriertes Lernen, 15 Minuten Pause. Du warst jetzt fast drei Stunden ununterbrochen am Lernen. Lass deine graue Masse im Kopf diesen Stoff erst einmal verarbeiten. Ich denke, eine halbe Stunde an der frischen Luft unterstützt diesen Vorgang«, machte Carsten ihm einen Vorschlag. Sowohl Leonardo als auch Salvatore sahen ihn fragend an. Merlin ließ sich auf diesen Deal ein.

Am Montagabend gab es eine riesige Überraschung. Andreas und Carsten präsentierten dem Jungen seinen neuen Computer. Das Equipment war vom Feinsten. Dazu gab es auch ein Smartphone. »Also Merlin, Gwenda meinte, dass du mehr Übung mit diesen Medien brauchst. Wir können dir ja schlecht unsere Computer zur Verfügung stellen, da wir selbst oft genug damit arbeiten müssen«, erklärten Andreas und Carsten abwechselnd die Situation. »Aber es hätte doch auch ein gebrauchter PC getan«, protestierte Merlin. »Vom Finanziellen vielleicht, doch viel Freude hättest du damit nicht gehabt. Die Software würde regelmäßig aktualisiert und dann wäre schnell die Rechenleistung ausgeschöpft. Andrea, Andreas und ich haben alle Vor- und Nachteile abgewogen. Das ist das beste Ergebnis. Weil wir selbst auch immer aktuell sein müssen, lassen wir deinen Rechner über Andreas‘ Büro laufen. Das schließt eine Wartung durch einen Spezialisten mit ein. So gesehen ist es ein lukratives Geschäft für uns«, erläuterte Carsten alle Umstände. Andreas brachte dann noch weitere Argument ins Spiel: »Wir haben Gwenda um Rat gefragt. Sie sagte, dass du schon up-to-date sein solltest. Obendrein brauchst du diese Hilfsmittel auch für deinen Job.« Merlin gab sich geschlagen. Gemeinsam mit Andreas stellte er ihn auf. In seinem Zimmer stöpselte Andreas lediglich zwei Kabel in entsprechende Steckdosen. »Also wir nutzen im Haus W-LAN und Ethernet. Deine Station haben mit dem Ethernet verbunden.«, begann Andreas. »Das ist zum einen schneller als das W-LAN und zweitens durch die Glasfasertechnologie sicherer. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen. Bei mir im Büro habe ich einen vernetzten Drucker, den kannst du nutzen. Hier ist die IP-Adresse.« »Andreas, ich hatte zwar in der Schule schon mal einen Crashkurs dazu, doch würde ich dich bitten, mir bei der Erstinstallation zu helfen“, gab Merlin zu. »Kein Thema. Dann starte mal den Rechner …« Gemeinsam machten sie sich dran. Andreas ließ aber alle Eingaben von Merlin machen. Learning by Doing ist die beste Methode. Eine Stunde später hielt Merlin seinen ersten Ausdruck in den Händen. Merlin, Andreas und Carsten waren zufrieden. Carsten grinste: »Jetzt werden wohl deine Nächte kürzer ausfallen.« »Meinst du?«, erwiderte Merlin ebenfalls grinsend. »Ich habe tagsüber schon recht viel zu tun. Mein Praktikum, die Nachhilfe, Hausaufgaben und dann ist da noch Charaid. Die Zeit mit ihm ist mir sehr wertvoll. Glaubst du, ich habe da Lust und Laune, noch auf die nötige Erholung zu verzichten?« »Gesunde Einstellung«, meinte Andreas, »jedenfalls wird dir Gwenda weiter diese Materie vermitteln. Denke immer daran, dass Computer immer nur ein Werkzeug sind. Dein Gehirn ist weitaus kreativer. So, genug gefachsimpelt. Lust, noch mit den alten Herren etwas zu chillen?«

Klar, im Salon war es einfach gemütlich. Bei einem Mokka konnten die drei relaxen. Irgendwann kam Charaid, der es sich bei Merlin gemütlich machte. Andreas und Carsten saßen auf dem Zweisitzer. Merlin grinste. Beide flirteten ungeniert miteinander. Doch es sah auch sehr vertraut und irgendwie normal aus. Merlin wurde ein wenig neidisch auf die beiden. »Merlin?«, sprach ihn Andreas an, »träumst du?« »Äh ja, nein. Was gibt es?« »Morgen kommt Mr Palmer und stellt die Statuen auf. Es soll zwar alles zum Abend hin fertig sein, doch wegen der Hunde solltest du ein paar Tage darauf verzichten, direkt hinzugehen“, meinte Andreas. »Ist gut. Leute, mir fallen langsam die Augen zu«, gab Merlin seinen Status bekannt. »Sweet dreams«, wünschten ihm die beiden.

Zum Relaxen im Garten blieb Merlin nicht viel Zeit in den folgenden Tagen. Sabine hatte ihm zur Aufgabe gemacht, die Medikamente nach Verfallsdatum durchzusehen. Daneben kündigte Dr. Miller an, mit ihm die Routineuntersuchungen bei den Farmern durchzuführen. Gwenda schien es zu bemerken, Merlin wirkte bei ihren Stunden müde. Abends war er einfach nur froh, seine Beine hochlegen zu können.

Dann lernte Merlin das erste Mal ein echtes Konzert kennen. Die Atmosphäre in dem Konzerthaus war unbeschreiblich. Das Konzert fand er war atemberaubend. Carsten nahm das Leben eigentlich locker. Doch hier lernte er einen ernsthaften Mann kennen. Hochkonzentriert, professionell, und vor allem wirkte er souverän. Auch sein Outfit unterstrich seinen Auftritt. Nicht etwa abgehoben, es passte einfach zu ihm. Viel zu schnell war es vorbei. Andreas stieß ihn an und sie gingen ins Foyer, um sich bei einem fruchtigen Getränk zu erfrischen. Dort traf er auch auf die Hills. Einer Eingebung folgend bat er Mrs Hill freundlich, im örtlichen Tierheim auszuhelfen. Er hoffte, dass sie sich eventuell eines der dortigen Waisen annehmen. Andreas weckte ihn, als sie wieder zu Hause waren. Der Junge verabschiedete sich, ins Bett gehen zu wollen.

Mitten in der Nacht sprang Charaid auf sein Bett. Genauer sprang er direkt auf den schlafenden Jungen. »Was hast du?«, meine er schlaftrunken. Doch dann hörte er Carsten schon rufen. Irgendetwas war nicht in Ordnung. In der Küche traf er auf die beiden. Andreas legte gerade etwas auf den Küchentisch ab. »Jemand hat ein Baby ausgesetzt. Es ist schon ganz blau. Wir brauchen einen Arzt«, meinte er traurig. Carsten blieb Herr der Situation. »Merlin, hol bitte mein Telefon, es liegt in meinem Arbeitszimmer.« Als der Junge wieder zurück war, kam ihm ein penetranter Geruch entgegen. Carsten reinigte den kleinen Jungen, wie Merlin erkannte. »Den Notarzt?«, fragte er sofort. »Das dauert zu lange. Rufe den Dorfarzt an. Dann den Rettungswagen«, antwortete ihm Carsten. Merlin gab ihm das Telefon, nachdem er alles erledigt hatte. Dann rief Carsten DI Blackmoore an. Kurz schilderte er, was vorgefallen war. Mehr bekam Merlin nicht mit. Er war einfach zu müde, um das Geschehen noch weiter zu verfolgen. Obendrein stand noch ein anstrengender Arbeitstag vor ihm. Carsten war schon auf und hatte die Hunde in den Garten gelassen. Als er sich aufmachte, sah er ein fremdes Auto vor dem Portal stehen. Der Tag war anstrengend. Es gab schon früh einen Andrang in der Praxis. Dennoch dachte er auch immer an den Vorfall. Dr. Peters entließ ihn schon zeitig. Nachdem er wieder zu Hause war, bemerkte er einige Veränderungen. In der Küche saß Edward bei einer Tasse Tee und Scones. »Hallo Edward. Was machst du hier?«, fragte Merlin den Besuch. »Hallo Merlin. Ich bin hier jetzt der Verwalter. Die Herren haben mich eingestellt und ich muss sagen, es ist schon eine Herausforderung für mich. Magst du Tee? Mrs Sanches hat noch frischen aufgebrüht, bevor sie wieder fuhr.« Merlin nahm dankend an. Bei Tee und Scones sprachen sie über alles Mögliche. Vor allem interessierte sich Edward für die Fortschritte beim Cattle. Zum Dinner gab es eine Überraschung. Andreas und Carsten bemühten sich um eine Adoption des Babys. Dazu sollten noch einige Veränderungen im Haus stattfinden. Der Junge stellte sich ernsthaft die Frage, wie das wohl gehen würde. Zwei Männer und ein Baby, wobei Carsten noch gehandicapt war. Als der kleine Mann dann bei ihnen einzog, waren alle seine Bedenken wie weggeblasen. Schnell wurde Cedric in die Gemeinschaft integriert. Carsten war derjenige, der nachts den Jungen überwiegend versorgte. Andreas, Mrs Sanches und Edward halfen sich gegenseitig bei der Tagschicht. Unterwegs war der Familiensprössling in einem praktischen Tragetuch. Merlin wurde immer auch mal von Andreas und Carsten gebeten, auf Cedric zu achten. Klar, dass er dann auch die wichtigsten Handgriffe lernte. Er konnte sich nach einiger Zeit gar nicht mehr vorstellen, wie sein Tagesablauf ohne Cedric gewesen war. Es gab immer auch lustige Episoden. Merlin hatte ihn frisch gewickelt. Der kleine Mann guckte ihn lediglich fragend an, fing an zu grinsen und schon war die Windel wieder voll. »Du bist mir einer«, meinte Merlin lächelnd. »Dann wollen wir dich mal wieder sauber machen.« Mittlerweile hatte er den Dreh heraus. Cedric gähnte dabei öfters, also war es Zeit, ihn wieder in sein Bett zu legen. Merlin setzte sich neben sein Bett und stimmte ein Kinderlied an. Zufrieden schlief der kleine Held dabei ein.

Einige Tage später kündete Andreas Familienbesuch an. Mrs Sanches bereitete drei Gästezimmer vor. Das bedeutet, es kamen viele Gäste. Merlin würde wohl nun die Eltern kennenlernen. Auf die Frage, ob er sich rarmachen solle, meinte Carsten nur, dass er und Edward ebenso Gäste seien. Schon am ersten Abend durfte er feststellen, woher Andreas und Carsten ihre offene Art hatten. Zum Dinner wurde gegrillt, dabei halfen alle mit. Andreas und seine Großväter machten viele verschiedene Saucen, Dips, Salate und Beilagen. Carstens Vater stand mit Edward am Grill. Die Ladies deckten den Tisch im Dining Room. Merlin und Carsten bereiteten die Rationen ihrer Tiere vor. Dieses Dinner zog sich hin. Alle gaben sich verschiedenen Themen hin. Natürlich interessierte sich Paul für das Cattle und wie es ausgegangen ist. Merlin staunte nicht schlecht. Da wollte ein Tierarzt mit langjähriger Erfahrung die Ansicht eines Laien wissen. Die Großeltern von Andreas sprachen viel mit ihm. Wobei Merlin nicht immer verstand, was sie besprachen. Andreas sprach mit ihnen tschechisch und italienisch. Dabei hatte er keine Probleme, von der einen fließend in die andere Sprache zu wechseln. Mit Edward unterhielt sich Luise angeregt über regionale Sehenswürdigkeiten. Bevor sie sich alle zur Ruhe betteten, hatten sie sich vorgenommen, einen ausgedehnten Besuch in Edinburgh zu machen.

Nach einem familiären Frühstück gab Andreas ihnen ihre Limousine. Er kannte das Auto ja schon und obwohl dieses äußerlich kompakt wirkte, war es alles andere als unkomfortabel. Für die beiden Hunde war sogar ein geräumiger Käfig eingebaut worden. Sicherheit für ihre vierbeinigen Freunde war für Carsten und Andreas eine Grundvoraussetzung. Für Merlin stand ein Nachhilfevormittag bei Gwenda an. Mitten im Unterricht hörte er die Sirenen der Ambulanz. »Mächtig was los in unserem sonst so stillen Dorf.« Dann konzentrierte er sich wieder.

Chapter 11

Am Haus wurden beide Spaziergänger bereits erwartet. »Gut, dass ihr da seid. Paul und Luise hatten einen Unfall.« »Wie geht es ihnen?«, wollte Carsten nach dem ersten Schock wissen. »Also«, begann Edward, »das Auto ist Schrott. Die Polizei sagte etwas von mehrfach überschlagen …« »Edward, wie geht es meinen Eltern?«, unterbrach ihn Carsten. »Sie sind beide zur Uniklinik Edinburgh gebracht worden. Der ersten Auskunft nach werden beide noch operiert.« »Ich muss sofort zu ihnen. Andreas?« »Natürlich, wir nehmen den Rover. Edward, kümmerst du dich bitte um unsere Gäste und die Hunde, später kommt noch Patrick. Cedric ist jetzt bei euch besser aufgehoben.« »Ich weiß noch nicht, wann wir wieder zurückkommen. Eventuell bleiben wir dort in einem Hotel«, entschied Carsten.

In der Klinik wurden sie schon erwartet. »Mr von Feldbach, Mr Moore hat Sie schon angekündigt. Ihre Eltern sind noch im OP. Es besteht keine Lebensgefahr. Ihre Mutter hat sich ein Bein gebrochen und ein paar Prellungen davongetragen. Ihr Vater musste von der Feuerwehr aus dem Wagen geschnitten werden. Er hat mehrere Knochenbrüche und innere Verletzungen erlitten.« »Wann kann ich zu ihnen?“, fragte Carsten die Empfangsdame. »Ich sage Ihnen Bescheid, wenn sie in den Aufwachraum gebracht werden. Da warten noch einige Herren von der Polizei auf Sie.« Andreas nahm Carsten in den Arm und beruhigte ihn. »Gut, wir werden mit der Polizei sprechen. Wo finden wir die Herren?«, übernahm Andreas die Initiative. »Ich begleite Sie zu ihnen, wir stellen Ihnen den Besprechungsraum zur Verfügung. Ich verspreche, Sie sofort zu benachrichtigen.« Andreas nickte bestätigend.

»Mr von Feldbach?«, wandte sich ein Beamter an Andreas. »Ich bin sein Mann, Mr Zahradník. Carsten, der Beamte steht rechts von uns.« »Mr von Feldbach, so wie es aussieht, wurde auf den Wagen geschossen. Daher ist das Auto noch in der kriminaltechnischen Abteilung. Ihre Eltern haben Glück gehabt.« »Wer ist denn gefahren?«, wollte Carsten wissen. »Ihre Mutter. Ist das wichtig?« »Meine Mutter fährt gerne schnell …« »Oh, wir haben die Blackbox schon ausgelesen. Die Geschwindigkeit war in Ordnung. Die Airbags haben ausgelöst.« »Das meine ich nicht. Meine Mutter ist früher mal Rallye gefahren.« Dabei huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. »Das erklärt einiges und hat vor allem einen schwereren Unfall verhindert. Ihre Mutter hatte den Wagen direkt in die Leitplanke gelenkt. Diese hat dann nachgegeben und der Wagen ist eine Böschung hinuntergerutscht. Dabei überschlug sich der Wagen mehrfach. Das meiste hat wohl die Transportbox abgefangen. Der Wagen blieb dann auf dem Dach liegen. Dabei wurde die Beifahrertür deformiert. Die Feuerwehr hat eine Rettungsschere einsetzen müssen. Es war auch die Feuerwehr, die uns auf die Ursache aufmerksam gemacht hat. Wir haben dann alles weitere veranlasst.« »Dann müssen wir das Resultat der Untersuchung abwarten. Ich stelle Strafanzeige - erst einmal gegen Unbekannt. Danke Andreas, dass du unseren Tieren die Luxusvariante gegönnt hast. Die nehmen wir auch beim nächsten Wagen.« »Ganz bestimmt, in unseren Fahrzeugen sollen sich alle sicher fühlen.« »Wenn ich Sie unterbrechen darf?«, räusperte sich der Beamte. »Es ist eine rein formelle Frage. Sind ihre Eltern mit dem hiesigen Verkehr vertraut?« »Ja. Beide fahren seit Jahren auch in Großbritannien Auto. Mein Vater hat meiner Schwester empfohlen, einige Fahrstunden in London zu nehmen. Meine Eltern bestanden darauf, dass alle ein Fahrsicherheitstraining machen. Beantwortet das ihre Frage?« »Vollkommen. Sie sagten vorhin, ›erst einmal‹ haben sie einen Verdacht?«, bemerkte der Beamte, hellhörig geworden. »In unserer Gemeinde gibt es jemanden, der ziemlich homophob eingestellt ist und seit geraumer Zeit unserer Familie Probleme bereitet …« Carsten und Andreas erzählten den Beamten die ganze Geschichte mit allen Vorkommnissen. »… es ist nur ein vager Verdacht«, schloss Carsten den Bericht ab. »So werden wir es auch behandeln. Selbst wenn alles im Sande verläuft. Wo sollte er gewesen sein?« »Laut unserem Gemeindepfarrer sollte er heute bei seinem Bischof gewesen sein.« »Das werden wir überprüfen, ebenso, ob er Waffen besitzt. Wie können wir Sie kontaktieren?« Andreas gab dem Beamten seine Visitenkarte. »Da Sie im Distrikt Inverness wohnen, werden wir unsere Kollegen dort informieren. Das war es erst einmal.« Freundlich verabschiedete sich der Beamte. Dann kam die Nachricht, dass Paul und Luise aus dem OP waren. »Mr von Feldbach. Sie können zu ihren Eltern. Die Narkose wirkt noch nach. Der Arzt wird sich noch mit Ihnen unterhalten.« »Darf Andreas mit?« »Ist er ein direkter Verwandter?« »Er ist ihr Schwiegersohn.« »Dann ja, aber bitte nicht länger als fünf Minuten.«

»Carsten, es tut mir um euren Wagen leid«, fing Luise an. »Mama der Wagen ist doch nicht wichtig. Wie geht es dir?« »Den Umständen entsprechend. Paul hat es wohl schlimmer getroffen.« »Noch schläft er. Ich habe noch nicht mit dem Arzt sprechen können. Einige innere Verletzungen und Knochenbrüche, wurde mir gesagt, als ich eintraf. Aber keine lebensbedrohlichen Verletzungen. Ich bin froh, dass es so glimpflich ausgegangen ist.« Beide jungen Männer atmeten erleichtert auf. »Da kam mir meine Erfahrung aus der Rallye-Zeit zugute. Wie sieht denn der Wagen aus?« »Davon abgesehen, dass ich nicht sehen kann, ist er noch bei der Polizei. Ich habe vorhin mit einem Beamten gesprochen. Die Unfallursache wird noch ermittelt. Es hat den Anschein, dass auf euch geschossen wurde.« Carsten wusste, was er seinen Eltern zumuten konnte. »Was? Warum denn?« »Es ist unser Wagen. Möglich, dass Andreas und ich gemeint waren. Das wird die Polizei schon herausfinden. Die Pflegerin sagte uns, dass wir nur für fünf Minuten bei euch sein dürften. Mama, Papa, ich habe euch lieb.« Erst beugte er sich zu Luise hinunter und gab ihr einen Kuss. Anschließend tat er gleiches bei seinem Vater. Andreas sah, wie Paul lächelte. »Carsten, fahrt nach Hause zu Cedric. Kommt morgen wieder. Wir brauchen Ruhe, um das alles zu verarbeiten. Ich werde deinem Vater soweit alles erklären.«

Andreas bot Carsten seinen Arm an. Vor dem Raum stand der behandelnde Arzt. »Mr von Feldbach?« »Ja?« »Ich bin Dr. Hathaway, der behandelnde Arzt. Die Operationen sind erfolgreich verlaufen. Den Bruch ihrer Mutter haben wir gerichtet. Eine glatte Fraktur des Oberschenkels. Die Platzwunde haben wir versorgt und getackert. Es bleiben bei ihr nur kleine Narben.« »Meine Mutter ist realistisch. Eitel ist sie nicht.« Unwillkürlich huschte dem Arzt ein Lächeln ins Gesicht. »Wie steht es um meinen Vater?«, ging Carsten zu seinem Vater über. Der Arzt wiegte ein wenig seinen Kopf: »Bei Ihrem Vater war es etwas komplizierter. Er hat mehrere Rippenbrüche davongetragen. Ein Rippenbogen hatte sich in seine Leber gebohrt und es gab einen entsprechenden Blutverlust. Es war eine schwierige Operation. Wir mussten ihm ein Stück der beschädigten Leber und der Rippe entfernen. Er wird sich davon erholen. Doch es braucht viel Zeit. Er hat jetzt erst einmal ein starres Korsett zur Stabilisierung des Brustkorbs. Später wird er ein entsprechendes Korsett tragen müssen, bis die Brüche verheilt sind. Doch das kann bis zu einem halben Jahr Zeit in Anspruch nehmen. Bis dahin keine körperlichen Anstrengungen.« Dr. Hathaway interessierte sich für seine Patienten. »Darf ich fragen, was er beruflich macht?« »Tierarzt. Er bereitet sich aber schon auf seinen Ruhestand vor.« »Ich verstehe. Das ist gut für den Heilungsprozess. Haben Sie noch Fragen?« »Wie lange werden sie hierbleiben müssen?« »Wenn sich keine Komplikationen einstellen, nicht mehr als zwei Wochen. Wir haben das Bein ihrer Mutter vorerst geschient. Noch ist es geschwollen. Möglich, dass wir am Montag oder Dienstag die Hartschalen anlegen«, führte der Arzt die Behandlung weiter aus. »Danke, Dr. Hathaway.« »Ich habe Bilder von der Unfallstelle gesehen. Ich hätte nicht gedacht, dass den Unfall jemand überleben könnte. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Ihre Eltern sind hier in den besten Händen, fahren Sie nach Hause. Die Ruhe wird gerade Ihrem Vater guttun.« »Das haben wir auch vor. Wenn etwas sein sollte, informieren Sie uns bitte sofort.« Der Arzt verabschiedete sich und ging in eine andere Richtung.

»So, jetzt würde ich gern noch zu dem kaputten Auto«, meinte Carsten. »Tiger, das möchte ich mir heute nicht mehr antun. Es ist bei der Polizei und wird noch untersucht. Lass uns zu Cedric fahren. Er wartet auf uns.« Carsten stimmte seinem Liebsten zu. Erste Tränen liefen ihm über das Gesicht. Andreas nahm ihn fest in seine Arme. Er spürte, wie Carsten zu zittern begann. Nach wenigen Minuten machten sie sich auf zu ihrem Wagen. Bis zur Stadtgrenze schwieg Carsten. »Andreas, danke, dass du für mich da bist.« »Ich stehe zu dir in guten Zeiten und in schlechten. Wie wir es uns versprochen haben.« »Was ist jetzt mit dem Wagen?« »Das eilt wirklich nicht. In den nächsten Wochen werde ich mich darum kümmern. Gleiche Ausstattung?« »Selbstverständlich. So wie ich dem kurzen Berichten entnommen habe, wirkte die Transportbox wie ein Überrollbügel. Etwas anderes noch: Wir werden unsere Pläne etwas verändern müssen. Wenn Luise und Paul einverstanden sind, können sie bleiben, bis es ihnen besser geht«, machte Carsten Andreas mit seinen Gedanken vertraut. »Wir unterbreiten ihnen den Vorschlag. Wirst du Andrea und Ercan informieren?« »Klar, jedoch kein Wort von einem Attentat. Sie hatten einen Unfall. Sie sollen sich keine Sorgen machen.« Carsten nahm sein Mobilphon und wählte die Nummer von Andrea. Aus der Freisprecheinrichtung erklang das Freizeichen.

»Hallo, Bruderherz, sind eure Gäste wohlbehalten angekommen?«, erklang Andreas fröhliche Stimme. »Ja. Andrea! Mutti und Papa hatten einen schweren Autounfall. Sie sind in einer Klinik in Edinburgh. Der Arzt sagte mir vorhin, dass keine Lebensgefahr besteht. Mama hat sich ein Bein gebrochen und wird wohl längere Zeit einen Gips tragen. Papa ist nicht ganz so glimpflich davongekommen. Laut des behandelnden Arztes müssen sie noch zwei Wochen in der Klinik bleiben. Anschließend können sie noch bei uns bleiben und sich weiter erholen. So sie auch möchten.« »Kennst du schon die Ursache?«, wirkte seine Schwester besorgt. »Nein, der Wagen wird noch untersucht. Mama hat wohl schnell reagiert und schlimmeres verhindert. Kommst du?« »Stefano sucht bereits eine Flugverbindung heraus. Morgen sind wir da und bringen auch Ercan mit. Informierst du ihn?« Andreas bewunderte seine Schwägerin. Sie behielt trotz der ernsten Lage einen kühlen Kopf. »Das mache ich. Er soll euch anrufen. Bis morgen.« Carsten unterbrach das Gespräch. Dann wählte er erneut. Ercan wollte sofort losfahren. »Nein!«, unterbrach ihn Carsten. »Setz dich mit Andrea in Verbindung. Stefano sucht euch bereits einen Flug heraus. Ercan, es wird alles wieder gut werden. Lass Andreas und mir etwas Zeit, entsprechende Vorbereitungen zu treffen“, klang Carsten versöhnlich. »Immer der vernünftige große Bruder«, tönte es aus der Sprechanlage. »Klar, jemand muss ja auf dich aufpassen, Kleiner. Bis morgen.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Andreas huschte trotz der ernsten Lage ein Lächeln übers Gesicht. Ercan mochte es nicht, ›Kleiner‹ genannt zu werden. Diese Freiheit durfte sich auch nur Carsten herausnehmen. Sie hatten schon ein gutes Stück Strecke hinter sich, als Andreas auf der gegenüberliegenden Seite die leuchtenden Warnbarken sah und ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Es waren gute 200 Meter abgesichert. »Wie schnell ist deine Mutter wohl gefahren?« »Aus Erfahrung würde sich sagen 80 mph. Warum?« »Wir sind gerade an der Unfallstelle vorbei. Es sind wohl 200 Meter beschädigt.« »Mutti ist an die Leitplanke entlanggefahren, um den Wagen unter Kontrolle zu halten. 200 Meter sind da nicht viel. Nicht auszudenken, wenn da eine Brücke gestanden hätte.« Das wollte sich auch Andreas nicht vorstellen.

Er öffnete das Tor mit seiner Fernbedienung. Direkt vor dem Haus kamen sie zum Stehen. Sie waren noch nicht ausgestiegen, da wuselten Leonardo und Salvatore um den Wagen herum. Die Eingangstür öffnete sich und Edward kam ihnen entgegen. »Edward, würdest du bitte das Auto in die Garage stellen?«, bat ihn Andreas. »Ja. Wie geht es euren Eltern?« »Die Operationen sind gut verlaufen. Sie liegen jetzt auf der Intensivstation. Habt ihr schon gegessen?« »Nein. Lediglich Cedric hat seine Mahlzeiten bekommen. Er ist aber etwas quengelig und unruhig. Ich habe Mrs Sanches gebeten, für die Teezeit etwas vorzubereiten.« »Das war eine gute Idee. Ich könnte jetzt einen kräftigen Tee gebrauchen und dazu Scones mit Cream.« Andreas gab ihm die Autoschlüssel und begleitete Carsten ins Haus. Aus dem Salon hörten sie Stimmen. Daher gingen sie direkt dort hin.

»Hallo zusammen. Luise und Paul sind über den Berg und die Operationen waren erfolgreich. Paul hat es etwas schwerer getroffen. Es besteht jedoch keine Lebensgefahr. Nach ersten Untersuchungen durch die Polizei am Unfallort war ein geplatzter Hinterreifen die Ursache. Luise hat versucht, den Wagen an der Leitplanke zu stabilisieren. Diese hat nachgegeben, der Wagen überschlug sich und blieb auf dem Dach liegen«, informierte Carsten kurz. »Ist das Auto sehr beschädigt?« Carsten hatte ein Déjà-vu. »Das Auto ist Schrott, Nonno. Zur weiteren Untersuchung des Unfallhergangs ist es noch bei der Polizei. Wie sieht es aus, gibt es noch Tee? Andreas und ich haben vor Aufregung noch nichts gegessen.« »Ja. Mrs Sanches hat noch frischen Tee gemacht und solche Kekse«, antwortete ihm Nonna. Andreas hob seine Augenbrauen. »Scones nennen sich die Kekse. Sie sind sehr lecker. Besonders mit Marmelade und Sahne.« »War jemand mit den Hunden raus?«, fragte Carsten die Runde. »Wir alle haben einen kleinen Spaziergang mit ihnen gemacht und sie etwas beschäftigt. Doch zuerst solltet ihr zu eurem Sohn gehen. Cedric vermisst euch.« Das ließen sich Andreas und Carsten nicht zweimal sagen. Sie gingen direkt zum Kinderzimmer, wo der kleine Mann in seinem Bett lag. Kaum hatten sie die Tür geöffnet, hörten sie auch schon ihren Sohn. »Hallo Cedric. Sorry, wir waren bei deinen Großeltern. Morgen darfst du dann auch mit«, fing Andreas an. Als der Junge seine Väter erkannte, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln. Andreas hob ihn aus seinem Bett. »Uff, ich glaube, du brauchst eine neue Hose.« Andreas legte den kleinen Mann auf den Wickeltisch, zog ihn aus, machte ihn sauber und pflegte seinen Popo. Danach zog er ihm eine saubere Hose an und darüber einen frischen Strampler. So ausgestattet gingen die drei in die Küche. Auf dem Tisch standen zwei Tassen sowie ein Teller mit Scones, Marmelade und Sahne. Die Teekanne stand auf einem Stövchen. Carsten schenkte ihnen beiden ein. Andreas spielte mit Cedric. Dem kleinen Mann gefiel, was Andreas machte. Besonders, weil dieser ihn auch spielerisch forderte. »Du bist wirklich ein aufgeweckter Junge.« Ob Cedric das alles verstand? Wichtig war Andreas die Reaktion, denn Cedric giggelte bei dem Lob. Dann nahm er seine Tasse und trank einen kräftigen Schluck. »Schön, euch beiden zuzuhören. Ich habe euch lieb.« Andreas sah Carsten an. Er wirkte glücklich und zufrieden. »So, kleiner Cedric, erlaubst du, dass ich ein paar Scones esse?« »Ich denke schon. Wir sind ja bei ihm. Wie sollen wir Andrea, Stefano und Ercan unterbringen?« »Sie sind unkompliziert. Wir bringen sie in den unbenutzten Räumen unter, stellen ein paar Feldbetten hinein und gut ist. Sie können unser Bad benutzen. Ist ja nicht für ewig.« »Deine Idee hat was. Ich werde Edward darum bitten. Ach Shit, ich habe unsere Einkäufe vergessen. Die Milch ist bestimmt schon schlecht«, erinnerte sich Andreas an den Korb. »Oh, die Einkäufe habe ich verstaut. Der Korb stand in der Halle«, machte sich Merlin bemerkbar. »Danke. Habt ihr euch schon Gedanken zum Dinner gemacht?« »Deine Großeltern haben vorgeschlagen, sich heute um alles kümmern zu wollen. Gabriele wird sich dann hier austoben wollen.« Carsten setzte seine Tasse ab. »Merlin, kannst du etwas für mich tun?«, fing er an. »Was?« »Wir waren heute in der Dorfkirche. Recherchiere doch mal nach einer Orgelbaufirma. Sie sollte unter anderem eine Reinigung im Angebot haben.« »Mache ich, Carsten«, freute sich Merlin. »Ich werde mal mit Děda sprechen. Er kennt sich doch mit Dächern aus?«, fuhr Carsten fort. »Ich glaube nicht, dass er noch darauf herumklettert«, entgegnete ihm Andreas. »Muss er auch nicht. Ich denke, er hat genug Erfahrung, um uns sagen zu können, was eine Reparatur in etwa kostet. Mal sehen, ob wir Patrick und der Gemeinde helfen können«, antwortete ihm Carsten. »Ich mag zwar kein Christ sein, doch ich glaube, meine Eltern hatten ein Schutzengel.« »Cedric, so ist dein Papa Carsten: Bodenständig und hilfsbereit.« Cedric sah erst Andreas und dann Carsten an. Lächelnd strampelte er mit seinen Armen und Beinen. Andreas sah sich aufgefordert, seinen Sohn an sich zu nehmen. »Tiger, ich denke, du solltest mit den Hunden Gassi gehen. Spiele mit ihnen.« »Nur, wenn du dich weiter um unseren Sohn kümmerst.« »Das mache ich gern. Er hat schöne dunkle Augen und ein umwerfendes Lächeln. Er wickelt jeden um seine kleinen Finger.« »Mehr noch. Er hat eine schöne Stimme und ein sehr angenehmes persönliches Aroma. Leonardo! Salvatore! Gassi.« Die Worte waren noch nicht verklungen, da standen beide Hunde bereit. Carsten ging zum Porch und zog sich seine Jacke über, nahm das Spielseil der Hunde und ließ dann die Hunde raus. Er tastete seine Uhr ab. Es war schon nach sieben. »Wir machen jetzt eine große Runde und später dürft ihr noch in den Garten.« Zielstrebig gingen sie in Richtung des Parks. Nachdem sich beide Hunde gelöst hatten, übergab ihnen Carsten das Seil. Er hörte, wie beide miteinander spielten. Anscheinend wechselte der Besitzer des Seils ab und derjenige wurde dann vom anderen gejagt. Doch zwischendurch kamen sie auch immer zu ihrem Herrchen und wuselten um ihn herum. Carsten musste aufpassen, damit er nicht über einen Hund stolperte. Sein Gatte hatte Recht: Er brauchte diese Abwechslung, um sich innerlich zu beruhigen.

»Hallo Carsten, alles in Ordnung? Wie geht es deine Eltern?«, sprach Ben ihn an. »Hallo Ben, woher weißt du?« »Ich sah dich und Andreas heute Morgen im Dorf und kurz darauf euren Wagen davonfahren. Wir leben hier nicht hinter dem Mond. In den Nachrichten wurde über einen Unfall berichtet. Ich habe euren Wagen sofort wiedererkannt. Später sah ich deine Hunde in Begleitung von vier älteren Herrschaften. Da habe ich eins und eins zusammengezählt.« »Sie haben den Unfall überstanden und sind außer Lebensgefahr. Sie sind beide in einer Klinik in Edinburgh. Andreas, Cedric und ich fahren morgen zu ihnen. Dort treffen wir auch auf meine Geschwister«, blieb Carsten betont sachlich. »Hm, wurde etwas Genaueres über die Insassen berichtet?« »Nein. Es wurde immer nur von zwei Opfer gesprochen, die mit dem Hubschrauber in eine Klinik gebracht wurden. Deswegen wurde wohl auch darüber berichtet.« »Die Sensationslust der Medien. Sei‘s drum. Ändern können wir es nicht mehr. Ich hoffe, du kannst schweigen, wenn du darauf angesprochen wirst. Ich will meine Familie nicht dem Medienrummel aussetzten.« »Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Man hat schon Vorsorge getroffen, dass eurem Haus keiner zu nahe kommt.« »Das ist die Kehrseite, wenn man bekannt ist«, resignierte Carsten ein wenig. »Kopf hoch. Solche Dinge werden auch schnell wieder vergessen. Da reicht schon ein umgestoßener Blumentopf vor dem Gemeindehaus«, munterte Ben ihn auf. »Danke. Ich sollte langsam wieder zurück. Meine Großeltern bereiten unser Dinner zu; bin schon ganz gespannt, was es geben wird.« »Wolf! Bei Fuß!«, rief Ben und seinem Hund folgten auch Carstens Hunde. »Beannachd leat«, wünschte Ben Carsten. »Beannachd leat.« Leonardo und Salvatore hatten sich ausgetobt und liefen gesittet neben Carsten.

Andreas wurde aus der Küche verbannt. Also widmete er sich seinem Sohn und las ihm etwas im Salon vor. Beide hatten es sich auf dem Dreisitzer gemütlich gemacht. Hin und wieder babbelte Cedric etwas dazwischen. Andreas flocht es geschickt in seine Geschichte ein. Auch seine Bewegungen und Gesten nutzte er, um seinen Sohn aktiv in die Story einzubinden. Lediglich Nonna kam zwischendurch zu ihnen, um eine fertige Flasche Milch zu servieren. »Mango-Vanille-Schafsmilch«, flüsterte sie ihrem Enkel zu. Andreas sah sie dankbar an. Er richtete sich auf und nahm Cedric auf den Arm. Als dieser seine Flasche erblickte, wusste er, was anstand. Er nahm den Nuckel in den Mund und begann genüsslich zu saugen. »Du bist ein kleiner Nimmersatt. Hoffentlich sagt dir die Milch auch zu.« »Sieht ganz danach aus, Andreas. Dürfen wir euch Gesellschaft leisten?«, kommentierte Merlin die Situation. »Setzt euch zu uns. War Charaid den ganzen Tag bei dir?« »Nein, er kam vor einer halben Stunde zu mir. Ich glaube, er spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Seitdem kuscheln wir. Ich war im Netz erfolgreich. Es gibt eine Firma in Glasgow, die sich auf historische Orgeln spezialisiert hat. Ich habe auch schon eine Anfrage gestellt, was so eine Reinigung kosten würde. Die Antwort war ernüchternd. Ohne genaue Daten würden sie keine Angebote machen«, meinte Merlin etwas enttäuscht. »Das zeichnet diese Firma sogar aus. Sieh einmal, jedes Instrument ist ein Unikat. Auf der ganzen Welt gibt es keine zwei gleichen Orgeln. Eine Firma, die ein pauschales Angebot macht, würde nicht seriös arbeiten. Das gilt auch bei mir. Für die Ausschreibung einer Parkpflege habe ich eine Pflegepauschale. Damit werden alle Routinearbeiten abgedeckt. Dann gibt es den Posten für Neuanpflanzungen. Dieser ist aber variabel. Zuletzt gibt es den Posten für diverse Ausgaben. Darunter fallen alle Ausgaben, die indirekt mit Landschaftspflege zu tun haben. Zum Beispiel wird eine alte Steinmauer instandgesetzt oder ein Weg wird mit frischem Kies ausgebessert. Diese Ausgaben fallen nicht ständig an und auch der Umfang ist unterschiedlich. Zurück zu der Orgel. Das Instrument ist aus dem späten 17. Jahrhundert und wurde wohl von einem Father Smith erbaut. Da bedarf es einiges an Fingerspitzengefühl, um diese zu reinigen.« »Carsten hat davon Ahnung?« »Nicht mit Orgeln. Aber er kennt viele kostbare Flügel. Selbst unsere eigenen Flügel darf nicht jeder reinigen, stimmen oder intonieren.«

Während des Gesprächs bemerkte Andreas, wie Cedric zu saugen aufgehört hat. Der Junge ist in seinem Arm eingeschlafen. Behutsam stellte er die Flasche beiseite. Er nahm seinen Sohn und wollte ihn in sein Tagesbett legen. Die Bewegung weckte Cedric noch einmal und die verschluckte Luft bahnte sich ihren Weg. Etwas überrascht sah Andreas an sich hinab. Auf seinem Sweatshirt befand sich ein größerer Fleck Milch, die der kleine Mann ausgespuckt hatte. »Saubere Arbeit, Sohnemann«, lachte er. »Jetzt mach dein kleines Verdauungsschläfchen. Ich ziehe mir dann mal etwas Frisches über.« »Ich muss schon sagen. Der Fleck auf dem Shirt hat etwas Ästhetisches.« »Naja, aber nach einiger Zeit würde er schimmeln und müffeln. Bleibt ihr beiden hier? Dann ist Cedric nicht so allein.«

In der Halle kamen ihm die Hunde entgegen. Also war Carsten von seiner Runde zurück. Ein Blick auf die Uhr erstaunte ihn. Es waren tatsächlich schon eineinhalb Stunden vergangen. Er fand Carsten in ihrem Zimmer. »Der Teich?« »Ja. Leonardo und Salvatore meinten, ein Bad nehmen zu müssen. Was führt dich her?« »Mein appetitlich aussehender Mann?«, dabei ging er auf Carsten zu und strich ihn sanft über die nackte Brust. Der folgende Kuss wurde sehr sinnlich. Danach flüsterte er: »Cedric spuckte etwas Milch auf mein Sweatshirt. Ich nehme deine Sachen mit und hänge sie auf. Die Wäsche von Cedric muss auch noch gewaschen werden.« »Was macht der kleine Mann?«, wollte Papa Carsten wissen. »Ein Verdauungsschlaf. Merlin und Charaid sind bei ihm und, ich denke, die Hunde.« »Andreas, ich habe vorhin Ben getroffen. Er sprach von mehr Polizeipräsenz in der Region. Es deutet wohl alles darauf hin, dass wir das eigentliche Ziel waren«, Carstens Stimme zitterte. »Tiger, der Unfall geschah hier in der Region. Möglich, dass es Mr Blackmoore angeordnet hat. Solche Ereignisse ziehen die Medien magisch an. Du hast den Arzt gehört, keine Komplikationen während und nach den Operationen«, tröstete Andreas ihn. »Ich mache mir einfach Sorgen.« »Die mache ich mir auch. Wir lieben sie beide. Jetzt komm. Unten ist ein kleiner Mann, der uns braucht und vertraut.« »Gut. Dann wollen wir mal sehen, was es zu essen gibt. Machst du die Rationen für die Hunde?«, fragte Carsten. »Mach du bitte das Futter. Du kennst die Mengen und Zutaten besser als ich.« Carsten nickte lediglich. Dann gingen sie gemeinsam hinunter. In der Halle trennten sich ihre Wege. Carsten ging in die Küche und Andreas mit der dreckigen Wäsche in den Waschraum. Die Waschmaschine war schnell befüllt und eingeschaltet.

»Ist hier noch Platz, damit ich das Hundefutter zubereiten kann?« »Ja, dein Teil der Anrichte ist frei. Edward erwähnte bereits, dass die Raubtierfütterung noch ansteht“, gab ihm Nonno als Antwort. »Darf ich fragen, was du dir für das Abendessen ausgedacht hast?«, fragte er ihn, während er sich die Zutaten aus dem Kühlschrank nahm.

»Veronika schlug eine Cremesuppe vor. Děda empfahl eine Quiche. Geht relativ schnell und liegt nicht schwer im Magen. Dessert wird eine Crème brûlée, nach meinem Rezept. Dazu empfehle ich einen fruchtigen Rotwein.« »Du machst wirklich aus noch so einfachen Zutaten ein zauberhaftes Dinner. Dürfte ich vorschlagen, das Dinner mit einem echten Espresso zu beschließen?« »Ja, das passt. Was dürfen wir Cedric servieren?« »Er braucht etwas Bekömmliches. Fruchtige Milch hatte er heute genug. Hat Nonna nicht ein entsprechendes Rezept?« »Andreas mochte immer ihre Hafermilch mit etwas Honig am Abend.« »Das wird dem kleinen Mann gefallen.« »Ich werde Antonia bitten, diese zu machen. Dauert etwas.« »Cedric schläft noch. Er wird mit uns allen essen.«

Carsten streute die abgewogenen Mengen Getreideflocken über die Rationen. Danach räumte er seinen Platz wieder auf. Die fertigen Rationen blieben auf der Anrichte stehen. Anschließend ging er in den Salon. »Hallo Carsten. Wie geht es dir?« »Ich bin okay. Was macht der kleine Kater?« »Er hat es sich auf meinem Schoß bequem gemacht. Guckt die ganze Zeit zu Cedric und genießt die Streicheleinheiten. Wusstest du, dass Cedric im Schlaf redet?« »Das macht er ganz gern. Dumm ist nur, dass wir nicht verstehen, was er sagt.« »Ich für meine Person muss es auch nicht wissen. Er hat eine sehr schöne Stimme. Das reicht mir.« »Du bist sehr genügsam. Gilt das auch für Charaid?« »Nein. Ich spüre, wie hungrig er ist, und mache mich daran, sein Futter zuzubereiten. Kann ich ihm vom Fisch geben?« »Nur, wenn dieser roh ist. Wie für die Hunde gilt auch für ihn: Keine gegarten Zutaten. Du kannst ihm aber ein Eidotter unter das Futter mischen. Es versorgt ihn zusätzlich mit wichtigen Vitaminen.« »Was ist mit dem Eiklar?« »Das ist kontraproduktiv. Frage Nonno, ob er es verwenden kann«, informierte ihn Carsten. »Aber auch hier gilt: Nicht übertreiben. Zuviel führt bei Katzen zu Durchfall.« »Ich denke, für heute ist es gut. Charaid gefällt das frische Futter und vor allem die Abwechslung. Ich habe auch seine Menge herausgefunden. Morgens mag er etwas mehr, was dann abends fehlen darf.« Der kleine Kater streckte sich. »So, Charaid hat genug. Ich mache mal sein Futter. Cedric scheint mir auch bald genug geschlafen zu haben. Er strampelt mehr.« »Schön, dann kann er seinem Papa ja erzählen, was er geträumt hat.« Dabei zwinkerte Carsten Merlin zu, der seinen Kater auf dem Boden absetzte und ging.

Cedric schlug seine Augen auf und sah sich neugierig um. Dann bemerkte er, dass er seinen Ring verloren hatte. Unzufrieden machte er sich bemerkbar, so dass Carsten zu ihm ging und ihn auf den Arm nahm. Dennoch beruhigte er sich nicht. Carsten tastete das Bettchen ab und fand den Gegenstand. »Ich glaube, du suchst deinen Ring. Ist der dir recht?« Als Cedric den Ring in den Händen hielt, wurde er ruhiger. Erst wedelte er damit etwas herum, um ihn dann in den Mund zu nehmen. »Weißt du was, kleiner Mann? Wir gehen in mein Arbeitszimmer. Ich glaube, etwas Musik tut uns gut. Was hältst du von meiner Idee?« Der kleine Mann brabbelte etwas und sein Papa nahm es als Zustimmung.

Im Arbeitsraum war es etwas frischer, was anscheinend auch Cedric als wohltuend empfand. Denn er wurde ruhiger und dem Geräusch nach lachte er. Carsten legt ihn behutsam in sein Bett neben dem E-Piano. Dann schaltete er das Instrument ein.

Der leise Sound hatte eine beruhigende Wirkung. Cedric hörte zu und gluckste etwas. Dann begann Carsten mit einem Intro, das ihm gerade in den Sinn kam. Mit einer sanften Stimme begann er ›The Dance‹ zu singen.

»Looking back On the memory of

The dance we shared 'Neath the stars above

For a moment All the world was right

How could I have known That you'd ever say goodbye

And now I'm glad I didn't know The way it all would end

The way it all would go

Our lives

Are better left to chance

I could have missed the pain But I'd have had to miss

The dance

Holding you I held everything For a moment Wasn't I a king

But if I'd only known How the king would fall

Hey whos to say You know I might have changed it all

And now

I'm glad I didn't know The way it all would end The way it all would go

Our lives

Are better left to chance

I could have missed the pain But I'd have had to miss

The dance

Yes my life

Its better left to chance

I could have missed the pain But I'd have had to miss

The dance«

(The Dance by Tony Arata - Text und Grath Brooks - Gesang 1990)

Andreas kam gerade in die Halle, als Carsten begann. Schon das Intro gefiel ihm und er bekam eine Gänsehaut. Neugierig ging er in Carstens Büro. Carsten saß mit geschlossenen Augen an seinem Piano. In seine Stimme legte er all seine Traurigkeit, seine Hoffnung, seine Liebe und sein Glück. Diese Mischung gab der Interpretation eine anrührende Wirkung. Selbst Cedric war von seinem Papa angetan. Andreas sah ihn sehr aufmerksam zuhören.

Nachdem Carsten den letzten Refrain beendet hatte, spielte er noch eine entsprechende Coda, bis die Musik verstummte. »Hat es dir gefallen?« Anstelle von Cedric antwortete Andreas: »Ja, Tiger. Es hat uns beiden sehr gut gefallen. Ich habe dich das erste Mal so gefühlvoll singen gehört.« »Ich habe gerade meine ganzen Empfindungen in diesen Song gelegt. Jetzt geht es mir besser und ich fühle mich befreit.« Andreas hörte die Erleichterung in Carstens Stimme. »Wirst du diesen Song aufnehmen? Für deine Familie?« »Ich habe ein Arrangement im Kopf zu diesem Song. Das möchte ich in Ruhe fertigstellen. Jetzt wird es Zeit fürs Abendessen. Wir sind nämlich mächtig hungrig.« Carsten stand auf, schaltete das Piano wieder aus und widmete seine Aufmerksamkeit ihrem Sohn. Mit all seiner Liebe nahm er ihn wieder aus seinem Bett. Leicht drückte er einen Kuss auf dessen Stirn. Plötzlich spürte er eine kleine warme Hand an seiner Wange. »Danke, Cedric, das tat gut.« »Du bist ein guter Papa und Lebensgefährte. Ich habe dich lieb.« Carsten machte einen Schritt auf Andreas zu und gab ihm ebenfalls einen Kuss auf die Stirn. »Wir lieben dich auch.« ›Ouhää‹ »Ich glaube, das ist eine Zustimmung«, grinste Carsten. Andreas nahm seine kleine Familie in den Arm und gemeinsam gingen sie Richtung Dining Room. »Wir wollten euch gerade holen. Gabriele ist fertig.« »Schön. Andreas, gehst du unsere Hunde füttern? Die Näpfe stehen hoffentlich noch auf der Anrichte.« »Natürlich, ich glaube, es wäre nicht fair, wenn wir ihnen etwas voressen würden.«

In ihrem Dining Room wurden sie schon erwartet. Carsten setzte sich auf seinen Platz. »Da sind ja der kleine und der große Mann. Hier, Carsten, eine Hafermilch für Cedric. Störe dich nicht an dem Geruch. Ich habe anteilig zur Kuhmilch etwas Ziegenmilch beigemischt.« Nonna gab Carsten eine handwarme Flasche. »Mal sehen, ob ihm die Milch zusagt.« Kaum war der Nuckel in der Nähe des Babys, griff Cedric mit seinen Händchen danach. Carsten glaubte einen Moment lang, sein Sohn würde zögern. Doch dann wurde der Inhalt der Flasche intensiv aufgesogen. Wie so oft hielt Cedric sich an einem Finger fest. Während Carsten seinen Sohn fütterte, setzten sich auch weitere Personen. Andreas, Merlin und Edward trugen die Speisen auf.

»Können wir noch einen Augenblick warten? Andreas und ich erwarten noch unseren Gemeindepfarrer. Ich möchte euch bitten, ihm gegenüber, trotz der Umstände, nichts vom Unfall zu erwähnen. Dennoch habe ich ein paar Aufgaben für euch. Nonna, ihr seid doch als Italiener christlich gesinnt?«, fragte Carsten. Nonna wunderte sich ein wenig über diese Frage, dennoch antwortete sie ihm: »Ja, als wir noch jung waren, bestanden unsere Familien auf einen wöchentlichen Kirchenbesuch.« »Dann kennt ihr ja das ganze Brimborium. Versucht doch einmal dezent herauszufinden, wie Patrick zu seinem Bischof steht. Děda, du kennst dich mit Dächern aus. Mir ist bekannt, dass das Kirchendach undicht ist.« »Ich soll etwas über den Zustand herausbekommen?«, unterbrach er ihn. »Mehr noch, ich benötige eine Abschätzung der Kosten, ohne dass du es gesehen hast. Ich denke, Patrick kennt den Zustand wohl am besten, wenn es schon länger ein Problem ist. Die Kirche ist aus dem 16. Jahrhundert. Ich versuche, etwas mehr über die Orgel zu erfahren.« »Junge, was hast du vor?«, fragte ihn Babi. »Ich habe die Orgel heute gehört. Sie hat einen schönen Sound und passt perfekt in diese Kirche. Diesen möchte ich gerne erhalten. Ich gedenke, mich an den Kosten zu beteiligen, selbst wenn ich kein Kirchgänger bin. Dieses Ansinnen ist aber nur dann sinnvoll, wenn das Instrument nicht durch ein kaputtes Dach wieder beschädigt wird. Edward und Merlin: Patrick ist ein weltoffener Musikkenner, bekommt doch einmal heraus, ob es möglich ist, ein weltliches Konzert in der Kirche stattfinden zu lassen. Der ganze Spaß muss auch finanziert werden. Da würde ein Benefizkonzert hilfreich sein. Ich bin realistisch, eine neue Orgel, so wie es der Organist wünscht, würde fast einen siebenstelligen Betrag erfordern. Dagegen kostet eine Generalreinigung nur einen Bruchteil davon. Merlin hat schon einen Orgelbauer ausfindig machen können, der braucht halt noch ein paar Vorabinformationen.« Andreas war sprachlos. Carsten agierte wieder im Hintergrund. Carstens kleiner Vortrag wurde durch ein Läuten am Tor unterbrochen. Kurz darauf stellte Andreas seiner Familie den Gast vor. »Setzten Sie sich doch zu uns«, lud Nonno Patrick zu sich an den Tisch. »Mögen Sie eine bodenständige Tomaten-Brokkoli-Cremesuppe?«, fragte er den neuen Gast. »Gerne. Haben Sie die zubereitet?« Carsten grinste in sich hinein. Nonno hat über seine Berufung eine Brücke zu Patrick geschlagen. So war der Pfarrer erst einmal beschäftigt. Anscheinend war auch Cedric mit seiner Flasche fertig. Carsten legte sich ein Tuch mitüber die Schulter und brachte den kleinen Mann in die Senkrechte. Cedric sah sich neugierig um und so ganz nebenbei bahnte sich die verschluckte Luft ihren Weg. Andreas grinste etwas, als er das Geräusch wahrnahm. Er ging zu den beiden hinüber und nahm Carsten Cedric ab. »Ich denke, er freut sich noch etwas über unsere Gesellschaft“, flüsterte er Carsten zu. »Ich lege ihn in sein Bettchen. Wenn er dann einschläft, ist es auch gut.«

Das Dinner wurde sehr interessant. Patrick wurde abwechselnd in Gespräche verwickelt und im Hintergrund entdeckte Carsten ungeahnte Talente seiner Großeltern. Nach dem Dessert brachten Andreas und Carsten ihren Sohn ins Bett. Das dauerte etwas, da Cedric noch einmal gebadet werden musste.

Patrick verabschiedete sich weit nach Mitternacht von seinen Gastgebern. So langsam wurde es im Haus still. Carsten ging mit Andreas und den Hunden noch eine kleine Runde. »Also wirklich, an unseren Großeltern sind wahre Detektive verlorengegangen«, begann Carsten. »Allerdings«, lachte Andreas. »Sag, wann hast du dir das alles ausgedacht?« »Als ich die ersten Töne der Orgel gehört habe, hatte ich die Idee. Auf dem Weg von Edinburgh habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich an Informationen kommen könnte. Děda war Dachdecker und er hat schon sehr viele Dächer gesehen. Er kann sich aus seiner Erfahrung ein Bild machen. Nonna und Nonno mögen zwar nicht regelmäßig zur Kirche gehen, was sicher etwas mit ihrem Ristorante zu tun hatte, aber sie können zuhören. Beide können daraus entsprechende Schlüsse ziehen. Sie kennen die Kirche und deren Politik aus erster Hand. Edward und Merlin haben einen Heimvorteil, denn beide wissen, was die Menschen hier benötigen. Patrick wird sicher keinen Verdacht schöpfen, wenn sie zu weltlichen Events Fragen stellen. Immerhin leben beide in einem Musiker- und Künstlerhaushalt. Ich wollte einfach mehr über dieses Instrument erfahren. So sind wir Dozenten eben: Neugierig, wenn es unseren Bereich betrifft«, erklärte Carsten Andreas. »Mich hast du aber außen vor gelassen.« »Mitnichten. Du hast die Kirche gesehen, kennst ihr Interieur. Wenn es wirklich zu einem Konzert in der Kirche kommt, braucht es ein Ambiente und eine Dekoration, damit die Besucher tiefer in die Tasche greifen. Du kannst wunderbar mit Blumenarrangement Stimmungen beeinflussen.« Über diese Aussage war Andreas erstaunt. »Danke, ein sehr schönes Kompliment. Hast du auch schon eine Idee, was dann gespielt werden soll?« »Damit es des Ortes würdig ist, würde ich mit der ›Cantico del sol di San Francesco d’Assisi‹ von Franz Liszt beginnen. Anschließend die Orgelsymphonie von Camille Saint-Saëns. Übrigens kannten sich die beiden Komponisten. Ich denke, dass ich unser College-Orchester dafür begeistern kann. So bleiben auch die Ausgaben für das Event überschaubar. Das kleine Stück von Nancy könnte den Abschluss bilden. Es ist verspielt, bekannt und selbst für eine Kirche passend«, meinte Carsten nachdenklich. Andreas nickte verstehend, dann sah er zu den Tieren. »So, unsere beiden Vierbeiner haben genug für heute«, stellte Andreas den Status ihrer Hunde fest.

Chapter 12

Nach dem Frühstück setze sich die Familie zusammen, um über die gesammelten Informationen zu sprechen. »Die Kirche hat ein Schieferdach. Etwas ungewöhnlich, macht aber eine Reparatur kostengünstig. Der Dachstuhl besteht aus Eichenbalken und wurde von Patricks Vorvorgänger in den 1960er Jahren erneuert. Ein guter Dachdecker kann die kaputten Schindeln austauschen. Ein Problem stellt dagegen der Abfluss dar. Die Kirche hat noch Wasserspeier. Das Wasser läuft quasi am Mauerwerk herunter. Ich würde da zu einer verdeckten Regenrinne raten mit einem definierten Fallrohr. Allein aus den Berichten würde ich im Ganzen mit etwa 20.000 Euro rechnen«, begann Děda. »Das ist ein überschaubarer Aufwand. Die Kosten für eine Generalreinigung der Orgel würde ich in der gleichen Höhe schätzen. Das Instrument wurde erst im späten 18. Jahrhundert aufgestellt. Der damalige Lord Rutherford war ein sehr religiöser Mensch. Ungeachtet der Konfession hatte er die Orgel quasi secondhand erworben. Der originale Standort war eine Kirche im heutigen Nordirland. Father Smith, der Orgelbauer, hat zum Einbau der Orgel eine Empore errichten lassen. Dort wurde später ein Motor für das Gebläse eingebaut. Wie ich erfahren konnte, müsste dieser ebenfalls erneuert werden. Ich denke, mit diesen Informationen habe ich schon eine gute Basis für die Firma. Das werde ich dann nächste Woche in Angriff nehmen«, fuhr Carsten fort. Nonna räusperte sich: »Also, das Verhältnis zwischen Bischof und Patrick ist durch den Organisten etwas gespannt. Dagegen pflegen der Kirchenbaumeister der Diözese und der bischöfliche Musikdirektor gute Kontakte zu ihm. Patrick war wohl in den vergangenen Wochen öfters bei Ihnen, um sich mit ihnen über seine Probleme zu beraten. Du hast ihm wohl ziemlich den Kopf gewaschen. Die Kosten für eine neue Orgel und die Reparatur des Daches übersteigen den für solche Zwecke vorgesehenen Etat des Bischofs. Da ist eine Generalüberholung eine echte Alternative. Weiter ist Patrick einer Konzertaufführung nicht abgeneigt. Solche Events kennt er noch aus seiner Heimatgemeinde und fand diese auch immer sehr ansprechend. Da diese Region auch ein wenig vom Tourismus abhängig ist, würde sich ein Konzert auch wirtschaftlich positiv auswirken.«

Carsten war mit den Ergebnissen sehr zufrieden. »Ich denke, wir sollten das Projekt ›Kirchengemeinde‹ umsetzten. Unsere Gemeinschaft hat es einfach verdient. Jetzt etwas zum heutigen Tag. Andreas, Cedric und ich fahren heute nach Edinburgh. Dort treffen wir auf meine Geschwister. Möglich, dass sie hier übernachten werden. Dazu werden wir zwei der freien Zimmer entsprechend vorbereiten. Wenn es Luise und Paul besser geht, dürfen alle sie besuchen, die es wünschen. Weiter werden Andreas und ich euch allen anbieten, bis Neujahr hier zu bleiben.« Carsten machte eine Pause, da er Cedric auf den anderen Arm nahm. »Wir beide haben noch einige Termine wahrzunehmen«, führte Andreas weiter aus. »Carsten wird noch nach London müssen und ich fliege noch einmal nach Frankreich. Dann sind wir drei für ein Konzert in Leipzig. Ursprünglich wollten wir da bei Paul und Luise übernachten. Jetzt kommen wir schon am Samstagabend wieder zurück. Anschließend bereiten wir uns auf das Fest vor. Es bleibt dabei, dass wir alle hier feiern.« Alle Anwesenden nickten zu diesen Änderungen. Es war gut durchdacht. Für Paul und Luise würde die stressige Anreise wegfallen. »Darf ich euch fragen, wie ihr das mit eurem Wagen machen möchtet?«, hakte Nonna nach. »Ich spreche mit unserem Händler. In zwei Monaten sollten wir einen neuen haben. Bis dahin fahren wir mit den Geländewagen.«

Im Krankenhaus meldeten sie sich wieder an der Rezeption an. Der Sicherheitsbeamte wunderte sich etwas, dass auch Leonardo die Gruppe begleitete. Doch die Rezeptionistin bestätigte ihm, dass der Hund mitdurfte. Dieses Mal ging es in einen anderen Flügel. Anscheinend wurden Paul und Luise bereits in ihr Zimmer verlegt.

Die beiden Patienten waren noch beim Lunch, als ihre Söhne das Zimmer betraten. »Hallo. Sorry, wir sind noch nicht so lange auf.« »Wie geht es euch beiden?«, war auch Carstens erste Frage. »Den Umständen entsprechend gut«, beantwortete Paul die Frage. »Luise hat noch ein paar Schwierigkeiten. Sie muss sich noch an den straffen Verband gewöhnen. Mein Korsett stützt meinen Brustkorb. Beim Atmen habe ich noch Schmerzen, aber ich glaube, das ist wegen der Verbände. Euer Auto ist Schrott?« »Ja. Doch das ist nicht so wichtig. Die Transportbox fungierte wohl wie ein Überrollbügel und hat euch vor schlimmerem bewahrt«, antwortete Andreas kurz. »Zur Unfallursache haben wir noch keine weiteren Informationen.« »Ein Beamter der Kripo hat uns heute schon informiert. Ein Projektil blieb im Reifen stecken. Der Verdacht erhärtet sich leider«, informierte Luise über den aktuellen Stand. »Doch jetzt möchte ich gern unseren Enkel begrüßen.« Andreas überreichte Luise Cedric. Der kleine Mann schien seine Großmama zu mögen. Mit seinem Teddy hantierte er etwas, so dass Luise sich damit beschäftigte. Zur Freude des Babys, das sie mit seinem charmantesten Lächeln belohnte.

»Andrea, Stefano und Ercan kommen heute auch noch. Stellt euch schon einmal darauf ein. Bitte erwähnt aber nichts von dem Attentat. Macht einen geplatzten Reifen daraus, wenn sie danach fragen. Wir möchten nicht, dass davon etwas bekannt wird. So helfen wir der Polizei wohl am besten.« Carsten wusste, dass dies eine kleine Schwindelei war. »Das haben wir auch schon beschlossen. Der Beamte erwähnte ähnliches. Es sind auch schon zivile Beamte zu eurem Schutz abgestellt worden«, warf Paul ein. Dann genoss er seinen Tee. »Ben, der Wirt vom Pub, hat sie auch schon bemerkt. Ich muss dazu sagen, dass er ein sehr aufmerksamer Mensch ist«, teilte Carsten sein Wissen. »Wir haben auch einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen. So ist der Haupteingang vorerst permanent geschlossen und die Videoüberwachung steht auf Daueraufzeichnung. Weiter habe ich gestern auch noch die Bewegungssensoren im Gartenbereich sensibler eingestellt«, fuhr Andreas fort. »Lieber werde ich nachts einmal mehr geweckt, als dass die Familie in Gefahr gerät. Da sind wir schon bei einem weiteren Punkt. Dr. Hathaway denkt, dass ihr zwei Wochen hierbleiben müsst. Dann möchten Carsten, Cedric und ich euch einladen, bis zum neuen Jahr bei uns zu bleiben.« Andreas sah, wie gerührt beide über das Angebot waren. »Wir werden es später auch mit Andrea besprechen. Es würde uns wirklich einiges ersparen. Die Praxis ist in guten Händen. Meine Anwesenheit wäre eher unproduktiv. Luise und ich könnten Urlaub und Ruhe gebrauchen.« Carsten lachte. »Papa seit wann ist es in unserer Familie wirklich mal ruhig? Cedric wird mit jedem Tag munterer, außerdem bieten wir auch unseren Großeltern an, bis zum neuen Jahr zu bleiben. Ich habe noch Termine an der Uni und ein Konzert in Leipzig.« »Und ich werde auch noch bei einigen Projekten nach dem Rechten sehen«, vervollständigte Andreas die Termine. »Jungs, wir müssen uns erholen. Es tut gut, abgelenkt zu werden. Bein- und Rippenbrüche sind für uns nichts Neues«, lachte Luise. Carsten wusste nicht, ob sich ihr Lachen auf die Aussage bezog. Da aber auch Cedric lauter giggelte, schien es sich auf den Jungen zu beziehen.

»Also, wir würden gerne bis zum neuen Jahr hier bleiben … ich meine bei euch, nicht in der Klinik«, fasste Paul zusammen. »Gut. Ihr müsst nämlich bei der Dekoration für Weihnachten helfen. Es soll für Cedric ein schönes erstes Fest werden.« »Dürfen euch meine Großeltern besuchen?«, schob Andreas dazwischen. »Sicher doch. Vierzehn Tage sind eine lange Zeit, wenn man nicht viel Ablenkung hat. Es gibt auch immer wieder etwas zu besprechen. Ihr wisst es sicher nicht, doch wir besuchen uns regelmäßig gegenseitig. Da vergeht die Zeit in Lichtgeschwindigkeit. Paul, du sprachst davon, dass die Praxis in guten Händen ist.« »Ja. Andrea und Christa, ihre Kollegin, teilen sich die Arbeit. Ich habe auch schon mit ihnen über das Endoskop gesprochen. Ich denke, Andrea wird sich eines kaufen. Dann benötigen wir einen neuen Wagen. Die Reparaturkosten sind im letzten Jahr deutlich gestiegen«, resümierte Paul. »Meinen Jeep benötige ich hier eigentlich nicht mehr. In London war er ganz praktisch. Ihr könnt ihn haben, wenn ihr einverstanden seid?«, machte Andreas einen konstruktiven Vorschlag. »Ehrlich? Das wäre eine kostengünstige Alternative. Das Endoskop plus ein neues Auto stemmen wir nicht aus der Portokasse.« Paul hatte einen guten Überblick ihrer Finanzen. »Dann machen wir es so«, mischte sich Carsten ein. »Wir haben zwei Autos. Für das Endoskop kann Andrea auch vom Geld unsere Großeltern nehmen. Ich bin ja daran interessiert, dass die Praxis weiter bestehen bleibt.«

Die Unterhaltung wurde durch ein Klopfen unterbrochen. Andrea steckte ihren Kopf durch die Tür. »Hallo, kommt herein«, forderte Paul den neuen Besuch auf. »Mama, Papa. Wie geht es euch?« »Den Umständen entsprechend gut, Kleines. Mama ist eine gute Fahrerin und hat schnell reagiert.« »Zu schnell gefahren?« »Schwesterherz, Andreas hat dir doch auch gesagt, dass es teuer wird, wenn du zu schnell fährst«, schob Carsten dazwischen. »Das schon, aber euer Wagen ist ein echtes Kraftpaket. Es fällt Mama schwer, sich dann noch zu bremsen«, grinste Andrea trotz der ernsten Lage.

»Nein, wir waren nicht zu schnell unterwegs. Das hat sogar die Polizei bestätigt. Es war einfach Pech. Hey, kleiner Cedric, du bist ja ganz schön munter.« Erst jetzt bemerken die Neuankömmlinge das Baby bei Luise. »Der ist ja mega-süß. Passt du auf ihn auf, wo sind seine Eltern?« »Carsten, würdest du ihn bitte wieder nehmen, langsam wird er mir zu schwer.« Carsten tat, wie ihm geheißen. Als Cedric wieder in dem Tuch vor seiner Brust war, beruhigte er sich etwas. Blieb aber neugierig, was um ihn herum geschah. »Andrea, das ist dein Neffe Cedric Francis. Andreas und mein Sohn. Wir wollten es euch ja erst zu Weihnachten sagen. Wo ist eigentlich Ercan?« »Der wollte noch den Wagen parken und dann nachkommen.« Wie auf Kommando klopfte es erneut. »Hallo zusammen. Ist ja mächtig was los hier. Sorry, Papa, ich erspare euch die obligatorische Frage nach dem Befinden. Ich sehe, was Sache ist. Mama, das erinnert mich an deinen Skiunfall von damals«, plauderte der jüngste Bruder munter drauf los. Dieser Redeschwall fanden alle erleichternd und amüsierend. Selbst Cedric brabbelte dem Gehörten nach. »Und wer ist der kleine Gentleman?« »Dein Neffe Cedric.« »Andrea, ich habe nicht gewusst, dass du schwanger warst!«, wunderte sich Ercan augenzwinkernd. »Cedric ist unser Sohn. Andreas und ich haben ihn adoptiert«, erklärte Carsten stolz. »Meine großen Brüder sind Papas und ein wunderschöner Bub ist mein Neffe. Ein echter Wonneproppen«, stellte Ercan fest. Dann schlich sich ein schelmischer Ausdruck in sein Gesicht. »Andrea, halte dich ran. Carsten hat Maßstäbe gesetzt.« Seine große Schwester machte Anstalten, ihren Bruder zur Minna zu machen. Doch ihr Vorhaben wurde durch eine Lachsalve ihrer Eltern zunichte gemacht. »Aufhören. Ich habe Schmerzen vor lauter Lachen«, bat Paul zwischen zwei Lachanfällen. So merkte Andrea wieder einmal, von ihrem kleinen Bruder auf den Arm genommen worden zu sein. »Stellina!«, begann Stefano. »Unsere Kinder werden sicher einmal genauso hübsch wie Cedric. Dann wird Ercan wohl das Nachsehen haben. Ich bin froh, dass Ihr beiden euch so gut versteht.« Carsten unterbrach die Unterhaltung. »Andreas, hast du Cedrics Sachen dabei? Seine Hose ist voll und ich glaube, er braucht Nachschub.« »Im Auto. Ich gehe sie holen, vorausgesetzt, keiner hat etwas dagegen, dass wir den Kleinen hier versorgen.« Luise lachte. »Wir sind von euch dreien einiges gewohnt.« Andreas zog los. Am Wagen überraschte ihn DI Blackmoore. »Mr Blackmoore? Haben sie uns gesucht?« »Gestern bin ich wegen der Untersuchung nicht mehr dazu gekommen. Die forensischen Untersuchungen des Wagens sind abgeschlossen. Das Projektil ist noch in der ballistischen Untersuchung.« »Es muss schon ein guter Schütze sein, der den Reifen eines schnell fahrenden Wagens trifft«, schlussfolgerte Andreas. »Meine Kollegen sind noch bei der Rekonstruktion des Unfalls aufgrund der neuen Fakten. Wir haben ihnen zivilen Personenschutz abgestellt.« »Sind das die zivilen Beamten in der Region? Carsten hat mir erzählt, dass Ben sie bemerkt hat.« »Ja, sie unterstützen auch die offiziellen Streifen. Das ist in der ganzen Grafschaft so. Möchten Sie ihren Wagen zurück?«, erwähnte der Beamte einen weiteren Punkt. »Nein, nur die persönlichen Gegenstände. Bekommen wir einen offiziellen Bericht für die Versicherung?« »Das haben wir schon in die Wege geleitet. Die Versicherung wird euch in den kommenden Tagen kontaktieren.« »Gut. Gibt es sonst etwas, das wir tun könnten? Cedric wartet gerade auf frische Sachen und seine Mahlzeit.« »Verhaltet euch wie immer. Damit helft ihr uns am meisten.« »Danke.« Andreas verabschiedete sich von dem Kriminalbeamten und ging zurück zu den Wartenden. Im Zimmer machte sich Carsten daran, den kleinen Mann von seiner schmutzigen Wäsche zu befreien. Luise sah ihm zu und war ganz baff, wie gut Carsten das immer noch hinbekam. Die Mahlzeit gab ihm dann Andreas. »Der Junge hat ja mächtig Hunger. Was gebt ihr ihm denn?«, interessierte sich Luise. Andreas beantwortete ihre Frage: »Es ist eine Obst-Milchmischung von Nonna. Heute gibt es Banane-Mango-Schaf-Ziegenmilch.« »Keine Kuhmilch?«, fragte Luise. »Ich verstehe«, mischte sich Paul ein. »Schaf- und Ziegenmilch unterstützen das Immunsystem. Da Cedric wahrscheinlich wenig Muttermilch bekam, ist genau das die richtige Ersatzmischung.« »Da kommt der Tierarzt in dir durch. Ob ich auch mal solche Aspekte lerne?«, mischte nun auch Andrea mit. »Du bist schon eine gute Tierärztin. Solche Dinge lernst du nebenbei. Ich habe auch nicht alles gleich gewusst. Deine Mutter kann ein Lied davon singen, wie oft ich nachts Fachliteratur gewälzt habe.« Während Paul sich erklärte, beendete Cedric mit einem Rülpser die Mahlzeit. Das brachte die Anwesenden wiederum zum Schmunzeln. Stefano räusperte sich: »Zurück zu ernsten Themen. Wie geht es jetzt weiter?« »Wir bleiben bis zum neuen Jahr hier. Andreas, Cedric und Carsten haben es uns angeboten. Es ist die beste Lösung. Wir kommen dann im Januar zurück. Bis dahin habt ihr sturmfreie Bude. Ercan, du bist Physiotherapeut. Mach uns einen Übungsplan! Dr. Hathaway gibt dir sicher entsprechende Informationen«, machte Paul seine Kinder mit seinen Überlegungen vertraut. »Andrea! Andreas überlässt uns seinen Geländewagen. Damit sparen wir die Ausgaben für einen neues Auto. Carsten hat auch schon zugestimmt, für das Endoskop vom Geld eurer Großeltern zu nehmen. Du brauchst diese Investition. Damit sparst du Zeit bei den Untersuchungen und kannst bessere Diagnosen erstellen. Da dein Kollege aufhört, möchte ich wissen, ob du jemanden neuen engagieren möchtest?« »Nein, Christa meinte, wir schaffen es auch zu zweit. Sie übernimmt die Sprechstunde in der Praxis. Ich bleibe in beiden Bereichen tätig. Übernehme die Hausbesuche und das Nutzvieh.« Diese Aussage veranlasste Paul, seine Augenbrauen fragend zu hebend. »Dann kann ich mich also zur Ruhe setzten?« »Nur, wenn ich mir hin und wieder einen Rat bei dir holen darf.« »Selbstverständlich, ich bin nicht aus der Welt und Luise wird mich auf meine alten Tage nicht mehr ändern wollen.« »Nein, das habe ich schon kurz nach unserer Hochzeit aufgegeben. Ich liebe Paul so, wie er ist. Wir beide stehen unseren Kindern immer mit Rat zur Seite. So, und nun möchte ich mich ausruhen dürfen und werfe euch raus. Paul, du hast den Arzt gehört, keine Anstrengungen. Du ruhst dich jetzt auch aus«, machte Luise dem Besuch ein Ende. Die Geschwister wussten, dass es sinnlos wäre, dem Kommando ihrer Mutter zu widersprechen. Daher verabschiedeten sie sich. »Was habt ihr jetzt vor?«, wollte Andreas wissen. »Wollt ihr noch zu uns kommen?« »Danke für das Angebot, doch unser Flug geht schon am späten Nachmittag. Ihr könnt uns Edinburgh zeigen, wo wir schon mal hier sind. Wir haben noch einiges zu besprechen«, antwortete Andrea schlicht. »Wir haben einen Mietwagen. Doch erst sollten wir etwas essen gehen. Außer einem schnellen Frühstück hatten wir noch nichts«, meinte Stefano. »Gut, ich kenne da ein Restaurant, das euch zusagen sollte. Fahrt uns einfach hinterher«, schlug Andreas vor. Geschickt führte er die Gäste durch die schottische Hauptstadt. Im Restaurant wurden er freundlich begrüßt: »Mr Zahradník. Was können wir für Sie tun?« »Hätten Sie bitte einen Tisch für sechs Personen und einen Hund?« »Folgen sie mir.« Carsten hielt sich an Andreas fest. »Hier, dieser Tisch ist ruhig und bietet für alle genug Platz. Benötigen sie einen Kinderstuhl?« »Nein, Cedric begnügt sich noch mit der Liegeschale. Eine Schüssel Wasser für den Hund, bitte«, antwortete Andreas. Kurz nachdem sie sich gesetzt hatten, brachte ein Kellner einen Napf für den Hund und jedem eine Karte. Schnell waren die Wünsche bestellt. Selbst Carsten entschied sich für eine Kleinigkeit.

»Du gibst uns einen deiner Wagen?«, fragte Andrea nach. »Ja. Ich nutze überwiegend den Rover. Der Renegade hat alles, was du benötigst. Er ist ein Hybrid und hat einen entsprechenden Akku. Damit kannst du einige elektrische Geräte betreiben, ohne den Motor laufen zu lassen. Ich habe entsprechende Anschlüsse einbauen lassen. Platz ist auch genug vorhanden. Es ist lediglich ein rechtsgesteuertes Auto.« »Das macht mir nichts aus. Ich werde mich darum kümmern, dass er eine entsprechende Zulassung bekommt.« Der Kellner servierte das Essen und es wurde ruhiger am Tisch. »Hast du schon eine Idee, was das Endoskop kosten wird?«, unterbrach Carsten die Stille. »Ja. 9.753,76 Euro. Finanziert zu 75% von mir und 25% erhalte ich für eine Studie der Heriot-Watt-University. Das Gerät gibt es noch nicht sehr lange auf dem Markt und die Universität will Daten zur Praxistauglichkeit haben.« »Du halst dir eine Menge Arbeit auf.« »Schon, aber genauso wie Papa bin ich an solchen Innovationen interessiert. Du kennst die Vorteile für die Tiere, welche es mir allemal wert sind.« Ercan grinste seine Schwester an: »Ich sehe schon die Arbeitsteilung: Du sammelst die Daten und Stefano schreibt die entsprechenden Berichte.« »Warum auch nicht?«, mischte Stefano mit. »Ich bin studierter Betriebswirt. Statistische Auswertungen machen mir keine Angst und ich helfe meiner Stellina sehr gerne. Ich mache ja auch die komplette Buchführung für die Praxis. Andrea und Christa haben genug mit den Untersuchungen zu tun.« »Machst du das freiberuflich?« »Ja, Andreas. Im Zeitalter des Internets mache ich das von zuhause aus. Die Buchführung für den Pferdehof meiner Familie mache ich ja auch. So bleibt mir nebenbei auch viel Zeit zum Reiten.« »Reitest du auch noch so häufig, Andrea?« Carsten war über den Themenwechsel erfreut. »Jeden zweiten Abend und an den Wochenenden. Stefano hat mir ein Pferd geschenkt.« »Was ist mit Diogenes?« »Er genießt sein Rentnerdasein. Wir haben eine Herde für ihn gefunden, wo er sich wohl fühlt.« »Vermisst du ihn nicht?« Andreas kannte das Pferd noch von seinen ersten Reitversuchen. »Diogenes ist über 10 Jahre alt. Wir besuchen ihn öfters. Wenn er glücklich ist, bin ich es auch.« »Aber Military reitest du noch?« Andrea war über Andreas‘ Frage erstaunt. »Nein, dazu bin ich mittlerweile zu bodenständig. Außerdem ist das Pferd nicht dafür geeignet. Bei aller Liebe zum Reiten ist trotzdem das Tierwohl mein Maßstab.« »Ercan, wie sieht es bei dir aus?«, fragte Carsten seinen Bruder nach seinen beruflichen Wünschen: »Eigene Praxis oder Anstellung?« »Für eine eigene Praxis habe ich noch nicht genug Erfahrung, Carsten. Ich denke, in fünf Jahren sollte ich soweit sein. Ich hatte mich bei der örtlichen Klinik beworben. Ich möchte lernen, dem Heilungsprozess so früh wie möglich beizustehen. Probleme machen immer noch die Patienten mit Schlaganfällen und Herzinfarkten. Gerade bei der zweiten Gruppe ist es schwierig, die Übungen zu vermitteln, weil sie meist keine akuten Schmerzen haben. Dabei ist es wichtig, das Kreislaufsystem kontinuierlich wieder aufzubauen«, berichtete Ercan aus seinem Bereich. »Wie wirst du das mit Mama und Papa machen?« »Ich lasse mir von ihrem Arzt den Heilungsplan zusenden. Mama ist durch den Bruch erst einmal gehandicapt. Papa wird sicher auch keine Bäume ausreißen wollen … nicht so schnell zumindest. Dazu sind beide einfach zu vernünftig. In den ersten Wochen werden sie erst einmal Ruhe benötigen. Leichte Übungen, damit sie mobil bleiben. Im neuen Jahr kann ich dann loslegen. Mama werde ich Übungen zeigen, damit sie ihre Muskeln nutzt. Von Papa brauche ich zunächst die Röntgenbilder. Ein Stück fehlende Rippe ist schon ein Verlust im Brustkorb.« »Du machst das schon. Papa und Mama sind bei dir in guten Händen«, schloss Carsten das Thema ab. »Andreas, das ist ein schönes Restaurant. Solides Angebot und mehr als Lunch zu Mittag«, fasste Andrea das Ambiente zusammen. »Es ist ursprünglich die Empfehlung eines Geschäftspartners gewesen. Aus dem Geschäft wurde dann zwar nichts, aber diese Adresse habe ich mir gemerkt. Sie haben sogar unseren Whisky.« »Höre ich richtig? Carsten hat eine eigene Marke?«, staunte Ercan. »Nicht nur Carsten, auch ich. Wir haben eine Destillerie gefunden, welche edle Brände anbietet. Wartet einmal, ich bestelle ihn uns als Digestif.« Andreas stand auf und ging zum Kellner. Dieser staunte nicht schlecht, als er den Wunsch hörte. Wenig später servierte er fünf Gläser jeweils zwei Fingerbreit gefüllt. »Bedient euch und genießt. Herr Ober, die Rechnung bitte. Es geht alles zusammen.« »Du bist ja richtig spendabel.« Dann probierte jeder vom Whisky. »Wow. Das ist ja Lichtjahre vom üblichen Geschmack entfernt«, meinte Stefano. »Dieser Single-Malt ist 30 Jahre alt. In einem alten geflammten Gin-Fass gereift. Sanft im Abgang und ihr bekommt garantiert keinen Kater«, erklärte Carsten nach dem ersten Schluck: »So einen Brand kippt man nicht einfach hinunter.« »Du kannst das Alter am Geschmack erkennen?« »Mittlerweile ja. Zuhause haben wir eine größere Auswahl verschiedener Jahrgänge. Jeder hat seinen unverwechselbaren Charakter. Ihr könnt sie ja zu Weihnachten testen.« Der Kellner brachte eine kleine dunkle Mappe auf einem silbernen Tablett. Andreas nahm sie an sich und sah sich die Rechnung an. Dann legte er seine Kreditkarte hinein. »Wie immer. Danke.« Es dauerte nicht sehr lange und er unterschrieb die Quittung. »Danke für alles. Unser Flug geht in zwei Stunden. Wir müssen los.« »Wann werdet ihr wiederkommen?«, fragte Andreas. »Am kommenden Wochenende bleiben wir für drei Tage. Wir haben auf dem Hinflug schon darüber gesprochen. Ercan baut Überstunden ab und da wir keine Rufbereitschaft haben, bleibt die Praxis über das Wochenende geschlossen. Mama und Papa sind dann wohl auch schon soweit genesen, um uns länger zu ertragen. Können wir bei euch unterkommen?« »Selbstverständlich, ihr werdet allerdings auf Gästebetten ausweichen müssen. Unser Haus ist voll.« »Das macht uns nichts aus. Selbst Luftmatratzen sind uns willkommen.« Vor dem Restaurant verabschiedeten sie sich. Jeder knuddelte Cedric zum Abschied, der bei jeder Berührung einen Kommentar zum Besten gab. Carsten umarmte seine Geschwister. »Fahrt vorsichtig!«, flüsterte er Andrea zu. Dann trennten sich ihre Wege.

»Andreas, können wir unterwegs eine kleine Pause für Leonardo einlegen?« »Ja, natürlich. Unser Vierbeiner hat sich vorbildlich benommen und wir haben Zeit. Ein bisschen Spielen und Toben tut uns allen gut.« Nach einer Stunde fuhr Andreas auf einen Parkplatz. Dort ließ Carsten den Hund aus dem Fond und das kleine Kommando ›Go!‹ verfehlte bei Leonardo auch nicht seine Wirkung. Andreas kümmerte sich um Cedric. Der kleine Mann guckte seinen Papa mit großen Augen an, um dann sofort munter darauf los zu babbeln. »Ja, wir gehen etwas mit Leonardo spielen und du darfst natürlich nicht fehlen. Weißt du, Leonardo will auch wissen, dass du dabei bist.« Genau wie Andreas es sagte, reagierte auch der Hund. Als dieser den kleinen Mann sah, flitzte er auf ihn zu. Mit einem geschickten Bogen lief er an den beiden vorbei, um sich dann einem herumliegenden Ast zu widmen. Diesen brachte er zu Carsten und das Apportierspiel begann. Dabei gingen die vier einen kleinen Bogen um den Parkplatz und trafen dann nach 30 Minuten wieder am Wagen ein. Leonardo wirkte entspannt. Carsten brauchte lediglich die Hecktür zu öffnen und schon war der Hund im Wagen. Andreas schüttelte nur den Kopf. Er selbst nahm Cedric und setzte ihn in seine Transportliege. Dann ging es auch schon wieder weiter. An der Unfallstelle waren Arbeiter dabei, die Leitplanke zu reparieren. »An einem Sonntag wird hier gearbeitet?«, meinte Andreas skeptisch. »Vielleicht ist das eine Gefahrenquelle. Außerdem ist heute kaum Verkehr, da ist es wohl sicherer für die Arbeiter«, versuchte Carsten eine Erklärung. »Wie dem auch sei, mir ist es recht, wenn vom Unfall nichts zu sehen ist.«

»Wie war es bei deinen Eltern, wo sind deine Geschwister?«, fragte Babi. »Die fliegen gerade wieder zurück. Nächste Woche bleiben sie das ganze Wochenende. Mama und Papa freuen sich, wenn ihr sie besuchen kommt. Mama meinte, so vergehe die Zeit schneller«, grinste Carsten etwas verlegen. »Das machen wir. Wie kommen wir nur da hin?« »Wir fragen Edward, ob er euch fährt. Er kennt sich in Edinburgh aus.« »Habt ihr euch mit Salvatore beschäftigt?« »Wir nicht. Der Hund ist mit Edward und Merlin unterwegs. Sie machen eine größere Runde durch den Park. Edward wollte Merlin die Stelle zeigen, wo er einen Broc gesehen hat. Merlin hat so ein Tier noch nie gesehen.« »Broc?« »Tiger, das ist ein Dachs. Du solltest dich etwas mehr mit dem Gälischen beschäftigen,« hielt Andreas mit seinem Wissen nicht hinter dem Berg. Dann übergab er seiner Großmutter den kleinen Mann.

»Dort, Merlin, ist der Eingang zum Dachsbau.« Dabei zeigte Edward auf ein weit verzweigtes Wurzelwerk eines alten Baumes. »Nimm dich vor dem Broc in Acht. Diese Tiere haben sehr scharfe Zähne und einen kräftigen Kiefer.« »Sind die tagesaktiv?« »Mit etwas Glück kannst du früh morgens oder in der späteren Abenddämmerung einen sehen. Durch sein gestreiftes Fell ist er nachts sehr gut getarnt.« »Was ist mit unseren Hunden?«, fragte Merlin. »Salvatore und auch Leonardo haben Respekt vor dem Tier und lassen es in Ruhe. Ich habe auch Mr Hill darauf hingewiesen. Er sagte mir, dass er seine Teams dazu gebrieft hat. Hier werden keine Arbeiten durchgeführt. Merlin, ich weiß nicht, welche Rolle ein Broc in der Natur spielt. Ein Schädling ist er jedenfalls nicht. Mein Vater hat in seinem langen Leben jedenfalls noch nie erlebt, dass ein Dachs den Lämmern gefährlich wurde. Sein größter Feind ist eben der Mensch«, meinte Edward mit ein wenig Traurigkeit in seiner Stimme. »Seit dem Herbst darf hier auch nicht mehr gejagt werden. Die Gemeinde hat hier ein ganzjähriges Jagdverbot ausgesprochen.« »Schön, dass Andreas und Carsten diese Einstellung haben. Mir gefällt der Park mit seinen naturbelassenen Bereichen. Ich denke, wir sollten jetzt mal mit Salvatore spielen. Danke, Edward.« Merlin nahm einen Ast auf und warf ihn auf eine freie Fläche. Salvatore sah dem fliegenden Ast einen Moment hinterher, um dann sofort loszuspringen. Der Ast landete auf dem Boden und Salvatore suchte ihn mit seiner Nase. Als er ihn fand, nahm er ihn auf und legte ihn wenig später vor Merlin ab. Der Junge hob den Ast wieder auf und warf ihn wieder fort. Dieses Mal fing Salvatore das Stück Holz auf, bevor es den Boden erreichte. Dann bezog er Edward ins Spiel mit ein. So ging es eine ganze Weile. Die Gruppe ging auch weiter in Richtung des Spielplatzes. An der Baustelle angekommen, wurde Merlin sauer. Jemand hatte die wenigen Spielgeräte beschädigt. »Sieh mal, Edward!«, dabei zeigte er auf die Baustelle. Der Verwalter ging auf den Platz und besah sich die Schäden. »Da scheint jemand nicht erfreut zu sein, dass die Kinder ein Spielplatz haben.« »Nicht nur das. Guck dir mal die Sträucher und Bäume an. Ausgerissen und angesägt.« »Das geht zu weit. Ich rufe jetzt die Polizei. Wir sind es den Kindern schuldig.« Wenig später fuhr ein Polizeiwagen vor. »Mr Moore? Sie haben uns gerufen?« »Ja, sehen sie sich diese Beschädigungen der Spielgeräte an. Wie sollen denn Kinder hier sicher spielen? Die Gemeinde war doch erfreut, dass die jungen Herren ihnen diesen Platz zur Verfügung gestellt haben. Es wurde von jedem Unternehmen viel Investiert, nicht nur in finanzieller Hinsicht«, erläuterte Edward dem Beamten die Situation. »Ja, ich habe davon gehört und werde das auch nicht so hinnehmen. Ich werde eine Anzeige aufnehmen und meine Kollegen bitten, ihre Streife auf diesen Bereich auszuweiten. Wir müssen den Täter oder die Täter in flagranti erwischen. Wie hoch wird der materielle Schaden wohl sein?« »Das kann nur Mr Zahradník genau sagen. Er hat diesen Platz geplant.« »Gut, informieren Sie Mr Zahradník und ich werde mit meinem Vorgesetzten sprechen, wie wir den Spielplatz besser schützen können.«

Wütend und traurig trennten sich die Wege. »Da scheint wirklich jemand etwas gehen Carsten und Andreas zu haben«, resümierte Merlin. »Leider. Meine Mutter ist zuerst auch sehr skeptisch gewesen, als sie erfuhr, dass ein homosexuelles Paar hierher zieht. Als sie Carsten im Gemeindehaus traf und die Idee mit dem Klavierunterricht zur Sprache kam, hat sie ihre Meinung sofort geändert. Jetzt verteidigt sie diese Familie und ihre Aktionen. Ich glaube, ich fahre heute noch einmal zu ihr und erzähle ihr von diesem Vorfall. Mal sehen, ob unsere Frauen nicht etwas in Erfahrung bringen können.« »Ich werde mich mal mit Dr. Miller unterhalten. Im Wartezimmer wird viel getratscht.«

Andreas und Carsten waren über den Vorfall sehr enttäuscht. »Sei es drum. Die Polizei hat es aufgenommen und vielleicht stimmt der Gemeinderat einer Verkehrsüberwachung zu. Ich telefoniere mal mit den Unternehmen. Nicht, dass wir die Kinder wegen der Eröffnung enttäuschen müssen.« Andreas zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.

»Was können wir noch tun?«, fragte Merlin. »Ihr habt schon alles getan. Die Polizei wird den Platz im Auge behalten. Die Gemeinde wird sensibilisiert und die Unternehmen werden sich ebenfalls nicht unterkriegen lassen. Die beschädigten Pflanzen und Bäume wird Mr Hill sicher schnell ersetzten. Ich weiß, dass Andreas solche Aktionen hart treffen. In jedem seiner Projekte steckt auch viel Herzblut. Lassen wir ihn arbeiten. Edward, was meinst du: Wie werden die Unternehmen reagieren?« »Sie werden die Schäden schnell reparieren. Jedoch spitzen sie und ihre Familien ihre Ohren. Möglich, dass sie sich organisieren und den Platz öfters aufsuchen.« »Ich werde mich da nicht einmischen. Leute, es ist Sonntag und wir sollten diesen auch zum Relaxen nutzen. Salvatore durfte toben?« »Er hat uns beiden gut beschäftigt,« meinte Edward erleichtert über den Themenwechsel. Merlin dachte an den Hund und wie er den Stock im Flug schnappte: »Salvatore ist wirklich sehr agil. Ich frage mich, wie Hunde es schaffen, in der Luft die Richtung zu ändern?« »Diese Frage stelle ich mir auch sehr oft. Bei Katzen ist es der Schweif, weswegen sie auch immer auf ihren Pfoten landen. Wo sind unsere Gäste?« »Die Ladies haben sich hingelegt und die Gentlemen spielen im Salon Schach. Mrs Sanches ist in der Küche und bereitet den Tee vor. Bevor du protestierst, sie hat es von sich aus angeboten.« »Ist schon recht. Es ist auch ein heftiges Wochenende. So, ich gehe mal Cedric holen. Mittags schläft er nicht mehr so lange.«

Der kleine Mann war schon wach, als Carsten sein Zimmer betrat. Carsten hörte ihn vor sich hin reden und giggeln. Anscheinend schien er sich mit seinem Ring und dem Teddy intensiv zu beschäftigen. Langsam nährte er sich dem Kinderbett. Cedric sah die Hand seines Papas. Diese fand sein spontanes Interesse und Carsten gab sich geschlagen, als der kleine Mann sich daran festhielt. Mit seiner anderen Hand strich er behutsam über den kleinen Körper. Cedric giggelte lauter und es machte ihm Spaß, auch diese Hand ergreifen zu wollen. »Lust auf etwas Gesellschaft?«, fragte Carsten sanft. »Dann komm mit. Gucken wir mal, wer schon alles wieder auf den Beinen ist.« Geschickt nahm Papa Carsten seinen Sohn aus dem Bett und auf den Arm. Bevor sie jedoch das Zimmer verlassen konnte, tat Cedric auf seine Weise seinen Unmut kund, den Ring haben zu wollen. »Das scheint wohl dein momentanes Lieblingsspielzeug zu sein.« Glücklich beruhigte sich der Junge, als er den Ring wieder in seiner Hand hielt. Auf dem Weg zu den anderen lutschte Cedric wieder daran. »Welch ein schöner Anblick. Meine beiden Männer kommen mich begrüßen.« »Das wollten wir uns nicht nehmen lassen. Guck mal, Cedric, Papa Andreas!« Dabei dreht sich Carsten so, dass Cedric Andreas in sein Blickfeld bekam. Andreas konnte es nicht lassen und knuddelte den kleinen Mann. »Ich weiß zwar nicht, was du gerade vorhattest, doch mir steht der Sinn nach einem kräftigen Kaffee.« »Oh, die Idee hatten wir beide auch. Für Cedric etwas Früchtetee und einen Kaffee für mich.« »Guck mal, kleiner Mann, ich habe da etwas für dich. Was hältst du von einem Schnuller?« Andreas gab seinem Sohn den besagten Gegenstand. Erst argwöhnte das Baby ein wenig, doch dann gefiel ihm das Etwas in seinem Mund. »Nonna meinte, dass ihn so ein Teil beschäftigt. Es hat wohl auch eine beruhigende Wirkung.« »Wenn er es mag, ist es okay. Ich glaube, er hat zugenommen und mit seinem Köpfchen kann er schon ganz gut umgehen.« Andreas legte Carstens Arm auf seinen und gemeinsam gingen sie in die Küche. »Das riecht aber lecker, Mrs Sanches. Was sagt denn ihre Familie, wenn Sie am Sonntag bei uns sind?« »Nicht viel. Eric ist mit seinen Freunden Angeln. Ich habe ihm gesagt, dass ich heute hier sein werde. Er stimmte mir zu. Wir haben von dem Unfall gehört. Eric sagte, dass ihr sicher anderes im Kopf habt.« »Hat er schon mal etwas gefangen?« Mrs Sanches lachte. »Noch nie, weil er keine Köder benutzt. Er sitzt nur am Ufer und entspannt sich bei einem Bier mit seinem alten Schulfreund. Ich liebe ihn, so wie er ist. Fisch kaufen wir beim Händler. Für den Tee habe ich heute mal einen Sandkuchen gemacht. Einfach, schnell und lecker. Kann es sein, dass Ihre Großeltern Diabetiker sind?«, bemerkte Mrs Sanches. »Altersbedingte Diabetes. Sie haben es ganz gut im Griff. Seit meine Großeltern zusammenwohnen, achten alle auf eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung«, antwortete Andreas und wechselte zum Anlass ihres Daseins: »Haben Sie Kaffee für uns und etwas Tee für Cedric?« »Nein. Ich gestehe, dass mein Kaffee grottenschlecht ist«, scherzte Mrs Sanches. »Dann mach ich Kaffee und Tee für uns. Mrs Sanches, am kommenden Wochenende kommen Carstens Geschwister und sein Schwager. Wir haben uns entschieden, sie in den beiden freien Räumen auf unserem Flur unterzubringen. Würden Sie nächste Woche da mal nach dem Rechten sehen? Edward wird dort mobile Gästebetten aufstellen«, informierte Andreas. »Natürlich. Haben Sie schon eine Idee, was einmal aus den beiden Räumen werden soll?« »Vielleicht machen wir aus einem noch ein separates Spielzimmer. Die Situation wird sich im kommenden Jahr entspannen, wenn die Lodge fertiggestellt ist. Edward hat schon konkrete Vorstellungen, wie die Einrichtung sein soll. Unten Küche, Living Room, ein kleines Esszimmer und ein Arbeitszimmer, oben Gästezimmer, Schlafzimmer und Bad.« »Da bin ich gespannt, wie es aussehen wird.« »Wissen Sie, wie es einmal ausgesehen hat?« Mrs Sanches dache einen Moment angestrengt nach. »Ich habe mal ein Gemälde des Anwesens gesehen. Fragen Sie doch mal in der Library nach. Dort müsste die Chronik von Lord und Lady Rutherford vorhanden sein. Ein Historiker hat vor Jahren die Geschichte der Familie Rutherford recherchiert.« »Was wurde aus der Familie?«, war Carstens Neugier geweckt. »Der letzte Lord Rutherford fiel im Krieg. Lady Rutherford starb zwanzig Jahre nach ihrem Gatten in einem Sanatorium an einer Lungenentzündung. Da die Ehe kinderlos blieb, gab es keine Erben. Eine Nichte von Lady Rutherford übernahm das Anwesen. Sie hatte jedoch keine glückliche Hand. Der letzte Ausweg war die Veräußerung des Anwesens. Von da an wechselten in steter Regelmäßigkeit die Besitzer. Das Manor stand vor Ihnen fast ein Jahrzehnt leer. Die Gemeinde hat sich dann mehr schlecht als recht um das Gut gekümmert. Den Rest kennen Sie ja.« »Danke. Ich werde mich mal informieren.« »Carsten, Junge?« »Was gibt es, Nonno?« »Kannst du die Heizung im Salon etwas höherstellen?« »Rechts am Kaminsims ist der Regler. Dazu kannst du auch den Kamin einschalten. Die Infrarotstrahler sorgen für eine angenehme Wärme bis zur Sitzgruppe. Wir werden dort auch Kaffee und Tee trinken. Sie bleiben doch zum Tee, Mrs Sanches?« »Wenn ich so charmant eingeladen werde.«

Im Salon hatte es sich die Familie bereits vor dem Kamin bequem gemacht. Das künstliche Feuer samt typischen Geräuschen bereitete eine behagliche Stimmung. Cedric durfte zwischen Carsten und Andreas auf dem Zweisitzer Platz nehmen. Lustig nuckelte er an seiner Trinkflasche, die Andreas ihm hielt. Mrs Sanches servierte den Sandkuchen und dazu ein paar kleinere Sandwiches. Edward schenkte Tee und Kaffee ein. Die Hunde und der Kater lagen in ihren Kudden und relaxten. Dabei behielten sie die Personen stets im Blick. Es entwickelten sich verschiedene Gespräche. Wobei Nonna und Babi munter an verschiedenen Sachen strickten. Es war das erste Mal an diesem Wochenende, dass sich auch die Gastgeber vollkommen entspannten.

»Wie habt ihr euch entschieden?«, fragte Carsten in die Runde. »Wir haben schon darüber gesprochen. Wir würden alle gerne bis zum Neuen Jahr bleiben. Ihr beiden habt ja noch Verpflichtungen. Es macht sich bestimmt auch in der Gemeinde gut. Gabriele und ich möchten uns gern mal die Kirche ansehen. Es ist immer gut, sich selbst ein Bild zum Zustand zu machen.« Andreas stimmte dem Ansinnen seines Großvaters zu. »Bambino, habt ihr auch einen Laden für Strick- und Nähwaren? Meine Wolle geht aus.« »Mrs Zahradníkova, ich kann Ihnen den Laden zeigen. Das Geschäft ist klein, aber fein. Es liegt etwas abseits der Hauptstraße, schwer zu finden für Besucher.« »Das ist wirklich nett, Mrs Sanches.« »Babi, ich muss noch beim Bäcker bestellen. Soll ich mal nach Diabetikerbrot fragen?«, bot Andreas an. »Kann ich das nicht machen?«, fragte Gabrielle. »Unsere Gemeinde hat keinen eigenen Bäcker mehr. Die meisten kaufen ihr Brot im Supermarkt oder backen selbst. Auf dem Wochenmarkt hat Bill, der Bäcker aus der Nachbargemeinde, einen Stand, doch dieser ist erst wieder am Mittwoch«, mischte Mrs Sanches dazwischen. »Wenn dem so ist, dann musst du es wohl machen.« »Hat sonst jemand Wünsche?«, fragte Carsten. »Da habe ich noch etwas anderes. Unsere Eltern haben das Gästezimmer im Ostflügel in der zweiten Etage. Wir könnten, ihnen unser Zimmer geben. Es hat alles, was sie brauchen.« »Nein, Jungs. Ihr solltet in Cedrics Nähe sein. Es wird schon gehen, tagsüber werden sie sich wohl hier unten aufhalten. Die zweite Etage sollte kein Problem darstellen. Deine Eltern sind ja noch junge Hüpfer. Ich schlage vor, wir besprechen es morgen mit ihnen. Gemeinsam finden wir eine Lösung«, meinte Nonno.

»Es ist ganz schön kalt geworden«, wechselte Děda plötzlich das Thema. »Normal bestimmt der Golfstrom das Wetter. Daher ist es oft mild. Zurzeit liegen wir im Einfluss eines skandinavischen Tiefs. Fallende Temperaturen und Niederschlag«, wusste Edward zu berichten. »Sam hat bereits die Schafe in den Stall gebracht. Papa glaubt, dass es diesen Winter viel Schnee geben wird.« »Ist er Meteorologe?« »Nein. Er sagt, dass er es in den Knochen spüre.« Dabei grinste er verlegen. »Das muss dir nicht peinlich sein. Viele alte Menschen haben ähnliche Phänomene. Meist ist es jedoch ihre Erfahrung mit der Natur«, schlussfolgerte Babi: »Diese werden mit ein paar persönlichen Anmerkungen geschmückt und schon gibt es solche Weisheiten.« Das Thema wurde weiter diskutiert und jeder gab seine Meinung zum Besten.

Carsten widmete seine Aufmerksamkeit seinem Sohn. Er hatte ihn zwischenzeitlich auf den Schoß genommen und mit ihm gespielt. »Du, Cedric ist eingeschlafen«, bemerkte er zu Andreas. »Kannst du ihn in sein Bett legen?« Andreas nahm den kleinen Mann und legte ihn in sein Tagesbett. Dazu seinen kleinen Teddybären. Gerade als er sich setzten wollte, machte sich das Telefon bemerkbar. Andreas nahm das Gespräch entgegen. Wenig später legte er wieder auf und setzte sich wieder neben seinen Gatten.

»Wer war das?« »Ein Mr Alsabbagh. Er möchte uns sprechen und kommt morgen Vormittag. Er scheint Paul zu kennen.« »Ich kenne Alsabbagh. Er und Papa haben beruflich öfters miteinander zu tun gehabt. Ich wusste nicht, dass er unsere Nummer hat«, wunderte sich Carsten. »Wir werden schon erfahren, was er möchte. Schatz, ich möchte mich etwas hinlegen.« »Geh in dein Arbeitszimmer. Ich wecke dich dann«, schlug ihm Andreas vor. Carsten verließ den Salon und legte sich hin. Den restlichen Tag beschäftigte sich jeder auf seine Weise. Erst zum Dinner trafen sich alle wieder. Cedric war nicht wirklich munter. Andreas brachte ihn nach seiner Mahlzeit zeitig ins Bett. Den Abend ließen sie gemütlich ausklingen.


Mr Alsabbagh fuhr mit seinem Wagen vor, als Carsten mit den Hunden noch auf ihrer ersten großen Gassirunde war. Andreas empfing ihren Besuch im Salon, wo Cedric in seinem Bett ein Verdauungsschläfchen hielt. »Salam, Mr Alsabbagh. Carsten ist noch auf seiner Runde mit den Hunden.« »Salam, Mr Zahradník. Darf ich fragen, wie es Ihren Schwiegereltern geht?«, begann er in fließendem Arabisch. »Carsten hat vorhin mit ihnen telefoniert. Seinen Informationen nach beschwerte sich Paul über den Tee beim Frühstück. Luise wird heute Morgen untersucht. Dann sollte sie auch eventuell ihre Hartschalen bekommen«, antwortete Andreas ebenfalls in Arabisch. Wenn auch nicht ganz so fließend. Mr Alsabbagh lachte und fuhr dann in der englischen Sprache fort: »Sie sprechen ein gutes Arabisch, ein leichter syrischer Dialekt.« »Danke, mein Zio Jihan brachte mir die Sprache bei. Leider fehlt mir entsprechende Übung.«

Die Unterhaltung wurde durch Salvatore unterbrochen. »Sieht so aus, als sei Carsten zurück.« Kurz darauf betrat er den Salon. »Schatz, schläft Cedric noch?« »Ja. Er hat auch recht viel Hafer-Frucht-Milch gehabt. Das braucht Zeit, um verdaut zu werden.« »Gut. Mr Alsabbagh, nehme ich an?« »Guten Tag, Mr von Feldbach. Ich habe Sie schon lange nicht mehr gesehen. Damals waren Sie vierzehn?« »Könnte hinkommen. Was verschafft uns die Ehre ihres Besuchs?« »Da muss ich etwas weiter ausholen. Ich kenne ihren Vater ja über seinen Beruf und weil er sich immer für misshandelte Pferde einsetzte. Einige seiner Patienten haben in meiner Herde Platz gefunden. Daneben arbeite ich für die nationale Sicherheit. Ich bin Profiler für Serienverbrechen. Eine Sonderkommission hat seit einigen Jahren einen Heckenschützen im Visier. Sobald es einen Vorfall mit Schusswaffen gibt, werden wir kontaktiert. Die Ballistik der Polizei Edinburgh hat eine Anfrage zu einem Projektil gemacht und so unsere Aufmerksamkeit erregt. Es gibt eine Verbrechensserie, welche zu dem Projektil passt. Dann schaltet sich die Sonderkommission ein, der ich vorstehe. Ich kenne Paul und Luise. Daher habe ich auch ein persönliches Interesse in diesem Fall. Die Kollegen aus Edinburgh haben uns Kopien ihrer Berichte gegeben. Die werden gerade von uns analysiert. Dabei haben sich einige Parallelen zu anderen Fällen ergeben. Ich bin hier um von ihnen weitere Detail zu erfahren. Egal, wie unwichtig Ihnen diese auch erscheinen.«

Andreas sah Carsten an. »Gut, wir helfen gern. Doch zunächst: Möchten Sie Tee, Kaffee oder etwas anderes?« »Wenn es keine Umstände macht, einen Softdrink.« Andreas ging in die Küche und kam später mit einem Tablett zurück. Nachdem jeder versorgt war, unterhielten sich die drei Erwachsenen. Andreas und Carsten begannen, ihre Geschichte von Beginn an zu erzählen. Wie sie das Haus entdeckten bis zum Vortag. Dass zwischenzeitlich Cedric von seinen Vätern betreut wurde, tat dem keinen Abbruch. Mr Alsabbagh machte sich zu den Informationen einige Notizen.

»Ich habe erfahren, dass Sie Gäste haben. Darf ich fragen, wo sie sich momentan aufhalten?« »Unsere Großeltern sind in Edinburgh und besuchen unsere Eltern. Edward, unser Verwalter, ist ihr Chauffeur. Merlin geht seinem Job bei dem hiesigen Tierarzt nach. Mrs Sanches, unsere Raumpflegerin, hat heute frei.« »Gut. Sie haben, soweit ich informiert bin, noch in London zu tun, Carsten. Sie beide erhalten vorübergehend einen Bodyguard. Einen Protest können sie sich sparen. Es ist eine Anweisung meiner Chefin.« Dann fuhr Mr Alsabbagh fort: »Ich danke ihnen für ihre Mithilfe. Mein Gatte wird sich jetzt daran setzten, die Informationen zu einem Ganzen zusammenzufügen. DI Blackmoore ist informiert. Dann darf ich mich verabschieden.« Carsten begleitete ihren Besuch zur Tür. »Carsten, kommen Sie uns doch mal besuchen. Meine Familie würde sich freuen.« »Gerne, nur in diesem Jahr wird das wohl nichts mehr. Bis zum neuen Jahr haben wir volles Haus.« »Eine abschließende Frage hätte ich da noch: Sie haben von diesem Organisten erzählt. Glauben Sie, er wäre zu so etwas in der Lage?« »Ehrlich? Mit allem, was ich von ihm weiß, hat er zwar eine große Klappe, aber keinen Hintern in der Hose. Er könnte noch von meinem Leonardo lernen. Der Hund zieht bei Schwierigkeiten nicht sofort seinen Schwanz ein.« Mr Alsabbagh nickte: »Ich werde es meinem Mann genauso sagen.« Danach schloss Carsten die Tür hinter dem Besuch.

»Seine Chefin?«, fragte Andreas den eintretenden Carsten. »Ja, Her Majesty The Queen«, war die lapidare Antwort. »Er ist Ihr Angestellter?« »Ja. In Ausübung seines Berufes benötigt er uneingeschränkte Kooperation aller Sicherheitseinrichtungen. Ihm stellt sich keiner in den Weg, der nicht in den Buckingham Palast zitiert werden möchte.« »Darf ich dich fragen, woher du das alles weißt?« »Ich bin Dozent am Royal College of Music, dessen Präsident der Prince of Wales ist. Also bin ich direkt ein Angestellter der königlichen Familie.« Andreas musste sich erst einmal setzten. Die Information war heftig. »Schatz, ist es sehr wichtig für dich, wer mein Gehalt bezahlt?« Diese Frage klang etwas verunsichert. »Nein, ich bin nur perplex. Jetzt verstehe ich auch die Bemerkung zum Bodyguard. Nichtsdestotrotz, Cedric braucht ein wenig frische Luft. Gehen wir mit ihm in den Garten?« »Natürlich. Doch zuvor machen wir uns frisch.« »Charmeur, unser Sohn hat die Hose voll«, lachte Andreas seinen Sohn an. Nach einer halben Stunde waren die drei soweit. Begleitet von den beiden Hunden gingen sie über ihr Anwesen. Andreas lenkte ihren Weg zur Baustelle. Dort waren die Unternehmen mit der Begutachtung der Schäden beschäftigt. Als sie Andreas ansichtig wurden, sammelten sie sich.

»Also«, begann Mr Palmer, »die Kletterwände sind lediglich beschmiert worden. Ich werde die Steine schleifen und neu versiegeln lassen. Das ist kein großer Aufwand. Lediglich eine staubige Angelegenheit.« »Ich vertraue ihrem Fachwissen. Uns ist wichtig, dass es für die Kinder sicher ist.« »Das wird es immer sein. Meine Angestellten haben angeboten, regelmäßig nach den Einrichtungen zu sehen.« »Wie sieht es denn mit den anderen Spielgeräten aus?« »Halb so schlimm, wie es den Anschein hat. Die Balkenwippe wurde aus der Verankerung gerissen«, berichtete der Tischler. »Mrs Baker hat sich das genauer angesehen und auch schon eine Lösung parat. Ein verdecktes Scharnier sollte weiteren Versuchen standhalten. Sie wird auch die Arbeiten am Zaun vorziehen. Schon in der kommenden Woche soll er stehen. Die Beleuchtung wird heute provisorisch installiert. Der Elektriker hat zu dem ursprünglichen Plan eine Variante mit Mr Gilles besprochen. Die Laternen werden, wie geplant, mit Bewegungsmeldern ausgestattet. Hinzu kommt eine verdeckte Videoüberwachung der Zufahrtswege. Der Spielplatz steht im öffentlichen Interesse. Das gibt der Gemeindeverwaltung diese erweitere Möglichkeit, auch wenn die Auslegung weit gefasst ist. Der Platz selbst darf nicht überwacht werden. Doch bis Ende dieser Woche sollen auch diese Arbeiten abgeschlossen sein.« »Was ist mit den zusätzlichen Kosten?«, wollte Carsten wissen. »Da es mit zur Verkehrsüberwachung gehört, werden die Kosten zu Lasten des Verkehrsetats der Grafschaft gehen. Letztendlich ist das günstiger und bietet allen mehr Sicherheit.« »Dann bleiben wir im Zeitplan zur Eröffnung?«, fragte Carsten nach. Dabei spielte Cedric mit seinen Fingern. »Victor wird sich die Pflanzen noch genauer ansehen. Er wird Sie jedenfalls heute noch anrufen. Die Eröffnung kann wie vorgesehen gefeiert werden. Wir alle haben es den Kindern versprochen. Das Versprechen halten wir ein, allein schon, weil meine Kinder mir sonst das Leben schwer machen«, meinte eine verlegende Mrs Baker, was ein befreiendes Lachen in der Runde auslöste. »Gut, ich vertraue auf eure Arbeit. Für die Polizei benötige ich eine Kostenaufstellung der Schäden.« »Reicht es dir, wenn wir heute Abend Bescheid geben?« Andreas nickte zur Bestätigung. Daraufhin überließen sie den Platz wieder den Arbeitern. »Da sind wir sprichwörtlich noch mit einem blauen Auge davongekommen«, bemerkte Carsten beim Fortgehen. »Dennoch lasse ich den Fall weiterverfolgen. Hat sich eigentlich die Firma mit dem Musikinstrument schon gemeldet?« »Ja. Das Spiel-Xylophon wird rechtzeitig zur Eröffnung fertig sein. Die einzelnen Klangkörper und Trittflächen werden bereits gegossen. Die Mechanik ist schon fertig. Das Spielzeug wird ca. 3 m2 Fläche in Anspruch nehmen. Ich hoffe, das ist nicht zu groß.« »Nein, absolut nicht. Ursprünglich habe ich dafür 5 m2 vorgesehen.« Carsten blieb stehen, um Cedric im Tuch etwas umzulagern. Die Bewegung, die erfrischende Luft und seine eigenen Aktionen hatten ihn etwas verrutschen lassen. Nachdem er wieder freie Sicht auf die Umgebung hatte, gab er seine Kommentare zum Besten. Seine Papas mussten hin und wieder grinsen. Beide banden den kleinen Mann aktiv in ihr Gespräch ein. Andreas deutet mit seinen Fingern auf bestimmte Dinge und Cedrics Blick folgte ihm aufmerksam. Immer wenn er die Hunde sah, spürte Carsten die intensiven Bewegungen mit den Händen und Beinen.

»Schatz, ich gehe gleich ins Studio. Da höre ich nicht, was Cedric macht.« »Dann nehme ich ihn zu mir. Er inspiriert mich sicher mit seinen Ideen bei den Entwürfen.« Carsten lächelte seinen Gatten charmant an. »Leonardo, Salvatore, ab nach Hause.« »Dada!«, meinte Cedric plötzlich. Dabei fuchtelte er mit seinen Händen in Richtung der Hunde. »Stimmt. Das sind Leonardo und Salvatore. Die beiden passen auch auf dich auf.« »Dada?« »Mir scheint, eure Kommunikation ist noch verbesserungswürdig«, nahm Carsten Andreas ein wenig auf den Arm. »Stimmt, ich muss noch viel von unserem Sohn lernen.« »Nicht nur du, Schatz. Glaubst du, wir können ihm vermitteln, dass sein Papa blind ist?« »Da sind wir auf sehr gutem Weg. Du machst alles richtig. Cedric sieht immer dein Gesicht. Er erkennt deine Mimik. Mir ist aufgefallen, dass er auf die Nuancen in deiner Stimme reagiert. Mehr als bei meinen Großeltern oder sonst jemandem.« Andreas machte eine Pause. »Wie habt ihr das Ercan beigebracht?« »Mama und Papa sahen sich in der Pflicht, als er alt genug war, das auch zu verstehen. Andrea und ich waren von Beginn an in seine Pflege involviert. Paul und Luise legten Wert darauf, dass wir uns auch allein um Ercan kümmern konnten.« »Da hast du doch eine Antwort. Letztendlich war es für deinen Bruder ganz alltäglich, so hat er es akzeptiert. Für Cedric wird es auch normal sein, mach dir darüber keine Gedanken. Wenn er Fragen hat, wird er sie auch stellen.« »Dada!« »Er ist ein sehr aufgeweckter kleiner Mann. Mit seinen Händen zeigt er auf unsere Vierbeiner.« »Er mag wohl seine ›Teddybären‹ auf vier Pfoten«, lächelte Carsten.

Im Porch kümmerte sich Carsten um seine Hunde, während Andreas mit Cedric in sein Zimmer gingen. Im Haus brauchte der kleine Mann die wärmende Kleidung nicht. Als sie wieder die Treppe hinuntergingen, kam ihnen Carsten entgegen. »Ich ziehe mich jetzt um und gehe dann ins Studio.« »Arbeitest du an dem Song ›The dance‹?« »Ja. Kann länger dauern.« Carsten gab seinen Männern einen Kuss. Cedric freute sich darüber.

Andreas sah auf die Uhr in seinem Arbeitszimmer. Er staunte nicht schlecht, dass schon wieder Stunden vergangen waren. »So, kleiner Mann«, sprach er Cedric an, »wollen wir mal hören, was dein anderer Papa so macht?« Eine wirkliche Antwort erwartete er nicht, wurde aber von seinem Sohn eines Besseren belehrt: »Dada?« »Genau. Komm, gehen wir mal zu ihm hin.«

Im Mischraum leuchtete die obligatorische rote Lampe. Carsten hatte an den Reglern einige Tonspuren einjustiert. Andreas wusste, dass gerade eine Aufnahme lief. Hinter der Scheibe sah er Carsten mit Kopfhörern singend im Studio stehen. Er drehte Cedric so zum Studio, dass er ebenfalls durch die Scheibe sehen konnte. »Dada!«, rief er spontan und zeigte mit einem Arm in Carstens Richtung. »Ja, das ist dein Papa. Er singt gerade. Willst du mal hören?« Am Mischpult drehte er am Volumenregler für den Vorraum. Aus den Lautsprechern ertönte Musik und der Gesang. Er hatte den Song bereits gehört, nur vom E-Piano begleitet. Jetzt waren auch andere Instrumente zu hören und gaben diesem Song eine persönliche Note. Andreas bekam eine Gänsehaut. Carsten war nicht nur ein begnadeter Pianist, sondern ein Musiker mit Leib und Seele. Cedric hörte sehr aufmerksam zu. Andreas sah im Gesicht seines Sohnes, wie glücklich er war. Seine kleinen Augen strahlten förmlich bei jedem gesungenen Ton. Andreas musste sich setzten. Ihm wurden die Knie weich. So hatte er seinen Carsten noch nie gehört. Das Arrangement, welches Carsten erarbeitet hatte, war einmalig. Es machte aus dem etwas melancholischen Song einen Titel der Hoffnung und Zuversicht.

»Ach, ihr seid ja hier«, wurde Andreas aus seinen Gedanken gerissen. »Tiger, wo hast du nur dieses Talent her?« »Gefällt es euch beiden?« »Gefallen? Es hat mich umgehauen. Cedric liebt dich und deinen Gesang. Ich sehe es deutlich in seinen Augen.« »Dada!!«, ertönte es und Carsten konnte in diesen zwei Silben das Wohlbehagen seines Sohnes hören. »Na wenn meine beiden Kritiker zufrieden sind, habe ich wohl alles richtig gemacht. Dann speichere ich die Aufnahme.« Mit professioneller Routine drückte er einige Knöpfe. Andreas sah auf einem Monitor den Fortschrittsbalken des Speichervorgangs. »Sind unsere Gäste schon zurück?«, war Carsten neugierig. »Nein. Edward wird ihnen vielleicht Edinburgh zeigen. Zumindest habe ich ihm gesagt, dass er sich Zeit lassen kann«, erzählte Andreas. »Mit ihm haben wir wirklich einen guten Verwalter. Ich denke nicht, dass jeder so flexibel reagieren würde.« Andreas änderte die Position von Cedric auf seinem Arm. Dabei hörte er seinem Mann weiter zu. »Wir sind in dieser Hinsicht auch keine üblichen Arbeitgeber. Allein, dass wir ihm freie Hand bei der Erledigung seiner Aufgaben geben, ist nicht gerade typisch. Ich bin zufrieden, wie er hier alles organisiert. Selbst für die Hunde nimmt er sich Zeit.« »Dada! Dada!«, meinte Cedric dazu. Diese Äußerung wurden durch die Aufmerksam beider Papas belohnt und der kleine Mann geknuddelt. »Ich hätte Lust auf einen kräftigen Tee und vielleicht ein Sandwich«, stellte Carsten seinen Status fest. »Cedric dürfte einem kleinen Imbiss auch nicht abgeneigt sein. Er war ein guter Ratgeber. Bei einigen Projekten habe ich sogar kleine Änderungen für mehr Kinderfreundlichkeit gemacht.« »Ich sehe schon, Cedric ist eine Inspiration für uns beide. Sag mal, hat sich Mr Hill schon zu den Beschädigungen an den Sträuchern und Bäumen geäußert?« »Hat er. Alles halb so wild, meinte er. Die Sträucher werden wieder eingepflanzt. Den Baum hat er behandelt. Die Rinde wurde nicht vollständig beschädigt. Er meinte, dass es einmal ein schöner Kletterbaum wird.« »Wie meint er das?« »Normal werden niedrige Astansätze entfernt. Das machen wir nicht. Die beschädigte Stelle wird möglicherweise einen niedrigen Ast hervorbringen. Somit der ideale Ansatz, um im Baum herumzuklettern.« »Hast du keine Angst, dass sich ein Kind dabei verletzten könnte?« Andreas lachte auf. »Tiger, Luise hat mir erzählt, wie du und Andrea in eurem Birnbaum herumgeklettert seid. Euch ist auch nichts passiert. Ercan hatte damals einfach Pech, als er aus dem Baum gefallen war. Er hat sich aber sehr gut erholt und war schon wenige Tage später wieder ein echter Lausebengel. Nein, wie Andrew sagte: Unfälle passieren, wenn kleine Menschen toben.« Carsten gab sich mit der Auskunft zufrieden. Er fuhr die Computer im Studio herunter. Andreas schaltete beim Verlassen das Licht aus.

In der Küche trafen sie auf ihre Hunde. Andreas öffnete die Schiebetür zum Garten. Als die beiden Vierbeiner das mitbekamen, gab es kein Halten. Beide liefen in den Garten. Cedric nahm die Bewegung wahr und kommentierte hinter beiden her. »Ich mache uns mal einen Tee. Hast du für Cedric noch Milch übrig oder machst du eine frische?« »Ich habe noch Milch von heute Morgen. Ich mische etwas Schafmilch dazu und mache sie warm. Dazu gebe ich ihm etwas Brot. Darauf kann er dann nach Herzenslust herumsabbern. Möchtest du ein Sandwich? Dann mache ich für uns beide welche.« Andreas machte sich daran, seine selbst gestellten Aufgaben abzuarbeiten. Immer dabei auch Cedric im Blick. Dieser machte Anstalten, sich auf seinem Platz drehen zu wollen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Carsten den kleinen Mann auf den Bauch drehte. »Glaubst du, er mag es, auf dem Bauch zu liegen?« »Wenn ihm das nicht gefällt, wird er sich schon melden. Doch ich glaube, er findet es ganz gut, alles auch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es fördert auch seinen Bewegungsdrang.« Mit einem fröhlichen Lallen unterbrach Cedric Carsten. »Siehst du, es gefällt ihm«, interpretierte er seinen Sohn. Andreas schüttelte lediglich seinen Kopf über seine beiden Herzensbrecher.

Zuerst bekam der Junge seine kleine Mahlzeit. Mittlerweile hatte er es heraus, beim Halten der Flasche zu helfen. Derweil deckte Carsten den Tisch.

»Hallo, habt ihr auch einen Tee für mich?«, grüßte Merlin, als er die Küche betrat. »Klar. Setzt dich. Sandwiches?« »Nein danke. In der Praxis gab es Kuchen. Sabine hat Geburtstag, nur mit dem Jahrgang wollte sie nicht herausrücken.« Andreas und Carsten lachten. »Ist das wichtig? Frauen halten oft mit ihrem wahren Alter hinter dem Berg. Scheint in ihren Genen zu liegen.« Merlin grinste Andreas an. Dann schenkte er sich Tee ein. »Also, laut Dr. Miller und Sabine gibt es keinen unter den Patienten, der sich gegen den Spielplatz geäußert hat. Sie kennen auch keine Person, die so etwas machen würde.« »Dann scheint es wirklich gegen uns gerichtet zu sein«, resignierte Carsten etwas. »Die Polizei wird denjenigen oder diejenige schon erwischen. Die Gemeinde ist hellhörig geworden. Erst der Unfall und dann der Spielplatz, das sind keine Zufälle mehr. Ist denn der Schaden sehr groß?«, fasste Merlin zusammen. »Es hält sich in Grenzen. Die Eröffnung wird wie geplant stattfinden, haben die Unternehmer uns versprochen«, informierte Andreas. »Da fällt mir ein, unsere Hunde benötigen ihre Impfungen.« »Kommt einfach am Freitag in die Praxis. Ich merke euren Besuch vor. Dann kann Dr. Miller auch gleich die Grunduntersuchung machen.« Carsten nickte lediglich zu dem Vorschlag. Es kehrte Ruhe ein. Jeder trank in Gedanken sein Getränk oder aß ein Sandwich. Selbst Cedric beschäftigte sich ruhig mit seinem Ring. Ein leiser Rülpser entwich dem Jungen.

»Wisst ihr was«, unterbrach Carsten die Stille, »das Leben geht weiter. Cedric soll unbeschwert aufwachsen. Überlassen wir der Polizei die anderen Sachen.« Nach einer kleinen Pause schlug er vor: »Was haltet ihr davon, heute Abend essen zu gehen?« »Gute Idee, Nonno würde gern mal die hiesige Küche testen. Woran hast du gedacht?« »Das Restaurant, wo wir schon einmal waren.« »Gute Wahl. Ich reserviere uns einen Tisch. Merlin?« »Macht einen Familienabend daraus. Ich habe noch zu lernen. Charaid wird mir Gesellschaft leisten.« Andreas’ Aufmerksamkeit war geweckt. »Wie gestaltet sich dein Abschluss?« Merlin machte ein langes Gesicht: »Gwenda ist geduldig und zufrieden mit mir. Sie sagte: Schwierigkeiten zu haben ist normal, denn keiner kann alles gleich gut. Es ist richtig, wenn ich mich den Problemen stelle.« Carsten nickte zustimmend. »Das macht den Unterschied zwischen guten und schlechten Schülern aus. Im Internat hatte ich so mit den Sprachen zu kämpfen. Andreas hat mir geholfen, indem er mich immer in kleine Gespräche verwickelte. Es hat sich gelohnt, wie du hörst.« »Mehr noch. Carsten versteht sogar das alte Englisch von Shakespeare«, war Andreas stolz auf seinen ›Schüler‹. »Wir gehen gerne mal ins Globe Theatre.« Merlin staunte nicht schlecht. Er hatte schon oft von dem Theater gehört und welche Stücke dort aufgeführt werden. »Oh Mann. Gwenda quält mich mit den alten Stücken. Die Stücke sind trockene Literatur, meinte sie scherzhaft. So manches Mal bin ich über ›King Lear‹ eingeschlafen. Dennoch kann ich dem etwas abgewinnen. Man erhält einen Einblick in die Entwicklung der Sprache.«

Das Gespräch wurde durch das Telefon unterbrochen. Andreas ging das Gespräch annehmen. »Hallo Babi. Ist etwas passiert?« Andreas hörte seiner Oma zu. Wenige Augenblick später stimmte er ihr zu: »Okay. Macht euch einen schönen Abend. Was ist mit Edward?« … »Ihr ladet euren Chauffeur zum Essen ein? Das ist wirklich nett von euch.« … »Babi, wir gehen eh nicht früh schlafen. Genießt den Abend. Ich informiere Carsten.«

»War es etwas Wichtiges?« »Nein, unsere Großeltern machen sich einen schönen Abend in Edinburgh. Wird für uns ein Dinner zu dritt.« »Wenn ihr euch beiden auch einen gemütlichen Abend machen möchtet: Ich passe auf Cedric auf. Wir haben sicher genug Spaß zusammen. Ich werde ihm Shakespeare vorlesen.« Beide Papas grinsten bei dieser Vorstellung und waren von der Idee angetan. Einen Abend zu zweit hatten sie schon lange nicht mehr gehabt. »Gut. Ich bereite für Cedric noch seine Mahlzeiten vor. Der kleine Mann entscheidet dann selbst, wann er etwas haben möchte. Bei Problemen kannst du uns anrufen. Also ein Tisch für zwei und zwei Hunde.«

Im Restaurant wurden die vier schon erwartet. Wie beim letzten Mal wurden sie zu einem abseits gelegenen Tisch geleitet. Zu Andreas' Erstaunen war bereits ein Napf mit Wasser vorhanden. »Wir haben schon für die Hunde frisches Wasser bereitgestellt. Ich hoffe, es ist ihnen recht?«, informierte der Kellner. »Einen solchen Service loben wir uns. Bringen Sie uns bitte die Karte oder haben Sie eine Empfehlung?«, fragte Carsten. »Eine Tagesempfehlung haben wir heute nicht. Darf ich Ihnen einen Aperitif servieren?« Andreas nickte zustimmend. Dann nahm er die Karte und gemeinsam wählten sie ihr Menü.

»Weißt du was?«, fing Andreas an, »Unsere Großeltern und Eltern können sich sehr gut allein beschäftigen. Ich denke, wir sollten Mr Alsabbagh besuchen. Nur Du, Cedric und ich.« »Ich rufe ihn an«, meinte Carsten. Andreas' Handy unterbrach den Dialog. »Merlin? Was sagst du?« … »Warte, ich gebe dir Carsten.« »Cedric hat Probleme«, flüsterte er Carsten zu, als er ihm sein Smartphone gab. »Merlin, was ist mit unserem Sohn?« Andreas sah, wie Carsten den Aufführungen aufmerksam folgte. »Nein, das passiert. Du machst folgendes: Leg dir ein Tuch über die Schulter. Dann streichst du dem Jungen sanft über seinen Bauch. Nimm ihn auf den Arm und klopfe ihm leicht auf den Rücken, bis er ordentlich rülpst. Er hat lediglich sehr viel Luft verschluckt. Gegen den Schluckauf lenke ihn ab. Am besten, du gibst ihm sein Spielzeug, singst oder liest ihm etwas vor. Laufe mit ihm durch das Haus. Hauptsache, er konzentriert sich auf etwas anderes. Dann beruhigt sich auch sein Zwerchfell und der Schluckauf hört auf.« … »Quatsch, in solchen Fällen lassen wir uns gern stören. Uns allen liegt das Wohl des Jungen am Herzen. Gut. Wir vertrauen dir gern unseren Sohn an.« Carsten gab das Telefon Andreas zurück. »Schlimm?« »Nein, Cedric hat einen kleinen Hicks. Die Ursache war wahrscheinlich viel verschluckte Luft. Manchmal ist er einfach nicht zu bremsen, wenn er seine Milch bekommt. Wir wissen das ja schon und passen darauf auf. Merlin gibt ihm nicht so oft seine Milch.« Andreas schmunzelte bei der Umschreibung >etwas<. Cedric konnte manchmal wirklich gierig an seinem Nuckel saugen. Er und Carsten hatten sich angewöhnt, die Flasche hin und wieder abzusetzen. Selbst wenn ihr Sohn protestierte. Dabei bahnte sich oft genug die verschluckte Luft ihren Weg.

»Wie ist der Fisch?«, lenkte Andreas ab. »Frisch und sehr gut zubereitet. Nonno würde ihn ähnlich machen. Ich glaube, das liegt einfach an den mediterranen Gewürzen und Kräutern.« »Du hast schon viel gelernt, wenn es um die feine Küche geht.« »Ich lerne eben vom Besten. Wenn ich noch einmal darauf zurückkommen darf, wie hoch ist der Schaden auf dem Spielplatz?« »Mit allem Drum und Dran £200. Den größten Schaden gab es wegen der Schmierereien und der beschädigten Spielgeräte. Ich habe der Polizei schon die Angaben gefaxt.«

Beide genossen ihre Menüs. Die Hunde verhielten sich ruhig, so wie es ihre Herrchen nicht anders erwarteten. Dass beide gelegentlich ihre Position änderten und um den Tisch liefen, kannte Carsten schon. Zum Abschluss bestellte Andreas noch ihren Whisky.

»Sirs, ihr Taxi ist da,« informierte der Kellner. Andreas sah erstaunt auf. »Sorry, wir hatten kein Taxi bestellt.« »Der Fahrer sagt:, dass er zwei Herren und zwei Hunde hier abholen solle.« »Ja, ist gut. Wir kommen, haben Sie unsere Rechnung?«, unterbrach Carsten. Auf einem Tablett brachte der Kellner ihre Rechnung, die Andreas beglich. Dann wandten sie sich zum wartenden Taxichauffeur.

»Kannst du mir erklären was hier gerade läuft?«, meinte ein verwirrter Andreas. »Ich nehme an, der wartende Taxifahrer ist unser Bodyguard.« Am Wagen öffnete der Chauffeur zuvorkommend die hinteren Wagentüren für Carsten und Andreas. Die Hunde sprangen mit einem Satz ins Heck des Taxis. Zuletzt setzte er sich hinter das Steuer. »Sirs! Mr Alsabbagh hat angeordnet, dass ich Sie sicher nach Hause begleite. Da schien mir es am unauffälligsten, als Taxifahrer aufzutreten.« »Danke.« »Weiter soll ich Ihnen mitteilen, dass Ihr neuer Wagen bereits in Auftrag gegeben wurde. Er erhält die gleiche Ausstattung inklusive der Kindersicherung. Ihre Versicherung wurde gebeten, den Fall so schnell wie möglich zu bearbeiten.« Beide Fahrgäste waren über diese Information sehr erstaunt. Andreas hatte sich schon auf einen längeren Schriftwechsel mit den entsprechenden Stellen eingestellt. »Ist das so, weil Carsten eine bekannte Persönlichkeit ist?« »Oh, nein. Diese Entscheidung wurde gefällt, weil Sie beide positiv aufgefallen sind. Mr Alsabbagh und sein Gatte haben selbst ein Projekt gestartet, um wohnsitzlosen Kindern und Jugendlichen eine zweite Chance zu geben. Menschen wie Sie unterstützen die beiden, wo sie können. Wir sind gleich da, könnten Sie das Tor öffnen?« Andreas nahm sein Smartphone und öffnete das Tor via Telefonsystem. Vor dem Haus kamen sie zum Stehen. Nachdem alle Fahrgäste ausgestiegen waren, entfernte sich ihr getarnter Bodyguard wieder.

»Spricht etwas dagegen, mit den Hunden noch durch den Garten zu gehen?« »Nein, Tiger. Die Hunde hatte schon ausreichend Bewegung; ich denke, mit dem Garten sind sie zufrieden. Ich bin immer wieder fasziniert, wie Salvatore und Leonardo sich im Restaurant benehmen«, lobte Andreas die Hunde. »Dabei haben wir es ihnen nicht einmal großartig beibringen müssen. Es liegt wohl in der Familie. Leon bettelte schon mal bei Tisch, doch das hat ihm Max schnell ausgetrieben. Danach lag er im Restaurant immer ganz entspannt bei Ercan. Max hat einiges von Arco gelernt. Darunter auch, dass sie in Konzerthäusern entspannt bleibt. Sie hat auch gerne ihren Gefühlen freien Lauf gelassen. Das durfte ich in Dresden erleben und ich empfand es damals als ihre tiefe Zuneigung zu mir.« »Sie war eine ganz besondere Hündin. Souverän und doch immer auch zu kleinen Streichen aufgelegt. Wegen der Turnschuhe konnte ich ihr wirklich nicht lange böse sein.« »Bei Retrievern muss man einfach damit rechnen. Apportieren liegt ihnen im Blut und sie haben gern immer etwas im Fang.« »Ich mag unsere beiden Clowns. Genauso wie sie sind. Ich denke, das reicht für heute.« »Leonardo! Salvatore!«, rief Carsten. Beide Hunde standen wenige Augenblicke bei ihren Herrchen. »Danke, ihr beiden, dass ihr den Teich ausgelassen habt«, meinte Andreas. »Wollen wir mal nach unseren Jungs sehen!«

Im Haus gingen sie in den Salon, wo Andreas Merlin und Cedric erwartete. Doch von beiden keine Spur. Gemeinsam sahen sie dann im Kinderzimmer nach. Dort fanden sie einen giggelnden Cedric und einen schlafenden Merlin vor. Behutsam weckte Andreas den Teenager: »War der kleine Mann so anstrengend?« »Weniger. Nachdem ich Carstens Anweisungen ausführte, brauchte Cedric eine neue Windel. Darum habe ich mich zuerst gekümmert. Anschließend sind wir ein wenig durch das Haus gelaufen. Um ihn abzulenken, habe ich ihm auch deinen Flügel gezeigt, Carsten. Cedric hat auf einige Tasten gedrückt. Er war ganz begeistert, dass er Töne machen konnte. Darüber hat er wohl seinen Schluckauf vergessen. Danach sind wir zurück auf sein Zimmer, dort habe ich ihm etwas vorgelesen. Dabei bin ich wohl eingeschlafen«, berichtete Merlin verlegen. Carsten schmunzelte und ging zu Cedrics Bett. Sanft strich er seinem Sohn über die Stirn. Deckte ihn wieder zu. Dabei griff Cedric nach seiner Hand und hielt diese fest. »Das passiert mir auch manchmal. Also alles ganz normal. Ich sorge jetzt dafür, dass der Junge zur Ruhe kommt. Seid ihr im Salon?« »Zu einem Kaffee würde ich jetzt nicht nein sagen“, meinte Andreas. »Für mich einen Mokka. Sind unsere Gäste schon wieder zurück?«

»Edward hat vor einer halben Stunde angerufen. Sie haben sich auf den Weg gemacht.« »Danke. Dann dauert es wohl noch etwas.« Während des Gesprächs spürte Carsten, wie die kleine Hand langsam an Spannung verlor. Cedric glitt langsam ins Reich seiner Träume. Es dauerte wirklich nicht mehr lange und Carstens Hand war wieder frei. Behutsam prüfte er, ob der Junge gut zugedeckt war. Dann beugte er sich vor und gab ihm einen Kuss. Danach folgte er den anderen beiden. Zunächst ging er in sein Arbeitszimmer und schloss den Flügel. Anschließend ging er in die Küche, um die Rationen für Salvatore und Leonardo zu machen; dort traf er auf Andreas. »Erinnere mich bitte morgen daran, etwas mehr für die Hunde zu machen. Ich reduziere ihre Rationen, da es schon spät ist.« »Gut. Deinen Mokka serviere ich dir im Salon.«

Die Rationen waren schnell zubereitet. Nachdem ihr Herrchen ein leises Kommando gab, war der Inhalt zügig verschwunden. Leonardo und Salvatore zogen sich zurück. Carsten räumte die Utensilien beiseite und räumte noch ein wenig die Küche auf. Dann begab er sich zu Merlin und Andreas in den Salon.

»Sorry, dass ich bei Cedric nicht weiterwusste.« »Kein Problem. Es dauert noch etwas, bis Cedric den Dreh heraushat, zwischen schlucken und atmen eine kleine Pause einzulegen. Seine Reflexe sind halt noch nicht ausgeprägt koordiniert.« »Der kleine Gentleman hat aber auch eine gute Ausdauer.« Carsten hörte ein Lächeln in Merlins Stimme. »Na ja, für ihn war es wohl der erste Schluckauf. Da war er wohl noch sehr aufgeregt. Danke, auch wenn Cedric anstrengend war.« »Ehrlich? Ich war über die Unterbrechung ganz froh.« Andreas sah Merlin leicht schmunzeln. »Was hat Charaid gemacht?« »Er hat sich rar gemacht. Ich sah ihn kurz, als ich ihm sein Futter gegeben habe. Er hat sich ein warmes Plätzen gesucht. In den letzten Tagen geht er auch nicht mehr so gerne raus. Es ist kühl geworden.« »Tja, Katzen haben einen eigenwilligen Charakter. Unsere Hunde brauchen einfach die Bewegung. Da muss man bestimmen, wann es raus geht«, erklärte Carsten.

Die Eingangstür ging auf und die Gäste traten schwätzend ein. Anscheinend hatten ihre Großeltern einen schönen Abend verbracht. »Ihr seid ja noch auf. Habt ihr auf uns gewartet?«, fragte Babi. »Nein, wir sind auch noch nicht solange da. Es ist ja noch früh. Was gibt es Neues von meinen Eltern?« »Luise hat heute Morgen ihre Schiene bekommen. So ähnlich wie Ercan damals, aus Plastik. Jetzt muss sie lernen, mit Gehhilfen zu laufen. Das Bein soll sie noch nicht belasten. Paul war auch schon wieder guter Dinge. Er beklagte sich über sein Korsett. Es ist ihm zu eng. Der Arzt hatte ihm aber auf humorvoller Weise verdeutlicht, dass es vorerst so eng sein muss. Da gab er sich geschlagen. Weiter sind seine Werte halbwegs wieder normal. Er muss aber Diät halten, bis sich seine Leber erholt hat.« »Ist schon heftig, wenn einem ein Stück des Organs fehlt.« »Erholt sich denn die Leber wieder?«, klang Nonna verunsichert. »Antonia, tatsächlich wächst die Leber nach. Das nennt man wohl den Prometheus Effekt. Benannt nach dem Titanen aus der griechischen Sage. Zeus bestrafte Prometheus, indem er ihn an einen Felsen kettete. Ein Adler fraß von seiner Leber, welche sich davon erholte. Letztendlich erlöste Herkules, der griechische Held, den Titanen und Zeus begnadigte ihn.« »Mann, Nonno. Das weißt du alles noch aus der Schule?« In Andreas‘ Stimme schwang viel Stolz mit. »Nicht nur aus der Schule. Ich habe mich auch später immer mit den alten Dichtungen der Griechen und Römer befasst. Interessante Lektüre.« »Naja, soweit ist alles richtig. Bei Papa wurde nur ein geringer Teil beschädigt. Daher wird sie sich auch erholen. Doch das dauert und bedarf eben dieser Diät. Dass er seinen speziellen Humor noch hat, ist jedenfalls ein gutes Zeichen für mich.« Die Gäste bedienten sich bei dem frischen Tee. »Ich habe mir heute Morgen mit Antonia die Kirche angesehen. So aus der Ferne würde ich meine Einschätzung zum Dach bestätigen. Es ist eine wirklich feine, kleine Kirche. Ein Mädchen hat auf der Orgel geübt. Der Sound lässt etwas zu wünschen übrig. Dennoch passt das Instrument auch vom Stil her ganz gut.« »Da stimme ich dir zu, Děda. Wegen des Klangs möchte ich ja, dass sie restauriert und gereinigt wird.« »Carsten, ich verstehe nicht, warum immer alles neu sein muss?« »Das kann ich dir auch nicht sagen, Nonno. Ich weiß nur, dass dieses Instrument erhalten bleiben soll. Im Fundus des Colleges haben wir wirklich sehr schöne Instrumente. Für mich sind die Tasteninstrumente besonders interessant. Ich durfte schon ein Cembalo spielen, auf dem Georg Friedrich Händel gespielt hat. Ich kann euch sagen, das Instrument wurde mit Leidenschaft und Liebe gepflegt. Ich glaube, das macht den Unterschied aus: Wie ein Instrument im Ganzen behandelt wird. An unseren Flügel darf nicht jeder Hand anlegen.« »Das ist im Landschaftsbau nicht anders. In Greenwich habe ich in einem Park eine alte Ulme gesehen, die vom Alter her Queen Viktoria schon in Windeln gesehen haben dürfte. Der Baum hat einiges erlebt, doch im Sommer ist er ein wahres Schmuckstück. Die Menschen mögen ihn und er wird entsprechend mit Respekt behandelt. Es gibt einen Gärtner, der sich mit einem Gehilfen um ihn kümmert. Der scheut sich auch nicht, in sehr trockenen Zeiten den Baum noch vor dem Sonnenaufgang zu wässern.« »Solche Einstellungen gibt es nicht oft. Ich denke, es ist die Liebe zur Natur und zu seiner Berufung«, fasste Nonna zusammen.

Andreas stimmte ihr zu. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Carsten ein Gähnen unterdrückte. »Es war ein langer Tag. Wenn ihr erlaubt, ziehen Carsten und ich uns zurück.« Carsten konnte dem Vorschlag viel abgewinnen. Sie wünschten allen eine gute Nacht. Andreas verschloss die Eingänge und schaltete die Alarmanlage ein. Dabei begleiteten die Hunde ihre Herrchen. Im Schlafzimmer suchten sie ihre Kudden auf. Carsten kam ein wenig später. »Cedric schläft friedlich«, berichtete er, »er hatte sich etwas losgestrampelt. Ich habe ihn wieder zugedeckt und gab ihm einen Kuss von uns beiden. Seinen Teddy hielt er fest.« Andreas sah auf die Nachtkonsole, wo das Babyphon stand. »Ups, das Babyphon ist aus.« Er schaltete das besagte Gerät ein. »Schatz, selbst wenn das Gerät aus ist. Du und ich sind mittlerweile so sensibilisiert, dass wir den Jungen auch ohne moderne Technik wahrnehmen.« »Ich weiß. Ich höre ihm aber auch gerne zu, wenn er im Traum spricht.« Carsten lächelte. »Wenn er alt genug ist, respektieren wir seine Intimsphäre. Keine Abhörgeräte wie ein Babyphon in seinem Zimmer!« Andreas machte einen Schritt auf seinen Mann zu. Gab ihm einen Kuss. »Das ist doch selbstverständlich«, flüsterte Andreas ihm zu. Ganz langsam liebkoste er seinen Tiger. Von Müdigkeit keine Spur mehr. Andreas ließ sich von Carsten zum Bett schieben, ohne dass sich ihre Lippen trennten. Im Bett begannen sie, sich ihrer Liebe hinzugeben. Mit einem kleinen kühlen Gegenstand erkundete Carsten Andreas‘ erogene Zonen. Bei dem nicht mehr so kleinen Andreas nahm Carsten sich Zeit.


In der Library schmökerte Carsten im Archiv der Familie Rutherford. Über die Ausstattung an Hilfsmittel war er erstaunt. So gab es ein Lesegerät, welches ihm die Literatur eines Buches erleichterte. Außerdem war Mr Goodman so freundlich und stellte Leonardo einen Napf mit frischem Wasser hin. Der Hund begnügte sich, kurz seine Nase hineinzuhalten und zog sich unter den Tisch zurück. Dort hielt er ein relaxendes Nickerchen. Der Historiker hatte gut recherchiert. Die Chronik der Familie Rutherford fand Carsten sehr interessant. Vier Jahrhunderte lebte die Familie in der Gemeinde. Sir Hugh Rutherford bekam das Land von Queen Elisabeth I. geschenkt. Als Auszeichnung für seine Verdienste in der Schlacht gegen die spanische Armada im Ärmelkanal 1588. Entsprechend ihrer Zeit beherrschten sie die Gemeinde. In Randnotizen erfuhr Carsten, dass die Familie die Bewohner als ihr ›Eigentum‹ betrachtete. Erst der Großvater des letzten Lords legte mehr Wert auf ein soziales Gemeindewohl. Aus seiner Zeit stammte auch die Idee mit der Verpachtung von Ländereien. Das brachte wirtschaftlichen Aufschwung für alle. Die Großmutter, Lady Mary Rutherford, führte dann auch die Verteilung von Lebensmittel in schlechten Zeiten ein. Diese Tradition wurde in den folgenden Generationen fortgeführt, was gerade im ersten Weltkrieg für die Gemeinde eine moralische Stütze war. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Der letzte Lord Rutherford, ein Bruder und eine Schwester. Der Bruder starb bei dem Eisenbahnunglück von Quintinshill im Jahr 1915 als Offizier des 7. Bataillon der Royal Scots Regiment. Die Schwester meldete sich beim Heimatschutz und arbeitete als Krankenschwester in einem Krankenhaus für Kriegsversehrte. Was aus ihr wurde, war lange Zeit nicht bekannt. Erst mit dem Erscheinen der Nichte der letzten Lady Rutherford konnte die Linie rekonstruiert werden. Danach widmete er sich der Literatur zum Haus.

»Mr von Feldbach, möchten sie einen Tee? Sie sind schon seit Stunden hier«, schlug Mr Goodman vor. »Oh, ja danke, ein nettes Angebot, Mr Goodman. Sagen Sie, kennen Sie das alte Manor?« »Das kennt wohl jeder Einheimische in der Region. Es war sogar mal im Gespräch, daraus ein Sanatorium zu machen. Doch die Gemeinde hat sich dagegen entschieden. In Inverness gab es schon immer ein großes Krankenhaus. Das wäre für die Region dann doch zuviel gewesen. Der Investor zog daraufhin ab. Seitdem hat die Bank versucht, über eine Agentur das ganze Anwesen zu verkaufen. Der Preis hat sich um ein Drittel verringert, es wurden immer mehr Reparaturen fällig. Letztlich hat die Bank dann noch einmal in das Dach investiert, um die Bausubstanz zu retten. Ein Sturm hatte es stark beschädigt. Ansonsten überließen sie alles drum herum der Natur. Die Gemeinde war gezwungen, sich um den Park zu kümmern. Aber auch nur die nötigsten Arbeiten. Erst mit Ihnen und Ihrem Mann erstrahlt es wieder in einen besonderen, einladenden Glanz.« »Die Investitionen waren nicht ohne.« Mr Goodman servierte einen starken Tee. Dazu noch einige Haferkekse. »Ich habe das Manor von Ihnen mit Abbildungen auf einigen Gemälden verglichen. Sie haben den ursprünglichen Charakter sehr gut wiederhergestellt. Ich muss mich entschuldigen. Doch während der Renovierungsarbeiten habe ich an einem Wochenende meine Neugier gestillt und bin durch das Gebäude gegangen. Sie haben einige interessante Umbauten vorgenommen. Nur unter dem Dach gab es einen Raum, den ich nicht betreten konnte.« Carsten lächelte leicht: »Der Raum ist auch heute noch verschlossen. Darin befindet sich eine Kolonie artengeschützter Fledermäuse.« »Oh, dafür meinen Respekt! Das Anwesen war ursprünglich noch weitläufiger. Dazu gehörte das Gelände jenseits des Parkes. Die Gemeinde hat vor Jahrzehnten den Grund als Bauland erworben. Darauf befand sich der Wirtschaftshof samt einer Reitanlage.« »Was wurde daraus?« »Die Gebäude verfielen. Im Krieg war dort eine Ausbildungskompanie der Royal Scots Dragoon Guards stationiert. Ungefähr fünf Jahre nach dem Sieg über Hitlerdeutschland zog sie dann wieder ab. Der Standort war wohl zu abgelegen und das Kriegsministerium wollte die hohen Kosten nicht tragen. Seitdem ist auch dort alles unberührt geblieben. Von den Gebäuden sieht man nur noch Ruinen. Als Bauland eignet es sich nicht wirklich. Es ist zu feucht und eine Entwässerung würde nach Gutachten der ganzen Region schaden.« »Ist es noch im Besitz der Gemeinde?« Mr Goodman musste einen Moment überlegen. »Ich glaube ja. Interessiert hat sich jedenfalls niemand so richtig dafür. Es ist wohl an Farmer verpachtet. Jedenfalls sieht man im Herbst öfters einen Wanderhirten mit seiner Schafherde darauf. Da fällt mir ein, dass dieser Besuch dieses Jahr ausfiel. Genaueres kann Ihnen sicher Mr Gilles dazu sagen.« Mr Goodman schenkte jedem noch eine Tasse Tee ein. »Was waren das für Wirtschaftsgebäude?« »Da gab es einen Stall für Pferde samt einer Sattelkammer. Daneben noch eine Scheune für die Lagerung diverser Vorräte, zum Unterstellen von Maschinen. Im 18. Jahrhundert soll es sogar eine kleine Wassermühle gegeben haben. Doch davon sieht man heute nichts mehr. Das gemeine Gesinde wohnte über dem Pferdestall. Das Hauspersonal natürlich im Haus unter dem Dach. Abseits davon gelegen gab es auch mal einen Verschlag für Federvieh.« Carsten dachte über das Gehörte nach. »Gibt es zum ursprünglichen Anwesen nicht auch noch Unterlagen, Baupläne et cetera?« »Wenn, dann müsste es im schottischen Nationalarchiv sein. Dort werden alle historischen Dokumente Schottlands archiviert.« »Das wusste ich nicht«, gestand Carsten. »Ich war mal dort. Eine sehr umfangreiche Bibliothek, die bis zur Besiedlung durch die Wikinger zurückgeht«, wusste Mr Goodman zu berichten. »So weit will ich jetzt wirklich nicht zurückgehen«, lachte Carsten. »Ich werde dort mal um entsprechende Informationen anfragen«, fasste er seine Überlegungen zusammen. »Danke, Mr Goodman. Es war ein sehr interessanter Vormittag. Leonardo?« Der Hund sah sich kurz um und kam zu seinem Herrchen. Dort sprang er mit seinen Vorderpfoten auf seinen Schoß. Carsten tätschelte seinen Kopf. Leonardo leckte ihm die Hand. »Komm, lass uns nach Hause gehen.« Dieser einfache Satz veranlasste ihn, sich neben Carsten aufzustellen. »Danke nochmals für alles, Mr Goodman.«

Chapter 13

Mr Alsabbagh war von Carstens Anruf einige Tage zuvor überrascht. Nachdem Andreas, Carsten und Cedric aus der Limousine ausgestiegen waren, wurden sie von Mr Alsabbagh und Mr El-Bay freundlich empfangen. »Mr von Feldbach …« Carsten hob seine Hand. »Wir kennen uns ja schon länger, nennen Sie mich einfach Carsten.« »Gern, nur wenn sie uns auch beim Vornamen nennen.« Carsten und Andreas nickten bestätigend. »Kommt herein. Eure Hunde können sich im Haus frei bewegen. Unser Hund wird sich bestimmt um sie kümmern. Wie geht es euren Eltern?«, interessierte sich Rachid. »Luise und Paul sind auf dem Weg der Besserung. Mama hat sich an die Hartschale gewöhnt und macht unter Anleitung erste Gehversuche mit Krücken. Papa klagt zwar regelmäßig über das enge Korsett, doch so richtig ernst meint er es nicht. Sie sind jetzt beide bei uns zuhause und werden von der Verwandtschaft verwöhnt«, informierte Carsten und wirkte erleichtert. Andreas‘ Blick fiel kurz auf ihr neues Auto. »Ich möchte mich für die schnelle Hilfe beim Auto bedanken.« Rachid folgte seinem Blick. Äußerlich sah er dem Unfallwagen gleich. »Bryan hatte den Vorschlag gemacht und einige Kontakte spielen lassen. Es ist für unsere Arbeit von Vorteil, wenn alles normal aussieht. Als Begründung für die Abwesenheit des Autos haben wir ein Problem in der Modellvariante verbreitet. Deinem Händler wurde ein entsprechendes Schreiben vom Hersteller vorgelegt.« Während des Gesprächs gingen sie in den Wintergarten der Gastgeber. Andreas machte Carsten darauf aufmerksam, dass einige Spielzeuge herumstanden. »Gibt es denn schon etwas Neues zum Hergang?«, begann Carsten. »Wir haben alle Alibis der in fragekommenden Personen überprüft. Dein Verdacht hat sich nicht bestätigt. Mr Johnson war nicht beim Bischof, wie er es Mr O’Toole weis machen wollte. Er hat den Tag mit seiner unehelichen Tochter in einem Spielpark verbracht«, fasste Bryan den Stand ihrer laufenden Untersuchung zusammen. Andreas machte große Augen: »Er hat eine uneheliche Tochter?« »Genau genommen zwei. Beide gingen aus ONS hervor«, fügte Bryan grinsend hinzu: »Er ist nur dumm. Einmal hätte man ihm ja noch mit mangelnder Erfahrung zugutehalten können. Zweimal ist einfach nur stupide Dummheit.« Carsten konnte nur schwer ein Grinsen verbergen. »Dafür zahlt er jetzt auch ordentlich und ist deswegen auch im Fokus der entsprechenden Jugendbehörden. Im Übrigen weiß sein Arbeitgeber nichts davon.« »Sieh einmal an, unser Organist führt ein Doppelleben«, resümierte Andreas über die neuen Informationen. »Gut«, begann Carsten, »er ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Doch bestätigt es auch meine Vermutung, dass er nicht wirklich zu Gewaltakten fähig ist.« Bryan lachte. Seine sonore Stimme wirkte auf Carsten beruhigend. »Carsten, deine Umschreibung trifft den Nagel auf den Kopf: Er hat keinen Hintern in der Hose und zieht bei Problemen seinen Schwanz ein. Dennoch, diese Spur führt ins Nichts.«

Die Unterhaltung wurde unterbrochen. Ein etwa fünfjähriger Junge stürmte in den Wintergarten. »Abby! Abby!«, begann er aufgeregt: »Da sind fremde Hunde bei Little Gray.« »Sami, langsam«, meinte Rachid. »Ich weiß. Die Hunde hören auf den Namen Leonardo und Salvatore. Ihre Familie ist zu Besuch. Darf ich dir vorstellen: Carsten, Andreas und ihr Sohn Cedric.« Sami sah interessiert zu Cedric, dieser ebenfalls neugierig zu dem Jungen. »Dada?« »Nein Cedric, das ist Sami“, korrigierte Carsten. Cedric sah Sami mit großen Augen fragend an. »Hallo Cedric.« Dabei ging er auf das Baby zu. Cedric wedelte mit seiner Hand und versuchte Sami zu erhaschen. Die andere Hand umfasste fest einen Finger von Carsten. »Ich bin Sami und bin schon fünf Jahre alt.« Die Anwesenden hörten dem Jungen aufmerksam zu. Cedric beschäftigte sich mit Sami, was beide Papas erfreut zur Kenntnis nahmen. »Sami, wo sind denn deine Brüder?«, fragte Bryan seinen Sohn. »Die sind noch auf dem Spielplatz wippen. Abby, darf ich Saft trinken?«, fragte er an Rachid gewandt. »Ja. Wenn du dann ausgetrunken hast, gehe doch bitte deine Brüder holen.« Ohne eine weitere Antwort verschwand Sami, wie er gekommen war. Cedric wurde etwas unruhig und versuchte Sami mit seinen Augen zu verfolgen. Dabei rutschte er etwas aus dem Tuch. Carsten rückte dann den kleinen Mann wieder in eine für diesen bequemere Position. Andreas nahm das Thema von vor der Unterbrechung wieder auf. »Dann stehen wir also wieder am Anfang?« »Nein«, erläuterte Bryan: »Wir haben alle Vorfälle mit dem Profil dieses Projektil auch geographisch erfasst. Es zieht sich vom Westen zum Südosten der Highlands. Letztendlich fiel mir dabei auf, dass es drei Vorfälle in eurer Grafschaft gibt. Mit einem Abstand von vier Jahren.« »Dann konzentriert es sich dort auch?«, stellte Carsten eine wichtige Frage. »Sieht ganz danach aus“, fasste Bryan zusammen: »Jedoch gibt es dazu keine wirklichen Gemeinsamkeiten.« »Vielleicht nicht offensichtlich«, begann Carsten, der sich dann selbst unterbrach: »Andreas, ich glaube, unser Sohn hat Hunger. Würdest du dich bitte darum kümmern?« Andreas nahm Carsten Cedric ab und holte aus seiner Tasche eine Flasche. Dann positionierte er den Jungen und gab ihm die Flasche. »Bryan, du sagtest, es gäbe keinen gemeinsamen Nenner. Wenn dem so ist, was unterscheiden denn die Opfer von uns im Speziellen? Ich meine wir leben erst seit dem Frühjahr in der Region. Wir waren an einem Haus interessiert, wo wir beide zur Ruhe kommen konnten. London ist schon auf gewisser Weise eine hektische Metropole. Vor unserem Studium hatten wir mit der Insel eigentlich kaum etwas zu tun. Abgesehen davon, dass unsere Eltern beruflich mit London in Verbindung standen.« Bryan sah mit leuchtenden Augen Andreas zu, wie dieser Cedric fütterte. Dennoch folgte er aufmerksam Carstens Ausführungen. »Ihr meint, ich sollte die Geschichte von dieser Seite betrachten? Interessanter Ansatz. Denn das habe ich bei allem nicht wirklich berücksichtigt: Ihr beide seid ja keine Einheimischen.« »Carsten, wir werden diesen Ansatz weiterverfolgen. Doch nun, ihr seid unsere Gäste und nicht zum Arbeiten hier. Bryan, wie wäre es, wenn du Carsten einmal etwas vom Gut zeigst. Obendrein musst du noch die Pferde in den Boxen versorgen.« »Komm, Carsten, lassen wir unsere Männer unter sich. So wie ich Rachid kenne, geht es jetzt sicher um kulinarische Finessen. Andreas kocht doch gerne?« »Nicht nur er. Wir wechseln uns ab. Ich bereite gerne Eintöpfe zu. Von Andreas lernte ich die Wirkung verschiedener Gewürze schätzen. Ich liebe die vielen Aromen.« Aus dem Augenwinkel sah Bryan Sami zum Spielplatz laufen. »Wie steht es um euren Spielplatz?« »Du weißt davon?« »Mr Muller, dein Bodyguard, hat es uns berichtet. Der Platz wurde beschädigt.« Carsten hörte in der Stimme, dass es eine Feststellung war. »Ja, doch die Unternehmen haben alles wieder gerichtet. Jetzt gibt es auch eine Beleuchtung und die Zufahrtswege werden videoüberwacht. Mrs Baker, die Schmiedemeisterin aus dem Nachbardorf, hat Überstunden gemacht und die Zäune bereits aufgestellt. Alle wollen, dass die Kinder einen sicheren Ort zum Toben haben.« Carsten ging den Weg tastend neben Bryan her. Bei den Boxen der Pferde machte sein Gastgeber ihn auf eine Stufe aufmerksam. »Reitest Du?« »Gerne sogar. Wenn ich bei meiner Familie bin, entführt mich Andrea immer ganz charmant zu ihrem Reitverein. Sie mag es, mit mir auszureiten. Da werden wir wieder zu Jugendlichen. Früher hat Andrea auch Military geritten«, war Carsten über den Themenwechsel froh. »Macht sie das nicht mehr?« »Nein. Ihr Pferd eignet sich nicht dazu und Diogenes ist dazu einfach schon zu alt. Das Pferd muss so eine Disziplin auch wollen, damit es nicht zur Qual für beide wird. Andrea hat da eine sehr gesunde Einstellung zu. Paul ist bei uns der Fachmann. Bei Turnieren hat er auch schon mal ein Pferd nicht zugelassen. Jetzt ist Andrea die unbestechliche Veterinärin bei Turnieren. Ihr Reitverein schätzt sie als kompetente Ärztin. Mir macht Reiten einfach Spaß und es muss nicht immer der Galopp sein.« »Wie bei meinem Mann. Einmal auf dem Rücken seines Pferdes und er vergisst die Welt um sich herum.« »Reitest du nicht?« »Ich? Jeden Tag, wenn ich kann. Wenn wir unsere Weiden und Herden kontrollieren, machen wir das immer mit den Pferden. Einige unserer Weiden liegen in unwegsamen Geländen. So aus reinem Reitvergnügen reiten wir auch an unserem Strand. Rachid reitet mit seinem Hengst dann gern durch das seichte Wasser. Der Hengst steht in der vierten Box. Es ist ein bisschen Vorsicht geboten. Prince of Fire lässt nicht jeden in seine Nähe.« »Dich respektiert er?« »Ja, aber nur, weil ich ihm sein Futter gebe«, lachte Bryan. »Der einzige, der wirklich seine Box gefahrlos betreten kann, ist Rachid.« »Reiten eure Söhne auch?« »Alle. Die beiden kleinen Männer jedoch nur mit uns. Der Rücken der Pferde ist für sie noch zu breit, wenn du verstehst.« Carsten grinste bei der Beschreibung. »Jeder in unserer Familie hat sein eigenes Pferd. Lewis, unser Ältester, reitet oft aus. Gerade jetzt in der Pubertät, wenn er nicht weiterweiß. Er meint, dass die Bewegung, der Rhythmus des Pferdes und die frische Luft ihm guttun.« »Bei Cedric wird es wohl noch etwas dauern. Wie handhabt ihr das, wenn Lewis rebellisch wird?« »Wir haben uns seit seiner Geburt darauf vorbereitet. Wir sind der Ansicht, dass wir unsere Söhne in ihr Leben begleiten. Das ging bisher ganz gut. Zumal wir drei sehr unterschiedliche Charaktere begleiten«, blieb Bryan sachlich. »Carsten, es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Halte dich einfach daran, dass du deinen Sohn liebst. Das macht alles viel einfacher.« »Ich werde deinen Rat befolgen. Cedric hat sich schon bei unserem ersten Treffen tief in unsere Herzen geschlichen.« Bryan drehte das Wasser auf und Carsten hörte, wie es in diversen Boxen rauschte. Anschießend war das Futter dran. Aus einem Behälter füllte Bryan mit einer kleinen Schaufel etwas in einen Eimer. »Heute sind lediglich nur unsere Pferde in den Boxen. Die anderen sind auf der Weide.« »Wie viele Pferde leben bei euch?« »Wir haben insgesamt 30 Pferde. Auf drei Weiden verteilt. Jede Weide hat einen entsprechenden Unterstand. Rachid hat von deinem Vater mittlerweile sieben Reitpferde übernommen. Sie genießen es hier, einfach Pferd sein zu dürfen.« Carsten nickte bestätigend. Er wusste, dass Paul in sehr schlimmen Fällen Rachid informierte. »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Ich meine Paul und ihr.« Bryan füllte in einem Trog den Inhalt aus seinem Eimer. »Das war eigentlich etwas kurios. Rachid und ich waren damals auf Zelttour. In eurer Region hatten wir einen Bauern gefragt, auf einer seiner Wiesen Zelten zu dürfen. Mitten in der Nacht wurde ich von quietschenden Reifen geweckt. Nach einiger Zeit sahen Rachid und ich nach. Es war ein Wildunfall. Wir fanden einen schwerverletzten Wolf neben der Straße. Ich bat Rachid, dem Tier zu helfen. Also nahmen wir das Tier mit zu einem Tierarzt. Eure Praxis war die nächstgelegene. Wir klingelten deinen Vater mitten in der Nacht aus dem Bett. Begeistert war er sicher nicht. Vor Aufregung versuchten wir, in einem gebrochenen Deutsch den Hergang zu beschreiben. Dein Vater blieb ganz cool. In fließendem Englisch bat er uns in die Praxis und kümmerte sich um das Tier. Die OP war umfangreich. Rachid und ich mussten ihm assistieren. Nach gut einer Stunde war das Tier versorgt und er brachte es in den Stall bei euch im Garten. Wegen der frühen Stunde lud er uns ein zu bleiben. Doch das konnten wir zu dem Zeitpunkt nicht annehmen. Wir mussten zu unseren Sachen zurück. Doch wir vereinbarten, am Tag zu kommen. Am folgenden Tag haben wir nach dem Wolf gesehen. Dein Vater war mit der Entwicklung mehr als zufrieden. Dabei sagte er uns, dass es sich um eine trächtige Wölfin handelt. Jetzt hatten wir ein neues Problem. Weil die Wölfin mit dem Menschen in Berührung war, konnte sie in der Region nicht ausgewildert werden. Ich schlug vor, die Wölfin bei uns in den Highlands auszusetzen. Die Highlands sind sehr dünn besiedelt. Paul war von der Idee angetan. Gemeinsam haben wir das ganze Projekt organisiert. Dabei haben wir auch einen Ranger ausfindig machen können, der dieses Projekt in den Highlands betreute.« »Was wurde aus der Wölfin?« »Sie starb einige Jahre später, doch ihre drei Jungen haben ein Rudel gebildet. Es existiert noch immer und hat sich laut dem Ranger sogar sehr positiv auf die Region ausgewirkt. Es gab im Übrigen keine Berührungen mit Menschen. So, ich bin hier fertig«, machte Bryan die aktuelle Situation klar. »Wenn deine Zeit es erlaubt, kannst du mir noch etwas von eurem Hof zeigen? Oder habt ihr nur Pferde?« »Nein. Es gibt noch einen weiteren Stall, dort sind zurzeit Schafe untergebracht. Dazu haben wir noch ein Hühnerhaus und einen Gänseverschlag.« Bryan ging mit Carsten die einzelnen Stationen ab. »Wie verhalten sich eure Hunde gegenüber anderen Tieren?« »Sie respektieren die Tiere. Sie bleiben relaxt bei Begegnungen. Falls dennoch mal eine aggressive Spannung entsteht, bleiben sie souverän und ignorieren ihr Gegenüber. Anders verhält es sich bei Begegnungen mit Menschen. Wenn Leonardo mich führt, spüre ich, ob seine Schutzinstinkte dann aktiviert sind. Er erwartet zu Recht, dass ich dann Herr der Situation bin.« »Ist das nicht schwer?«, interessierte sich Bryan. »Nein. Leonardo vertraut mir als seinem Rudelführer. Sobald er meine Stimme hört, lockert sich seine Haltung. Dabei ist es egal, wie meine Stimme klingt.« Bryan sah seinen Ältesten zu den Pferden gehen. »Unsere Söhne sind auch wieder zurück. Dann beginnt Rachid auch bald, unser Dinner zuzubereiten.«

»Ihr habt ja eine sehr urige Küche.« »Es ist Bryan, der diese Einrichtung vervollständigte. Auch wenn es manchmal Fehlentscheidungen sind. Das letzte Experiment war ein Kühlschrank mit Eiswürfelspender. Ein Monstrum, kann ich nur sagen. Drei Tage später war der Kühlschrank wieder verschwunden und zwei kleinere dafür wieder vorhanden. Bryan fühlte sich mit dem riesigen Teil unwohl. Es störte auch die optische Harmonie. Wie habt ihr eure Küche eingerichtet?«, fragte Rachid neugierig. »Bei uns lag die Funktionalität im Vordergrund. Carsten soll sich darin sicher bewegen können. Damit keine Türen offensten, haben wir auf das System von Apothekerschränke gesetzt. Daher schließen sich bei uns alle Schubladen selbsttätig. Wir haben bewusst auf große Kühlschränke verzichtet. Insgesamt haben wir zwei. Der kleinere ist speziell für das Futter der Tiere reserviert. Carsten bereitet das Futter für die Hunde immer frisch zu. Wir kochen alle gern und wechseln uns ab. Carsten macht gerne Eintöpfe. Mit der Auswahl an Kräutern und Gewürzen schafft er es, aus den gleichen Grundzutaten immer einen sehr leckeren Eintopf zu zaubern. Man kann diese auch immer gut aufwärmen. Gerade wenn Carsten von längeren Spaziergängen mit den Hunden zurückkommt. Als die Renovierung soweit fortgeschritten war, sich um die Einrichtung zu kümmern, haben Carsten und ich uns dazu entschieden, einen Möbelschreiner zu engagieren. Wir sind mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Eine funktionale Küche mit einem familiären Charakter. Allein der Esstisch dort lädt zum Verweilen ein. Er ist quasi zum Herz unseres Hauses geworden.« »Bei uns ist es genauso. Siehst du den Tisch? Bryan hat ihn selbst hergestellt. Lewis hat einmal ein Glas Honig darauf umgeworfen. Bryan hat die Tischplatte daraufhin komplett abgeschliffen und neu geölt. Selbst die Stühle hat er entworfen und hergestellt.« »Dein Mann ist begnadeter Heimwerker?« »Oh ja. Er entwirft und setzt seine Ideen dann um. Sein Arbeitszimmer hat er sich selbst eingerichtet. Ich weiß nicht, wie er den Überblick behält, doch er arbeitet an sieben Monitoren gleichzeitig.« »Wow, ich komme schon bei zwei Monitoren ins Trudeln. Ich bin eben noch einer, der mit analogen Zeichnungen großgeworden ist.« Andreas machte eine Pause. »Mein Großvater erklärte mir, dass ich eine besondere Gabe habe: In einer zweidimensionalen Zeichnung sehe ich eine Plastik. Vielleicht ist das der Grund meines Erfolges.« »Kannst du mir das einmal erklären, ich verstehe es nicht so richtig?« Andreas überlegte einen Moment, wie er das am besten erläutern konnte. »Haben deine Söhne dir einmal Bilder geschenkt?« »Ja natürlich. Sie sehen immer etwas seltsam aus, typisch, wenn Kinder versuchen, etwas darzustellen. Es braucht Phantasie.« »Wenn du mir jetzt so ein Bild vorlegst, sehe ich es genauso dreidimensional wie der kleine Künstler. Ein gezeichneter Ball ist für mich automatisch eine Kugel. Ein Baum wirkt in meinen Gedanken wie ein echter Baum in allen Dimensionen. Meine Entwürfe am Reißbrett sind für mich immer Plastiken. Für die Auftraggeber nutze ich die moderne Computertechnik. Die Software erstellt automatisch dreidimensionale Bilder«, erklärte Andreas ausführlich. »Interessant. Dann würdest du die Mona Lisa ebenfalls plastisch sehen?« »Natürlich.« »Wie macht das Carsten?« »Er hat ebenfalls eine dreidimensionale Vorstellung. Nur seine Grundlage ist sein Tastsinn. Für sein erstes Konzert in der Prince Albert Hall hatte er eine plastische Vorlage des Bildes ›Die japanische Brücke‹ von Claude Monet.« »Woher hatte er die?« »Ich habe sie selbst aus Gips im Rahmen des Kunstunterrichts erstellt. Den Weg bei uns auf dem Anwesen habe ich so gestaltet, dass Carsten sich daran orientieren kann. Er geht diesen mittlerweile sehr sicher. Er kann mir sogar sagen, wann bestimmte Abzweigungen kommen. Sein Gedächtnis ist auch phänomenal. Das merkte ich bei jedem seiner Konzerte. Eine Partitur auswendiglernen ist sicher nicht unüblich für Musiker. Jedoch hat er in seinem Kopf die Spezifikationen jedes Orchesters, mit dem er schon einmal zusammengearbeitet hat. Er kann dir sagen, wie welches Orchester klingt, wo dessen Stärken und Schwächen sind.« »Wie kann er das unterscheiden?« »Ich weiß es nicht. Manchmal hören wir uns Liveübertragungen im Radio an. Carsten sagt dann schon mal im Voraus, wenn etwas typisch für das Orchester ist. Ein Aufstrich in den ersten Violinen, ein Zögern bei den Bläsern und so weiter. Das ist manchmal ganz gespenstisch.« »Ist er auch kritisch?«, hakte Rachid neugierig nach. »Und wie. Gerade sich selbst gegenüber. Er erarbeitet sich jedes Konzert, als ob er es das erste Mal spielen würde. Er hat alle Beethoven-Konzerte sicher schon dutzendmal gespielt. Doch jedes Konzert klingt irgendwie anders.« »Das macht wohl einen guten Musiker aus. Als Dozent, wie ist er da?« »Seine Studenten wissen, was sie an ihn haben. Neuen Studenten macht er schon bei der ersten Vorlesung klar, dass ohne Arbeit bei ihm keine guten Abschlüsse zu erwarten sind. Er hat auch schon Studenten aus seinem Kurs geworfen. Da kennt er kein Pardon. Andersherum fördert er auch diejenigen, die seine Erwartungen mehr als erfüllen.« »Das ist in unserem System sicher nicht einfach, wo doch immer Studiengebühren anfallen.« »Er ist da ganz offen und sagt, ob es nicht sinnvoller sei, das Geld besser zu investieren. Seine Kollegen zollen ihm dafür auch ihren Respekt.« Rachid dachte über das Gehörte nach. Dann fiel ihm etwas ein. »Sag einmal, machst du dir keine Gedanken um Cedric?« »Nein. Der kleine Mann schläft und die Hunde sind bei ihm. Sie passen auf ihn auf, seit Salvatore ihn entdeckt hat. Selbst Charaid, der kleine Kater von Merlin, hat ein wachsames Auge auf ihn. Wenn etwas sein sollte, melden sie sich sofort. Carsten hat auch einen siebenten Sinn für unseren Sohn. In seiner Nähe fühlt sich Cedric absolut sicher. Schon bei ihrer ersten Begegnung hielt sich Cedric an Carsten fest. So als ob er spürte, dass Carsten, trotz seiner Blindheit ihm Sicherheit gibt.« »Höre ich da Eifersucht? Ich bin Profiler und Kriminalpsychologe«, erklärte er seine Frage. »Nein, absolut nicht. Carsten hat ein großes Herz. Da ist genug Platz für alle, die er liebt. Warum soll ich eifersüchtig sein? Er liebt mich. Vorrangig steht Leonardo. Carsten verlässt sich zu 100 % auf ihn. So wird es wohl immer bleiben. Ich mag es, wenn er sich mit Leonardo auf dem Boden wälzt. Da sehe ich immer, wie sehr die beiden sich vertrauen. Danach kommen seine beiden Männer und anschließend die Familien. Ich habe nicht den geringsten Anlass, auf jemanden eifersüchtig zu sein.« Andreas sah sich die Gewürze an. »Crocus sativus?«, meinte er plötzlich. »Wie bitte?« » Ich sehe, du hast echten Safran.« »Oh, ja. Ich habe ihn auf dem Wochenmarkt entdeckt. Frisch importiert. Wir verfeinern einige Gerichte. Du kennst den lateinischen Namen des Gewürzes?« »Ich habe mir ein spezielles Buch zu meinen Gewürzen geschrieben: Trivialname, lateinische Bezeichnung, Eigenschaften und wie ich es verwenden kann. Für Carsten sind die Etiketten auch in Braille verfasst. Neben den üblichen Gewürzen habe ich auch ein eigenes Kräuterbeet und Zio Jihan versorgt uns regelmäßig mit Gewürzen des Orients. Darunter auch den echten Safran.« »Eine typische Geste des Orients …« »Abba, darf ich Saft trinken?«, meinte eine junge Stimme. Als der junge Mann Andreas bemerkte, versteckte er sich erst einmal hinter seinem Abba. Andreas ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit dem Jungen zu sein. »Hello. Ich bin Andreas und ein Gast deiner Papas. Wir haben auch zwei Hunde mit, die jetzt noch bei unserem Sohn Cedric sind.« »Hello …« vorsichtig guckte Aaron hinter Rachid hervor. »Ich bin Aaron und schon drei Jahre.« »Dann bist du ja schon richtig groß!«, stellte Andreas mit sanfter Stimme fest. Das kleine Kompliment machte Aaron etwas verlegen. »Ja. Aber Lewis sagt immer Kleiner zu mir. Das ist echt doof. Abba, bekomme ich Saft?« »Natürlich.« Rachid ging zum Kühlschrank und füllte Saft in ein Glas und gab es seinem Sohn. »Setzt du dich bitte an den Tisch?« »Klar!« »Wo hast du denn deinen Bruder gelassen?« »Der wollte noch zu Notos. Abby kam aus dem Stall und Lewis möchte ihm gute Nacht sagen.« »Hat der Hengst wirklich den Charakter seines Namensgebers Notos?«, fragte Andreas nach. »Der Name passt perfekt. Sein Pferd fliegt förmlich über den Boden im Galopp. Als wir ihm das Pferd schenkten, hatte Bryan Bedenken. Doch Lewis und Notos verbindet etwas nicht Greifbares. Lewis reitet ihn im Übrigen ohne Sattel. Er hat auch schon so einige Male bei ihm im Stall übernachtet, wenn es dem Tier nicht gut ging. Reitest du auch?« »Manchmal, wenn wir bei Luise und Paul zu Besuch sind. Paul brachte mir das Reiten ohne Sattel bei. Ich mag es, die Bewegung des Pferdes zu spüren. Paul spürt dann auch, wenn mich etwas belastet und spricht mich darauf an.« »Dann habt ihr ein gutes Verhältnis?« »Seit unserer ersten Begegnung. Ich denke, er fühlte, dass er mir Carsten mit ruhigen Gewissen anvertrauen durfte“, meinte Andreas. »Kommt nicht wirklich oft vor. Freut mich aber. So schätze ich Paul und Luise auch ein. Sie lassen ihren Kindern in Liebe ihren Weg gehen.« Andreas hörte die Erfahrung in Raschids Stimme. Er wusste, dass es auch das Gegenteil gab. Wenn Eltern sich über ihre Kinder definierten. »Die Jungs sind zurück. Es wird Zeit, mich um das Abendessen zu kümmern.« An Aaron gewandt: »Hast du einen Wunsch, was du haben möchtest?« »Burger?«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Gute Wahl, hatten wir schon lange nicht mehr. Andreas, hast du Lust, diese Herausforderung mit mir zu meistern?« Andreas grinste seinen Gastgeber an. »Nur wenn Aaron uns ebenfalls hilft. Ich kenne mich hier nicht aus und brauche fachliche Unterstützung.« Rachid war erstaunt, wie geschickt Andreas den kleinen Mann einband. »Oh ja«, kam die begeisterte Antwort. Die kleine Runde wurde durch Sami unterbrochen. »Abby, das Baby ist wach.« »Sami,«, sprach daraufhin Andreas ihn an, »Cedric hat ja auch lange genug geschlafen. Meinst du, er würde sich über ein wenig Gesellschaft freuen? Er liebt e,s mit seinem Ring zu spielen. Dabei spricht er auch schon ein wenig.« »Du meinst, ich darf mich mit ihm beschäftigen, ohne dass du dabei bist?« »Natürlich. Oder hast du nicht auf Aaron aufgepasst, als er noch so klein war.« »Doch. Abby und Abba sagten, dass ich das gut kann.« »Dann frage ich mich, worauf du noch wartest? Im Übrigen, wenn Cedric Hunger haben sollte: In seiner Tasche ist noch eine Flasche mit seiner Milch«, blieb Andreas gelassen. Sami machte große Augen. »Ich darf ihn auch füttern? Was, wenn ich etwas falsch mache?« »Cedric wird dir dabei helfen. Auch wenn er noch so klein ist, so weiß er schon ganz gut, wie das geht. Du musst nur darauf achten, dass er nicht so viel Luft schluckt.« Ganz stolz ging der Junge. »Kann wirklich nichts passieren?« »Nein. Cedric hält sich an der Flasche fest und nuckelt daran. Wenn er nicht mehr mag, drückt er die Flasche weg und dreht seinen Kopf. Noch ist nicht seine eigentliche Zeit. Aaron, kannst du mir einmal Mehl für die Brötchen geben?« Der kleine Mann lief zu einem Schank und trug wenig später ein Paket Mehl vor sich her. Andreas zeigte ihm, wie er einen Teig aus verschiedenen Zutaten machte. Aaron durfte auch kräftig kneten helfen. Andreas sah, wie der kleine Mann Freude daran hatte. Dann fiel ihm ein, dass sein Nonno dabei oft gesungen hat. Impulsiv begann er einen italienischen Song. Aaron fand das sehr amüsant und versuchte es auch. Gemeinsam sangen sie mehr oder weniger ein einfaches Kinderlied. Wobei Aaron im Takt den Teig walkte. In der Küche des Gastgebers zog ein Hauch Italien ein.

Lewis und Aaron waren schon auf dem Heimweg, als Sami ihnen entgegenkam. »Lewis, Abby hat mir gesagt, euch holen zu gehen.« »Ist schon gut. Es wird ja auch schon dunkel.« »Wir haben Gäste. Zwei Hunde, ein Baby und zwei Männer. Die scheinen Bryan und Rachid zu kennen.« »Ich kenne den einen. Carsten heißt er und ist der Sohn von Abbas Freund. Du hast Paul auch schon gesehen. Der Mann, der manchmal ein Pferd an Abba vermittelt. Sein Sohn Carsten ist ein bekannter Musiker.« »Du weißt aber viel, Lewis“, staune der kleine Mann. Sami sah Aaron an und seine verschmutze Hose. »Oh, Oh«, meinte Sami, »Abby wird nicht erfreut sein.« »Das passiert nun beim Spielen. Ist ja nicht so schlimm. Ich ziehe die Hose gleich aus und dann kommt sie in die Wäsche“, tat Aaron seinen Plan kund. Lewis grinste seine Brüder an. Bryan und Rachid kannten solche Szenen schon zur Genüge. Dass Aaron es von sich aus anbot, war ein Zeichen seiner Selbstständigkeit. Er entschied es einfach für sich. »Geht schon einmal vor. Ich sage Notos noch gute Nacht.« Daraufhin trennten sich ihre Wege auf dem Gut.

Als Carsten und Bryan wieder im Haus waren, kam Sami zu ihnen und meinte, dass Cedric stinken würde. »Nun, Sami«, begann Carsten gelassen, »Cedric hat sicher seine Hosen voll. Das passiert und ist nicht schlimm. Ich werde ihm etwas neues anziehen und dann ist das auch wieder vorbei.« »Du kannst es in eurem Gästezimmer machen. Rachid kündigte schon an, dass ein Baby uns besuchen würde. Da haben Lewis und ich einen Wickeltisch dort hineingestellt. Im Bad kannst du ihn auch baden.« »Danke, Sami, würdest du mir unser Zimmer zeigen?« »Dann kommt einmal mit …« »Sorry, darf ich mich an deiner Schulter festhalten? Ich sehe ja nicht, wo du hingehst und Cedric spricht zwar viel, doch leider verstehe ich das noch nicht.« »Oh, klar!« Sami nahm Carstens Hand und legte sie sich auf seine Schulter. Gemeinsam gingen sie zum Gästezimmer. Nachdem Carsten Cedric auf die Wickelunterlage gelegt hatte, sah Sami interessiert zu. Die kleine Hose war gut gefüllt und der Junge mächtig froh, diese los zu sein. »Sami, zeigst du mir, wo ich Cedric baden kann?« Als Antwort nahm Sami Carsten an die Hand und gemeinsam gingen sie ins Bad. Der kleine Mann freute sich, dass er helfen konnte. Carsten band ihn bei der Pflege seines Sohnes geschickt ein. Nach dem Abtrocknen guckte Sami ganz genau hin, wie Carsten Cedric frisch anzog. »Du«, fragte Sami langgezogen. »Woher kannst du das? Du siehst das Baby doch nicht.« »Ich habe viel Erfahrung und Cedric hilft mir ja auch auf seine Weise. Kannst du mir einmal aus seiner Tasche eine Windel und den flauschigen Anzug gebe?.« »Was machst du mit der beschissenen Hose? Ich kann Abba fragen, ob er diese waschen kann.« Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand der kleine Mann. Carsten lächelte über dieses spontane Angebot.

»Carsten, Sami fragte, ob wir auch die Sachen von Cedric waschen können. Natürlich geht das. Seit unsere beiden Jüngsten selbst die Welt erkunden, fallen täglich schmutzige Hosen und Shirts an.« »Das wäre wirklich nett. Die Hinterlassenschaften sind schon recht fest und es riecht.« Rachid lachte. »Also da bin ich von unseren Söhnen Schlimmeres gewöhnt. Du verwendest Stoffwindeln?« »Nur für die Nacht. Tagsüber will der kleine Mann seinem Bewegungsdrang nachkommen und wehrt sich erfolgreich. Bisher ist es ganz gut gegangen.« »Gut. Ich nehme die Sachen mit und lasse die Maschine ihre Arbeit tun.« »Danke. Siehst du, Cedric, du hast bei Freunden einen Rundumservice.« Cedric giggelte lustig vor sich hin. Nach dreißig Minuten begleitete Sami seine Gäste zurück zu den anderen. »Na, ist der kleine Mann wieder zufrieden?« »Natürlich. Mit einer vollen Hose wärst du auch nicht glücklich, oder?« Andreas nahm eine gesunde Gesichtsfarbe an und die Anwesenden lachten über das Geplänkel. »Wie sieht es denn mit Nachschub für Cedric aus?«, fragte Carsten nach. »Noch zehn Minuten, dann kann er auch mit uns essen.«

Das Dinner wurde ein lebhaftes Unterfangen. Andreas sah, wie diverse Burger reihum weitergereicht wurden. Carsten und Bryan begnügten sich je mit der vegetarischen Version. Dazu gab es verschiedene Salate als Beilagen. Blickfang wurde noch einmal Cedric, als dieser von Carsten gefüttert wurde. Sami und Aaron sahen gespannt zu. Als Carsten wie gewohnt die Flasche kurz absetzte, bemerkten die beiden, wie Cedric sein Gesicht verzog. »Jetzt ist Cedric bestimmt böse, weil du ihm keine Milch mehr gibst!«, kommentierte Sami. Wie auf Stichwort begann Cedric laut zu werden. Dazu gab es einen kleinen Rülpser. »Das machen Andreas und ich immer zwischendurch. Cedric verschluckt immer auch Luft. Wenn er sich bemerkbar macht, entweicht die Luft.« Carsten führte die Flasche wieder zu dem Jungen und schon wurde Cedric wieder ruhig. Sami sah, wie er mit einer Hand die Flasche ergriff. »Siehst du, Cedric hilft mir sogar.« »Das ist lustig. Macht er das immer oder nur, weil du blind bist?« »Das macht er immer“, antwortet Andreas stattdessen. »Wenn er satt ist, schiebt er die Flasche etwas weg und dreht sein Kopf zur Seite. Dann lacht er und spricht.« »Und wenn er noch mehr will?« Aaron war ganz interessiert bei der Sache. »Dann wedelt er mit den Händen und fragt ›Dada‹.« Inzwischen war die Flasche leer und anscheinend war Cedric auch satt. Carsten stellte die Flasche ab. Nahm ein Tuch und legte es sich über seine Schulter. Dann hob er den Jungen ab. Vorsichtig klopfte er dem Jungen auf den Rücken und kurz darauf bahnte sich hörbar verschluckte Luft den Weg. ›Dada! Dada?‹ »Was sagt er?«, fragte jetzt Lewis. »Papa, ich bin müde und möchte schlafen“, übersetze Carsten. »Das weiß ich deswegen, weil er seinen Arm an meinen Hals gelegt hat. Das macht er immer, wenn er ins Bett will. Der kleine Mann hat eine interessante Art der Kommunikation gefunden.«, ergänzte er. »War bestimmt ein aufregender Tag für ihn. In euer Zimmer haben wir auch ein Bett für Cedric gestellt.«, fügte Bryan hinzu. Carsten stand auf und jeder wünschte dem kleinen Mann ›Sweet dreams‹. »Ach, Andreas. Bevor ich es vergesse, die beiden Clowns müssen noch gefüttert werden.« »Schon erledigt, Tiger. Ich habe ihnen schon ihre Rationen vor dem Dinner gegeben.« »Was würde ich nur ohne dich machen?« »Jedenfalls würden die Hunde nicht verhungern. Bei uns Männern bin ich mir nicht so sicher“, scherzte Andreas charmant.« Die Runde lachte. Dann ging Carsten seinen Sohn ins Bett bringen. »Würde er euch wirklich verhungern lassen?«, hakte Bryan nach. »Nie und nimmer. Dazu ist er zu gewissenhaft. Er weiß, wann seine Männer Hunger haben. Bei Cedric kennt er sogar die Mengen, die er bekommen hat. Wenn es bei mir mal später wird, bereitet er auch schon mal Sandwiches für mich vor“, berichtete Andreas.

»So, Cedric schläft. Die Hunde sind bei ihm. Schon erstaunlich, wie sehr die beiden auf den Jungen achten.« »Ich denke, das ist ihr Instinkt. Little Gray, unser Irischer Wolfshund, hat bei allen unseren Söhnen das gleiche Verhalten gezeigt“, meinte Bryan. »Sobald etwas ungewöhnlich war, meldete er sich.« Danach lachte er. »Er ließ sogar zu, dass sie auf ihn reiten durften.« »Ein sehr interessanter Charakter.« »Irischer Wolfshund? Sind diese nicht sehr groß und die Rasse hat nicht umsonst den Namen?« »Die Bezeichnung täuscht. Die Hunde wurden zwar zur Wolfsjagd eingesetzt. Sind also schon imposante Geschöpfe. Ansonsten sind sie wirklich sehr friedlich. So lange niemand etwas gegen ihr ›Rudel‹ im Schilde führt. Denn da können sie sehr angsterfüllend sein, allein schon durch ihre Größe«, führte Bryan aus. »Wir hatten einmal einen versuchten Einbruch. Der Einbrecher hatte das Nachsehen. Little Gray sprang ihn von hinten an und brachte ihn zu Fall. Dabei schlug er mit dem Kopf auf und wurde bewusstlos. Danach legte er sich mit seinen 50 kg auf den Mann drauf.« Die Episode brachte alle am Tisch zum Lachen. Danach wechselte das Thema und Aaron erzählte von seinem Tag. Andreas und Carsten bekamen einen lebendigen Eindruck, was später einmal auf sie zukommen würde.

Als auch die beiden Jüngsten in ihren Betten waren, saßen alle im Wintergarten gemütlich zusammen. Andreas bewunderte den Irish Wolfhound. Arco war mit einer Schulterhöhe von 50 cm schon ein großes Exemplar seiner Rasse. Little Gray überragte ihn jedoch noch um geschätzte 30 cm. Das riesige Fellknäuel hatte es sich neben Bryan gemütlich gemacht und schlummerte vor sich hin. Wobei Andreas sich nicht sicher war, ob er sie nicht doch alle beobachtete.

»Um noch einmal auf das Thema des Unfalls zurückzukommen.«, begann Rachid vorsichtig. »Wie schon heute Nachmittag erwähnt ,kommen wir nicht wirklich weiter.« »Was«, mischte Lewis ein, der ja wohl wusste, worum es ging, »wenn es noch einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen gilt?« Seine Väter sahen ihn neugierig an. »In der Schule haben wir uns mit der leidlichen Geschichte der Aristokratie auseinandergesetzt. Diese baut ja auf Traditionen auf. Zum Glück ist diese ja heute mehr repräsentativ statt politisch. Ein Aspekt ist ja die Tradition der Lords. Stirbt ein Lord, so geht deren Titel an den nächsten männlichen Blutsverwandten. Ihr sagt, ihr habt das Haus des Lord Rutherford gekauft. Demnach gibt es dort keinen Lord mehr. Ich frage mich, wo der Titel hin ist.« Jetzt war Carsten froh, sich etwas mit der Historie der Rutherfords auseinander gesetzt zu haben. »Nun. Der letzte Lord starb im letzten Krieg, seine Gattin Lady Rutherford zwei Jahrzehnte später. Eigene Kinder hatten sie nicht. Es gab da noch einen Bruder, der beim Unglück von Quintinshill ums Leben kam. Daneben gab es noch eine Schwester. Dem Gemeindearchiv nach zog sie nach Glasgow und war dort im Krieg als Krankenschwester tätig. Dann verliert sich ihre Geschichte. Erst mit dem Auftauchen einer Nichte der letzten Lady Rutherford kommt dieser Familienzweig wieder ins Gespräch. Ein Historiker hat versucht, rückwärts diesen Zweig weiter zu verfolgen. Leider nicht wirklich erfolgreich. Mich interessiert mehr das Anwesen Rutherford Hall und ich habe eine Anfrage an das National Archiv gestellt. Ich bekam einen ersten positiven Bescheid zu meiner Anfrage. Die Beantwortung würde aber noch einige Wochen in Anspruch nehmen.« »Davon hast du mir nichts gesagt.« »Ich wollte erst die Antwort abwarten. Ursprünglich muss das Anwesen um ein Vielfaches größer gewesen sein. Das Land hinter dem Park gehörte ebenfalls dazu. Dem Archiv nach sind das weitere 10 ha unbenutztes Gelände“, antwortete Carsten auf Andreas‘ Frage. Rachid wandte sich an seinen Gatten: »Mehr über die Familie Rutherford könnte man im Einwohnermelderegister erfahren. Bryan, würdest du das erledigen?« Andreas und Carsten waren erstaunt. »Sind das nicht gesicherte Daten?« »Natürlich sind die Daten geschützt. Da braucht es schon für eine private Auskunft ein berechtigtes und nachgewiesenes Interesse. Wir sind aber berechtigt durch unseren Beruf. Deren Archiv geht bis in die elisabethanische Epoche zurück. Die viktorianische Ära ist schon vollständig archiviert. Also sollte dort die Familie vollständig nachvollziehbar sein. Warten wir die Ergebnisse der Recherche ab. Lewis, ich möchte dir für den Tipp danken. Vielleicht kommen wir so weiter.« »Gern geschehen. Abba, darf ich noch raus zur Party?« »Was meinst du, Rachid?« »Es ist Wochenende. Warum nicht. Bist du einverstanden, vor Sonnenaufgang wieder hier zu sein und nicht betrunken?« »Deal.« Gut gelaunt verließ der Jugendliche die Runde. »Ihr erlaubt es einfach?« Bryan wiegte nachdenklich seinen Kopf. »Einfach ist es bestimmt nicht. Doch es ist uns lieber, wir lassen ihm diese Freiheit und wissen, wo er ist, als dass er heimlich seine Wege geht. Die Party findet bei unseren Jugendlichen statt und bisher haben sie uns nicht enttäuscht. Es wird auch Alkohol ausgeschenkt. Lewis trinkt sicher auch Bier, doch ich vertraue ihm, seine Grenzen zu kennen.« »Was geschieht, wenn er es übertreibt?« »Nichts. Er spürt dann sicher auch die Konsequenzen am eigenen Leib. Erfahrungen erleben sind die besten Lehrmeister. Lewis hat schon einiges angestellt aber daraus auch immer seine Lehren gezogen. Zum Beispiel passt er sehr gut auf seine Brüder auf. Das Trio kann gemeinsam Berge versetzten …«, schwärmte Rachid. »… und unendliches Chaos anrichten“, fügte Bryan an. »Wenn nichts dagegenspricht, unsere Hunde brauchen noch etwas Bewegung. Normal gehe ich mit ihnen noch eine Runde raus“, wechselte Carsten das Thema. »Es spricht nichts dagegen, eine Runde zu drehen. Ich begleite dich«, antwortete Rachid. »Bryan passt auf die kleinen Gentlemen auf.«

Carsten rief die Namen seiner Hunde und das Zauberwort ›Gassi‹. Letzteres brachte auch den Wolfhound ins Spiel. Gemeinsam gingen sie hinaus. Leonardo blieb erst bei seinem Herrchen, während Salvatore und Little Gray herumbalgten. Nach »Na los, Leonardo, lauf los“ aus dem Mund seines Herrchens gab es kein Halten mehr. Er stürmte zu seinem Bruder. »Eure Hunde haben einen ausgeprägten Spieltrieb. Es sieht wirklich amüsant aus, wie sie unseren Hund durch die Gegend scheuchen.« »Warte einmal ab, wenn ihr Seil ins Spiel kommt. Haben sie sich denn schon gelöst?«, fragte Carsten nach. »Das machen sie gerade gemeinsam. Nur gut, dass dieses Gelände kaum frequentiert wird. Die Tretmienen haben es in sich.« »Bei uns haben sie ihren eigenen Bereich. Keine Gefahr, dass ich irgendwo hineintrete. Kannst du mir sagen, in welcher Richtung es ungefährlich ist?« »Hinter dir. Da ist ein freies Gelände. Warum?« »Pass einmal auf.« Carsten pfiff kurz und warf das Seil in besagter Richtung. Die Hunde reagierten blitzschnell und jagten dem Seil hinterher. Leonardo war der Sieger und fing das Stück Tau. Salvatore schaffte es, ihm das Tau abzuringen und Little Gray folgte anschließend Salvatore. Rachid erkannte die Hunde kaum wieder. Den ganzen Tag verhielten sie sich reserviert und jetzt powerten sie sich aus. »Du kennst deine beiden wirklich gut.« »Kunststück. Ich kenne beide Tiere schon, seit sie Welpen waren. Paul erkannte ihre Wesenszüge und förderte sie spielerisch. Schlimm wurde es in der Zeit, wo Leonardo ausgebildet wurde. Salvatore vermisste seinen Bruder. Leon hat sich immer um seine Welpen gekümmert. Was für Rüden nicht gerade typisch ist. Zu Mamas Leidwesen haben sie viel im Garten getobt. Paul nahm ihn dann auch öfters zu seinen Hausbesuchen mit. Salvatore lernte einen souveränen Umgang mit anderen Lebewesen. Wenn ich Papas Erzählungen Glauben schenke, wird sogar ein ausgewachsener Bulle sanft wie ein Lamm. Die beiden sind ein unschlagbares Team. Papa konnte es nicht übers Herz bringen, sie noch einmal zu trennen. Daher entschieden Andreas und ich, beide Hunde zu uns zu nehmen. Es war im Nachhinein eine unsere besten Entscheidungen. Wir verlassen uns auf ihre Instinkte.« Leonardo kam auf die beiden Männer zugelaufen. Siegreich hielt er das Seil im Fang. Bei Carsten legte er das Tau ab und stieß ihn an. Carsten ging in die Hocke und kraulte den Hund ausgiebig. Rachid sah es bewundernd an. Jetzt verstand er, was Andreas über das Verhältnis zu seinem Hund meinte. »Du bist also als Sieger aus dem Spiel hervorgegangen. Magst du noch eine Runde spielen oder möchtest du nach Hause?« Als Antwort lehnte sich Leonardo an sein Herrchen. »Dann gehen wir jetzt nach Hause.« Carsten erhob sich wieder. »Salvatore!«, rief er. Der Hund folgte der Stimme seines Herren. In Begleitung von Little Gray schloss er sich der Gruppe an. »Wir können zurück. Vor morgen früh brauchen sie nicht mehr raus. Sag einmal, Rachid, habt ihr auch Waffen?« »Natürlich! Das verlangt unsere Aufgabe schon. Unsere Dienstwaffen liegen sicher in unserem Tresor. Bryan ist froh, diese mehr auf dem Übungsplatz als im Einsatz zu benutzen. Wir sind eigentlich mehr damit beschäftigt, Hintergrundinformationen zu sammeln und diese entsprechend auszuwerten. Der Einbrecher kann froh sein, dass Little Gray ihn vor uns erwischt hat. Habt ihr Schusswaffen?« »Nein, das müsstest du aber wissen. Paul und Andrea haben lediglich ein Blasrohr für die Betäubung auf Entfernung.« Rachid dachte einen Augenblick nach. »Ich habe Paul einmal damit arbeiten sehen. In seinen Händen ist so ein Instrument sehr effektiv. Er hat damit ein Hirsch auf 100 m schlafen gelegt hat.« »Das können Andrea und Paul wirklich gut. Selbst bei der Dosis des Mittels sind sie sich beide sicher.« »Würde sie damit einen Menschen betäuben?« »Sie hat da keine Skrupel. Wir sind in ihren beruflichen Augen nichts weiter als Säugetiere.« Seine Begleitung lachte und zog die Aufmerksamkeit aller Hunde auf sich. »Andrea ist mir sympathisch, aber ich würde ihr von dieser Methode bei Menschen abraten.« »Keine Bange. Sie weiß, wo die Grenzen der Legalität sind. Aber im Fall der Fälle: Blut ist dicker als Wasser.« »Du willst sagen, dass die Familie dann zu ihr steht!« »Genau. Ercan ist Physiotherapeut … muss ich weitersprechen?« »Nein. Er kennt die Schwachpunkte der menschlichen Anatomie.« »In der Theorie kennt meine Familie sich mit dieser Thematik aus.« »Luise etwa auch?« »Sicher, Anthropologie behandelt auch gesellschaftliche Konfliktbewältigung in allen Formen. Ihre Bibliothek hat da eine eigene Ecke.« »Ich lerne wirklich ganz neue Aspekte einer Familie kennen. Nach außen hin harmlos wirkend mit dem Wissen vom Töten.« »Rachid, bei meiner Familie bin ich mir absolut sicher, dass sie davon kein Gebrauch machet Du weißt ja, es gibt kein perfektes Verbrechen. Zwischen Theorie und Praxis ist ein gewaltiger Unterschied.« »Bist du sicher, nicht auch Kriminologie studiert zu haben?« Carsten lachte. »Nein, da bin ich mir absolut sicher.« Carsten klappte seinen Stock ein. »Darf ich mich an dir festhalten? Es dürfte nicht mehr weit von eurem Haus sein.« »Du hast einen guten Orientierungssinn.« »Das liegt mir im Blut. London ist heftig, wenn man seine Orientierung verliert. Andreas war mir dort eine große Hilfe. Er hat mich so manches Mal abholen müssen. Er war sehr geduldig mit mir und erklärte mir dann auch genau, wie ich mich orientieren kann. Ich bin einmal genau in die Gegenrichtung gefahren, nur weil ich auf der falschen Seite in die Tube eingestiegen bin.« »Ich gestehe, dass ich in London selten die Underground nutze. Bryan und ich fahren normal mit dem Auto. Bryan fühlt sich zwischen den vielen Menschen einfach nicht wohl.« »Kann ich verstehen. Angenehm ist es dort nicht immer. Einmal setzte sich jemand neben mich. Selbst Max, meine Hündin, rückte von der Person weg. Ein penetranter Körpergeruch. Ich habe damals überlegt, wie lange ein Mensch sich nicht wäscht, um so zu stinken. Im Bus ist es einfacher. Weil ich dann mit dem Hund immer eine Sitzbank für mich allein habe.« »Du hast ja nicht wirklich eine Alternative, mobil zu sein. Taxen sind auf Dauer einfach teuer. So, wir sind wieder daheim.« »Gut. Leonardo, Salvatore! Bei Fuß!« Carsten brauche nicht lange, um beide Hunde zu knuddeln. »Alles gut. Sie können so ins Haus.« »Geht das bei euch nicht immer so einfach?« Carsten grinste. »Nein. Bei uns geht es nach der letzten Runde immer durch den Porch. Sie nehmen oft noch einen kurzen Abstecher in den Teich, bevor sie sich schlafen legen. Da müssen sie erst noch trockengerieben werden, wenn ich nicht den Zorn von Mrs Sanches auf mich lenken will. Es ist aber auch nötig, selbst wenn sie trocken sind. Es setzten sich immer auch Fremdkörper zwischen ihren Pfoten ab. Das kontrollieren wir dann dort kurz.« »Little Gray ist da nicht so pflegebedürftig. Er ist extrem kitzelig an den Pfoten und mag es nicht besonders.« »Kitzelig sind die beiden auch, aber sie lassen es über sich ergehen. Letztendlich sind froh, wenn wir die Fremdkörper entfernen.« Leonardo blieb noch einen Moment bei Carsten. Salvatore ging etwas vor und wartete dann auf seinem Bruder. »Es ist gut, Leonardo.« Der kleine Satz veranlasste den Hund, sich zu entspannen und sich seinem Bruder zuzuwenden. »Was machen die beiden jetzt?« »Bevor Cedric bei uns einzog, gingen sie in den Salon. Jetzt halten sie sich gerne bei dem Jungen auf. Ich denke, sie werden zu ihm gehen und es sich dort gemütlich machen.« »Und was ist mit euch beiden?« »Wir chillen. Andreas und ich mögen es, den Tag relaxt ausklingen zu lassen. Wir reden dann oft über die Vorkommnisse am Tag. Mit einem freien Kopf lässt es sich bei weitem besser schlafen. Edward stößt dann schon mal zu uns, um über offene Fragen in der Verwaltung zu sprechen. Ich finde es angenehmer, solche Dinge in einer entspannten Atmosphäre zu bereden. Ins Bett gehen wir selten vor Mitternacht.« »Wir halten es ähnlich. Bryan und ich spielen oft noch etwas. Klingt zwar kindisch, doch es befreit unsere Gedanken.«

»Abby, ich kann nicht schlafen!«, kam Aaron in den Wintergarten. »Dann komm zu mir. Wir kuscheln noch ein bisschen und vielleicht geht es danach besser.« Aaron kletterte zu seinem Dad und legte seinen Kopf auf seinen Schoß. Bryan strich sanft über seinen Kopf. »Gut so?« »Ja. Wo ist Abba?« »Er ist noch mit Carsten und den Hunden rausgegangen. Vielleicht haben die Tiere das gleiche Problem wie du und können nicht schlafen.« »Das ist aber lustig. Und wenn sie draußen sind, dann können sie besser schlafen?« »Nein, draußen schlafen sie bestimmt nicht. Sie bewegen sich, pieseln oder machen noch Haufen. Die Bewegung tut ihnen bestimmt gut und später schlafen sie auf ihren Plätzen.« »Schläft das Baby auch schon?«, wollte der kleine Mann wissen. »Cedric?«, fragte Andreas nach. »Der schläft. Einmal im Bett, fallen ihm schnell die Augen zu. Es war für ihn ein aufregender Tag mit vielen neuen Eindrücken. Davon träumt er vielleicht jetzt und morgen ist er wieder munter.« »Abby, habe ich auch so viel geschlafen?« »Ja. Auch deine Brüder haben in dem Alter viel geschlafen. Manchmal bist du mitten in der Nacht aufgewacht und hattest Hunger. Da haben Rachid und ich dir dann etwas zu trinken gegeben. Anschließend warst du zufrieden und hast weitergeschlafen.« »Kann ich jetzt auch etwas trinken?« »Wenn du möchtest. Denke daran, dass du dann auch wee machen musst. Willst du wirklich mitten in der Nacht auf Toilette gehen?« Aaron gähnte herzhaft. »Nein. Das ist doof. Dann vergesse ich doch meinen Traum.« Andreas sah, wie dem kleinen Jungen langsam die Augen zufielen. »Bringst du mich ins Bett?«, murmelte Aaron leise. Bryan nahm seinen Sohn auf den Arm und entschuldigte sich. Andreas sah den beiden verträumt hinterher. Dann besann er sich nach Cedric zu sehen. Die Hunde waren noch nicht zurück und ein Babyphon war nicht zur Hand. Behutsam öffnete er die Tür. Er hörte regelmäßige Atemzüge. Im gedämpften Licht ging er zu dem Bett und sah, wie sich Cedric freigestrampelt hatte. Er deckte den kleinen Schläfer vorsichtig zu. Legte seinen Teddy neben ihn und strich ihm sanft über seinen Kopf. Die leichte Berührung reichte aus und Cedric drehte seinen Kopf zur Seite. Andreas dachte, er würde aufwachen. Daran dachte Cedric wohl nicht. Er schien einen schönen Traum zu haben, denn ein süßes Lächeln zierte sein kleines Gesicht. Andreas zog sich leise zurück und schloss die Tür. Auf dem Gang traf er auf Bryan. »Alles okay?« »Ja. Cedric schläft tief und fest. Deine Söhne?« »Sind im Reich ihrer Träume. An den Wochenenden haben wir keine festen Zeiten zum Schlafengehen. Das ist unser Deal, damit sie während der Woche rechtzeitig ins Bett kommen. Es kommt nicht gut, wenn sie im Unterricht einschlafen.« Andreas grinste seinen Gastgeber wissend an. »Ich werde mir dieses Vorgehen für später merken.« »Sag einmal, wie sehen bei euch die Abende aus?« »Gehen wir wieder in den Wintergarten. Rachid und ich arbeiten manchmal sehr lange. Das hängt immer von der aktuellen Situation ab. Doch du fragtest, wie es bei uns normal läuft. Nach dem Dinner beschäftigen wir uns mit unseren ›kleinen‹ Männern. Wir legen sehr viel Wert darauf, von ihnen zu erfahren, wie sie ihren Tag verlebt haben. Oft spielen wir Pair. Das macht allen Spaß und dabei erzählen sie von ihrem Tag. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Nimm dir immer Zeit für deinen Sohn. Diese Zeiten werden für euch sehr wertvoll sein. Bevor wir selbst schlafen gehen, sehen wir nach all unseren Söhnen. Lewis ist ein einer schwierigen Phase. Da braucht es einfach Fingerspitzengefühl und - auch wenn es für uns nicht immer leicht ist - Vertrauen.« »Mir scheint, es ist bisher alles gut gegangen.« Bryan wiegte seinen Kopf. »Nicht immer. Lewis war einmal mit Sami einkaufen. Vor dem Supermarkt traf er auf einige seiner Kumpel. Dabei vergaß er, dass er mit Sami dort war. Er schloss sich seinen Freunden an und ließ Sami einfach stehen. Der Filialleiter rief uns an und wir holten Sami bei ihm ab. Als Lewis später nach Hause kam, fragte ich ihn, ob er nicht etwas vergessen habe. Erst schüttelte er den Kopf und dann wurde er kreidebleich. Ihm fiel ein, dass er seinen Bruder ganz ausgeblendet hatte. Ganz in Panik wollte er ihn suchen gehen. Da kam Rachid mit ihm um die Ecke. Trotz allem, Lewis lief auf Sami zu und entschuldigte sich aufrichtig. Der kleine Mann umarmte ihn einfach und meinte, dass im Supermarkt noch eine offene Rechnung an Gummibärchen zu begleichen sei …« Andreas prustete los. So pfiffig hätte er Sami nicht eingeschätzt. »Hat Lewis die Zeche bezahlt?« »Rachid hat vorgelegt. Lewis schuldet ihm so einiges. Doch das ist für uns nebensächlich. Wichtiger ist, dass unsere Söhne sich respektieren, lieben und aufeinander aufpassen. Als Aaron noch Windeln trug, wussten wir ihn bei Lewis in sicherer Obhut. Wie gesagt, manchmal sind wir beruflich lange unterwegs. Da braucht es einfach diesen Rückhalt. Mittlerweile sind sie wie die drei Musketiere“, berichtete Bryan nicht ohne Stolz. »Gehen denn alle schon zur Schule?« »Aaron seit dem Sommer. Wir sind keine sehr große Stadt und daher haben wir eine Gemeinschaftsakademie. Von der Prime School bis hin zur High School wird dort ausgebildet. Als Sami in der zweiten Klasse war, machte ein älterer Schüler ihm Stress. In der Pause sollte er sein Lunch abgeben. Sami meinte ganz cool, dass es sein Lunch sei und er solle ihn in Ruhe essen lassen. Sein Gegenüber glaubte sich wegen seiner Größe im Vorteil. Lewis beobachtet eine Weile die Situation. Als er sah, dass sein kleiner Bruder bedrängt wurde, griff er ein. Er ging zu den beiden hin. Er mischte sich ein. An Sami gewandt sagte er, dass sein Sandwich sehr lecker aussehen würde. Sami bestätigte es. Der fremde Junge bestätigte es ebenfalls und wollte es haben. Lewis fragte Sami, ob er es denn abgeben wolle. Dieser verneinte mit der Begründung, selbst Hunger zu haben. Lewis zog seine Schultern hoch und meinte, dass der kleine Mann sein Lunch nicht teilen würde. Daraufhin wollte der andere die Lunchbox greifen. Leider griff er ins Leere und Lewis hatte ihn am Handgelenk. Er zischte dem Jungen zu, die jüngeren Schüler in Zukunft in Ruhe zu lassen, sonst würden sie beide mal eine Runde spielen gehen …« Andreas war sprachlos. Lewis machte nicht den Eindruck, Stammkunde einer Muckibude zu sein. »Lass dich nicht von Lewis' Erscheinungsbild täuschen«, erriet Bryan Andreas‘ Gedanken. »Er praktiziert seit seinem fünften. Lebensjahr Aikido und Laido. In beiden Disziplinen hat er den Yondan, die vierte Graduierung, inne. Aber auch Sami ist bereits schlagfertig. Seine Waffen sind zunächst die Worte eines messerscharfen Verstandes. Wenn das nicht reicht: Jeder sollte sich vor seiner Linken in Acht nehmen. Aaron ist der Nachdenklichste von den dreien. Ob er sich auch für eine Kampfkunst interessiert, wird die Zukunft zeigen. Wehrhaft ist er auf alle Fälle. Er übertönt mit Leichtigkeit eine Herde Brüllaffen.« Andreas lachte. »Ehrlich, der kleine Mann erschreckte sich beim Spielen und schrie los. Ein Wunder, dass unsere Haushälterin keinen Hörschaden davontrug.« Mitten im Gespräch kamen die Hunde zu ihnen. Ganz nach ihrer Gewohnheit holten sie sich bei Andreas ihre Streicheleinheiten ab. Nachdem Andreas dem Genüge getan hatte, verzogen sie sich. »Wohin wollen sie jetzt?«, wunderte sich Bryan. »Ich denke, sie verziehen sich zu Cedric. Sie sind seine unheimlichen heimlichen Leibwächter. Ohne ihre Sympathie sollte sich ihm keiner nähern.« »Sie sehen nicht gerade gefährlich aus.« »Leonardo ist ausgebildet, Carsten zu schützen. Er muss einstecken können, leider. Aber er kann auch angreifen. Salvatore hat dahingehend keine Ausbildung. Lass es mich so ausdrücken: Beide schreddern für ihr Leben gern Äste. Ich mag mir nicht vorstellen, wenn das ein Arm oder Bein ist.« Bryan dachte einen Augenblick über die Antwort nach. Was wollte sein Gast ihm damit sagen? Little Gray konnte auch stundenlang auf einem Knochen kauen. Ideale Zahnpflege. Dann fiel der Penny. Ohne Probleme konnte der Irish Wolfhound so einen Knochen zerbrechen. Rachid führte Carsten in den Wintergarten. Andreas sah seinen Gatten zufrieden an. Er wirkte entspannt. »Die Hunde haben sich schon zurückgezogen. Was ist mit dir?« »Der Abend ist noch jung. Bryan, ich habe erfahren, du spielst Schach! Habe ich schon lange nicht mehr gespielt.« »Gerne. Nur wie machst du das mit den Figuren?« »Ich frage nach, wenn ich etwas durcheinanderbringe.« »Lass dich nicht täuschen. Carsten hat ein phänomenales Gedächtnis“, grinste Andreas sein Gegenüber an. »Bryan auch!«, meinte Rachid. Bryan nahm das Spiel und stellte die Figuren auf. »Geal no dubh?«, fragte Bryan. »Dubh!«, antwortete Carsten im Scots. Bryan drehte das Brett und nannte seinen ersten Zug. Carsten überlegte nicht lange und nannte seine entsprechende Gegenaktion. Andreas und Rachid sahen den beiden interessiert zu. »Wie macht Carsten das?« »Es ist für ihn normal. Er ist blind geboren, also trainiert er sein Gehirn, seit er auf der Welt ist. Im Gegensatz zu uns Sehenden kann er sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren. Wenn ich abends noch die Nachrichten sehe und er liest, verfolgt er auch aufmerksam, was er hört. Er hat eine eindeutige Meinung zu den politischen Spannungen zwischen Alba agus Sasainn.« Rachid huschte ein Lächeln übers Gesicht. »Was?« »Ihr verfallt immer auch mal ins Scots.« »Wundert es dich? In unserem Dorf werden beide Sprachen lebhaft verwendet. Die Frau des Metzgers spricht ausschließlich Scots. Von ihr lernte Carsten die wichtigsten Begriffe für die Zutaten der Hunde. Ich lerne bei den Unterhaltungen mit meinen Auftraggebern und Geschäftspartnern dazu. Dann sind da noch Merlin und Edward. Als echte Einheimische sprechen sie untereinander nur Scots.« »Habt ihr keine Angst, dass Cedric bei den vielen Sprachen einmal durcheinanderkommen wird?« »Nein. Das Gegenteil trifft eher zu. Ich bin mit drei Sprachen in der Familie aufgewachsen. Aus Erfahrung weiß ich in jeder Sprache die richtige Grammatik anzuwenden. Das wird Cedric ebenfalls erfahren. Englisch und Scots, werden wohl seine Muttersprachen werden. Italienisch, Tschechisch und Deutsch seine ersten Fremdsprachen. Mich sollte es nicht wundern, wenn er eine Begabung für Sprachen entwickelt. Und wenn nicht? Hauptsache er ist glücklich. Das liegt uns beiden am Herzen.« »Ja, wo die Interessen der Kids liegen, ist ein steter wechselnder Prozess. Wir können sie in ihr Leben begleiten und hoffen, dass sie aus unserer Sicht keinen falschen Entscheidungen treffen.«


»Karel, es war eine gute Idee von unseren Jungs, für dieses Wochenende eine Auszeit zu nehmen. Luise und Paul schlafen noch. Gabrielle hörte ich ins Bad gehen. Antonia wird wohl auch bald aufstehen“, begrüßte Babi ihren Angetrauten in der Küche. »Ja, ich sah ihn eben dorthin gehen. Die anderen schlafen noch?«, wollte Karel wissen. »Es wurde wohl spät gestern. Hilfst du mir, das Frühstück vorzubereiten? Wir können ja ein Buffet herrichten. Lassen wir es langsam angehen. Ich habe uns schon Tee gemacht. Die jüngere Generation bevorzugte sicher Kaffee.« »Andreas und Carsten sind wirklich gut aufgestellt. Es ist von allem vorhanden.« »Edward war gestern noch einkaufen. Er hat wirklich einiges ins Haus geschleppt.« »Was hast du heute vor?« Dabei werkelte Babi an der Kaffeemaschine erfolglos herum. »Ich mache mit Gabrielle einen längeren Spaziergang. Patrick hat uns eingeladen. Ich denke, er möchte noch einmal mit uns über das Dach sprechen. Ich denke, er hat schon einen Dachdecker an der Hand, um das jetzt so schnell wie möglich umzusetzen.« »Geht das denn wirklich so schnell? Du sagtest immer, dass man im Winter nicht so viel machen kann.« »Das Wetter ist hier kontinuierlich. Ein guter Dachdecker wird sich davon nicht abhalten lassen. Da es sich um ein Schindeldach handelt, stellt das auch kein Problem dar. Typisch für die Kirchen des 17. Jahrhunderts ist ein breiter begehbarer Sims.« »Milá … ich vertraue auf deine Erfahrung. Ihr werdet das Problem schon lösen. Sei vorsichtig, wenn du aufs Dach kletterst.« Babi kannte ihren Karel. »Ich bin kein junger Hüpfer mehr …« »Für mich bleibst du der schüchterne junge Dachdecker mit dem knackigen Hintern …«, flirtete Veronica. Karels Gesicht nahm eine rosa Farbe an. Grund genug, um seine Frau in den Arm zu nehmen und ihr einen sehr innigen Kuss auf die Stirn zu drücken. »Nein, ich steige auf kein Dach mehr“, versprach er seiner Gattin. Anschließend löste er seine Liebe an der Kaffeemaschine ab. Merlin erschien als erster in der Küche. »Guten Morgen, ihr seid aber fleißig. Darf ich erst die Ration für Charaid zubereiten? Der kleine Kater war letzte Nacht im Haus und ich denke, er hat Hunger.« »Mach nur. Es dauert eh‘ noch etwas, bis wir frühstücken können. Darf ich dich fragen, was ›Charaid‹ bedeutet?«, wollte Babi wissen. »Es ist Gälisch und bedeutet ›Freund‹. Und so empfinde ich seine Anwesenheit auch: Er ist mir ein Freund geworden. Er kletterte in der ersten Zeit immer unter meine Bettdecke und wärmte sich bei mir. Als er dann wieder mobil war, reichte ihm, wenn er auf dem Bett lag. Ich gestehe, ich habe mich daran gewöhnt, seinen kleinen Körper auf meinem Bett zu spüren.« »Ja, das ist halt so, wenn wir Menschen lieben. Magst du Tee oder Kaffee zum Frühstück?« »Tee! So, die Ration ist fertig.« Merlin stellte die Zutaten wieder zurück und den Napf auf den Boden. Danach wechselte er das Wasser in dem anderen Napf. »Ich gehe mich frischmachen. Charaid wird sicher bald auftauchen.« »Ist gut, wir brauchen noch etwas. Können wir hier essen?« »Natürlich, normal frühstücken wir immer hier. Samstags bietet Andreas manchmal ein Brunch an. Edward schläft schon mal länger und ich drehe mich auch gern noch einmal um. Jetzt, wo Cedric bei uns lebt, sind Carsten und Andreas zu Frühaufstehern geworden«, wusste Merlin einige Veränderungen der Gewohnheiten zu berichten. »Sieh einmal an. Bambino kommt am Wochenende doch früh aus den Federn.« »Ist er denn ein Langschläfer?« Děda lachte. »Wie typische Teenager schlief er am Samstag bis mittags. Nonna lockte ihn nur mit ihrem speziellen Cappuccino aus dem Bett. Wir haben ihn samstags in Ruhe gelassen. Merlin, du musst wissen, dass Andreas uns immer unterstützt hat. Als ich einen Rheuma-Schub hatte, hat er mir sehr viel Arbeit im Haushalt abgenommen. Ich denke, das ist nicht selbstverständlich für einen Teenager.« Merlin nickte bestätigend. Aus eigener Erfahrung wusste er das. Nicht selten stand er vor Sonnenaufgang auf. Die Aufmerksamkeit weckte plötzlich Charaid, der auf Samtpfoten in die Küche geschlichen kam. Der kleine Kater strich einmal um Merlins Beine, um sich dann seinem Napf zuzuwenden. Der Junge nahm das zum Anlass zu verschwinden.

»Guten Morgen. Karel, hast du schon Tee? Ich muss meine Tabletten einnehmen«, fragte Nonno beim Betreten der Küche. »Setzt dich, Tee ist in der kleinen Kanne. Wann sollten wir beim Pastor sein?« »Wir sollten irgendwann am Vormittag bei ihm sein«, meinte Nonno. »Ich habe mir noch ein paar Gedanken zu diesem Organisten gemacht. Wenn der sich querstellt, brauchen wir eine Alternative, um ihn zu überzeugen. Einfach stelle ich mir das nicht vor.« »Viel können wir nicht ausrichten, ohne dass unsere Enkel zur Zielscheibe werden. Das möchte ich ihnen nicht einfach aufhalsen.« Gabrielle schenkte sich Tee ein und legte seine Medikamentenbox daneben. Er schien nachzudenken. »Ich hätte da eine Idee. Was meint ihr dazu …« Nonno schilderte seine Gedankengänge sehr ausführlich. Dass Antonia hinzukam, registrierten die Anwesenden erst einmal nicht. Sie kannte ihren Gatten. Wenn er - so wie sie das Gespräch interpretierte - etwas im Schilde führte, war es besser, ihn erst einmal ausreden zu lassen. »Guten Morgen zusammen. Veronica, habt ihr schon Kaffee?« »Ja, der ist eben durch. Würdest du bitte diesen in die Kanne umfüllen?« Gesagt, getan. Antonia ging anschließend zum Schrank und holte sich ein Glas heraus. Füllte frisches Wasser ein. Sie nahm eine ihrer Tabletten und spülte diese mit einem kräftigen Schluck Wasser hinunter. »Heute ist Samstag, da ist doch Markt. Ich würde gern mal sehen, was so alles angeboten wird.« »Eine gute Idee. Soll Edward uns fahren?« »Nein. Ich fühle mich heute gut und ein ausgedehnter Spaziergang wäre genau das Richtige für uns beide. Wir können ja in einem dieser Tea Rooms Pause machen.« »Eine herrliche Idee. Unsere Männer sind ja selbst auch unterwegs. Überlassen wir den Feldbachs mal das Haus.« Dabei zwinkerte sie in die Runde. So langsam kamen auch weitere Personen in die Küche. Luise war schon gut mit den Gehhilfen unterwegs. Der rote Verband strahlte förmlich um die Hartschalen. Dr. Hathaway war überrascht, als Luise einen solchen Verband wählte. Lachend meinte sie, dass diese Farbe Aufmerksamkeit erregen würde. Paul grinste seine Frau nur an, als er den Verband das erste Mal sah. »Was habe ich doch für eine aufregende Frau geheiratet“, war sein einziger Kommentar.

»Guten Morgen. Paul kommt auch gleich. Er zwängt sich gerade in sein Korsett.« »Schafft er das allein?« »Ercan hilft ihm noch dabei. Aber er kann es auch allein anlegen. Unser Sohn ist ja nicht ständig zuhause. Paul wird mit jedem Tag auch wieder mobiler. Ercan hat ihm schon einige Übungen gezeigt. Später kommt dann noch eine physiologische Behandlung hinzu. Dr. Hathaway riet ihm wegen seiner Leber, noch zu warten. Bevor er gleich kommt, selbst wenn er euch darum bittet, er darf noch keinen Kaffee trinken. Er bekommt Kräutertee. Wisst ihr, ob so etwas im Haus ist?« »Ich denke schon, Andreas weiß, dass wir Kräutertee trinken“, antwortete Karel. »Guten Morgen!«, begrüßte Edward die Runde. »Ich habe deine Frage mitbekommen. Die jungen Herren haben eine enorme Sammlung an edlen Teesorten. Sieh doch mal in dem kleinen Schrank nach.«

Babi ging zum besagten Schrank und zog die Lade auf. »Wow. Das ist ja eine wahre Schatzkammer. Trinken die beiden keinen Kaffee mehr?«, meinte Babi erstaunt. »Zum Frühstück und den letzten trinken sie nach dem Dinner. Zwischendurch viel Tee. Man mag kaum glauben, dass sie keine Einheimischen sind.« Die letzte Bemerkung erheiterte alle Anwesenden. Dann machten sie sich gemeinsam daran, das Frühstücksbrunch fertigzustellen.

»Bedürft ihr heute meine Dienste?«, fragte Edward. »Sam bat um meine Hilfe bei der Buchführung.« »Eigentlich nicht. Doch zuvor eine Frage«, fasste Gabrielle zusammen, »wo kann man hier in der Grafschaft eine Limousine mieten?« Edward war über diese Frage etwas erstaunt. Zumal er wusste, dass keiner der Anwesenden momentan ein Auto fahren durfte. Dennoch war er professionell genug, um nicht nachzufragen. »In Edinburgh gibt es einen Verleih. Ich kann dir die Adresse heraussuchen.« »Das wäre nett von dir.« »Gern geschehen. Da ich nicht weiß, wie lange das bei meiner Familie dauert, hier ist meine Mobilnummer.«

»Sorry, das dass es länger gedauert hat«, meinte Paul schlicht. »Bekomme ich einen Tee? Kaffee darf ich ja noch nicht.« Gabrielle schenkte Carstens Vater ein. Paul wirkte mit dem Korsett noch etwas steif. Doch schien er sich an dieses Teil gewöhnt zu haben. »Merlin, wir haben ja mal darüber gesprochen, dass ich mir die Cattles ansehen möchte.« »Ich habe mit Mr Gilles bereits gesprochen. Wir dürfen zur Weide. Die ist aber etwas weiter weg. Mit dem Rad brauche ich gute 30 Minuten.« »Paul, dich drängt ja heute nichts. Warum geht ihr nicht einfach hin. Ich kann nicht so viel anrichten und genieße die Ruhe hier. Charaid ist ja bei mir und passt auf«, machte Luise kurzen Prozess. Der Brunch zog sich und wirkte auch ohne die Gastgeber sehr familiär.

Nachdem die Küche wieder aufgeräumt war, trennten sich die Wege. Merlin und Paul zogen sich wetterfest an und machten sich auf den Weg. Andrea, Stefano und Ercan wollten sich gemeinsam Inverness ansehen und einen Abstecher zum Loch Ness machen. Vielleicht, so meinte Ercan, hätten sie Glück und würden Nessie sehen. Für alle war es auch eine gute Gelegenheit, sich mit einem Geländewagen vertraut zu machen.


Gabrielle und Karel gingen zunächst in die Kirche. Dort saß Nancy an der Orgel und spielte einige interessante Stücke. Karel war sich nicht ganz sicher, doch irgendwie klangen die Melodien eher weltlich. Dennoch hörte er auch die Unstimmigkeiten des Instruments heraus. »Du, Gabriele, Carsten hat recht. Es ist ein schöner Sound“, flüsterte er Nonno ins Ohr. Dieser nickte nur.

»Oh, ich wusste nicht, dass ich Zuhörer habe. Dann hätte ich mich mehr auf etwas Religiöses konzentriert“, meinte das Mädchen. »Musik ist Musik und jeder kann da hineininterpretieren, was er mag. Miss, selbst Johann Sebastian Bach hat weltliche Musik komponiert. Dabei hat er durchaus auf den liturgischen Musikstil zurückgegriffen. Ich kenne da zum Beispiel die Peasant Cantata. Den Namen trägt sie sicher nicht grundlos.« Nancy grinste etwas verlegen. Drehte sich zu dem Instrument um und begann, das Intro der Kantate zu spielen. Wenige Minuten später beendete sie das Stück. »Ich kenne die weltlichen Stücke des Komponisten. Mein Orgellehrer sagt immer, an ›Bach geht kein Weg vorbei‹.« Dann sah sie die beiden älteren Herren länger nachdenklich an. »Sie sind mit den jungen Herren, Mr Zahradník und Mr von Feldbach, bekannt? Ich hörte, dass Mr von Feldbach sich für den Erhalt dieses Instruments einsetzt“, klang sie vorsichtig fragend. »Ihre Annahme trifft zu. Wir sind deren Großeltern und unterstützen unsere Enkel bei diesem Vorhaben. Wir sind hier, um mit Patrick über die Reparatur des Dachs zu sprechen. Das ist eine Voraussetzung für eine Generalüberholung der Orgel.« »Ja, das geht plötzlich alles zügig voran. Ich frage mich jedoch, wie das alles bezahlt werden soll? Für eine neue Orgel sind die Spenden recht dürftig gewesen“, resignierte Nancy. »Kopf hoch. Wenn unsere Jungs etwas in die Hand nehmen, wird es auch gelingen. Vertrauen Sie Ihnen einfach. Dennoch könne Sie uns dabei unterstützen, indem Sie sich für ein Benefizkonzert vorbereiten. Carsten sprach von einer Orgel-Sinfonie und einem Sonnengesang nach Liszt. Glauben Sie, dass sie so etwas hinbekommen?« »Klar. Zuhause habe ich die Partitur von Camille Saint-Saëns’ 3. Sinfonie. Ich denke, mein Orgellehrer wird mir die Noten des besagten Stücks von Liszt besorgen können. Sonnengesang?« »Ja, es hat etwas mit dem Sonnengesang von Franz von Assisi zu tun. Zuletzt sprach er davon, dass sie ein eigens Potpourri haben. Hat etwas mit Spielen zu tun.« Nancy lacht auf. »Ja, meine kleine Kreation von Melodien verschiedener Videospiele. Mr von Feldbach gab mir dazu den Tipp, den Quintenzirkel intensiver zu üben.« »Wenn er das sagt, dann lohnt es sich, das auch zu tun. Ohne Grund würde ein Dozent des Royal College of Music so etwas nicht sagen.« Karel sah in ein erschrockenes Gesicht. »Mr Von Feldbach ist Dozent am College? Er ist doch blind.« »Und?«, wirkte Nonno etwas ärgerlich. »Nehmen Sie denn Musik mit den Augen wahr oder mit den Ohren? Seine Studenten sind jedenfalls von ihm begeistert. Selbst die Orchester, mit denen er regelmäßig Konzerte gibt, sind von seinen Fähigkeiten überzeugt.« »Sie sprechen doch nicht von Mr Carsten von Feldbach, dem Pianisten?« »Doch, genau von ihm spreche ich. Warum?« »Ich wusste nicht, dass er hier wohnt. Ich kenne einige seiner Konzerte. Mir gefallen seine Interpretationen der Beethoven-Konzerte.« Diesmal nahm Nonno eine gesunde Bewunderung in Nancys Stimme wahr. »Ich war bei einer Probe zu seinem ersten Konzert in der Scala dabei. Da erkannte ich sein Talent, mit den Tasten förmlich zu spielen. Seine Finger gleiten über die Klaviatur und entlocken - ich weiß nicht wie – Töne, die einen berühren. Aber ich weiß auch, dass dahinter sehr viel Arbeit steckt. Um auf das Thema zurückzukommen, er hat ein Orchester gefunden, mit dem Sie das Konzert aufführen könnten. Wenn Sie wollen. So etwas macht er nur bei Musikern, die ihr Instrument beherrschen.« »Ich werde an dem Konzert üben.« Nancys Stimme war fest und überzeugend. Karel nickte lediglich und deutete an, den Pfarrer aufzusuchen.

»Guten Morgen, Patrick. Wir sind etwas spät dran“, entschuldigte sich Gabrielle. »Wir hatten keinen festen Termin ausgemacht. Ich mache mir gerade einen Tee. Ihr sagt doch nicht nein?« Patrick führte seinen Besuch in seinen Arbeitsraum. »Entschuldigt bitte, ich habe nicht aufgeräumt.« »Patrick, es ist ein Arbeitsraum, kein Empfangssalon. Wir sind ja nicht auf einen Höflichkeitsbesuch hier.« »Gut. Ich habe einen Dachdecker an der Hand. Er hat mir einen Kostenvoranschlag gemacht. Karel, ist diese Aufstellung seriös? Es geht um £ 30,000.« Děda nahm die Aufstellung und sah sie sich genau an. »Patrick, wir haben eben Nancy gesprochen. Sie will uns bei dem Konzert helfen. Wie steht es um die Orgel?«, schlug Nonno einen weiteren Punkt an. »Ein Orgelbauer aus Glasgow war vor einigen Tagen da und hat sich das Instrument angesehen. Er hatte wirklich leuchtende Augen, als er das Instrument gesehen hat.« »Das wundert mich eigentlich nicht. Im Vorfeld haben wir schon nach einer entsprechenden Firma gesucht. In einer Antwort erfuhren wir, dass diese Orgel dem Unternehmen nicht unbekannt ist. Mich sollte es nicht wundern, wenn der Orgelbauer auch alte Konstruktionspläne davon hat. Was meinte er denn genau?«, erklärte Gabrielle die Vorgeschichte. »Also, einige Halter der Pfeifen sind schlicht ausgeleiert. Das ist seiner Ansicht nach leicht zu beheben. Anders sieht es mit der Windlade und dem Gebläse aus. Diese müssen wohl komplett erneuert werden. Er würde ein neues, leiseres und effizienteres Gebläse einbauen. Der Platz wäre ausreichend. Die Windlade selbst müsste rekonstruiert werden. Dort hat die Feuchtigkeit das Holz vollständig verzogen. Vorsichtig geschätzt, rechnet er mit allem die Kosten auf nicht mehr als £ 20,000 und ca. drei Wochen Arbeit.« »Meinst du, dass die Diözese etwas beisteuern wird?«, warf Karel dazwischen. »Ich habe mit dem Musikdirektor und dem bischöflichen Baumeister telefoniert. Sie tun, was sie können. Dennoch steht das Dach im Fokus. Der Kirchenbaumeister hat zugesichert, die Kosten komplett zu übernehmen. Für die Orgel müssten wir das Geld aufbringen.« »Erteile den Auftrag. Andreas und Carsten werden die Ausgaben vorlegen. Mit einem Konzert wollen sie die Kosten wieder einspielen. Ich sehe das durchaus realistisch. Die große Unbekannte ist dein Organist.« »Darüber brauchen wir uns keine Gedanken mehr machen. Er wurde zum Generalmusikdirektor einbestellt. Dort wurde ihm der Kopf gewaschen. Er solle kleinere Brötchen backen. Zudem erwartet er mehr Engagement in der Gemeinde. Anschließend musste er noch zum Bischof. Dieser wollte wissen, warum er für ein Alibi herhalten musste. Mr Johnson war wohl sprachlos, dass er so mit einer Unwahrheit konfrontiert wurde. Ich denke, die Beziehung zum Bischof hat sich merklich abgekühlt.« Nonno entwich ein freches Grinsen. »Ein kleines Problem weniger. Carsten möchte nämlich, dass Nancy das Konzert macht. Als Dozent fördert er den Nachwuchs.« »Ist mir recht. Das Mädchen hat sich immer für den Erhalt der Orgel ausgesprochen. Selbst gegenüber den Mitgliedern des Kirchenvorstandes. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Vor allem hat sie Humor. Sie hatte mal Mr Johnson vertreten. Es war schwer, während des Gottesdienstes ernst zu bleiben.« Gabrielle lächelte bei der Umschreibung ihres Charakters. Er mochte es, wenn jungen Menschen deutlich Position bezogen. »Wenn ich euch unterbrechen darf“, räusperte sich Karel. »Die Aufstellung sieht mir sehr solide aus. Dabei hat die Firma wohl auch schon das Problem mit dem Abführen des Wassers berücksichtigt. Darf ich dich fragen, welchen Vorschlag sie zur Regenrinne und dem Fallrohr gemacht haben?« »Es gibt am unteren Rand des Dachs einen 14-Inch-Überstand. Es soll darunter eine 10 Inch breite Rinne angebracht werden. Diese umlaufende Rinne endet in einem Trichter, an dem dann ein Rohr angeschlossen ist. Das Rohr wird an einer verdeckten Stelle an der Mauer befestigt und endet selbst in einer Grube. Von dort aus kann das Wasser versickern oder bei sehr starkem Regen läuft es von dem Gebäude Richtung Friedhof weg. Ich gebe dieser Variante den Vorzug, weil die Gehwege rund um die Kirche dann nicht mehr überflutet werden.« »Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Hast du auch schon einen Termin, wann die Arbeiten beginnen sollen?« »Der Kirchenvorstand hat bereits den Auftrag genehmigt und da die Firma aus der Region ist, werden die Arbeiten bereits Mitte nächster Woche aufgenommen. Der Plan ist, so viel wie möglich parallel zu bewerkstelligen. Insgesamt benötigt der Dachdecker eine Woche. Es bedarf nicht einmal eines Gerüstes. Das Rohr wird mit einer mobilen Hebebühne verlegt.« »Wenn ich also zusammenfassen darf«, begann Nonno, »wird das Dach vor Weihnachten fertig sein. Die Orgel möglicherweise zum Ende des Monats Januar. Dann könnte im Februar das Konzert stattfinden.« »Ganz so optimistisch bin ich nicht, Gabrielle. Ich würde eher das Konzert im März stattfinden lassen«, sah Patrick das Vorhaben realistisch. »Ich rufe mal den Orgelbauer an. Mal sehen, ob es etwas bringt, wenn Mr von Feldbach ins Spiel kommt.« Patrick grinste bei dieser Bemerkung. »Möchtet ihr noch Tee?« Die älteren Herren verneinten. Es wurde auch Zeit, sich auf den Weg zu machen. »Gabrielle, glaubst du, unsere Angetrauten sind schon im Tea Room?« »Ich weiß nicht, wir können ja mal nachsehen. Bis zum Haus ist es ja auch ein ganzes Stück Weg.«

Sie waren gerade hinter dem Pfarrhaus, als ihnen der Organist entgegenkam. Karel schien er schon zu kennen. Ihn sprach er an: »Sie sind doch der Vater dieser Gay-Familie. Sagen Sie ihren Söhnen, dass sie hier nicht willkommen sind.« Karel war sprachlos, so angesprochen zu werden. Gabrielle fand als erster seine Sprache wieder. In einem sehr ruhigen und bestimmten Ton begann er, mit einem leichten italienischen Akzent zu sprechen. »Mr Johnson? Ich habe schon von Ihnen gehört. Es ist nicht sehr höflich, einen älteren Herrn so herablassend anzusprechen.« »Was geht Sie das an? Gehören Sie auch zu diesen Perversen? Halten Sie sich doch heraus …« Sichtlich unbeeindruckt, mit einer noch etwas leiseren, betonten Stimme unterbrach Gabrielle ihr Gegenüber. »Mr Johnson. Mr Zahradník und Mr von Feldbach sind weltoffene junge Menschen. Über jemanden zu sprechen in deren Abwesenheit zeugt von fehlenden Umgangsformen. Ich gebe Ihnen einen gut gemeinten Rat: Legen Sie sich nicht mit der Familie an.« Diese Aussage zeigte Wirkung. Der Organist wirkte verunsichert. »Sie … sie wollen mir drohen?« »Mitnichten. Doch wenn Sie der Ansicht sind, ihre fehlgeleiteten Ansichten weiter zu verbreiten …« Gabrielle machte eine betonte Pause. »… der jungen Familie ihr Leben unnötig schwer machen zu müssen … warne ich Sie. Die Familie zu beleidigen kommt nicht gut. Guten Tag.« Gabrielle drehte sich zu seiner Begleitung um und sie machten sich auf ihren Weg. »Nonno, das war gerade sehr einschüchternd. Woher kannst du das?« »Karl, ich bin Italiener. Glaubst du, in meinem Ristorante geht es immer friedlich zu? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine ruhige, betont sachliche Stimme sehr viel bewirkt. Gepaart mit einer leisen Ausdrucksweise und künstlichen Pausen hat das schon so manchen meiner aufgebrachten Gäste zur Räson gebracht. Doch ich denke wir sollten uns jetzt nach unseren besseren Hälften umsehen.«

Im Tea Room sahen sie sich um. Von Veronica und Antonia keine Spur. »Du, ich muss noch meine Tablette nehmen. Hast du etwas dagegen, hier etwas zu verweilen?«, schlug Karel vor. »Nein, ich bin einem Espresso jetzt auch nicht abgeneigt.« Karel nahm seine Tablette mit einem Schluck Wasser ein und spülte noch einen Schluck Wasser hinterher. Dann schenkte er sich Tee ein.

Ein Mann trat an ihren Tisch und fragte höflich sich zu ihnen setzten zu dürfen. Gabrielle machte eine einladende Handbewegung. »Möchten Sie einen Espresso? Dieser ist wirklich gut.« »Gerne.« Gabrielle winkte der Bedienung und orderte noch einen Espresso für ihren Gast. »Sie sind also ein Freund von Mr Alsabbagh«, umschrieb Gabrielle sein Wissen. »Ich habe Sie öfters am Haus bemerkt.« Sichtlich beeindruckt nickte der Gast. »Zutreffend, ich bin der Bodyguard von den jungen Herren. Da Mr von Feldbach und Mr Zahradník mit ihrem Sohn bei meinem Arbeitgeber zu Besuch sind, habe ich einen freien Tag. Ich habe vorhin die unfreundliche Unterhaltung mitbekommen.« Karel staunte nicht schlecht, dass Mr Muller auch auf den Rest der Familie achtete. »Ja, ein unangenehmer Zeitgenosse.« Gabrielle berichtete von dem Gespräch. »… vielleicht können Sie uns helfen. Es wäre eventuell von Vorteil, meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.« »Was schwebt ihnen da vor?«, grinste der Bodyguard. Gabrielle erläuterte seinen Plan. Der Bodyguard staunte über diese Idee. Nach einer Weile des Schweigens. »Das lässt sich einrichten. Ich habe da auch schon die richtigen Männer im Visier. Dennoch möchte ich das erst von meinem Chef absegnen lassen. Es wäre unvorteilhaft, wenn es sich letztendlich wieder gegen die junge Familie richtet.« Gabrielle und Karl stimmten dem zu. Der Bodyguard trank seinen Espresso aus und verabschiedete sich genau in dem richtigen Moment. Er hielt beim Hinausgehen zwei älteren Ladies die Tür offen. Gabriele sah nach der Bedienung, die seinen Blick auffing. Sie kam zum Tisch. »Ich hätte noch einen Espresso und für die Ladies jeweils ein Kännchen Tee. Möchtest du auch noch etwas?« »Ich hätte ebenfalls noch ein Kännchen Tee.« »Dürfte ich Ihnen einen Vorschlag machen: Wäre eine Kanne Tee nicht vorteilhafter?«, bot die Serviererin an. »Sie haben recht. Streichen Sie meinen Espresso und bringen Sie uns allen eine Kanne Tee. Haben Sie auch Diabetikergebäck?« »Ja. Soll ich Ihnen eine kleine Schale davon bringen?« »Das wäre sehr nett von Ihnen.« Die Bedienung entfernte sich. »Na, ihr beiden? Gabriele, du unverbesserlicher, hast du etwa einen Espresso gehabt? Du änderst dich wohl nie?« »Natürlich nicht. Sonst wäre ich doch nicht dein alter Bär. Wart ihr erfolgreich auf dem Markt?« »Ja, ich habe noch etwas Ziegenmilch besorgt. Jungs, ich hätte nicht gedacht, dass es hier im Norden eine so große Vielfalt auf dem Markt gibt. Du hättest deine Freude allein bei den Gewürzen gehabt“, fasste Nonna kurz zusammen. »Unsere jungen Männer haben sich den richtigen Fleck zum Leben ausgesucht. Ich bin sogar etwas neidisch auf die drei. Cedric wird eine sehr glückliche Zeit haben.« Karel schenkte jedem eine Tasse Tee ein. Danach reichte er die Schale mit den Keksen. »Wer war der Mann an eurem Tisch?« »Der Bodyguard. Er hat einen freien Tag. Ich habe euch doch heute zum Frühstück etwas erzählt. Der junge Mann wird sich um die Ausführung kümmern. Er scheint auch schon die richtigen Personen zu kennen. Doch er möchte es erst mit seinem Vorgesetzten besprechen.« »Dann gibt es keinerlei Verbindungen zu Andreas und Carsten?« »Nein. Milá, konntest du etwas über die Beschädigungen am Spielplatz herausbekommen?« Veronica schüttelte ihren Kopf. »Aber ich habe da noch ein Anliegen. Antonia ich möchte gern noch Wolle kaufen. Können wir nachher einen kleinen Umweg machen?« »Oh ja. Es ist nicht so kalt, dafür trocken und die Sonne scheint. Ich möchte unserem Enkel ein kleinen flauschigen Strampler stricken. Ich habe da so eine Idee und brauche entsprechende Wolle.« »Ist das denn noch in?«, wunderten sie beide Männer. »Andreas war ganz begeistert von meinen Kreationen. Vor allem, weil es modisch war und nicht mit irgendwelchen kindischen Mustern verziert. Ich habe sogar noch seinen Pullover mit einem grünen Schiff drauf. Dazu eine kleine Piratenflagge. Er war im Kindergarten die Fashion-Ikone.« »Oh ja. Ich weiß noch, wie Francesca von anderen Müttern gefragt wurde, wo sie die Sachen gekauft hat.« »Wirst du Cedric diese Sachen geben?« »Warum nicht? Sie sind alle in einem guten Zustand. Andreas hat sogar später noch meine Pullover getragen. Also nicht das mit dem Schiff …« Die Gruppe am Tisch musste verhalten grinsen. »… Cedric wird einmal sehr gut darin aussehen. Doch nun zu euch beiden: Was wollte Patrick von euch?« »Nun, Karel sollte sich einen Kostenvoranschlag zum Dach ansehen. So, wie ich es verstanden habe, eine gute Aufstellung. Oder?« »Ja. Da die Firma auf ein Gerüst verzichtet, könnte das Dach innerhalb einer Woche instandgesetzt werden. Sie haben sogar eine wirklich intelligente Lösung, um das Wasser abzuführen. Jedenfalls wird vor Weihnachten das Dach wieder dicht sein und so, wie es sich anhörte, übernimmt die Diözese diese Kosten. Die Orgel müssten wir finanzieren. Patrick rechnet mit etwa 20.000 Pfund.« Die beiden Frauen sahen sich entsetzt über die hohe Summe an. »Carsten und Andreas haben die Vorfinanzierung zugesagt. Mit einem Konzert sollen Spenden eingesammelt werden. Wir haben Nancy heute spielen gehört. Ich befürchte, das Konzert wird mehr einbringen, als die Reparatur kostet. Sie hat genauso ein Feeling für das Instrument wie Carsten für seins. Das sollte wohl ein guter Grundstock werden, um in Zukunft das Instrument regelmäßig warten zu können.« »Wenn ich Gabriele noch ergänzen darf: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass in Zukunft regelmäßiger Konzerte in der Kirche stattfinden.«

Veronica und Antonia betraten den kleinen Strickladen. »Guten Morgen, Mrs Hoover.« »Guten Morgen, Mrs Bondaz, Mrs Zahradníkova. Benötigen Sie Wolle wie beim letzten Mal?« »Nein, haben sie Kaschmir-Wolle?« Mrs Hoover musste einen Augenblick nachdenken. »Ich glaube … warten Sie bitte einen Moment.« Mrs Hoover verschwand und brachte eine kleine Leiter aus dem Hinterzimmer. »Ich habe im Sommer eine Lieferung erhalten. Da ist sie schon. Ich gestehe, so oft wird diese Wolle nicht nachgefragt.« Dabei stellte sie einen Karton auf den Ladentisch. Veronica sah sich die Auswahl an. »Genau was ich benötige.« Dabei suchte sich Babi einige Farben aus. »Mrs Hoover, wissen Sie, ich möchte meinem Urenkel einen Pullover schenken. Diese Wolle ist genau richtig.« »Sie ist schön weich, kratzt nicht und hält warm. Genau richtig für die kühle Zeit«, beschrieb Mrs Hoover die wichtigsten Eigenschaften. »Sie haben recht. Er ist gern draußen. Besonders auf dem Spielplatz“, flunkerte Babi ein wenig. »Ich habe mich umgesehen. Hat das Dorf keinen Spielplatz?« »Oh, ja. Na, im Augenblick steht ihnen keiner zur Verfügung. Der alte Spielplatz war am Dorfanger. Doch der wird der Straße weichen müssen. Die Vorbereitungen haben bereits begonnen. Die jungen Herren von Rutherford Hall haben eine Fläche für die Kinder zur Verfügung gestellt und dort entsteht ein neuer Spielplatz. Ist das nicht großzügig von den jungen Leuten?« Veronika und Antonia nickten zustimmend. »Sie meinen doch nicht etwa die Baustelle am Dorfrand?« »Doch, genau diese. Ich war mal dort und war erstaunt, wie viel Platz sie den Kindern zur Verfügung stellen. Mrs Palmer erzählte mir, dass ihre Firma dort Kletterwände aufstellt.« »So etwas liebt mein Enkel. Vor ihm ist kein Baum sicher. Je höher, umso besser«, beschrieb Nonna ihre Erlebnisse mit Andreas. »Das mögen meine Neffen auch. Die Gärtnerei von Mrs Hill kümmert sich um die Grünanlage rund um den Spielplatz. Sie berichtete vergangene Tage davon, dass jemand dort einige Bäume und Pflanzen und Spielgeräte beschädigt hat. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass hier in der Gemeinde jemand so etwas machen würde“, berichtete Mrs Hoover. »Vandalismus gibt es leider überall«, mische Antonia mit. »Sagen Sie, Mrs Hoover, haben sie auch Mohair vorrätig?« »Ja, hier drüben. Haben Sie einen bestimmten Wunsch zur Farbe?« »Ich bevorzuge hellbraune und cremefarbene Farbtöne. Es passt besser zum Teint.« Antonia sah sich die Auslage an. Der kleine Nähladen war wirklich gut aufgestellt. »Haben Sie denn schon etwas zu den Beschädigungen gehört? Sie bekommen doch sicher viel mit hier im Zentrum.«, fragte Antonia wie beiläufig. »Nein. Dazu ist mein Geschäft etwas weit vom Herrenhaus entfernt. Jedoch ist Mrs Sanches dort beschäftigt.« »Ich nehme zwei Duzend davon und dann noch von dem blauen, grünen und roten jeweils ein Knäuel.« Mrs Hoover sah überrascht zu der älteren Dame. »Sehr wohl.« »Sie kannten sicher noch Lady Rutherford aus Ihrer Jugend. Hatte sie nicht eine Hausdame?« »Nein, Lady Rutherford starb in den 1960er Jahren in einem Sanatorium in Inverness. Ihre Nichte hatte eine Hausdame, sie lebt heute in einem Seniorenheim. Sie konnte einen sehr guten Apfelkuchen zubereiten. Ich besuche sie hin und wieder und dann reden wir über die alten Zeiten. Agnes berichtet oft von den Parties und dem luxuriösen Leben, welches sie führte. Die Nichte hatte keine Etikette. Nur einen Titel übernehmen macht keine Lady aus jemandem. Letztendlich hatte sie das Gut heruntergewirtschaftet. Die Bank machte ihr ein Angebot, welches sie nicht ausschlagen konnte. Ich glaube, sie ging zurück nach Glasgow.« Dabei packte sie die Wolle in ein eine Tasche. »Das macht dann £ 73,27.« Ohne mit einer Wimper zu zucken, zahlte Veronika den Preis. Antonia hatte sich einige Kneul herausgesucht. Ausreichend für einen Pullover und Strampler für Cedric. »Ich hatte auch ein altes Kuchenrezept von meiner Mutter. Leider ist es durch meine Unachtsamkeit verloren gegangen. Glauben Sie, dass ich die Hausdame um ihr Rezept bitten dürfte?« Mrs Hoover packte auch diese Ware in eine Tasche. »Ich denke schon. Besuchen Sie doch einfach Agnes im Seniorenheim. Ich gebe ihnen die Adresse. Sie freut sich immer über Besuche. Dabei kann sie ihnen mehr über die Familie berichten. Sie kannte noch die echte Lady Rutherford. Das macht £ 53,75.« Antonia lieh sich von Veronika £ 20 und zahlte die Wolle. Beide Ladies verabschiedeten sich, nachdem Mrs Hoover ihr die Adresse geben hatte. Vor dem Laden stand ein Taxi und der junge Mann hielt ihnen charmant die Tür offen. »Rutherford Hall?«, fragte er nach dem Ziel. »Ja«, bestätigte Antonia. »Sie sind der Bodyguard von Andreas und Carsten?« »Ja, Madam.« »Haben Sie nicht frei? Wo doch unsere Jungs bei ihrem Boss sind.« »Ich bin nicht nur Bodyguard. Wie alle meine Kollegen bin ich Kriminalbeamter. Mein Boss rief mich heute Morgen an und bat mich, mehr über die Nichte der Familie Rutherford herauszubekommen.« »Das trifft sich gut. Haben sie morgen Nachmittag Zeit?«, fragte Antonia. »Ja. Benötigen Sie meine Dienste?« Veronika lächelte verlegen wegen der Ausdrucksweise. »Wir möchten die ehemalige Hausdame der Nichte Rutherford besuchen. Sie lebt in einem Seniorenheim in Inverness. Dabei erfahren wir sicher mehr über die Nichte. Bei einer Tasse Tee in geselliger Runde plaudern ältere Damen gerne. Versuchen Sie doch einmal zu erfahren, wer für das Seniorenheim die Rechnungen zahlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine einfache Angestellte sich den Aufenthalt aus ihren Rentenansprüchen leisten kann.« Der Kriminalbeamte zog innerlich den Hut vor diesen beiden Ladies. »Das kann ich machen. Wieso glauben Sie, dass die Familie Rutherford damit zu tun hat?« »Es liegt auf der Hand. Wir haben schon einiges an Lebenserfahrung. Es sollte also niemanden wundern, wenn jemand mit allen Mitteln an Traditionen anknüpfen will. Dreh- und Angelpunkt des Titels ist das Anwesen. Wenn es wieder einen Lord oder eine Lady geben sollte, ist deren Machtzentrum das Manor House.« Ihr Chauffeur dachte über das eben Gehörte nach. An solchen Traditionen wurde krampfhaft festgehalten. Er gestand sich ein, dass er nicht sehr viel über diese Dinge wusste. Daher nahm er sich vor, sich den Nachmittag darüber zu informieren. Veronika rief im Haus an. Das Tor war sicher noch geschlossen und eine praktische Fernbedienung hatten sie nicht. »Paul, Antonia und ich sind gleich am Tor, könntest du es bitte öffnen? Wir sind mit einem Taxi unterwegs.« Das Tor war offen, als das Taxi vorfuhr. »Meine Damen, ist es ihnen recht, wenn ich Sie morgen um vier Uhr abhole? Bis nach Inverness benötigen wir eine halbe Stunde. So sind wir rechtzeitig zur Tea Time dort.« »So machen wir es.« Der Fahrer stieg aus und öffnete galant den Damen die Tür. »Ihr seid in der Stadt erfolgreich gewesen?«, fragte Paul und fuhr fort: »Eure Angetrauten kamen vor einer Stunde zurück und halten gerade eine Siesta.« »Das ist gut. Es ist ja schon ein längerer Weg zum Zentrum. Was hast Du und was hat Luise gemacht?« »Nach dem Brunch hat Luise ihr Bein hochgelegt. Dann kam auch schon unser Sohn mit ihren täglichen Übungen. Als Sohn widerspricht er nicht den Wünschen seiner Mutter. Jedoch als Physiotherapeut hat Luise keine Chance. Im Fitnessraum hat er ihr die Übungen gezeigt, die sie nun täglich machen muss. Es war für meine Frau etwas ungewohnt, Krafttraining zu machen. Ercan erklärte ihr auch den Sinn der Übung. Ich konnte ja nicht einfach tatenlos zusehen. Daher setzte Ercan mich auf das Ergometer und ich durfte erst aufhören, als ich eine Strecke von 10 km hinter mir hatte. So haben Luise und ich viel Zeit verbracht. Ercan verlässt uns morgen schon wieder. Deswegen hat er unsere Übungen koordiniert. Luise macht ihr Krafttraining, während ich auf dem Rad sitze. Damit wir es nicht übertreiben, hat er unsere Übungen synchronisiert. Doch jetzt liegt sie wieder im Salon auf der Couch. Ich bin gerade dabei gewesen, frischen Kaffee und Tee zuzubereiten, als Du anriefst.« »Das trifft sich gut. Zu einem Tee würde ich nicht nein sagen. Dabei können wir uns unterhalten. Ich gehe mal meinen Karel wecken.«

»Veronika?! Wie lange habe ich geschlafen?« »Genug, wie ich finde. Ich wollte dich zum Tee holen. Sieh einmal, ich habe Wolle gekauft.« Karel kam aus dem Bad, wo er sich etwas frisch gemacht hatte. »Wow, die ist aber weich. Möchtest du unserem Urenkel einen Hausanzug stricken?« »Ja, ein Geschenk zu Weihnachten. Was glaubst du, ein Norweger-Motiv?« »Nein, es muss ein lustiges Motiv sein. Wie wäre es mit einer Ente oder einen Hund, so in dieser Richtung?« Veronika vertraute der Meinung ihres Mannes. An der Kaffeetafel wurde eifrig darüber diskutiert. Luise vertrat die Ansicht, dass es für den kleinen Mann ruhig bunt sein durfte. Die Frauen einigten sich auf eine Gruppe von Enten in verschiedenen Farben. »Sag einmal, Luise, kannst du stricken?« »Ja, warum?« »Bis Weihnachten sind noch gute drei Wochen. Wir sollten unseren jungen Eltern ebenfalls Pullover schenken. Das geht aber nur, wenn wir drei zusammenarbeiten. Oder kann noch jemand mit Stricknadeln umgehen? Paul?« »Nun, mit Nadeln kenne ich mich aus. Jedoch zum Nähen von Wunden. Im Notfall könnte ich noch meine Hose flicken, das war es aber auch schon.« »Wie machen wir das mit den Maßen? Wir können schlecht Maß nehmen, wenn es eine Überraschung sein soll.« Antonias Gesicht hellte sich auf. »Daran habe ich schon gedacht. Ich habe mit ihrem Schneider in Milano telefoniert. Er hat mir deren Konfektionsgrößen mit allen Einzelheiten genannt.« Luise lächelte. »Lasst uns das Projekt A-C-C starten. Aus welchem Material?« »Kaschmir und Mohair. Für Cedric nehmen wir Kaschmir. Andreas mag Mohair; ich nehme an, Carsten sieht in Kaschmir ebenfalls sehr gut aus. Obendrein hält es warm.« Luise pfiff leise vor sich hin. »Kaschmir und Mohair sind sehr wertvolle Materialien. Wo habt ihr das denn aufgetrieben?« »Der kleine Nähladen. Das Kaschmir ist sogar ein regionales Produkt. Ich habe 25 Knäuel Kaschmir, das sollte reichen. Antonia hat noch einmal 15 Knäuel Mohair, damit haben wir genug.« Gabriele räusperte sich. »Will ich wissen, was ihr bezahlt habt?« »Nein“, meinte Antonia lapidar. »Cedric trägt tagsüber keine Windeln mehr.« »Ich denke, er ist soweit, sich zu kontrollieren. Außerdem trägt er eine Hose darunter.«

Aus dem Porch ertönten Stimmen. Andrea, Stefano und Ercan waren von ihrem Ausflug zurück. Ercan und Andrea diskutierten heftig miteinander. »Nein, Schwesterchen, es war eindeutig Nessie. Ein Ast würde im Wasser nicht so aufrecht stehen. Die physikalischen Gesetzte gelten auch in Schottland. Ergo würde sich der Schwerpunkt verlagern und ein Gleichgewicht herstellen.« »Ercan, hast du gesehen, wie der Ast unter Wasser ausgesehen hat? Nein! Also spricht nichts dagegen, dass der Schwerpunkt längst ausbalanciert war. Denk doch mal an die Segelschiffe. Glaubst du allen Ernstes, das Schwert eines Bootes ist länger als der Mast?« »Das ist doch ganz etwas anderes. Da kommen noch andere Kräfte zum Tragen. Die Geschwindigkeit, die verdrängte Wassermenge und so weiter. Zusammen bilden sie ein Gleichgewichtssystem.« Stefano hatte sich die Diskussion lange genug angehört. Beide Seiten hatten wirklich gute Argumente. Diese Auseinandersetzung würde bis in die Ewigkeit gehen, es sei denn, es gäbe einen stichhaltigen Beweis für eine Seite. Diesen hoffte er mit seiner Kamera eingefangen zu haben. »Ich werde Paul bitten, die Photos herunterzuladen und wir sehen sie uns auf dem TV an. Die Diagonale sollte groß genug sein, um Details zu erkennen.« Ercan sah seinen Schwager kampflustig an. »Du hältst doch zu deiner Frau.« »Das ist nicht fair. Ich liebe Andrea, das stimmt. Dennoch lege ich sehr viel Wert darauf, mir meine Meinung zu bilden. Du solltest mich kennen. Ich höre mir alle Argumente unvoreingenommen an. Ich sagte ja eben auch, dass Paul die Photos herunterladen soll. Mehr Neutralität geht ja wohl nicht.« Ercan stimmte dem zu. Die drei Streitenden betraten den Salon, wo die Anwesenden die Eintretenden erwartungsvoll ansahen. »Hallo zusammen. Paul, würdest du bitte die Photos von meiner Kamera herunterladen. Dann versuche doch mal, diese auf dem TV darzustellen“, bat Stefano seinen Schwiegervater. Dabei übergab er seine Digitalkamera. »Ich werde mein Möglichstes versuchen. Ihr solltet euch etwas anderes anziehen.« Die drei Neuankömmlinge wandten sich um und gingen. Es dauerte keine viertel Stunde und die Show konnte beginnen. Stefano hatte wirklich viele Photos gemacht und bot allen einen schönen Einblick zu dem Ausflug. Dann kam das Bild mit einem schwimmenden Gegenstand. »Seht ihr!«, begann Ercan, »Es ist Nessie.« »Abwarten, Sohnemann, ich zoome mal ein wenig.« Paul vergrößerte den Ausschnitt und fokussierte das Objekt in den Mittelpunkt. »Also, Ercan, es ist eindeutig ein Ast. Man kann sehr schön noch Blätter erkennen«, meinte Paul. »Ich würde aus Erfahrung sagen, das ist ein armdicker Ast an einem Baumstamm«, stimmte auch Gabriele zu. »Ich schätze den Umfang des Stammes auf etwa 50 cm im Durchmesser und ca. 3 m Länge. Der scheint schon länger im Wasser zu sein. Sieh einmal, hier sieht man noch etwas vom Stamm.« Dabei deutete er auf die Wasseroberfläche. »Andreas könnte jetzt wohl den Winkel bestimmen. Ich meine, das Ende liegt einen Meter unter Wasser.« Ercan sah sich die Darstellung genau an. Er musste zugeben, dass er wirklich mit seiner Behauptung daneben lag. »Da habe ich mich wohl zum Narren gemacht?« »Brüderchen, du bist sicher nicht der Erste und wahrscheinlich auch nicht der Letzte, dem das passiert. Davon lebt doch die Region. Ich gebe dir auch zu bedenken, dass die Existenz von Nessie weder bestätigt wurde noch eindeutig dementiert werden kann. Ich schließe absolut nicht aus, dass dort Tiere leben, die von Größe und Form her Nessie ähneln.« »Außerdem ist Loch Ness eh ein besonderes Gewässer“, meinte Stefano. »Ich meine gelesen zu haben, dass Schottland auf zwei Kontinenten liegt und mitten durch Loch Ness die Bruchkante verläuft. Es ist eine fast gerade Linie zwischen Ost und West. Es wird ja schon Jahrzehnte an dem Gewässer geforscht und es sind noch viele Fragen offe.«, tat Stefano neutral seine Ansicht kund. Paul und Luise nickten ihm zustimmend zu. Danach wechselte das Thema. Antonia berichtete von dem, was sie noch erfahren konnten. Ihre beiden Angetrauten sahen nicht ohne Stolz zu ihnen hinüber. »Dann seid ihr beiden morgen Nachmittag in Inverness? Soll ich euch fahren?« »Nein, wir möchten nicht auffallen. Carstens Bodyguard wird uns fahren. Er muss noch etwas recherchieren. Auf dem Rückweg können wir dann schon mal unsere Ergebnisse zusammentragen. Vielleicht ergibt sich daraus eine neue Bewertung der ganzen Geschichte. Wir helfen mit unseren Fähigkeiten, wo wir können, doch letztendlich ist es besser, die Profis machen zu lassen«, fasste Veronika das Vorhaben zusammen und erntete von allen Zustimmung. In dieser verschwörerischen Runde erläuterte auch Gabriele das weitere Vorgehen in Sachen Organist. Dass er die Kriminalbeamten mit ins Boot geholt hatte, wurde ebenfalls mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Paul resümierte nach einer längeren Pause: »Ich gestehe ein, dass wir in den vielen Jahren, seit Andreas und Carsten zusammen sind, eine gut zusammengewachsene Familie geworden sind. Das schließt auch Stefanos Familie mit ein. Viele Väter sagen, sie würden einen Sohn respektive eine Tochter verlieren. Ich bin stolz sagen zu dürfen, dass ich mehr als nur sehr gute Freunde gewonnen habe. Jetzt weiß ich, was es bedeutet, wenn Carsten meint ›mit meiner Familie ist nicht zu spaßen‹. Er agiert gern im Hintergrund und kann ein Netz spannen. Andreas nutzt seinen scharfen Verstand. Setzt Akzente mit weitreichenden Folgen. Zusammen sind sie schon unschlagbar, doch mit ihrer Familie versetzten sie Berge. Ich bin froh, dass Luise und ich noch glimpflich davongekommen sind. Aber ich lasse das nicht auf uns sitzen. Der oder die Täter gehören bestraft. Ich kenne Mr Alsabbagh. Er und ich arbeiten im Tierschutz zusammen. Was er beruflich macht, hat er mir nie verraten, doch ich spürte, dass dies nicht gefahrlos ist. Ich vertraue ihm und seinem Team, dieses Rätsel zu lösen.« Die Runde fiel für einen Moment ins Schweigen. Dann kam Charaid. Der Kater sah sich kurz um und sprang dann mit einem Satz auf Ercans Schoß. Dort rollte er sich ein und erwartete, gestreichelt zu werden. Ercan ließ sich nicht lange bitten und fast automatisch kraulte er ihn hinter seinem Köpfchen. »Ohne die Hunde ist es dir wohl etwas langweilig, kleiner Stubentiger?«, meinte er. »Stimmt, es ist sehr ruhig im Haus. Hatten die Jungs gesagt, wann sie wieder zurückkommen wollten?« »Am Montag. Sie wollte sich das ganze Wochenende Zeit nehmen. So wie ich Rachid und Bryan kenne, werden sie sicher auch mit ihnen reiten gehen.« »Warst du den ganzen Tag hier?« »Nein, Merlin und ich sind raus zur Cattle-Herde. Ich muss gestehen, diese Bewegung hat mir gefehlt. Es sind wirklich sehr schöne Tiere. Davon abgesehen, dass sie mit ihrem zotteligen Fell wie zu groß geratene Teddybären aussehen, können sich so manche Landwirte von der Haltung noch eine Scheibe abschneiden. Cattle bleiben ja das ganze Jahr auf der Weide. Doch Mr Gilles hat dort einen festen Unterstand errichtet. Eine gut durchdachte Lösung, auch bei sehr viel Schnee den Tieren trockenes Heu anzubieten. Merlin stellte mir auch den Bullen und seine Mutter vor. Man kann noch die Stelle der OP erkennen. Als ich mir diese näher angesehen habe, war ich erstaunt, wie gut der Bruch wieder zusammengewachsen ist.« »Stimmt, Papa. Ich habe die Röntgenbilder ja gesehen und der Gips war auch nicht ohne.« »Es gibt auch keine Einschränkungen in der Bewegung. Ich sah, wie er sich hinlegte und wieder aufstand«, wusste Paul zu berichten. Auch wenn nicht alle Anwesenden damit etwas anfangen konnten. »Wie läuft es eigentlich mit der Studie zu Brüchen bei Extremitäten der Tiere?«, wandte er sich an seine Tochter. »Erstaunlich gut. Ein Fachbereich der Heriot-Watt-University hat einen Prototyp entwickelt. Die Hartschale kann dem Bein eines Cattles ergonomisch angepasst werden. Dazu reicht es, das Material zu erwärmen. Die ausgehärtete Hartschale kann bis 1000 kg belastet werden.« »Das nenne ich schon einen Fortschritt. Wird sie mit Gips kombiniert?« »Kein Gips. Es wird mit einem Kohlefaservlies und einem Polymer angelegt. Das ist noch der Knackpunkt. Es dauert zwei Stunden, bis dieses ausgehärtet ist. Dazu wird das Bein mit UV bestrahlt.« »Zwei Stunden sind viel.« »Ja. Es gibt aber den Vorteil, die OP-Stelle frei zu lassen, ohne dass die Stabilität einbüßt. Damit kann auch eine gute Wundversorgung gewährleistet werden. Letztendlich erhoffen wir uns davon, sekundäre Infektionen zu reduzieren.« Paul dachte über das Gesagte nach. »Sieht nach einem Fortschritt in der Tiermedizin aus. Sicher kann das Verfahren dann später auch bei anderen Tieren angewendet werden.« »Das wird sich zeigen. Bisher ist das Verfahren recht teuer und lohnt sich vom Aufwand her nur bei wertvollen Tieren.« »Das wird sich zeigen, meine Kleine. Sieh einmal, als ich die Praxis eröffnete, gab es viele Geräte noch gar nicht. Für ein CT musste ich zur Tierklinik fahren. Jetzt haben wir selbst eins und die Bilder sind sofort abrufbereit. Gebe dieser Innovation fünf Jahre und dann ist es für jeden guten Veterinär erschwinglich.« »Das wäre zumindest eine Alternative für große Tiere. Mama, was hast du so allein gemacht?« »Ich war nicht allein. Mrs Sanches kam später noch und hat die Gelegenheit genutzt, die Arbeitszimmer zu reinigen. Ich gebe es ungern zu, doch sie macht ihre Sache sehr gut. Das ganze Haus macht einen gepflegten Eindruck. Kein Wunder, dass Carsten ihr vertraut. Nachdem Andreas‘ Zimmer fertig war, hat sie eine Teepause gemacht. Ich habe mich zu ihr in die Küche gesetzt. Wir haben ein wenig geplaudert. In Carstens Büro dauerte es dann doch länger. Sie wollte seine Ordnung nicht durcheinanderbringen. Später bat sie mich, Carsten darauf aufmerksam zu machen, dass sein Arbeitszimmer gereinigt wurde. Sie erzählte mir von dem Moment, als Andreas und Carsten ihr sagten, dass Cedric hier einziehen würde. Sie war ehrlich skeptisch. Zwei Männer und ein Baby, ob das gut gehen würde? Jetzt vermisst sie den kleinen Jungen. Als Carsten in den ersten Tagen mit den Hunden raus ist, bat er sie, ein Auge auf Cedric zu haben. Mrs Sanches hatte gerade den Jungen frisch gewickelt. Dieser grinste sie einfach frech an und die Windel war wieder voll …« Die Runde lachte laut. Im Wissen, dass ihre Kinder gleiches vollbracht hatten. »Habt ihr Wünsche zum Abendessen?«, fragte Nonna plötzlich. »Ich bevorzuge etwas Leichtes«, meinte Luise, »denn ich habe schon etwas zugenommen.« »Mama, wenn du magst, zeige ich dir Übungen, um dem entgegenzuwirken. Dabei wird dein Bein nicht belastet.« »Gewichte stemmen?« »Kleine Hanteln und Gymnastik«, schlug Ercan vor. Dann sah er in das erschreckte Gesicht seiner Mutter. »Keine Angst, du mutierst nicht zu einer Wonder-Woman. Die Hanteln sind ein Ausgleich für die Gehhilfen. Die gymnastischen Übungen sind für den Oberkörper. Dabei wirst du ausreichend Energie verbrennen. Papa hat ähnliche Übungen und ihr könnt diese ruhig zusammen machen.« »Ich werde schon auf euren Vater aufpassen, damit er sich nicht übermäßig anstrengt.« Dabei zwinkerte sie Paul zu. »Etwas Leichtes zum Dinner also“, kam Nonna auf das eigentliche Thema zurück. »Wir haben Fisch«, schlug Nonno vor. »Ja, das klingt gut«, stimmte Nonna zu.


Carsten und Andreas gingen spät zu Bett. Cedric schlief friedlich in seinem Bett und die Hunde lagen daneben. Sie sahen kurz auf, als ihre Herrchen das Zimmer betraten. Andreas sah nach ihrem Sohn. Wie so oft hat er sich etwas freigestrampelt. Behutsam deckte er ihn wieder zu und gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn. Nach dem Besuch im Bad gab auch Carsten Cedric einen Kuss. Danach legten sie sich leise hin. Andreas kuschelte sich bei Carsten ein und schlief schnell ein. Mitten in der Nacht wurde Carsten durch ein Geräusch geweckt. Cedric schien schlecht zu träumen. Leise stand er auf und ging zu dem Bett hinüber. Vorsichtig tastete er nach dem kleinen Mann. Cedric war wach und wimmerte leise. Er strich dem Jungen über die Stirn. Überrascht stellte er fest, dass diese sich sehr warm anfühlte. Er nahm den Jungen aus dem Bett. »Na, kleiner Mann, du hattest wohl keinen schönen Traum? Deine Papas passen auf dich auf. Glaubst du, dass du bei uns besser schlafen kannst?« Der kleine Mann kuschelte sich an seine nackte Brust und sein kleiner Körper entspannte sich. Carsten nahm das als seine Zustimmung. Gemeinsam legten sie sich wieder hin. »Hat Cedric schlecht geschlafen?«, flüsterte Andreas. »Sieht ganz danach aus. Es sind auch sehr viele neue Eindrücke auf ihn eingestürmt. Kein Wunder, dass es ihn überfordert.« »Nun es ist unser Job, ihn zu beschützen.« Andreas rückte ein wenig zur Seite. Den kleinen Mann deckte er behutsam zu. Dabei spürte er, wie warm der kleine Körper war. »Tiger, morgen früh messen wir seine Temperatur. Er scheint mir gerade erhöhte Temperatur zu haben.« »Ja, noch gibt es kein Grund zur Besorgnis. Lass uns erst einmal einfach schlafen.« Carsten hatte sich gerade wieder zugedeckt, da vernahm er schon wieder die regelmäßigen Atemzüge von Cedric.

Der nächste Morgen brachte Andreas einen wunderschönen Anblick. Carsten lag auf dem Rücken und Cedric lag auf seinem Bauch. Instinktiv klammerte er sich an seinem Papa fest. Carsten selbst hatte einen Arm schützend um den kleinen Körper gelegt. Cedric war aber nicht ganz untätig. Im Halbschlaf nuckelte er an Carstens Brustwarze. »Bist du schon wach?« »Ja, die Saugreflexe haben mich geweckt. Unser Sohn sabbert ein wenig. Was glaubst du, wie lange du dann noch ruhig weiterschlafen kannst?« »Es ist aber ein schönes Bild.« »Das sicher auch. Cedric hat ein sehr feines Aroma.« Carsten bewegte sich etwas. Cedric stoppte mit seiner instinktiven Tätigkeit und schlug seine Augen auf. Dann gähnte er herzhaft. »Guten Morgen, Cedric. Hast du gut geschlafen?« Der kleine Mann auf Carstens Brust antwortete mit seinem strahlenden Lächeln. »Lust auf ein erfrischendes Bad? Dabei befreie ich dich von deiner vollen Windel.«

Gesagt, getan. Während Andreas sich um Cedric kümmerte, machte sich auch Carsten frisch. Nachdem der kleine Mann sein Tagesoutfit trug, übergab er ihn Carsten. »Mal sehen, ob wir schon etwas zum Frühstück für dich auftreiben können. Mit viel Milch konnte ich ja nicht dienen. Wo sind denn eigentlich deine beiden Teddybären auf vier Pfoten hin?« Leonardo und Salvatore kamen ihnen auf der der Treppe entgegen. »Dada! Dada!« »Guten Morgen, Carsten. Guten Morgen, Cedric«, wurden sie von Rachid begrüßt. »Little Gray und eure Hunde waren schon draußen. Sie kamen vor einer halben Stunde. Da hat Bryan sie mit rausgenommen, als er die Tiere versorgte.« »Guten Morgen, Rachid. Guck mal, Cedric, wer da ist!« Cedric drehte seinen Kopf und sah aus großen Augen Rachid an. »Dada?« »Nein, das ist Rachid. Wollen wir ihn einmal fragen, ob wir für dich ein Frühstück haben?« Der kleine Mann auf Carstens Arm guckte fragend. »Klar, kommt mit in die Küche.« Carsten folgte einfach der Stimme. Davon abgesehen, dass er den Weg schon kannte. »Was möchtest du denn haben?«, wandte sich Rachid an Cedric. Carsten sah sich bemüht, stattdessen zu antworten: »Eine Hafermilch. Am besten mit Kuh- und Schafmilch. Falls du hast.« »Ich kann mit beidem dienen. Aaron bevorzugt ebenfalls Kakao aus beiden Milcharten. Eigentlich ist das aus der Not geboren. Aaron war als Baby untergewichtig. Sein Arzt meinte, dass die fettreiche Schafmilch dem entgegenwirken würde. Seitdem haben wir beide Milcharten.« Rachid half Carsten bei der Zubereitung. Als Andreas die Küche betrat, war Carsten dabei, Cedric zu versorgen. »Guten Morgen. Na, Cedric, ich sehe, dir schmeckt es.« »Oh ja. Er inhaliert förmlich den Inhalt. Im Übrigen: Seine Temperatur ist wieder normal.« »Das ist schön. In dem Buch über die Anatomie von Babies und Kleinkindern gab es dazu ein Kapitel. Es ist durchaus normal, dass in bestimmten Situationen die Körpertemperatur schon mal um zwei Grad höher ist. Von Fieber wird erst gesprochen, wenn diese Temperatur länger Zeit bestehen bleibt. Du sagtest ja, Cedric hat wahrscheinlich schlecht geträumt. Eine natürliche Reaktion. Obendrein sollte man dann auch richtig die Temperatur bestimmen. Gefühlte Temperaturen sind oft trügerisch.« »Andreas hat seine Aufgaben gemacht“, grinste Rachid. »Na ja, in den Monaten vor der Adoption habe ich mich oft mit seiner Pflegerin unterhalten. Dabei habe ich auch viel gelernt. Carsten kann die Temperatur des Badewassers recht gut bestimmen. Ich nehme dazu immer das Badethermometer«, beichtete Andreas. Rachid schüttelte seinen Kopf und Carsten nickte bestätigend. »So schätze ich dich auch ein, Andreas. Das Wohlergehen des kleinen Gentlemans steht bei dir im Vordergrund. Selbst wenn es zusätzliche Arbeit bedeutet“, resümierte Rachid. Die Unterhaltung wurde durch einen hörbaren Rülpser von Cedric unterbrochen. »So, der kleine Mann ist vorerst statt.« »Wie lange hält dieser Zustand an?« »Aus Erfahrung der letzten Wochen etwa zwei Stunden. Diese Zeit über ruht er sich mehr oder weniger aus. Danach will er beschäftigt werden.« »Dann haben wir Zeit, das Frühstück vorzubereiten. Mögt ihr Tee oder Kaffee?« »Zu einem Kaffee würde ich jetzt nicht nein sagen.« »Kommt sofort. Lewis trinkt auch lieber Kaffee als Tee.«

Während Carsten den kleinen Mann in sein Bett brachte, half Andreas bei den Vorbereitungen. »Andreas, euer Bodyguard hat heute schon angerufen. Er berichtete von einem Plan deines Großvaters, Mr Johnson in seine Schranken zu weisen.« »Ist das der Paten-Plan? Dann habe ich nichts dagegen.« »Paten-Plan?«, hakte Rachid nach. »Ich nenne ihn so. Ein Bekannter meines Nonno ist Schauspieler. Seine Paraderolle ist, den Paten einer Familie überzeugend zu spielen. Nonno hatte mal ein Bankett organisiert und der Kunde wollte nicht zahlen. Selbst für meine Familie sind umgerechnet 800 Pfund eine Menge Geld. Also bat er seinen Bekannten, als Pate aufzutreten. Die Wirkung war grandios. Es dauerte keine drei Stunden und die Rechnungen wurden beglichen.« »Wenn dem so ist. Ich habe grünes Licht gegeben. Mr Johnson braucht wirklich mal einen ordentlichen Dämpfer.«

»Abba, hast du schon Kakao gemacht?«, stürmte Aaron in die Küche. Andreas schmunzelte verhalten. Der kleine Mann trug einen Schlafanzug mit vielen bunten Comicfiguren. »Ich bin gerade dabei. Kannst du noch fünf Minuten warten?« Aaron sah nachdenklich drein. »Ja, ich gehe mich waschen.« Daraufhin verschwand er wieder. »Abby, weißt du, wo mein blaues Shirt ist?«, fragte Sami wenig später. »Es ist noch in der Wäsche. Meinst du nicht, dass dein Teddy sich auch freuen wird, aus dem Schrank zu kommen?« »Bestimmt. Danke, Abby.« »Teddy im Schrank?« »Es ist ein Shirt mit einem Teddybären-Motiv. Bis vor einem halben Jahr war es sein bevorzugtes Shirt. Unsere Söhne haben alle eine große Auswahl an Sachen. Manchmal muss man die älteren Sachen wieder ins Gedächtnis rufen. Das wirst du auch noch lernen. Wie ist der Kaffee?« »Gut.« Demonstrativ nahm Andreas einen kräftigen Schluck. Dann schenkte er auch eine Tasse für Carsten ein. Dieser kam wenig später zurück. Im Schlepptau Leonardo und Salvatore. »Andreas, haben wir noch Rationen für die Hunde?« »Nein. Dosenfutter?« »Wenn ihr frisches Futter machen möchtet: Bryan macht für Little Gray jeden Tag frische Rationen. Der Wolfshund verträgt das Dosenfutter nicht.« »Das wäre wirklich nett. Ich kenne die Mengen auswendig, Bryan müsste mir nur sagen, was es ist.« »Das mache ich gern. Guten Morgen. Rachid, ich habe die Stute in ihre Box gebracht. Sie wird wohl in den nächsten Tagen fohlen.« »Gibt es Komplikationen?«, fragte der Sohn des Tierarztes. »Nicht wirklich, es ist ihr erstes Fohlen und sie wirkt auf mich nervös. Da ist es besser, gegebenenfalls in der Nähe zu sein. Hast du Erfahrung?« »Ja, ich habe Papa so manches Mal bei schwierigen Geburten beigestanden. Einmal wurde er zu einer Zwillingsgeburt bei einem Rind gerufen. Eines der Kälber lag falsch. Papa hat es nach dem ersten Kalb drehen können. Dann wurde es schweißtreibend. Eine Schlinge um die Hinterbeine und dann gemeinsam mit den Kontraktionen ziehen. Ich war danach wirklich erschöpft. Aber Papa erzählte mir, dass sich die Arbeit gelohnt hat. Nach dem ersten Trockenreiben der Kälber kümmerte sich die Kuh vorbildlich um beide Kälber. Auf dem Nachhauseweg meinte Papa, dass solche Momente ein Grund sind, warum er Tierarzt geworden ist. Hilfestellungen beim Start ins Leben sind seine schönsten Momente.« »Das sehe ich auch so. Ich habe schon so manchem Fohlen auf die Welt geholfen. Wenn es versucht aufzustehen. Die ersten Schritte zur Mutter macht, um dann zu trinken, es lässt mich die Anstrengungen vergessen. Bryan, wir reiten heute aus.« »Carsten, Andreas, benötigt ihr einen Sattel?« Wie aus einem Mund wurde die Frage verneint. »Gut, ich habe da auch schon die passenden Pferde für euch beide.« »Was ist mit Cedric? Ich würde ihn ungern allein lassen.« »Wir fragen Lewis, ob er auf ihn aufpassen möchte. Ich denke, er hat sowieso noch einen Kater von der Party.« »Deine kleinen Männer reiten mit euch?« »Klar, Sami reitet bei mir und Aaron bei Bryan. Die beiden lieben es, wenn der Wind um ihre Nasen pfeift.« Währenddessen machten Bryan und Carsten Rationen für die Hunde. Bryan staunte nicht schlecht, dass Carsten es recht genau nahm. Bei Little Gray kam es auf etwas mehr oder weniger nicht an. Andreas half Rachid bei den Vorbereitungen zum Frühstück. »Die Schokocreme nicht vergessen“, grinste Rachid. Andreas nahm das Glas und stellte es auf den großen Tisch. »Morgen zusammen“, grüßte Lewis. »Carsten, ich habe Cedric mitgebracht. Ich habe den kleinen Mann weinen gehört und dachte mir, er vermisst euch.« Lewis übergab Cedric Carsten. Der kleine Mann beruhigte sich daraufhin. Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch. Cedric hielt sich demonstrativ an seinem Papa fest. Carsten gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Baba«, giggelte er. »Streichen wir das mit dem Ausruhen. Andreas, würdest du für ihn noch etwas Fruchtiges zum Frühstück vorbereiten? Ich möchte ihm ungern etwas voressen.« »Einen flüssigen Bananenbrei mit Vanille?« »Ja, nicht zu flüssig, dann probieren wir es schon mal mit dem Löffel.« Während er sprach, beschäftigte er sich mit seinem Sohn. Cedric war neugierig, was um ihn herum passierte. Dann sah er die Hunde die Küche betreten. Mit seiner freien Hand zeigte er auf sie und kommentierte alles mit seinem ›Dada‹. Leonardo kam zu ihm. So gerade in Reichweite versuchte Cedric ihn zu erhaschen. Carsten gab seinem Hund ein Zeichen und dieser sprang mit seinen Vorderpfoten auf seine Beine. Jetzt konnte der Junge den Hund tätscheln und streicheln. Leonardo, nicht ganz untätig, schnuffelte und leckte die kleine Hand etwas. Erstaunt stoppte Cedric seine Tätigkeit. »Abba! Dada!«, drückte er sich lautstark aus. »Ja, Cedric. Leonardo mag dich auch. Doch mir scheint, er möchte gern etwas essen. Erlaubst du ihm das?« Carsten wählte bewusst diese Formulierung. Cedric giggelte und bestätigte mit einem bestimmten ›Da!‹ Carsten gab das Kommando, damit sich die Hunde über ihre Rationen hermachen durften. »Unser Sohn macht sich. Neue Silben und er beginnt damit zu spielen, um sich auszudrücken.« Bryan bestätigte diese Aussage mit einem zustimmenden Kopfnicken. Dann kamen auch Sami und Aaron zum Frühstück. Beide holten sich von ihrer Familie einen Kuss und bedachten ihre Väter mit einem feuchten Schmatzer. Danach setzten sie sich mehr oder weniger auf ihre Plätze. Aaron kniete auf seinem Stuhl. So konnte er ohne weiteres alles praktisch übersehen. »Abba, ich hätte ein Schokobrötchen.« Rachid schenkte erst Kakao ein und machte sich daran, seinem Jüngsten ein Brötchen zu schmieren. Sami nahm sich die zweite Hälfte und legte sich eine Scheibe Käse darauf. »Abba, dürfen wir heute auf dem Spielplatz toben?« »Heute Nachmittag. Nachher möchten wir reiten“, unterbreitete er den Vorschlag. »Darf ich heute bei Dir mitreiten?«, fragte Sami. »Oh ja. Dann reite ich bei Abba mit“, mischte Aaron sofort mit. Die beiden Väter stimmten dieser Variante zu. »Sorry, ich bleibe hier. Ich glaube, ein Bier war gestern nicht mehr frisch«, umschrieb Lewis seinen Zustand. »Ich könnte dann mit Cedric etwas unternehmen. Er spielt doch schon?« »Danke. Ja. Wir haben seine Lieblingsspielzeuge mit. Du musst nur aufpassen. Er koordiniert seine Bewegungen noch nicht so gut und kann schon mal unter Begeisterung wild gestikulieren.« »Carsten hat schon Erfahrung mit seinen Boxkünsten gemacht«, lachte Andreas. Cedric ließ seinem Papa eine kleine Pause. Carsten trank von seinem Kaffee und Andreas reichte ihm ein belegtes Brötchen. Dann tastete er nach der Schale mit dem Bananenbrei. Der Junge auf seinem Arm sah ihm erwartungsvoll zu. Geschickt tauchte er einen kleinen Löffel hinein und führte ihn in Richtung des Babys. Cedric reagierte. Mit seinem freien Händchen half er Carsten, seinen Mund zu treffen. Andreas staunte nicht schlecht, wie koordiniert Cedric sein konnte. »Heute scheint der kleine Mann uns permanent überraschen zu wollen.« Als ob Cedric Andreas verstand, äußerte er sich mit ›Baba‹. Giggelte, spuckte dabei etwas Brei aus. Am Tisch wurde es einen Moment still. »Ihh, Cedric sabbert!«, kommentierte Aaron den kleinen Vorfall. Rachid sah ihn kurz an. »Das passiert kleinen Männern schon mal. Aaron, da ist nichts Ekeliges bei. Du hast das auch gemacht.« »Wirklich, Abby?« »Ja“, fügte Bryan hinzu. Dann besann er sich und wechselte das Thema. »Carsten, ich habe erfahren, dass du dich für das Brachland hinter eurem Grundstück interessierst. Ich habe mir erlaubt, beim Katasteramt eurer Grafschaft eine entsprechende Anfrage zu stellen. Das Land gehört eurer Gemeinde. Die würde es gerne veräußern, weil es sich als Bauland nicht eignet.« »Ich weiß. In den vergangenen Jahren wurde die Fläche überwiegend herumziehenden Herden zur Verfügung gestellt. Wahrscheinlich um die teure Pflege zu vermeiden«, ergänzte der Angesprochene. »Du willst das Land pachten?« »Eigentlich erwerben. Sieh einmal, das Land gehörte ursprünglich zum Anwesen. Es ist leicht abschüssig und recht feucht. Dort standen, laut Mr Goodman, Wirtschaftsgebäude. Ich will jetzt kein Farmer werden, doch wir könnten es verpachten. Alternativ selbst nutzen. Ein eigenes großes Gewächshaus, vielleicht ein paar Tiere wie Hühner, Gänse und so weiter. Der Vorteil ist, um das Haus eine größere Pufferzone einzurichten.« Andreas dachte über das Gehörte nach. Gut, er kannte den Bereich nicht genau. Dennoch wusste er, dass Carsten solche Überlegungen nicht ohne sinnvolle Gründe anstellte. »Ich sehe es mir an und dann sehen wir mal, ob es eine lohnende Investition ist.« Carsten nahm es zufrieden zu Kenntnis. Bryan und Rachid sahen sich an. Ihre Gäste hatten eine sehr respektvolle Art, miteinander zu kommunizieren. Vorbehaltlos hörten sie sich die Argumente des anderen an. Selbst wenn die Gründe nicht offensichtlich waren. Cedric babbelte zwischen zwei Löffeln Brei munter weiter, brachte damit die Runde immer auch mal zum Schmunzeln. Aaron saß Cedric am nächsten. Immer, wenn der Junge Brei ausspuckte, nahm er seine Serviette und wischte den Mund vorsichtig wieder sauber. Cedric schien es zu gefallen und lächelte Aaron zufrieden an. »Sieht so aus, Aaron, als hast du einen neuen Freund gefunden.« Das Lob ging dem kleinen Mann wie Balsam die Seele hinunter. »Ja. Cedric ist auch so süß. Kann er nicht mit uns reiten?« »Es ist noch zu früh, Aaron“, begann Carsten. »Sein kleiner Körper ist noch nicht so stark wie deiner.« Dann wandte sich Aaron direkt an Cedric. »Oh, wenn das so ist. Dann warten wir. Beim nächsten Mal reiten wir zusammen!« Cedric giggelte und fuchtelte mit seinem Ärmchen herum.

Nach dem Frühstück bemerkte Carsten, wie der kleine Mann auf seinem Arm immer ruhiger wurde. Er bat Lewis, ihn in sein Bett zu legen. »Lewis, Cedric wird jetzt wohl wieder etwas länger schlafen. Dennoch bitte ich dich, regelmäßig nach ihm zu sehen. In seinem Bett sind sein Ring und sein Teddy. Neben dem Wickeltisch ist seine Tasche mit einigen Utensilien. Vielleicht musst du ihm noch einmal frische Sachen anziehen. Windeln trägt er tagsüber nicht mehr. Ich denke, du hast schon genug Erfahrungen mit deinen Brüdern gemacht.« »Darf ich das Babyphon benutzen?« »Natürlich. Wenn er beschäftigt werden möchte, meldet er sich. Cedric erkundet schon seine nähere Umgebung. Du kannst mit ihm auch spazieren gehen. Andreas wird noch eine Flasche mit seiner Lieblingsmilch vorbereiten. Wir verzichten auf industrielle Fertigmilch. In seiner Tasche haben wir auch mehrere Schnuller. Der kleine Mann variiert gerne, da probiere einfach die verschiedenen Größen aus. Ansonsten ist er sehr pflegeleicht.« Lewis bestätigte die Vorgaben.

Bryan führte die Gäste in den Pferdestall. Dort wählte er die Pferde aus. Dann machte sich die Gruppe auf. Andreas sah, wie Aaron bei Rachid auf dem Hengst saß und sich an der Mähne festhielt. Sami hielt sich an den Zügeln fest. In gemächlichem Tempo ritten sie in Richtung des Strands. Rachid sah sich nach Carsten um. Obwohl ihm das Tier unbekannt war, saß dieser sehr sicher auf dem Rücken und fühlte die Bewegungen. Andreas machte sich auch sehr souverän auf dem Rücken des Tieres. Dann erhöhen sie das Tempo. Die Gäste hatten keine Schwierigkeiten mitzuhalten. Selbst die begleitenden Hunde sprinteten mit viel Freude hinterher. »Rachid, du und Bryan könnt ruhig schneller reiten. Ich bleibe bei Carsten. Eure kleinen Gentlemen würden sich über mehr Fun sicher freuen.« Der Angesprochene nickte lediglich und begann anschließend zu galoppieren. Auch Bryan wechselte in den Galopp. Sowohl Sami als auch Aaron freuten sich über das erhöhte Tempo. »Na Tiger, gefällt es dir?« »Ja, ich habe gar nicht bemerkt, wie sehr mir das fehlte. Wäre das nicht auch etwas für uns?«, schlug Carsten vor. »Lass uns ein paar Nächte darüber schlafen. Ich kenne mich in der Pferdehaltung nicht sehr gut aus. Ich kann ja auch Paul um Rat fragen«, lehnte Andreas den Vorschlag im Grundsatz nicht ab. »Danke«, klang Carsten zufrieden. »Du, kann es sein, dass dein Pferd nicht rund läuft?«, machte Andreas seinen Gatten darauf aufmerksam. »Du hast es bemerkt?« »Ja. Paul und Andrea haben mir bei unseren Ausritten so manches beigebracht.« »Das Tier schont ein wenig seinen rechten Hinterlauf. Ich werde Rachid darauf ansprechen. Warst du sehr überrascht wegen meiner Idee, das Land jenseits des Parks zu erwerben?«, fragte Carsten vorsichtig an. »Nein, nicht wirklich. Ob du es glaubst oder nicht, meine Gedanken gingen in die gleiche Richtung. Ich war auch schon mit Edward öfters dort. Das Wasser für den Bach in unserem Park stammt ausschließlich von diesem Gelände. Leider konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen, warum das so ist.« »Hm. Mr Goodman erwähnte eine alte Mühle auf dem Gelände. Also muss dort irgendwo auch eine ausreichende Menge Wasser sein. Vielleicht ist der Bach dort versumpft?« »Nun, über ein Jahrzehnt sich mehr oder weniger selbst überlassen ist das sehr wahrscheinlich. Ich kann ja mal sehen, ob ich dort entsprechende Hinweise finde.« »Wo sind eigentlich Leonardo und Salvatore?« »Die beide haben Spaß am und im Wasser. Mich freut es, wenn sie sich nach der wenigen Bewegung jetzt auspowern.« »Du kennst unsere beiden Fellknäuel wirklich gut. Zuhause wuseln sie viel herum. Ich weiß nicht einmal, ob sie sich mehr im Garten als im Haus aufhalten. Gut, zurzeit bleiben sie in Cedrics Nähe. Dennoch, wenn Mrs Sanches, Edward oder Merlin im Garten sind, nutzen beide die Gelegenheit.« »Sie fühlen sich wohl. Es ist ihr Zuhause.« »Wurde auch Zeit. Gerade Leonardo war in der ersten Zeit oft verspannt.« »Du lässt ihm und Salvatore auch mehr Freiheiten als in London.« »Kunststück. Der Garten in London war auch nur einen Bruchteil von dem, was du ihnen hier geschaffen hast. Beide haben einen Bereich, wo sie tun und lassen können, wonach ihr Herz steht. Ich möchte echt nicht wissen, wie viele Löcher sie dort schon gebuddelt haben. Weiter werden ihre Instinkte gefordert. Allein für ihre Nase gibt es immer neue Eindrücke. Nicht zuletzt treffen sie auch auf andere Hunde und knüpfen Kontakte. Mir ist aufgefallen, dass Salvatore Leonardo immer öfters auf unseren Spaziergängen unterstützt.« »Das ist mir auch schon aufgefallen. Wenn ihm etwas suspekt erscheint, macht er Leonardo darauf aufmerksam. Er ist sensibler geworden. Vor allem, was in seinem Revier vor sich geht. Das hat er bei Cedric bewiesen.« Carsten stimmte Andreas zu. Dann spielte ein schelmisches Lächeln um seinen Mund. »Leonardo, Salvatore! Machen wir mal etwas mehr Tempo.« Kurz darauf galoppierten auch die beiden Gäste, begleitet von zwei treuen Seelen. Die den Pferden die Richtung vorgaben. Rachid und Bryan hatten ihre Tiere beruhigt und warteten auf die Gäste. »Ich hätte nicht gedacht, dass Carsten sich so sicher auf dem Pferd fühlt“, beobachtete Bryan die beiden. »Ja, Carsten und Andreas fühlen die Bewegung der Pferde und reagieren entsprechend. Paul hat ihnen wirklich das Wesentliche des Reitens beigebracht. Ich würde mir keine Gedanken machen, wenn sie selbst Pferde halten. Guck dir mal die Hunde an. Auch ohne den direkten Kontakt wissen sie, worauf es ankommt und sorgen für ihre Sicherheit.« Rachid machte sich durch einen lauten Pfiff aufmerksam. Leonardo lenkte daraufhin die Gruppe auf die Wartenden zu.

»Abba, ist Carsten wirklich blind?«, fragte Aaron. »Ja, warum?« »Er reitet auf Wind of Sahara so sicher. Wie kann er denn wissen, wohin das Pferd will?« »Seine Augen sind die von Leonardo. Sein Hund bestimmt die Richtung. Die beiden sind ein Team.« »Und woher weiß Leonardo, wohin er muss?« »Carsten gibt ihm ein Kommando und das versteht der Hund. Weißt du, ein Blindenführhund wird speziell auf sein Herrchen ausgebildet. Sie entwickeln eine eigene Sprache. Nicht nur aus Worten. Ich kannte seinen ersten Hund. Da brauchte es nur sehr wenige Worte. Carsten gab ihm ein kleines Zeichen und Arco reagierte entsprechend. Leonardo weiß also immer, wohin Carsten möchte.« Der kleine Junge vor Rachid sah sich die Situation interessiert an. Bryan konnte sehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete. »Hier sind wir, Leonardo!«, rief er dem Hund zu. Nur einen Augenblick sah er dem Hund in die Augen und dieser korrigierte ein wenig die Richtung. Als die Gruppe nah genug war, bat Aaron seinen Vater, ihm vom Pferd zu helfen. Erstaunt sah Rachid, wie Aaron wartete und dann Leonardo in Empfang nahm. Er fragte Carsten, ob er Leonardo streicheln dürfe. »Na klar. Leonardo mag es besonders, hinter den Ohren gekrault zu werden.« Aaron kniete sich vor den Hund und wuselte mit seinen Händen durch das Fell. Der Hund genoss es sichtlich.

Auf dem Gut zurück, ging es erst einmal darum, sich um die Pferde zu kümmern. Selbst Carsten war tatkräftig dabei, sein Tier trocken zu reiben. Anschließend striegelte er das Pferd, so als habe er nie etwas anderes gemacht hätte. Wind of Sahara genoss die Pflege. »Rachid, beim Reiten ist mir aufgefallen, dass sie Probleme im rechten Hinterbein hat. Möglich, dass der Huf nicht in Ordnung ist.« »Ich sehe mir das sofort an. Hältst du sie mal fest.« Carsten tat, wie ihm geheißen und Rachid hob gekonnt das Bein an. Tatsächlich, zwischen der Hornhaut und der Ferse gab es eine kleine Wunde. »Sie hat sich verletzt. Ist aber schon etwas älter. Die Wunde hat sich entzündet. Ich kümmere darum.« Rachid ließ das Bein los und ging in den Stall. Wenig später kam er mit der entsprechenden Ausrüstung zurück. Wieder hob er das Bein an und säuberte mit einem Messer die Wunde. Carsten roch den typischen Geruch von Wundeiter. Auch das Pferd schien etwas unruhig zu werden. Carsten sprach beruhigend auf das Tier ein. Lenkte es von der Behandlung ab. Dann hörte er ein Zischen und Wind of Sahara zuckte etwas. »So, das war es schon. Die Wunde habe ich gereinigt und desinfiziert. Zum Schutz habe ich ihr einen Lederschuh übergestreift. Ich werde sie erst einmal in eine freie Box stellen. Ich muss noch ihre ausmisten.« Carsten nickte. »Andreas, bist du schon fertig? Es gibt noch etwas zu tun.« »Das müsst ihr nicht machen.« »Quatsch. Paul würde mir die Ohren langziehen. Nach dem Vergnügen kommt die Arbeit. Zeige mir ihre Box und ich miste aus«, tat Carsten bewusst kund.

Die sechs machten sich daran, einige Boxen zu säubern. Bei Carstens Pferd dauerte es am längsten. Nach dem Auskehren der letzten Reste wurde der Boden geschrubbt und desinfiziert. Anschließend verteilte Bryan mit Sami frisches Stroh. Nach eineinhalb Stunden war auch das geschafft. Lewis, mit Cedric im Tragetuch, brachten den fleißigen Arbeitern zwischendurch Erfrischungen. Der kleine Mann beobachtete sehr neugierig die Situation. Ihm schien der Geruch nichts auszumachen. Dennoch bat Carsten Lewis, Cedric nicht zu lange dem Geruch auszusetzen. »Wir gehen jetzt mit Little Gray etwas Gassi.« »Hat er denn zwischendurch seine Flasche bekommen?« »Sicher, er hat sich lauthals beim Service beschwert«, meinte Lewis nicht ganz ernst. »Die Flasche hat er geleert und sein Rülpser war nicht ohne. Danach habe ich ihn umziehen müssen. Abba, ich habe eine Maschine Wäsche angeworfen. Im Übrigen ist Cedric ein sehr redseliger Zeitgenosse. Wir haben gemeinsam eine Bildergeschichte gelesen.« »Ja, da ist er begeistert dabei.«, bestätigte Carsten. »Doch jetzt geht mal an die frische Luft. Eventuell werden die Hunde euch begleiten.«

Lewis verließ den Stall. Wie Carsten vermutete, schlossen sich Leonardo und Salvatore ihnen an. »Warum hast du die beiden hinausgeschickt?«, hakte Andreas nach. »Riechst du die Gase nicht? Methan, Ammoniak und was Faulgase so ausmachen. Sind zwar in geringen Konzentrationen und schaden uns nicht. Für Cedrics Organismus sind sie aber möglicherweise schädlich.« »Da hätte ich eigentlich auch drauf kommen können.« »Hättest du. Ich weiß es von Papa. Also nicht, weil ich in Chemie besonders aufgepasst hätte.«

Rachid führte Wind of Sahara in ihre saubere Box. Bryan füllte den Trog mit Pellets auf und stellte noch einen Eimer mit Wasser hinein. Anschließend gingen sie ins Haus, um sich frisch zu machen. »Was haltet ihr von einer Pause? Lewis ist auch gleich wieder zurück. Cedric wird doch sicher Durst haben.« »Auf jeden Fall. Ich mache ihm eine Milch. Danach wird er wohl den Schlaf nachholen, den er heute Morgen hat ausfallen lassen. Rachid, darf ich mich in eure Küche bedienen?« »Mach nur. Du kennst am besten, was eurem Sohn gut tut. Danke, dass du gefragt hast.« »Ist doch selbstverständlich.« Andreas wurde von Aaron begleitet. »Kannst du mir einen Saft machen?« Andreas nickte und Aaron holte sich sein Glas für den Saft. »Was möchtest du denn? Dein Papa hat Apfel- und Kirschsaft.« »Den roten Saft. Bitte.« Andreas nahm aus dem Kühlschrank den Kirschsaft und schenkte ein halbes Glas ein. Während Aaron trank, bereitete Andreas die Milch vor. »Du, Andreas! Warum bekommt Cedric keinen Saft wie ich?« Eine intelligente Frage, wie Andreas fand. »Weißt Du, Fruchtsäfte sind für seinen kleinen Magen noch etwas sauer. Cedric würde davon Bauchweh bekommen. Jetzt bekommt er seine Lieblingsmilch mit Bananengeschmack. Wenn du magst, kannst du mir gleich helfen, ihm seine Flasche zu geben.« »Darf ich? Wenn ich etwas falsch mache?« »Klar, du bist doch schon groß. Ich bin ja dabei und Cedric hilft auch schon.« Andreas stellte die gebrauchten Utensilien zur Seite. Aaron nahm diese uns stellte sie in die Spülmaschine. »Abba mag es nicht gerne, wenn Sachen herumstehen.« »Danke. Komm, dann wollen wir mal einen kleinen Mann füttern.« Lewis hatte Cedric an Carsten übergeben. Der kleine Mann brabbelte munter auf seinen Dad ein. Carsten blieb gelassen. Hielt seinen kleinen Mann sicher auf seinem Schoß. Als Andreas mit der Flasche in Cedrics Blickfeld kam, schwieg er plötzlich. Andreas schwenkte etwas die Flasche. »Dada Baba.« Gefolgt von einem giggeln. »Carsten, ich habe Aaron gebeten, beim Füttern zu helfen.« »Macht nur. Cedric ist schon eine Weile etwas böse auf mich, weil ich ihn so lange warten ließ.« »Ach, das hat er die ganze Zeit gemeint?«, wunderte sich Bryan. »Dabei habe ich angenommen, er erzählt von seinem Spaziergang.« »Sorry, nein. Das klingt ganz anders. Er hat so eine Nuance, die seine Verärgerung ausdrückt. Jetzt ist er zufrieden.« Rachid grinste. Er kannte die Unterschiede von seinen Söhnen. Andreas setzte sich. Cedric positionierte er in die typische Haltung zum Füttern. An seiner Seite wartete Aaron mit der Flasche. »So, jetzt gibst du ihm die Flasche, so dass er an dem Nuckel saugen kann.« Aaron drehte die Flasche um. Cedric drehte sein Köpfchen zu ihm und mit einer Hand griff er nach der Flasche. Als der Nuckel im Mund verschwand, spürte Aaron die saugenden Bewegungen. Nach einer Weile setzte Cedric aus. »Jetzt nimm die Flasche etwas weg. Cedric macht eine kleine Pause.« »Aber er hat kaum etwas getrunken.« »Nur Geduld. Der kleine Mann lässt nur selten etwas übrig.« Kaum war Andreas mit der Erklärung fertig, wollte Cedric mehr. Bryan und Rachid sahen mit Vergnügen zu. »Abby, darf ich trinken?« »Warte, ich komme mit. Ich mache uns allen Kaffee oder möchtet ihr lieber Tee?« »Kaffee ist ok«, meinten Andreas und etwas später auch Carsten. »Gut, komm, Sami.« »Abba, darf ich noch roten Saft haben? Mein Glas steht noch auf dem Tisch«, meinte Aaron, ohne seine Konzentration von Cedric zu lassen. »Bringe ich mit.«

Es dauerte nicht wirklich lange und Rachid brachte ein volles Tablett mit. Bryan holte aus einer Vitrine ein entsprechendes Service. »Cedric war aber sehr hungrig. Guck mal, die Flasche ist ganz leer.« »Das hast du sehr gut gemacht“, bestätigte Andreas. Dann nahm er ein Tuch und legte es über seine Schulter und hob Cedric an. »Dada …«, begann er und dabei entwich ihm sein Bäuerchen. »Dada Baba?« »Cedric sagte Danke«, interpretierte Andreas für Aaron. »Jetzt ist er müde und ich bringe ihn in sein Bett. Lewis sagte etwas von einem Babyphon. Ich denke, das wäre angebracht, wenn er oben ist.« »Kein Thema.« »Abby, darf ich noch auf den Spielplatz?« »Natürlich, will Aaron auch mit?« »Aber nur wenn Andreas mitkommt«, lautete die schlichte Bitte. »Da musst du ihn schon fragen«, meinte Carsten.

Andreas war von der Idee begeistert. Besonders weil er so mehr über die Kreativität spielender Kinder erfuhr. Am Spielplatz war er ein wenig enttäuscht. Die Spielgeräte hatten schon bessere Zeiten gesehen und das Klettergerüst war, gelinde gesagt, unbrauchbar. »Komm, wir wippen«, schlug Sami vor. »Gerne, sagt einmal, wer kümmert sich um den Spielplatz? Klettert ihr nicht gerne?« »Ich weiß nicht. Sami und ich klettern gerne auf Bäumen. Ich habe mal ein Aua gehabt. Abba hat dann mit einer Lupe und Nadel etwas aus meinem Finger geholt. Seitdem spielt keiner mehr damit.« »Das ist nicht schön. Was würdest du denn gerne haben?« Aaron und Sami saßen an einem Ende und Andreas bildete das Gegengewicht. Abwechselnd bei jedem Aufwärts antworteten die beiden. Andreas hatte eine sehr gute Vorstellung von dem, was die beiden sich unter einem Spielplatz vorstellen. Ihm kam eine vage Idee, um Abhilfe zu schaffen. Nach zwei Stunden begann die Dämmerung und Aaron wollte noch vor der Dunkelheit wieder zu Hause ause sein. Später im Wintergarten, die kleinen Männer waren schon im Reich der Träume, sprach Andreas Rachid und Bryan auf den Spielplatz an. »Für den Spielplatz zeigt sich keiner verantwortlich. Ich weiß, dass einige der Spiele dort Schrott sind. Es gab auch mal eine Schaukel, die wurde entfernt, als die Seile rissen. Warum?«, hakte Rachid nach. »Nun, Sami und Aaron haben sehr konkrete Vorstellung zu den Spielgeräten. Ich habe zwar einige Projekte am Laufen, doch Spielplätze haben einen besonderen Reiz für mich als Landschaftsarchitekt. Bei uns in der Gemeinde gibt es Firmen, die gerade erste Erfahrungen mit besonderen Spielgeräten machen. Würdet ihr mir erlauben, den Kindern ein kleines Paradies zu schaffen?« Bryan wirkte etwas nachdenklich. »Was bringt es, wenn sich anschließend keiner darum kümmert?« »Wie ihr wisst, habe ich bei uns einen Spielplatz geplant. Dabei habe ich mich auch mit den Gesetzten auseinandersetzten müssen. Es gibt ein nationales Gesetz, das Gemeinen dazu verpflichtet, öffentliche Spielplätze zu unterhalten. Jemand muss nur die Verwaltung an diese Vorschrift erinnern. Bei uns sind die Firmen involviert. Einmal im Jahr gibt es eine unabhängige technische Prüfung. Das war meine Voraussetzung für die Verwaltung. Der Vorteil: Sie sorgen für die Sicherheit und Instandhaltung der Spielgeräte. Das senkt die Kosten.« »Rachid, die Idee hat etwas. Andreas, könntest du uns einmal einen Entwurf und die Adressen der Firmen zukommen lassen?« »Ich werde mich hinsetzten und die Vorstellungen eurer Söhne umsetzten. Ich werde mit den Firmen sprechen. Persönlich fände ich es besser, wenn die Unternehmen hier aus der Umgebung sind. Eigene Kinder sind motivierend, sorgfältig zu arbeiten. Vielleicht sind einige unserer Firmen bereit, ihre Erfahrungen zu teilen.« »Ein sicherer Spielplatz würde unserer Stadt guttun. Wir werden mit der Verwaltung sprechen«, tat Rachid seine Ansicht kund.


Am Montagvormittag traf Cedric mit seinen Vätern wieder daheim ein. Leonardo und Salvatore inspizierten ihr Revier. Nachdem Carsten ihnen das signalisierte. Im Haus selbst war es ruhig. Mrs Sanches machte gerade ihre Teepause. Luise saß im Salon und las in einem Fachjournal. Andreas sah, wie sie ihr Bein hochgelegt hatte. Als Carsten mit Cedric eintrat, unterbrach sie ihre Tätigkeit. »Hallo, da seid ihr ja wieder. Konntet ihr abschalten?« »Hallo Mama. Es tat uns allen gut. Was hast du gemacht? Es muss doch langweilig gewesen sein ohne deinen Enkel.« »Ich habe mit Paul meine Übungen gemacht. Der ist jetzt mit Edward unterwegs. Mrs Sanches hat dein Büro gereinigt.« »Danke. Wo sind denn die anderen?« »Veronika und Karel sind noch im Fitnessraum. Antonia und Gabriele haben sich auf einen Spaziergang aufgemacht. Ich glaube nicht, dass sie bald zurückkommen.« »Wie ich sie kenne, verzichten sie nicht auf eine Unterbrechung im Tea Room. Ist mir recht. Es ist ein schönes Kompliment für uns als Gastgeber, wenn ihr euch ohne uns beschäftigen könnt«, freute sich Andreas. »Setzt euch.« »Geht nicht. Cedric hat gerade seine Hose gefüllt. Ich mache ihn erst einmal frisch. Danach will er beschäftigt werden. Auf dem Rückweg hat er überwiegend geschlafen«, lehnte Carsten die Einladung seiner Mutter ab. »Ich bin ja da«, freute sich Luise auf die Abwechslung. Keine zwanzig Minuten später tauchten beide wieder auf. Carsten übergab Cedric seiner Mutter. Luise beschäftigte sich mit ihrem Enkel. Carsten hörte noch, wie er vor Freude lachte und giggelte. Er selbst begab sich in die Küche. »Guten Morgen, Mrs Sanches. Danke, dass Sie mein Arbeitszimmer gereinigt haben. Es war sicher nötig?« »Nicht mehr als sonst. Aber der Teppich unter dem Flügel bedürfte eine gründliche Reinigung.« »Ist das sehr dringend? Ansonsten machen wir es im Neuen Jahr.« »Das reicht vollkommen aus. Darf ich den Teppich in eine Reinigung geben?« »Wir vertrauen Ihnen, Mrs Sanches. Sie haben mehr Erfahrung in diesen Dingen als ich. Im Neuen Jahr steht erst einmal nichts Wichtiges an. Haben Sie denn noch Tee für mich?« Mrs Sanches bestätigte und schenkte Carsten ein. »Was sagt denn der Klatsch und Tratsch in der Gemeinde?«, begann Carsten ein neues Thema. »Gesprächsthema ist vor allem die Reparatur des Kirchendachs. Viele fragen sich, wieso es auf einmal so schnell geht. Der Kirchenvorstand wurde wohl von Patrick gebrieft. Es heißt, der Kirchenbaumeister persönlich habe die Dringlichkeit angeordnet«, wusste sie zu berichten. »Das entspricht auch der Wahrheit. Děda und Nonno haben es mir gesagt. Was wird über die Orgel geredet?« »Es heißt nur, dass eine neue Orgel nicht mehr zur Debatte steht. Diese Nachricht wurde von vielen positiv aufgenommen. Das alte Instrument scheint in der Gemeinde beliebt zu sein. Als der Firmenwagen einer Orgelbaufirma einen halben Tag vor der Kirche stand, schossen die Gerüchte in den Himmel. Jeder fragt sich, wie die Gemeinde das finanzieren soll.« Carsten überlegte einen Moment. Es wäre von Vorteil, die Gemeinde auf ein Benefizkonzert neugierig zu machen. Nancy und das College Orchester hatten zugesagt und probten entsprechende Stücke. »Durch ein Benefizkonzert soll die Finanzierung gesichert werden. Nancy spielt die dann restaurierte Orgel zusammen mit einem Orchester. Wir hoffen darauf, dass mit dem einen Konzert das Geld wieder eingespielt wird. Damit Mr Johnson still hält, hat der Kirchenmusikdirektor eine entsprechende Order erlassen.« »Ich könnte auf die Idee kommen, dass Sie und Ihr Mann dabei keine unerhebliche Rolle spielen.« Carsten lächelte charmant. »Es bedurfte lediglich eines Anrufes bei einem Studienfreund. Andreas und ich sind davon überzeugt, dieses Instrument zu erhalten. Sie kennen die Orgel?« »Ich gestehe, nicht regelmäßig zur Kirche zu gehen. Das Instrument scheppert an manchen Stellen.« »Es ist ein Geschenk des dritten Lord Rutherford an die Gemeinde. Das Instrument, so klein es auch sein mag, ist ein Juwel seiner Gattung. Es passt einfach in diese Kirche und dort klingt es einmalig.« »Sie haben gute Kontakte. Was kann ich tun?« Carsten schmunzelte über dieses Angebot. »Das Konzert wird frühestens im März stattfinden können. Lassen Sie hin und wieder eine Bemerkung dazu fallen. Beim Einkauf, unter Freunden und Bekannten und so weiter. Mündliche Werbung ist oft effektiver als plakative. Machen Sie den Menschen quasi den Mund wässrig.« Auf Mrs Sanches‘ Gesicht machte sich ein wissendes Lächeln breit. »Das können mein Mann und ich gut. Wir verhelfen Ihnen zu einem Erfolg.« Mrs Sanches trank einen Schluck von ihrem Tee. »Carsten, ihr Schlafzimmer und das Kinderzimmer habe ich heute gemacht. Jetzt mach ich hier unten noch den Porch, das Vestibül und die Flure. Die Bibliothek und den Salon möchte ich am Mittwoch machen. Wissen Sie schon, wo der Baum hin soll?« »Wir werden den Salon für das Fest nutzen. Andreas hat sich noch keine Gedanken über den Standort eines Baums gemacht.« »Wenn ich vorschlagen dürfte, stellen sie den Baum in dem Erker auf. Dort kann man ihn von außen sehen und er steht im Salon nicht im Weg. Bleibt aber repräsentativ im Blickfeld.« »Ihre Idee hat etwas. Ich weder Andreas Ihren Vorschlag unterbreiten. So, ich löse Luise mal bei der Betreuung von Cedric ab.« Carsten nahm seine Tasse und ging zurück in den Salon. Dem Geräusch nach hatten Luise und Cedric viel Spaß zusammen. »Na, kleiner Mann? Du hältst deine Oma ganz schön bei Laune.« »Und wie, Junge. Er sitzt auf meinem Schoß und will meine Nase greifen.« »Er macht gerade einen großen Schritt in seiner Entwicklung. Was ist denn deine Meinung?« »Dada, Baba, Abba!« Carsten setzte sich in einen Sessel. Die Tasse stellte er auf den Tisch vor sich ab. »Hier, übernimmst du deinen Sohn? Langsam wird er mir zu schwer.« »Dann komm mal her. Dann kannst du entscheiden, wer dich besser beschäftigt.« Luise richtete sich etwas auf und reichte Cedric ihren Sohn. Mit ausgebreiteten Armen freute sich dieser, bei seinem Papa zu sein. Geschickt platzierte er Cedric sitzend auf seinem Bein. Mit einer Hand stützte er den kleinen Mann. Dann reichte ihm Luise noch den Teddy und einen Schnuller. Der Schnuller verschwand schnell im Mund und Cedric nuckelte wie beiläufig daran. Sein Interesse lag bei dem Teddy. Verträumt sah Luise den beiden beim Spielen zu. Carsten machte seine Sache sehr gut. Geschickt glich er immer wieder die Balance aus.

»Veronika und Antonia haben noch etwas über die Familie Rutherford erfahren. Sie haben sich gestern mit einer Haushälterin der Nichte unterhalten. Demnach hatte die Nichte einige Liebhaber. Du weißt ja, die liberale Haltung zur Monogamie in den 1960er und 70er Jahren.« »Gab es Kinder aus diesen Affären?« »Aus diesen Affären wohl nicht. Dennoch gab es hartnäckige Gerüchte aus der Region Glasgow.« Luise wurde durch Cedric unterbrochen, dem sein Teddy abhandengekommen war. Erst als Carsten ihm spielerisch diesen wieder gab, beruhigte er sich. »Demnach munkelt man, dass sie als junge Frau in einem Hospiz entbunden hat. Damit es zu keinem Skandal kam, wurde das Neugeborene in ein Waisenhaus gegeben. Den Aufenthalt erklärte man mit einer Kur zur Behandlung einer unbehandelten Pneumonie.« »Ob das Hospiz noch existiert? Dann müssten dort ja auch Unterlagen sein. Lewis hatte wohl doch den richtigen Riecher.« »Lewis?« »Der älteste Sohn von Rachid. Du kennst ihn. Er meinte, dass vielleicht die Erbschaft der Rutherfords ein Grund für den Anschlag ist“, informierte Carsten seine Mutter. »Ob das Hospiz noch existiert, konnten die Hausdame nicht sagen. Es lag bei Perth und wurde von Nonnen geführt.« »Ich werde Bryan bitten, dem Hinweis nachzugehen. Selbst wenn an den Gerüchten nichts dran ist.« Cedric stoppte seine Aktivitäten. »Dadaa!!« Dabei zeigte er in Richtung der eintretenden Hunde. »Hast du deine Teddybären auf vier Pfoten gesehen? Du bist ja richtig aufmerksam«, lobte Carsten seinen Sohn. Dieser sah seinen Papa mit großen Augen an. Luise beobachtete Cedric. Der kleine Mann schien gerade festzustellen, dass Carsten nicht zu den Hunden sah. Dann nahm er einen Arm und tätschelte Carstens‘ Gesicht. »Abba? Baba? Dada!« Carsten tat ihm den Gefallen und drehte seinen Kopf. Danach giggelte Cedric wieder. »Ich glaube, Cedric hat seine erste Erfahrung mit deiner Blindheit gemacht.« »Ich hoffe, es überanstrengt ihn nicht.« »Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. So hat es Ercan auch gelernt. Überanstrengen wird ihn das nicht. Sobald es zu viel wird, schützt die Natur ihn, indem er einfach müde wird. Während er schläft, kann er seine Erfahrungen in aller Ruhe verarbeiten. Sein Gehirn trainiert, verschiedene Eindrücke einzuordnen und speichert diese dann ab. So ein kleiner Mensch ist ein Wunder des Lebens.« »Da hast du wohl recht. Wenn man die Natur machen lässt, regelt sie das optimal.« Plötzlich lehnte sich Cedric an seinen Papa. »Ich denke, es ist Zeit für ein kleines Nickerchen.« Carsten nahm Cedric und hielt ihn an seine Brust. Luise sah, wie der kleine Mann seine Arme um Carstens Hals legte. Behutsam standen sie auf. In Begleitung der Hunde ging Carsten mit Cedric in sein Zimmer. Dort legte er seinen Sohn in sein Bett und deckte ihn zu. Zuletzt legte er ihm noch seinen Teddy in den Arm. Bevor er hinausging, vernahm er noch ein leises, gemurmeltes ›Abba‹. »Leonardo, Salvatore!«, flüsterte er. Beide Vierbeiner folgten ihm. Im Salon war Luise nicht mehr allein. Andreas hatte sich zu ihr gesellt. »Ein schöner Anblick, Carsten. So hast du dich auch bei Paul immer verhalten, wenn du müde wurdest.« »Cedric schläft friedlich. Andreas, Mrs Sanches schlug vor, den Weihnachtsbaum im Erker aufzustellen. Repräsentativ von allen Seiten sichtbar.« »Etwas Ähnliches habe ich mir auch gedacht. Wie groß darf der Baum denn werden?« »Entscheide du. Ich kenne die Proportionen nicht. Nun zur laufenden Woche. Andreas, Cedric und ich fliegen am Mittwoch nach London. Dort haben wir einen Termin bei unserem Architekten, um über die Fortschritte zum Pförtnerhaus und über das Haus in London zu sprechen. Donnerstag habe ich eine Semesterbesprechung mit meinen Studenten. Freitag fliegen wir weiter nach Leipzig. Wir mieten uns dort ein Auto und Andreas setzt mich dann am Gewandhaus ab. Das Konzert beginnt schon um 19:30 Uhr. Nach zwei Stunden fahren wir zu unserem Hotel. Ich habe Volker gebeten, uns beim Galadinner zu entschuldigen. Den Rückflug haben wir für Samstagvormittag gebucht.« »Demnach kommen wir gegen Mittag zurück. Solange müsst ihr euch allein beschäftigen.« »Um uns braucht ihr euch keine Gedanken machen. Ich gestehe, die Ruhe gefällt mir. Ich habe sogar schon ein Eichhörnchen und Merlin einen Igel gesehen. Wenn das Wetter uns gewogen ist, halten Paul und ich uns auf der Terrasse auf. Edward, Merlin und Charaid leisten uns sicher gern Gesellschaft. Ich habe aber noch eine Frage. Ist es möglich, dass wir unser Zimmer etwas mehr heizen?« »Natürlich, der Regler befindet sich neben dem Kamin. Ihr könnt ihn auch programmieren. Wir haben es bei Cedric so gemacht. So ist sein Zimmer morgens angenehm temperiert.« »Das ist ja ganz praktisch. Bei Dir und Andrea hat Paul morgens immer die Heizung angedreht.« »Das ist ja ganz etwas Neues. Carsten hat sonst immer das Fenster nachts auf. Manchmal ganz schön frisch.« »Weichei“, lachte Carsten. »Andersherum war es für dich immer ein Grund, zu mir ins Bett zu kommen und deine kalten Füße bei mir zu wärmen.« »Noch jemand Tee oder Kaffee?«, wechselte Andreas plötzlich das Thema. »Ich hätte gern noch einen Kaffee, Schatz. Haben wir noch Kekse oder Sandwiches?« »Etwas Süßes wäre jetzt genau das Richtige.« »Ich sehe mal nach. Wann wollten denn die anderen wieder zurück sein? Dann setzte ich noch von beidem frisch auf.« »Deine Großeltern werden wohl nicht so bald zurück sein. Ehrlich, sie genießen diesen Aufenthalt. Außerdem suchen sie nach Weihnachtsdekoration. Andrea und Stefano bringen auch noch etwas mit.« »Gut, wir sind nämlich mit der Dekoration nicht so gut aufgestellt«, teilte Andreas mit. »Sag mal, wann sollte am Kirchendach begonnen werden?«, führte Carsten ein neues Thema an. »Ich glaube heute. Děda wird sicher noch mal bei der Kirche vorbeisehen. Er kann sicher mehr zum Stand sagen.« »Ich freue mich für die Gemeinde. Ein Problem weniger. Patrik ist wirklich ein beliebter Pfarrer in der Gemeinde. Auch wenn es mal mit handfesten Argumenten zugeht.« Luise sah ihren Sohn einen Moment erstaunt an. »Ben, der Wirt, erzählte uns von einer Schlägerei im Pub. Dabei hat Patrik wohl seine einmal gelernten Boxkünste angewandt.« »Euer Pfarrer wird mir immer sympathischer.« »Er ist halt ein waschechter Ire. Mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Mama, diese Gemeinde ist von Farmern geprägt. Andreas hat seine Freunde daran, wie hier die Gärten gepflegt werden. Ich glaube, die Menschen haben hier eine Passion. Sie lieben ihre kleinen grünen Reiche. Es gibt kreative Diskussionen an den Zäunen und Mauern. Manchmal sogar kleine Kriege. Doch im Grunde halten alle zusammen. Das sieht man gerade bei dem Spielplatz. Die Empörung über die Beschädigungen ist überall präsent.« »Wie steht es denn darum?« »Soweit ich weiß, ist wieder alles im grünen Bereich. Die Eröffnung wird wie geplant sein. Da jetzt die Zäune stehen und die Beleuchtung, auch wenn noch provisorisch, funktioniert, ist alles etwas sicherer. Es wird von den Bewohnern auch mehr frequentiert. Man kann sehr schön über den Fußweg daran vorbeigehen, um dann weiter durch den Park wieder auf der anderen Seite zum Dorf zurückkehren.« »Hat Andreas das so bei seiner Gestaltung vorgesehen?« »Ich denke nicht. Immerhin kam das Projekt mit dem Spielplatz erst ein dreiviertel Jahr später hinzu. Du müsstest Andreas fragen, ob eventuell der Weg früher schon als solcher benutzt wurde. Dort ist auch die Zufahrt für die Lieferanten. Der wurde jedoch vom Haus abgeschnitten und endet am Spielplatz. Wir haben uns bewusst für den einen Hauptweg entschieden. Hinter dem Haus ist unser privater Bereich.« Andreas brachte auf einem Tablett die Getränke, Gebäck und einige Sandwiches. »Schatz, Luise möchte wissen, ob du die Benutzung des Wanderweges so geplant hast.« »Nein. Es gibt ein altes Wegerecht aus dem 18. Jahrhundert. Die Familie Rutherford erlaubte der Bevölkerung, den Weg nutzen zu dürfen. Vor allem war es die Verbindung für die Landbevölkerung zu den bewirtschaften Flächen jenseits des Parks. Diese Flächen wurden wegen ihrer Abgeschiedenheit mehr oder weniger aufgegeben. Heute sind dort vor allem Weiden. Diese sind von der Hauptstraße aus besser zu erreichen. Da das Wegerecht verbrieft ist, habe ich für die Instandsetzung über unser Grundstück zu sorgen. So habe ich das auch mit der Gärtnerei Hill vereinbart. Der alte Lieferantenweg wird in Zukunft als Rettungsweg für den Spielplatz genutzt und ist entsprechend abgesichert. Wegen des Vorfalls am Spielplatz hat die Gemeindeverwaltung einer Überwachung zugestimmt. Sie übernimmt auch die Wartung.« Luise und Carsten lauschten dem Bericht. »Mann, ich ziehe meinen imaginären Hut vor deiner Weitsicht.« Andreas war von dem Kompliment berührt. Luise ging normalerweise sparsam damit um. »Danke. Jetzt zeigt sich ein positiver Effekt. Der Weg wird jetzt gerne von Spaziergängern benutzt. Was natürlich auch dem Spielplatz zugutekommt.« »Carsten hat das vorhin auch schon erwähnt. Wie reagieren eure Hunde? Immerhin berührt es ihr Revier.« »Leonardo und Salvatore sind da sehr großzügig. Sie haben ja auch genug Platz, der von den anderen respektiert wird.« Die Unterhaltung wurde durch ein Geräusch aus dem Babyphon unterbrochen. Cedric murmelte etwas. Dann begann das Baby weinerlich ›Abba! Abba!‹ zu schreien. »Ich sehe mal, was unseren Stammhalter beunruhigt.« »Das legt sich wieder.« »Nein, Mama. Das klingt anders. Cedric hat Angst.« Luise war doch etwas überrascht. Andreas hatte sie noch nie ›Mama‹ genannt. Dann ging er nachsehen. Im Kinderzimmer sah Andreas zum Kinderbett. Kein Wunder, dass Cedric Angst hatte. Eine kleine Spinne hatte sich auf sein Gesicht abgeseilt. Genau dort, wo der Junge mit seinen Armen nicht hinkam. Als Cedric seinen Papa erblickte, verstummte er. Dennoch sah er ihn erwartungsvoll, ängstlich an. Andreas nahm vorsichtig die Spinne von seinem Gesicht und schloss sie vorsichtig in seine Faust ein. Dann nahm er Cedric aus dem Bett. »Das war Rettung in letzter Sekunde. Meinst du nicht auch?«, sprach Andreas sanft zu seinem Sohn. Dieser guckte ihn mit verweinten Augen an. Andreas küsste ihm die kleinen Tränchen liebevoll weg. Cedric legte seine Arme um Andreas‘ Hals. »Diese kleine Spinne hätte mir so überraschend im Gesicht auch Angst gemacht. Doch guck einmal hier. Spinnen sind ganz nützlich.« Dabei öffnete er seine Faust, so dass Cedric die kleine Spinne auf der Handfläche sah. Aus dieser Perspektive schien sie ihm keine Angst zu machen, was wohl auch daran lag, dass ein großer Beschützer bei ihm war. Andreas führte seine Hand näher an Cedric heran. Dieser schien jetzt das kleine Tierchen neugierig zu begutachten. Ganz vorsichtig näherte sich ein kleiner Finger der Spinne. »Siehst du. Ich glaube, die Spinne hat viel mehr Angst vor dir.« Dann berührte der Finger das krabbelnde Etwas. Andreas sah, wie die Spinne auf Cedrics Finger kletterte. Diesmal entwich dem Jungen ein ›oh‹. Bevor die Spinne jetzt weiter an Cedric hinaufkletterte, entfernte Andreas diese wieder. »Spinnen sind wirklich keine Schönheiten. Sie haben aber sehr erstaunliche Fähigkeiten. Sollen wir sie jetzt im Garten freilassen?« Cedric guckte nachdenklich seinen Papa an und nickte etwas. Gemeinsam gingen sie anschließend zur Terrasse. Dort setzte Andreas die Spinne ab. Cedric sah, wie sie eilig davon lief. Der kleine Erfolg schien ihm zu gefallen und er lächelte.

Im Salon hatten Carsten und Luise das Gespräch mitgehört. »Andreas hat erstaunliche Fähigkeiten.« »Ja. Andersherum, im Garten gehören Spinnen zum Ökosystem. Deswegen respektiert er sie auch. Er hat auch keine Berührungsängste. In London hatten wir in der Küche ein Spinnennetz. Andreas erzählte mir davon. Als ich ihn fragte, ob er es wegmachen solle, meinte er lediglich: warum? Dann erklärte er mir, dass zum einen das Netz nicht sichtbar sei und den Vorteil habe, dass lästige Fliegen auf natürlicher Weise entsorgt werden. Solche Philosophie hat etwas.« Andreas kam mit Cedric auf dem Arm in den Salon. Als der kleine Mann seinen zweiten Papa erkannte, begrüßte er ihn auf seine Weise mit »Abba! Dada?« »Hallo Cedric. Die Hunde sind draußen im Garten.« Andreas sah sich kurz um. »Tiger, hast du einen Schnuller für den tapferen kleinen Mann?« »Hier!«, reagierte Luise. »Er hat ihn vorhin liegen lassen.« Der Schnuller hatte eine weitere beruhigende Wirkung auf den kleinen Mann. Andreas setzte sich und beschäftigte sich mit Cedric. Luise sah, wie liebevoll er war. »Du hast mich noch nie ›Mama‹ genannt“, meinte sie plötzlich. »Wenn es dich nicht stört. Ich finde es passend, wo du doch jetzt Oma bist. Cedric wird dich sicher immer auch Oma und Paul Opa nennen.« »Es ist eine sehr schöne Bezeichnung für uns. Nennst du Paul auch Papa?« »Es flutschte mir schon ein paarmal raus. Ihr habt mich in eurer Familie willkommen geheißen. Schwiegermutter klingt etwas altbacken. Ich finde, wir haben ein gutes Verhältnis. Du nennst ja meine Großeltern auch bei ihren Spitznamen.« Cedric lehnte sich an Andreas und beschäftigte sich mit den großen Fingern vor sich. Wenn er gerade einen erhascht hatte, tauchte plötzlich ein anderer auf. Sein Interesse wechselte und das Spiel begann von vorn. Jeder im Zimmer konnte hören und sehen, wie viel Spaß Cedric dabei hatte. Als der Schnuller aus seinem Mund flutschte, nutzte er die Freiheit zum Giggeln und Brabbeln.

»Kann es sein, dass Cedric einen Lernschub hatte?« Carsten lenkte seine Aufmerksamkeit seiner Mutter zu. »Sieht ganz so aus. Er spielt mit den Vokalen und kreiert neue Wörter. Daneben kann er schon einige Minuten aufrecht sitzen. Also er lehnt sich gerne an und versucht seine Balance zu halten. Ich denke, im Laufe der Woche schafft er es auch allein. Cedric ist sehr neugierig. Er interessiert sich für alles, was sich bewegt.« »Ich denke, unsere Hunde werden vorerst auch auf sein ›Dada!‹ hören“, fügte Andreas zu. Cedric giggelte etwas, spannte seinen kleinen Körper etwas. »Ich denke, es wird Zeit für eine neue Hose. Bist du nicht auch meiner Ansicht?«, sprach er direkt seinen Sohn an. »Aah«, bestätigte dieser. »Ich gehe mal den kleinen Helden frisch machen. Vielleicht mag er auch etwas frische Milch. Machst du ihm eine Flasche?«, an Carsten gewandt. Beide Papas erhoben sich. Carsten ging in die Küche. Suchte sich die Utensilien für die Flaschenmilch zusammen. Er hörte, wie jemand im Porch war. »Ich gehe duschen. Aber danke für den interessanten Vormittag“, hörte er Paul sagen. »Hallo Papa, warum musst du duschen?« Paul sah sich um und erblickte Carsten in der Küche. »Bist du allein?« »Ja, warum?« »Nicht, dass Mama davon etwas mitbekommt. Wir waren bei Edward zuhause. Er zeigte mir die Schafherde. Eine schöne Zucht. Sein Vater legte immer Wert auf fremde Böcke, um eine Inzucht zu vermeiden. Heute war ein Farmer da, der drei Jungböcke des vergangenen Jahres haben wollte. Den kleinen Schafen stand wohl nicht der Sinn danach, ihre Familien zu verlassen. Sam, Edward und George trennten die Jungtiere von der Herde. Insgesamt waren es sieben Böcke. Als dann die drei erkorenen verladen werden sollten, zeigten sie sich sehr widerspenstig. Ein Bock entkam und lief zur Herde zurück. George rief mir zu, dass Gatter zu schließen. Ich tat, wie mir geheißen, das Tor konnte ich rechtzeitig schließen. Danach habe ich einen Schritt zurück gemacht. Sicher ist sicher. Dabei bin ich ausgerutscht und direkt in eine Ansammlung Schafhinterlassenschaften gelandet. Edward fragte mich sofort, ob ich mir etwas getan habe. Als ich das verneinte, begann er zu lachen. Meinen Hosenboden ziert noch der anhaftende Gestank.« »Dann mach dich mal frisch. Mama ist im Salon. Überlege dir schon mal eine zensierte Version deines Abenteuers.« »Ehrlich? Das funktionierte nur bei deinen Omas. Luise durchschaut mich und meinen Geschichten. Sie hat aber den Anstand, daraus kein Drama zu machen. Ich glaube, sie kennt mich besser als ich mich selbst.« »Papa, du kannst auch Andreas fragen, ob er dich massieren mag, falls du Schmerzen im Rücken hast. Er ist noch bei Cedric und macht deinen Enkel frisch nach einem kleinen Malheur.« »Später vielleicht. Sag einmal können, wir unser Schlafzimmer etwas wärmer machen? Luise friert es. Wohl wegen ihres gebrochenen Beins.« »Mama hat schon danach gefragt. Der Regler für die Fußbodenheizung ist neben dem Kamin. Alternativ nutzt den Elektrokamin.« »Kostet das denn nicht sehr viel?« »Wir decken dreiviertel des Strombedarfs aus Solarenergie. Da kommt es auf das eine oder andere Kilowatt mehr nicht an.« Paul staunte nicht schlecht, wie gut sein Sohn sich damit auskannte. Die jungen Hausherren hatten eine intelligente Lösung für das große Haus gefunden. Paul hatte zunächst Bedenken gehabt. Die ersten Bilder des Manor House sprachen eine andere Sprache: Groß, massiv, alt. Hohe Räume. Er revidierte seine Meinung nach dem Einzug. Doch mit der Energieeffizienz überraschte Carsten ihn ein weiteres Mal. »Ich kenne deine Bedenken«, erriet Carsten Pauls Gedanken. »Arthur und Luthais, Andreas und ich haben über alle Bedingungen lange beraten. Dann gab es viele baurechtliche Vorgaben zu beachten. Letztendlich entschieden wir uns für die Nutzung von Erdwärme, Sonnenkollektoren und Solarzellen. Das letzte Fünftel decken wir durch das öffentliche Netz ab.« Carsten füllte die erwärmte Milch in Cedrics Flasche und schraubte den Nuckel auf. »Papa, nun sieh zu, dass du dich frisch machst. Du riechst streng nach Schaf.« Paul sah verdutzt seinen Sohn an, bis der Penny fiel.

Im Salon warteten bereits Andreas und Cedric. »Abba, mmh.« »Wow, Du bist gut“, lobte ihn Carsten. Dann übergab er Andreas die Flasche. Mittlerweile gut trainiert, griff auch Cedric danach. Andreas half ihm dabei, so dass Cedric für sich einen Erfolg verbuchen konnte. Carsten hörte sein erfreutes Brabbeln. Dann sein Schmatzen. »Der Junge ist ja ganz schön hungrig«, kommentierte Luise die Situation. »Mich wundert es nicht. Er hat bisher wenig geschlafen. Die lange Autofahrt, dann später die Spinne. Er lehnte sich zwar an mich, aber ich spürte auch, wie er aktiv seine Balance hält. Das zusammen braucht viel Energie. Ein kleiner Athlet«, antwortete Andreas nicht ohne Stolz auf seinen Sohn.

»Carsten, was hat Paul angestellt? Er war es doch vorhin.« »Mama, ich denke, Paul ist schon ein großer Junge, der dir das selbst erzählen kann. Meinst du nicht?«, konterte Carsten charmant. Luise wirkte etwas eingeschnappt. »Männer!«, schmollte sie gespielt. »Hallo zusammen. Habt ihr noch Kaffee für mich?«, fragte Edward beim Eintreten. »Natürlich. Bediene dich. Wir haben auch Gebäck und Sandwiches.« Edward ging zum Tisch und schenkte sich eine Tasse ein. »Wie war euer Wochenende? Ohne Cedric und den Hunden war es recht ruhig im Haus.« »Wir konnten uns beim Reiten entspannen. Leonardo und Salvatore haben es genossen, im Atlantik zu baden. Cedric bekam einen Rundum-Service und lernte viel Neues. Letztendlich haben wir noch einige Aspekte zu den Hintergründen des Unfalls erörtert. Und wie ich schon erfuhr, wart ihr ebenfalls in dieser Hinsicht erfolgreich fasste Andreas, als Cedrics Flaschenhalter, ihr Wochenende kurz zusammen. »Ja, eure Großeltern haben es wirklich drauf, Informationen zu sammeln. Wichtiger ist auch, diese entsprechend zu interpretieren. Während sich Veronika und Antonia im Pflegeheim mit der Haushälterin unterhalten haben, sprach ihr Chauffeur mit dem Pflegepersonal. Dabei erfuhr er, dass die monatlichen Kosten zur Hälfte durch einen Fond der Familie Rutherford beglichen werden. Ich habe meine Eltern danach gefragt. Mutti wusste noch von ihrem Vater, dass Lady Rutherford für die Angestellten der Familie testamentarisch gesorgt hatte. Daraus entstand dieser Fond. Die Nichte hat das Testament wohl auch angefochten, ohne Aussicht auf Erfolg.« Paul kam als vorerst letzter zu der Runde. Luise sah ihn an und ein wissendes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Hallo zusammen. Eine Tasse Tee ist genau das Richtige jetzt.« »Bediene dich, Darling«, meinte Luise und machte etwas Platz auf dem Zweisitzer. Ungeniert gab Paul seiner Frau einen Kuss. »Ich nehme an, du hast dir nichts getan?« »Nein. Es ist alles gut. Ah, da sind ja auch Leonardo und Salvatore.« Die beiden Vierbeiner sahen zu den Zweibeinern, um anschließend in ihren Kudden zu relaxen. »Wo sind denn Merlin und Charaid? Den Kater habe ich heute noch gar nicht bemerkt.« »Merlin ist mit dem Rad unterwegs. Heute Vormittag hatte er ein Meeting mit einer gewissen Gwenda«, erzählte Luise, »Irgendetwas mit Schulstoff und Unterricht.« »Ja, er holt seinen Schulabschluss nach. Gwenda ist eine ehemalige Lehrerin und hilft ihm dabei. Wenn er das durchhält, schafft er sogar einen Abschluss fürs College. Möglich, dass er Tiermedizin studieren will …«

Die besagte Person betrat aufgeregt den Salon. »Was ist los, Merlin?« »Leute, mir ist eben Titan, der Bulle von Mr Gilles, auf der Straße begegnet.« Luise fand als erster die Sprache wieder: »Männer, worauf wartet ihr? Andreas und Carsten, nehmt die Hunde und folgt ihm. Merlin, du und Edward kennt euch hier doch am besten aus. Fahrt zur Weide und seht dort nach dem Rechten. Irgendwie muss das Tier ja von der Weide gekommen sein. Vielleicht ist die ganze Herde ja unterwegs. Paul, wir halten die Stellung“, scheuchte sie die Meute. Carsten rief seine Vierbeiner zu sich.

Wenig später fuhren Andreas und Carsten die Straße zur Weide entlang. Schon von weitem sahen sie das Tier friedlich am Straßenrand grasen. »Was sollen wir machen?«, fragte Andreas. »Aussteigen. Stell den Wagen hier ab und lass die Warnleuchten blinken. Cattles sind sehr friedliche Tiere. Mit Leonardo und Salvatore begleiten wir ihn zurück. Du kennst den Weg?« »Ja. Dann mal los.« Carsten tastete sich zum Heck und ließ die Hunde aussteigen. Er hielt sich an Leonardo, während Salvatore sich langsam dem Bullen nährte. Andreas hatte vor dem großen Tier mächtig Respekt. Seine Hörner sahen gefährlich aus. Doch Salvatore meistere die Situation souverän. Der Bulle begutachtete den Hund und als er ihn ableckte, entspannte sich auch Andreas. Gemeinsam gingen sie auf das Tier zu. Carsten schien keine Angst zu haben. Mit leisen Kommandos lenkte er Leonardo, bis sie direkt neben dem Cattle standen. Sachte streichelte er über das feuchte Fell des Tieres. »Was machst du denn hier so allein? Vermisst du nicht deine Familie?«, sprach er mit einer sehr sanften Stimme. Andreas sah, wie das Tier sich Carsten zuwandte. Der Hund an der Seite des Zweibeiners schien ihn zu überzeugen. Andreas stellte sich neben Carsten und strich dem Cattle ebenfalls über das Fell und dann auch über seinen mächtigen Schädel. Salvatore brachte sich in Position. Als Andreas die Richtung vorgab, gingen die fünf zurück zur Weide. Es waren wohl noch einige Tiere unterwegs, denn als sie an der Weide ankamen, folgten ihnen noch vier weitere Tiere. Darunter auch der kleine Bulle. Merlin hatte zwischenzeitlich noch Mr Gilles informiert und dieser war mit einigen Nachbarn querfeldein zur Weide gegangen. Auch sie brachten noch einige Tiere mit. Nach zwei Stunden hatten sie die Herde wieder zusammen. »Es sind alle Tiere da. Nur wie sind sie von der Weide gekommen?« »John“, meinte Edward, »wir beide gehen jetzt den Zaun ab. Im Auto habe ich noch Werkzeug und Draht, damit können wir eventuelle Schäden reparieren. Merlin, prüfst du das Gatter und die Verriegelung? Andreas, hol du euren Wagen. Carsten wird mit beiden Hunden bei der Herde bleiben. Eure Vierbeiner haben eine beruhigende Wirkung auf die Tiere. So bleiben sie zusammen.« Wie Edward es vorschlug, machten sie sich ans Werk. Der Zaun wies keine Beschädigungen auf. Am Gatter warteten Andreas mit dem Geländewagen und Merlin. »Mr Gilles. Das Tor und die Verriegelung sind beide okay. Kann es sein, dass jemand auf die Weide gegangen ist und anschließend das Gatter nicht richtig geschlossen hat?«, mutmaßte Merlin. »Ich schließe es nicht aus. Zum Glück ist den Tieren nichts passiert. Nur was sollen wir machen?« »Wenn Edward noch sein Werkzeug und den Draht hat, sichern wir das Gatter mit Draht. John, Sie können vielleicht ein Fahrradschloss als zusätzliche Sicherung verwenden. So können Sie ausschließen, dass jemand das Tor nicht richtig verriegelt. Auch dass eines der Tiere zufällig mit einem Horn den Riegel öffnet, ist dann ausgeschlossen“, schlug Carsten vor. »Eine gute Idee. Darf ich euch noch auf einen Schluck einladen?« »Wir haben Gäste und sie warten auf uns. Besonders Cedric wird sich fragen, wo seine Teddybären auf vier Pfoten sind. Kommen Sie und ihre Gattin uns doch nach dem Fest besuchen«, lud Carsten den Ortsvorsteher ein. »Salvatore, Leonardo!« Die Hunde gesellten sich zu ihren Herrchen. Andreas öffnete die Hecktür und beide sprangen mit einem Satz in den Wagen. Carsten nahm auf dem Beifahrersitz Platz. »Ich danke euch für die schnelle Hilfe.« »Keine Ursache, John. Wir sind Nachbarn. Da ist es doch selbstverständlich zu helfen.« Carsten verabschiedete sich und fuhr die Seitenscheibe wieder hoch. »Mann, Carsten, das war aber ein mächtiger Bulle.« »Ja. Ich schätze, er bringt mehr auf die Waage als unser Auto samt Inhalt. Als ich ihn berührte, schien er mir traurig zu sein. Cattle sind eben ausgesprochene Familientiere. Allein fühlen sie sich nicht wohl.« Es dauerte nicht lange und sie waren wieder zu Hause.

»Alles wieder gut?«, fragte Luise. »Ja, alle Tiere sind wohlbehalten wieder auf der Weide. Wo ist Cedric?« »Paul ist mit ihm im Garten.« »Gut. Ich für mein Teil gehe meine Korrespondenz durch. Dann bat Rachid mich, dass ich mich um ihren Spielplatz kümmere. Er muss etwas aufgepeppt werden.« »Da ihr euch um Cedric kümmert, probe ich am Klavier für das Konzert in Leipzig. Haydns Konzert habe ich schon lange nicht mehr gespielt. Sind Babi und Děda noch im Fitnessraum?« »Nein. Nach ihren Übungen haben sie ein kleines Lunch zu sich genommen und danach haben sie sich zurückgezogen.« »Dann ist ja gut.«

Chapter 14

Am Leipziger Flughafen suchte Andreas den Mietwagen-Counter auf. Kurz bevor er diesen erreichen konnte, wurde er von einer jungen Frau angesprochen. »Mr Zahradník?« »Ja!?« »Gut, dass ich Sie gefunden habe. Ihr Wagen steht in der VIP-Area bereit.« Andreas wunderte sich, da fuhr die junge Lady schon fort: »Mr Alsabbagh hat den Botschafter darum gebeten.« »Wenn das so ist. Ich sage Carsten Bescheid, er wartet auf mich.« »Er wurde bereits von meinem Kollegen informiert.« Andreas folgte der Lady zur VIP-Lounge. Dort warteten Cedric, Carsten und Leonardo bereits. Ein junger Mann sprach gerade mit ihm. »Da sind Sie ja. Wohin dürfen wir Sie chauffieren?« »Mich können sie am Gewandhaus absetzten. Dort werde ich erwartet. Andreas und Cedric fahren zum Hotel.« »Wie Sie wünschen, Mr von Feldbach.« Beide Botschaftsangestellten begleiteten die Gäste zum Wagen. Mr Alsabbagh hatte wohl genaue Anweisungen durchgegeben. Das Winged ›B‹ fiel Andreas als erstes ins Auge. Die hinteren Scheiben waren leicht getönt. »Der Botschafter bittet um Entschuldigung, nur das Coupé zur Verfügung stellen zu können.« »Danke. Für uns ist es ausreichend.« Nachdem alle eingestiegen waren, ging es schon los. Andreas sah vor dem Tor einige Paparazzi stehen. Diese wurden jedoch sofort von Sicherheitskräften zur Seite gedrängt. »Mr von Feldbach, Miss Bowers ist Ihr Bodyguard. Sie ist für Ihre Sicherheit verantwortlich. Mein Name ist Jefferson. Ich bin der leitende Sicherheitsbeamter und Chauffeur für ihren Aufenthalt in Leipzig. Die Frau des Botschafters hat noch einige Anweisungen an Ihr Hotel gegeben. Es soll für Ihre Familie ein angenehmer Aufenthalt sein. Mr von Feldbach, wann darf ich Sie wieder abholen?« »Ich weiß nicht, wie lange diese Probe andauert. Miss Bowers wird Sie anrufen.«

Im Gewandhaus begrüßte Volker seinen ehemaligen Schüler. »Carsten, wo ist Andreas?« »Hallo Volker, Andreas und Cedric sind zum Hotel. Ich hoffe, Dr. Neubert versteht die kleine Änderung.« »Natürlich. Wie geht es euren Eltern?« »Luise und Paul genießen die Abgeschiedenheit Schottlands und erholen sich von ihrem Unfall. Unsere Großeltern leisten ihnen Gesellschaft. Auf ihren Enkel müssen sie verzichten. Ich glaube, es ist ihnen auch ganz recht. Der kleine Mann hält sie ganz schön auf Trab.« »Du bist Onkel geworden? Herzlichen Glückwunsch.« »Nicht ganz, Andrea ist Tante geworden. Du wirst unseren Sohn heute Abend kennenlernen. Deswegen begleitet mich heute auch Miss Bowers als meine Assistentin. Sind die anderen schon da?« »Ja, sie sind gerade noch bei der Ouvertüre. Die neuen Schüler sind noch aufgeregt, hier mit dir zu spielen.« »Dann sollte ich wohl meinen Charme spielen lassen. Lass uns mal zur Bühne gehen.« Herr Kramer führte Carsten und Leonardo direkt zum Schauplatz. Dr. Walz sah Carsten kommen. Ließ jedoch das Stück zu Ende spielen. Carsten hörte, wie verkrampft die Ouvertüre klang. Der Dirigent legte seinen Baton auf das Pult und lenkte seine Aufmerksamkeit den Neuankömmlingen zu. »Ladies und Gentlemen, ich darf Ihnen Carsten von Feldbach vorstellen. Ehemaliger Schüler unseres Internats und begnadeter Musiker. Ich muss gestehen, dass er mich manchmal ganz schön gefordert hat. Carsten, ich freue mich, Dich willkommen zu heißen.« »Dr. Walz. Ignatz! Übertreiben Sie nicht etwas? Leute, ich habe das Vergnügen, heute mit euch den ollen Haydn zu interpretieren.« Dieser Spruch wurde mit einem verhaltenden Lachen kommentiert. Ihr Lehrer hätte niemals den Komponisten als ›ollen‹ bezeichnet. »Noch etwas zu der Ouvertüre: Joseph Haydn mag sicher Thema im Unterricht gewesen sein. Was viele jedoch nicht wissen: Er war ein humorvoller Mann. Spielt seine Ouvertüre mit einem Augenzwinkern, nicht so steif. Lasst euch von euren Instrumenten leiten. Die Bögen der Bässe sind keine Sägen. Die Fagotte etwas kräftiger. Es klingt meines Erachtens besser, wenn ihr nicht wie in der Partitur fortissimo spielt, sondern eher im forte. Probiert es mal.« Da kam ganz der Pädagoge in Carsten durch. Dr. Walz war erst etwas überrascht. Er hatte noch nicht das Vergnügen gehabt, Carsten als einen Musikdozent zu erleben. Volker drehte sich etwas zur Seite, um sein Lachen zu verbergen, als er Ignatz‘ Mimik sah. Trotz der Kritik wiederholten sie die Ouvertüre. Sie klang plötzlich lebhafter und durch die veränderte Dynamik auch weicher. »Seht ihr, so etwas liebte Haydn. Seine Musik ist lebendig«, fasste Carsten im Anschluss zusammen. Selbst Dr. Walz gestand sich ein, dass dieses Stück so besser klang. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir gemeinsam das Publikum zum Schmunzeln bringen.« Volker führte Carsten zum Flügel. Dort richtete sich der Pianist des Abends ein und spielte zur Probe des Instruments den Quintenzirkel durch. Allein das brachte einige Schüler schon zum Staunen. »Gut. Beginnen wir. Dr. Walz?«, forderte er den Dirigenten auf. Das Schülerorchester begann mit dem Konzert. Nicht nur Carsten hörte, wie sich einige Violinisten wieder verkrampften. Dann setzte Carsten wenige Takte später ein. Bei der ersten Kadenz mischte er etwas vom Kinderlied Es tanzt ein Bibabutzemann ein. Dieses unerwartete Zwischenspiel brachte dann doch einige Schüler zum Lachen. Es blieb Dr. Walz nichts anderes übrig, als abzubrechen. Dann konzentrierte sich das Orchester auf ein Neues. Volker hörte jetzt einen etwas entspannteren Klangkörper. Selbst wenn er noch keine Vorlesung seines ehemaligen Schülers verfolgt hatte, so hörte er doch einen besonderen Stil der Vermittlung von Musik bei Carsten heraus. Die Probe verlief dann auch bei mehrmaligen Wiederholungen entspannt weiter. Nach gut zwei Stunden wurde Carsten entlassen.

Im Hotel begleitete ihn ein Page zu den Räumlichkeiten. Carsten war erstaunt, dass sie für diese eine Nacht eine Suite zugewiesen bekommen hatten. »Na, Tiger, wie war die Probe?«, begrüßte ihn Andreas. »Erfolgreich. Dr. Walz hat ein gutes Orchester geformt. Leider war meine Persönlichkeit ein kleiner Bremsklotz. Die Musiker wirkten zunächst sehr verkrampft. Doch das gab sich nach einigen Durchläufen. Ich habe erfahren, dass alle im dunklen Internatslook auftreten. Ich wähle den kleinen anthrazitfarbenen Frack und die Manschettenknöpfe mit den Retrievern. Glaubst du, Cedric ist schon bereit für ein Konzert?« »Das wissen wir ers, wenn wir es auch probiert haben. Bei dem Flug überraschte uns unser Sohn. Ich hätte nicht gedacht, dass er beide Male so gelassen blieb. Ihm war das Bilderbuch wichtiger als das, was um ihn herum passierte. Wir sollten ihm einfach die Chance geben, seine Welt kennenzulernen. Ich und Leonardo sind bei ihm. Er wird vielleicht einschlafen. Ich nehme seine Sachen mit. Damit sind wir auf der sicheren Seite. Gerade hält er ein Nickerchen.« Carsten stimmte ihm zu. Dann machte er einen Schritt auf Andreas zu und küsste ihn leidenschaftlich. Anschließend nahm er eine erfrischende Dusche. »Sag einmal, hast du uns diese Suite gemietet?« »Nein, es war die Frau des Botschafters. Die Bodyguards sind in den Nachbarzimmern untergebracht. Ist zwar etwas unpassend, doch wann wollen wir essen?« »Nach dem Konzert hier. Nichts Besonderes, etwas Leichtes für vier Personen. Stell uns ein Menu beim Zimmerservice zusammen«, antwortete Carsten aus dem Bad. Andreas brauchte nicht lange zu überlegen und bestellte ein entsprechendes Dinner beim Service. Weiter orderte er für Cedric entsprechende Zutaten für seine Mahlzeiten. Es war vielleicht eine Herausforderung für die Küche. In ihrem Londoner Stammhotel war es jedenfalls kein Problem, mit frischer Ziegen-, Schaf- und Kuhmilch zu dienen. »Tiger, es ist alles arrangiert.«

Vor dem Gewandhaus staunten einige Gäste über die exklusive Limousine, die vorfuhr. Ein Chauffeur im entsprechenden Outfit stieg aus und öffnete die Tür. Als erstes stieg ein Labrador Retriever aus. Ihn zierte ein weißes Geschirr. Ihm folgte Carsten in seinem Frack. Einige Besucher fragten sich, wer dieser junge Mann sei. Dr. Neubert erkannte seinen ehemaligen Schüler. In Begleitung seiner Gattin ging er auf Carsten zu und begrüßte ihn herzlich. Weiter hinter Carsten erkannte er auch Andreas, der ebenfalls im Frack war, dieser trug dazu in einem Tuch ein Baby. Er wurde dazu noch von einer jungen Dame begleitet, welche eine größere Tasche trug. »Carsten! Ich freue mich, Dich, Andreas und euren Sohn begrüßen zu dürfen. Darf ich dir meine Frau Evelin vorstellen. Liebes, diese jungen Männer sind Carsten von Feldbach, sein Gatte Andreas Zahradník und ihr Sohn.« »Guten Abend Frau Neubert. Wie so oft vergisst Ihr Mann meine Begleitung Leonardo vorzustellen«, scherzte er. »Guten Abend Mr von Feldbach, Mr Zahradník. Ich fühle mich geehrt, dass Sie heute bei uns sind und dieses Benefizkonzert geben.« »Meine Familie ist es der Stiftung schuldig. Nichts leichter als einen Abstecher in die Heimat zu machen. Dr. Walz hat mich bei der Generalprobe über den Ablauf des Abends gebrieft. In der Pause stellen wir uns einigen der Sponsoren. Miss Bowers begleitet mich dabei. Es tut uns beiden leid, dass wir dem Galadinner nicht beiwohnen können.« »Herr Kramer hat uns darüber informiert. Wie geht es deinen Eltern?« »Ihnen geht es den Umständen entsprechend gut. Sie erholen sich bei uns zu Hause. Andreas‘ Großeltern sind bei ihnen.« Während des weiteren Gesprächs gingen sie ins Konzerthaus. Einige Besucher erkannten nun den berühmten Pianisten und drängten sich zu der Gruppe. Bevor sie Carsten zu nahe kamen, schob sich Mr Jefferson geschickt dazwischen. Dr. Neubert beruhigte die Situation. »Carsten, Evelin und ich gehen jetzt den Verpflichtungen als Gastgeber nach. Herr Kramer erwartet dich in deiner Garderobe.« Carsten war froh, dass sein ehemaliger Direktor Herr der Situation blieb. Er selbst nahm sich vor, in der Garderobe mit seinen Bodyguards eine kleine Variante zu besprechen.

In der Garderobe erwartete ihn neben Herrn Kramer auch Herr Gärtner. »Hallo Carsten, hallo Andreas. Ich nehme an, der kleine Herr ist Cedric?«, begrüßte Thomas Gärtner die Neuankömmlinge. »Hallo Thomas. Du liegst richtig. Unser Sohn Cedric. Es ist sein erstes Konzert. Dann sind da noch meine Assistentin Miss Bowers und unser Chauffeur Mr Jefferson. Herr Walz hat mich heute Nachmittag darauf aufmerksam gemacht, dass es im Ablauf eine kleine Änderung geben wird.« »Ja. Ich werde zunächst das Publikum begrüßen. Danach gibt das Orchester mit meinem Mann eine Jazz-Einlage. Hans hatte vorgeschlagen, alle Aspekte und das Können des Orchesters aufzuzeigen. Im Anschluss beginnt das Programm wie geplant. Nach der Pause beginnt Dr. Neubert mit seiner Danksagung. Das erste Stück wird das Cellokonzert von Haydn sein. Im Anschluss ein Musik-Potpourri. Im Ganzen eine gute Mischung. In der Pause gibt es in der VIP-Lounge ein Meeting mit einigen Sponsoren. Darunter auch der Leiter des Gewandhausorchesters und der Intendant.« »Danke für die Information.« »Ich habe für euch eine Loge reservieren lassen. Dort ist es geräumiger und ruhiger. Hast du noch etwas?« »Ja, das habe ich. Es gab vorhin ein kleiner Tumult um meine Person. Ich möchte, wenn Miss Bowers es gestattet, mich nach dem Konzert dem Publikum stellen. Gibt es einen Raum, den ich dafür nutzen könnte?« »Nach dem Konzert ist die VIP-Lounge frei. Ich lasse ihn für dich herrichten.« Miss Bowers sah zu ihrem Chef, der durch sein Kopfnicken dem zustimmte. »Gut, ich denke, wir können dreißig Minuten erübrigen“, bestätigte sie diese kleine Änderung. »Andreas?« »Ja, ich warte dann in der Garderobe mit Cedric auf dich. Wir sollten jetzt los. Mr Jefferson, begleiten Sie uns?« Die Frage war eigentlich überflüssig, denn der Bodyguard würde sie sicher nicht allein gehen lassen. Doch es galt auch, den Anschein zu wahren. »Gerne, Mr Zahradník, ich nehme die Tasche mit den Utensilien.« Gemeinsam mit Leonardo ging Andreas zur Loge. Carsten spielte sich am Piano warm. Dann klopfte es an der Tür und Herr Walz kam herein. »Hallo Carsten, gleich ist es soweit.« »Danke. Ignatz, ich habe mich für heute Nachmittag nicht entschuldigt. Es war nicht fair.« »Carsten, du hast nichts falsch gemacht. Ich habe selbst gehört, wie nervös das Orchester war. Du hast eine recht bildliche Sprache, die die Schüler verstehen. Die Streicher waren nicht locker und ja, die Bögen sind wirklich keine Sägen. Auch deine Idee zur Dynamik war korrekt. Du hast mir schon als Schüler immer wieder Kontra gegeben. Weißt du, solche Schüler sind mir am liebsten. Du bist ein guter Pädagoge geworden«, fasste er seine Ansicht zusammen. »Nur habe ich den Vorteil, dass ich mich mit Studenten auseinandersetzte. Es ist einfacher, als jemandem ein Instrument neu zu lehren.« Herr Walz wusste, was Carsten damit sagen wollte. Lehrer wie er mussten ein Instrument vermitteln, damit Dozenten wie Carsten anschließend die Feinheiten lehrten. »Aber musstest du Haydn als ›ollen Haydn‹ bezeichnen?«, schmunzelte er. »Klar, als er die Ouvertüre schrieb, war er schon über sechzig. Ein sehr hohes Alter in seiner Zeit. Obendrein lockerte es die Stimmung auf.« Jetzt war der ältere Pädagoge doch baff. »Ignatz, mein Studienschwerpunkt lag in der Musikhistorie. In der Wiener Klassik kenne ich mich bestens aus. Doch nun sollten wir uns aufmachen. Ich warte wie abgesprochen hinter der Bühne, bis du mich zum Konzert holst.

In der Loge war es wirklich bequem für die Besucher. Andreas setzte sich so, dass Cedric alles sehen konnte. Auch wenn alles neu für den kleinen Mann war, blieb er doch gelassen und neugierig. Mit einer Hand hielt er sich an seinem Papa fest und mit der anderen deutete er auf verschiedene Dinge, die ihm dann Andreas erklärte. Die Rede von Thomas war halt politisch korrekt und wenig aussagekräftig. Andreas erkannte seinen Bekannten kaum wieder. Ganz der Vertreter einer Stiftung. Dann begann Hans mit dem Orchester ein modernes Jazzstück. Verlernt hatte er nichts. Die Töne des Saxophons zeichneten mit dem Orchester ein interessantes Bild moderner Musik. Cedric war beeindruckt und nuckelte beruhigt an seinem Schnuller. Mr Jefferson erkannte beide nicht wieder, wie ruhig sie dasaßen. Am Nachmittag hatten sich beide am Boden gewälzt und Andreas seinen Sohn gekitzelt. Cedric hatte dabei lautstark. giggelte. Jetzt war davon nichts zu bemerken. Ganz im Gegenteil. Cedric schien Musik zu mögen. Auf der Bühne wurde es wieder ruhiger und die letzten Töne verklangen im Konzertsaal. Es setzte Applaus ein und selbst der kleine Mann klatschte etwas, mit Andreas’ Hilfe. »Mr Jefferson. Jetzt beginnt das eigentliche Konzert. Zunächst eine Ouvertüre und danach folgt das Klavierkonzert. Ich hoffe, es gefällt Ihnen.« Der Sicherheitsbeamte nickte. Auf der Bühne tat sich etwas und das klassische Programm begann. Als der Dirigent kurz hinter die Kulisse ging, wusste er, dass es soweit war. Er hoffte, seine Kollegin hatte dort alles im Blick. In Begleitung führte der Dirigent Carsten zum Flügel. Der junge Mann hielt sich mit einer Hand am Flügel, blieb aber weiter stehen. Herr Walz wandte sich ans Publikum. »Verehrte Ladies und Gentlemen. Herr von Feldbach, ein ehemaliger Schüler des Internats, interpretiert mit den Internatsorchester das D-Dur-Klavierkonzert Hob: XVIII:11 von Franz Joseph Haydn. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.« Während der Vorstellung verbeugte sich Carsten erst zum Publikum und dann vor dem Orchester. Danach richtete er sich am Flügel ein. Das Licht im Konzerthaus wurde gedämpft. Andreas sah das obligatorische Nicken seines Mannes zum Dirigenten. Auch Cedric erkannte, wer da im Lichtkegel saß und tat lautstark seine Erkenntnis kund: »Baba! Abba da!« Mr Jefferson erschrak etwas, doch Andreas hatte damit gerechnet. Er flüsterte seinem Sohn etwas zu. Danach schob er ihm den Schnuller wieder in den Mund.

Auf der Bühne hatte Carsten diesen kleinen Ausruf dennoch vernommen und lächelte. Konzentriert begann das Konzert und Carsten gab mehr als sein Bestes an den Tasten. Ganz anders als bei der Generalprobe klang das Konzert im weichen Stil der Wiener Klassik. Es hatte eine magische Wirkung auf das Publikum. Viel zu schnell verging die Präsentation. Mr Jefferson konnte kaum glauben, dass eine halbe Stunde vergangen war. So fasziniert war auch das Publikum. Der Applaus setzte versetzt, aber stürmisch ein. Ganz Gentleman, ehrte Carsten erst das Orchester und den Dirigenten durch zustimmenden Applaus. Erst dann wandte er sich dem Publikum zu. Es dauerte etwas, bis der Applaus abnahm. Carsten setzte sich wieder an den Flügel und fing mit der abgesprochenen Zugabe an. Andreas wusste, dass Carsten immer auch ein Stück frei und spontan wählte. Er war gespannt, was es dieses Mal war. Cedric lehnte sich langsam an seinen Körper und Andreas , wie der kleine Körper sich immer mehr entspannte. Geschickt legte er ihn in das Tuch und deckte ihn etwas zu. Genau passend ertönte die Melodie des italienischen Kinderliedes. Da wurde Cedric wirklich von beiden Papas mit viel Liebe in den Schlaf begleitet. »Mr Jefferson, wir sollten zur Garderobe zurückgehen. Der kleine Gentleman schläft«, sprach er leise zum Bodyguard. Dieser nickte lediglich, nahm die Tasche an sich und die Gruppe verließ noch vor dem Ansturm auf den Gängen die Loge.

In der Garderobe warteten bereits Miss. Bowers und Carsten. Auf dem Tisch standen verschiedene Getränke. Carsten hatte sich ein Orangensaft eingeschenkt. »Da sind ja meine Männer«, begrüßte er die Ankömmlinge. »Ja. Nur einer schläft bereits. Ich weiß, dass du jetzt noch Verpflichtungen hast. Wir warten hier auf dich.« In der VIP-Lounge mischten sich Andreas und Carsten unter die Besuchern. Mr Jefferson hatte sich bereiterklärt, bei Cedric in der Garderobe zu bleiben. Die große Tasche beherbergte ein mobiles Bettchen für den Jungen, wo er in seliger Ruhe schlief. Andreas wechselte einige Worte mit seinem ehemaligen Lehrer und dem ausscheidenden Institutsleiter. Carsten war in ein Gespräch mit Sponsoren verwickelt. Der Aufenthalt wurde durch ein Klingeln beendet. Andreas ging mit Carsten und Miss Bowers zur Loge. Der zweite Teil des Konzertes war nicht ganz so lang wie der erste. So wurde der Abend nicht ganz so spät. Selbst das außerplanmäßige Treffen nach dem Konzert tat dem keinen Abbruch.

Im Hotel versorgte Andreas Cedric, der den restlichen Abend verschlief. Dem Dinner in der Suite wohnten auch beide Botschaftsangestellte bei. In lockerer Atmosphäre wurde über den Aufenthalt gesprochen. »Wenn ich korrekt informiert bin«, meinte Mr Jefferson, »geht ihr Flug am Mittag.« »Ja, wir haben einen Direktflug bis nach Edinburgh. Dort steht unser Wagen.« »Aus Erfahrung weiß ich, dass Babys morgens nicht ganz so lange schlafen. Vielleicht würde Ihnen ein Abstecher zum Weihnachtsmarkt gefallen?« »Eine gute Idee. Wir könnten nach kleinen Präsenten für die Familie Ausschau halten«, war Carsten von der Idee angetan. »Warten wir ab, wie fit Cedric morgen ist“, bremste Andreas die Euphorie. »Es war ein sehr langer Tag für ihn und er hat heute wenig geschlafen.« »Gut. Warten wir ab.« »Das war also ein Benefizkonzert der Gärtnerstiftung. Wie hoch werden wohl die Einnahmen sein?«, interessierte sich Miss Bowers. »Es gab schon einmal ein Konzert im Gewandhaus. Damals waren Andreas und ich selbst als Schüler dort. Wenn ich mich recht erinnere, belief sich der Reinerlös auf mehr als 25.000 Euro“, resümierte Carsten. »Ich denke, dieses Mal wird mehr dabei herausspringen. Carsten ist hier in der Region ein bekannter Pianist. Außerdem war das Programm für ein Schülerorchester sehr anspruchsvoll. Das Cellokonzert wurde wirklich bodenständig aufgeführt. Von der Cellistin werden wir noch hören.« »Andreas hat recht. Das ganze Konzert war sehr gut vorbereitet und professionell durchgeführt. Die Kosten für das Konzerthaus wurden vom Intendanten gespendet. Es fallen kaum Ausgaben an.« »Was macht denn diese Stiftung aus?«, fragte Mr Jefferson nach. »Die Stiftung setzt sich für die Belange von Kindern und Jugendliche ein. Vertritt diese sogar gegenüber der Politik. Erklärtes Ziel ist die Verankerung der Grundrechte für Kinder und Jugendliche im Grundgesetz«, berichtete Andreas. »Herr Johansson hat einige Klagen vor dem EuGH und dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Das hatte schon ein kleines politisches Erdbeben ausgelöst. Hier in Deutschland war es schon richtungsweisend, sich mehr für die Rechte der Kinder einzusetzen«, erklärte Andreas den Bodyguards weiter. Miss Bowers dachte darüber nach. »Solches Engagement fehlt im Königreich. Wenn ich daran denke, wie meine Kinder allein in der staatlichen Schule von den Lehrern behandelt wurden. Das hat sich erst in einer privaten Institution geändert. Was wohl daran liegt, das meine Lebenspartnerin und ich dafür bezahlen. Stimmt es wirklich, dass Sie beide jemanden von der Straße bei sich aufgenommen haben?« »Ja, Merlin brauchte einfach etwas Starthilfe und einen sicheren Halt. Da haben wir eng mit der Polizei und der Jugendbehörde zusammengearbeitet. Die Bewohner des Dorfes helfen ihm ebenfalls. Bisher hat er uns nicht enttäuscht.« »Obendrein vertrauen wir unserem Hund Salvatore. Der Bruder von Leonardo hat einen siebten Sinn für Charaktere. Ihn zu täuschen ist ein Ding der Unmöglichkeit.«

Der Abend ging gemütlich zu Ende. Mitten in der Nacht wurde Carsten durch einen unruhigen Cedric geweckt. »Tiger, ich glaube, unser Sohn mag nicht allein schlafen. Das Hotel scheint ihm nicht ganz geheuer zu sein. Geben wir ihm etwas Sicherheit“, flüsterte Andreas in die Dunkelheit. »Bin schon auf dem Weg«, antwortete ihm Carsten ebenso leise. Es war genau das, was Cedric benötigte. Zwischen seinen Papas schlief er leise murmelnd wieder ein.

Die Nacht war dennoch schon um acht wieder vorbei. Länger hielt es der kleine Mann nicht aus. Eine halbe Stunde später saßen die drei in ihrer Suite beim Frühstück. »Sollen wir doch noch über den Weihnachtsmarkt gehen?«, erinnerte Andreas an den Vorschlag. »Nicht hier. Am Flughafen gibt es ebenfalls einen kleinen Markt. Dort können wir uns die Zeit vertreiben. Wenn wir in Edinburgh sind, gehen wir auch mal dort durch die Stadt. Es war die letzte Veranstaltung für uns. Jetzt haben wir zwei Wochen frei.« »Glaubst du, meine liebsten Männer erlauben mir, für Sami und Aaron ein Spielparadies zu kreieren?« »Es ist wohl dein Weihnachtsgeschenk für Rachids Familie. Mach nur. Wir werden dir sicher dabei helfen“, sprach Carsten für Cedric mit. »Ob Rachid und Bryan schon Erfolg in unserer Sache hatten?« »Fragen wir sie einfach«, wirkte Carsten nachdenklich. »Mir wäre lieb, wenn diese Sache aus der Welt wäre.« »Nicht nur dir. So, ich suche einmal unsere Sachen zusammen. Schon erstaunlich, für uns beiden reicht ein Koffer und Cedric braucht einen und eine Tasche für sich allein.« »Stimmt. Andersherum wäre unser Aufenthalt nicht so ruhig verlaufen, wenn wir nicht seine Lieblingssachen dabeigehabt hätten. Stell dir einmal vor, er würde noch Windeln tragen, dann hätten wir eine Tasche mehr gebraucht.« Cedric nuckelte friedlich an seinem Schnuller auf Carstens Schoß. »Ah! Baba“, meinte er plötzlich und der Sauger flutschet aus seinem Mund. Andreas brauchte etwas, während Carsten aufstand und zur Toilette ging. Dann fiel auch bei ihm der Penny. Als beide wieder im Zimmer waren, sah der kleine Mann zufrieden aus. »Ich habe ihm das nicht beigebracht. Er braucht noch viel Unterstützung dabei, aber seine Hose blieb sauber«, berichtete Carsten stolz. »Ich weiß nicht, ob das normal ist in seinem jungen Alter, doch er hat uns in den letzten drei Wochen ständig überrascht.« Andreas umarmte seine beiden Männer. »Er ist unser Sohn. Das hat er wohl bei seinen Papas abgeguckt“, scherzte er. »Beim gemeinsamen Spielen hat er sich aus einer sitzenden Position auf die Seite fallen lassen. Dabei hatte er schon Spaß. Dann drehte er sich auf den Bauch und schob sich mit seinen Beinchen etwas vor. Wenn ich es nicht besser wüsste, wird unser kleine Held mobil.« »Dann werden Salvatore und Leonardo eine zusätzliche Aufgabe haben. Wie sieht es an unserer Treppe aus? Gibt es da eine Schutzvorrichtung?« »Ich habe von unserem Tischler ein passendes Gitter anfertigen lassen. Du kannst es einfach zur Seite schieben und es schließt sich selbsttätig. Es sieht genauso aus wie das Treppengeländer.« »Was ist mit unseren Hunden?« »Sie können ebenfalls das Gitter beiseiteschieben. Immerhin können sie auch Türen öffnen. Ich glaube nicht, dass Leonardo und Salvatore damit Probleme haben. Wenn es eilig ist, schaffen sie es auch, darüber hinwegzuspringen. Es ist auch nicht für ewig gedacht. Nur, solange Cedric noch nicht ganz so sicher auf seinen Beinen ist. Hattet ihr nicht auch etwas Vergleichbares, als Ercan klein war?« »Nein, Papa war ja fast immer zu Hause und hatte auf uns Kinder immer ein wachsames Auge. Ich bin mit deiner Lösung zufrieden. Die Treppe ist ja auch schon ein wenig länger als in meinem Elternhaus.«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach die Unterhaltung. Mr Jefferson betrat die Suite und sah erstaunt, dass die Koffer schon gepackt waren. »Guten Morgen, wie haben Sie sich entschieden?« »Wir fahren gleich zum Flughafen und besuchen dort den Weihnachtsmarkt. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden?« »Ja, Miss Bowers kennt sich dort auch gut aus. Sagen wir: in einer Stunde?« »Das ist uns ganz recht.« »Die Frau des Botschafters lässt anfragen, ob Sie im kommenden Jahr Konzerte in Deutschland geben. Sie würde Ihre Familie gern kennenlernen.« »Geplant sind offiziell keine Konzerte in Europa. Ich habe eine Einladung für New York. Das Boston Symphony Orchestra hat schon mal eine Anfrage gestellt. Darum wird sich aber mein Agent kümmern. Das wird frühestens im Herbst stattfinden.« »Carsten, wir können ruhig mal ein verlängertes Wochenende in Berlin verbringen. Da steht doch einem Besuch in der Botschaft nichts im Weg. Sagen wir zum Neujahrsempfang? Wann findet der denn eigentlich statt?« »Der offizielle Empfang für die Vertreter des Commonwealth of Nations in Deutschland findet immer erst Ende Januar statt. Davor haben der Botschafter und seine Gattin den Empfang beim Bundespräsidenten. Ich werde ihren Vorschlag der Botschafterin unterbreiten. Ich bereite schon einmal das Auschecken vor. Darf ich Ihre Taschen schon zum Auto bringen?« »Nur die Koffer, die Tasche für Cedric nehmen wir anschließend mit.«

An der Einfahrt zur VIP-Area des Flughafens reichte Mr Jeffersons Ausweis aus und der Wagen passierte die Absperrung. »Georgia, gehen Sie doch mit den Herren zum Weihnachtsmarkt. Ich gehe schon mit dem Gepäck zur VIP-Lounge. Treffen wir uns dort eine Stunde vor dem Abflug. Ich werde der Fluggesellschaft mitteilen, dass Sie dort anzutreffen sind.« »Danke, Mr Jefferson. Andreas, hast du meine Sonnenbrille? Ich möchte keine Aufmerksamkeit erregen.« »In Cedrics Tasche. Ich gebe dir die mit den leicht getönten Gläsern. Das fällt hier weniger auf.«

Der Weihnachtsmarkt des Flughafens bot ein vielfältiges Angebot. Trotz der frühen Stunde war er schon rege besucht. Andreas vermutete darunter viele Passagiere. »Sag einmal, Schatz, unser Baum, wie sollen wir ihn gestalten?« »Normal hätte ich ihn eher schlicht gehalten. Nicht ganz so bunt. Für Cedric soll er aber interessant sein. Daher dachte ich an diversen Figuren aus Holz, einige bunten Kugeln, etwas Glitzer und Lametta. Kerzen, die wie echt aussehen, aber elektrifiziert sind.« »Wie meinst du das? Wachskerzen mit LEDs?« »Nein, ich habe mal eine Lichterkette gesehen, bei denen die Flammen im Luftzug wackeln. Aus der Entfernung sehen sie wie echt aus. Hey, glaubst du, ich denke nicht auch an unsere Hunde?« »Doch. Glaubst du, wir finden hier so etwas?« »Möglich«, antwortete Andreas. Dann fiel im etwas ins Auge. »Guck mal Cedric. Eine Eisenbahn.« Gemeinsam gingen die drei plus Hund zu dem Stand. »Dada“, meinte er und deutete mit der Hand auf einen Holzhund. »Du interessierst dich für den Hund?« »Dada.« »Tja, anscheinend teilt Cedric nicht deine Vorliebe für Eisenbahnen«, grinste Carsten. Andreas ließ sich nicht beirren. Er verhandelte mit dem Verkäufer und erwarb die Eisenbahn. Carsten wandte sich mit Cedric ab, der eigentlich gern den Hund gehabt hätte. Seinen Unmut machte er lautstark bekannt. Carsten hatte Mühe, ihn zu beruhigen und lenkte die Aufmerksamkeit des Jungen auf Leonardo. Dann ging er in die Hocke und ließ Cedric den Hund streicheln. Es wirkte. Leonardo ließ es sich gefallen und schubste den Jungen mit seiner feuchten Nase an. »Das ist ja ekelhaft. Wie können Sie nur das Kind den Bakterien aussetzten? Unverantwortlich, und so jemand will Vater sein«, beschwerte sich eine ältere Dame. Bevor Carsten etwas antworten konnte, war die Dame schon wieder verschwunden. Cedric wusste nicht, was er davon halten sollte und sah seinen Papa an. Carsten spürte die Bewegung in dem Tuch. »Mach dir nichts daraus, Cedric. Leonardo darf dich auch weiterhin beschnüffeln und du darfst auch weiter mit deinen Teddybären auf vier Pfoten spielen. Du solltest wissen, dass es nicht unhygienisch ist und dass dein Immunsystem dadurch nur besser wird.« Cedric hörte die vertraute Stimme. Sie gab ihm Gewissheit, dass alles in Ordnung ist. Dann drehte er sich um und Leonardo leckte ihm seine Hand. Das kitzelte und Cedric giggelte. Papa Carsten stand wieder auf und wurde angerempelt. »Oh, entschuldigen Sie.« »Es ist nichts passiert. Dem Jungen geht es gut«, gab Carsten Auskunft und strich Cedric sanft den Kopf. Wenig später hörten die beiden einen Aufschrei. Miss Bowers hatte dem Mann fest im Griff. Dieser Tumult weckte die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte. »Entschuldigen Sie?« »Gut, dass Sie kommen, dieser junge Mann hat die Brieftasche des Mannes mit dem Baby geklaut.« »Sind Sie sich sicher?« Anstelle zu antworten, zeigte sie ihren Botschaftsausweis. »Bitte leeren Sie ihre Taschen«, forderte der Polizist den protestierenden Täter auf. Kurz darauf durchsuchte der zweite Beamte den Mann und brachte Carstens Brieftasche zum Vorschein. »Ich glaube, Sie begleiten uns zur Wache«, beendete der Polizist die Diskussion. Dabei übergab er Carsten seine Brieftasche. »Hier ist Ihr Eigentum. Möchten Sie Anzeige erstatten?« Carsten nahm dankbar seine Brieftasche an sich. »Der Täter ist in flagranti erwischt worden. Ich denke, das reicht sicher für Sie aus. Mein Flug wird bald aufgerufen werden. Meine Assistentin wird Ihnen die nötigen Informationen geben.« »Ja. Ihnen und ihrer Familie wünschen wir ein schönes Fest.« Dann führten sie den Mann in Handschellen ab. Andreas wusste nicht, was da passiert war. Er stellte sich an Carstens Seite und hielt sich ansonsten im Hintergrund. »Danke, Miss Bowers. Ich habe es wirklich nicht bemerkt.« »Dafür bin ich ja da. Taschendiebe bevorzugen solche Menschenmengen. Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Tragen Sie Ihre Brieftaschen lieber in einer verschließbaren Innentasche Ihrer Jacke.« »Das mache ich nun auch. Andreas, lass uns zur Lounge gehen. Mir ist der Spaß an diesem Weihnachtsmarkt vergangen.« Andreas legte Carstens Hand auf seinem Arm. Er führte seine Familie zurück zur Lounge. Leonardo und Miss Bowers folgten ihnen. Selbst Cedric war sichtlich froh, mehr Ruhe um sich zu haben. »Ich besorge uns einen kräftigen Tee“, bot sich Miss. Bowers an. »Schatz, warst du erfolgreich?«, lenkte Carsten von seinem Stimmungstief ab. »Gewiss. Die Eisenbahn wird sicher später mal für Cedric interessant. Mal sehen, wie er auf den Hund reagiert. Der Verkäufer war so freundlich und hat sein Geschenk in buntes Papier mit Figuren verpackt.« »Hast du eine Ahnung, was unsere Eltern und Großeltern unternehmen?« »Babi und Nonna stricken sehr gerne. Ich könnte mir vorstellen, dass sie für Cedric etwas stricken.« »Hoffentlich nicht mit Schafwolle. Mama hat mir einmal daraus einen Pullover gestrickt. Der hat gekratzt.« »Nein, beide bevorzugen Baumwolle. In der Tschechischen Republik gab es früher nicht so viele Rohstoffe. Sie haben leidliche Erfahrung mit der Wolle von Schafen. Ich hatte einen sehr schönen Pullover von Babi bekommen. Weich und bunt. Als Junge hatte ich ein Faible für Schiffe. Daher hat sie mir einen mit einem grünen Schiffchen gestrickt“, schwärmte Andreas. »Ich war im Kindergarten der Star. Alle wollten so einen Pullover haben. Auch in der Schule trug ich gerne ihre Strickerzeugnisse. Nonna strickte mir einen Norweger mit Stehkragen, Reißverschluss und Taschen. Ein wirklich bequemes Kleidungsstück und es hielt mich warm.« Cedric lauschte der Unterhaltung. Carsten spürte jedoch, wie sich sein kleiner Körper entspannte. »Ich denke, es ist für den Flug besser, wenn Cedric in seinem Bett schläft.« Andreas stimmte dem zu und verwandelte die Tasche wieder in das kleine Bett. Behutsam nahm er Carsten ihren Sohn ab und legte ihn samt seinem Teddy hinein. Zuletzt deckte er ihn zu. Gerade als diese Aktion beendet war, erschien die Flugbegleiterin. Kurz prüfte sie die Flugtickets und danach begleitete sie die Gruppe zu ihren Plätzen im Flugzeug. Mr Jefferson half, das Gepäck verstauen. »Ich wünsche Ihnen einen guten Flug«, verabschiedete er sich. »Danke, dass Sie und Miss Bowers für unsere Sicherheit sorgten.« »Das haben wir gern gemacht. Nicht immer ist es so einfach, für die Sicherheit zu sorgen. Wir sehen uns dann zum Neujahrsempfang wieder.« Damit verließ Mr Jefferson das Flugzeug. Während des Fluges schlief Cedric. »Unser kleiner Mann schläft friedlich.« Dabei sah Andreas zu ihrem Sohn. »Leonardo döst auch vor sich hin. Ein sehr angenehmer Flug“, meinte Carsten. »Jetzt haben wir zwei Wochen frei.« »Bis Edinburgh dauert es noch, lass uns einmal unsere Termine für das kommende Jahr aktualisieren“, schlug Andreas vor. Ihre Tätigkeit wurde durch die Ansage unterbrochen, dass der Landeanflug bereits begonnen habe. »Mann, ich hätte nicht gedacht, dass wir über eine Stunde an unserem Timer gefeilt haben.« »Kunststück. Ich habe ja das Projekt Glasgow bisher nicht berücksichtigt und du möchtest ja für die Prüfungen der Studenten mehr Zeit einräumen. Die Konzerte und meine Besichtigungen aller Projekte hatten wir im Detail ja auch nicht besprochen. Allein die zwei Wochen New York, Boston und Washington verschieben so manche unserer anderen Termine.« »Meinst du, wir nehmen uns zu viel vor?« »Ehrlich? Nein. Bei aller Liebe zu unseren Berufungen, unser Hauptaugenmerk liegt bei der Familie. Cedric wird bei den meisten Terminen dabei sein. Wir haben Zeit, um unsere Großeltern und Eltern zu besuchen. Wir erlauben uns vier Wochen Urlaub. Das kann nicht jeder von sich behaupten.«

Die Landung verlief reibungslos. Der kleine Hupfer bei Bodenkontakt weckte Cedric, der mit dem schönsten Blick auf seine Paps belohnt wurde. »Taťka.« Andreas nahm das Tuch und seinen Sohn aus dem Bett. »Hallo Cedric. Du hast ja wirklich lange geschlafen.« Cedric freute sich über das Lob. »Carsten, du nimmst seine Tasche. Ich kümmere mich um unser Gepäck.« Am Check-Out-Schalter wurden sie schon von ihrem Bodyguard erwartet. »Hallo. Mr Jefferson hat mich über ihren Abflug informiert. Ich soll Ihnen sagen, dass der Taschendieb in Gewahrsam bleibt. Die Polizei Leipzig suchte ihn schon wegen diverser Delikte.« »Ein Bösewicht weniger auf den Straßen. Gibt es in Edinburgh einen Weihnachtsmarkt?« »Ja. Möchten Sie diesen besuchen?« »Es ist noch früh und unser kleiner Mann ist hellwach. Es spricht nichts dagegen.« »Gut. Verstauen wir erst Ihr Gepäck und dann fahren wir mit meinem Wagen in die Stadt.« »Einverstanden. Carsten, aus der Tasche von Cedric benötigen wir die Trinkflasche und den Flaschenwärmer. Kennen Sie auch einen Tea Room, der eventuell auch Babynahrung vorhält? Cedric wird bald Hunger haben.« »Ich kenne da einen kleinen Coffee-Shop. Der sollte ideal für kleine Menschen ausgestattet sein. Die Inhaberin hat für die Kinder der Kundschaft sogar eine Spielecke einrichten lassen. Dann mal los.«

Im Shop ging es lebhaft zu. Die Inhaberin kam direkt zu dem Tisch der vier Herren. »Sie wünschen?« »Für uns einen Kaffee und, wenn Sie haben, einen entsprechenden Milchshake für den kleinen Herren im Tuch.« »Ich kann dem kleinen Mann mit einer Vanillemilch dienen.« »Gerne. Welche Milch verwenden Sie?«, fragte Carsten nach. »Kuh- und Schafmilch, Sojamilch.« »Dann halb Kuh- und Schafmilch. Kein zusätzlicher Zucker.« »Dann würde ich etwas Banane empfehlen.« »Das wäre ideal. Würden sie es in diese Flasche füllen?« Die Lady nahm die Flasche an sich und ging. Es dauerte nicht lange und sie erschien mit einem Tablett mit dem Gewünschten. Andreas nahm die Flasche an sich. Als Cedric diese sah, wurden seine Augen groß und er versuchte mit beiden Händen, diese zu greifen. »Nicht so schnell, Cedric. Es nimmt dir keiner deinen Drink weg.« Wenig später hielt der Junge mit beiden Händen seine Flasche, die von Andreas lediglich in Position gehalten wurde. Die Umgebung beobachtend, nuckelte Cedric zufrieden vor sich hin. »Wie war Ihr Konzert?« »Es war sehr gut. Unser altes Internat bringt sicher noch viele gute Musiker hervor. Mein Part war wohl der Aufhänger, um mehr Spenden zu sammeln. Das eigentliche Programm zeigte allen Besuchern auf, wozu talentierte Schüler fähig sind. Bei unserem ersten Benefizkonzert vertrat ein Nachhilfeschüler von mir mit einem Konzert von Rachmaninoff die klassische Musik. Miguel ist ein erfolgreicher Pianist. Er und sein Partner Raphael haben sich als Duett einen Namen bei der modernen Interpretation von Jazz'n’Boogie gemacht. In meinen Kursen am College lehre ich auch Interpretationen der alten Werke auf modernen Instrumenten. Es klingt anders. Für mich als Dozent jedoch sehr interessant.« »Ist das der Grund, warum du dich auch mit Musikern triffst, die andere Instrumente spielen?« »Ein Grund. Ich traf mal Mr Taylor, den Schlagzeuger. Von ihm lernte ich, wie durch einfache Mittel ein Sound verändert werden kann. Ein Becken ist ein Becken. Mit Drumsticks, Rods, Besen und Mallets klingt es mal hart, mal weich, laut oder leise. Eine einfache Wäscheklammer verändert die Charaktereigenschaft des Sounds. Mein Kollege der experimentellen Musik - mir tat es als Pianist in der Seele weh - legte leere Flaschen auf die Saiten eines Flügels. Der Effekt war enorm.«

Nicht nur Andreas hörte Carsten zu. Cedric lauschte den Worten seines Papas. Ob er diese auch verstand? Als Carsten eine Pause machte, nuckelte er munter weiter. »Baba, Baba!«, machte er Andreas darauf aufmerksam, dass die Flasche leer war. »Oh, dann wird es wohl Zeit.« Noch bevor Andreas Cedric anheben konnte, rülpste der vernehmlich. Carsten konnte nur schwer ein Grinsen unterdrücken. »Das wäre wohl auch erledigt«, kommentierte Andreas lediglich. »Wünschen die Herren noch etwas?«, fragte die Serviererin. »Bitte füllen Sie die Flasche für den kleinen Herren noch einmal auf. Falls er unterwegs noch etwas Hunger bekommt.«

Nachdem die Flasche in dem Flaschenwärmer verstaut war, bezahlte Carsten die Getränke mit seiner Kreditkarte. Dem Besuch des Marktes stand nun nichts mehr im Weg. Der Bodyguard erfüllte seine Aufgabe sehr gut. Dabei machten es ihm Andreas und Carsten einfach. Sie traten einfach als Freunde auf. Weil Carsten spürte, dass Leonardo sich nicht immer wohl zwischen den Menschen fühlte, ließ er sich von dem Bodyguard führen. Leonardo dankte es ihm auf seine Weise. »Darf ich Sie fragen, wie Sie heißen?« »James Muller. Warum?« »Wenn wir hier unauffällig bleiben wollen, sollten wir uns auch wie alte Bekannte benehmen. Nennst du deine Freunde immer beim Nachnamen?« »Nein, Carsten. Sucht ihr etwas Bestimmtes?« »Eine Lichterkette mit sich bewegenden Flammen. Andreas meint, dass so etwas sehr stimmungsvoll am Weihnachtsbaum ist.« James dachte ein Augenblick nach. »Ich bin mir nicht sicher, doch ich kenne einen kleinen Laden, der eventuell so etwas haben könnte.« »Einen Versuch ist es wert. Andreas, kommst du?« »Wir folgen euch.« James führte die Gruppe zu einem etwas abgelegenen Shop. »James, was führt dich und deine Freunde zu mir?«, wurde Mr Muller begrüßt. »Robert, wir sind auf der Suche nach einer speziellen Lichterkette. Carsten, würdest du ihm das erklären?« Carsten beschrieb, was sie suchten und Andreas sah sich die vorgelegte Ware an. »Diese ist genau so, wie ich mir unsere Baumbeleuchtung vorgestellt habe.« »Wie viele Lampen darf sie denn haben? Ich biete diese in drei Varianten an, mit 10, 20 und 50 LEDs.« Andreas sah sich die Beschreibung genau an. Interessiert nahm auch Cedric die bunten Verpackungen ins Visier. »Ich nehme die mit 10 und 20 Kerzen. Fünfzig sind zu viel.« »Gut, darf es noch etwas sein?« »Nein, oder?«, fragte Andreas seine Begleitung. Alle verneinten und nachdem die Lichterketten in einer Tasche verstaut waren, zahlte Carsten. James nahm die Tasche an sich. Danach gingen sie zurück zum Markt. Gemeinsam gingen sie die Stände ab. James wunderte sich, wie interessiert Carsten war und Andreas die Auslagen beschrieb. Am Riesenrad machten sie halt. »Man hat eine wunderschöne Aussicht über Edinburgh. Die Burg, der Markt, bis weit darüber hinaus«, meinte James, ohne sich bewusst zu sein, dass Carsten davon eigentlich nichts hatte. »Andreas, wenn du, Cedric und James eine Runde fahren möchtet. Leonardo und ich bleiben und warten solange.« Carsten wusste, dass Leonardo ungern in kleine Räume ging. James setzte zu einer Antwort an, wurde aber von Cedric unterbrochen. Er verlor seinen Schnuller und meinte begeistert ›Taťka, Baba, Dada‹, dabei winkte er mit seinem Ärmchen zum Riesenrad. »Nein, Cedric. Leonardo mag keine kleinen Räume. Er fühlt sich nicht wohl darin“, erklärte Carsten dem Jungen. »Ich warte mit Leonardo hier auf euch.« Andreas sah zu dem Jungen hinunter, der einen nachdenklichen Eindruck machte. James hatte zwischenzeitlich Karten besorgt. Als Andreas mit Cedric in die Gondel einstieg, fragte er weinerlich ›Baba! Abba? Dada?‹ in Carstens Richtung. »Carsten, tu unserem Sohn den Gefallen. James, passen sie auf Leonardo auf?« Der Bodyguard blickte kurz zum Hund. »Natürlich, ich sehe dem Hund an, dass er euch das Vergnügen gönnt.« Carsten gab sich geschlagen. Cedric möchte ihn dabeihaben.

Langsam ging die Gondel in die Höhe. Carsten gestand sich ein, dass er sich dabei nicht wirklich wohl fühlte. Das leichte Geschaukel gefiel aber Cedric, der glücklich vor sich hin redete. »Danke!«, flüsterte Andreas seinem Tiger ins Ohr. Dann begann er, seinen Männern alles zu beschreiben, was er sah. Von Cedric ertönte so manches Mal ein ›Oh‹, ›Baba‹ und ›Abba‹. Carsten legte seinen Arm um seine Männer und genoss dann einfach die Situation. Immer wenn Cedric bemerkte, dass Carsten nicht in die gleiche Richtung sah, streckte er sich etwas und berührte dessen Gesicht.

Carsten drehte seinen Kopf und Cedric giggelte zufrieden. Andreas war erstaunt, wie schön ihre Hauptstadt war. Als die Gondel am höchsten Punkt stoppte, drehte er sich zu Carsten um und gab ihm einen innigen Kuss. Cedric drehte sich etwas. Ihm gefiel, was er sah, und lächelte. Am tiefsten Punkt entdeckte er Leonardo neben den Wartenden stehen. »Dada!«, winkte er aufgeregt in dessen Richtung. »Das ist Leonardo, du hast gut aufpasst«, bestätige Andreas ihn.

Nach zwei weiteren Runden endete die Fahrt. James reichte Carsten die Hand und half ihm beim Aussteigen. »Ich hoffe, es war für euch alle eine schöne Fahrt?« »Das war es. Für Cedric ein einmaliges Erlebnis. Sorry, dass du nicht mitfahren konntest.« »Ich bin hier aufgewachsen. Ich habe nichts verpasst. Dagegen hat mich Leonardo überrascht. Als er euch sah, wurde er munter und stellte sich in Pose. Euer Sohn hat ihm zugewinkt. Ich denke, er war auch froh, nicht mitfahren zu müssen.« »Er mag beengte Verhältnisse nicht. Da kommt er ganz nach seiner Familie. Ein Aufzug, egal wie groß, ist ihm ebenfalls nicht geheuer. Da nutzen wir Treppen. Mit dem Effekt, ich bleibe fit«, grinste Carsten James an. Dann beugte er sich zu dem Hund hinunter und streichelte ihn. »Das hast du gut gemacht, mein Freund.« Andreas räusperte sich. »Ich glaube, das war genug für Cedric. So langsam wird er schläfrig.« »Dann lass uns mal auf den Heimweg machen. Unsere Familie wird sich schon fragen, wo wir bleiben.«

James fuhr zum Flughafen, wo sie ihren Wagen abholten. »James, mir ist da noch etwas eingefallen. Vielleicht können Rachid und Bryan dabei helfen«, nahm Carsten seinen Bodyguard noch einmal kurz zur Seite. »Dann schieß mal los.« »Ich bin Mr Johnson nur zweimal begegnet. Beim zweiten Mal war ich mir aber nicht sicher, ob er es wirklich ist. Etwas in seiner Stimme hat mich irritiert. Vorhin fiel bei mir der Penny. Beim zweiten Mal artikulierte er einige Silben anders. Könnt ihr mal tiefer in der Familiengeschichte von Mr Johnson recherchieren? Gegebenenfalls ein DNA-Profil seiner Familie anfertigen? Möglich, dass unser Organist einen Bruder hat.« »Versprechen möchte ich dir nichts. Rachid kennt dich ja schon besser; möglich, dass er deinem Hinweis nachgehen wird. Ich hatte auch deine Großeltern zu dem Sanatorium begleitet. Da kam ja auch einiges zum Vorschein. Vielleicht ist Mr Johnson ja wirklich aus der Linie der Nichte des letzten Lords.« »Es ist zumindest einen Versuch wert«, beendete Carsten die Unterhaltung. Dann ging es zu ihrem Domizil. Cedric lag in seinem bequemen Sitz und schlief. Leonardo hatte sich im Fond abgelegt, nachdem er sich an dem Wasservorrat bediente. Andreas fuhr auf den Motorway und ihm folgte James im Dienstwagen. »Andreas, es war nicht angenehm vorhin.« »Meinst du die schaukelnde Gondel?« »Nein, wie Cedric mich bat mitzufahren. Ich habe Angst, ihn zu enttäuschen und ihm damit weh zu tun.« »Carsten, wir werden Fehler machen. Wir sind keine Roboter. Alles, was wir machen können, ist, zu dem Fehler zu stehen. Enttäuschungen zu erfahren gehören zum Leben dazu. Cedric wird sicher auch uns enttäuschen, dann liegt es an uns, wie wir damit umgehen. Stell dir einmal vor, Cedric will einen Ferrari haben. Geben wir dem nach?« Carsten ahnte, worauf Andreas hinaus wollte. »Tiger, unsere Aufgabe ist es, Cedric in sein Leben zu begleiten. Dazu gehört es auch, dass er erfährt, mit allen Widrigkeiten fertig zu werden. Wir schaffen das, weil wir ihn lieben.«

Von der Rückbank vernahm Carsten ein Gemurmel. Vorsichtig tastete er nach dem kleinen Mann. Dieser hatte seinen Schnuller verloren und machte seinen Unmut laut. Carsten fand ihn seitlich in der Liegeschale. Behutsam reichte er diesen bis zu seinem Mund und Cedric half mit einer Hand nach. Es wurde wieder still im Wagen. Andreas schaltete Musik ein. Leise Töne erfüllten den Innenraum und zeigten bei Cedric Wirkung. Andreas sah im Rückspiegel Leonardo kurz aufblicken und dann rollte er sich zusammen. »Erstaunlich, welche Wirkung Musik hat. Leonardo hat sich eingerollt und sieht entspannt aus. Cedric schläft.« »Musik ist eben alltägliche Magie. Wie lange brauchen wir noch?« »Es ist dichter Verkehr, laut Navi ca. eineinhalb Stunden«, lautete die simple Antwort. Doch es kam keine weitere Bemerkung von Carsten. Ein Blick zur Seite und Carsten war eingenickt. Andreas lächelte. Ein schöneres Kompliment konnte ihm seine Familie nicht machen. Es dauerte doch noch etwas länger. Kurz vor der Abfahrt ging es nur im Stop-and-go-Tempo weiter. James folgte ihnen in einen Abstand. Seltsamerweise drängte sich keiner zwischen sie und Andreas hatte manchmal den Eindruck, dass es hinter ihm blau aufleuchtete. »Sind wir schon da?« »Nein, Es geht nur langsam voran. Noch 750’ bis zur Abfahrt und dann geht es hoffentlich zügiger weiter.« »Was macht unser kleiner Begleiter?« »Der schläft noch. Sicher nicht mehr lange.« »Abba?« Carsten wandte sich zur Rückbank, um sich mit Cedric zu beschäftigen. Andreas fuhr ab. Auf der Landstraße ging es tatsächlich zügiger voran. Es dauerte keine 30 Minuten und sie fuhren vor ihre Garage. »Tiger, geh du schon mit Cedric hinein. Ich glaube, der kleine Mann hat seine Hosen voll.« »Okay.«

Im Haus war es still. Lediglich Charaid begrüßte Carsten im Treppenhaus. »Hallo kleiner Kater, wo sind denn alle hin?« ›Miao?‹ »Ich werde es noch erfahren. Erst möchte ich Cedric frisch machen. Begleitest du uns?« Charaid dachte gar nicht daran. Er verzog sich durch die offene Tür und verschwand in den Garten. Als Cedric mit seinem Papa später wieder hinunterkam, gingen sie in die Küche. »Da sind ja meine Männer. James hat sich verabschiedet und wünscht uns einen schönen Tag zu haben. Babi hat eine Nachricht hinterlassen. Luise und Paul sind mit Edward unterwegs. Sie wollen sich wohl die Kirche ansehen und Patrick einen Besuch abstatten. Nonno und Nonna sind mit Salvatore spazieren gegangen. Babi und Děda machen mit Merlin eine Runde durch die Gemeinde. Ich glaube, sie interessieren sich für das Gemeindehaus und deinen Unterrichtsraum. Was machen denn deine Schüler?« Carsten legte seinen Sohn auf dem Tisch ab. »Ganz gut. Gwenda berichtete, dass einige der jüngeren regelmäßig dort ihre Übungen machen. Clara, die Tochter vom Fleischer, hat ihre Eltern davon überzeugt, ein Klavier zu kaufen. Ich empfahl ihnen erst einmal ein einfaches Schulklavier.« »Wenn sie talentiert ist, wäre da ein qualitatives Instrument nicht besser?« »Du weißt selbst, dass ein solches Instrument nicht im Discounter zu haben ist. Wenn ihre Eltern merken, dass es ihr mit dem Klavierspiel ernst ist, können sie sich immer noch für ein anderes Instrument entscheiden. Ein gebrauchtes Klavier wird immer noch gut gehandelt.« »Mein weiser Tiger. Ich habe für Cedric etwas Fruchttee gemacht. Für uns habe ich die Kaffeemaschine angeworfen.« »Danke. Magst du ein Sandwich? Viel gegessen haben wir heute ja nicht.« Carsten wartete erst keine Antwort ab. Er ging zum Kühlschrank und machte sich daran, Sandwiches zuzubereiten. Im Hintergrund hörte er Andreas mit Cedric spielen. Anscheinend war der Ring gerade sehr interessant. Die Kaffeemaschine gurgelte vor sich hin. Anscheinend schloss sie den Brühvorgang ab. »Guck mal, Cedric, Leonardo.« »Dada«, freute er sich den Hund zu sehen. Andreas bemerkte, wie der Junge sich auf den Hund konzentrierte. Er nahm die Gelegenheit wahr und füllte den fertigen Kaffee in die Thermoskanne um. Carsten stellte gerade den Teller mit den Broten auf dem Tisch ab. »Carsten, drei Uhr, Cedric!«, rief Andreas. Der Papa reagierte sofort und verhinderte, dass Cedric vom Tisch rutsche. Der kleine Mann wollte mit dem Hund spielen und kam dem Rand des Tisches sehr nah. Carsten nahm Cedric und setzte ihn auf dem Boden ab. »Dada!«, meinte der Junge nur. Leonardo kam zu ihm und ließ sich vor ihm nieder. Ganz begeistert ließ er sich von kleinen Händen streicheln. Selbst als Cedric sich halb auf ihn legte, blieb er ruhig. »Leonardo ist ein guter Sitter für unseren Sohn. Was er sich so alles gefallen lässt.« »Ich bin wirklich froh, dass unsere Tiere und Cedric sich so gut verstehen. Sie passen auf ihn auf, damit nichts passiert.« »Nicht nur die Tiere. Du hast schnell reagiert und Schlimmeres verhindert.« »Wir sollten ihn eventuell nicht mehr allein auf dem Tisch sitzen lassen. Er ist echt ganz schön mobil.« »Das war irgendwann abzusehen. Was hältst du davon, rund um sein Bett Schaumstoff auszulegen?« »Nicht sehr viel, ich sehe die Dimensionen ja nicht. Der Boden um das Bett ist auch durch den Läufer sehr weich. Ich denke, wenn er einmal hinausgefallen ist, wird er beim nächstenmal vorsichtiger sein. Zumindest hat das bei Ercan gut funktioniert.« »Ein Laufstall, wenn er krabbeln kann?« »Nein, Cedric soll sich frei bewegen können. Es ist ja auch immer jemand bei ihm. Oben ist ja dann das Gitter am Treppenansatz. Andreas, wir sind keine Glucken. Lassen wir ihn seine Erfahrungen machen. Etwas anderes, brauchen wir etwas vom Markt?« »Eigentlich nicht. Möglich, dass Luise, Paul und Edward die Einkäufe erledigen. Zumindest habe ich Edward vor unserem Abflug darum gebeten.« Andreas blickte zu Cedric und Leonardo. Der kleine Mann versuchte, den Hund am Fell zu ziehen. »Nein, Cedric! Leonardo mag nicht, wenn du ihn am Fell ziehst.« Der kleine Mann erschrak etwas von der Stimme. Dabei hörte er auf zu zupfen. Andreas ging in die Hocke. Behutsam streichelte er Leonardo. Anscheinend verstand dieser, worauf Andreas hinauswollte. Er leckte ihm die streichelnde Hand. Cedric giggelte. »Dada mmh Baba.« »Siehst du, so etwas mag Leonardo. Wenn du nett zu ihm bist, ist er auch lieb zu dir.« Die Mimik des kleinen Gentlemans verzog sich nachdenklich. Dann probierte er es auch und der Hund leckte auch ihm die Hand. »Dada mmh.«

Leonardo hatte genug vom Betütteln. Er erhob sich und ging. Cedric war damit nicht einverstanden. »Dada! Dada!« Da er ihm noch nicht folgen konnte, begann er zu weinen. Andreas hob ihn vom Boden auf. »Da kannst du nichts machen«, erklärte ihm Andreas. »Auch die Tiere brauchen ihre Ruhe.« Cedric sah seinen Papa mit großen verweinten Augen an. »Guck mal, hier habe ich deinen Teddy und wenn du magst, noch etwas zu trinken.« Dem keinen Gesicht wich die Traurigkeit, als er seinen Teddybären sah. Die Flasche mit dem fruchtigen Inhalt tat ihr Übriges. »Dada bubuh?« Beide Väter lächelten bei dieser Kurzform. »Richtig, Leonardo hat sich zum Schlafen zurückgezogen. Er kommt bestimmt später wieder, um mit dir zu spielen«, meinte Andreas mit einer sanften Stimme. Cedric giggelte daraufhin vor sich hin. Mit seiner freien Hand griff er nach der Flasche. Andreas half ihm dabei. »Du bist aber ganz schön durstig. Das gibt bestimmt später eine feuchte Windel.« »Er hat ja bei seinen Papas Rundumservice. Die kümmern sich dann schon um trockene Sachen«, meinte Carsten trocken. »Ich werde dich heute Nacht daran erinnern«, frotzelte Andreas zurück. »Es macht mir nichts aus, nachts aufzustehen. Arco, Max, Leon, bei allen bin ich aufgestanden, um sie rauszulassen. Cedric ist mittlerweile wirklich pflegeleicht. Windeln wechseln, Flasche geben, ihm etwas vorsingen, damit er wieder einschläft.« »Wie hast du das geschafft? Ich musste ihn immer erst eine halbe Stunde durch das Zimmer tragen.« »Ich weiß nicht, wonach unser Sohn das entscheidet. Bei Ercan wechselte das ständig. Als er seinen ersten Zahn bekam, brauchte Papa nicht in seine Nähe zu kommen. Dagegen war Mama ein gern gesehener Besucher. Andrea und ich hatten dafür immer gute Karten bei ihm.« »Du hast ja schon Erfahrungen gesammelt. Ist es wirklich so schlimm, wenn der erste Zahn durchbricht?« Carsten hörte sehr wohl die Ängste und Unsicherheit in Andreas Stimme. »Mama meinte, dass es unterschiedlich ist. Andrea hat es locker genommen. Ich dagegen war da ein kleiner Schreihals. Ercan wählte den Mittelweg. Was wohl auch an Mama lag. Eiswürfel und ein wenig Massieren des Zahnfleisches machten die Schmerzen erträglicher. Wir werden abwarten, wie Cedric darauf reagiert. Meine Oma meinte, dass eine halb gefrorene Waffel das beste Mittel ist. Einmal hilft die Kälte, die Schmerzen zu lindern. Der weiche Teil war ideal, darauf herumzukauen und den Sabber aufzufangen. Wenn es soweit ist, müssen wir die verschiedenen Methoden einfach testen. Es gibt kein Patentrezept.« »Wir werden es gemeinsam schon meistern. So, unser kleiner Mann hat genug. Nimmst du ihn?« »Gerne, hast du noch etwas vor?« »Ich setzte mich mal daran, für Aaron und Sami neue Spielgeräte zu besorgen.« »War der Spielplatz so katastrophal?« »Außer einer funktionstüchtigen Wippe gab es da nicht viel. Ich denke da an eine Schaukel, etwas zum Herumklettern und ich denke, eine Rutsche würde sich dort auch gut machen. Dann ist der Spielplatz Wind und Wetter ausgesetzt. Drumherum braucht es mehr Grün.« »Also doch wieder ein Landschaftsobjekt?« »Es ist für einen Freund und hoffentlich vielen kleinen Menschen.« »Hörst du, Cedric? Dein Papa setzt sich aktiv für kleine Menschen ein, damit sie Spaß haben. Ist doch sehr lieb von ihm. Findest du nicht auch?« »Taťka hihi?« »Siehst du, Schatz, Cedric unterstützt dich.« Andreas gab seinem Sohn ein Kuss auf die Wange. »Danke, kleiner Mann.« »Du, woher hat er das Taťka?, fragte Carsten über das neue Wort von Cedric nach. »Ich denke, er hat es bei Děda und Babi aufgeschnappt. Wenn sie sich mit mir unterhalten, fallen immer auch tschechische Wörter. ›Taťka‹ bedeutet Papa in der Koseform.« »Cedric wird genauso wie sein Taťka multilingual«, flirtete Carsten mit Andreas. Andreas gab seinem Gatten einen Kuss, damit dieser nicht neidisch wurde. Anschließend gingen Carsten und Cedric in sein Arbeitszimmer. »Lust, mit mir etwas Klavier zu spielen?« Es dauerte nicht lange und beide saßen vor dem Flügel. Cedric bequem auf Carstens Schoß. Carsten spielte einfache Harmonien und weckte die Neugier seines Sohnes. Dieser drückte die Tasten in seiner Reichweite. Carsten integrierte diese Töne in sein Spiel. Was Cedric als Aufforderung ansah, weiter munter Tasten zu drücken. Es entwickelte sich ein sehr interessantes Stück, wo der kleine Mann vor Freude über seinen Beitrag giggelte. »Wow, in dir steckt ja ein Naturtalent.« »Abba, bum bum«, kommentierte Cedric seinen Papa. Carsten spielte weiter. Die Melodie wechselte langsam zu einem Kinderlied. Carsten begann dazu zu singen. Die sanfte Stimme gefiel seinem Sohn und er hörte einfach nur zu.

Andreas zeichnete aus dem Gedächtnis den Grundriss des Spielplatzes. Er fand, dass es an sich ein schönes Gelände war. Lediglich die Aufteilung war unpraktisch für die Kinder. Er machte sich daran, verschiedene Spielgeräte sinnvoll zu verteilen. Die Angaben von Sami und Aaron halfen ihm dabei. Das Klettergerüst verschwand komplett von der Fläche. Neben der klassischen Wippe ordnete er noch Federwippen dazu. Eine Schaukel, Rutsche und eine Takelage integrieret er in ein Spielgerät. Eine kleine Burg. Kinder, welche zur Rutsche wollten, sollten über eine kleine Hängebrücke gehen. Dann erinnerte er sich an die beiden Kletterwände auf dem eigenen Spielplatz. Beherzt griff er zum Telefon. »Mr Palmer, ich habe da eine Frage: Kennen Sie in der Region Caithness einen Steinmetz, der in der Lage wäre, eine Kletterwand zu errichten?« »Ich nicht, doch meine Mutter unterhält eine Geschäftsverbindung in der Region. Warum?« »Ich habe zwei kleinen Gentlemen versprochen, ihr Spielplatz aufzuwerten. Dazu wäre ein Kletterobelisk eine willkommene Variante. Vielleicht mit einer kleinen Seilbahn.« »Interessante Idee. Wissen Sie was: Ich werde Mutter bitten, dort mal anzufragen. Dürfen wir Ihre Kontaktdaten weiterreichen?« »Natürlich. Danke, Mr Palmer.« »Dafür nicht. Ihre Ideen sind für uns Steinmetze eine willkommene und kreative Alternative.« Mr Palmer beendete das Gespräch. Andreas schmunzelte etwas. Seine Berufung reicht über die gängige Landschaftsarchitektur weit hinaus. Der nächste Anruf galt der Gärtnerei Hill. Auch dort konnte Mr Hill Senior innovativ weiterhelfen. Mit den vorliegenden Informationen nahm der Spielplatz Gestalt an und dieser würde sicher den Kindern gefallen. Er lehnte sich in seinem Lehnsessel zurück. Jetzt bemerkte er die Musik. Carsten sang ihrem Sohn ein schönes Lied vor. Mit der Begleitung im Hintergrund machte er sich daran, die Daten des Entwurfs in seinen Computer einzutragen. Am Monitor sah er auch die Kostenabschätzung. Seine Tätigkeit wurde durch das Telefon unterbrochen. »Zahradník!«, meldete er sich. »Guten Tag, Mr Zahradník. Mein Name ist Clair Gunderson von Stonefield LTD. Mrs Palmer fragte an, ob unsere Firma in der Lage wäre, ein besonderes Spielobjekt herzustellen.« »Hallo Mrs Gunderson. Ja, ich habe da eine Idee für ein Kletterobelisk. Ich stelle mir vor, dass Kinder an einem 10-Fuß-Obelisk bis zu einer Plattform hinaufklettern und von dort mit einer kleinen Seilbahn wieder hinunterkommen. Alternativ könnte auch eine Rutsche zur Anwendung kommen. Ich weiß noch nicht, wie ich die Sicherheit dabei bewerkstelligen kann.« »Das ist ein wirklich spezielles Objekt. Da müsste ich selbst ein wenig recherchieren. Können Sie mir Ihren Ideenentwurf zumailen? Dann werde ich mit meinen Kollegen über verschiedene Möglichkeiten diskutieren.« Mrs Gunderson lachte am Telefon. »Sorry, aber ich weiß gerade nicht, ob wir einen so großen Stein zur Verfügung haben. Das Material müsste dann so um die 15 Fuß hoch sein. Ich würde ungern Stonehenge plündern. Welche Steinart haben Sie im Sinne?« »Ein Sandstein oder weicher Basalt.« »Hm, Mr Palmer verwendet Sandstein, sagte mir seine Mutter, für ein ähnliches Objekt.« »Ja, die Kletterwand wurde für die Kinder mit entsprechenden Kletterhilfen ausgestattet.« »Ich werde mit unseren Lieferanten reden. Wie teuer darf der Stein werden? Bei der Größe kommt einiges auf Sie zu.« »Mrs Gunderson, wenn die Kinder ihren Spaß dabei haben, ist es das allemal wert. Sie haben meine Kontaktdaten. Machen Sie mir einen Kostenvoranschlag zu den beiden Varianten. Falls Sie eine weitere Alternative haben, reichen Sie mir auch dazu einen Kostenvoranschlag ein.« »Gut. Reicht Ihnen eine Antwort bis Ende des Jahres?« »Natürlich. Verbleiben wir so.« Dieses Mal beendete Andreas das Gespräch. Danach fertigte er Mails mit dem vorläufigen Entwurf an. Für Rachid und Bryan erläuterte er seinen Entwurf etwas. Auf dem Monitor erschien die Bestätigung über den Versand. Dann blickte er zur Tür. Salvatore streckte seinen Kopf durch die etwas geöffnete Tür. »Salvatore! Du erinnerst mich daran, eine Pause zu machen? Danke. Die habe ich auch nötig. Sehen wir doch mal in der Küche nach, ob es noch Tee gibt.«

In der Küche saß Babi am Tisch und trank ihren Nachmittagstee. Neben der Tasse lag ihre Medikamentenbox. »Babi, nimmst du jetzt mehr Medikamente?«, fragte er auf Tschechisch. »Leider ja. Die blauen Pillen sind gegen das Rheuma. Da hat sich wirklich viel getan, so dass ich davon weniger nehmen muss. Die kleine weiße ist das Diabetikermedikament. Dazu muss ich ein Medikament nehmen, welches mein Herz stärkt. Ansonsten meint mein Hausarzt, ich sei fit für mein Alter. Gut, meine Kondition beim Schwimmen hat nachgelassen. Ich bin ja auch keine junge Nixe. Mit Veronika schwimme ich jetzt nur noch eine halbe Stunde im Oma-Stil. Dann die gemeinsamen Spaziergänge. Es geht wirklich nicht mehr so schnell, doch Děda ist zufrieden.« »Babi, wozu solltet ihr euch deswegen Stress machen? Unsere Nachbarn in München liefen schon mit Anfang 60 mit dem Rollator, wenn sie überhaupt spazieren gingen. Wichtig ist doch, dass ihr einfach das Leben genießt. Ich weiß von Papa, dass es in eurer Jugend nicht immer rosig zuging. Dann hattet ihr auch genug Sorgen wegen der Firma. Da habt ihr oft vieles entbehren müssen. Jetzt denkt einfach an euch selbst. Meine Familie steht hinter euch.« Babi sah Andreas dankbar an. »Doch, hast du auch eine Tasse Tee für mich?« »Begnügst du dich mit einem Kräutertee?« »Gerne. Doch zuerst lasse ich Salvatore mal raus.« Andreas öffnete die Tür und der Hund stürmte hinaus. Wenig später folgten ihm Leonardo und Charaid. »Sind die anderen auch schon zurück?« »Nur eure Großeltern. Luise, Paul und Edward sind noch unterwegs. Wegen ihres Beines geht es nicht so schnell und sie machen öfters Pause.« »Sie sind ja auch auf Urlaub. So, ich lasse die Hunde mal wieder herein. Danke für den Tee.«

Diesmal ging Andreas zum Porch. Er öffnete die Tür und rief die Hunde zu sich. Leonardo und Salvatore kamen, sich jagend, sofort zu ihm. »Danke, dass ihr den Teich habt ausfallen lassen.« Er strich beiden Hunden über das Fell. Beide Vierbeiner hechelten stark. Andreas wusste, dass sie sich in den paar Minuten ausgepowert hatten. Daher ließ er sie ziehen. Ihr erster Besuch galt der Küche, wo sie sich daran machten, ihre Wassernäpfe zu leeren. Dann zogen sie sich in den Salon zurück. »Wo ist Carsten?«, fragte ihn Nonno. »Der ist mit Cedric in seinem Arbeitszimmer. Vorhin haben sie Klavier gespielt und Carsten hat gesungen. Es ist schön, wie der kleine Mann seinen Papa beschäftigt.« »Wie geht er mit seiner Blindheit um?« »Es kümmert ihn nicht. Wenn er merkt, dass Carsten nicht seinem Blick folgt, nutzt er seine Hände, um ihn dazu zu bewegen, in seine Richtung zu schauen. Er fühlt sich bei ihm sicher. Gibt es ein schöneres Kompliment?« »Nein. Babi hat noch einmal Tee aufgesetzt. Gegen etwas Warmes wird wohl keiner etwas haben.« Andreas nickte ihm bestätigend zu. »Ich sehe mal nach meinen Männern.«

Im Arbeitszimmer von Carsten war es dunkel. Als Andreas das Licht einschaltete, bot sich ihm ein süßes Bild. Neben seinem Schreibtisch und dem Flügel zierte ein Canapé den Raum. Auf diesem lag schlafend seine Familie. Anscheinend war Cedric beim Musizieren müde geworden und da hatte sich Carsten wohl auf dieses Möbelstück gelegt. Jedenfalls lag Carsten auf dem Rücken und auf seinem Bauch der kleine Mann. Schützend hatte der Papa seinen Arm um Cedric gelegt. Da Cedric selbst auf dem Bauch lag, hingen seine kleinen Ärmchen links und rechts hinunter. Der kleine Mann sabberte ein wenig und er sah auf Carstens Sweatshirt einen feuchten Fleck. Andreas nahm eine Decke und deckte seine beiden Liebsten lächelnd zu. »Schatz, Cedric ist erschöpft«, flüsterte Carsten, »wecke uns bitte in einer halben Stunde.« »Mach ich; schlaf gut, kleiner Cedric Francis.« Leise wie er gekommen war, verließ er das Arbeitszimmer.

»Wo sind Cedric und Carsten?«, sprach ihn Babi an. »Sie machen eine Siesta. Es war heute wohl sehr viel für deinen Urenkel. Jetzt schläft er. Carsten ist seine weiche Unterlage.« »Keine Angst, dass er heute Nacht nicht schläft?« »Nein. Ich soll beide in einer halben Stunde wecken. Dann spanne ich seine Urgroßeltern und Großeltern ein, sich von ihm beschäftigen zu lassen. Dann wird er heute Nacht auch wieder durchschlafen«, antwortete Andreas schelmisch.

Babi sah ihn sprachlos an. Wirklich geändert hatte sich Andreas in dieser Hinsicht nicht. Als sie so darüber nachdachte, würde sein Plan sogar funktionieren. Aus der Küche hörten sie Geräusche. Anscheinend waren alle wieder da. Andreas ging nachsehen. Edward räumte die Einkäufe weg. »Hallo Andreas, wie war das Konzert?«, grüßte er. »Gut. Es hat alles geklappt. Selbst Cedric war davon begeistert. Heute haben wir noch den Weihnachtsmarkt in Dùn Èideann besucht. Ein schönes Erlebnis für uns alle. Würdest du gegebenenfalls unsere Gäste dort hinfahren, wenn sie es wünschen?« »Gerne. Heute habe ich erfahren dürfen, woher ihr eure offene Art habt. Trotz ihrer momentanen Behinderung hat sich Luise mit allen möglichen Händlern unterhalten. Paul traf Dr. Miller und seine Frau. Wenn Tierärzte sich treffen, fachsimpeln sie sofort. Luise hat sich dann seiner Gattin angenommen. Da fällt mir ein, Patrick hat am Donnerstag angerufen. Die Sanierung des Dachs ist abgeschlossen. Er lädt uns alle zum Abendgottesdienst morgen Abend ein.« »Wer wird die Orgel spielen?« »Nancy. Mr Johnson hat anderweitige Verpflichtungen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er hat eine Familie.« Andreas zuckte nur mit den Schultern. Er wusste nur zu gut, dass Edward Recht hatte. Doch da Mr Johnson das Geheim hielt, sollte es auch so bleiben. »Wie machen wir das mit der Fahrerei? Carsten, Cedric und ich können ja noch zu Fuß gehen. Das trifft aber nicht auf unsere Gäste zu.« »Mr Sanches, Sam und ich fahren. Sie haben es spontan angeboten. Ihr könnt euren Wagen nutzen.« »Kennst du Mr Sanches?« »Klar, eigentlich Captain Sanches. Er angelt gerne ohne Köder. Ich glaube, er hat ein Herz für Tiere. Dann spielt er leidenschaftlich a' phìob mhòr. Er ist pensionierter Captain der Royal Scots Dragoon Guards.« »Er spielt was?« »Bagpipe oder große Pfeife. Auf Gälisch eben a' phìob mhòr«, gab Edward sein Wissen preis. »Wieder etwas gelernt. Ich spreche mit Carsten. Wir werden dann wohl morgen alle einen Gottesdienst besuchen. Hast du einen Wunsch zum Dinner?« »Wenn es keine Umstände macht, etwas Arabisches?« Andreas lachte. »Nein, es macht keine Umstände. Nonno und ich werden schon etwas zurechtzaubern.« Nach einer Pause: »Danke.« Edward verstand es.


Am folgenden Abend versammelte sich die ganze Familie vor der Kirche und wurden von Patrick begrüßt. »Ich weiß, das ist nicht euer Ding. Danke, dass ihr dennoch gekommen seid.« »Wir sind der Einladung eines Freundes gefolgt. Schade, dass es mit der Orgel noch länger dauert.« »Macht ihr Witze? Ich hätte es schon vor einem Jahr umsetzten sollen. Ihr habt mir förmlich in den Allerwertesten getreten. Das habe ich wohl gebraucht, um mich auf meine eigentliche Aufgabe zu konzentrieren.« »Patrick, du hast deine Gründe gehabt. Im Übrigen hat es Spaß gemacht, einem Pfarrer symbolisch in den Hintern treten zu dürfen.« Patrick grinste. Dann gingen alle in die Kirche. Andreas war erstaunt. Er kannte die Kirche ja ohne viel Dekoration, fast nackt. Jetzt sah alles sehr weihnachtlich aus. Es gab sogar einen Christbaum, dezent beleuchtet und mit vielen bunten selbstgebastelten Sternen, Figuren und was sonst dazugehört. Mr Sanches begleitete sie zu reservierten Plätzen. Pünktlich begann der Gottesdienst. Andreas und Carsten kannten sich in den Gepflogenheiten nicht aus. Sie verhielten sich ruhig. Dann kam wohl eine längere Ansprache. Jedenfalls setzten sich alle, als Patrick eine Empore hinaufstieg. Patrick sammelte sich.

»Liebe Anwesende, wenn ich jetzt einmal ihre Majestät Queen Elisabeth II frei zitieren darf: Our path, of cause, is not always smooth, and may at times have felt quite bumpy. Wie zutreffend. Viele von uns haben von lieben Menschen Abschied nehmen müssen. Auch ich habe einen Freund an den Krebs verloren. Dabei habe ich meine Pflichten hier als euer Pfarrer vernachlässigt. Viele von euch haben mir diesen Fauxpas verziehen. Dennoch lief einiges in falschen Richtungen. Es bedurfte einer klare Ansage eines jungen Mannes, um mich an meine Aufgabe für diese Gemeinde zu erinnern. Mit der Hilfe seiner ganzen Familie dürfen wir dieses Fest unter einem dichten Dach feiern. Ich denke nicht, dass jemanden von uns das Tropfen im Blecheimer wirklich vermissen wird.« Patrick machte eine Pause, denn ein amüsiertes Lachen wurde hörbar. »Doch nicht nur das hat der junge Mann bewerkstelligt. Er und sein Gatte haben vorbehaltlos einem Jugendlichen ein Dach über dem Kopf geboten. Ihr Vertrauen half dadurch, andere Lebewesen zu retten. Doch wie danken wir es ihnen? Durch offene Kritik an ihrem Lebensstil. Ich hätte wohl das Handtuch geworfen. Anders die jungen Männer. Sie stehen darüber und engagieren sich weiter für diese Gemeinde. Sie gaben auf unterschiedlicher Weise dieser Gemeinde und Region Perspektiven. Mit kreativen Vorschlägen lösen sie Probleme gemeinsam mit dieser Gemeinde. Wer von uns, Hand aufs Herz, hätte für die Kinder vom eigenen Grund abgegeben? Mit viel Engagement entsteht ein Platz zum Spielen und Toben. Aber anscheinend ist diese Geste bei uns nicht willkommen. Spielgeräte werden beschmiert und zerstört. Wer hasst denn unsere Kinder so sehr, dass ihnen nicht einmal diesen Spaß gegönnt wird? Ich bin von dieser Aktion mehr als beschämt. Sie ist gegen uns alle gerichtet. Ich bin stolz auf die Menschen in unserem kleinen Städtchen. Einige von ihnen haben sich bereit erklärt, den Schaden zu beheben, ohne dafür etwas zu verlangen. Das nenne ich beispielhaftes Verhalten unsere Gemeinschaft gegenüber. Wir sollten in uns gehen, um darüber nachzudenken, ob nicht jeder einen kleinen Beitrag dazu leisten kann.« Patrick unterbrach sich, um sich zu sammeln. »Vor einiger Zeit haben sie sich dazu entschieden, ein junges Leben vor einer ungewissen Zukunft zu bewahren. Ich ziehe meinen Hut vor so viel Zivilcourage.« »Abba! Taťka!«, unterbrach Cedric ungeniert die Rede. Carsten flüsterte ihm etwas zu. Darauf giggelte Cedric vernehmbar. Patrick sah von seiner Kanzel schmunzelnd zu. »Du hast Recht. Deine Papas machen es wirklich toll. Viele von uns können von ihnen lernen. Vor einiger Zeit kam Nancy zu mir. Sie berichtete mir von einer Begebenheit, während sie auf unserer Orgel spielte. Jemand bat sie, etwas zu spielen. Sie wählte eine ihrer privaten Etüden. Ein junger Mann hörte die Unstimmigkeiten des Instruments und ohne dass er das Instrument sah, entschied er sich für den Erhalt. Mit einem überlegten Vorgehen und Sachverstand möchte er unsere kleine Orgel restaurieren lassen. Warum macht jemand so etwas, wo doch begründete Zweifel an der Kirche bestehen? Ich denke, es ist die Liebe zur Musik. Mir liegt ein Gutachten einer Orgelbaufirma vor. Ich musste mich erst einmal setzen, als ich den Kostenvoranschlag sah. Mein Kirchenmusikdirektor teilte mir mit, dass sein Budget ausgeschöpft sei. Wir selbst müssen die gesamten Kosten tragen. Ohne einen Plan gibt es nur die Alternative, jahrelang Spenden dafür zu sammeln. Mr von Feldbach präsentierte mir einen Plan und jetzt hoffe ich, dass meine Gemeinde uns unterstützt. Ich gab die Restaurierung in Auftrag. Im Februar werden wir einige Zeit auf die Begleitung durch die Orgel verzichten müssen. Mit einem Benefizkonzert weihen wir die restaurierte Orgel im März wieder ein. Gemeinsam mit Nancy spielt das Orchester des Royal College of Music. Wir alle hoffen darauf, dass es ein Erfolg wird. Darum habe ich am Aushang eine Liste angebracht, auf der verschiedene Aufgaben stehen. Wir zählen auf eure Unterstützung.« Patrick machte wieder eine Pause. Er sah die versammelte Gemeinde durchdringend an. Lediglich Cedric ließ sich davon nicht beeindrucken. Er sah sich zu seinem Papa um. »Abba?« Carsten verstand, was sein Sohn da von sich gab. Er beugte sich zu Andreas hinüber. »Hast du eine Flasche mit?«, flüsterte er fragend. Andreas kramte eine Flasche hervor. Diese drückte er Carsten in die Hand. Wenig später nuckelte der kleine Mann zufrieden vor sich hin. »Der kleine Mann erinnert mich an das Fest, welches wir in einigen Tagen begehen werden. Unvoreingenommen haben auch Jesu Eltern seinen Weg begleitet. Lasst uns gemeinsam Zeichen setzten und ihrem Beispiel folgen. Amen.« Patrick verließ wieder seine Empore. Carsten fragte sich, welchen Sinn diese Ansprache haben könnte. Seine Überlegungen wurden durch einen leisen Rülpser von Cedric unterbrochen. Er gab die Flasche an Andreas weiter. In seinem Tuch wurde es ruhiger. Cedric schien eingeschlafen zu sein. Er legte seinen Arm schützend um seinen Sohn. So richtig konnte er sich nicht mehr auf den Gottesdienst konzentrieren. Dennoch war er über die Akustik der Kirche überrascht. »Sag einmal, ist der Gottesdienst gut besucht?«, flüsterte er Gabrielle neben sich zu. Genauso leise antwortete er ihm zustimmend. Dann wurde es irgendwie still. Carsten fragte sich, was als Nächstes kommen würde. Dann ertönte aus dem Hintergrund ein stetiges rhythmisches Trommeln. Andreas sah sich um. Hinten in der Kirche stand eine junge Dame, die auf ihre kleine Trommel schlug. Daneben sah er auch einige Musiker mit ihren typischen schottischen Bagpipes. Obwohl es in der Kirche laut wurde, schlummerte Cedric ruhig weiter. Andreas gefiel die Präsentation. »Tiger, was ist das?« »Highland Cathedral. Ich muss sagen, sehr gut interpretiert. Bagpipe und Orgel hört man nicht wirklich oft.« Nach einigen Minuten endete das Stück. Patrick nahm das Wort wieder an sich. »Ich danke dem Young Bagpipe Corps für diese abschließende Hommage an unsere Gemeinde. Amen.« Cedric rührte sich etwas. Anscheinend hat er sich nur eine bequemere Position gesucht. Es wurde um ihnen herum unruhig. Der Gottesdienst war vorüber. Gemeinsam mit Andreas verließen sie ihre Sitzreihe. Ungeniert nahm Andreas Carsten in den Arm. So gingen sie zum Ausgang.

Am Ausgang stand Patrick mit einigen Gemeindemitgliedern. Sie schienen in einer Unterhaltung vertieft zu sein. »Patrick ist gerade beschäftigt. Sollen wir schon fahren?«, informierte Andreas über die Situation. »Wenn er nicht auf einen Händedruck besteht, meinetwegen. Sag einmal, hast du den Sinn der Ansprache verstanden?« »Nicht wirklich. Seine Entschuldigung kam jedenfalls bei der Gemeinde gut an. Dass er uns in Schutz nahm, war wohl eine klare Stellung. Es ist sein Stil, zwischen den Zeilen zu mehr Akzeptanz zu stehen. Letztendlich hat er für mehr Rückhalt aus der Gemeinde geworben. Regelmäßig Gottesdiensten beizuwohnen vermisse ich jedenfalls nicht. Patrick ist mehr als ein guter Bekannter und als Pfarrer außerhalb der Kirche ist er mir sympathischer.« »Andreas, wir fahren schon vor. Mein Gabrielle friert«, meinte Nonna. »Macht nur, ich habe heute Nachmittag die Heizung etwas höher gedreht. Ihr könnt im Salon auch den Kamin einschalten«, antwortete ihr Andreas. »Nonna, könntest du für Cedric etwas Warmes machen?«, fragte Carsten. »Natürlich. Er sieht mir auch recht müde aus. Ich mache etwas Leichtes, dann schläft es sich auch besser.« Die Familie verteilte sich auf die Wagen auf. Sam, Edward und Mr Sanches hielten galant den Damen die Tür auf. Andreas sah, wie Luise bei Edward einstieg. Sein Geländewagen bot sich dafür einfach an. »Mr von Feldbach«, sprach Nancy Carsten an. »Ja, Nancy?« »Ich habe eine Frage zum Konzert. Ich habe noch nie mit einem Orchester gespielt. Ich benötigte wohl mehrere Proben.« »Das habe ich bereits mit meinen Kollegen im College besprochen. Wegen der Entfernung können wir hier kaum mehrere zeitdifferenzierte Proben machen. Da die Orgel im Februar stumm bleibt, bietet es sich an, bei uns im College die Proben abzuhalten. Was halten Sie davon, eine Woche in London zu bleiben und täglich mit den Studentinnen und Studenten zu proben? Das Orchester lädt Sie ein.« »Eine Woche?« »Ja, ihr würdet täglich gemeinsam proben können. Ich denke es ist eine wertvolle Erfahrung für Ihre Zukunft. Nebenbei würde mein Kollege Ihnen auch Lektionen im Orgelspiel geben. Vor dem Konzert gibt es einen Tag lang Proben hier vor Ort. Das Orchester wird dann auch Ihr Instrument kennenlernen.« »Das muss ich erst mit meinen Eltern besprechen.« »Das setzte ich auch voraus. Der Prinzipal benötigt nämlich eine Vollmacht Ihrer Eltern, wenn Sie noch nicht volljährig sind.« »Sind Sie denn auch bei den Proben dabei?« »Das Orchester bat mich, gemeinsam mit einem Studenten den vierhändigen Klavierpart der Orgelsymphonie zu spielen«, antwortete ihr Carsten. »Sind Sie denn auch die ganze Woche in London?« »Andreas, Cedric und ich bleiben ebenfalls in London. Wir haben dort Verpflichtungen, die unsere Anwesenheit nötig machen. Und unser kleiner Mann findet sicher die Metropole sehr spannend und interessant.« Sowohl Andreas als auch Carsten mussten bei dieser Umschreibung lächeln. Dann verabschiedete sich Nancy von den dreien. Andreas begleitete seine beiden Männer zum Auto. Nachdem Cedric sicher in seiner Liege lag, stiegen auch beide Väter ein. Andreas zündete den Motor und schaltete das Licht ein. Hinter ihm wurden Lichtkegel sichtbar. Dann fuhr er los und das Auto folgte ihnen. »Weißt du, ob Mr Muller uns begleitet?« »Ich denke schon, in der Kirche saß er hinter uns.« »Woher weißt du das?« »Sein Aftershave lag in der Luft. Ich denke, Rachid würde ihm den Hintern aufreißen, wenn er uns nicht begleitete.« »Maybe. Mir ist er jedenfalls nicht aufgefallen.« »Ist das nicht der Sinn eines Bodyguards, im Hintergrund zu bleiben?« Andreas bestätigte diese Annahme. Carsten spürte, wie Andreas beschleunigte. Wieder einmal stellte Carsten den Komfort des Hybrid fest. Dann fiel ihm wieder ihr Zweitwagen ein. »Sag einmal, wie steht es mit dem Wagen für Andrea?« »Ich habe Edward gebeten, ihn in die Werkstatt zu bringen. Für den Kontinent braucht er ein technisches Update. Obendrein wird er noch einmal gecheckt. Ich möchte ungern, dass jemand damit zu Schaden kommt.« »Wirst du ihn vermissen?« »Nein. Ich fahre lieber mit dem Defender. Sein Radstand ist grösser und er liegt besser im Gelände. Für die Praxis ist der Renegade vorteilhafter. Er hat ausreichend Stauraum. Unter dem Kennel ist eine ausziehbare Arbeitsfläche, die auch als OP-Tisch verwendet werden kann. Obendrein ist er mit einer Seilwinde und Anhängerkupplung ausgestattet. Man kann ja nie wissen.« »Das alles hat dein Defender auch?« »Ja. In Sachen Ausstattung sind beide fast gleich. Der Renegade hat lediglich eine 240V-Steckdose. Die habe ich nie benötigt.« »Das ist eine bessere Ausstattung als Papa immer in seinen Wagen hatte.« »Andrea hat auch mehr Möglichkeiten als Paul. Mit dem Endoskop und einem mobilen Röntgengerät kann sie schneller und besser helfen. Es kommt den Tieren zugute.« Andreas fuhr von der Hauptstraße auf den Zufahrtsweg. »Wir sind gleich da, kannst du mal das Tor öffnen? Ich habe meine Fernbedienung Sam gegeben.« Carsten holte sein Mobile Phone hervor und begann mit der Prozedur. Als sie zum Tor kamen, war dieses bereits geöffnet. Im Rückspiegel sah Andreas, wie es kurz aufblendete. Dann verschwand der Lichtkegel. Weiter beobachtete er, wie das Tor sich schloss. Jedoch blieb die Beleuchtung der Einfahrt konstant. Anders die des Weges. Diese dimmte langsam hinunter. Andreas war zufrieden. »Wenn du dir ein Siegel machen würdest, wie sollte es gestaltet sein?«, stellte Andreas eine interessante Frage. »Brauchen wir denn eines?« »Nein, aber an den Torpfosten sind früher einmal Figuren aus Stein gewesen. Da die Rutherfords nicht mehr Eigentümer sind, wurden diese entfernt.« »Dann plädiere ich für eine Note, die in einem Baum endet. Also der Stamm als Note gestaltet und oben endet sie in eine Baumkrone. Das sind unsere Kennzeichen«, gab Carsten spontan von sich. Andreas zog seine Brauen hoch. An so etwas hatte er nicht gedacht. Es war ein einfaches und aussagekräftiges Symbol. Sein Liebster hatte wirklich eine gute graphische Vorstellung. »Darf ich das auch so in Auftrag geben?« »Klar, dann wäre das Tor auch wieder komplett. Es sollte jedoch vom Material her zum Pfosten passen.« Der Wagen hielt vor der Garage. Da ein Wagen fehlte, nutzte Edward die Stellfläche für seinen. Weitere Autos sah Andreas nicht, also waren Sam und Mr Sanches schon wieder gefahren. »Nimmst du Cedric samt seiner Liege? Er schläft gerade friedlich.« Andreas entfernte geschickt die Sicherung und klappte die Bügel hoch. Carsten nahm die Liege in Empfang. Er hörte noch das typische Piepen, wenn der Wagen verschlossen wird und anschließend das Geräusch des schließenden Garagentores. Sie waren noch keine fünf Meter gegangen, da kamen ihnen ihre Hunde entgegen. »Na ihr beiden? Ihr seht mir recht relaxt aus.« »Würde mich freuen, wenn Salvatore und Leonardo sich austoben konnten. Immerhin musste Salvatore ja ein paar Tage auf seinen Bruder verzichten.« »Da sagst du etwas, Tiger. Seit wir ihnen dieses Paradies bieten, macht es ihm nicht mehr so viel aus. Er weiß ja, das Leonardo wiederkommt und bleibt während seiner Abwesenheit relaxt.« »Beide haben ihre Aufgaben. Salvatore mag es, dich zu begleiten. Besonders wenn du in den Parks unterwegs bist. Ich kann mich noch daran erinnern, wie unruhig er in London war, wenn du weg warst. Du tust ihm gut«, reflektierte Carsten ihre Studentenzeit. »Ob sie beide auch mal auf Freiersfüßen unterwegs sind?« »Ehrlich? So wie die beiden immer in ihrer Kudde kuscheln, könnten sie auch schwul sein.« »Wenn sie sich mehr als nur als Geschwister lieben, mich stört es nicht.«, teilte Carsten mit. Dann blies eine frische Bö auf. In der Liege regte sich Cedric. »Uhäh, Dada!«, rief er erfreut aus. »Da ist jemand aufgewacht«, weiter ging Carsten nicht auf ihn ein. »Nonna hat schon recht mit ihrer Bemerkung, dass Nonno friert. Es geht ein kalter Wind.« »Ich habe den Wetterbericht gehört. Es werden fallende Temperaturen und Niederschlag vorhergesagt. Wir liegen im Einfluss eines arktischen Tiefs. Das war auch der Grund, warum ich die Heizung höher einstellte. Glaubst du, d dass s 18 °C für Cedric ausreichend sind?« »Klar. Er trägt nachts ja seinen flauschigen Strampler. Der hält ihn schon gut warm. In seinem Bett ist er ebenfalls vor Kälte und Zugluft geschützt. Wichtiger ist es, dass unsere Gäste sich wohl fühlen. Schottland ist nicht Milano, wo es jetzt noch angenehm warm ist.« »Apropos Wärme: Glaubst du, unsere Familien wären uns sehr böse, wenn wir heute Abend schwitzen gehen?« »Quatsch. Doch es ist schon spät. Wie wäre es für dich mit einem heißen Bad und morgen haben wir zum Schwitzen mehr Zeit.« Andreas steuerte auf den Porch zu. Dort ließ er die Hunde herein. Hinter ihnen verschloss er die Tür. »Gut, gehen wir morgen schwitzen. Cedric und ich gehen uns jetzt erst einmal etwas anderes anziehen. Die gefütterte Jacke ist fürs Haus nun doch zu warm.« »Lass dir ruhig auch ein Bad ein. Ich denke, nach einer halben Woche ohne ihren Enkel besteht Nachholbedarf.« »Was machst du?« »Ich hole nach, schon lange nicht mehr am Herd gestanden zu haben. Was hältst du von einem fruchtigen italienischen Abend?« »Gerne. Für Cedric macht Nonna etwas Warmes.« Andreas knuddelte seinen Sohn in der Liege etwas. »Wenn Du dann noch Hunger hast, habe ich einen Vanillepudding für dich«, versprach er seinem Sohn. Ihre Wege trennten sich. Im Kinderzimmer war es angenehm temperiert. Carsten nahm Cedric aus seiner Liege und legte ihn auf den Wickeltisch. Dort machte er sich daran, seinen Sohn von seiner warmen Kleidung zu befreien. »Abba iee«, meldete er sich. »Dann lass uns mal in dein Bad gehen.« Behutsam nahm Carsten Cedric. Mit einer Hand klappte er die Toilette auf »So, alles bereit?« Cedric ließ es laufen. Das leise Plätschern verstummte schnell. »Das hast du wirklich gut gemacht. Danke für deinen Hinweis«, lobte der Papa seinen Sohn. Im Zimmer zog er ihn für das Haus passend an. Zuletzt kam ein bequemer Strampler dran. Dann tastete er den Tisch nach dem Spielzeug ab. Seinen Teddy fand er in seinem Bett. Mit diesem ausgerüstet gingen sie in den Salon. »Zu wem möchtest du denn, Cedric?« Der Junge zeigte auf Nonno, was Carsten nicht sah. »Du wählst mich, Cedric?«, half ihm Nonno. »Du hast aber einen süßen Teddy im Arm.« Carsten übergab Cedric seinem Großvater, dieser nahm ihn und setzte ihn stützend auf seinem Schoß. Dann brabbelte Cedric los. Wie Carsten erkannte, erklärte der kleine Gentleman Nonno seinen Teddy. Dieser ging auf seinen Urenkel ein und verwickelte ihn in einen Dialog. »Cedric hat heute ja viel erlebt. Da ist genug Gesprächsstoff für euch alle. Wenn ihr erlaubt, nehme ich ein heißes Bad.« »Mach nur. Danke, dass ihr es hier angenehm warm habt.« »Der Dank gebührt Andreas, er hat die Heizung neu eingestellt.« »Wo ist er eigentlich?« »Er möchte heute für das Abendessen sorgen. Er bereitet ein fruchtiges italienisches Dinner vor. Wenn Cedric mag, darf er auch jetzt schon seinen Hunger stillen.« »Ich glaube nicht, dass er uns nach unserer Erlaubnis fragt. Er zeigt da das gleiche Verhalten wie Francesca und hat seinen eigenen Kopf.« »Nonno, mir ist das ganz recht. Es wäre sonst auch zu einfach«, meinte Carsten schelmisch. »Ihr seid gut versorgt?« »Ja, geh nur. Wir haben ausreichend Tee und Kaffee.« Beim Hinausgehen hörte Carsten wieder das Klappern von Stricknadeln. Insgeheim freute er sich, dass seine Gäste sich trotz aller Umstände der vergangenen Wochen wohl fühlten. Sein Weg ging zunächst in die Küche. »Schatz, das riecht aber gut.« »Danke, lass dich überraschen. Was macht denn Cedric?« »Er erzählt Nonno von seinem Tag. Sag einmal, hast du mit deinen Großeltern gesprochen, wenn sie mit Cedric sprechen?« »Das brauchte ich nicht. Sie haben genug Erfahrung mit Babies. Lediglich werden sie auch in ihrer Muttersprache mit ihm sprechen.« »Solange sie nicht in diese dämliche Babysprache verfallen, ist es mir recht.« »Da hat Nonno schon Vorsorge getroffen. Laut Nonna hält er nicht viel von solchen Ausdrucksweisen. Er bat sie, immer in vollständigen Sätzen und deutlich zu sprechen. So lernen kleine Menschen die Sprache am schnellsten.« »Seine Antworten sind aber noch sehr interpretationsfähig.« »Und? Wir haben beide mittlerweile den Dreh heraus. Hören die Nuancen in seiner Stimme. Das haben unsere Eltern schon vor Jahrzehnte gelernt. Selbst wenn sie mal daneben liegen, wird Cedric sie schon auf den richtigen Sinn bringen.« Carsten ging auf seinen Mann zu und umarmte ihn. Gab ihm einen innigen Kuss. »Ich gehe jetzt das Bad nehmen«, flüsterte er ihm anschließend verführerisch ins Ohr.

Carsten ließ sich wohlig in das Schaumbad sinken. Die Wärme tat ihm gut, seine Muskeln entspannten sich. Er schloss seine Augen und genoss einfach. In Gedanken ließ er die letzten Tage Revue passieren. Das Cedric Musik mag, stand außer Frage. Mehr verwundert war er über dessen Ausdauer. Wie Andreas ihm mitteilte, verfolgte er das ganze Haydn-Konzert aufmerksam. Dass er anschließend schlief, tat dem kein Abbruch. Dann die Begebenheit in Edinburgh. Instinktiv schien der kleine Mann zu spüren, dass sein Papa ein Handicap hatte. Doch er ging damit selbstbewusst, auf seine Weise um. Er wollte mit seinen beiden Papas die Runde im Riesenrad drehen. Wie glücklich er dabei war, spürte er in seinem Herzen. Als Leonardo sich zurückzog, war er nicht enttäuscht, sondern verstand, dass auch Leonardo oder Salvatore Zeit brauchen, um zu relaxen. Dann in der Kirche, wo er sich um seine Umgebung nicht wirklich scherte. Unbeeindruckt von der musikalischen Einlage weiterschlief. Vorhin, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er seine Blase erleichtern wollte. Cedric Francis nahm seine Umgebung interessiert wahr. Filterte das Wesentliche für sich heraus. Ein intelligenter Wesenszug, wie Carsten fand. »Brauchst du noch lange?«, unterbrach Andreas seine Gedanken. »Wie lange bin ich denn schon im Wasser?« »Eine gute Stunde.« »Wow, ich habe die Zeit völlig verdrängt. Ich habe an unseren Sohn gedacht. Wie er sich die vergangenen Tage verhalten hat.« »Und wohin führten deine Gedanken?« »Wir können uns glücklich schätzen, dieses Abenteuer mit ihm erleben zu dürfen. Er liebt die Musik, ist neugierig. Dabei selektiert er, was ihm wichtig ist. Die Bagpipes haben ganz schön Radau gemacht, doch er schlummerte friedlich vor sich hin. Genauso wie beim Konzert in Leipzig. Meine Darbietung fand er hochinteressant, doch anschließend war ihm nach Ruhe zumute. Oder als Leonardo sich zurückzog. Er hat nicht geweint, sondern akzeptierte einfach, dass die Hunde auch eine Pause benötigen. Andreas, wie macht ein kleiner Mensch das nur?« »Ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich kenne ja nicht einmal seine Kriterien. Doch bei einem bin ich mir sicher, es ist die Liebe, die uns verbindet. Er hörte mir aufmerksam zu, als ich ihm erklärte warum Leonardo das Weite suchte. Im Riesenrad hatte er mit leuchtenden Augen die Aussicht erklärt. Selbst wenn wir nicht alles verstanden haben. Er war einfach nur glücklich, dass wir drei zusammen waren. Ist das denn nicht die Essenz, Familie zu sein?« »Was ist, wenn er uns enttäuscht?« »Tiger, sicher wird er das. Hast du Luise und Paul nicht auch enttäuscht, als du klein warst? Ich habe oft genug Máma a Taťka Kummer bereitet. Später auch Babi a Děda oder Nonna et Nonno. Aber unsere Liebe zueinander war stärker. Viellicht ist es eine Aufgabe kleiner Männer, ihre Eltern auf diese Weise auf die Probe zu stellen. Shit happens. Wir werden maybe darüber graue Haare bekommen. Wir werden uns um ihn Sorgen machen. Das ganze Programm halt. Glaube mir, es wird nichts im Universum geben, was uns davon abhalten wird, Cedric Francis zu verzeihen und zu lieben.« »Du hast weise gesprochen. Es gibt nichts, was mich daran hindern könnte, unseren Sohn zu lieben. Ich sollte nun doch langsam aus dem Wasser. Reichst du mir mal das Badetuch?« Andreas tat, wie ihm geheißen. Und wieder stellte er fest, welch gute Figur Carsten hatte. Obwohl er oft sitzt, hatte er kein Gramm zu viel auf den Rippen. Carsten grinste. »Hast du mich nun ausgiebig genug bewundert? Du darfst gerne heute Nacht mehr erkunden. Doch so langsam friere ich.« Andreas beeilte sich. Ein eiskalter Carsten neben ihm konnte unangenehm sein. »Du, Andreas, ich kann mir dich mit grauem Haar kaum vorstellen.« »Ich glaube, solches Haar steht mir und dir. Wenn wir dann mal alt sind, möchte ich gerne mit dir auf der Bank am Teich sitzen und über diese Zeiten reden. Vielleicht werden dann unsere Enkel uns beschäftigt halten.« »So weit in die Zukunft möchte ich nun doch noch nicht gehen. Aber die Vorstellung hat was.« »Beeil dich. Cedric wird sicher bald wieder Hunger haben.« Beim Hinausgehen gab er Carsten noch einen Klaps auf den nackten Hintern. »Aua!« »Weichei.«

Cedric hatte seine Großeltern sehr gut im Griff. Nonno hatte den Jungen an Nonna weitergereicht, da dieser etwas Hunger hatte. Nonna reichte ihm die vorbereitete Flasche. Viel wollte Cedric aber nicht. Er fand plötzlich Paul interessant. Auf Pauls Schoß sitzend, las dieser ihm eine Bildergeschichte vor. Bei jedem Bild zeigte der kleine Mann auf viele verschiedene Dinge, die er sah und Paul flocht diese ganz geschickt in seine Story. Für ein einziges Bild benötigte der Opa mit seinem Enkel gute fünf Minuten. Manchmal musste er auch einige Seiten zurückblättern, weil Cedric das einfach wollte. Luise grinste bei dem, was ihr Mann da so erzählte. Lange schon hatte die Geschichte keinen wirklichen roten Faden mehr. Paul machte jedoch seine Sache ganz gut. Cedric kommentierte auch vieles und wirkte sehr glücklich bei seinem Opa. Sie selbst saß wieder entspannt strickend im Sessel. Hin und wieder hielt sie ihr Werk abmessend an Cedric. Nonna hatte vorgeschlagen, den Strampler etwas größer anzufertigen. Jetzt war das Rückenteil lang genug und sie wollte mit dem vorderen Teil beginnen. »Enten sind schwierig. Eine Herausforderung, doch einverstanden.« Babi gab ihr die Wolle. Bei dem Pullover für Andreas und Carsten war es etwas einfacher. Die Maße des Schneiders waren ihnen sehr hilfreich. Babi hatte bereits beide Teile für Andreas fertig. »Nonna, ist das richtig, dass der linke Ärmel etwas kürzer sein soll?« »Den Maßen nach ja. Andreas‘ rechter Arm ist zwei Zentimeter länger.« »Gut. Wie weit bist du mit Carstens Teilen?« »Ein Fünftel noch vom Vorderteil und dann beginne ich mit den Armen.« Zur Demonstration hielt sie ihr Werk hoch. Die anwesenden Herren bewunderten das schlichte Motiv im griechischen Look. »Unserem Nachwuchs wird das gut stehen«, grinste Paul Cedric zu. »Maa Abby?« »Du hast Recht. Das wird deinem Papa wirklich gut stehen. Guck mal hier, Leonardo?« Dabei zeigte er auf ein Bild mit einem Hund. »Dada!« Mit seinen kleinen Fingern zeigte er auf den Hund und freute sich. Paul fuhr mit seiner Geschichte fort.

»Es ist angerichtet. Wir können gleich essen, wenn Carsten fertig ist«, informierte Andreas seine Gäste. Die Ladies legten ihre Arbeiten zur Seite. Die Unruhe bemerkte auch Cedric. Er sah sich um. »Baba!«, freute er sich, als er Andreas sah. Dabei hüpfte er ein wenig, mit Pauls Dazutun, auf und ab. »Hast du auch Hunger?«, fragte Andreas, als er seinen Sohn Paul abnahm. »Mmh?«, meinte er darauf. »Dann wollen wir einmal nachsehen.« Vom Tisch nahm er die halbvolle Flasche. Er fühlte, dass der Inhalt schon abgekühlt war. »Du kannst sie ruhig in den Flaschenwärmer stellen, Andreas. Unser kleiner Mann hatte eben nur einen Imbiss nötig«, schlug Babi vor. Andreas stimmte dem nickend zu. Gemeinsam mit seinem Papa gingen sie in die Küche zurück. Dort stellte Andreas die Flasche in das Gerät und schaltete es an. »Hier seid ihr. Kann ich dir helfen?« Andreas sah sich um. »Auf dem Tisch stehen noch eine Schüssel mit Salat und der Brotkorb. Wir essen im Dining Room. Luise wird auf deinem Platz sitzen. Da hat sie mehr Beinfreiheit.« »Was ist mit Leonardo und Salvatore?« »Die hatten bereits ihre Rationen. Da ich sie anschließend auch nicht mehr gesehen habe, sind sie wohl oben bei uns.« »Gut, gehen wir später mit ihnen raus. Hat ja keine Eile.« Andreas nahm die Flasche aus dem Gerät. Die Temperatur war etwas mehr als handwarm.

Im Dining Room hatten sich alle verteilt. Andreas nahm Carsten den Brotkorb und den Salat ab. »Sorry, Carsten, ich sitze auf deinem Platz.« »Mama, eine richtige Sitzordnung haben wir nicht. Außerdem kommt es deinem Handicap zugute.« Nachdem sich alle gesetzt hatten, wurde es munter am Tisch. Verschiedene Themen wurden besprochen. Andreas nahm die Flasche und Cedric freute sich darauf. Wie bei Carsten hielt sich Cedric mit einer Hand an seinem Papa fest. Seine Augen wanderten jedoch aufmerksam über den Tisch. »Andreas, du hast meine Minestrone interessant verfeinert. Mit was?« »Ich habe zuletzt noch etwas Papaya hinzugefügt. Das macht dein Gericht etwas fruchtiger. Je nach Frucht kannst du damit interessante Geschmacksvarianten erreichen. Ananas hebt die Säure, wobei Erdbeeren sich süßlicher auswirken. Wichtig ist, die Frucht zuletzt hinzuzugeben. Ansonsten verkocht der Effekt.« »Darf ich das auch deinem Zio vorschlagen?« »Ich habe darauf kein Patent. Ein wenig experimentieren habe ich von dir gelernt. Für diejenigen, die es etwas schärfer mögen, bringt etwas zerdrückte Peperoni oder Chili den gewünschten Effekt.« Gespannt hörten alle dem Gespräch zu. Andreas hatte immer noch sehr viel Spaß am Kochen. Dann räusperte sich Luise. »Jungs, wie wollt ihr das mit Weihnachten machen?« »Montag gehen Paul, Andreas, Cedric und ich einen Weihnachtsbaum besorgen. Wenn die Ladies mögen, könnt ihr mal nach unserer Dekoration sehen. Vielleicht habt ihr ja schon eine Idee, ob es ein Thema geben wird? Für Cedric ist es das erste Mal. Edward, hinten im Regal der Garage stehen zwei Kartons mit Weihnachtsdekoration. Wenn du diese morgen bitte ins Haus holen könntest?«, fragte Carsten an. »Ich habe mir Gedanken zum Salon gemacht. Der Baum wird in dem Erker stehen. Die Sitzgruppe wird am Kamin bleiben. Hierzu wird mein Flügel umziehen. Der wird von nun an hier im Salon aufgestellt. Ich werde mein Arbeitszimmer etwas umgestalten. Auf dem Platz, wo jetzt der Flügel steht, wird eine Arbeitsfläche aufgestellt. Zu einigen zukünftigen Projekten werde ich Modelle anfertigen. Wie ihr wisst, arbeite ich an einem Wohnviertelprojekt in Glasgow. Von den Arbeiten her ist es dynamischer, als ich es gedacht habe. Ich erhoffe mir, mit dem plastischen Modell auf solche Gegebenheiten schneller reagieren zu können.« »Baba, mmh?«, mischte Cedric plötzlich mit. Andreas hatte nicht bemerkt, wie er die Flasche geleert hattte »Gleich. Erst müssen wir etwas Platz in deinem Bauch machen.« Andreas stellte die Flasche beiseite. Dann hob er seinen Jungen etwas an. Mehr bedurfte es nicht. Cedric rülpste seine Luft aus. »Das ging ja schnell. Hast du denn noch Appetit?« »Baba? Budding?«, fragte er bittend mit großen Augen. »Ja, junger Mann, du hast es ihm versprochen«, begann Carsten, »dass er noch Vanillepudding bekommen darf.« »Dazu stehe ich auch. Cedric, ich halte mein Wort. Carsten, würdest du bitte seinen Pudding aus dem Ofen holen?« Carsten nickte lediglich, legte seine Servierte beiseite und stand auf. Es dauerte nicht lange und eine kleine Schüssel stand vor Cedric. »Budding mmh«, strahlte er. Andreas nahm einen kleinen Löffel. Tauchte ihn in den Pudding. Noch bevor er etwas sagen konnte, hatte Cedric seinen Mund ganz weit geöffnet. Mit seiner freien Hand versuchte er, den Löffel zu greifen. Nicht, dass etwas vorbei gehen würde. Cedric genoss förmlich seinen Nachtisch. Da es mit der Koordination noch nicht so funktionierte, ließ sich Andreas dabei Zeit. »Cedric scheint deine Künste zu lieben«, kommentierte Nonno. »Für euch habe ich auch noch welchen. Dieser ist eben nur für Cedric. Oder magst du auch gefüttert werden?«, scherzte Andreas zurück. Nonno wurde rot. Alle anderen grinsten bei diesem Dialog. »Keine Angst, Gabrielle. Ich denke, für Andreas bist du einfach schon zu schwer«, lachte sie ihren Mann an.

Das Dinner endete mit einem Vanillepudding für alle. Andreas mischte für die Erwachsene etwas Rum in die Creme. Das Aroma gab dem Dessert eine weiche Note.

Während Andreas, Edward und Merlin den Tisch wieder abräumten, wünschten die Urgroßeltern und Großeltern Cedric viele süße Träume. Carsten brachte den kleinen Jungen auf sein Zimmer und legte ihn nach dem obligatorischen Bad ins Bett. Cedric war sehr müde und schlief schon auf dem Wickeltisch ein. »Leonardo, Salvatore, Zeit für Gassi!«, flüsterte er den beiden begleitenden Hunden zu.

Im Treppenhaus traf er auf Andreas. »Schatz, ich gehe jetzt mit den Hunden raus.« »Darf ich euch begleiten? Bewegung hatte ich heute nicht wirklich.« »Gerne. Doch ich sagen der Familie Bescheid, dass sie auf Cedric achten.«

Carsten wählte die große Runde am Spielplatz vorbei. Da Andreas ihn führte, streiften Leonardo und Salvatore um sie herum, jagten sich und kamen auf ihre Kosten. Ihre Herrchen genossen vor allem die Ruhe um sie herum. Sie trafen eine Stunde später wieder am Haus ein. Da sowohl Leonardo als auch Salvatore einen Abstecher im Teich machten, rubbelten beide jungen Männer ihre Tiere wieder trocken. »So, das war es schon«, meinte Andreas zu Salvatore. Carsten brauchte etwas länger und Salvatore wartete auf seinen Bruder. Gemeinsam gingen sie dann weiter. Andreas schloss die Außentür ab. Im Salon saßen bis auf Nonno alle bei Tee oder Kaffee. Lediglich Edward hatte sich einen Whisky eingeschenkt. »Da seid ihr ja wieder. Nonno ist gerade nach Cedric sehen.« »Gut, habt ihr noch Wünsche?«, fragte Andreas. »Für mich bitte einen Espresso, Schatz.« »Kommt. Hatte Cedric sich gemeldet?« »Gabrielle saß dem Babyphone am nächsten. Er meinte, etwas gehört zu haben. Also ist er nachsehen gegangen. Er meinte: Lieber dreimal zu viel nachsehen als einmal zu wenig. Außerdem tut ihm das Treppensteigen gut«, schmunzelte Nonna. Andreas kam mit zwei Espresso zurück. Eine Tasse stellte er vor Carsten ab. »Ihr trinkt jetzt noch einen Espresso?«, wunderte sich Luise. »Es ist noch zeitig. Morgen lassen wir es ruhig angehen. Wenn Cedric es erlaubt, schlafen wir aus. Am Nachmittag gehen wir in die Sauna. Andrea und Stefano kommen gegen Abend. Sie möchten erst den Weihnachtsmarkt in Edinburgh besuchen. Mrs Sanches sollte die Zimmer auf unserer Etage herrichten.« »Ach deswegen war sie am Freitag dort.« »Habt ihr denn auch unseren kleinen Weihnachtsmarkt besucht? Dieser sollte ja vergangenes Wochenende gewesen sein.« »Oh ja. Ein kleiner, aber feiner Markt. Es gab für jeden etwas. Für die Kleinen gab es ein Karussell. Nichts Besonderes, aber die Kids hatten ihren Spaß. Die Gemeinde lässt es sich schon etwas kosten, denn es gab keine Tickets. Es war für sie frei. Wie bei uns gab es natürlich auch Buden für die Verköstigung. Ein Imker bot Honig verschiedener Arten an, Met und daneben auch echte gezogene Wachskerzen. Wir haben euch ein paar schöne Exemplare mitgebracht«, berichtete Paul. »Patrick machte natürlich Werbung zum Besuch des Gottesdienstes zu dem Feiertag. Für die musikalische Unterhaltung sorgte der Kirchenchor und das Bagpipe Corps. Dann zeigte eine Tanzgruppe eine Performance mit diversen Tanzeinlagen«, fuhr Nonna fort. »Ich wusste nicht, dass hiesige Volkstänze auch Stepptänze sind. Jungs, mit taten die Füße schon vom Hinsehen weh, dabei habe ich gerne getanzt.« »Ich kann mich an deine Paso doble erinnern.« Dabei leuchteten Carstens Augen. »Du bist auch ein guter Tänzer. Tanzt ihr beiden denn auch noch?« »Gerne sogar. In London haben wir so manches Mal in Tanzlokalen den Leuten eine Show geboten«, schwärmte Andreas. »Einmal waren wir so in unserem Element, dass wir die Umgebung ausgeblendet hatten. Wir hatten die Fläche für uns allein und tanzten Tango.« »Dann hatte die Gemeinde auch Besuch aus ihrer irischen Partnergemeinde. Sie waren nicht weniger aktiv. Sie duellierten sich auf einer kleinen Bühne im Tanzen. So etwas habe ich bei uns noch nicht erlebt. Erst der schottische Volkstanz, dann ein irischer Stepptanz. Zuletzt mischte sich beide Gruppen zu einer gemeinsamen Performance. Die Leute drumherum klatschten im Takt dazu, waren richtig aktiv dabei.« Carsten schmunzelte. »Was gibt es da zu grinsen?« »Während meines Studiums habe ich in einem Irish Pub gejobbt. Da durfte ich die Mentalität ausgiebig kennenlernen. Ich kann euch sagen, mit einer einfachen Harfe können Iren mehr Stimmung machen als eine ganze Band. Da habe ich auch einige ihrer Volkslieder kennenlernen dürfen.« »Ich glaubte immer, du beschäftigst dich nur mit der klassischen Musik?« »Die klassische Musik ist letztendlich aus den Volksliedern entstanden. Einige der Choräle heute beim Gottesdienst haben ihren Ursprung im Mittelalter.« »Dabei dachte ich, du hättest dich mehr um Cedric gekümmert.« »Schon, doch ich habe auch Ohren zum Zuhören. Bei Musik analysiere ich schon automatisch. Wobei ich zugebe, bei der Liturgie war ich froh, Cedric bei mir zu haben.«, Carsten trank vom Espresso. »Also war der Weihnachtsmarkt eurer Aufwartung wert?« »Natürlich. Dann ging noch jemand in einem Kostüm aus der viktorianischen Zeit herum, um zu sammeln. Scheint eine Tradition zu sein«, bemerkte Babi. »Oh ja. Diese Tradition stammt aus der Zeit der Rutherfords«, begann Merlin und erklärte den Sinn, der dahinterstand. Alle Anwesenden hörten ihm aufmerksam zu. »In diesem Jahr, sagte Dr. Miller, gehen die Spenden an den regionalen Tierschutzverein. Der vergangene Winter hatte wohl wegen erhöhter Heizkosten ein Loch im Budget gerissen.« »Eine sinnvolle Aktion. Andrea hat in der Praxis eine Spendendose für unser Tierheim aufgestellt. Es fehlt vor allem an Spielzeug, damit die Tiere beschäftigt sind.« »Was ist mit Medikamenten und Untersuchungen?«, fragte Merlin nach. »Ich mache die Untersuchungen gratis. Die Praxis ist bei Andrea in guten Händen. So bin ich beschäftigt. Die Medikamente werden ebenfalls gespendet. Es sind vor allem Medikamente, deren Haltbarkeit vor dem Ablauf steht. So werden sie noch verwendet und müssen nicht alle entsorgt werden.« »Ach, deswegen muss ich einmal die Woche Medikamente sortieren.« »Einmal das. Weiter lernst du die Namen kennen. Wenn schnelles Handeln nötig ist, bleibt keine Zeit für Erklärungen«, erläuterte Paul Merlin weiter. »Dann habt ihr alle etwas gespendet?« Allgemeine Zustimmung. »Cedric schläft wieder zufrieden. Er vermisste seinen Teddy.« Andreas kannte das. »Ja, er ist ein aktiver Schläfer. Gut, dass du ihm sein Schmusetier wiedergegeben hast.« »Habt ihr noch Tee?« »Setz dich zu mir. Ich habe dir schon einen frischen Tee eingeschenkt. Wir waren gerade bei der kostümierten Frau, die Spenden sammelte.« »Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich £50 in die Dose gesteckt habe?« »Was, du auch? Dann kommen den Tieren £100 zu.« »Nicht ganz, Paul bat mich ebenfalls, £50 zu spenden.« »Wir wussten zwar nicht, wofür gesammelt wurde, doch ich habe Karel ebenfalls einen 50er in die Hand gedrückt.« »Ich muss sagen, wir sind eine spendable Familie. Da es den Tieren zugutekommt, wie wir jetzt wissen, wird Cedric sicher durch uns auch noch etwas dazu beitragen. Er liebt ja seine Teddybären auf vier Pfoten.« »Wo ist eigentlich Charaid? Ich habe ihn heute noch gar nicht bemerkt.« Diese Frage richtete sich an Merlin. »Och, der hat sich einen warmen Platz unter meinem Bett ausgesucht. Die Fußbodenheizung scheint er zu mögen. Seinen Streifzug macht er zwischen zwei und vier Uhr morgens. Er hat es sich angewöhnt, anschließend mit kalten Pfoten unter meine Bettdecke zu kriechen.« Mit dieser Aussage ernte Merlin beileidsbekundendes Schmunzeln.

»Ich sage mal gute Nacht«, meldete sich Edward zu Wort. »Morgen bin ich bei meiner Familie zum Brunch eingeladen.« »Macht euch einen schönen Tag. Gruß an deine Familie«, verabschiedete sich Carsten.

Die Zeit schritt voran. Nadeln klapperten und die Herren schwätzten über mehr oder weniger belanglose Themen. Andreas und Carsten nahmen die Gelegenheit wahr, als Cedric sich noch einmal meldete. Sie wünschen ihren Großeltern und Eltern eine gute Nacht und zogen sich zurück. Beide gingen nach ihrem Sohn sehen. Cedric schlief unruhig, da seine Windel feucht war. Andreas wechselte zügig das Teil. Carsten schüttelte die Bettdecke noch einmal auf. Dabei stellte er fest, dass diese auch feucht war. Noch bevor Cedric wieder in seinem Bett lag, hatte er die Bettdecke gewechselt. »Morgen waschen wir seine Sachen. Gut, dass du ihm eine doppelte Bettausstattung gegönnt hast.« »Das war ein Tipp seiner Pflegerin. Sie meinte, dass Stoffwindeln Grenzen haben und schon mal etwas ausläuft. Ich muss sagen, dass Cedric heute auch viel getunkten hat. Das will irgendwann auch mal wieder raus.« »Was, wenn er jetzt noch einmal so viel pieselt?«, fragte Carsten nach. »Dann wechseln wir halt die Windeln noch einmal und nehmen ihn zu uns.«

Andreas legte Cedric zurück in sein Bett, deckte ihn behutsam zu und legte ihm seinen Teddy in den Arm. »Sweet dreams.« Cedric schlief schnell ein. Beide gaben ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss. Beim Hinausgehen schlichen die Hunde hinein, eine Runde ums Bett und dann in ihre neuen Kudden. Carsten hatte Andreas vorgeschlagen, auch in Cedrics Zimmer Hundebetten aufzustellen. So hatten sie auch dort einen festen Platz zum Schlafen.

Andreas nahm Carsten in seinen Arm und gemeinsam gingen sie zu ihrem Refugium. Nach dem Besuch in ihrem Bad kuschelten sie sich in ihr Bett. Beide dachten nicht daran zu schlafen. Carsten erkundete Andreas‘ Körper Millimeter um Millimeter. Das Spiel dauerte und Andreas fand es sehr erotisch, wo Carsten ihn überall küsste.

Mitten in der Nacht meldete sich Cedric. »Taťka!« Carsten stand auf. Es dauerte etwas, bis er zurück kam. Cedric hatte er im Arm. »Hat er wieder schlecht geträumt?«, flüsterte Andreas. »Nein. Seine Windel war voll. Allein wollte er nicht wieder einschlafen. Außerdem geht draußen ein heftiger Wind«, flüsterte er genauso leise zurück. »Dann lass uns mal zusehen, ob Cedric noch einige Stunden schlafen kann.« Andreas rückte etwas zur Seite. Cedric kuschelte sich zwischen seine Dads. Andreas nahm ihn in seinen Arm. Es dauerte nicht wirklich lange und die Erwachsenen vernahmen regelmäßige Atemgeräusche.

Chapter 15

Cedric wachte als erstes auf. Er drehte seinen Kopf und sah in Carstens schlafendes Gesicht. Anscheinend gefiel ihm sein Ausblick, denn er versuchte sich etwas zu drehen. Diese kleine Bewegung weckte Andreas. »Guten Morgen Cedric«, flüsterte er. »Abba?« »Dein Papa schläft noch. Sollen wir uns schon einmal frisch machen?« Erst dann drehte Cedric seinen Kopf zu ihm. Andreas sah in seine Augen. Anscheinend dachte der kleine Mann, noch nicht aufstehen zu wollen. Als Antwort gähnte er. Dabei schloss er reflexartig seine Augen. Andreas entdeckte den Teddy. Diesen gab er seinem Sohn. Es folgte ein kleines Giggeln. Mit seinem Teddy im Arm schien es ihm wieder gut zu gehen. Andreas half ihm, sich zu drehen. Auf dem Bauch schien es noch interessanter zu sein. Dann legte Andreas seinen Arm über seine beiden Männer. Carsten bewegte sich daraufhin etwas. Im Halbschlaf legte er auch seinen Arm über Cedric hinweg auf Andreas. Alle drei gaben sich dem Schlaf hin. Geweckt wurde Carsten durch Leonardo. Der Hund schlich um das Bett herum. Auf Carstens Seite sprang er mit seinen Vorderpfoten auf das Bett und stieß sein Herrchen an. »Guten Morgen, Leonardo«, murmelte Carsten. »Willst du raus?« »Nein, Junge. Es ist gleich halb zehn durch und ich glaube, er möchte seine Ration«, antwortete Paul stattdessen. »Papa, in der Schublade neben dem Kühlschrank ist das Rezeptbuch für ihre Rationen. Heute ist eine eiweißreiche Kost dran. Da beide Hunde gestern weniger hatten, darfst du 150g mehr machen. Ich wecke meine beiden Engel und kommen dann hinunter.« »Ist gut.«

Eine viertel Stunde später betraten drei ausgeschlafene jungen Männer die Küche. »Guten Morgen, meine Langschläfer«, begrüßte Luise sie. »Mama, darf ich dir Cedric anvertrauen? Dann mache ich sein Frühstück. Sind die anderen auch schon auf?« »Deine Großeltern sind alle auf. Babi und Nonna sind im Pool, Nonno und Děda im Fitnessraum auf dem Ergometer. Im Übrigen sind wir auch erst seit einer halben Stunde auf den Beinen. Edward hat die Hunde rausgelassen, bevor er gefahren ist. Merlin hat sie dann wieder hereingelassen. Danach ist er ebenfalls fortgefahren.« »Er nimmt seinen Nachhilfeunterricht ernst. Da fällt mir etwas ein: Papa, du kennst dich doch mit Gitarren aus. Merlin hat mal gesagt, dass er gerne Gitarre spielen lernen würde.« »Ich soll ihm ein Instrument kaufen? Schlag dir das sofort aus dem Kopf. So ein Instrument muss zu ihm passen.« »Papa, hast du vergessen, dass ich Musikdozent bin? Merlin hat eine Gitarre, ein schönes Instrument im Übrigen. Er ist aber noch nicht von seinen Fähigkeiten überzeugt. Du könntest ihm einmal zeigen, was eine Gitarre alles kann. Wir haben zu Weihnachten oft gemeinsam musiziert«, rückte Carsten seinem Vater die Gedanken zurecht. »Ich werde Andrea bitten, die Instrumente mitzubringen. Carsten, dürfte ich dann auch dein Studio benutzen?« »Klar. Brauchst du den Computer und das Mischpult?« »Nein. Ich will dort nur üben«, antwortete Paul. »Wenn du mit Andrea sprichst, dann sag ihr auch, dass sie meine Violine mitbringen soll. Carsten, das ist eine sehr gute Idee, zumal Andreas‘ Flügel dann im Salon steht, machen wir Hausmusik à la von Feldbach.« Papa von Feldbach stellte die fertigen Rationen auf den Boden. Jedoch rührten Leonardo und Salvatore ihr Fressen nicht an. Selbst, als er das entsprechende Kommando gab, nicht. »Sind eure Hunde nicht hungrig oder warum fressen sie nicht?« Carsten gab das entsprechende Kommando und siehe da, es wirkte. »Sie sind es gewohnt, dass ihr Kommando in der englischen Sprache erfolgt. Sorry, das konntest du nicht wissen. Andreas und ich sind es gewohnt, ihnen alle Kommandos in dieser Sprache zu geben. Selbst Leonardo reagiert als Blindenführhund nur auf Anweisungen in dieser Sprache.« »Ich finde das gut. Deswegen musst du dich nicht entschuldigen.« »Wenn ihr mit ihnen Gassi geht, reagieren sie auch auf eine Anrede in anderen Sprachen. Doch da sind sie auch ihrer Aufgaben entbunden. Sie dürfen Hunde sein und kennen ihr Rudel. Fremde Personen haben jedoch keine Chance bei ihnen. Da bleiben beide stur.« »Carsten, willst du Cedric sein Frühstück geben?« »Was hast du ihm gemacht?« »Birne-Mango-Ziegenmilch. Es ist etwas dickflüssiger. Ich habe den größeren Nuckel genommen.« »Okay. Wenn ihm das gefällt, könnten wir bald mit Brei beginnen.« Cedric genoss sein Frühstück. Wie so oft, beobachtete er beim Nuckeln aufmerksam seine Umgebung. »Mutti, Andreas und ich möchten heute Nachmittag in die Sauna. Würden Du und Papa dann auf Cedric aufpassen?« »Natürlich. Paul und ich dürfen ja nicht mit. Für die anderen wäre die Hitze sicher auch nicht vorteilhaft. Macht euch eine ruhige Zeit.« »Abba?«, meinte ein kleiner hungriger Mann. »Entschuldigung, Cedric, da habe ich nicht aufgepasst. Du hast die Flasche schon geleert?«, wandte sich Carsten seinem Sohn zu. Dabei nahm er die Flasche und wog abschätzend das Gewicht. Cedric hatte sich wirklich keine Zeit gelassen, um den Inhalt zu konsumieren. »Hast du denn noch Hunger?« »Abba, mmh«, lautete die vielsagende Antwort. »Andreas, hast du noch etwas für den kleinen Nimmersatt?« »Ich denke, er hat schon recht viel getrunken. Ich mache ihm noch einen Birnen-Mango-Brei. Das sollte ihn beschäftigen.« »Andreas hat recht. Ihr könnt ihm neben der Flasche ruhig schon etwas Brei geben. Es ergänzt die Menge. Zwischendurch etwas weiches Brot. Dann ist er auch beschäftigt«, stimmte Luise ihren Söhnen zu. Andreas machte sich daran, einen entsprechenden Nachschlag zuzubereiten. Damit Cedric etwas abgelenkt wurde, brachte Carsten Leonardo ins Spiel. Der Hund guckte lediglich neugierig zu Cedric. »Dada! Eoado.« »Wow, das war wirklich gut.« Anscheinend fand das auch Leonardo interessant und ging auf die beiden zu. Je näher er kam, desto aktiver wurde der kleine Mann auf Carstens Schoß. Carsten gab seinem Hund ein Zeichen und dieser sprang mit seinen Pfoten auf sein freies Bein. Cedric fand es schön, seinen lebendigen Teddybären streicheln zu können. Dann schien er sich auf etwas zu besinnen. »Abba Eoado bubuh?« »Du denkst an deinen Freund. Leonardo macht gleich eine Pause, wenn du isst.« Cedric sah abwechselnd zu dem Hund und seinem Papa. Luise konnte ihm ansehen, wie er das Gehörte verarbeitete. Dann giggelte er. Ein kleines Zeichen veranlasse Leonardo, sich zurückzuziehen. Der Junge sah dem davongehenden Hund hinterher. Anstelle darüber traurig zu werden, lächelte er über seinen Erfolg. Andreas stellte eine kleine Schüssel vor Carsten ab. »Zehn nach zwölf, Carsten. Ich habe den Brei mit warmer Milch zubereitet.« »Danke, Schatz.« Carsten taste nach dem kleinen Löffel und tauchte ihn in den Brei. Cedric half ihm, damit kein bisschen Brei vorbei ging. Auch wenn er zwischendurch immer wieder beim Sprechen etwas ausspuckte. Dann nahm Carsten eine Servierte und wischte rund um seinen Mund alles wieder sauber. »Das machst du wirklich gut. Woher weißt du das?« »Ercan. Im Gegensatz zu ihm macht es mir Cedric leichter. Bei Ercan ging immer die Hälfte daneben.« »Ich muss gestehen, das wir viel Fertigbrei verwendet haben. Das frisch Zubereitete schmeckt ihm einfach besser.« Andreas hörte beim Tischdecken zu. »Habt ihr nie den Brei selbst probiert? Ich finde das Zeug einfach zu süß und mit den Aromastoffen auch zu intensiv.« »Da stimme ich dir zu. Doch seitdem sind auch mehr als zwanzig Jahre vergangen. Jede Zeit hat ihre eigene Dynamik. Damals war es einfach praktisch. Seitdem hat sich die Ernährung auch geändert. Ihr achtet jetzt mehr auf Ausgewogenheit bei den Zutaten. Kohlenhydrate, Proteine und Lipide sind aufeinander abgestimmt. Ich habe mir die Rezepte von Nonna durchgelesen.« »Mama, die Rezepte stammen aus einer Zeit, wo Lebensmittel in Italien knapp waren. Meine Ururgroßmutter musste - ob sie wollte oder nicht - ihre Kinder mit dem Vorhandenen optimal ernähren. Es hat sich im Nachhinein als Vorteil erwiesen. Jede Generation hat die Rezepte für sich verfeinert, ohne am Grundprinzip etwas zu ändern.« »Ercan mochte einfach diesen Brei. Andrea und Du dagegen bevorzugten selbst gemachten. Andrea hatte ein Faible für Kartoffelpüree und du warst immer wild auf ein Karottenkompott mit Früchten. Dafür habt ihr beide mir das Leben mit grünem Brei schwer gemacht.« Selbst Carsten hörte das Schmunzeln in Pauls Stimme. »Das steht uns sicher auch noch bevor. An Gemüse geht kein Weg vorbei.« »Ich denke, das wird so schwierig nicht sein. Ihr macht es Cedric schon vor. Babies gucken ganz genau hin, was auf den Tisch kommt. Andreas serviert immer auch Gemüse als Beilage. Salate sind bei euch obligatorisch und ihr esst viel Rohkost. Cedric guckt sich das ab und wird sicher Gefallen daran finden. Wichtig ist nur, dass es bunt aussieht.« »Du meinst etwas Grünes, Rotes und Gelbes?« »Ja. Spinat, Karotten- und Kartoffelbrei zum Beispiel. Es ist abwechselnd und sieht einladend aus.« »Wir werden es uns merken. So, der kleine Mann scheint satt zu sein. Vielleicht erlaubst du mir jetzt zu frühstücken?«, lächelte Carsten seinen Sohn an. »Abba mmh?«, sah Cedric seinen Papa fragend an. Carsten tastete nach seiner Tasse und trank. Diese Aktion freute Cedric. Dabei hupfte er ein wenig auf und ab. »Ich nehme dir mal unseren Sohn ab.« »Setz ihn doch auf den Boden. Da kann er sich ruhig austoben. Sein Strampler hält ihn warm«, schlug Carsten vor. Andreas fand den Vorschlag gut. Zumal der kleine Mann ja schon einiges an Mobilität an den Tag legte. Neben dem Vorteil, dass sie ihn auch im Auge behalten konnten. Mit seinem Teddy war auch Cedric ganz begeistert und kommentierte die neue Situation auf seiner Weise. Am Tisch widmeten sich die Papas ihrer Nahrungsaufnahme. »Wie sieht es denn in Frankreich aus?«, wollte Carsten von seinem Gatten wissen. »Ganz gut. M. Mathieu konnte schon fast alle Schäden beseitigen. Die Präfektur genehmigte eine entsprechende Investition, da ein Landschaftsgärtner ihnen die Vorteile gegenüber den hohen Betriebskosten schmackhaft machen konnte. Letztendlich werden jährlich gegenüber den Vorjahren allein bei der Bewässerung zwei Drittel der Kosten eingespart. Zudem gibt es eine Bürgerinitiative, die dem politisch Nachdruck verlieh.« »Was wird denn im Frühjahr noch anstehen?« »Dann werden sieben 20-jährige Bäume gepflanzt. Eine Baumschule in den Niederlanden hat einen entsprechenden Bestand an südeuropäischen Arten. Wir müssen damit rechnen, dass es in den kommenden Jahren weitere sehr trockene Sommer gibt. Diese Bäume vertragen die Hitze einfach besser. Ich denke, wir können im nächsten Jahr ruhig einen Abstecher zu den Parks in Frankreich machen.« »Wenn wir gemeinsam Zeit finden, gerne«, grinste Carsten. Denn er würde niemals ein solches Abenteuer mit seiner Familie versäumen wollen. Andreas’ Parks waren immer ein Erlebnis für ihn und wohl auch für Cedric. »Ach wie süß!«, meinte Paul auf einmal, »Cedric sitzt und scheint auf seine Art seinem Teddy die Küche zu erklären. Dabei nuckelt er an seinem Schnuller.« Verträumt lächelte Carsten bei der Vorstellung. Auch Andreas war begeistert von der Leistung, die der kleine Mann da vollbrachte. »Sieht ganz so aus, als ob unser Enkel langsam seine Umgebung selbst erforschen will.« Carsten räusperte sich. »Ich freue mich für ihn.« »Keine Angst, dass er Unfug anstellt?« »Und wenn schon? Haben das Andrea und ich nicht auch getan? Andreas, wir sollten ihm vielleicht den anderen Strampler anziehen.« »Ich lege ihn heraus. Wenn der nächste Wechsel ansteht, benutzen wir diesen.« »Was ist das für ein Teil?« »Der Strampler hat an den Knien und unter der Sohle rutschfeste Pads. Das unterstützt seine Mobilität.« »Sehr passend, um die Welt zu erkunden. Ihr beide seid mit allen Wassern gewaschen.« »Wir tun was, wir können. Paul, hast du etwas Bestimmtes vor?« »Luise und ich machen nachher unsere Übungen, anschließend gehe ich eine Runde spazieren. Darf ich dich begleiten? Carsten, ich gucke mir dann das Gelände jenseits des Parks an. Vielleicht finde ich ja Hinweise zu dem Burn.« »Ja, mach das. Ich spiele dann Klavier. Ein paar Etüden und Fingerübungen.« Babi und Nonna hatten ihre Badesession abgeschlossen und betraten die Küche. »Guten Morgen zusammen. Oh, Cedric, erzählst du deinem Teddy-Freund, wie die Küche aussieht?« »Babi?!«, giggelte er zu seinem Teddy, nachdem er seine Uroma erblickt hatte. »Der kleine Held ist ganz schön aufmerksam.« »Ja, er lernt sehr viel, seit ihr hier seid. Gerade was die Sprachen betrifft. Mich nennt er manchmal ›Taťka‹ und, warum auch immer, ist Carsten sein ›Abba‹. Leonardo wird schon mal zu ›Eoado‹. Ansonsten sind die Hunde sein ›Dada‹, ich sein ›Baba‹!« »Ich bin einmal gespannt, welche Sprachen er erlernen wird. Paul, schenkst du mir noch Kaffee nach?« Paul tat, worum er gebeten wurde. So langsam füllte sich die Küche und am großen Tisch wurde gemütlich gefrühstückt.

»Jungs, Nonno und ich räumen hier auf. Anschließend gehen wir etwas spazieren.« »Danke, Nonna. Da unser kleiner Mann seine Mobilität entdeckt, würdet ihr alle ihn im Auge behalten? Andreas und Paul möchten eine größere Runde mit den Hunden drehen. Ich werde meine täglichen Übungen am Klavier machen. Eventuell verschwinde ich noch ins Studio.« »Ist doch selbstverständlich, Carsten«, bestätigte Babi. »Ich möchte mit Děda nach unserem Fitnessprogramm etwas relaxen und wir ziehen uns in den Salon zurück. Können wir uns mal eure Bibliothek näher ansehen?« »Welch eine Frage! Die Bibliothek steht jedem offen. Seht euch um und vielleicht entdeckt ihr ja etwas Neues.« »Wie machst du das eigentlich?« »Meine Literatur steht im zweiten Teil. Meine Bücher sind halt etwas größer«, meinte Carsten lapidar. »Dazu habe ich auch einen Reader, um mir normale Bücher vorlesen zu lassen. Wobei ich gestehe, dass die italienische und tschechische Literatur unzureichend vorgetragen wird.« »Du beschäftigst dich auch mit unseren Sprachen?« »Klar. Ich will doch verstehen, was ihr sagt, wenn ihr über mich lästert«, zwinkerte Carsten Babi zu. Das Gelächter am Tisch weckte auch die Neugier von Cedric. Was war denn so lustig? »Abba?«, fragte er auch deswegen. Carsten verstand die Frage. Er ging zu seinem kleinen Mann und nahm ihn auf den Arm. »Papa hat einen Scherz gemacht und den finden alle sehr lustig.« Dabei wandte er seinen Kopf dem kleinen Mann zu. »Abba hihi?«, giggelte der daraufhin. Carsten kitzelte seinen Sohn etwas. »Genau. Möchtest du jetzt wieder deine Welt entdecken?« Carsten setzte Cedric wieder ab. Jetzt war er ganz in seinem Element und robbte zu seinem Teddy. Ihm erzählte er, was er gerade erlebt hatte. Andreas sah währenddessen verträumt zu seinen Männern. Děda stieß Babi leicht an, um sie darauf aufmerksam zu machen. Es wurde am Tisch still und alle hörten dem Baby aufmerksam zu. Was Cedric da von sich gab, verstanden wohl nur seine Papas.

»Paul, sollen wir los? Nicht nur die Hunde brauchen Bewegung.« »Gib mir zehn Minuten.« »Gut, wir warten am Porch.« Andreas brauchte nicht lange zu warten. »Salvatore und Leonardo sind bereits draußen.« »Wie lange werden wir brauchen?« »Mal sehen, etwa eine Stunde, eher etwas länger. Wie gesagt, ich will mir das Gelände hinter dem Park ansehen. Carsten hatte vorgeschlagen, es zu erwerben.« »Ihr mutiert langsam zu Großgrundbesitzern. Carsten hat ein gutes Argument: Mehr Distanz zum Haus. Ich denke, wir werden das Gelände teilweise verpachten. Salvatore, Leonardo, auf!« Andreas ging zum Wanderweg und schlug dort die Richtung zu dem Gelände ein. Beide Hunde sahen sich nur einen kleinen Augenblick an, um dann mit ihren Nasen über den Boden den Männern zu folgen. Zugegeben, nicht immer waren ihre Köpfe gesenkt. Als Leonardo mit einem Ast im Fang aus dem Wald kam, wollte Salvatore diesen haben und eine kleine Verfolgungsjagd begann. Nach einer halben Stunde standen sie am Rande des Parks. Paul sah sich das leicht abfallende Gelände an. Es sah etwas verwildert aus. »Komm, gehen wir mal dort hin.« »Suchst du hier etwas Bestimmtes?« »Angeblich soll hier irgendwo mal eine kleine Wassermühle gestanden haben. Wenn dem so ist, braucht es auch ausreichend Wasser, um ein Rad anzutreiben. Ich weiß, dass durch den Park ein kleiner Bach fließt.« »Ist der Bach denn wichtig für euch?« »Ja. Wir liegen abseits der Gemeinde und haben ein eigenes Klärsystem. Es befindet sich in dem kleinen Gewächshaus hinter dem Haus. Ich durfte in Mèze, im Département Languedoc-Roussillon, ein effektives System zur Abwasserreinigung kennenlernen. Es war eine lohnende Investition, um das Abwasser so zu reinigen, dass es unbedenklich für die Natur ist. Mrs Sanches achtet bei ihren Reinigungsmitteln zwar auf Umweltverträglichkeit, doch ist dabei auch immer Chemie darin enthalten. Aus Erfahrung weiß ich, dass solche Substanzen nur unzureichend abgebaut werden.« »Du kommst wirklich weit herum.« »Es war ein Abstecher, als ich den Park in dem Departement als Projektleiter begleitete.« »Was macht diese natürliche Reinigung denn aus?« »Es ist eine technische Unterstützung eines natürlichen Prozesses. In einem Tank wird das Abwasser mit Sauerstoff angereichert. Die Belüftung ist notwendig, um entsprechende Mikroorganismen zu fördern. Das sauerstoffangereicherte Wasser wird in einen zweiten unbelüfteten Tank geleitet. Im unteren Drittel entsteht ein anaerober Bereich, wo entsprechende Bakterien Kohlenwasserstoffverbindungen zersetzen. Sedimente setzten sich dort auch ab. Das Oberflächenwasser wird dann über ein Pflanzenbeet geleitet. Die obere Schicht ist ein Lavagranulat, darunter eine Schicht aus Mutterboden und Sand. Die Pflanzen sind ausschließlich Wasser- und Sumpfpflanzen. Es ist ein Fließsystem. Hinter dem Pflanzenbeet wird das gereinigte Wasser noch einmal filtriert und dann über unseren Fischteich in den Bach geleitet. Dazu braucht es lediglich ein kleines Gewächshaus und die Energieversorgung kann mit Photovoltaik sichergestellt werden. Den entstehenden Klärschlamm nutze ich als Dünger.« »Klingt sehr vielversprechend. Warum wird das System nicht öfters eingesetzt?« »Ich weiß es nicht. Ich habe später mal mit dem dortigen Verantwortlichen gesprochen. Das System hat Grenzen. Effektiv ist es für kleine Städte. Das Wasser darf nicht zu schnell fließen, damit es wirkt. Dann ist auch die Investition relativ hoch. So ein System rentiert sich erst nach einem Jahrzehnt. Dazu kommt eben auch der zu entsorgende Klärschlamm.« »Aber moderne Kläranlagen müssen stets angepasst werden. Ich kenne das von meiner Stadt. Jedes Jahr müssen dafür mehrere fünfstellige Eurobeträge aufgebracht werden.« »Schon, doch du darfst nicht vergessen, dass ihr auch eine relativ große Stadt seid. In der Abwasserreinigung rechnet man nicht mit pro Einwohner, sondern mit sogenannten Einwohnergleichwerten. Das Abwasser einer Bäckerei kann ohne weiters 1.000 Einwohnern entsprechen. Eine Metzgerei, Fleischerei kommt da schon auf 100.000 Einwohner.« »Warum ist das so?« »Maßgeblich sind die abzubauenden Substanzen. Diese werden auf einen standardisierten Einwohner umgerechnet. So ist die Bedarfskalkulation für Kläranlagen einfacher.« »Warum weißt du so etwas?« »Ich habe während meines Studiums auch ein Semester Wasserbau studiert. Es ist gut zu wissen, welche Funktion ein See oder Fließgewässer in der Natur einnimmt. Das macht es mir im Landschaftsbau einfacher, entsprechend zu planen.« »Ich muss sagen, unter einem Landschaftsarchitekten habe ich mir immer einen fortgebildeten Gärtner vorgestellt. Seitdem ich dich kenne, erfahre ich immer mehr, wie umfangreich dein Tätigkeitsbereich ist. Wer kommt schon auf die Idee, dass Wasserreinigung mit zu deinem Aufgabenbereich gehört?« »Papa, der Beruf hat sich mit den Jahren gewandelt. Mein Vater hatte seinen Schwerpunkt auf die Landschaftspflege gelegt. Seine Geschäftspartnerin war schon eine Kapazität auf dem Gebiet der Renaturierung. Spielplätze, Wasserbau und das alles sind Spezialbereiche, mit denen ich mich auseinandersetzte. Es macht mir auch irgendwie Spaß. Da ich auch nicht alles weiß, greife ich auch auf spezialisierte Architekten, Statiker und Gärtnereien zurück.« Während des Gesprächs gingen sie zu der bestimmten Stelle. Dort blickte Andreas in Richtung ihres Parks. »Hm, ich sehe nichts, was darauf hindeuten könnte, wo ein Bach gewesen sein könnte«, schlussfolgerte Paul. »Au Contraire«, meinte Andreas. Dabei deutete er auf einige Stellen auf dem Boden. »Geranium palustre, Iris pseudacorus, Veronica scutellata. Das sind Gewächse, die eines feuchten Bodens bedürfen. Carsten hat vollkommen recht. Der Burn ist versumpft.« »Wie willst du den wieder freilegen?« Andreas runzelte seine Stirn. »Man könnte ihn mit einem Bagger freilegen. Hat den Nachteil, dass schweres Gerät den Boden verdichtet. Im Augenblick habe ich keine vernünftige Idee. Ich müsste mal meinen alten Professor für Wasserbau kontaktieren. Sag einmal: Heidschnucken, leben sie das ganze Jahr im Freien?« »Einige Rassen ja. Es gibt mehrere Arten der Nordischen Kurzschwanzschafe. Ich denke, das Boreray-Schaf würde sich hier gut machen, wenn ich denke, dass du sie hier zur Landschaftspflege einsetzten willst«, grinste Paul. »Genau. Zumindest würde die Landschaftspflege ökonomisch vollzogen. Kannst du mal deine Kontakte spielen lassen, um eine Gruppe dieser Schafe hier anzusiedeln?« »Gerne, als Tierarzt erstelle ich dir auch alles zu einer artgerechten Haltung. Doch vor dem Frühjahr wird das nichts«, bot Paul an. »Es eilt nicht. Noch gehört uns das alles auch nicht. Rachid und Bryan möchten uns noch eine alte Karte mit entsprechender Bebauung zukommen lassen. So, jetzt lass mich mal die Koordinaten bestimmen.« Andreas holte ein kleines Ortungsgerät aus seiner Tasche. An verschiedenen Stellen blieb er stehen und drückte eine Taste. Paul folgte ihm. »Dieses kleine Wunderwerk der Technik speichert die Längen- und Breitengrade. Zuhause auf meinem Computer werden diese Koordinaten in einer geographischen Karte eingetragen.« »Jetzt kenne ich dich schon so lange und du schaffst es, mich immer noch zu erstaunen.« »Ich muss nicht alle technischen Innovation lieben. GALILEO ist ein nützliches System und erleichtert mir die Landschaftsplanung enorm.« »Mal etwas ganz anderes: Hast du schon etwas für Carsten?« »Natürlich. Einige Bilderbücher.« »Du weißt schon noch, dass er blind ist?« Andreas lachte. »Auch wenn ich ihm immer noch gern in seine blauen Augen sehe, habe ich diese Kleinigkeit nicht vergessen. Papa, es ist ein Geschenk für Carsten, damit er Cedric vorlesen kann. Die Bilder sind mit Braille unterlegt. Ich möchte, dass sie gemeinsam solche Dinge erleben.« Paul war hin und weg. Andreas kannte seinen Sohn wirklich gut. Ein wirklich sinnvolles Geschenk: Zeit mit seinem Sohn zu schenken. »Wir sollten uns langsam wieder auf den Heimweg machen. Nimm dir morgen mal nichts vor, wir brauchen noch einen Weihnachtsbaum. Salvatore! Leonardo! Bei Fuß!« Das schlichte Kommando kam bei den Hunden an. Paul hatte ja noch immer seine Zweifel, ob die Hunde zwei Rudelführer akzeptierten. »Ich kenne dich, Papa. Ich bin lediglich Salvatores Herrchen. Ich rufe auch immer zuerst Salvatore, ihm folgt Leonardo. Mir gegenüber können beide Hunde auch eigensinnig sein. Ich lasse sie gewähren. Bei Carsten erlauben sie sich solche Dinge nicht. Salvatore hat manchmal Phasen, wo er Wasser meidet. Wenn es regnet, geht er nur ungern vor die Tür. Bei Carsten versucht er es gar nicht, wenn er ihn nicht verärgern will. Andersherum, wenn beide ihn in ihre Aktion einbeziehen, ist er ihnen nicht wirklich böse. Ich denke, das macht einen guten Rudelführer aus.« »Du hast wirklich viel über Rudeltiere gelernt.« »Kunststück, ich erlebe jede Variante tagtäglich mit meinem Tiger.« Den Rest des Weges genossen sie das Spiel der Hunde und die Ruhe der Natur.

Carsten spielte sein Programm am Klavier. Ganz zufrieden schloss er den Flügel und wechselte zum E-Piano. Sein Laptop war schnell angeschlossen. Er dachte über den Song Amazing Grace nach. In seiner Musikbibliothek hatte er einige Versionen des Komponisten John Newton aus dem 18. Jahrhundert. Er spielte den Song in unterschiedlichen Tonarten vor sich. Dann hatte er eine Idee. Er schaltete das Piano wieder aus und machte sich auf den Weg in sein Studio. Auf halben Weg traf er Nonno. »Willst du jetzt ins Studio?« »Ja. Oder ist etwas mit Cedric?« »Nein, der Junge beschäftigt seine Großmütter mit Begeisterung. Děda macht eine kleine Runde durch den Garten.« Carsten ahnte, dass sein Großvater sich etwas deplatziert vorkam. »Du kannst mich begleiten. Ich habe da eine Idee im Kopf und würde gern deine Meinung dazu hören.« Nonno schloss sich ihm an. Im Studio machte Carsten Licht. »Wow. Wie orientierst du dich?«, fragte er, als er die vielen Schalter, Regler und den großen Monitor sah. »Ich habe mich an alles gewöhnt. Alle Schalter, Schieber und Regler sind in Braille gekennzeichnet. Im Studio habe ich eine Konsole mit Fußtasten. So brauche ich nicht immer die Aufnahme von hier aus starten. Im Tonstudio selbst habe ich zurzeit nur ein E-Piano.« Während er sprach, schaltete er die Anlage ein. Es dauerte etwas, bis der Computer hochgefahren war. Die Zeit nutze Carsten, um einige Regler neu einzustellen. Dann war es soweit. Auf einer zweizeiligen Braillezeile suchte er sich den Song Amazing Grace aus seiner Datenbank. Er ließ sich im Mischraum den Song vorspielen. Dabei regelte er sich einige Spuren ein. Nonno sah, wie routiniert er das machte. »So, ich gehe jetzt in das Tonstudio. Ich spiele zwar das E-Piano, doch ich höre die Melodie nur im Kopfhörer. Dazu singe ich. Der Computer mischt Gesang und Melodie zusammen und du kannst mithören. Du kannst an diesem Regler die Lautstärke hier im Vorraum justieren. Normal ist dieser aus.« Carsten ging ins Tonstudio. Nonno sah ihn durch die Scheibe, wie er sich an seinem Piano einrichtete. Dann setzte sich Carsten den Kopfhörer auf. Nonno drehte an dem Regler und hörte aus dem Lautsprecher die Geräusche, die Carsten hinter der Scheibe machte. Dann wurde es still. Nonno sah, wie Carsten sich konzentrierte. Dieser begann auf dem Piano ein Intro zu spielen. Danach fing er an zu singen. Doch schon nach wenigen Takten brach er wieder ab. »Das war einfach nur Mist«, hörte Nonno Carsten sagen. Dann begann er mit einem neuen Versuch. Auch diesen brach er mittendrin wieder ab. Behutsam legte er den Kopfhörer ab und kam in den Mischraum. »Das war nicht, was ich mir vorgestellt habe.« »Was hast du dir denn vorgestellt?«, fragte sein Gast. »Eine a-cappella-Version. Das Piano stellt quasi den ersten Sänger dar. Ich singe dann etwas später den Part des zweiten Sängers. Warum?« »Mache das doch einfach erst umgekehrt. Sing du den ersten Part. Kannst du nicht auf das Piano verzichten und die Melodie vom Computer auf deinen Kopfhörer einspielen? Ich denke, dann kannst du dich auf den Text konzentrieren.« »Gute Idee, aber die Musik benötige ich dazu nicht. Ich habe den Text und die Melodie im Kopf. Danke.« Carsten ging wieder zurück und setzte sich wieder den Kopfhörer auf. Diesmal blieb er stehen. Das Mikrophon justierte er sich auf seine Position. »Nonno, ich lasse die Aufnahme einfach weiterlaufen«, informierte er Andreas‘ Großvater. Dann begann er mit dem Song. Nonno hörte aufmerksam zu. Das, was er hörte, machte etwas her. Doch Carsten war wohl anderer Meinung. Er ging zu seinem Piano und spielte verschiedene Tonlagen. Nonno hörte, wie Carsten diesen letzten Ton summte. Danach brachte er sich wieder in Position. Der junge Mann hinter der Scheibe schloss seine Augen und konzentriere sich. Was Nonno dann hörte, hätte ihn schon aus den Schuhen gehauen. Er war froh, sich gesetzt zu haben. Carsten interpretierte den Song mit sehr viel Feeling in der Stimme. Nach einigen Minuten war die Aufnahme geschafft. Carsten kam wieder in den Mischraum. »Hat es dir gefallen?« »Gegenfrage: Hat es dir gefallen?« »Ich bin zufrieden. Maybe feile ich daran noch etwas. Jetzt ist damit erst einmal Schluss. Ich speichere die Aufnahme und dann machen wir etwas anderes.« Gekonnt sicherte Carsten die Aufnahme. »So, jetzt kommst du mit ins Studio. Ich möchte nämlich für Cedric Francis eine Aufnahme vom Kinderlied, dass du so gerne Francisca vorgesungen hast.« »Das kann ich nicht.« »Nonno, es ist für deinen Urenkel und den Enkel deiner Tochter. Kannst du dir nicht vorstellen, dass sie es gerne so wollte? Es ist doch ein schönes Geschenk für ihn. Komm, ein ›Nein‹ lasse ich nicht gelten.« Nonno gab sich geschlagen. Carstens Argument hatte etwas für sich. Im Tonstudio setzte sich der ältere Mann auf einen Stuhl. Carsten nahm an seinem E-Piano Platz. Dann suchte er sich den Sound eines Grandpianos aus der Programmierung. Er testete den Sound, indem er einfach etwas darauf spielte. Nonno war überrascht, dass der warme Klang ähnlich dem des Flügels von Andreas war. »Andreas hat mir geholfen, den Sound seines Flügels hier zu programmieren. Wie bei dir im Arbeitszimmer spiele ich dir das Lied vor. Du kannst wie damals einfach einsetzten. Mir hat es nämlich gefallen.« »Brauche ich nicht das Mikrofon?« Carsten lachte. »Natürlich. Ich werde wohl alt. Einen Augenblick, das haben wir gleich.« Carsten stand auf und tastete nach dem technischen Detail. Er positionierte das Mikrophon in einigem Abstand zu seinem Nonno. »So, wie ist es nun? Es sollte sich etwa 20 cm von dir entfernt befinden.« »Ja, das passt. Ehrlich, ich bin etwas nervös.« »Nur keine Panik. Es wird alles gut werden. Denke einfach daran, für wen du singst.« Carsten setzte sich wieder an das Piano. Einen Augenblick konzentrierte er sich und begann das italienische Kinderlied zu spielen. Nonno entspannte sich, als er die Melodie hörte. Dann dachte er an seine Tochter und seinen Urenkel. Behutsam schloss er seine Augen und begann zu singen. Carsten bekam eine Gänsehaut. So gefühlvoll hatte er seinen Großvater noch nicht singen gehört. Er spürte förmlich dessen Emotionen.

Die Aufnahme gelang beim ersten Mal perfekt. Beide hörten sich das Ergebnis zufrieden an. »Es ist eine wirklich gute Idee gewesen, Junge.« »Mehr noch. Hast du Lust, eine kleine Variante dazu zu machen? Ich würde gern etwas probieren. Ich gebe keine Garantie, dass es auch gelingen wird.« »Warum nicht? Es macht wirklich Spaß.« »Gut. Wir machen es wie vorhin. Doch diesmal setzte bitte den Kopfhörer auf. Du wirst nur die Melodie hören, nicht deinen Gesang. Lass dich bitte nicht irritieren.« »Was hast du vor?« »Warte das Ergebnis ab.«

Im Studio setzte sich Nonno wie gesagt den Kopfhörer auf und setzte sich wieder auf seinen Stuhl hinter dem Mikrofon. Diesmal hatte Carsten ebenfalls ein Mikrofon vor sich. Auch er hatte einen Kopfhörer auf. Carsten spielte auf dem Piano erst ein Intro des Lieds. Nonno hörte, wie die Melodie leicht anders klang. Nonno setzte auf ein Zeichen von Carsten ein und sang unbeirrt, auch wenn er sich selbst nicht hörte. Da er wieder seine Augen geschlossen hatte, sah er nicht, dass Carsten ebenfalls sang. Diese Aufnahme hörten sie sich im Anschluss an. Nonno war ganz baff. Er hörte sich und Carsten singen. Jedoch klang Carstens Stimme etwas tiefer und unterstrich seinen Gesang. »Wie hast du das gemacht?« »Ich bin Dozent und Musiker mit Leidenschaft. Aber ich gebe zu, dass ich selbst von dieser Version beeindruckt bin. Glaubst du, es würde Cedric genauso gefallen?« »Vollkommen. Du hast nicht nur ihm ein Geschenk gemacht. Kann ich diese Aufnahme bekommen?« »Ich mache dir eine CD.« »So, ich denke, Cedric hat seine Großmütter müde gespielt. Kommst du mit?« »Klar, ich finde, der kleine Mann macht seine Sache ganz gut. Nonna lebt bei ihm richtig auf. Ich habe sie schon lange nicht mehr so glücklich gesehen.« »Ehrlich, ich hatte erst Bedenken, wie ihr reagieren würdet.« »Carsten, vergiss es sofort. Ihr beide gebt einem jungen Leben eine sichere Perspektive. Wusstest du, dass es eine Zeit gab, wo Heimkinder als Versuchspersonen für die Medizin herhalten mussten? In anderen Heimen wurden sie aller ihrer Rechte beraubt, weil sie einfach als billige Arbeitskräfte betrachtet wurden. Du magst es nicht glauben, doch in einigen Ländern ist es teilweise noch heute so. Wir sind stolz auf Dich und Andreas. Und ich bin mir sicher, egal was Cedric auch anstellen wird, ihr beide werdet vorbehaltlos hinter ihm stehen.« Nonno ging voraus. Carsten tastete nach dem Kippschalter und löschte das Licht.

»Na, ihr seid ja noch alle munter?«, meinte Nonno im Salon. »Nicht ganz, Cedric hat sich schlafen gelegt. Jetzt, wo er den Kniff mit dem Krabbeln heraus hat, meinte er, bei den Hunden ein Nickerchen halten zu müssen. Er hat sich an Leonardo gekuschelt und Salvatore hält ihn warm.« »Wenn er mit dem Arrangement zufrieden ist, lassen wir ihn in Ruhe. Sind Paul und Andreas schon wieder zurück?« »Ja. Andreas ist in seinem Büro. Luise und Paul sind ihre Übungen machen.« »Ich gehe mal zu Andreas. Habt ihr noch Kaffee oder darf ich euch noch welchen machen?« »Wir sind gut bedient. Babi hat noch für frischen Tee und Kaffee gesorgt.« Carsten zuckte mit den Schultern.

»Hast du mich gesucht?« »Nicht direkt, Schatz. Was machst du?« »Ich habe mir ja das Gelände mit Paul angesehen. Ich glaube, den Burn gefunden zu haben. Jetzt trage ich gerade einige Koordinaten in meine Karte ein. Mehr wollte ich auch nicht machen. Ich hoffe, Rachid kann auch eine alte Karte auftreiben. Auf den neueren sieht man den Bach nämlich nicht mehr.« »Willst diesen wieder freilegen?« »Mal sehen, ich werde mal mit einigen älteren Mitbürgern sprechen, die den Bach noch gesehen haben dürften. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie der sich auf den Wasserhaushalt auswirkt. Paul wird sich um tierische Landschaftsgärtner kümmern. Irgendeine Rasse von Kurzschwanzschafe.« »Muss ich das jetzt verstehen?« »Es sind Schafe, die wohl selektiv grasen und das ganze Jahr draußen bleiben können. Und nein, verstehen tue ich es selbst auch nicht vollkommen. Doch das ist zweitrangig, ich will nur verhindern, dass das Areal verwildert. Ähnlich wie Heidschnucken in der Heide.« »Gut. Sag einmal, ich habe da eine Idee für unseren Sohn. Vorhin haben Nonno und ich eine Aufnahme mit eurem Kinderlied für Cedric gemacht. Was hältst du von einer Aufnahme persönlicher Lieder von uns beiden für Cedric?« »Schaffen wir das denn noch vor dem Fest?« »Morgen Nachmittag im Studio. Das sollte reichen. Wenn wir heute die Sauna ausfallen lassen, kann ich einige Arrangements machen.« »Ich habe mich eigentlich auf das Schwitzen mit dir gefreut.« »Dann heute spät am Abend. Wenn Cedric im Bett ist, können wir Pfunde loswerden. Anschließend sind wir wohl wuschig genug für Matratzensport …« Andreas grinste. »Das hat was. Machen wir es so. Dennoch, ausschlafen können wir morgen nicht. Wir brauchen einen Baum für den Salon.« »Ist nicht schlimm, es ist in den letzten Monaten oft genug vorgekommen, dass wir auch mit weniger als vier Stunden Schlaf ausgekommen sind. Wird sicher lustig, mit euch einen Baum auszusuchen.« »Gut, gehen wir morgen ins Studio. Ich bin fertig. Was macht Cedric?« »Er schläft wohl bei den Hunden. Dann haben wir ja etwas Zeit für uns. Kaffee?« »Gerne.« Bevor sie jedoch das Arbeitszimmer verlassen konnten, ging das Telefon. »Zahradník!«, meldetet sich Andreas. Er war etwas überrascht, das Dr. Peters anrief. »Nein, vergessen haben wir die Untersuchung nicht. Wir wollten sie dann im neuen Jahr machen.« Andreas hörte dem Arzt zu. »Nein, wir nehmen uns Zeit. Heute Nachmittag, sagen Sie? Es ist Sonntag! Gut, wir kommen zu Ihnen. Cedric braucht auch seinen Spaziergang. Danke.« »Was wollte der Arzt?« »Dr. Peters möchte Cedrics Routineuntersuchung vorziehen. Ich habe dem für heute Nachmittag zugesagt.« »Am Sonntag?« »Ja. Dr. Peters ist in der kommenden Woche abwesend. Daher möchte er es heute schon machen.« »Ist gut. Cedric hat ja in der letzten Zeit auch einen enormen Schub gehabt. Dann können wir ihn bitten, auch dem Jugendamt mitzuteilen, dass wir die Untersuchungen alle ernst nehmen.« »Das Amt hat sich ja schon länger nicht mehr gemeldet. Ist das nun gut oder schlecht?« »Ich denke, dass es gut ist. Wenn wir Dr. Peters darum bitten, ist das auch ein gutes Zeichen, dass wir unsere Verantwortung sehr ernst nehmen.« »Du hast recht. Gehen wir oder sollen wir fahren?« »Gehen wir. Wir du schon sagtest: Die frische Luft wird nicht nur ihm guttun.«

»Hallo, Dr. Peters. Wie geht es Ihrer Familie?« »Bis auf eine Erkältung sind alle wohlauf. Der kleine Patient sieht ja schon ganz munter aus«, beobachtete der Arzt professionell. »Und wie. Er hatte seinen Spaß dabei, die Hunde immer im Blick zu halten. Dabei spricht er immer munter vor sich hin.« Wie auf Stichwort meinte auch Cedric seine Meinung kund zu tun. »Dann wollen wir mal sehen. Wir machen wie beim letzten Mal eine Grunduntersuchung. Ich bitte Sie beide, dann ruhig zu bleiben. Ich möchte erfahren, wie er seine Umwelt wahrnimmt.« »Darf Carsten denn gegebenenfalls seine Hand halten? Wenn Cedric sich unsicher fühlt, hält er sich gerne an einem Finger fest.« »In dem Fall natürlich. Doch beim letzten Mal schien er sich mutig dem Unbekannten zu stellen.« Andreas legte den kleinen Mann auf den Untersuchungstisch. Da es für Cedric nicht ungewohnt war, sah er sich interessiert um. Dr. Peters war ganz angetan, wie mobil der kleine Kopf immer in die Blickrichtung gedreht wurde. Als er ein Geräusch hörte, versuchte er, die Quelle auszumachen. Dabei strampelte er etwas und lag plötzlich auf dem Bauch. »Dada, Eonado. Hi hi«, meinte er, als er den Hund erblickte. Andreas sah, wie der Mediziner sein Stethoskop anhauchte und den Jungen abhörte. »Schreit Cedric viel?« »Wenn er Hunger hat, protestiert er lautstark. Wir glauben, dass er nicht viel mehr schreit als unbedingt nötig. Dafür kommentiert er gerne, was in seiner Umgebung geschieht.« »Er hat kräftige Lungen.« Der Arzt stutze etwas, als er ein paar Hundehaare entdeckte. Andreas sah etwas verlegen aus. »Sorry, Cedric hat heute einen Platz für ein Nickerchen gesucht. Da meinte er, bei den Hunden gut aufgehoben zu sein. Ist das schlimm?« Der Arzt lachte. »Nein. Im Gegenteil. Es bedeutet, dass er seine Umwelt bewusst wahrnimmt. Obendrein wundere ich mich, dass er für sein junges Alter schon recht mobil ist.« »Den Dreh hat er aber auch erst seit zwei, drei Tagen raus. Heute hat er sich das erste Mal wohl auf den Weg gemacht, irgendein Ziel zu erreichen.« Während des Gesprächs führte Dr. Peters weitere Untersuchungen durch. »Baba, Abba!«, freute sich Cedric, als er seine Papas erblickte. Da jedoch keine Antwort folgte, guckte er aus großen Augen. Dann meinte er, lauter werden zu müssen. »ABBA! BABA!« Dr. Peters nickte Andreas zu. »Wir sind ja bei dir. Dr. Peters wollte wissen, wie laut du werden kannst.« Dann streckte das Baby seine Hand aus. Andreas stieß Carsten an. Dieser verstand den Wink und tastete nach der Hand seines Sohnes. Der robbte etwas vor und hielt sich dann an Papas Finger fest. »Sie dürfen Cedric ruhig wieder an sich nehmen. Die Untersuchung ist beendet. Ihr Sohn entwickelt sich prächtig. Ermöglichen Sie ihm, im Wasser seine Mobilität zu erkunden. Es kann sein, dass er Ihnen in den kommenden Tagen ein paar Probleme bereitet. Beim Abtasten seines Kiefers habe ich den Ansatz eines Zahns festgestellt. Sie sollten Cedric langsam auf Mundhygiene vorbereiten. Was geben sie ihm zu essen?« »Seine Hauptmahlzeit besteht noch immer aus Flaschenmilch. Dazu mag er manchmal schon Brei. Meine Großmutter meinte, dass er ruhig schon mal auf einer Scheibe Brot kauen dürfte.« »Sie sollten jetzt mehr auf festere Nahrung umsteigen. Also mehr Brei. Das mit dem Brot ist gut. Lassen Sie ruhig auch ein wenig vom Rand stehen. Er soll seine Kaureflexe trainieren. Haben Sie noch Fragen?« »Nein, jedoch ein Anliegen. Würden Sie dem zuständigen Jugendamt mitteilen, dass diese Untersuchung erfolgt ist?« »Das hätte ich sowieso gemacht. Das Amt kann da schon mal ganz penibel sein. Die nächste Untersuchung ist dann in drei Monaten. Dann bekommt er noch einige Impfungen. Ihnen und Ihrer Familie ein schönes Fest.« »Das wünschen wir vier Ihnen und Ihrer Familie ebenfalls.« Vor der Praxis schlug Carsten vor, Ben aufzusuchen. »Wir können uns ja mal bei Gwenda erkundigen, wie es um Merlin steht. Außerdem scheint mir Cedric einem Abenteuer nicht abgeneigt.« »Machen wir. Er ist ja recht munter. Obendrein hat er sich eine Belohnung verdient.«

Andreas gab die Richtung vor. Gwenda war hin und weg von Cedric. Sie konnte es nicht lassen, ihn etwas zu knuddeln. »Vorsicht, Gwenda, der kleine Mann kann sich schon lautstark wehren.« »Oh ja. Darling, kannst du uns einen Tee machen?«, unterbrach Ben seine Frau. »Natürlich, dein Spülwasser bekommt eh niemand hinunter«, flirtete sie zurück. »Andreas, hast du seinen Schnuller mit?« »Den von Ben? Nein. Nur den von Cedric!«, grinste Andreas frech in die Runde. Gwenda lacht laut los, während ihr Angetrauter eine gesunde Gesichtsfarbe bekam. »Zum Glück bin ich aus diesem Alter schon heraus. Aber sagt einmal, ist es für ihn nicht etwas zu warm?« Carsten stimmte Ben zu und pellte Cedric aus der gefütterten Jacke. Diese Aktion konnte Cedric natürlich nicht unkommentiert lassen. »Was für ein schöner Strampler. Sogar mit Pads.« »Gwenda, diese kleinen Dinger helfen ihm, sicheren Halt zu finden. Außerdem polstern sie etwas.« »Abba! Eonado?«, meinte er plötzlich. »Leonardo ist bei seinem Freund Wolf. Der Hund von Ben. Die beiden unterhalten sich auf ihre Art und tauschen Neuigkeiten aus. Glaubst du nicht, dass wir die beiden mal unter sich lassen?« Cedric zog einen Schmollmund. Dann schien er zu verstehen. Lustig saugte er an seinem Schnuller. Andreas gab ihm dann auch seinen Teddy. Diesem erzählte er etwas in seiner geheimen Sprache.

»Warum wir eigentlich einen Abstecher zu euch machen, ist zu fragen, wie es um die Fortschritte bei Merlin steht?« »Ach, der Junge macht sich. Er hat sich mit den Medien gut auseinandergesetzt und geht damit verantwortungsvoll um.« »Wie meinst du das?« »Er nutzt den Computer als Werkzeug. Gut, vielleicht spielt er auch mal online, doch er weiß, dass es mehr gibt als nur das. Wo es etwas hapert, ist Literatur, Sprache und Grammatik. Das ist aber nicht verwunderlich, denn diese Themen werden intensiv in den letzten Schuljahren vermittelt. Er müsste mehr handschriftlich arbeiten.« »Da könnte ich ihm helfen. Literatur können wir beide ihm vermitteln. Meine Großeltern sind auch nicht die typischen TV-Konsumenten.« »Es würde ihm sicher helfen. Bei den Naturwissenschaften liegt er im Mittelfeld. Er hat Potential, da mehr zu erreichen. Ein wenig mache ich mir Gedanken um seine soziale Entwicklung. Da er längere Zeit quasi isoliert lebte, hat er da Defizite.« Andreas ahnte, was das bedeuten konnte. »Können wir gemeinsam da gegensteuern?« »Er benötigt mehr Kontakte zu Gleichaltrigen.« »Wie wäre es mit einer Party?«, schlug Ben vor. »Ich rede mal mit Patrick. Er hat noch immer den besten Überblick, was für Jugendliche angeboten wird. Ich glaube, im Jugendclub gibt es eine Silvesterparty«, machte Gwenda einen Vorschlag. »Wir besprechen es mit Merlin.«

Cedric giggelte vor sich hin und verlor seinen Schnuller. Er guckte verdutzt um sich. Als er ihn neben sich liegen sah, nahm er ihn an sich. Er betrachtete diesen aufmerksam. Andreas sah, wie er wohl zu einem Ergebnis kam, und schwupp war der Schnuller wieder im Mund. Zufrieden nuckelte er weiter. »So, ich habe noch zu tun und werfe euch Männer aus meinem Refugium«, beendete Gwenda das Zusammensein. Carsten nahm die kleine Jacke und packte den kleinen Mann warm ein. Dann half ihm Cedric, als er wieder ins Tuch kam. »Abba! Eonado!« »Deinen Teddybären auf vier Pfoten vergessen wir nicht«, beruhigte er ihn. »Leonardo!« Der Hund kam in Begleitung von Wolf in die Küche. »Dada?« »Nein, Cedric. Das ist nicht Salvatore. Darf ich dir Wolf vorstellen? Der Hund von Ben und ein Freund von Leonardo und Salvatore.« Carsten ging in die Hocke, so dass Cedric auch vorsichtig den Hund streicheln konnte. Dieser schnuffelte an dem kleinen Mann. »Hihi«, freute Cedric sich. »Dada ieb.« »Ja, Du hast recht, der wuschelige Wolf ist lieb und mag dich auch. Jetzt sage ihm aber bye. Wir möchten nach Hause. Du hast bestimmt auch bald Hunger.« Anstelle etwas zu sagen, winkte Cedric dem Hund und seinen Besitzern zu. Carsten stand wieder auf und orientierte sich an Leonardo. Cedric sah genau hin, als sein Papa den weißen Bügel in die Hand nahm. In Begleitung des Hundes machten sie sich auf den Weg. »Tiger, der kleine Mann hat gerade wieder etwas Neues entdeckt. Er findet es sehr interessant, wie du dich von Leonardo führen lässt.« »Ja, er ist ganz aufmerksam. Hast du bemerkt, wie er zwischen den Hunden unterschied? Er hat Wolf als einen Hund erkannt und verglich sofort mit unseren Hunden.« »Bens Wolf ist ja auch ein Schäferhund, dazu hat er ein sehr dunkles, wuscheliges Fell. Da können unsere beiden nicht mithalten.« »Mrs Sanches würde uns auch sprichwörtlich das Fell über die Ohren ziehen. Papa hatte bei uns zu Hause eine extra Waschmaschine für die Praxiswäsche. Diese war mit einem praktisch zu säubernden Fuselfilter ausgestattet. Nach jedem Waschgang musste er gesäubert werden. Tierhaare gab es immer zuhauf.« Carsten taste mit seiner freien Hand nach dem Tuch. Cedric war eingeschlafen. »Das mache ich bei der Maschine für die Tierwäsche auch jedesmal. Da kommt schon einiges zusammen.« Carsten grinste plötzlich, dann bekam er einen Lachanfall. Andreas zog seine Stirn in Falten und stellte sich die Frage, was denn so lustig daran war. »Sorry. Ich habe mir gerade vorgestellt, welche Mengen Wolf allein wohl hinterlassen würde. Mehr als unsere Tiere zusammen jedenfalls.« Selbst Andreas konnte ein Grinsen nicht mehr vermeiden. Nach der Wäsche hatte er immer eine Handvoll aus dem Filter gepult. Zwei von Wolfs Kaliber würden den Filter schnell verstopfen. Carsten beruhigte sich wieder. Dann hakte er sich bei Andreas ein. Den Bügel ließ er los. Leonardo guckte kurz hoch. Dann begann er, seine Freiheit zu genießen. Mit seiner Nase wurde er aktiv. »Wenn ich mich nicht irre, benötigen wir noch 15 Minuten.« Andreas sah sich zur Orientierung um. »Ja. Du bist gut. Woher weißt du das?« »Mein Gefühl und die Straße ist leicht ansteigend.«

Zuhause gab es für Cedric einen kleinen Imbiss. Ganz wie der Arzt es vorgeschlagen hatte, gab ihm Andreas ein Stück Weißbrot. Der kleine Mann fand seine helle Freude, daran herum zu sabbern. Zufrieden mit sich und seiner Welt erzählte er seinem Teddy von seinem Abenteuer.

»Andreas, wo ist Carsten? Wart ihr nicht zusammen?« »Er wollte noch etwas in seinem Arbeitszimmer machen. In die Sauna gehen wir nach dem Dinner.« »Ich wollte dich fragen, ob wir uns heute um das Abendessen kümmern dürfen?« »Natürlich. Cedric wird sicher auch mich beschäftigen wollen. Da wir ja noch anschließend schwitzen gehen, bitte etwas Leichtes. Für Cedric vielleicht einen Brei. Zumindest schlug es sein Arzt vor.« »Ich habe da eine Idee. Lass dich überraschen.« Andreas setzte einen Kaffee auf. »Nonna, wann habe ich mit fester Nahrung angefangen?« »Francisca begann mit sehr flüssigem Brei, als du vier Monate warst. Dein erstes Muss gab sie dir in Cedrics Alter.« Nonna lachte erfrischend auf. »Spinat hast du nicht gemocht. Brokkoli fandest du schon appetitlicher. Karotten-Apfel-Brei hast du geliebt. Deine erste kleine Kartoffel haben wir noch mit der Gabel zerdrückt. Pawel machte für dich immer lustige Gesichter in den Kartoffelbrei. So hat er dir auch den ungeliebten Spinat untergejubelt.« Andreas schmunzelte. Vielleicht mochte er als Baby keinen Spinat, aber er liebte jetzt dieses Gemüse. Besonders als Salat. Während sie sich locker unterhielten, machte sich Nonna einen Tee. »Warum habt ihr eigentlich so viele Teesorten?« »Ein Resultat aus unserer Zeit in London. Morgens gab es abwechselnd Breakfast-Tea oder Kaffee. Der ist kräftiger im Geschmack. Während des Tages trank Carsten oft mildere Teesorten, wir haben fünf Favoriten. Ich nahm zur Arbeit lieber einen kräftigen Tee mit, den ich dann auch mit Milch trank. Die Fruchttees sind im Sommer erfrischend. Dagegen tun die diversen Kräutertees während der kühleren Zeit gut. Ich glaube, wir haben jetzt bestimmt so um die zwanzig Teesorten vorrätig. Dazu haben wir an Kaffee auch Arabica und Robusta in reinen Sorten. Je nach Anwendung mischen wir. Carsten verfeinert gerne seinen Espresso mit Kakao.« »Interessant. Das mochte auch Francesca gerne. Es gab ihrem Espresso eine leicht herbe Note. Nonno nimmt für seinen Espresso immer eine kleine Prise Salz.« »Ich weiß. Die Salzkristalle binden einige Bitterstoffe, somit ist der Geschmack weicher. Darf Nonno denn Kaffee trinken?« »Natürlich, es ist sein Elixier. Abends trinkt er gerne einen Espresso. Morgens, wie ich, Cappuccino und mittags bevorzugt er normalen Kaffee. Aber er nimmt auf seine Ladies, wie er Babi und mich gerne nennt, Rücksicht und trinkt Tee.« »Netter Zug. So, ich widme mich meinem kleinen Mann. Nonna, machst du für ihn noch einen fruchtigen Tee? Egal, ob er heute Nacht seine Windeln durchnässt.« »Gerne. Dauert etwas.« Andreas nickte nur. Mit einem gefüllten Tablett verließ er die Küche. Cedric saß die ganze Zeit mit seinem Teddy beschäftigt auf dem Boden. Die Bewegung seines Papas weckte seine Aufmerksamkeit. Als er sah, wie dieser ihn verließ, zog er einen Schmollmund. Noch bevor Andreas den Salon erreichte, hörte er den Protest. Dennoch ließ er sich nicht beirren. »Warum schreit dein Sohn?«, fragte ihn Luise. »Er protestiert, weil ich erst das Tablett in den Salon bringe und ihn in der Küche bei Nonna ließ.« »Ich verstehe. Dann lass ihn mal eine positive Erfahrung machen.« Ihr Schwiegersohn grinste bei der Umschreibung. Klar, dass Cedric verunsichert war, wo sein Papa ihn zurückließ. Als er wieder in der Küche war, nahm er ihn auch direkt auf den Arm. »Da ist Papa wieder.« Cedric sah ihn mit feuchten Augen an. Andreas strich ihm ein paar Tränen von der Wange und gab ihm einen Kuss. »Ich vergesse dich nicht, dafür habe ich dich viel zu lieb.« Dabei drückte er Cedric an seine Brust. Er fühlte dann zwei kleine Arme an seinem Hals. Er bückte sich etwas und ob den Teddybären auf, den sein Sohn hat liegen lassen. Gemeinsam gingen sie in den Salon. Andreas beschäftigte sich intensiv mit ihm. Bald schon giggelte der kleine Mann. Luise hörte den beiden strickend zu. Cedric erzählte munter seinem Papa etwas. Was es war, konnte sie nicht verstehen. Im Gegensatz zu Andreas, der intensiv mit ihm im Dialog war. Zwischendurch erlaubte Cedric, dass sein Papa etwas Kaffee trank. Als dann Nonna mit seiner Flasche auftauchte, war auch Cedric der Meinung, Durst zu haben.

»Er macht seine Sache wirklich gut, Luise.« Anstelle zu antworten, nickte Luise. Sie zählte gerade Maschen. »Mist«, murmelte sie vor sich hin, »habe eine Masche verloren.« »Sollen Cedric und ich suchen helfen?«, meinte Andreas ernsthaft. Luise stutzte. Es dauerte etwas, bis sie merkte, von den Männern auf den Arm genommen worden zu sein. »Nein, ich denke, ich bin noch jung genug, um sie auch allein zu finden. Ist das Kaffee?« »Klar, doch da ich diesen gemacht habe, wirst du deine Masche darin auch nicht finden.«, kam es trocken zurück. »Sei froh, dass ich gehandicapt bin. Ansonsten müsste ich euch beide jetzt kitzeln.« »Oh, welch eine Drohung. Wir haben große Angst.« Zu Cedric gewandt meinte Andreas, dass sein Teddy ihn schon beschützen würde. Dann fiel dem Papa etwas ein. Er sollte eventuell den Kinderstuhl aufstellen. Bisher standen zwei Stühle in den Ecken. Der Schreiner, welcher das Gitter an der Treppe gefertigt hatte, hatte zwei Stühle in seinem Geschäft, die Andreas gefielen. Das Paar passte zu ihren eigenen Stühlen. Ihre Features waren gesicherte, variable Sitzflächen, die der Größe des Kindes angepasst werden konnten. Mal sehen, wie Cedric sich darin beim Dinner fühlen würde. »Hm. Kaffee«, riss ihn Carsten aus den Gedanken. »Setzt dich zu uns. Pass aber auf, Mama hat eine Masche verloren.« »Soll ich suchen helfen?« »Was? Du nicht auch noch. Pass auf, sonst kitzele ich dich.« »Jetzt habe ich aber Angst«, entgegnete er ihr trocken. Nonna musste sich ein Lachanfall verkneifen. »Unsere jungen Männer sind ganz schön frech!« »Paul steht dem in nichts nach«, berichtete Luise aus Erfahrung. »Vielleicht liegt es in den Genen. Gabrielle schafft das auch und Babi hat mir auch schon so manche Anekdote von Karel erzählt.« »Dann ist es wohl amtlich: Männer haben es in den Genen«, schlussfolgerte Carsten. Dann setzte er sich zu Andreas und Cedric. »Abba, iih«, informierte Cedric seine Papas. »Andreas, gehst du mit ihm zur Toilette?« Andreas reagierte schnell. Die Hose war gerade unten, da tröpfelte es auch schon. Nach dem kleinen Intermezzo lobte ihn Andreas für die vorbildliche Warnung. Der kleine Mann freute sich über seinen Erfolg. Im Salon wurden beide schon erwartet. »Unser Enkel hat eine interessante Kommunikation zur Warnung.« »Dafür habe ich ihm auch schon einen dicken Kuss gegeben. Jetzt kenne ich auch seine Warnung.« »Durfte ich vor ein paar Tagen kennenlernen. Er mag es wohl nicht, in seine Hose zu machen. By the way: ›Ah‹ ist seine Warnung, wenn er groß muss.« Luise lauschte dem Dialog. Aus Erfahrung wollte sie die Menge wissen. »10 Milliliter, schätze ich. Da fällt mir ein, für seine Toilette in seinem Bad habe ich noch einen Aufsatz. So kann er auch allein seine Geschäfte machen.« »Fällt er seitlich nicht hinunter?«, fragte Carsten nach. »Nein, es ist ein ergonomischer Aufsatz mit seitlichen Lehnen. Wie ein kleiner Thron. Die Sitzfläche kann abgewischt werden, wenn doch mal etwas daneben geht.« »Jungs, das ist purer Luxus.« »Für seine Selbstständigkeit finden wir es notwendig«, war Andreas‘ schlichte Antwort. Nonna nickte lediglich. Sie selbst kannte noch die Plastiktöpfe. Andreas mochte diesen als Baby nicht wirklich. Obendrein musste er jedesmal gründlich gereinigt werden. Da ist so ein Aufsatz viel praktischer. »Habt ihr auch einen für hier unten?« »Nicht so einen komfortablen. Da muss jemand bei Cedric bleiben. Der Aufsatz steht im Schränkchen unter dem Waschbecken.« Carsten hatte sich zwischenzeitlich einen Kaffee eingegossen. Andreas setzte den kleinen Mann neben ihm ab. »Abba iih, hihi« »Muss er wieder?« »Nein, er fand die Aktion ganz lustig«, erklärte Carsten, der Cedric wohl verstanden hatte. »Dann erzähl mir doch mal von deinem Abenteuer«, forderte er seinen Sohn auf. Dieser nahm seinen Teddy und babbelte munter darauf los. Carsten lauschte ihm aufmerksam, wobei er sich eingestand, doch nicht alles zu verstehen. Mit der Zeit wurde jedoch Cedric immer leiser. Bald schon merkte Carsten, wie der kleine Mann sich an ihn lehnte und einschlief. Leise flüsterte er Andreas zu, etwas Platz zu machen. Daraufhin machte sich auch Carsten lang und legte den schlafenden Cedric auf seine Brust. Andreas deckte beide zu. Bald schon nickte auch Carsten ein. Andreas nahm in einem Sessel Platz.

»Wo sind eigentlich unsere Angetrauten?« »Ich weiß nicht, was Paul nach euren Übungen machen wollte. Nonno und Děda habe ich nach dem Frühstück auch nicht mehr gesehen.« »Wollten die beiden nicht ins Dorf?« »Vielleicht haben sie sich aufgemacht. Ist mir ganz recht. Babi ist in der Bibliothek.« »Gut. Könnt ihr euch Merlin etwas annehmen? Gwenda sagte, dass er Schwierigkeiten in der Sprache und Grammatik hat.« »Wir sind doch keine Lehrer!« »Luise, du bist Professorin. Ich denke, du kennt dich mit den Schwierigkeiten auf diesem Gebiet bei deinen Studenten aus. Nonna, du hast aber die englische Sprache intensiv gelernt. Ergo kennst du auch die Rechtschreibung. Laut Gwenda soll er auch mehr handschriftlich arbeiten.« Luise schien ihre Masche wiedergefunden zu haben. »Oh ja. Einige meiner Studenten reichten gute Studienarbeiten und Dissertationen ein. Doch habe ich diese ablehnen müssen, weil einfach der Ausdruck zum Weglaufen war. Ich habe mich dann mit einem Sprachwissenschaftler unterhalten. Wir waren der Ansicht, dass die Uni auch Kurse zum entsprechenden Thema anbot. Meine Studenten mussten mir den bestandenen Kurs nachweisen, bevor ich eine Studienarbeit oder Doktorarbeit vergab.« »Du bist aber hart.« »Keineswegs. Wissenschaftliche Arbeiten sind keine literarischen Werke. Doch sind Formgebung und Orthographie ein Spiegel des Verfassers.« »Dann ist es beschlossen, dass ihr Merlin helft?« »Machen wir. Versprochen.«

Ihre Aufmerksamkeit wurde auf den eintretenden Kater gelenkt. Charaid hatte sich den ganzen Tag rar gemacht. Jetzt schien er Gesellschaft zu suchen. Bei Andreas sprang er auf dessen Schoß und rollte sich ein. Ganz automatisch streichelte er den Stubentiger. Außer dem Geklapper von Stricknadeln war es angenehm ruhig im Salon. Da machte es auch nichts aus, dass Cedric manchmal etwas murmelte. Andreas blickte zu den leeren Kudden. Leonardo und Salvatore haben sich wohl eine ruhige Ecke im Haus gesucht. Edward war der nächste, der zu ihnen stieß. »Andreas, sieh einmal, wen ich draußen im Garten aufgegabelt habe.« Er ging einen schritt aus der Tür und zwei sehr relaxte Hunde betraten den Salon. »Ihr wart also draußen! Ich hoffe, ihr habt meinen Garten nicht in eine Kraterlandschaft verwandelt.« Edward lachte. »Nein. Ihre Schnauzen waren zwar voller Erde, doch das war es auch schon. Ich denke, sie haben irgendwelche Mauselöcher erkundet.« »Entspannt sehen sie ja aus. »Wie war dein Tag bei der Familie? Geht es ihnen gut?« »Die Weihnachtsvorbereitungen bestimmen den Tagesablauf. Papa hat einen Baum aufgestellt. Mama hat sicher eine halbe Stunde genörgelt, bis er nach ihrer Ansicht richtig stand.« Leises Gekicher kam von Luise, die es sich wohl lebhaft aus der Vergangenheit vorstellen konnte. »Unsere Küche ist Sperrzone. Dabei muss ich sagen, dass Mama sehr gerne backt. Ihre Kekse und Plätzchen schmecken einfach himmlisch. Papa hat einen Schnupfen. Ansonsten sind alle wohlauf. Papa, Sam und ich haben heute einen letzten Gang über unsere Felder und Weiden gemacht. Im Frühjahr stehen einige Reparaturen der Zäune an. Andreas, kann ich dann für einige Tage Urlaub nehmen?« »Selbstverständlich, doch du kannst auch Überstunden abbauen. Soweit ich weiß, hast du schon einige angesammelt. Über die Weihnachtstage hast du frei.« »Danke.« »Weißt du, ob Silvester hier Feuerwerk abgebrannt wird?« »Im Nachbardorf gibt es ein gemeinsames Feuerwerk der Gemeinden. Hier wird auf die Tiere Rücksicht genommen. Es gab vor Jahren mal ein Vorfall, wo ein Knaller eine Herde Cattles erschreckte. Der angerichtete Schaden war nicht ohne. Seitdem machen wir ein gemeinsames Feuerwerk.« Edward setzte sich zu der Gruppe und schenkte sich einen Tee ein. »Haben die Nachbarn keine Tiere?« »Weniger. Der Ort, wo das Event stattfindet, liegt abseits. Warum willst du das wissen?« »Salvatore ist bei Knallgeräuschen schreckhafter als Leonardo. Wir möchten die Hunde einfach nicht unnötig stressen.« Edward zog erstaunt seine Brauen hoch. Seine Arbeitgeber dachten auch an das Wohl der Tiere im Haushalt. Das Klingeln des Telefons unterbrach die augenblickliche Ruhe. Andreas nahm das Gespräch an.

»Edward, kannst du Nonno und Děda bei Patrick abholen? Sie haben ihren Nachmittag im Dorf dort beendet.« »Gerne. Mein Auto steht noch vor der Garage. Liegt sonst noch etwas an?« »Nicht, dass ich wüsste. Ich gehe mal nach Babi sehen.«

Andreas ging in ihre Bibliothek. Dort fand er seine Großmutter in einem hohen Sessel sitzen. Auf ihren Beinen lag ein offenes Buch. Sie selbst schien etwas zu schlafen. »Babi?« »Andreas? Ich bin wohl eingenickt. Wie spät haben wir es?« »Es ist gerade halb sechs durch. Wir haben noch Tee im Salon. Ist es dir hier nicht etwas zu kühl?« »Im Moment empfinde ich es als sehr angenehm. Ich habe mir auch eine Stola umgelegt.« »Was liest du?« »Miss Marple: The Body in the Library. Ich habe den Krimi sicher schon zwanzig Jahre nicht mehr gelesen. Die englische Originalfassung ist doch noch etwas anders als die tschechische Übersetzung.« »Du überrascht mich immer wieder. Carsten hat wirklich einen feinen Sinn für die Auswahl der leichten Literatur. Die Krimireihe von Lady Agathe Christie war ein Geschenk von ihm zur bestandenen Zwischenprüfung. Dabei hat er nicht nur auf die Qualität geachtet.« »Du liest Krimis?« »Warum nicht? Leichte Lektüre vor dem Schlafengehen ist wohltuend, wenn man sich schwer tut abzuschalten. Carsten hat die gleiche Krimireihe in Braille.« »Ihr habt auch sehr schöne alte Bücher. Shakespeare ist aber keine leichte Lektüre.« »Das sind unsere Auszeichnungen vom Internat. Deswegen haben wir diese Exemplare auch in der Vitrine ausgestellt. Alt sehen sie nur aus. Sie sind aber Nachdrucke und von einem Buchbinder entsprechend gebunden worden. Willst du länger bleiben? Dann stelle ich die Heizung höher.« »Darf ich das Buch mitnehmen, dann kann ich später im Bett lesen.« »Natürlich.« »Dann komme ich jetzt rüber. Die Heizung brauchst du nicht höherstellen. Ganz etwas anderes, habt ihr auch ein Priesterversteck?« »Ein was?« »Es gab Zeiten, wo katholische Priester verfolgt wurden. Manche Menschen haben in ihren Häusern dann kleine Räume gehabt, wo sie Priester verstecken konnten.« »So einen kleinen Raum haben wir bisher nicht finden können. Es gab auch keine Geheimgänge zu finden. Doch ausschließen möchte ich es nicht. Bei der Renovierung wurde zwar viel von der Einrichtung ersetzt, dennoch haben wir auch einiges erhalten können. Die Bibliothek zum Beispiel war so gut in Schuss, dass Arthur lediglich die Vertäflung und einige Regale hat instandsetzen lassen. Dieser Raum war sehr groß und fast schon eine Halle. Carsten fragte deswegen an, diesen Raum zweiteilen zu lassen. Der Schreiner hat dann ein Bücherregal als Raumteiler eingerichtet. Daher auch das schwenkbare Element. So gesehen ist der hintere Teil schon ein geheimer Raum. Dort sind auch unsere Schätze. Die CD-Sammlung von Carsten ist dort ebenfalls untergebracht.« »Ich habe sie gesehen. Wie viele CDs habt ihr denn?« »Mehr als tausend. Carsten hat historische Aufnahmen von verstorbenen Künstlern. Horowitz, Richter, Rachmaninov, Caruso, Pavarotti und so weiter.« »Hört ihr die denn auch?« »Klar. Ich habe Konzertaufnahmen von Tschaikowskis Klavierkonzert gehört. Bei Horowitz klingt es ganz anders als bei Richter. Caruso und Pavarotti interpretieren Arien vollkommen unterschiedlich. Carsten ist Musikhistoriker. Es ist wirklich spannend, wie sich die Musik in den letzten 100 Jahren entwickelte.« Andreas’ Augen leuchteten dabei. Babi war angenehm überrascht, wie ihr Enkel kulturell auf dem Laufenden blieb. Gemeinsam gingen sie in den Salon zurück. Cedric hatte ausgeschlafen und beschäftigte sich damit, auf Carsten herumzukrabbeln. Dieser hielt ihn fest, damit er nicht herunterfiel. Andreas lachte, als Cedric sich mit seinen Füßen bei Carsten am Kinn abstieß. Auch Carsten nahm es mit Humor. Vor allem Cedric giggelte über seinen Erfolg. »Darf ich dir unseren Sohn abnehmen? Du solltest dir auch ein neues Sweatshirt überziehen. Cedric hat seine Spuren drauf hinterlassen.« »Ein kleines Sabbermäulchen. Hier, er ist gerade sehr aktiv.« »Ich setze ihn auf den Boden. Da kann er sich austoben und die Welt erkunden.« »Wo ist Edward?« »Er holt Nonno und Děda bei Patrick ab. Sie haben ihren Nachmittag wohl dort beendet«, informierte Andreas. »Es tut den Männern gut, Jungs. Gabrielle mag es auch, sich intellektuell auszutauschen. Man mag es ihm nicht ansehen, doch er ist in drei Religionen sehr bewandert. Seine kleine Büchersammlung enthält die Tora, die Bibel, den Koran.« »Nonna, wozu braucht er dieses Wissen?« »Angefangen hat es, als wir noch eine kleine Pizzeria waren. Ein Gast bestellte sich eine Pizza mit dem Wunsch ohne Schweinefleisch. Nachdem der Gast gespeist hatte, unterhielten sie sich. Dabei erklärte ihm sein Gast, dass er als Muslim kein Schweinefleisch essen dürfe. Gabrielle fand das sehr interessant. Seitdem beschäftigt er sich damit. Respekt vor anderem Glauben ist ein guter Ratgeber.« »Ist mir im Ristorante nie aufgefallen.« »Gabrielle hat es nie an die große Glocke gehängt. Wozu auch? Wichtig ist doch, dass sich unsere Gäste bei ihm wohl fühlten.« »Ist mir recht. Vielleicht sollten wir uns auch damit beschäftigen?« »Wir haben schon diese Literatur. Sie steht im zweiten Teil der Bibliothek. Ich benötige das Wissen für meine Studenten. Historisch fließen viele Stile anderer Kulturen in die westliche Musik ein. Klezmer prägte die Musik genauso wie der MaqÄm heutzutage noch. Es ist sehr interessant und bei meinem Kollegen für experimentelle Musik gab es sehr schöne Ergebnisse.« Gespannt hörten alle zu. Lediglich Cedric suchte sich einen Platz aus, wo er mit seinem Teddybären einen Dialog führte. Dazu gesellten sich auch beide Hunde. Sie nahmen Cedric zwischen sich. »Carsten, musst du das als Dozent wissen? Ist doch ein sehr umfangreiches Gebiet«, fragte Babi. »Es ist schon ein spezielles Wissen. Herr Kramer brachte mir bei, für alles offen zu sein. Ich habe den Anspruch, an mir selbst alle historischen Aspekte zu berücksichtigen. Ich beschäftige mich gern mit dieser Thematik. Es hilft mir, die historische Entwicklung der Musik zu verstehen. Dadurch kann ich sie besser vermitteln. Meine Studenten sind aus allen Teilen der Welt, sind in verschiedenen Kulturen aufgewachsen. Haben sie dann nicht auch das Recht, all dies kennenzulernen?«, erläuterte er die Frage. »So habe ich das noch nicht gesehen. Ich vergesse oft, wie vielfältig Musik sein kann.« »Babi, wir sind alle in der Musik des Westens aufgewachsen. Glaubst du, ich hätte es vor meinem Studium gewusst? Es war während meines Studiums, als ich eine Aufnahme von Mr Lang Lang hörte. Er hat eine traditionelle chinesische Weise auf seinem Flügel interpretiert. Ich war davon fasziniert.« »Oh ja. Wenn mein Tiger sich für etwas begeistern kann, dann ist es für die Musik schlechthin. Ich finde es wunderbar.« Luise schmunzelte und sprach ihre Gedanken laut aus: »Da ist jemand immer noch schwer verliebt.« »Das wird auch immer so bleiben. Carsten, ich denke, du gehst noch vor dem Dinner mit den Hunden raus.« »Jawohl ,Chef«, scherzte er zurück. Wenig später hörte Andreas, wie Carsten ihre Hunde zur Gassirunde rief. Nonna und Babi nickten sich zu. Sie waren der Ansicht, sich langsam um das Dinner zu kümmern. »Darf ich euch helfen?«, bot Luise an. »Ich darf zwar nicht lange stehen, doch zum Gemüseputzen kann ich auch sitzen. Der Hocker ist ideal, um mein Bein dabei zu entlasten.« »Komm, erklären wir die Küche für die nächste Zeit zum Frauenrefugium.«

Paul und Andreas begannen schon mal, im Dining Room den Tisch einzudecken. »Keine Angst, dass Cedric Unfug anstellt?« »Wenn schon. Er darf ruhig den Salon erkunden. Ich denke, die Welt aus seinen Augen ist noch ein großes Abenteuer. Passieren kann ihm nichts. Vielleicht erzählt er seinem Teddy, was er so sieht. Ist es nicht auch eine gute Erfahrung, allein etwas zu erleben?« »Du vertraust deinem Sohn. Du lernst schnell.« »Ich habe viele Jahre Erfahrung mit Carsten sammeln können. Vertrauen zu haben ist ein guter Ratgeber«, antwortete Andreas aus seinem Leben mit Carsten. »Habt ihr Fisch vorrätig?« »Nein, warum?« »Dann brauchen wir das Fischbesteck nicht. Unsere Damen machen ein kleines Geheimnis aus dem Menü.« »Nonna und Babi kochen gerne Hausmannskost. Nur eben mal tschechisch oder italienisch. Hin und wieder experimentieren sie auch und ich gestehe, die Resultate sind ein Gaumenschmaus.« »Weißwein oder Rotwein?« »Weil wir nicht wissen, was es geben wird, würde ich eine Cuvée vorschlagen. Wir haben eine exzellente aus Italien. Geh doch mal in unseren Weinkeller. Der Wein befindet sich links im zweiten Regal. Ich sehe mal, was Cedric so macht.«

Im Weinkeller staunte Paul nicht schlecht. Seine Söhne hatten einige Kostbarkeiten aus aller Welt eingelagert. Seine Neugier war geweckt und so stöberte er durch die Regale: Rotwein, Weißwein, Cuvée, Rosé. Weiter hinten war ein Regal mit weiteren Flaschen. Er nahm eine heraus. 25 Jahre Single Malt. Daneben lag eine Flasche mit dem Etikett eines 50 Jahre alten Whisky. Ganz weit davon standen weitere Kisten. Paul nahm eine Flasche Wein daraus. Er stutzte bei der Lektüre des Etikettes. Ein italienischer Rotwein aus Andreas‘ Geburtsjahr. Vorsichtig legte er die Flasche zurück. Dann besann er sich seiner Aufgabe. Aus dem Regal nahm er zwei schlanke Flaschen. Ein Blick bestätigte ihm, dass er den richtigen Wein hatte.

»Hast du unseren Vorrat begutachtet?«, schmunzelte Andreas Paul an. »Ihr habt eine sehr vielfältige Auswahl. Ich habe noch nie einen Single Malt probiert, der 50 Jahre alt ist.« »Das hast du schon. Diesen bieten wir immer unseren Gästen an. In unserer Bar steht immer eine Flasche davon. Im Übrigen hat Carsten diesen entdeckt. Diesen Luxus leisten wir uns, nachdem wir in London schlechte Erfahrung mit einem Massenprodukt gemacht haben.« »Aber auch euer Weinvorrat ist nicht ohne«, meinte Paul. »Die meisten Weine sind Geschenke. Eine Kiste habe ich zu meinem 18. Geburtstag bekommen. Es ist ein Wein aus meinem Geburtsjahr. Mama hat ihn eingelagert und er wird mit jedem Jahr besser. Diesen trinken wir auch nur zu meinem Geburtstag.« »Was, wenn die letzte Flasche geleert ist?« »Papa, so ein Wein will genossen werden. Was nutzt mir ein Wein, der nicht getrunken wird? Im vergangenen Jahr waren wir bei dieser Kelterei. Es gibt keinen Wein mehr aus diesem Jahrgang. Aber wir haben einen guten Jahrgang entdeckt. Aus dem Languedoc-Roussillon erhalten wir jedes Jahr eine Kiste mit erlesenen Weinen. Wir selbst kaufen dort auch einen speziellen Landwein. Wir haben auch einige Flaschen verschiedener Jahrgänge Champagner. Weißwein beziehen wir aus den Weinbaugebieten Baden, Rhein-Hessen und von der Mosel. Meine Großeltern besorgen uns italienische Weine. Zio Jihan versorgt uns mit Weinen aus dem arabischen Raum rund ums Mittelmeer. Carsten und ich unterstützen dafür einige seiner Projekte. Noch immer gibt Carsten ein Konzert in der Scala, um Spenden zu sammeln. Das letzte war für eine Klinik in Gaza-Stadt. Jihan hat dafür notwendige Medikamente erworben. Weil ich in dem Jahr einige gute Projekte hatte, legte ich noch für medizinisches Material drauf.« »Ihr seid aber wirklich engagiert in dieser Hinsicht.« »Uns geht es gut. Wir sind gesund. Das gilt aber eben nicht für alle. Gerade Kinder und Jugendliche in Krisengebiete haben kaum Chancen auf eine medizinische Grundversorgung. Das ist es uns allemal wert, etwas zu tun.« »Apropos Kinder. Was ist mit Cedric?« »Der kleine Mann unterhält seinen Teddy. Dabei ist er rund um den Tisch gekrabbelt und hat seinem Begleiter alles erklärt. Er ist noch relativ munter.« »Carsten ist noch unterwegs?« »Ich denke, er macht eine große Runde. Dann sollten die Hunde auch später mit dem Garten zufrieden sein.«

Leonardo und Salvatore waren dabei, sich zu jagen. Nach dem ersten Lösen gab Carsten ihnen ihr Spielseil. Es war relativ früh für ihre Runde. Daher wählte Carsten die längere Strecke. Am Spielplatz traf die Gruppe auf Ben und Wolf. »Machst du deinen Pub heute später auf?« »Nein, Gwenda vertritt mich. Es ist zeitig und wenig Kundschaft. Ich glaube, Wolf hat irgendetwas Falsches gefressen. Er hat Durchfall.« »Wenn es nicht besser wird, solltest du zum Tierarzt. Du kannst auch meinen Vater fragen.« »Kennt er sich denn damit aus?« »Ben, mein Vater ist Veterinärmediziner mit Leib und Seele.« »Darf ich dich begleiten? Ich mache mir schon Sorgen.« »Komm mit. Wir sind eh auf dem Rückweg. Leonardo! Salvatore! Nach Hause.« Als ob die Hunde wussten, was Sache ist, wendeten sie sofort. Sie blieben bei Wolf. Im Porch rief Carsten schon nach seinem Vater.

»Papa, kommst mal bitte. Wolf hat Durchfall.« Paul zögerte nicht lange. Ben ließ Wolf auf den Tisch in der Duschecke springen. Paul untersuchte den Hund und stellte Ben einige Fragen. »Nein, gefressen hat er nur heute Morgen. Seine Abendration bekommt er später.« Mit seinem Stethoskop hörte er den geduldigen Hund ab. Dann maß er die Temperatur. »Kamillenextrakt …«, murmelte er vor sich hin. »Ben, es ist nichts Ernstes. Populär ausgedrückt hat er eine Magenverstimmung. Ich gebe dir ein Vitaminpräparat mit. Mische das unter sein Futter. Anstelle von normalem Wasser gib ihm lauwarmen Kamillentee. Wie alt ist er?« »Acht.« »Gut. Morgen früh ebenfalls noch eine Vitamingabe und Kamillentee. Dein Hund braucht heute viel Ruhe. Carsten, hast du noch von der Bach-Blüten-Lösung?« »Ich hole sie dir.« »Der Kamillentee wirkt krampflösend. Wird mit dem Urin wieder ausgeschieden. Die Bach-Blüten-Lösung ist ein natürliches Beruhigungsmittel. Damit sollte Wolf zur Ruhe kommen. Träufle es in seinen Tee. Normales Fressen. Morgen sollte es ihm dann besser gehen. Er wird von sich aus viel trinken.« »Danke. Was bin ich dir schuldig?« »Nichts. Es geht um das Wohl von deinem Hund. Wenn ich dir einen Rat geben darf, achte immer darauf, was Wolf während eure Gassirunden macht. Interessiert er sich für Kot, spricht das für einen Vitamin-B-Mangel. Gräser, Kräuter et cetera sind ein Zeichen für Verdauungsprobleme.« »Ich bereite ihm immer frisches Futter zu.« »Das ist gut. Wechsle die Zutaten. Fleisch, Fisch, Getreideflocken und einmal im Monat frischen Pansen. Wann hatte er seine letzte Wurmkur?« »Im Frühjahr.« »Ich würde dennoch dazu raten, ihm erneut eine Wurmkur zu geben. Es deutet nichts auf Parasiten hin, gänzlich ausschließen möchte ich es jedoch nicht. Es braucht zur genaueren Untersuchung ein Kotprobe.« »Ich werde Dr. Miller um eine entsprechende Untersuchung bitten. Mal sehen, ob seine Haufen morgen schon geeignet sind, eine Probe zu nehmen. Komm, Wolf. Mal sehen, ob du Kamillentee von Gwenda magst.« »Wir bringen dich noch zur Tür. Leonardo, Salvatore, kommt ihr?« Carsten begleite den Besuch zum Hausportal. Dort bedankte sich jeder auf seine Weise für die unkomplizierte Hilfe.

Noch bevor Carsten die Tür wieder schließen konnte, liefen die Hunde hinaus. Carsten hörte, wie sich die Hunde bei seinen Großvätern Streicheleinheiten abholten. »Da seid ihr ja wieder. Hattet ihr einen interessanten Nachmittag verbringen dürfen?« »Ja. Tut uns leid, dass Edward uns abholen musste.« »Nonno, es ist schon ein ganzes Stück Weg vom Dorf hierher. Ihr seid beide keine Kängurus. Die hätten es nämlich in gut 10 Minuten geschafft. Mit den Hunden benötige ich schon eine knappe halbe Stunde. Also, ich würde sagen, ihr macht euch frisch. Unsere Hausdamen servieren sicher bald das Dinner.« »Karel, der Junge ist ganz schön frech«, meinte Nonno scherzhaft. »Uns mit Kängurus zu vergleichen. Tz.« »Gabrielle, ich finde es schmeichelhaft. Antonia hätte uns sicher mit Schildkröten verglichen. Langsam, alt und ein dicker Panzer«, kam es trocken zurück. Selbst Edward lachte daraufhin laut los. Die Hunde waren die letzten, die wieder ins Haus kamen. Carsten schloss grinsend die Tür.

Das Dinner wurde gesellig. Cedric bekam einen Karotten-Birnen-Brei. Babi hatte diese als ein Smiley gestaltet. Andreas hatte etwas Mühe, weil der kleine Mann nicht wollte, dass er das kleine Kunstwerk kaputt machte. Letztendlich war er dennoch froh, seinen Hunger gestillt zu haben. Als Dessert präsentierte ihm Nonna einen warmen Vanillepudding. Das Dinner selbst war einfache Hausmannskost mit typischen Gerichten aus Tschechien und Italien. Für die Großen gab es eine kleine Portion Eis. Beendet wurde das Mahl mit einem typischen Espresso. Paul kam dann doch noch einmal auf Wolf zu sprechen. »Wie ist das eigentlich, wird in dem Pub viel geraucht?« Andreas sah Carsten an. Darauf hatten sie bei ihren Besuchen nicht geachtet. »Nein. Die Farmer rauchen zwar, doch bei ihnen Zuhause haben meist die Frauen die Hosen an. Es ist zur Sitte geworden, zum Rauchen raus zu gehen. Gwenda hat sich da ganz klar positioniert. Ben würde seinen Hund auch dem Passivrauchen nicht aussetzen«, wusste Merlin als Einheimischer zu berichten. Paul zog innerlich den Hut vor so viel Respekt den Tieren gegenüber.

Nachdem beide Papas ihren Sohn ins Reich der Träume begleitet hatten, gingen sie in ihren Wellnessbereich. Die Sauna tat beiden gut und sie entspannten sich. Selbst eine kleine Massage gönnten sie sich gegenseitig. In einer relaxenden Pause kam Merlin hinzu. »Darf ich ebenfalls die Sauna nutzen? Dr. Miller und ich waren heute den ganzen Tag draußen bei den Farmern.« »Klar, wärm dich ruhig auf. Warum wart ihr bei den Farmern?« »Das meiste Vieh wird jetzt in Ställen untergebracht. Da ist es am einfachsten, die Routineuntersuchungen zu machen. Die Jährlinge der Lämmer bekamen zudem ihre Kennzeichnungen.« Carsten kannte die Prozedur von seinem Vater. »Harte Arbeit. Dann entspanne dich. Wir wollten gerade auch zum zweiten Gang wieder hinein.«

Merlin wurde sich bewusst, wie kalt der Nachmittag für ihn gewesen war. Wie schon beim ersten Mal, setzte er sich auf die untere Bank. »Bei den Moors wurde es noch einmal lustig. Sam hat für die Herde einen jungen Maremmano-Abruzzese zur Ausbildung. Obwohl er noch ein Welpe ist, hat er die Größe eines einjährigen Lammes. Sam hat ihn während der Untersuchung von der Herde trennen wollen. Liam dachte gar nicht daran, seine Herde zu verlassen. Auch die Schafe waren sehr unkooperativ ohne ihn.« Carsten konnte es sich lebhaft vorstellen. »Was habt ihr gemacht?« »Dr. Peters erklärte Sam, dass er den Hund ruhig dabei lassen sollte. Immerhin ist es ja seine Aufgabe, die Herde zu beschützen. Daneben muss er lernen, Mensch zu akzeptieren.« »Stimmt. Diese Rasse bleibt bei der Herde und soll sie beschützen. Die Moors akzeptiert er noch als Rudelführer. Das gilt aber nicht für Dr. Peters. Wenn der Hund nun selbst erlebt, dass der Tierarzt seiner Herde nichts Böses will, kann er auch auf einer Weide Untersuchungen machen«, dachte Carsten laut nach. »Stimmt. Auf dem Rückweg erwähnte der Doktor ähnliches.« Andreas lauschte dem Dialog, dann fiel ihm der Kater ein. »Wie geht es eigentlich Charaid? In den letzten Tagen macht er sich rar.« Merlin druckste etwas herum, bevor er die Frage beantwortete: »Er kommt seit einigen Tagen erst spät von seinen Spaziergängen zurück. Dann rollt er sich auf meinem Bett ein und morgens ist er wieder verschwunden. Seine Rationen frisst er.« Carsten hörte eine gewisse Traurigkeit in der Stimme. Die Natur nimmt keine Rücksicht auf menschliche Gefühle. »Merlin, liebst du den Kater?« »Oh ja. Er hat so einige Eigenheiten, die ich vermisse. Manchmal klopft sein Schwanz auf der Bettdecke und macht mich innerlich verrückt. Doch wenn es fehlt, bin ich auch nicht zufrieden … Carsten, was ist, wenn er uns verlässt?« »Merlin, dann wäre es eben so. Jedoch ist er eine Hauskatze. Er braucht neben seinem Freigang auch sein Heim. Er geht seinen eigenen Weg. Vielleicht ist auch eine Katze im Spiel. Ich bin stolz auf dich, weil Du ihm einen wunderschönen Start und eine zweite Chance gegeben hast. Jetzt heißt es, los zu lassen. Es ist nicht einfach. Doch verhindern kannst du es nicht, wenn du ihn nicht verlieren willst.« »Aber es tut weh.« Andreas stand auf und setzte sich neben den Jugendlichen. Vorsichtig legte er seinen Arm um seine Schulter. »Es tut immer weh, weil wir lieben. Du hast es jedoch in der Hand, etwas Positives daraus zu machen. Du sagtest einmal, dass er oft rausgeht und du glücklich bist, wenn er sich dabei wohlfühlt. Ist das nicht ein wunderbares Gefühl?« »Ja, das ist es. Danke, Andreas.« Andreas lächelte ihm einfach nur zu. Dann besann er sich seines Liebhabers und wechselte wieder die Bank. »Ehrlich, Merlin, ich denke, er hat sich verliebt. Er hat dir bestimmt längere Zeit keine Maus mehr ans Bett gebracht?« »Nein, jetzt wo du es sagst.« »Ich denke, er bringt seine Beute zu seiner Herzdame. Möglich, dass du bald vielfacher Opa wirst«, meinte Carsten mit einem Augenzwinkern. Merlin sah ihn erschrocken an, bis der Penny fiel. »Sei es drum, Platz haben wir ja genug. Sagt einmal, wo wir bei dem Thema sind: Habt ihr eigentlich keine Angst, wenn Cedric sich langsam eigenständig macht?« »Klar, die Zeit wird für uns sicher nicht einfach. Wir begleiten unseren Sohn in sein eigenes Leben. Wenn er uns dann immer wieder besuchen kommt und das gerne macht, würde ich sagen, dass wir unser Ziel erreicht haben. Dann bereiten wir uns darauf vor, Großväter sein zu dürfen.« Merlin grinste. Er konnte sich Carsten und Andreas noch nicht in dieser Rolle vorstellen. »Andreas, mir wird es nun zu warm. Ich gehe noch ein wenig in den Pool.« Damit verließ Carsten die Kabine. Der Pool tat ihm gut und er konnte es nicht lassen, noch etwas zu schwimmen. Andreas und Merlin folgten etwas später. »Möchtest du noch einen Gang? Wenn nicht, schalte ich die Sauna wieder ab.« »Nein. Jetzt ist mir wieder richtig warm.« »Musst du morgen wieder los?« »Nein, Sabine sagte, es ist Tradition, dass die Praxis jetzt zwei Wochen zu ist. Lediglich wechseln sich die Tierärzte der Region im Notdienst ab. Warum?« »Morgen machen wir uns auf, einen Weihnachtsbaum zu finden. Dazu möchte ich dich einladen. Es tut gut, gemeinsam als Familie das Fest zu organisieren. Bei Carsten ist es wohl immer so gewesen, dass die Männer sich um den Baum kümmern und die Ladies diesen dann schmücken.« »Carsten kann doch nicht sehen, wie der Baum aussieht!« »Das muss er auch nicht. Er hat andere Kriterien, auf die wir Sehenden nicht kommen würden. Bei unserem ersten Baumkauf hat er in einer Gärtnerei den Verkäufer alt aussehen lassen. Dieser Weihnachtsbaum steht jetzt bei Luise und Paul im Garten. Was soll ich dir sagen, er hat sich prächtig entwickelt.« »Okay. Ich bin einmal gespannt. Ich wünsche euch eine gute Nacht.« Damit verließ er den Wellness-Bereich. Andreas sprang ebenfalls noch in den Pool. Mitten im Wasser stellte er sich Carsten im Weg. Angenehm überrascht ließ sich Carsten nicht lumpen und flirtete mit seinem Schatz.

Spät gingen sie noch einmal nach Cedric sehen. Der kleine Mann schlief friedlich mit seinem Teddy im Arm. Carsten tastete nach seiner Bettdecke. Wie so oft, hatte sich sein Sohn freigestrampelt. Sachte deckte er ihn wieder zu. Behutsam beugte er sich hinunter und gab ihm seinen Gute-Nacht-Kuss. Leise verließen sie wieder das Kinderzimmer.

Chapter 16

Leonardo war derjenige, welcher am folgenden Morgen die beiden zeitig aus dem Bett holte. Salvatore chillte derweil bei Cedric. Im Gegensatz zu seinen Vätern war er schon recht munter. Salvatore sah, wie der kleine Mann sein Bett auf allen Vieren erkundete. An einem Ende fand er seinen Schnuller. Interessiert sah er sich diesen Gegenstand an. Sein Gesicht leuchtete über eine Erkenntnis auf und - schwupp - war der Sauger in seinem Mund. Der Hund sah zur Tür, die sich langsam öffnete. Leonardo schob seinen Kopf hinein. Salvatore stand auf und streckte sich. Es war Zeit für den Garten. Die Tür öffnete sich ganz. Andreas ließ den Hund an sich vorbei hinausgehen. »Salvatore, du kannst in den Garten. Carsten ist unten. Danke, dass du auf Cedric aufgepasst hast.« Der Hund verstand nur Bahnhof. Doch die Stimme klang freundlich.

Andreas nahm seinen Sohn auf den Arm. Ein Guten-Morgen-Kuss brachte dann den kleinen Mann auf Touren. »Du bist ja schon richtig munter. Lust auf ein angenehmes Bad?« Cedric murmelte etwas, welches Andreas als seine Zustimmung interpretierte. Natürlich durfte die Ente nicht fehlen. Cedric planschte fröhlich im Wasser damit herum, während sich Andreas bemühte, seinen Sohn zu baden. Mit einem frischen Outfit betraten sie die Küche. »Abba!«, freute sich der Junge, als er Carsten erblickte. »Guten Morgen, Cedric.« Dann bekam er auch von Carsten seinen Guten-Morgen-Kuss. Anschließend folgte ein Wortschwall, den seine Papas nicht wirklich verstanden. »Dann hast du also gut geschlafen und etwas Schönes gerne geträumt.« Cedric verstand es sicher nicht. Dennoch war die warme Stimme seines Paps genug Anlass, sich wohl zu fühlen. »Ich denke, ich mache mal sein Frühstück. Ein Haferbrei sollte genau das Richtige für den Start in den Tag sein. Die Hunde sind im Garten?« »Ja, ich habe die Tür vom Porch offen gelassen. Die Rationen für die Tiere stehen bereits auf der Anrichte. Möchtest du Kaffee oder Tee?« »Kaffee bitte. Haben wir noch Schafmilch?« »Links im Kühlschrank. Wir sollten die aber auf unsere Einkaufsliste setzten. Es ist der letzte halbe Liter.« »Das erledigen wir, wenn wir unterwegs sind. Brauchen wir sonst noch etwas? Zum Beispiel zur Dekoration?« »Luise hat sich unser Weihnachtssammelsurium angesehen. Bisher hat sie sich dazu noch nicht geäußert. Jedoch möchten unsere Großeltern und Mrs Sanches unsere Küche in Beschlag nehmen, Weihnachtsbäckerei.« »Wenn sie möchten. Wir sind bestimmt lange unterwegs. Zum Baum. Ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Wir sollten einen mit Ballen nehmen. Der wird kleiner ausfallen müssen. Ich möchte diesen dann im Gelände der Hunde anpflanzen. Ein kleiner Tannenhain würde sich da gut machen. Es bietet sich auch für Vögel an, dort zu nisten.« »Eine glänzende Idee. Wir können ja jedes Jahr einen Weihnachtsbaum dort anpflanzen.« »Cedric wird wohl später einmal einen Tannenwald erben.« Das Lachen konnte man schon im Treppenhaus hören. Merlin wunderte sich etwas über den Heiterkeitsausbruch. In der Küche lachten nicht nur Carsten und Andreas. Selbst Cedric ließ sich anstecken und giggelte mit seinen Papas. »Guten Morgen. Was ist so lustig?«, begrüßte er die kleine Familie. Sein erster Gang ging zu dem Jungen und er knuddelte ihn etwas am Bauch. Diese Aktion mochte Cedric und giggelte noch etwas intensiver. »Guten Morgen, Merlin. Wir machen uns Gedanken zu Cedrics Erbe. Er wird wohl mal einen ganzen Wald erhalten.« »Wieso? Hier ist doch kein Wald.« »Noch nicht. Andreas hat vorgeschlagen, aus unseren Weihnachtsbäumen einen Hain zu bilden. Also Bäume mit Ballen und später dann einpflanzen.« »Die Idee hat etwas. Das finde ich sogar ökologisch sinnvoll. Dann nehme ich an, wir sehen uns nach einem Ballenbaum um?« »Genau. Der wird etwas kleiner ausfallen, dafür haben wir aber auch ein Leben lang etwas davon.« Merlin war von der Philosophie angetan. »Warum pflanzt ihr nicht diesen Baum vor dem Portal? Dann habt ihr einen dekorativen Blickfang vor dem Eingang.« Andreas zog bewundernd seine Brauen hoch. »Du bist echt kreativ. Lass uns mal über deinen Vorschlag nachdenken.« »Merlin, heute Nachmittag sind Andreas und ich im Studio. Hättest du Zeit, bei Cedric zu bleiben?« »Gwenda hat mir zur Aufgabe gemacht, mehr Grammatik zu lernen. Sie meinte, meine Aussprache sei grottenschlecht.« »Dann solltest du dich mit meinen Großeltern unterhalten. Sie korrigieren dich schon, wenn sie etwas nicht verstehen.« »Aber es ist nicht ihre Muttersprache!« »Deswegen haben sie es lernen müssen. Allein für die korrekte Aussprache des ›th‹ haben sie intensives Sprachtraining gemacht. Immer, wenn sie uns in London besucht haben, mischten sie sich unter das Volk. Es hat sich gelohnt.« »Sprachen muss man anwenden. Unser Gehirn ist auf ständiges Training ausgelegt. Das Zusammenspiel der Sinne bilden mit der Zeit feste Zusammenhänge. Die Erfahrung solltest du schon gemacht haben. Handgriffe werden quasi automatisiert. Ich überlege beim Klavierspiel , wie meine Tastatur aufgebaut ist. Das geht wie von allein, jeder Ton sitzt«, ergänzte Carsten die Ausführungen von Andreas. »Wenn dem so ist. Cedric wird mir sicher auch dabei helfen. Habt ihr schon Kaffee?« »Läuft gerade durch, ich habe schon Charaids Ration fertig.« »Der kleine Kater liegt noch auf meinem Bett und schlummert. Wenn ich es nicht besser wüsste, scheint sich das Wetter zu ändern. Er bleibt länger im Haus, wenn sich ein Tief ankündigt. Anders herum macht er sich rar, wenn es besser wird«, wusste er zu berichten. »Das ist nicht ungewöhnlich. Tiere haben für solche Veränderungen einen siebten Sinn.« Da sprach der Sohn eines Tierarztes. »Hast du schon etwas von unseren Gästen bemerkt?« »Nein, wir sind auch noch zeitig. Wir können ihnen ja ein Brunch vorbereiten. Oder wollt ihr das mit dem Baum schnell erledigen?« »Quatsch. So etwas geht nicht zwischen Tür und Angel. Zumindest nicht bei der Art von Baum, den wir suchen.« »Wie ist denn eure Aufgabenverteilung? Andreas ist der Fachmann für Pflanzen, du hast ja bestimmte Kriterien. Was ist mit Paul und mir?« »Papa hat langjährige Erfahrung. Ihm macht kein Verkäufer ein X für ein U vor. Du sammelst Erfahrung. Cedric wird es sicher auch als ein Abenteuer empfinden. Obendrein macht es einfach Spaß. Nach dem Kauf begießen wir den Baum bei einer heißen Schokolade, was zur Tradition wurde zu unserem ersten Weihnachtsfest.« Carsten stellte die Thermoskanne mit dem Kaffee auf den Tisch. »Tiger, ich hole mal die Hunde rein. Weiß Gott, was die solange draußen machen.« »Leonardo lässt sich manchmal Zeit beim Lösen. Erst etwas pieseln und einen Baum markieren. Etwas später macht er seine Haufen. Ich denke, Salvatore hat ein ähnliches Ritual entwickelt. Danach ist Spielen angesagt. Sie sollen sich ruhig schon etwas austoben.« »Dennoch sollten sie langsam mal wieder ins Haus.« Andreas ging zum Porch und rief ihre Namen. Er sah, was Sache war: Beide Hunde waren patschnass. »Den Teich könnt ihr wohl morgens nicht auslassen?« Eine wirkliche Antwort erwartete er nicht von den beiden Grinsebacken. Dann nahm er ein Handtuch und begann, Salvatore trocken zu rubbeln. Anschließend nahm er ein weiteres Tuch und die Prozedur wiederholte sich bei Leonardo. »Waren sie wieder im Wasser?«, schlussfolgerte Carsten. »Es liegt ihnen in den Genen. Da kommen Opa Arco, Tante Max und Vater Leon durch.« »Wie Golden Retriever sehen die beiden aber nicht aus.« »Labradore sind auch Retriever. Ich bin jedenfalls froh, dass sie nicht wasserscheu sind. Das erleichtert das Duschen.« »Nehmt ihr irgendwelches Hundeshampoo?« »Ein unparfümiertes. Das auch nur, wenn sehr viel klebriger Schlamm in ihrem Fell ist. Normal reichen lauwarmes Wasser und eine weiche Bürste. Sie genießen solche Massagen. In die Praxis meines Vaters kamen immer wieder auch Hunde, deren Fell einfach durch die Chemie ruiniert war. Sie kratzten sich ständig.« »Das kenne ich auch. Dr. Miller droht dem Besitzer, falls dieser nicht damit aufhört, ihn in ein Jauchefass zu setzten. Dann könne er am eigenen Leib erfahren, was er oder sie dem Hund antun.« »Rabiate Methoden«, meinte Andreas schlicht. »Wann wollten denn eure Geschwister kommen?« »Andrea und Stefano heute Mittag und Ercan erst gegen Abend. Wir bringen sie in den beiden freien Zimmern auf der ersten Galerie unter. Mrs Sanches hat sie vorbereitet und Edward hat dort Gästebetten aufgestellt.« Merlin schlürfte von seinem Kaffee. Edward betrat die Küche als nächster. »Guten Morgen. Merlin, Charaid ist gerade raus in den Garten.« »Guten Morgen. Danke. Ich denke, er streift durch sein Revier, um nach dem Rechten zu sehen.« »Habt ihr schon Tee?« »Morgen. Setzt dich zu uns«, bot Carsten an. »Eure Gäste schlafen noch?«, fragte er nach. »Ja. Sie brauchen morgens etwas länger, um auf Touren zu kommen. Sie sind keine jungen Hüpfer mehr.« »Luise hat sich gestern eure Dekoration angesehen. Sie ist der Ansicht, dass der Baum etwas mehr Verspieltes benötigt. Wenn für mich nichts ansteht, würde ich dann ihre Sachen besorgen.« »Raus kommt sie zurzeit nicht wirklich. Gibt es in Glasgow oder Inverness noch einen Weihnachtsmarkt?«, fragte Carsten nach. »In beiden Städten. Ich persönlich finde den in Glasgow etwas schöner. Warum?« »Würde es dir etwas ausmachen, mit unseren Ladies einen Ausflug dorthin zu machen? Sie sollen ruhig auch mehr von Schottland sehen.« Edward brauchte nicht lange zu überlegen. »Nein. Ich wäre ja sowieso unterwegs. Es ist sicher besser, wenn sie selbst die Dekoration aussuchen. Mein Geschmack in solchen Dingen lässt manchmal zu wünschen übrig«, grinste er verlegen. »Guten Morgen«, begrüßte Mrs Sanches die Runde. Dabei stellte sie einen größeren Korb ab. »Guten Morgen, Mrs Sanches. Wieso sind Sie heute da? Möchten Sie heute noch reine machen?« »Nein. Ihr Haus ist sauber. Ich bin privat hier. Ihre Eltern und ich wollten ihre Küche zum Backen und Kochen nutzen.« »Ach, stimmt. Heute ist ja Backtag.« Mrs Sanches guckte verlegen. »Nicht nur heute. Wir haben ausgemacht, dass wir insgesamt drei Vormittage Rezepte austauschen. Sie haben doch nichts dagegen?« »Absolut nicht. Es gibt sicher auch einiges für das Fest vorzubereiten. Die Küche ist ja groß genug.« »Mein Göttergatte ist heute etwas gestresst. Er setzte mich quasi vor die Tür, damit er sich um unseren Baum kümmern kann.« »Nicht schön.« »Ach, das Theater macht er jedes Jahr. Seit zwanzig Jahren meint er, mit den Vorbereitungen früher anfangen zu wollen. Aber er wird immer erst kurz vor dem Fest aktiv. Und er gibt sich sehr viel Mühe, mir besondere Tage zu bereiten. Selbst um das Festessen kümmert er sich. Ich kann dann meine Beine hochlegen und werde wirklich von ihm verwöhnt.« Dabei bediente sie sich beim Tee. »Haben Sie heute Nachmittag schon etwas vor?«, fragte Edward, einer Idee folgend. »Mein Mann und ich fahren nach Glasgow zum Weihnachtsmarkt. Warum?« »Haben sie etwas dagegen, mit mir und unseren Gästen dort hinzufahren? Sie sollen mehr von Schottland kennenlernen.« Sowohl Andreas als auch Carsten waren von dem Vorschlag angetan. »Das ist ja eine gute Idee. Mein Mann kennt sich gut in der Region aus. Er wird begeistert sein, Wissen teilen zu dürfen. Wenn wir mit zwei Autos fahren, können auch alle mit.« »Einverstanden«, bestätigte Carsten »Machen wir es so. Zeigen sie unseren Eltern die Schönheit dieses Fleckchen unseres Planeten.« Mrs Sanches bewunderte die jungen Männer. »Dafür, dass Sie keine Einheimischen sind, haben Sie die schottische Mentalität und Philosophie für Sich entdeckt.« »Ein sehr schönes Kompliment, Mrs Sanches.«

Cedric sah sich in seinem Autositz interessiert um. Dieses Auto war ganz anders als was er bisher kennenlernen durfte. Es war so groß, dass sogar beide Hunde hinter ihm viel Platz hatten. Neben ihm saßen Merlin und sein Abba, sein Opa vorn neben seinem Baba. Dabei spielte er mit Carstens Finger. »Fahren wir zur Gärtnerei Hill?« »Nein, Carsten. Mr Hill Junior verkauft nur geschlagene Bäume. Er hat mir eine Adresse genannt. Dort fahren jetzt hin.« Die Fahrt dauerte nicht sehr lange. Die Baumschule konnte mit einem großen Sortiment aufwarten. Wie Andreas erfuhr, hatte sich die Baumschule auf diverse Nadelbäume spezialisiert. Die gab es dann auch in verschiedenen Größen. Carsten trug Cedric und ließ sich von Leonardo führen. Salvatore lief gesittet neben Andreas. »Mr Zahradník! Endlich lernen wir uns persönlich kennen«, wurde die Gruppe vom Besitzer begrüßt. »Haben wir denn schon zusammengearbeitet?«, fragte er nach. »Nicht direkt. Ich habe einige Ihrer Projekte mit meinen Pflanzen beliefert. Für Nadelbäume gibt es nicht so viele Baumschulen. Selbst auf dem Kontinent ist meine Adresse bekannt. M. Mathieu hatte für seinen Park in Villeneuve-sur-Yonne ein Duzend verschiedene Fichtenarten bestellt. Dabei fiel Ihr Name.« »Dann wissen Sie ja auch, worauf ich Wert lege. Warum wir hier sind: Wir suchen einen Weihnachtsbaum ca. zwei Meter mit Ballen.« »Möchten Sie diesen später aussetzten? Dann habe ich schöne Exemplare von Nordmanntannen. Darf ich sie Ihnen zeigen?« »Nur zu. Die Auswahl treffen wir gemeinsam.« Der Gärtnermeister ging voraus und machte bei einer Anpflanzung halt. Er begleitete die Kundschaft zu diversen mehrjährigen Pflanzen. Andreas machte eine Vorauswahl, dann traten gleich Carsten und Cedric in Aktion. Beide fühlten die Nadeln. Andreas sah seinen Sohn etwas skeptisch dreingucken. Dennoch ließ er seine kleinen Finger über die spitzen grünen Dinger streichen. Anscheinend kitzelten ihn die Nadeln und er begann zu lächeln. Fanden beide den Baum okay, sah sich Andreas das Geäst genauer an. »Was meinst du, Merlin? Passt der zu uns?« Der Jugendliche erschrak etwas. »Er hat ein schönes Grün. Cedric mag ihn, das ist ausschlaggebend. Ja, ich denke, als Stammbaum ist dieser ideal«, brachte er noch einmal das Thema vom Morgen ein. Paul sah zwischen den dreien hin und her. Dabei hatte er ein großes Fragezeichen in seiner Mimik. »Gute Wahl. Wenn Sie möchten liefere ich Ihnen den Baum heute Nachmittag.« »Ja, gerne sogar. Mein Wagen ist dafür etwas zu klein. Sie haben unsere Adresse?« »Rutherford Hall. Ihre Adresse ist bei allen Gärtnereien und Baumschulen bereits bekannt. Sie hoffen auf lukrative Aufträge.« »Wie dem auch sei. Heute Nachmittag ist recht.« Andreas ging mit dem Meister seiner Zunft ins Büro und zahlte die Rechnung. »Ich wünsche Ihnen und ihrer Familie ein schönes Fest.« Andreas bedankte sich. Anschließend fuhren sie zu einem kleinen Tea Room. Dort lud Paul alle ein. Traditionell bestellten er und seine Söhne eine heiße Schokolade mit Sahnehaube. Merlin wählte einen Tee. Cedric bekam einen Kakao. Dazu noch einfache Butterkekse, welchen Andreas immer auch in seinen Kakao tauchte. »Das ging ja schnell«, schlussfolgerte Merlin den Erwerb des Baumes. Dabei war er überrascht, wie alle auch seine Ansicht zum Baum berücksichtigten. »Da stimme ich dir zu. Jedoch ist das eine Ausnahme. Für unseren ersten gemeinsamen Baum haben wir mehr als eine Stunde benötigt. Carsten hat damals sicher dreißig Bäume abgelehnt. Er konnte anhand seiner Sinne frische Exemplare erkennen. Andreas hat sich dann anschließend die Konditionen des Wurzelwerks angesehen. Was auch wieder einige der Kandidaten ausschloss. Meine Aufgabe war, die Wünsche meiner Frau zu berücksichtigen und die Rechnung zu begleichen. Darf ich euch fragen, was Merlin vorhin mit dem ›Stammbaum‹ meinte?« Andreas unterrichtete ihn, was Merlin damit meinte. Bewundernd zog Paul seine Brauen hoch. »Wirklich, wortwörtlich kann diese Tanne ein Stammbaum werden.« Dann fiel Andreas etwas ein. »Sag einmal, Paul, möchtest du heute Nachmittag mit nach Glasgow? Edward und die Sanches begleiten unsere Großeltern dorthin.« »Gerne. Ich möchte eure neue Heimat näher kennenlernen. Du hast dort nicht auch ein Projekt?« »Zwei. Rund zehn Meilen südlich von Glasgow gibt es einen privaten Park. Edward kann ihn dir zeigen. Er ist dort allgemein bekannt.« »Ich bin gespannt. Was unsere Ladies heute in der Küche machen?« »Mama hoffentlich die leckeren Kekse nach dem alten Rezept.« »Du magst sie auch? Luise hat mich damit immer zu Weihnachten verführt. Ohne diese Plätzchen ist die ganze Weihnachtsbäckerei nichts«, ergänzte Paul. »Ich hoffe doch auf die Pralinen«, begann Andreas. »Keine Massenware. Aromatisch und feine Nuancen. Kurz: Weihnachtsgedichte zum Genießen«, schwärmte Andreas den anderen vor. Nach diesem Intermezzo fuhren sie wieder zurück. Lediglich bei Edwards Familie machten sie einen kurzen Stopp. Sam freute sich, seinen Eltern Edwards Arbeitgeber vorstellen zu dürfen. »Sie möchten Schafsmilch?«, fragte Edwards Mutter nach. »Wenn Sie haben, drei Liter.« »Natürlich. Frisch gemolken. Ich hole sie.« Wenig später kam sie mit drei Flaschen zurück. Erst wollte sie dafür nichts haben. »Mrs Moore,«, begann Carsten, »wir benötigen für unseren kleinen Helden gute vier Liter dieser Milch pro Woche. Ich würde mich freuen, wenn ihre Familie uns damit versorgen könnte. Das akzeptieren wir jedoch nur, wenn wir dafür auch bezahlen. Schafe machen nicht nur Arbeit, sondern kosten auch. Edward erzählte uns viel über ihre artgerechte Haltung. Ich denke, solche Milch gibt es nicht im Supermarkt. Sagen wir pro Liter 70 Pence und für die Flaschen noch einmal 30 Pence Pfand.« Andreas fand den genannten Preis fair. Mrs Moore staunte nicht schlecht, wie gut der junge Mann Lebensmittelpreise einordnen konnte. »Das ist aber zuviel.« »Sagen wir, dass Sie uns zweimal die Woche mit frischer Milch versorgen. Dann ist es ein durchaus fairer Preis«, machte er den Deal perfekt. Andreas zahlte die Milch. Dann nahm er die drei Flaschen und verstaute sie in einem Korb. Vor dem Portal ihres Hauses stiegen alle aus. Carsten, Cedric und die Hunde gingen durch den Garten. Der kleine Mann freute sich, seine ›Dadas‹ miteinander spielen zu sehen. Als beide Hunde mit einem riesigen Sprung einen Abstecher im Teich machten, kommentierte er es mit einem ›Dada padsch‹. »Stimmt, Cedric. Leonardo und Salvatore lieben das Wasser. Nicht nur zum Trinken.« »Abba, dada padsch?« »Das ist nicht schlimm. Wir rubbeln sie wieder trocken. Ich kann mich doch auf deine Unterstützung verlassen?« Carsten rief seine Hunde zu sich. Schon nachdem sie den Teich wieder verlassen hatten, schüttelten sie sich. Dann liefen sie gesittet auf ihre Herrchen zu. Gemeinsam führte ihr Weg zum Porch. Dort nahm Carsten ein Handtuch und begann, Salvatore trocken zu reiben. Sein Sohn fuchtelte mit seinen Händchen dazwischen, was Carsten freute, wenn auch dadurch die Prozedur länger dauerte. Dann waren beide Hunde wieder trocken und stoben in die Küche. »Für uns Männer ist die Küche tabu«, erklärte Carsten seinem Sohn auf dem Weg zu dessen Zimmer. Behutsam pellte er seinen Sohn aus der wärmenden Kleidung. Cedric schien erfreut zu sein, etwas Bequemeres zu bekommen. Die warme Kleidung schränkte seinen Bewegungsdrang doch erheblich ein. Nachdem sich auch Carsten umgezogen hatte, gingen sie wieder hinunter. »Mal sehen, ob es schon etwas Erfrischendes gibt.« Im Salon trafen sie auf die restlichen Männer. »Wenn ihr etwas trinken wollt, die Damen waren so freundlich, uns mit Tee und Kaffee zu versorgen. Babi wird sicher gleich auch für Cedric etwas bringen«, begrüßte Děda die beiden. An der Sitzgruppe übergab Carsten Cedric an seinen Großvater. »Deine Hände sind ja ganz kalt!« »Er hat mich tatkräftig unterstützt, die Hunde trocken zu reiben. Das hat er richtig gut gemacht.« »Wenn dem so ist, brauchst du auch etwas Warmes.« Cedric lauschte den Worten. Dann schon kam Babi mit einer Flasche. »Ich habe für unseren Enkel eine Vanille-Milch gemacht. Er ist sicher ganz schön durstig nach eurem Abenteuer.« »Dadas padsch«, fügte Cedric hinzu. »Was meint er?« »Die Hunde waren im Teich. Später hat er sie mit abtrocknen geholfen. Das hat er wirklich gut gemacht.« »Dann braucht er etwas Stärkendes.« Děda nahm die Flasche entgegen. Er brauchte nicht viel zu tun, denn der kleine Mann wusste, wie das mit der Flasche funktioniert. Während er saugte, sah er sich interessiert um. »Was macht ihr eigentlich?« »Wir haben uns mit ›Dame‹ vergnügt. Nonno fand das Spiel in der Bibliothek. Das haben wir schon ewig nicht mehr gespielt.« Carsten grinste. »Wer hat gewonnen?« »Jeder einmal. Dabei hat das zweite Spiel lange gedauert.« »Wir können uns ja mal zu einem Spielabend aufraffen. Wir haben so manche Brettspiele zur Auswahl. Wird bestimmt sehr unterhaltsam für alle«, schlug er vor. Von den Anwesenden bekam er sofort eine Zustimmung. »Ihr wart also erfolgreich«, wechselte Děda das Thema. »Wo ist denn euer Baum?« »Der wird uns heute Nachmittag gebracht. Heute Abend könnt ihr das Exemplar ungeschmückt bewundern. Andreas und ich gehen später ins Studio«, beantwortete Carsten die Frage ausführlich.

Da die Küche noch immer Sperrgebiet für die Herren war, servierte Mrs Sanches ein paar Sandwiches im Salon. »In einer Stunde ist die Küche wieder frei«, informierte sie die Männer. Ein wenig später erschien Luise. Sie setzte sich neben Paul und legte ihr Bein hoch. Carsten vernahm einen leichten Seufzer der Erleichterung. »Paul, Carsten und Andreas: Finger weg von den Keksen, Pralinen und anderen Köstlichkeiten.« »Och Mama. Musst du so hart zu uns sein?«, schmollte Andreas gespielt. »Natürlich, ich kenne euch Naschkater doch.« Die Runde lachte ob dieser Ansprache. »Da sind wir alten Herren noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen«, meinte Nonno. »Gabrielle! Fehlt auch nur ein Keks, wird Befana dich schon finden«, ergänzte Nonna Luises Ausführung, die gerade noch einmal frischen Kaffee servierte. »Zu früh gefreut, Gabrielle. Wir sollten auf den weisen Rat unserer Frauen hören. Veronika wird mir sicher gleich mit Ježibaba drohen. Ich denke, lediglich Cedric hat etwas mehr Spielraum.« Die letzten Worte bekam auch Babi mit. »Du hast es erfasst. Wir sind uns einig, dass unser Enkel noch diese Freiheit genießen darf. Wobei ich glaube, dass er nicht wirklich Interesse daran hat.« »Das ist nicht fair. Edward und Merlin bleiben außen vor?«, protestierte Carsten schelmisch. »Mitnichten. Ertappen wir sie bei den Backwaren, wird ihnen Santa Claus ihre Geschenke streichen.« Jetzt lachten alle.

Nach dem gemeinsamen Lunch fuhren die Gäste nach Glasgow. Merlin blieb bei Cedric im Salon und lernte. Carsten und Andreas gingen ins Studio. »Du hast es hier wärmer gemacht?« »Ja, es wird so circa zwei bis drei Stunden dauern. Da möchte ich nicht, dass du frierst.« »Danke. Was hast du dir denn ausgedacht?« »Ich habe einige Kinderlieder zusammengestellt. Darunter sind welche in verschiedenen Sprachen. Ich denke, wir beginnen mit den tschechischen. Ich bin nicht so gut in dieser Sprache, daher habe ich sie für dich arrangiert. Anschließend habe ich zwei ältere italienische Schlaflieder. Die können wir gemeinsam singen. Dann habe ich noch eine Auswahl an englischeen nd deutschen Liedern.« »Klassisch?« »Die beiden deutschen. Die Wiegenlieder von Fleischmann und Brahms. ›Danny Boy‹, ›Twinkle‹ und ›Little Star‹ sind da schon etwas moderner. Im Gälischen habe ich noch keines gefunden. Das ist jetzt aber nicht wichtig.« Andreas staunte über diese Auswahl. Es freute ihn, dass ihr Sohn eine persönliche CD mit ihnen bekannten Liedern bekam. Carsten stellte das Mischpult ein und lud sich einige Samples hoch. »Du kannst schon mal ins Studio gehen.« Andreas machte es sich im Studio bequem. Dann folgte ihm Carsten auch schon. Er erklärte ihm, wie er sich das Ganze gedacht hatte. Andreas hatte anderes erwartet, doch es wurde ›hart‹ gearbeitet. Sein Gatte hatte die Songs sehr interessant arrangiert. Es wurden drei Stunden daraus. Merlin kam zwischendurch und brachte jedem einen kräftigen Tee. »Was macht Cedric?« »Der hält gerade ein Nickerchen. Die Hunde und Charaid sind bei ihm. Ich habe gerade die letzten Takte gehört. Klingt etwas seltsam.« »Was gefällt dir denn daran nicht?«, fragte Carsten nach. »Ich kann es nicht beschreiben.« Andreas forderte ihn auf, es einmal zu singen. Merlin sang einfach aus dem Stegreif den Song ›Danny Boy‹. Andreas verstand, was der Junge meinte. Selbst Carsten war von dieser Interpretation angetan. »So meine ich das«, sagte Merlin. »Das war wirklich ausgesprochen gut. Kannst du das noch einmal so singen und darf ich davon eine Aufnahme machen?« »Was ist mit Cedric?« »Es dauert nicht lange und die Tiere sind bei ihm«, bat Carsten. »Dann mal los.« Merlin setzte sich die Kopfhörer auf. Carsten spielte dazu. Andreas war angetan, wie sein Tiger den Song auf dem Klavier begleitete.

»Danke, Merlin. Cedric wird sich freuen«, meinte Andreas. »Ich sagte dir ja schon: Von dir kann ich noch viel lernen. Du bist ein Naturtalent.« Merlin wurde verlegen. »Darf ich die Aufnahme hören?« Anstelle zu antworten, ließ Carsten die Aufnahme abfahren. Seine eigene Stimme zu hören ist seltsam. Merlin erkannte sich zunächst nicht wieder. Doch bei diesem Song stellten sich seine Haare auf. Der Song fühlte sich so richtig gut an. »Bin ich das wirklich gewesen?« »Das bist du. Der Song drückt wirklich sehr viel Gefühl aus. Cedric wird dabei sehr gern einschlafen.« »Ich weiß. Das Lied habe ich ihm schon vorgesungen. Dennoch sollte ich zu ihm zurück.« Andreas nahm es zur Kenntnis. In Merlin hatten sie wirklich jemanden verantwortungsvollen für ihren Sohn gefunden. »Ich glaube, Babi hat noch etwas Hafermilch für ihn. Wenn er mag«, meinte Carsten.

»So, wir haben nun alle Lieder. Ich mache mich morgen dran für den letzten Feinschliff.« »Wo bleiben eigentlich deine Geschwister? Andrea und Stefano müssten doch schon hier sein.« »Vielleicht haben sie sich in Edinburgh mit Ercan verabredet. Dann würden sie erst spät, doch gemeinsam kommen. Du kannst sie ja mal anrufen«, schlug Carsten vor.

»Hallo Stefano. Ich dachte, es ist Andreas Nummer?«, meinte Andreas am Telefon. »Genüge ich dir nicht? Andrea ist gerade auf der Toilette und ihr Mobilphone lag auf dem Tisch«, tönte es aus dem Hörer. »Doch du bist weniger emotional am Telefon. Ich wollte wissen, ob ihr schon in Schottland seid?« »Wir sind in Dùn Èideann und warten auf Ercan. Andrea meinte, dass wir beide uns eure Hauptstadt etwas ansehen sollten und später dann meinen Schwager auflesen. Spart uns einen Mietwagen. Ich finde die Idee sehr vernünftig.« »Wenn dem so ist, seid ihr denn zum Dinner hier oder sollen wir warten?« »Ercans Flug kommt gegen halb acht am Turnhouse an. Andrea sagte, wir benötigen etwa eine gute Stunde bis zu euch. Vor neun werden wir nicht aufkreuzen.« »Dann warten wir mit dem Dinner. Lediglich dein Neffe wird wohl schon schlafen«, informierte Andreas. »Cedric läuft uns sicher nicht davon.« »Da wäre ich mir nicht so sicher. Seit einigen Tagen krabbelt er durchs Haus.« »Wow! Der kleine Mann setzt neue Maßstäbe.« »Er ist ja auch unser Sohn«, meinte Andreas nicht ohne Stolz. »Seine Bodyguards haben ganz schön etwas zu tun.« »Wir werden uns morgen selbst davon überzeugen. So, ich mache mal Schluss; Andrea kommt.« »Grüß sie von uns. Ciao!« Andreas hörte die Verbindung unterbrechen. Dann ging er zu Merlin und Cedric in den Salon. Merlin war dabei, den kleinen Mann zu versorgen. »Du hattest recht. Cedric protestierte schon etwas, wo sein Service blieb.« »Er ist dir doch nicht böse?« »Quatsch. Als er die Flasche sah, war ich sein bester Freund«, grinste Merlin in Andreas‘ Richtung. »Wie einfach es doch ist, Freundschaften zu schließen. Wenn du ihm einmal selbst etwas machen möchtest: Im Regal mit den Rezeptbüchern haben wir eine Sammlung mit verschiedenen Rezepten für Babynahrung.« »Kann ich da auch nichts falsch machen?« »Nein. Die Rezepte haben sich schon lange bewährt. Sie sind genau auf Kinder abgestimmt. Variiere ruhig damit, Cedric bekommt Abwechslung. Selbst wenn er mal etwas eigensinnig ablehnt.« Merlin nickte zur Bestätigung. »Schatz, konntest du etwas über unsere Geschwister erfahren?« »Ja, sie kommen später und bringen Ercan mit. Wir werden heute unser Dinner etwas verschieben.« »Machen wir es so. Ist der Wagen aus der Werkstatt zurück?« »Morgen wird er gebracht. Es wurde alles für den Einsatz auf dem Kontinent erledigt. Andrea braucht ihn nur noch anzumelden. Damit sie sich schon einmal daran gewöhnt, kann sie damit direkt nach den Feiertagen nach Hause fahren.« »Das ist aber schon eine ganz schöne Strecke. Dauert bestimmt mehr als ein Tag. Gibt es keine Alternative?« »Nicht wirklich, Tiger. Mit einer Spedition dauert es über eine Woche, weil diese sehr viele Frachtdokumente benötigen, die dann vom Zoll geprüft werden. Selbst wenn das Auto ausgeflogen wird. Die Route wäre über London, dort können sie im Hotel übernachten. Da alle drei einen Führerschein haben, LG können sie sich beim Fahren abwechseln. Zwei Tage sind wirklich das Abenteuer wert.«

Carsten dachte über das Gehörte nach. »Gut, letztendlich entscheiden sie, wie es bewerkstelligt werden soll. Was macht unser kleiner Mann?« »Merlin füttert ihn gerade. So wie ich es sehe, ist er satt und einem neuen Abenteuer nicht abgeneigt. Du hast den Baum schon bemerkt?« »Ja. Ein Duft aus Nadeln und Hartz macht sich breit. Steht er denn auch richtig für unsere Ladies?« »Ich denke schon. Wenn nicht, können wir ihn noch etwas drehen.«

Ihre Gäste kamen spät vom Ausflug zurück. Ein wenig später die Geschwister samt vierbeiniger Begleitung. Gina und Leon wurden von Leonardo und Salvatore willkommen geheißen. Gerade Leon schien sich darüber zu freuen. Während die Vierbeiner sich ausgiebig beschnüffelten, umarmte Carsten seine Schwester herzlich. »Wie geht es euch?«, war seine nächste Frage. »Wir freuen uns auf ein wenig erholsame Zeit mit der Familie. Stefano und ich haben den Weihnachtsmarkt besucht. Mit dem Riesenrad hat man einen sehr schönen Ausblick über eure Hauptstadt.« Carsten entfernte sich etwas von seiner Schwester und wirkte nachdenklich. »Cedric mag ihn auch.« Carsten erzählte von dem kleinen Abenteuer und wie Cedric es handhabte. »In meinem Neffen stecken ungeahnte Talente«, schmunzelte Andrea. »Sag einmal, habt ihr auf uns mit dem Dinner gewartet?« »Nicht direkt. Die ältere Generation hatte die Küche in Beschlag genommen, daher hat sich alles ein wenig nach hinten verschoben. Der Abend ist ja noch jung.« Dann stürmten beide Hunde auf die Zweibeiner zu. Interessiert schlich Leonardo um Andrea herum. Gegen seine Gewohnheit sprang er Andrea jedoch nicht an. »Leonardo,p ist etwas nicht in Ordnung?« Der Genannte sah nur einen Augenblick zu seinem Papa Leon. Carsten konnte ein leises Brummen vernehmen. »Leonardo ist wohl gerade etwas müde. Er war heute viel im Garten«, beantwortete Carsten die Frage. Seine Schwester gab sich mit der Antwort zufrieden. Daraufhin ging sie in die Hocke und knuddelte beide Hunde ausgiebig. Dann kam auch schon wieder die Hundekennerin in ihr durch. »Kein Gramm zu viel auf den Rippen. Wie schafft ihr das nur?« »Ausgewogenheit bei der Ernährung. Der gesamte Haushalt spielt lieber mit den beiden, als dass sie irgendwelche Leckereien verteilen. Lediglich Andreas und ich verteilen Knochen zur Belohnung. Damit sind alle zufrieden.« Andrea stand auf und hakte sich bei ihrem Bruder ein. Gemeinsam gingen sie zu den anderen im Salon.

Cedric durfte schon zeitig sein Püree aus Kartoffeln genießen. Dazu gab es anschließend noch einen Pudding mit einer fruchtigen Sauce. Zufrieden schlief er in seinem Bett, bewacht durch die Hunde. Das von Merlin und Andreas bereitete Dinner sagte allen zu. Nonno mochte den Shepard Pie von Merlin. Nach dem obligatorischen Espresso saßen sie noch gemütlich im Salon beisammen. Die älteren Ladies strickten. Andreas sah, wie geschwind die Nadeln eine um die andere Maschenreihe produzierten. »Sagt einmal, habt ihr ein Wettstricken ausgemacht? Bei der Geschwindigkeit wird einem ja schwindelig.« Die Damen sahen sich grinsend an. »Klar. Luise meinte, dass sie schneller sei als Nonna und ich. Das können wir doch nicht einfach auf uns sitzen lassen. Wir gehören noch lange nicht zum alten Eisen.« Ob dieser Antwort hustete Nonno und erklärte, sich verschluckt zu haben. Paul biss sich auf die Zunge, während Děda sich hinter einem Zeitungsartikel versteckte. »Seis drum«, unterbrach Carsten. »Was haltet ihr von unserem Baum?«, brachte er ein neues Thema. »Es ist ein schönes Exemplar. Daraus lässt sich etwas machen. In Glasgow fanden wir noch einigen Baumschmuck aus Holz. Kleine Figuren, Gegenstände und so weiter. Auf viele bunten Lampen verzichten wir. Nonna meinte, das würde für Cedric nur irritierend sein. Die Lichterketten von Andreas haben Charme. Mit dem anderen Gehänge wird er sehr lustig und interessant wirken«, gab Luise die Ansicht der Frauen wider. »Das Schmücken werdet wohl ihr übernehmen. Es ist euer Heim und euer Baum. Paul wird von euch die Geschenke einfordern. Ich bin dieses Jahr dazu etwas gehandicapt. Andreas, du wolltest deinen Flügel hier hineinstellen?« »Das machen ich, Merlin und Ercan morgen Vormittag. Da ihr wieder die Küche in Beschlag nehmt, räumen wir den Salon ein. Carsten wird sich anschließend daran machen, den Flügel in Stimmung zu bringen.« »Ach, werde ich das?« war Carsten über diese Ansage erstaunt. »Ja. Andrea wird auch die restlichen Instrumente in den Salon bringen. Sie sollen sich akklimatisieren. Paul, Děda und Nonno gehen mit Cedric und den Hunden raus. Cedric wird sicher nichts dagegen haben, euch abwechselnd zu beschäftigen.« Andreas hatte sich schon einen Plan gemacht, um den Haushalt zu beschäftigen. Dass Luise sie dann noch mit dem Baumschmücken beauftragte, konnten sich die jungen Leute gut vorstellen. Andreas‘ Großeltern würden sicher auf keine Leiter mehr klettern. Luise war wegen ihres Bruchs dazu nicht in der Lage. Andrea nickte zustimmend. Dennoch konnte sie ihre Müdigkeit nicht richtig verbergen. »Ich weiß nicht, was ihr noch machen wollt«, begann Stefano. »Ich bin schon seit sieben auf den Beinen. Bei mir ist die Luft raus«, schob er sich als Grund vor. »Warte, ich komme mit«, schloss sich Andrea ihrem Gatten an. »Carsten, Gina wird sicher noch einmal in den Garten wollen.« »Unsere Hunde müssen sich auch noch einmal lösen, bevor sie bis morgen durchhalten. Sie begleiten ihre Familie gerne auf dem letzten Gang. Möglich, dass sie bei Cedric übernachtet.« »Solange sie zur Ruhe kommen, ist es mir recht. Ich sage mal Gute Nacht.« Das junge Paar zog sich zurück. »Ich sehe kurz nach Cedric und bringe die Hunde mit. Dann haben wir auch Ruhe.« Während Andreas nach dem kleinen Mann sah, stand auch Carsten auf. »Spricht etwas dagegen, dass ich dich begleite?«, fragte Ercan seinen Bruder. »Nein. Es wird aber eine kleine Runde.« »Macht nichts.«

Beide brauchten nicht lange am Porch zu warten. Gina war die erste, die durch die offengehaltene Tür stürmte. »Gina hat es eilig, raus zu kommen.« Anschließend folgten die anderen drei etwas gesitteter. »Wir gehen eine kleine Runde ums Haus. Das reicht heute aus. Was hast du auf dem Herzen?« Dass Ercan etwas los werden wollte, spürte Carsten einfach. »Es war kein schöner Tag. Eine meiner Patientinnen ist vergangene Nacht gestorben. Sie war gerade Anfang Vierzig. Sie kam mit einem Schlaganfall in die Klinik. Sie war auf gutem Weg, wieder ein normales Leben führen zu können. Von ihr hätte so mancher Schlaganfall lernen können, nicht aufzugeben.« »Woran ist sie denn gestorben?« »Ein Gerinnsel im Gehirn hatte vergangene Nacht zu einem tödlichen Schlaganfall geführt.« »Es klingt jetzt hart: War es abzusehen?« »Nein. Für heute hatte der behandelnde Arzt noch eine Kontroll-CT eingeplant.« »Ercan, es ist nicht deine Schuld. Du darfst dich davon nicht herunterziehen lassen. Soll ich dir etwas sagen? Aus unserer Familie hast du den schwersten Beruf gewählt. Du arbeitest mit Menschen. Gibst ihnen Hoffnung, wenn sie es zulassen. Akzeptiere, dass es Grenzen gibt, die keiner beeinflussen kann.« »Dennoch fällt es mir schwer.« Anstelle zu antworten, nahm Carsten seinen Bruder in den Arm. »Du bist keine Maschine. Alles andere wäre unnatürlich. Wichtig ist, dass du darüber sprichst«, flüsterte er. Ercan sah seinen großen Bruder an, der ihm gerade Halt gab. Dann löste er sich von ihm. Carsten hörte ein leises Platschen. Unwillkürlich musste er lächeln. »Wir sollten unsere Runde beenden. Wir müssen noch die Tiere trockenrubbeln.« Kaum ausgesprochen, kamen vier nasse und glückliche Retriever um die Ecke. Ercan musste bei ihrem Anblick lachen. »Wäre es sehr gemein, Gina so in Andreas‘ Zimmer zu lassen?« »Du bist unverbesserlich. Klar wäre das unverschämt. Zudem wird Gina wohl eher bei ihren Brüdern und Cedric bleiben. Willst du wirklich deinem Neffen das zumuten? Obendrein musst du dann die Pfützen im Haus aufwischen.« Etwas schelmisch grinste er dennoch. »Aber der Gedanke hat etwas.«

Im Porch kümmerten sich beide jungen Männer um die Hunde. Nach dem letzten Prüfen, ob die Hunde auch wirklich trocken sind, gab Carsten den Weg ins Haus frei. Obligatorisch machten die Vierbeiner einen Zwischenstopp an ihren Wassernäpfen. Danach trennten sie sich. Leonardo und Gina schlichen sich zu dem kleinen Mann. Salvatore und Leon suchten die Kudden im Salon auf. »Ich gehe auch mal schlafen.« »Gute Nacht. Schlaf darüber und sprich mit Papa. Er wird dich verstehen.« Ganz erstaunt war Carsten, als Ercan ihm einen Bruderkuss gab. »Danke.«

Im Salon war lediglich nur noch Andreas. »Sie haben sich alle schon zurückgezogen. Wird morgen auch ein aktionsreicher Tag. Willst du noch aufbleiben?« »Nicht wirklich, Schatz.« »Was hatte Ercan? Er war den ganzen Abend recht still.« »Eine Patientin von ihm ist plötzlich gestorben. Das steckt keiner so einfach weg.« »Oh. Er ist ein kluger Mann, wenn er darüber reden will.« »Das ist er. Siehst du noch nach der Alarmanlage?« »Klar. Ich stelle noch das Tablett in die Küche.«

Carsten ging hinter Andreas aus dem Salon. »Machst du das Licht aus?«, meinte Andreas. Carsten tastete nach dem Schalter. Das Licht im Salon erlosch. Es dauerte nicht lange und beide gingen die Treppe hinauf. Bei Cedric machten sie Stopp. Andreas deckte den kleinen aktiven Schläfer wieder zu. Beide gaben ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Ein Blick zu den Hunden bestätigte Andreas, dass sie ebenfalls schon schliefen. Dabei war das Arrangement schon interessant. Gina lag halb von Leonardo verdeckt. Im Haus kehrte Ruhe ein.

Der folgende Morgen stand ganz im Zeichen der Weihnachtsvorbereitungen. Nach dem Frühstück nahmen die Ladies wieder die Küche in Beschlag. Ein angenehmer Duft von Bratapfel, Zimt, Muskat und Brandy zog durch das Haus. Der Flügel war schnell in den Salon geschoben. »Hier macht er sich ganz gut. Oder was meint ihr?« »Hm, ich würde ihn noch etwas drehen, so dass bei geöffnetem Deckel der Klang in den Raum geht.« Andreas sah sich das Arrangement an und stimmte Merlins Vorschlag zu. Nach wenigen Minuten stand das Instrument fixiert an der neuen Stelle. »Spielt Carsten gleich?« »Nein. Hier im Salon ist es wärmer als in meinem Arbeitszimmer. Dann muss ich auch noch das Gerät für die Luftfeuchtigkeit anschließen. Ich denke, in zwei Stunden hat sich der Körper der Raumtemperatur angepasst. Dann wird Carsten loslegen können. Jetzt lässt er sich von Cedric bespaßen«, meinte Andreas. »Meint ihr, der Baum steht richtig?« »Ich würde ihn noch etwas weiter in den Erker stellen. Dann kann jeder ihn bewundern und für Carsten ist es einfacher, daran vorbeizugehen.« »Ja, daran habe ich nicht gedacht.«, gestand Andreas ein. »Sorry.« Ercan sah in unverständlich an. »Da gibt es kein ›Sorry‹. Es ist sogar ein ausgesprochenes Kompliment. Die Leute machen immer so ein Tamtam aus seiner Blindheit. Dabei ist er ein ganz normaler Mensch. Mit dem Vorteil, dass ich ihn nie wirklich erschrecken konnte. Immer wusste er, wenn ich mich ihm anschleichen wollte.« »Da muss ich dir zustimmen. Er hört sogar Charaid auf seinen Samtpfoten«, pflichtete Merlin bei. »Andreas, weißt du, wo Papa ist?« »Er und Mama sind bei ihren täglichen Übungen im Fitnessraum.« »Übertreiben sie es nicht etwas?« »Nein. Paul fährt seine 10 km plus minus. Parallel macht Luise die Hantelübungen. Plus-minus deswegen, weil beide aufeinander Rücksicht nehmen. Mal braucht Luise etwas länger und Paul legt dann schon mal ein paar Kilometer drauf. Übertreiben tun es beide nicht. Es kam auch schon mal vor, dass sie ihre Einheiten einfach abbrachen und später nachholten. Gib ihnen noch eine viertel Stunde und sie haben für ihre Familie Zeit.« Alle sahen sich die neue Position des Baumes an. Zufrieden mit dem Ergebnis galt es, eine kleine Verschnaufpause einzulegen.

Andrea und Stefano waren kurz mit den Hunden in den Garten. »Hilfst du mir nachher beim Schmücken?«, fragte Andrea ihren Gatten. »Natürlich, einer muss ja die Leiter halten, damit du nicht hinunterfällst«, scherzte er zurück. Dann widmeten sie sich den Vierbeinern. Ganz in ihrem Element scheuchten sich die Hunde gegenseitig über die Rasenfläche. Gerade wollte Andrea sie zu sich rufen, als sie sah, wie Gina mit einem Sprung im Teich landete. »Das Mädchen ändert sich nie«, kommentierte Stefano die Aktion. »Ich finde es gut. Es macht uns das Leben einfacher, wenn wir sie nicht baden müssen. Kannst du sie später noch etwas trimmen?« »Das hatte ich eh vor. Zuhause hatte ich schon bemerkt, dass sich kleine Knötchen im Fell bilden. Es ist am Bauch etwas zu lang. Wenn ich schon dabei bin: Mal sehen, ob die anderen ebenfalls einer Fellpflege nicht abgeneigt sind.« »Also das Trimmgerät kannst du bei Salvatore und Leonardo stecken lassen. Sie hatten gerade ihren Fellwechsel. Duschen und Bürsten reicht aus.« Stefano nahm seine Stellina in den Arm und gab ihr einen sehr liebevollen Kuss.

»Gina!«, lautete das Kommando. Die junge Hündin folgte der Stimme ihrer Rudelführer. Mit einem nassen Fell, aber sehr breitem Grinsen setzte sie sich vor Andrea ab. Dann folgten ihr Leon, Salvatore und Leonardo. Grinsend und ebenfalls mit einem feuchten Fell. Selbst Stefano erkannte die Familienähnlichkeit der vier. Leon schien ganz stolz auf seinen Nachwuchs zu sein. Dann gingen sie zurück zum Porch. Stefano wandte sich lediglich der Duschecke zu und schon stand Gina auf dem Tisch. »Du bist ja eine echte Wasserratte. Dann wollen wir mal.« Stefano duschte die Golden Retriever. Er spülte so einigen Dreck aus deren Fell. Nach dem Trockenreiben begann er mit dem Trimmen. Behutsam stutzte er das Fell. Gina gefiel es. Zuletzt sah Stefano dem Retriever in ihre Ohren. Vorsichtig entfernte er bei Gina einen Pfropfen aus Ohrenschmalz und Dreck. Die Hündin sah ihn nach der Prozedur dankbar an. »Das war dir wohl lästig. Jetzt ist es erledigt.« Stefano knuddelte die Hündin ausgiebig. Gina bedankte sich, indem sie sein Gesicht ableckte. Dann waren die anderen an der Reihe. Salvatore und Leonardo waren wirklich pflegeleicht. Nach dem Bürsten hatte Stefano schon einige Haarbüschel in der Hand. Auch bei ihnen kontrollierte er die Ohren. Es gab nichts zu beanstanden. Bevor die Hunde ins Haus gingen, schüttelten sie sich. Stefano räumte den Bereich auf. »Danke, dass du dich um die Hunde gekümmert hast.« »Nichts einfacher als das, Carsten. Ich weiß, dass nicht jeder Hund diese Prozedur so gelassen über sich ergehen lässt. Gerade die Ohrenkontrolle mag Gina nicht wirklich. Dennoch ist sie jedesmal froh, wenn ich Verunreinigungen daraus entferne.« »Mag Leon das?« »Er lässt es ganz entspannt über sich ergehen. Da hat Ercan ganze Arbeit geleistet. Auch die anderen Untersuchungen übersteht er souverän. Wenn Andrea seine Routineuntersuchung machen möchte, reicht es aus, auf den Untersuchungstisch zu klopfen. Gina fühlt sich wohler, wenn er dabei ist.« »Papa Leon hat sich vorbildlich um seinen Nachwuchs gekümmert. Leonardo und Salvatore freuen sich, ihren Papa so munter zu erleben.« »Leon kommt langsam ins Rentenalter. Es muss jetzt nicht immer ein ausgedehnter Spaziergang sein. Mama nimmt ihn oft mit in den Garten, wo er ihr beim Werkeln zusieht. Auch die Treppe geht er nur noch selten hoch. Gina und er haben ihre Plätze im Wohnzimmer und in der Praxis, wenn Andrea mit ihnen allein ist.« »Wie bei Arco und Max. Mit der Zeit haben sie Stufen gemieden.« »Papa hat ihm eine Einstieghilfe für das Auto besorgt. So kann er bequem einsteigen. Ansonsten meinen seine beiden Hausärzte, dass er vollkommen gesund ist. Er macht immer auch mal Unsinn. Letzten Sommer hat er Andreas Gummistiefel im Garten vergraben. Mama hat sie später entdeckt.« »Wie hat es meine Schwester aufgenommen?« »Wir hatten ihn gar nicht im Verdacht. Andrea meinte diese irgendwo vergessen zu haben. Sie hat ja mehrere Paare. Wir haben es alle mit Humor genommen.« »Man kann ihnen einfach nicht böse sein. Lust auf einen Kaffee? Mal sehen, ob ich unsere Damen dazu bewegen kann.« Gemeinsam gingen sie ins Haus. Carsten machte einen Abstecher in die Küche. Nonna erklärte sich bereit dazu, noch einen kleinen Snack zu servieren. Im Salon standen neben dem Baum Kisten und Taschen mit dem Baumschmuck. Stefano warf einen Blick hinein. »Ihr habt ja schon viel gesammelt.« »Was?« »Baumschmuck!« »Ja, über die Jahre läppert es sich. Andreas hat jedes Jahr etwas Neues dazugekauft. Es liegt mir am Herzen, dass er immer zufrieden war. Manches ist auch kaputtgegangen. Das haben wir auch beim nächsten Mal ersetzt.« Carsten lachte. »Wir hatten auch mal einen Baum aus Kunststoff. Was soll ich sagen. Andreas hat ihn verschenkt. Er meinte, ein echter Baum hat mehr Charme. Ich gestehe, ich vermisste das Aroma von Harz und Nadeln.« »Ja, Weihnachten ist es erst, wenn die vielen Aromen durchs Haus ziehen. Ich liebe diese Zeit«, schwärmte Stefano vor. »Jungs, Luise hat zum Kaffee vorgeschlagen, eine Kostprobe unserer Werke beizulegen. Ich hoffe, ihr seid euch dieser Ehre bewusst.« »Natürlich, Babi, dürfen auch die anderen davon nehmen?« »Klar. Also beherrscht euch.« Stefano schenkte jedem eine Tasse ein. Er nahm von der Probe. »Noch warm, ein saftiger Lebkuchen«, beurteilte er die Köstlichkeit. Dann nahm er einen Schluck Kaffee. »Das tut gut. Was macht Andreas?« »Ich denke, er beschäftigt sich mit Cedric. Dann zieht er ihn sicher auch schon für den Ausflug an.« »Ich glaube nicht, dass Leon noch zu einem langen Spaziergang gewillt ist. Nach dem Abstecher im Garten ist seine Zeit zum Relaxen.« »Er kann ruhig hierbleiben. Die Kudden im Salon stehen jedem vierbeinigen Besucher zur Verfügung. Wenn er Gesellschaft sucht, die Ladies sind in der Küche. Sie können ihn auch nach draußen lassen, so er denn möchte.« Stefano stimme zu. Leon würde sicher nach einer kurzen Siesta Gesellschaft suchen und Luise kannte den Vierbeiner. Ihr fiel es nicht schwer, seine Wünsche zu erkennen. »Was machst du?« »Ich kümmere mich um den Flügel. So, wie Andreas es gesagt hat. Er wird auch schon alles zum Schmücken bereitstellen.« »Ihr seid schon ein eingespieltes Team.« »Daran arbeiten wir auch jeden Tag. Ohne Fleiß keinen Preis, hätte meine Großmutter gesagt. Wichtig ist, über alles offen und ohne Vorbehalte zu sprechen. Bedeutet auch, immer einen Kompromiss zu finden. Bisher sind wir damit gut gefahren.« »Klingt einfach, wie du es sagst.« »Anderes bleibt uns auch nicht übrig. Selbst wenn Andreas eine Leuchtreklame mit seinen Bedürfnissen vor dem Kopf tragen würde, ich sehe es nicht. Andersherum, woher sollte Andreas meine Wünsche kennen, wenn ich es ihm nicht sagen würde? Zum Beispiel habe ich die Idee, das Gelände hinter dem Park zu erwerben. Jedoch würde ich nichts ohne Andreas‘ Ansicht unternehmen. Er war mit Paul sich das Areal ansehen. Als Landschaftsarchitekt sieht er darin Potential. Jedoch ist er auch so bodenständig, um nichts über das Knie zu brechen. Jetzt versucht er, mit Schafen eine natürliche Landschaftspflege in Gang zu setzten.« »Dann ist er mit deinem Vorschlag einverstanden?« »Jein. Er hat lediglich ein paar Koordinaten bestimmt zu einem alten Bach. Seine Entscheidung wird er mir mitteilen, wenn er mehr Informationen zu dem Gelände hat.« Besagter Mann kam in Begleitung in den Salon. »Carsten, sind die Herren bereit für den Ausflug mit ihrem Enkel?« Stefano stand auf. »Ich suche sie mal und sammle sie ein. Gina braucht so langsam auch ihren langen Auslauf.« Es dauerte nur wenige Minuten und die älteren Herren standen bereit für den Spaziergang. »Nonno, nimmst du Cedric? Ihr könnt ihn ruhig abwechselnd tragen. Er ist schon sehr aktiv und wird euch einiges zu erzählen haben.« »Was ist mit den Hunden?« »Die begleiten euch. Lasst sie ruhig etwas toben. Salvatore und Leonardo passen schon auf Gina auf. Leon hält gerade eine Siesta.«

Die Gruppe machte sich auf den Weg. »So, ich werde mich jetzt mal um deinen Flügel kümmern«, meinte Carsten und ging in sein Arbeitszimmer. »Wohin will er jetzt? Dein Flügel steht doch hier.« »Er holt sich sein Werkzeug: Den Saitenspanner.« Wenig später kam Carsten mit einem gewinkelten Schlüssel zurück. Stefano sah, wie Carsten routiniert den Flügel öffnete und den Steg hochstellte. Dahinter verbargen sich die Mechanik und viele Saiten. »Ach Andreas, auf dem Tisch steht eine Kostprobe des Weihnachtsgebäcks.« Dann konzentriere sich der Musiker auf seine Aufgabe. Stefano sah Carsten bei seiner Tätigkeit zu. Er spielte die Tonleiter. Lauschte den Tönen. »Lassen wir Carsten in Ruhe sein Werk tun«, meinte Andreas nach einer Weile. »Holen wir die Leiter.« »Sag einmal, der Kamin im Salon, funktioniert der auch richtig?« »Nein. Alle Feuerstellen im Haus sind elektrifiziert. Besteck und Holzlege sind Dekoration. Unsere Hunde vertragen sich nicht mit offenem Feuer. Obendrein ist ein Kamin auch nicht gerade umweltfreundlich.« »Es ist aber gemütlich.« »Stefano, mag sein. Jedoch, Carsten noch ich sitzen ungern in verqualmten Räumen. Die Wärmestrahlung ist für unsere Bedürfnisse mehr als ausreichend. Ein weiterer Vorteil: Es ist einfach, die Wärme individuell anzupassen. Im Kinderzimmer haben wir diese so programmiert, dass sie morgens den Raum aufwärmt. So ist das Kinderzimmer warm, wenn Cedrics Morgentoilette ansteht.« Stefano sah den Vorteil dieser Innovation. Mit zwei Männern war die Leiter schnell neben dem Baum aufgestellt. Carsten fuchtelte gerade mit dem Schlüssel im Flügel. Dann hörte er seinen Schwager wieder etwas spielen. »Oh, ihr habt die Leiter schon geholt. Dann lasst uns mal sehen, wie wir den Baum dekorieren«, freute sich Andrea auf diese Aktion. »Schwesterchen, habt ihr auch einen Baum?« »Natürlich. Mama hat einen für das Wohnzimmer und ich einen kleinen für die Praxis. Weihnachten ohne Baum ist nicht wirklich Weihnachten. Wenn ich vorschlagen darf, lass uns doch einmal die Dekoration gruppieren.« Stefano und Andreas machten sich daran, den Baumschmuck auf dem Salontisch auszubreiten. Andrea selbst nahm die Lichterketten aus der Verpackung und ging mehrmals um den Baum herum. Nach wenigen Minuten machten sich die drei ans Werk. Carsten hatte derweil das Instrument auf die neuen Bedingungen angepasst. Er begleitete die Aktion mit entsprechender musikalischer Untermalung. Die vier hatten richtig Spaß bei dieser Aktion. Es dauerte dennoch eine gute Stunde, bis alle mit dem Resultat zufrieden waren. »So, ihr starken Männer. Jetzt sollte der Baum noch etwas gedreht und weiter in den Erker gestellt werden.« Andreas, Stefano und Carsten machten sich dran, bis Andrea mit dem Anblick zufrieden war. »Carsten«, meinte sie, »dürfen wir den Baum schon in seinem ganzen Glanz erstrahlen lassen?« »Wir halten uns hier ja auf. Dennoch, lassen wir die Kerzen aus. Das gibt dem Festtag sicher noch einen Kick«, gab Carsten sein Statement ab. »Ja. Auch ohne Beleuchtung macht unser Werk etwas her. Cedric wird bestimmt große Augen machen«, schloss sich Andreas ihm an. Dann räumten Stefano und Andreas die Leiter wieder weg. Andrea und Carsten kümmerten sich um den restlich Baumschmuck. »Ihr habt ja schon viel Dekoration, um verschiedene Themen zu gestalten.« »Andreas hat in unserer Londoner Zeit verschiedene Themen umgesetzt. Im vergangenen Jahr war er wohl richtig bunt. Davor etwas dezent mit silber-weiß. Ich weiß es deswegen, weil er es mir sagte. Ich freue mich immer, wenn es ihm gefällt. Bis auf die künstliche Version mag ich die verschiedenen Aromen. Nadelduft, Harz und dann Bratapfel, Zimt und so weiter.« »Musik?«, wollte Carstens Schwester wissen. »Da haben wir wirklich Gemischtes. Andreas hat da auch einen erlesenen Geschmack. Er besorgt immer auch die typischen Weihnachtslieder in außergewöhnlichen Interpretationen. Gospel, Pop, Jazz, Blues. Interessante Rock ‘n Roll-Versionen. Daneben mag er auch die wirklich klassischen. Ich weiß , wo er die Aufnahme ›O Holy Night‹ mit einem kleinen Ensemble aufgetrieben hat. Doch diese Version favorisieren wir beide.« »Was macht die Ausnahme aus?« »Gesang, dazu lediglich eine Gitarre und ein Bass als Begleitung. Wir spielen diese Version wirklich nur an Weihnachten. Ich habe immer eine Gänsehaut.« »Hören wir diese auch?« »Klar, damit eröffnen wir uns das Fest. Warte ab.« »Du bist echt fies.« »Ehrlich? Wir möchten uns das Fest einfach erhalten. Kein kommerzieller Rummel. Einfach nur diesen Song. Damit sind wir glücklich.« »Habt ihr euch nie Geschenke gemacht?« »Wir haben uns keine teuren Geschenke gemacht. Persönliche kleine Aufmerksamkeiten. Meinen Tastenläufer hat Andreas selbst gewebt. Lediglich die Unterseite mit dem Futter hat ein Schneider angenäht. Ich habe für ihn ein persönliches Buch über unsere gemeinsame Zeit drucken lassen. Schmuck und solches Zeug schenken wir uns, wenn sich die Gelegenheit bietet. Mit Cedric hat sich unser Fokus etwas verlagert. Der kleine Mann hat unsere Bedürfnisse etwas zurückgeschraubt. Wir beide möchten, dass er glücklich ist. Ich denke, bisher ist uns das gelungen«, meinte Carsten mit einem Anflug Stolz in der Stimme. »Darf ich euch fragen, wer die Nachtschicht übernommen hat?« »Überwiegend ich. Andreas ist ja oft tagsüber unterwegs. Da möchte ich nicht, dass er übermüdet am Steuer sitzt. Ich habe immer auch mal ein Nickerchen eingelegt. Dafür bereitet Andreas immer die Nahrung für Cedric vor.« Andrea nahm ihren Bruder in den Arm. »Ideale Rollenverteilung. Was steht jetzt an?« »Wenn hier soweit alles wieder in Ordnung ist: Mir steht der Sinn nach einem kräftigen Tee. Ich versuche mal, die Küchenbrigade davon zu überzeugen«, grinste Carsten. Er glaubte nicht, dass auch nur eine der Damen seinen Wunsch ablehnen würde. Also machte er sich auf zur Küche. Auf halbem Weg kam im Leon entgegen. Dieser machte sich bemerkbar. »Na, hast du meine Gesellschaft gesucht?« Carsten beugte sich hinunter und wuselte ihm durch sein seidiges Fell. »Glaubst du, die Ladies würden sich über dein charmantes Auftreten freuen?« Als Antwort leckte ihm der Hund die Hand.

In der Küche wuselten die Frauen herum und unterhielten sich angeregt. »Carsten?« »Darf ich um einen kräftigen Tee und Kaffee für uns bitten?« Luise sah die beiden irritiert an. »Seit wann trinkt Leon so etwas?« »Mutti! Für uns jungen Leute. Leon begnügt sich sicher mit frischem Wasser.« »Hat Andrea dich vorgeschickt?«, fragte Nonna nach. »Nein. Da ich nichts sehe, wird euer Geheimnis auch nicht bekannt. Obwohl ich sage, es riecht wirklich sehr lecker. Nur gut, dass die Tiere unsere Sprache nicht sprechen. Ansonsten hätten sie nicht auch freien Zugang.« Nonna nahm sich des Wunsches an. »Ich denke, unsere Männer werden auch bald ihre Runde mit den Hunden beenden. Ich mache euch Kaffee und Tee. Ein paar Sandwiches?« »Gerne; nur, wenn es nicht in Arbeit ausartet.« »Carsten, wir machen auch Pause. Sandwiches sind schnell gemacht. Ich werde sie in den Salon bringen. Darf ich fragen, was Du vorhin gespielt hast?«, fuhr Mrs Sanches fort. »Ein kleines Potpourri verschiedener Weihnachtslieder aus den vergangenen 150 Jahren. So, wie es mir einfiel. Den anderen hat es gefallen und es schien beim Baumschmücken hilfreich gewesen zu sein.« »Das können wir uns gut vorstellen. Wir fanden es stimmungsvoll und inspirierend. Doch nun scheuche ich dich wieder hinaus. Gebe uns zehn Minuten für ein kleines Lunch.« »Danke.« Carsten und Leon beeilten sich, den Raum wieder zu verlassen. Aus dem Porch hörte er seinen Vater und Ercan. Also gingen sie erst einmal dort hin. »Ob unsere Hunde jemals eine Pfütze auslassen?« »Nein. Ich wundere mich, dass ihnen noch keine Schwimmhäute gewachsen sind. Guck dir Gina an. Bis zu den Schultern voller Schlamm«, schmunzelte Paul. »Blöd, dass uns keiner sagte, dass es dort einen Graben gibt«, schimpfte Ercan nicht ganz ernst. »Wieso? Glaubst du, unsere Vierbeiner hätten ihn deswegen ausfallen lassen? Junge, seit Arco bei uns lebte, kennen wir es nicht anders. Selbst Luise hat es akzeptiert. Außerdem solltest du es von Leon kennen.« Paul duschte Gina den vielen Dreck aus ihrem Fell. Dabei hatte die kleine Hündin den Spaß ihres Lebens. »Da seid ihr ja wieder. Cedric auch bei euch?« »Hi Carsten. Nein. Děda zieht ihn gerade um. Dein Sohn wollte es sich nicht nehmen lassen, Gina zu knuddeln, nach ihrem Schlammbad. Dabei hat er sich ordentlich schmutzig gemacht.« »Ich hoffe, er hatte dabei Spaß.« »Klar. Nur Nonno war nicht ganz begeistert. Seine Jacke und Hose haben einiges abbekommen. Er zieht sich ebenfalls um.« »Wenn dem so ist. Unsere Ladies bereiten uns ein kleines Lunch zur Stärkung zu. Da könnt ihr von eurem Abenteuer berichten.« »Du kannst deine beiden Rabauken mitnehmen. Bei Gina dauert es noch etwas«, meinte Ercan. »Für gewöhnlich entscheiden sie im Haus selbst, was sie machen möchten. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auf ihre kleine Schwester noch warten wollen.« Genauso wie Carsten es sagte, warteten die Genannten. Nachdem Ercan sie trockengerieben hatte, legten sie sich ab und beobachteten Paul. Kurz darauf kam auch Papa Leon und gesellte sich zu seinem Nachwuchs. »Da bist du ja, mein Kleiner«, freute sich Ercan. »Hast du deine Kids vermisst?« »Kleiner? Ercan, Leon ist ein Riese. Er überragt sogar noch Arco um eine Handbreite.« »Sei es drum. Für mich wird er immer der kleine Strolch bleiben.« Paul sah in den Augen seines Sohnes die Verbundenheit zu seinem Hund. »Leon, magst du auch noch eine Dusche?«, bot Ercan an. Für dieses Angebot hatte der Hund lediglich ein freches Grinsen übrig. Paul beendete die Dusche und Ercan nahm sich des Welpen an. Es brauchte zwei Handtücher, um die kleine Lady trocken zu reiben. Nachdem das erledigt war, erhoben sich die Vierbeiner und liefen ins Haus. Paul half seinem Sohn, die Tücher auf eine Leine zu hängen. »Papa, ich habe eine Patientin verloren«, begann Ercan seinem Herzen Luft zu machen. Paul ahnte, dass es kein leichtes Gespräch werden würde. »Komm, lass uns auf die Terrasse gehen. Dort sind wir ungestört.«

Luise sah durch die Terrassentür. Ercan und Paul setzten sich auf die kleine Bank. »Soll ich die Tür öffnen?«, fragte Babi, die ebenfalls die beiden draußen sah. »Nein«, antwortete Luise, »sieht so aus, als stünde ein Männergespräch an. Sie melden sich schon, wenn sie hinein möchten.« Dann wandte sie sich an Mrs Sanches: »Was wird Ihr Mann zum Fest kochen?« »Dieses Jahr gibt es Gänsebraten. Mein Timothy besucht uns. Er liebt den Braten meines Mannes. Dazu Blaukraut und Markklöße. Obligatorisch gibt es anschließend seinen Christmas Pudding.« »Hat er ein spezielles Rezept?« »Oh ja. In seiner Familie hat immer der Mann den Plumpudding zubereitet. Zur Vorbereitung der Trockenfrüchte nutzt er einen Single Malt. Dieser ist in einem Weinfass aus Kirschholz gereift. Das gibt den Früchten ein ganz besonderes Aroma. Gegen jede Gewohnheit wird vier Tage vor dem Fest der Pudding gekocht. Dann ruht dieser drei Tage im Keller. Am Weihnachtsmorgen holt er ihn herauf. Zum Dinner muss er noch für zwei Stunden in den Ofen. Man sollte meinen, dass er dann staubtrocken ist. Doch irgendwie bleibt er saftig. Mein Mann serviert ihn dann flambiert mit einer Stechpalme.« »Wirklich ein mächtiges Dessert. Verwenden Sie noch Gegenstände im Plumpudding?« »Nein. Diese Sitte praktizieren wir nicht. Bei dem Genuss wäre es barbarisch«, resümierte Mrs Sanches. Babi hatte bereits frischen Tee umgefüllt und Nonna den Kaffee. »So, ich habe ein Dutzend Sandwiches. Ich bringe das Tablett in den Salon«, bot sich Mrs Sanches an.

Im Salon lagen die Hunde relaxend in den Kudden. Mrs Sanches stellte das Tablett auf einem Beistelltisch ab. Dann sah sie den Weihnachtsbaum an. Die jungen Leute haben wirklich einen schön verspielten Baum kreiert. Auf Anhieb fand sie diesen sympathisch. »Wie gefällt Ihnen unsere Dekoration?«, holte Andreas sie aus der Betrachtung. »Mir gefällt er. Er erinnert mich an die alte Zeit, wo es noch kein Plastik gab. Schöne Kugeln, Tannenzapfen, Holzfiguren, Strohsterne und wenig Lametta. Von allem etwas.« »Ja, Andrea hat wirklich ein geübtes Auge für Details. Lediglich die Kerzen sind aus Kunststoff.« »Das sieht man denen aber nicht an. Sie wirken so natürlich«, meinte sie. »Da gebe ich Ihnen recht. In der Verpackung sahen sie noch recht künstlich aus. Doch jetzt wirken diese wie echte Kerzen. Selbst wo sie noch nicht leuchten.« »Machen sie diese nicht an?« »Nein, erst am Weihnachtstag. Carsten und ich haben es immer bei uns in London so praktiziert. Es gibt dem Weihnachtstag einen besonderen Touch«, berichtete Andreas aus seiner Vergangenheit. »Cedric wird ihn auch so mögen. Interessant sieht er jedenfalls aus. Ich hoffe, die Sandwiches reichen aus?« Andreas blickte auf den Teller. Für ein keines Lunch reichte die Menge allemal aus. »Natürlich, Mrs Sanches. Der Brunch war ja umfangreich. Wie läuft es in der Küche?« »Oh, wir haben einige Rezepte ausgetauscht. Ich muss sagen, Ihre Großeltern haben wirklich eine feine Sammlung. Luise gab mir noch einige Rezepte von sehr köstlichen Pralinen. Dafür wollte sie mein spezielles Rezept für Scones.« Andreas lächelte. »Sie sind auch wirklich köstlich. Sie verfeinern diese mit Rum.« »Sie wissen davon? Ja, vor dem Backen gebe ich einen Löffel Jamaikarum hinzu. Keine Angst, der Alkohol verdunstet. Das Aroma bleibt und gibt den Scones eine besondere Note.« Andreas zog seine Augenbrauen bewundernd etwas in die Höhe. »Darf ich auf Verschwiegenheit hoffen? Das Rezept ist seit Generationen ein Familiengeheimnis.« »Welch eine Frage. Ich habe mich in London mal an Scones versucht. Es wurden bessere Butterkekse daraus.« Mrs Sanches lachte. »Ich hoffe doch, Sie machen auch weiterhin Scones für uns?« Mrs Sanches bestätigte sofort, die Küche auch für diese Köstlichkeit zu benutzen. Dann betraten die Spaziergänger den Salon. Bewundernd sahen sie das neue Arrangement. »Wow, gestern sah der Baum gewöhnlich aus. Doch heute … Wie habt ihr das so schnell geschafft?«, meinte Děda. »Wenn die Jugend etwas in die Hand nimmt … wird manchmal auch etwas daraus.« »Scherzkeks.« »Wo ist Cedric?« »Ich habe ihn in sein Bett gelegt. Während des Spaziergangs war er sehr aktiv. Als ich ihn umzog, fielen ihm seine Augen zu.« Andreas nahm es lediglich zur Kenntnis. Ein Blick auf das Babyphon bestätigte, dass es eingeschaltet war. »Die Ladies erlauben uns ein kleines Lunch. Frischer Kaffee, Tee und Sandwiches.« »Tee würde mir jetzt guttun. Nonno meinte vorhin, dass es möglicherweise Schnee geben wird.« »Ich habe mir den Wetterbericht im Netz angesehen. Es wurde eine Warnung für die Highlands herausgegeben. Fallende Temperaturen und Neuschnee bis zu einem halben Meter«, brachte Andreas seinen Großvater auf den aktuellen Stand. »Dann erlebt Cedric in seinem ersten Jahr weiße Weihnacht.« Andreas‘ Großvater setzte sich. Sein Enkel schenkte ihm einen Tee ein. »Magst du auch ein Sandwich?« »Danke. Nicht jetzt. Sag einmal, hat Cedric Probleme mit den Konsonanten?« »Nein, manchmal rutscht ihm ein Taťka heraus. Doch es ist auch einfach noch zu früh. Er lernt noch. Wichtig ist, dass ihr deutlich sprecht.« »Das haben wir schon bei deinem Vater so gehandhabt. Wo sind Paul und Ercan?« »Ich sah sie auf der Terrasse in einem Gespräch vertieft. Ercan hat gestern eine unschöne Erfahrung machen müssen. Für solche Ereignisse nimmt Paul sich für seine Familie Zeit.« »Auch für dich?« »Natürlich. Wir, also Carsten und ich, haben in euch allen gute Ratgeber. Eure Erfahrungen helfen uns, unseren Weg zu gehen. Ich denke, Cedric wird sich auch oft an euch wenden. Zumindest wünsche ich es mir.« Andreas wirkte nachdenklich. »Er wird bei uns immer auf offene Ohren treffen«, beeilte sich sein Gesprächspartner zu bestätigen. »Andreas, ich gehe jetzt mit Leon raus in den Garten. Den ganzen Vormittag im Haus mögen wir beide nicht.« »Macht nur und viel Spaß.«

Leon genoss die ruhige Runde ohne den Nachwuchs. »Mir scheint, du magst auch mal einen Gang zurück zu schalten«, meinte Carsten. Dabei ging er in ruhigem Tempo eine größere Runde. Aus Erfahrung wusste er, dass der Hund auch mal andere Eindrücke benötigte. Nicht nur den Garten. Anders als der Rest der Meute blieb Leon in Carstens Nähe. Dennoch war seine Nase aktiv dabei, die Gegend kennenzulernen. Am Haus dachte der Hund nicht, in den Teich springen zu wollen. Im Haus zog sich Leon auch zu seiner Familie zurück. »Danke, dass du dich um Leon gekümmert hast«, empfing Ercan die beiden. »Nicht der Rede wert. Ich kenne das von Arco und Max. Es muss keine wilde Verfolgungsjagd mehr sein. Leon ist Rentner. Da ist Nasenarbeit viel wichtiger. Mit seinen Söhnen und Töchtern hat er auch genug erlebt.« Ercan sah seinen Bruder an. »Dennoch hat er noch immer den Schalk im Nacken. Mama mag seine Anwesenheit im Garten. Manchmal nutzt sie sogar seine Löcher, um Pflanzen zu setzen.« »Ich war ja jetzt schon länger nicht mehr dort. Hat sich viel verändert?« »Nur Kleinigkeiten. Mama war nach dem letzten Winter traurig, dass ihre Rosen durch Schädlingsbefall ruiniert waren. Vier Wochen hat sie investiert, um den Schaden zu beheben. Leon hat sie dabei tatkräftig unterstützt. Vor allem hat er Gina daran gehindert, die neuen Beete zu zerwühlen. Du magst es nicht glauben, doch er hat sie einmal heftig gemaßregelt. Gina wusste nicht, wie ihr geschieht, als ihr Papa sie im Genick packte und schüttelte. Mit eingezogenem Schwanz macht sie sich davon. Seitdem macht sie einen Bogen um das Beet.« »Dein Hund mag eben den Garten.« »Und wie. Lediglich seinen ersten Weihnachtsbaum nutzt e,r um sein Revier zu markieren. Obwohl er seinen Hinterlauf nicht mehr richtig hebt.« »Das konnte Arco zuletzt auch nicht mehr richtig. Ich habe Arco später immer auch mal sein Hinterteil reinigen müssen. Gehört einfach dazu.« »Andrea ist jedenfalls zufrieden mit ihm. Keine gesundheitlichen Einschränkungen. Sind deine Hunde immer oben bei Cedric?« »Nein. Sie wechseln sich mittlerweile öfters ab. Der eine passt unten auf und der andere ist bei Cedric. Leon ist nicht allein, wenn er im Salon bleibt. Für Gina ist der kleine Mann noch interessant und sie bleibt dort«, schilderte Carsten aus Erfahrung der vergangenen Tage. »Ich glaube, sie nabelt sich langsam von ihrem Papa ab. Ganz etwas anderes. Was bekommt Leon zu fressen?« »Frisch zubereitet. Papa hat mir entsprechende Rezepte zusammengestellt. Wir haben es seinem Bedarf angepasst.« »Dann bediene dich bei den Zutaten für die Hunde. Wenn du etwas Spezielles benötigst, sag es einfach.« »Mach ich. Danke, Leon wird es freuen.« »Das liegt in unserem Interesse. Alle sollen sich bei uns wohlfühlen. Konntest du mit Papa sprechen?« »Ja, es tat wirklich gut. Einem gemütlichen Fest steht nichts mehr im Wege. Ich vermisse ein wenig unsere Spieleabende.« »Dem kann ich abhelfen. Da der erste Weihnachtstag auf einen Samstag fällt, haben wir ein langes Wochenende.« »Habt ihr etwas geplant?« »Nichts Besonderes. Der Weihnachtstag gehört der Familie. Am Sonntag rechne ich mit Besuchen aus der Nachbarschaft. Hier gibt es nur den einen Feiertag. Der erste Werktag nach Weihnachten ist traditionell der Boxing Day.« »Boxing Day?« »An dem Tag können Geschenke getauscht werden. Daher auch der Name.« »Machst du davon Gebrauch?« »Nein! Warum auch? Andreas‘ Geschenke sind persönliche Unikate. Komm, lass uns zu den anderen gehen. Einem Kaffee wäre ich nicht abgeneigt.«

Im Salon saßen alle in diverse Gespräche vertieft. »Guck mal, Cedric. Papa Carsten«, meinte Andreas. »Abba!«, ertönte eine fröhliche Stimme. »Möchtest du zu ihm?«, fragte Andreas. Cedric schüttelte mit seinem Kopf. »Tja, Tiger. Unser Sohn hat anderes im Sinn.« »Soll mir recht sein. Was macht er?« »Er erzählt mir, was er im Bilderbuch sieht. Eine schöne Geschichte über viele Hunde.« »Eine lebhafte Phantasie. Gefällt mir.« »Baba, Dada padsch. Eonado padsch …«, erzählte der kleine Mann weiter. »Baba. Aah …!« »Wo?« »Andreas, Cedric muss groß. ›Aah‹ bedeutet, er möchte seine Hose sauber halten. Worauf wartest du noch?«, scheuchte Carsten seinen Schatz nicht ganz ernst. Besagter beeilte sich, mit seinem Sohn zur Toilette zu kommen.

»Die wichtigsten Worte kennst du bereits. Ein cleverer kleiner Mann.« »Ich denke, es ist ihm einfach unangenehm. Mir ist es ganz recht, erspart ihm ein Wechseln seiner Kleidung.«

Wenig später kamen die beiden wieder. Cedric sah sich gut gelaunt um. »Alle Achtung, Carsten. Die Warnung kam rechtzeitig. Es ging alles gut.« »Babi sagte schon, ein cleverer kleiner Mann. Wo wir schon dabei sind: Was haltet ihr davon, für Cedric diverse Gemüsesäfte zu machen? Zum Beispiel einen Karotten-Apfel-Saft mit einem Schuss Honig«, fragte Carsten die Runde. »Für zwischendurch eine wertvolle Ergänzung. Gerade weil seine Verdauung sich etabliert. Ballaststoffe, Vitamine und so weiter. Habt ihr denn eine Saftpresse?«, fragte Nonna nach. »Ja. Eine Schublade tiefer unter dem Handmixer«, antwortete ihr Carsten. »Testen wir es einfach«, fasste Babi die Thematik zusammen. Andreas hatte den kleinen Mann auf dem Boden abgesetzt. Dieser krabbelte zu seinem Abba. An dessen Bein zupfte er. Carsten hob ihn auf. Dann setzte er ihn auf seinen Schoß. »Abba … Baba … Ah padsch …« Darauf folgte eine Zusammenfassung des kleinen Abenteuers auf Cedrics Weise. »Das hast du sehr gut gemacht. Dein Papa weiß jetzt, dass du deine Hose sauber halten willst.« »Ja, anschließend wollte er noch die Spülung sehen. Ich musste zweimal spülen«, informierte Andreas. »Doch so viel?« »Quatsch. Cedric wollte selbst einmal den Hebel betätigen. Das Geräusch samt dem Ereignis fand er abenteuerlich.« »Ich werde mir merken, dass er bei der Spülung zusehen will«, kommentierte der Papa. Auf seinem Schoß wurde es ruhiger. Dann spürte er, wie der kleine Körper sich entspannte und sich anlehnte. Andreas schmunzelte etwas. Dann nahm er Carsten ihren Sohn ab und legte ihn in sein Tagesbett. »Dann träum etwas Schönes«, meinte er dazu. »Hat er denn schon den Baum entdeckt?« »Nein, er hatte ihn stets im Rücken. Ich bin mal gespannt, was er dazu meint, wenn er diesen sieht. Veränderungen in seinem Umfeld bemerkt er jedenfalls. Was habt ihr heute Nachmittag vor?« »Wir räumen gleich noch eure Küche auf. Wir möchten kein Chaos hinterlassen«, meinte Babi. »Was meinst du, Karel? Eine Partie Dame?«, schlug Děda vor. »Gerne. Revanche für die letzten Partien«, bestätigte der Angesprochene. Andrea sah zu Stefano. »Stellina, wir waren noch gar nicht im Dorf. Ein längerer Spaziergang täte mir gut. Andreas, gibt es eine Möglichkeit, hier zu reiten?« »Bei uns habe ich noch keinen Reitverein oder Pferdehof entdecken können.« »Es gibt einen Verein«, begann Merlin, »in der Nachbargemeinde. Rund 12 Meilen entfernt. Dr. Miller und ich waren dort, einer Stute beim Fohlen zu helfen.« »So weit ist das nicht entfernt. Dürfen wir euren Wagen benutzen?«, fragte Stefano. »Nehmt den Jeep. Dann könnt ihr euch mit diesem vertraut machen«, schlug Andreas vor. »Merlin, begleitest du uns?« »Gerne«, grinste er. Daraufhin machten sich die drei auf.

»Cedric schläft. Papa, Mama! Würdet ihr euch um euren Enkel kümmern? Ich möchte mir mit Carsten einen Park ansehen. Eine Überraschungsinspektion.« »Heute?« »Das haben unangemeldete Inspektionen so an sich. Es geht darum, dass für diesen Park eine neue Gärtnerei tätig ist. Ich möchte sehen, wie sie die Herbstarbeiten ausgeführt haben.« »So ist mein Mann. Er kümmert sich auch um seine speziellen Babies. Ihr seid ja nicht allein. Leon und Gina leisten euch bei der Betreuung Gesellschaft.« »Frech sind unsere Söhne, ja. Klar lassen wir uns von Cedric bespaßen.« »Wir sind zum Dinner zurück. Salvatore, Leonardo!«

Am Tor empfing sie ihr Bodyguard in einem dezenten Coupé. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Andreas beschleunigte auf dem Motorway. »Es tut gut, mit dir und den Hunden rauszufahren. Worauf soll ich bei dem Besuch achten?« »Auf nichts Besonderes. Ich werde dir wie immer alles beschreiben. Wenn dir etwas kurios vorkommt, meldest du dich schon automatisch. Wir schlendern einfach durch den Park. Die Hunde laufen einfach begleitend mit. Sagst du James Bescheid?« Carsten wählte die Nummer der Begleitung. »James. Wir besuchen einen Public Garden. Andreas macht eine Inspektion. Wir gehen gemeinsam und lassen die Hunde sich austoben. Ich hoffe, das geht so in Ordnung.« »Kein Thema, wir sind heute zu zweit. Wir geben uns als junges Ehepaar aus. Für den Fall, dass Leonardo auf mich zukommt, machen wir eine zufällige Begegnung daraus«, tönte es aus der Freisprecheinrichtung. Danach wurde die Verbindung unterbrochen. Am Park ließ Carsten die Hunde aussteigen. Beide schüttelten sich, um anschließend ihren Herrchen zu folgen. Andreas führte seinen Gatten zu markanten Punkten. Dabei schilderte er, was er sah. »Ein schönes Arrangement«, meinte Carsten. »Ist der Boden mit gehäkseltem Holz belegt? Es duftet danach.« »Ja. Es ist Wiederverwertung von Schnittgut. Optisch gibt es einen Kontrast. Die blattlosen Sträucher werden so noch einmal in den Mittelpunkt gerückt. Sehr professionell ausgeführt.« »Ich weiß, dass in vielen Parks auf immergrüne Pflanzen gesetzt wird. Ist das hier nicht der Fall?« »Ich habe bei der Planung auf die vorhandene Aufteilung gesetzt. Der Park ist in zwei Kategorien eingeteilt. Wir sind im natürlichen Teil. Daneben gibt es den künstlerischen Part. Auch wenn ich nicht ein Freund von strengen Formen bin: Es gibt der ganzen Anlage auch etwas Verspieltes. Es ist eine hohe Kunst, Buchsbaum in Form zu schneiden und die Form später auch zu halten. Den Teil sehen wir uns später an. Ich sehe, die Sträucher wurden sehr akkurat beschnitten.« »Mit einem Überstand für Frostschäden?« »Ja. Drei Fingerbreit über dem Auge. Es sind sehr schöne Schnitte. Perfekt mit einer Schere ausgeführt.« Salvatore, so Andreas‘ Eindruck, beurteilte die Anlage mit seiner Nase. Selbst wenn er mal durch eine Rabatte lief, interessierte er sich nicht dafür, darin herumzuwühlen. Leonardo blieb bei seinen Herrchen. Dennoch sah er sich um. Als er den Baum bemerkte, der schon Merlin aufgefallen war, stürmte er los. »Es ist mir noch nie aufgefallen, Tiger. Haben unsere Hunde Jagdinstinkte?« »Unsere beiden? Nein. Apportieren liegt ihnen zwar im Blut, doch dem überwiegt ihr Spieltrieb. Warum fragst du?« »Leonardo ist gerade auf einem Baum zugestürmt, in dem ein Eichhörnchen herumkletterte.« »Da schien er wohl eher auf eine neue Bekanntschaft aus zu sein. Er beruhigt sich wieder.« So wie Carsten es erwähnte, ließ sich Leonardo schnell von seinem Bruder ablenken. Eine kleine Verfolgungsjagd begann. Langsam näherten sie sich dem künstlerischen Teil des Parks. Auch hier hatte die Gärtnerei ganze Arbeit geleistet. Die Büsche waren etwas in Form gebracht worden. Doch bei genauem Hinsehen erkannte er, dass viele junge Triebe erhalten waren. »Alle Achtung. Ich habe wohl eine gute Entscheidung getroffen. Die Buchsbäume werden im kommenden Frühjahr dicht wachsen. Ideal für Nester von Vögeln«, meinte der Landschaftsarchitekt zu seiner Entscheidung. »Und wie wurden die Schnitte ausgeführt? Motorisierte Heckenschere?« Andreas ging auf einen Busch zu und sah es sich genauer an. Die Schnitte waren glatt, keine geraspelten Kanten. »Mit einer scharfen Schere. Solide Handarbeit. Da hat sich die Gärtnerei Qualität bei der Pflege auf die Fahne geschrieben. Wenn sie so weiter machen, haben sie sicher keine Nachwuchsprobleme.« Carsten war angenehm überrascht. »Darf ich dich um deren Budget fragen?« »Bisher sind für die Pflege jährlich £ 30.000 vorgesehen. Wenn dieser Standard bestehen bleibt, könnte ich mir vorstellen, dass der Verein da nachlegt. Alles, was wir bisher gesehen haben, spricht für diese Gärtnerei.« »Du hast dir doch die Firma angesehen. Wie waren da die Angestellten?« Carsten kannte wie Andreas seine Betriebe auswählte. »Sie wissen, was und wie sie es machen müssen. Die Gärtnerei züchtet auch und verkauft diese Pflanzen im eigenen Shop. Einige Arbeiter haben Setzlinge beschnitten. Jeder Gärtner hatte sein eigenes individuelles Werkzeug. Maschinen vor allem zur Bearbeitung von Böden. Daneben auch Akku-betriebene Laubbläser. Wobei ich denke, dass diese wirklich nur im Herbst zum Einsatz kommen, wenn viel Laub anfällt.« »Was ist mit Ausbildung?« »Für diesen Auftrag wurde ein Auszubildender mit Schwerpunkt Parkpflege eingestellt. Wenn es sich herumspricht, wie qualitativ dieser Park gepflegt wird, könnte ich mir vorstellen, dass weitere lukrative Aufträge folgen werden.« Etwas weiter entfernt kam ihnen ein älteres Ehepaar entgegen. Andreas erkannte die Eigentümer. »Hallo Mr Zahradník.« »Hallo. Darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen. Sind Sie mit der neuen Gärtnerei zufrieden?« »Ja. Es ist ein gewaltiger Unterschied. Im Herbst rückten sie mit drei Gruppen an. Eine Gruppe sammelte das Laub ein und machte mehrere Haufen. Als wir nach deren Sinn fragten, bekamen wir zur Antwort, dass diese für Igel angelegt werden. Die Tiere sollen sich ansiedeln und bedürfen entsprechender Quartiere für den Winter. Es macht sich gut. Lockert den natürlichen Teil optisch auf. Die beiden anderen Gruppen teilten sich auf. Mit klassischen Heckenscheren machten sie sich daran, die Hecken und Büsche in Form zu bringen. Sie waren ganze drei Wochen jeden Tag hier. Das Schnittgut sammelten sie ein und einen Tag später verteilten sie Gehäckseltes rund um die Beete. Der Verein nahm alles wohlwollend zur Kenntnis. Sie werden das weiter beobachten. Uns ist bekannt, dass eventuell das Budget angehoben werden soll. Das jedoch wird erst im kommenden Jahr entschieden.« »Dann sind sie zufrieden?«, bemerkte zwischendurch Carsten. »Vollkommen. Es gibt sogar schon mehr Besucher. Einige haben sich wohl auch mit den Gärtnern unterhalten.« »Wenn dem so ist, hat es sich gelohnt. Bitte kontaktieren sie mich sofort, wenn Ihnen wieder etwas unstimmig vorkommt. Im Vorfeld ist es einfacher, Probleme aus dem Weg zu räumen.« »Dürfen wie Sie fragen, warum Sie heute hier sind?« »Es ist eine Inspektion. Ich mache für alle meine Projekte solche unangemeldeten Besuche. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Herbstarbeiten abgeschlossen sein sollen. Daher lag es nahe, mal nach dem Rechten zu sehen. So habe ich das auch im Vertrag verankert. Was ich bisher gesehen habe, ist dieser Park bei der Gärtnerei in guten Händen.« »Wir möchten nicht unhöflich erscheinen, doch so langsam wird es ungemütlich für unsere Generation.« »Nein, wir waren auch schon auf dem Weg zurück zu unserem Wagen. Es soll ja heute in den Abendstunden zu schneien beginnen. Da möchten wir wieder zu Hause sein. Wir wünschen Ihnen schöne Festtage.« Das Ehepaar verabschiedete sich mit dem gleichen Wunsch. Daraufhin trennten sich ihre Wege. »Sympathische Menschen. Sie meinen, was sie sagen«, fasste Carsten kurz das Gespräch zusammen. »Ja. Ich habe sie seinerzeit kennengelernt, als ich das Projekt übernommen habe. Sie hatten wirklich konkrete Vorstellungen zum Erhalt, welche mir gefielen. Ich war überrascht, als sie sich diesen Sommer meldeten. Aber was sie beobachteten, traf zu.« Carsten hatte es schon öfters erlebt, dass Andreas sich auch bei vagem Verdacht selbst ein Bild machte. Er erinnerte sich an den Tag, wo sein Gatte sich mit Merlin aufmachte. Abends berichtete ihm Andreas von den Unstimmigkeiten. Jetzt war er selbst zufrieden, dass dieses Problem aus der Welt geschaffen war. »Wo sind denn unsere beiden Begleiter?« Andreas sah sich kurz um und entdeckte die Vierbeiner dabei, sich zu jagen. »Sie toben miteinander.« Carsten nickte zufrieden. Dann hakte er sich bei Andreas ein und sie gingen in Richtung ihres Wagens. Am Ausgang beendete Carsten das Spiel der Hunde. Nach seinem Kommando kamen Leonardo und Salvatore gesittet zu ihm. Er brauchte lediglich die Hecktür des Autos aufhalten und beide sprangen begeistert hinein. Ihre erste Aktion war, den Durst zu stillen. Danach legten sie sich zufrieden ab. Freundlich bedankte sich ihr Herrchen bei ihnen. Dann schloss er die Tür. »Von unseren Beschützern habe ich nicht viel bemerkt«, stellte Andreas fest. »Sie haben sich dezent im Hintergrund gehalten. Als Ehepaar fielen sie nicht weiter auf. Selbst Leonardo hat James nicht bemerkt. Sie verstehen ihr Job. Ich denke, es wäre angebracht James, zum Feiertag einzuladen.« »Gerne, wenn er darf.« »Wir laden ihn als Bekannten ein. Damit bleibt seine Tarnung für Außenstehende bestehen.« »Er ist ein sympathischer Mann. Meine Großeltern mögen ihn. Er unterstützt ihren Paten-Plan.« »Gibt es da schon etwas Konkretes?« »Nonno vertraut da ganz auf Rachid und James. Ich denke, er will es nicht wissen. Hat auch den Vorteil, dass wir damit nicht in Verbindung gebracht werden können.« Carsten nickte nur dazu. »Sehen wir zu, dass wir unseren Stammhalter nicht zu lange warten lassen.«

Der kleine Mann vermisste seine Papas nicht wirklich. Mit Leon und Gina konnte er sich schon einige Zeit beschäftigen. Dann waren da noch seine Omas und sein Opas. Etwas irritiert war Cedric, als Luise ihm etwas an den Rücken hielt. Er versuchte das Etwas zu erhaschen. Doch Luise war schneller. »Das sieht wirklich gut an unserem Enkel aus«, meinte Paul. »Ja, es ist auch wirklich nicht einfach gewesen. Hast du schon einmal Enten gestrickt?« »Du weißt, dass ich nicht stricken kann? Doch wenn es genauso anstrengend ist wie eine Wunde zu nähen, dann kann ich es mir vorstellen.« Luise sah ihren Mann bestätigend an. »Oba. Mmh?« »Ich gucke einmal nach, ob wir noch etwas für dich haben. Magst du deiner Oma Gesellschaft leisten?« »Oma? Hihi«, meinte der kleine Mann und wandte sich Luise zu. Paul stand auf und ging in die Küche. Er musste die Zutaten zusammensuchen. Bald schon stand eine Flasche mit einem Bananenshake im Flaschenwärmer. Nachdem er die Utensilien weggeräumt hatte, ging er mit der warmen Flasche zurück in den Salon. Luise war allein. »Wo ist Cedric?« »Der kleine Mann schlummert bei Leon. Du hast zu lange gebraucht.« »Dann stelle ich die Flasche halt in den Wärmer zurück. Dann bekommt er eben später seinen Imbiss.« Paul gesellte sich zu seiner Gattin und sah ihr beim Nähen zu. »Was wird das? Für Cedric ein wenig zu groß.« »Das ist der Pullover für Carsten. Babi bat mich, die beiden Teile schon einmal zusammenzunähen.« »Ein schönes Geschenk. Das Muster gefällt mir. Etwas verspielt für einen gestandenen jungen Mann.« »Es passt zu unserem Ältesten. Diese Eigenschaft hat er sich bewahrt.« Luise schnitt einen Faden ab. »Genauso wie sein Vater.« Paul schmunzelte. Dann sah er zu Leon hinüber. Cedric hatte sich ihn als Kopfkissen ausgesucht. So als ob der Hund spürte, dass jemand ihn ansah, blinzelte er Paul an. Dann schloss er wieder seine Augen. »Sieht wirklich sehr vertraut aus, die beiden. Kannst du dich noch daran erinnern, als Ercan so krank war?« »Da war er sieben. Mumps. Der Junge hatte wirklich damit zu kämpfen.« »Ja. Da war Leon auch oft bei ihm im Bett. Ercan tat es gut. Deswegen habe ich ihn gewähren lassen.« »Ich weiß. Ich sah die viele Hundehaare auf den Kissen. Ercan brauchte einfach viel Ruhe und der Hund gab sie ihm. Der Zweck heiligt die Mittel. Leon lag ja sonst immer in seinen Kudden oder auf der Hundedecke.« »Was für eine verständnisvolle Frau und Mutter ich doch geheiratet habe.« »Wusel, unser Mischling, lag auch oft bei Carsten und Andrea im Bett, als sie noch Windeln trugen. Es hat unseren Kindern nicht geschadet. Ich denke, wir beide konnten unseren Kindern ein gesundes Verhältnis zu Tieren vermitteln. Cedric ist auf einem guten Weg, genauso respektvoll zu Tieren zu sein, ohne diese zu vermenschlichen.« Paul sah erstaunt seine Luise an. »Ich dachte, ich sei in unserer Familie der große Tierexperte. Doch neben dir bin ich nur ein Mediziner.« Luise freute sich über dieses versteckte Kompliment. Dann bat sie Paul, den halbfertigen Pullover wieder in den Nähkorb zu legen. Anschließend half er ihr, aus einem der Wollgarben ein festes Keul zu wickeln. Charaid schlich durch die Tür. Sah sich kurz um und ging zu den Kudden. Dabei stieg er vorsichtig über Cedric hinweg. Leon sah den kleinen Kater argwöhnisch an. Eine kleine Bewegung weckte Cedric. Der kleine Mann erblickte Charaid und freute sich. Mit seinen kleinen Händen versuchte er, die Katze zu erreichen. Paul vernahm ein leichtes Knurren des Hundes. Sofort blieb Charaid stehen und analysierte die Situation. »Dada! Mau ieb.«, kommentierte Cedric bestimmt. Dabei streichelte er die Katze. Leon und Charaid entspannten sich wieder. Mutig ging der Kater auf den Hund zu uns schubste ihn vorsichtig mit seiner Nase an. Gelassen nahm Leon die freundliche Geste wahr und leckte den Kater mit spitzer Zunge. »Was sagte ich vorhin? Cedric ist Herr der Situation«, analysierte Luise das Geschehen. »In dem kleinen Gentleman stecken ungeahnte Talente. Er könnte für den Friedensnobelpreis nominiert werden.« »Oba, mmh!«, meinte der kleine Mann, nachdem er seinen Opa erkannte. Wenig später saßen die Männer neben Luise. Die Flasche halten und nuckeln machte Cedric wirklich gut. Diese Situation weckte in Paul Erinnerungen: Carsten, Andrea und später Ercan. Luise schmunzelte über diesen verträumten Blick ihres Mannes.

Andreas wollte nach Hause. Carsten schlief neben ihm. Leonardo und Salvatore lagen ruhig in ihrem Kennel. Die leise Musik aus dem Radio tat ihr Übriges dazu. Es blitzte auf. »Shit!«, fluchte er. »Was ist passiert?«, fragte Carsten etwas benommen. »Ich glaube, ich habe mir gerade ein Knöllchen eingefangen.« »Schatz, das passiert nun mal. Ist das ein Weltuntergang?« »Nein, es ist schade um das Bußgeld. Dafür hätten wir eine Familienportion Eis und zwei schöne Kauknochen bekommen«, nahm Andreas es mit Humor. »Es ist mein drittes Knöllchen wegen zu schnellem Fahren hier in Schottland.« Hinter ihnen blinkte es plötzlich blau auf. Andreas fuhr den nächsten sicheren Platz am Straßenrand an. Der Polizeiwagen folgte ihnen. »Guten Abend, die Herren. Sie waren vorhin etwas schnell unterwegs. Dürfte ich bitte Ihren Führerschein und die Versicherungskarte sehen?« Andreas übergab ihnen die gewünschten Dokumente. Derweil hielt hinter dem Polizeiwagen ein weiterer Wagen. Ein junger Mann stieg umsichtig aus und trat an das Polizeiauto. Er wies sich gegenüber den zweiten Streifenbeamten aus. »Mr Muller? Warum ist ein Angestellter ihrer Majestät an diese Herren interessiert?«, fragte die Beamtin. »Ihrer Majestät ist an dem Wohlergehen dieser Herren und ihrer Familie gelegen.« »Dennoch sind sie etwas zu schnell unterwegs gewesen.« »Ich weiß. Worum ich sie bitten möchte: diese Kontrolle so zügig wie möglich abzuschließen. In der Vergangenheit haben Mr Zahradník und Mr Von Feldbach ihre Bußgelder umgehend beglichen. Sie stehen dazu, für ihre Verfehlungen geradezustehen.« Die Beamtin nahm es zur Kenntnis. Dann griff sie zum Funkgerät. »Alex? Wenn die Papiere in Ordnung sind, wir haben die Daten und stellen einen Bußgeldbescheid aus. Beenden wir die Kontrolle.« James nahm es zur Kenntnis. Er verabschiedete sich und begab sich zu seinem Wagen.

Wenig später war die Kontrolle beendet. »Was war denn das?«, fragte Alex seine Kollegin. »Die Herren stehen unter dem Schutz der NCA.« »Also verschwindet der Strafzettel.« »Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Herren stehen zu ihren Fehlern. Die NCA wollte nur, dass die Kontrolle zügig beendet wird. Der Name von Feldbach sagt mir irgendwas.« »Der spektakuläre Unfall vor einigen Wochen. Wo die Fahrerin in die Leitplanke gefahren ist, um den Wagen unter Kontrolle zu bringen. Das war die Mutter von einem der Herren. So ein Manöver traut sich nicht jeder zu. Der Kollege aus Edinburgh erzählte mir, dass sie früher wohl mal Rallye gefahren ist.« »Das erklärt wohl alles.« »Hier sind seine Daten. Überprüfst du die mal?« Die Kollegin nahm ihr Datenpanel und gab die Daten ein. Es dauert einige Minuten, bis auf dem kleinen Display die Angaben bestätig wurden. »Nicht schlecht. Herr Zahradník hat alle seinen Strafzettel umgehend beglichen. Laut Unterlagen hat er vier Punkte.« »Fahrverbote?« »Nein, das Bezirksgericht hat ihn davon ausgenommen. Sein Beifahrer ist blind und auf ihn angewiesen.« »Solche Menschen machen uns das Leben einfacher.« »Hey, der SUV dort ist schlecht beleuchtet. Lass uns unsere Arbeit machen«, beendete die Beamtin die Diskussion. Alex schnallte sich an und fuhr los.

»Das war aber eine schnelle Kontrolle.« »Ich sah James am Polizeiwagen. Möglich, dass er die Prozedur beschleunigte«, meinte Andreas. »Die Strafe zahlen wir aber doch? Ich möchte nicht, dass wir anderes behandelt werden.« »Nein. Bisher habe ich alle Bußgelder bezahlt. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich habe einen Fehler gemacht und dafür stehe ich auch gerade. Rachid hin oder her. Obendrein möchte ich auch für Cedric ein Vorbild sein. Wie kann ich bei einer Verfehlung ihm in die Augen sehen, wenn ich mich selbst davonstehle?« »Gut. Wie lange brauchen wir noch?« »Noch eine halbe Stunde. Die Hunde schlafen wohl noch.«

Am Eingangstor blinkte es nur kurz hinter Andreas auf. Er wusste, dass ihre Bodyguards sich verabschiedeten. »Bereit für Cedric?« »Immer. Seit er auf unserem Küchentisch lag. Der Junge fordert mich und ich finde das gut. Jetzt, wo er mobil wird, lerne ich wohl die Sorgen von Eltern kennen.« »Glaubst du, er hat uns heute vermisst?« Carsten schüttelte seinen Kopf. »Eher nein. Luise und Paul wissen, worauf es ankommt. Dann ist da noch Leon. Hunde haben eine anziehende Wirkung auf unseren Sohn. Leonardo, Salvatore, auf, genug geschlafen! Cedric wartet auf euch beiden Clowns.« Die letzten Worte wirkten. Schneller als Andreas ihnen folgen konnte, flitzen sie durch den Porch ins Haus. »Cedric scheint ihr Koffein zu sein«, meinte er zu dem Benehmen. »Also gesünder kann ein Aufputschmittel nicht sein. Komm, folgen wir ihnen.«

Im Salon wurden die Hunde freudig von Cedric mit ›Dada!‹ empfangen. Paul setzte seinen Enkel auf dem Boden ab. Beide Hunde wuselten um ihn herum. Daran schienen die Hunde Gefallen zu haben. Sie spielten mit dem kleinen Mann. Ließen sich streicheln und balgten ein wenig. »Na, wie war euer Nachmittag mit Cedric?« »Gemütlich. Unser Enkel ist wirklich ein selbstbewusster Mann. Leon und Charaid waren sich nicht ganz geheuer. Da hat Cedric ein Machtwort gesprochen und nun kuscheln die beiden.« »Salvatore hatte schon immer einen guten Draht zu ihm. Leonardo zeigt ihm, mit Schwierigkeiten souverän umzugehen. Dann spielen sie unheimlich gern miteinander. Cedric lernte von beiden, dass Tiere auch Zeit zum Relaxen brauchen. Wenn sie sich zurückziehen, ist er nicht traurig. Dafür wird dann nach der Siesta ordentlich getobt.« »Das machen sie jetzt auch. Wie war es im Park?« »Es ist alles in Ordnung. Die ganze Anlage ist jetzt im Wintermodus. Im Sommer gab es Probleme und ich kündigte der alten Gärtnerei. Meine Entscheidung fiel auf eine regionale Gärtnerei. Im Vertrag habe ich ausdrücklich auf fachliche Arbeit bestanden. Der Inhaber hat mit diesem Auftrag auch einen Auszubildenden eingestellt. Selbst Carsten fand die ausgeführten Tätigkeiten sauber ausgeführt. In einem kurzen Gespräch mit den Inhabern bestätigten sie mir ihre Zufriedenheit.« »Du hast oft mit den Gärtnereien zu kämpfen?« »Mittlerweile weniger, Luise. Wenn mein Name fällt, wissen die meisten Gärtnereien, was ich verlange. Ich sehe mir die Betriebe persönlich an. Spreche mit den Angestellten. Ich erwähne ausdrücklich, dass ich persönlich Inspektionen durchführe. Das allein filtert schon die seriösen Betriebe heraus.« »Was ist mit kleineren Betrieben?« »Wenn sie sich den Anforderungen gewachsen sehen, warum sollte ich sie außen vorlassen? Die Gärtnerei Hill ist ein kleiner Familienbetrieb. Sie pflegen unseren Park mehr als zufriedenstellend. Sie bekamen auch den Auftrag für den Spielplatz. Mr Hill berät seine Kunden sehr ausführlich. Ich habe mir bei ihm zum Park in Frankreich Rat geholt. Er hat Erfahrung.« »Das macht eine gute Gärtnerei wohl aus«, schloss sich Luise der Ausführung an. »Oba iih!«, rief Cedric dazwischen. Paul erhob sich, doch Carsten war schneller. »Bist du auch mit deinem Abba zufrieden?« »Abba iih!«, wiederholte der kleine Gentleman. Der Papa beeilte sich. Es dauerte etwas, bis beide wiederkamen. »War es so viel?« »Nein. Wir waren gerade soweit, da änderte Cedric sein Bedürfnis in ›aah‹! Nachdem er seine Geschäfte erledigt hatte, wollte er noch beim Spülen zusehen. Ich denke, er selbst war mit dem Ergebnis sehr zufrieden.« Damit das Thema nicht weiter vertieft wurde, lenkte Carsten die Aufmerksamkeit seines Sohnes auf die neue Dekoration im Raum. Dem kleinen Mann entwich ein erstauntes ›Ohh‹. »Du erkennst deinen Baum wieder? Andrea hat ihn geschmückt.« Carsten ging mit seinem Sohn zum Baum. Cedric sah den vielen Baumschmuck genau an. Mit seinen Fingern stieß er einige Dinge an. Das Wackeln brachte ihn zum Nachdenken. In seiner Sprache fragte er seinen Papa. Carsten ließ sich von seinem Sohn die Gegenstände zeigen. Er tastete die Figur ab und berichtete, was er fühlte. Cedric hörte dem genau zu. Dann erhaschte er einen Tannenzapfen aus Holz. Mit einem kleinen Ruck gab das dünne Bändchen nach. »Abba putt?« Dabei gab er den Tannenzapfen seinem Papa. »Nein, Cedric. Der Tannenzapfen ist nicht kaputt. Das können wir gemeinsam wieder reparieren.« Carsten ging mit Cedric zur Sitzgruppe. Dort empfing sie Andreas, der die Situation beobachtet hatte. Aus dem Nähkorb nahm er ein Stück Zwirn. Cedric zeigte er, wie er den Faden durch eine kleine Öse führte. Dann machte er einen Knoten in die Enden. Anschließend gingen die drei zu dem Baum, wo Andreas den Tannenzapfen wieder an einen Ast hängte. »Baba, da!« Cedric zeigte auf eine freie Stelle. Andreas tat ihm den Gefallen. Er hängte den Tannenzapfen an besagter Stelle auf. »Baba, Abba good«, freute sich der kleine Mann. Von seinen Vätern bekam er einen Kuss. »Siehst du. Alles wieder repariert. Wie neu.« Dann entdeckte Cedric eine neue Figur. Carsten hatte etwas Mühe, seinen Sohn auf dem Arm zu halten. »Abba, Dada!« Andreas nahm den kleinen Hund vom Baum. Als Cedric die Figur in den Händen hielt, betrachtete er sie. »Dada nich Leoado, Avatore!«, stellte er fest. »Nein, dein kleiner Hund ist weder Leonardo noch Salvatore. Das hast du sehr gut erkannt.« Andreas sah, wie Cedric einen Schmollmund zog. Plötzlich meinte er ›Da‹ und übergab den Hund an Andreas. Sein Papa hängte die Figur wieder auf. Cedric schien zufrieden zu sein.

Gemeinsam mit Luise bereitete Andreas ein einfaches Abendessen zu. Nachdem sich alle daran Genüge getan hatten, galt es, den Spieleabend vorzubereiten. Die Urgroßeltern spielten Monopoly. Den Geräuschen nach zu urteilen, kamen sie auf ihren Spaß. Paul, Luise und die kleine Familie spielten Pair (Memory). Ercan, Andrea, Stefano und Merlin vergnügten sich mit Ludo. Wobei Merlin seine Gegner immer gut in Schach hielt.

Cedric hatte mit seinen Papas gute Chancen. Bald schon lag ein kleiner Stapel vor ihnen. Carsten beschlich das Gefühl, dass seine Eltern etwas schummelten. Sie spielten ihrem Enkel in die Hände. Andreas bemerkte, wie Cedric langsam müde wurde. Als dieser sich an Carsten anlehnte, war es soweit. Andreas brachte den kleinen Gewinner ins Bett.

Als er wieder in den Salon kam, war Carsten gegangen. »Carsten ist mit den Hunden raus. Da Leon schon mit uns im Garten war, macht er mit ihnen eine längere Runde«, informierte Paul. »Ist schon gut. Danke, dass ihr Cedric zu einem positiven Erlebnis verholfen habt. Dennoch wird er auch mal Enttäuschungen erfahren müssen.« »Später. Als Großeltern dürfen wir schummeln. Jetzt ist es wichtig, ihn zu fördern«, schmunzelte Luise schelmisch. »Er ist aber auch schon ganz schön aufmerksam bei der Sache.« Andreas ging zur Bar. »Darf ich euch etwas anbieten?« »Du sagtest mal etwas von einem besonderen Single Malt.« Andreas nahm ein Glas und schenkte Paul ein. Auf Italienisch fragte Nonno nach einem Wein. Dem Wunsch schlossen sich auch die anderen an.

Als die Hunde sich zu ihnen gesellten, wurden sie noch einmal geknuddelt. Salvatore und Gina machten sich rar. »Passt gut auf euren kleinen Mann auf«, meinte Andreas hinter ihnen her. Leonardo schlich zu seiner Kudde. Einmal drum herum gehen, um sich anschließend zu seinem Papa zu legen. »Möchtest du auch noch etwas?«, fragte ihn Andreas. »Lediglich noch eine Tasse Kaffee. Es hat begonnen zu schneien. Die Hunde waren ganz verrückt.« »So oft durften unsere beiden die weiße Pracht nicht erleben. Dann wird morgen Cedric auch eine neue Welt erleben. Ich bin einmal gespannt, wie er es findet.«

So langsam wurde es ruhiger im Salon. Die jüngere Generation kürte Merlin als Sieger ihres Gesellschaftsspiels. »Wie war es heute Nachmittag beim Reiten?«, fragte Carsten seine Schwester. »Wunderbar. Ich kenne zwar beruflich schon Kaltblüter. Aber noch nie habe ich ein Shire Horse reiten dürfen.« »Da sagst du etwas. Das Tier war schon sehr groß. Ich frage mich noch immer, wie du da aufsteigen konntest«, kommentierte Stefano die Situation. »Ich bin halt sehr gelenkig«, konterte seine Angetraute zurück. »Jedenfalls tat es mir und dem Tier gut, eine relaxte Runde zu reiten.« »Wozu hatten die denn so ein Pferd?«, hakte Paul nach.« »Du wirst es nicht glauben, doch das Pferd wird im Wald zum Bäume rücken eingesetzt. Das Gelände ist für Maschinen schwer zugänglich. So wie mir der Besitzer mitteilte, liebt das Pferd diese Arbeit.« Paul gab sich mit dieser Auskunft zufrieden. »Mir genügte ein sanfter Araber. Beim Trab zeigte er doch Temperament. Er hielt beim Trockenreiben und Striegeln jedoch still.« »Und du, Merlin?« »Ich fühle mich auf einem Pferd nicht wohl. Ich sah einfach nur zu.« »Wenn du regelmäßiger reitest, gibt sich das. Reiten ist eine Sache des Trainings. Du hättest mal Andrea bei der Military sehen sollen. Ihr Pferd sprang über eine zwei Meter hohe Hecke. Da braucht es nicht nur Vertrauen zum Tier, sondern sicherern Halt auf dem Pferd. Das erreichte sie nur durch regelmäßiges Üben«, meinte Paul zuversichtlich. Merlin nickte lediglich. Vielleicht wäre es ein Hobby, wenn er mehr Zeit dafür hat. »Es ist spät. Paul, kommst du mit?«, machte Luise ihre Absicht kund. Ihr Gatte hatte dabei nicht wirklich eine Wahl. Denn wegen ihres Bruchs benötigte sie seine Hilfe. Aber auch die restlichen Familienmitglieder meinten, langsam müde zu sein.

Andreas und Carsten blieben noch etwas. Gemütlich auf dem Zweisitzer, ließen sie den Tag noch einmal Revue passieren. Ein Geräusch aus dem Babyphon ließ sie dann aber auch sich zurückzuziehen.

Am folgenden Morgen war es Cedric, der die jungen Väter mit Geräuschen aus dem Babyphon weckte. »Ich sehe mal nach, was Cedric so macht«, meinte Andreas schlicht, nachdem Carsten ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss auf Touren gebracht hatte. »Mach nur. Ich ziehe mir etwas über und lasse die Hunde schon mal in den Garten. Mal testen, wieviel Schnee liegen geblieben ist.« »Weniger als ein halber Meter. Zumindest, was ich aus dem Fenster sehe. Es schneit gerade nicht. Später werde ich die Zufahrt räumen.« »Mach das. Die Hunde werden sich jedenfalls schon mal austoben.«

Cedric war schon dabei, seinem Teddy etwas zu erzählen. Neben ihm lag Charaid eingerollt. Genoss die Bettwärme. »Baba!«, rief der kleine Gentleman, als er seinen Papa Andreas sah. »Guten Morgen, Cedric. Du bist ja schon richtig munter. Du hast deinem Teddy und Charaid von deinen Träumen erzählt?« »Da …« Daraufhin folgte ein Wortschwall. Cedric war in seinem Element. Den Teddy ließ er los und robbte Andreas entgegen. Der junge Vater nahm den kleinen Mann aus seinem Bett. Die Bartstoppeln kitzelten bei dem Guten-Morgen-Kuss. Das musste Cedric anschließend genauer mit seinen Händen untersuchen. Immer wieder patschte eine kleine Hand in sein Gesicht. Andreas nahm diese Herausforderung an. Irgendwann hatte er kleine Finger sanft mit seinen Lippen geschnappt. Verdutzt sah in Cedric an. Daraufhin giggelte er. »Ich denke, du willst deine Windel loswerden. Magst du baden?« Die kleine Mimik wurde fragend. Dann legte Andreas Cedric auf dem Wickeltisch ab. Jetzt klärte sich das Fragezeichen auf und Cedric wusste, was anstand. »Padsch?« »Natürlich. Und deine Ente wird auch baden.«

Carsten stand am Fuß der Treppe. Er rief lediglich ›Gassi‹. Das Wort reichte aus und vier Hunde standen bei ihm. Gemeinsam gingen sie zum Porch. Nachdem er die Alarmanlage deaktiviert hatte, öffnete er die Tür. Seine vierbeinigen Begleiter zögerten einen Moment, um dann mit viel Elan in die weiße Pracht zu stürmen. Carsten nahm es wohlwollend zur Kenntnis. Danach ging er zur Küche. »Morgen, Carsten«, begrüßte in Merlin. »Morgen, hast du nicht schlafen können?« »Doch, ich bin noch nicht so lange auf. Ich habe Kaffee gemacht. Wir haben dreißig Zentimeter Neuschnee.« »Andreas wird später die Zufahrt räumen wollen.« »Macht er das mit der Hand?« »Nein, er nimmt den kleinen Rasentraktor. Man kann eine Schneefräse anbauen. Mit der Hand würde es wohl den ganzen Tag dauern. Er macht auch nur die Zufahrt. Alle anderen Wege lassen wir in Ruhe.« »Hast du keine Angst auszurutschen?« »Nicht wirklich. Ich gehe halt langsamer. Bei meinen Eltern gab es oft bis zu einen Meter Schnee. Da hatte ich ausreichend Möglichkeiten. Darf ich mich an dem Kaffee bedienen?« »Mach nur.« Merlin sah, wie sich Carsten eine Tasse holte und sich einschenkte. »Stört es dich, wenn ich die Tür öffne?« »Wenn es dir nichts ausmacht? Die Hunde könnten dann Schnee in die Küche tragen.« »Und?! Du magst es nicht glauben, doch ich kann auch saubermachen. Der Boden ist gefliest. Mit einem Mopp sind die Pfützen schnell beseitigt.« »Was kannst du nicht?« »Autofahren«, lautete die trockene Antwort. Merlin lachte. Dann ertönte ein lautes ›Uii Abba! Erlin!‹ von der Tür her. Carsten nahm Cedric in Empfang und gab ihm einen Kuss. Auch hier kitzelten die Bartstoppeln. Das wollte Cedric erst noch untersuchen. Mit seiner Hand strich er sanft über Carstens Wange. Dann war es soweit. Mit einem ›Ouä‹ machte er seinem Unmut Luft, langsam etwas essen zu wollen. Carsten nahm die kleine Hand. Streichelte diese. »Cedric, nicht so ungeduldig. Dein Papa macht dir schon etwas. Es braucht halt etwas Zeit.« »Gefällt dir ein Hafer-Bananen-Brei?« Keiner der Erwachsenen glaubte, dass Cedric das verstanden hat. Doch seine Zustimmung bezeugte er durch ein ›Jam mmh‹. »Dann gibt es dieses köstliche Gericht nach einem Rezept deiner Uroma.« »Ich hole mal die Hunde wieder herein«, bot Merlin an. »Dann machen wir beide mal das Essen für die Hunde. Du hilfst mir doch dabei?«

Carsten setzte Cedric auf die Anrichte. Anschließend stellte er die sauberen Näpfe darauf. Aus dem Kühlschrank holte er die benötigten Zutaten. Cedric sah ihm schweigend zu. Als er sah, wie sein Abba aus einer Dose etwas auf die Waage legte, wollte er doch wissen, was da passierte. »Ich wiege das Fleisch. Siehst du? Die Waage sagt, mir wieviel ich daraufgelegt habe. Da gibt es auch eine Anzeige.« Dabei tastete er die Waage ab, bis er das Display fühlte. »Hier siehst du eine Zahl.« Einen Moment später fühlte er einen kleinen Finger. Cedric giggelte. »Das Fleisch fülle ich in den Napf.« Diese Prozedur wiederholte Carsten mit diversen Zutaten. Cedric immer ganz genau hinsehend. Als Carsten zuletzt noch Getreideflocken über die Näpfe streute, erinnerte es wohl Cedric an sein eigenes Frühstück. »Baba, Jam mmh?« »Dein Frühstück ist fertig«, unterrichtete Andreas. Dann trafen auch weitere Gäste ein. »Morgen. Carsten, darf ich das Futter für Leon und Gina zubereiten?« »Mach nur, Ercan. Die Zutaten stehen noch auf der Anrichte. Weitere sind im Kühlschrank. Könntest du auch für Charaid Futter zubereiten?« »Ich kenne mich damit nicht aus.« »Im Prinzip das gleiche wie für Gina, nur keine Ballaststoffe. 100g sollten ausreichen. Du machst das schon. Merlin ist dabei, die Hunde von ihrer ersten Runde zu holen. Ich denke, es gibt viel trockenzureiben.« »Oh ja. Ich sah die Bande im Garten toben. Selbst Leon kann sich dem vielen Schnee nicht verwehren. Gina war ganz weiß.«

Merlin war dabei, Handtücher in den feuchten Zustand zu versetzen. Nach einer Viertelstunde war es geschafft. »Ich hoffe, es hat euch allen Spaß gemacht.« Leon leckte ihm zustimmend die Hand. Dann gingen sie ins Haus. In der Küche standen fünf fertige Näpfe auf der Anrichte. Lediglich Gina interessierte sich dafür. Die Rüden bedienten sich an ihren Wassernäpfen. Ercan gab der kleinen Dame ein Kommando, daraufhin trollte sie sich zu ihrem Papa. »Abba, Dada mmh?« »Gleich. Erst stellen wir die Näpfe auf den Boden. Dann darfst du das Kommando geben.« Andreas und Ercan beeilten sich, die hungrige Meute zu versorgen. »So. Nun, Cedric, die Hunde warten.« »Dada! Jam«, meinte der kleine Mann, nicht ganz korrekt. Carsten gab ein kleines Zeichen und die Hunde machten sich über ihre Rationen her. »Baba? Mau?« »Charaid frisst auch noch seine Ration. Weißt du, Katzen haben ihren eigenen Kopf. Er entscheidet, wann seine Zeit zum Fressen ist.« Andreas sah den kleinen Mann das Gesagte verarbeiten. Dann lachte er. »Baba, Jam mmh?« »Klar, jetzt bist auch du dran.« Am Tisch tranken die großen Herren Tee oder Kaffee. Der kleine Herr bekam seinen Brei. Andreas hatte ihn dazu in seinen Kinderstuhl gesetzt. Die Schale mit dem Brei vor ihm. Mit etwas Unterstützung seitens seines Papas löffelte er kleine Portionen in seinen Mund. Andreas und Carsten lobten ihn dafür. Eine kleine Bewegung an der Tür lenkte ihn einen Augenblick ab. »Allo Mau!«, begrüßte er den Kater. Dann widmete er sich seinem Frühstück. »Guten Morgen zusammen. Andreas, darf ich einen Kaffee haben?« »Papa, bediene dich. Darfst du denn schon wieder Kaffee trinken?«, fragte Carsten nach. »Ich war vorletzte Woche bei Dr. Peters. Meine Werte haben sich soweit stabilisiert. Ich muss zwar noch meine Diät einhalten, doch gab er mir für mäßigen Kaffeekonsum sein Okay. Ich vermisse meinen Morgenkaffee, um richtig wach zu werden. Ansonsten begnüge ich mich mit Tee.« Andreas zuckte lediglich mit seinen Schultern. Paul hatte medizinisches Hintergrundwissen. Übertreiben würde er es sicher nicht. Paul schenkte sich eine dreiviertel Tasse Kaffee ein. Gegen jede Gewohnheit dazu etwas Milch. Jeder am Tisch konnte wahrnehmen, wie er das Getränk genoss.

»Carsten, hast du etwas im Studio vor, sons würde ich gern dort nach dem Frühstück hingehen?« »Nein, das Studio ist frei. Benötigst du den Computer für Aufnahmen?« »Nein. Ich möchte nur ungestört üben.«

Nach dem Frühstück zog er sich in den besagten Bereich zurück. Paul war von der Einrichtung fasziniert. Er hatte den Raum schon beim Einzug kennengelernt. Damals fand er es einfach übertrieben. Seine Meinung änderte sich beim Betreten. Es war still. Keine störenden Geräusche drangen von außen ein. Die Einrichtung war spartanisch: E-Piano, Mikrofone, halbhohe Hocker. Einen davon rückte er ins Zentrum des Raumes. Dann packte er seine Gitarre aus. Das Instrument klang leicht verstimmt. Ganz nach seinem Gefühl justierte er nach. Zum Abschluss testete er die Harmonien mit einer Stimmgabel. Zufrieden begann er einige Akkorde zu spielen. Dabei merkte er, dass er schon längere Zeit nicht mehr gespielt hatte. Seine Finger fühlten sich steif an. Deswegen begann er mit typischen Fingerübungen. Nach einer halben Stunde begann er mit einfachen Stücken. Langsam steigerte er den Schwierigkeitsgrad.

Durch die Scheibe sah er Merlin im Vorraum. Ihm winkte er. »Komm ruhig rein. Carsten sagte mir, du spielst ebenfalls Gitarre?« »Ja. Spielst du schon lange?« »Wie man es nimmt. Eigentlich habe ich Gitarre aus einer Notwendigkeit gelernt, als ich mit dem Studium begonnen habe.« Dabei betrachtete er seine langen, schlanken Finger. »Mein Professor meinte damals, dass meine Finger recht steif seien, um Kleintiere sensibel abzutasten. Das Gitarrenspielen fördert nicht nur die Beweglichkeit der Finger. Es trainiert den ganzen Handapparat. Mir kam es beruflich zugute. Mit meinem Tastsinn erstelle ich sehr gute Diagnosen, ohne auf teure Untersuchungsmethoden zurückgreifen zu müssen. Mittlerweile spiele ich sehr gerne Gitarre. Es macht einfach Spaß, mit meiner Familie Musik zu machen.« »Darf ich mal etwas hören?« Paul brachte sich in Position und spielte ein typischen Country Sound. Danach wechselte er zu einem Flamenco. »Merlin, Lust, mit einem alten Mann etwas gemeinsam zu spielen?« »Ich weiß nicht. Ich bin doch noch Anfänger.« »Als Carsten mit dem Klavierspiel begonnen hat, waren Tonleiterspielen alltäglich. Ich gebe es nur ungern zu, doch so manches Mal ging es mir gehörig auf den Senkel. Heute würde mein Sohn sagen: Nur ein Instrument zu betrachten bringt nicht viel. Du lernst Gitarre spielen nur, wenn du es tatsächlich machst. Es gibt keine falschen Töne. Komm, lass uns ein paar Duette spielen.«

Der Junge holte sein Instrument. Nach dem Stimmen spielten sie einfache Stücke. Paul nahm sich die Freiheit heraus, auch einige Griffe des Jungen zu korrigieren.

Ganz in ihrem Element bemerkten sie nicht, wie Cedric und Carsten den Vorraum betraten. Dieser schaltete das Mischpult ein und sie hörten einfach zu, was sich im Studio so tat. In seinem Vater steckte ein guter Mentor. »Das war sehr gut. Du kennst die wichtigsten Akkorde. Ich habe hier Noten mit den Akkordbezeichnungen. Spiel vom Blatt die erste Stimme. Ich übernehme die zweite.«

Während beide Musiker noch einmal ihre Instrumente aufeinander abstimmten, justierte Carsten die Mikrofone im Studio für eine Aufnahme ein. »Abba?«, fragte Cedric nach. »Es ist zwar nicht gerade die feine Art, doch ich möchte eine Aufnahme von den beiden im Studio machen. Du wirst es hören, wie gut die beiden sind.«

Dann begann Merlin mit den ersten Akkorden. Brach aber ab, als er merkte, sich vertan zu haben. Konzentriert begann er von neuem. Carsten lächelte. ›Zorba the Greek‹ war sicher nicht das einfachste Duett. Einige Fehler bügelte Paul geschickt mit der zweiten Stimme aus. Als Musikdozent hörte er, wie sich Merlin auf die Musik einließ. Dann wurde das Tempo schneller. Irgendwann kam Merlin nicht mehr mit und beendete seinen Part. Nicht nur im Studio wurde gelacht. Cedric begann zu giggeln und klatschte etwas. »Siehst du. Merlin und dein Opa haben wirklich Gefühl für ihr Instrument. Es hat dir also gefallen?« »Oba, Erlin good«, kommentierte Cedric das Gehörte. Dann schaltete Carsten die Studiolautsprecher ein. »Das war wirklich sehr gut, Merlin. Wir haben eine Aufnahme gemacht.« Im Studio erschraken die Musiker ob der plötzlichen Stimme. »Carsten? Seit wann bist du da?« »Erst ein paar Minuten. Rechtzeitig, um den Song aufzunehmen. Cedric wollte wissen, wo sein Opa und Merlin sind. Ihr seid uns doch nicht böse? Wir können sie auch wieder löschen.« »Warte, lass uns einmal das Ergebnis hören.« Carsten ließ die Aufnahme abfahren. Im Studio klang es noch einmal anders als im Vorraum. Dann meldete sich Merlin zu Wort. »Nein, konserviere den Song. Es klingt wirklich gut.« »Junge, wo du schon mal am Pult sitzt, kannst du mir auch eine Aufnahme machen? Ich habe da eine Idee.« »Du kannst anfangen, die Aufnahme läuft.«

Paul konzentrierte sich kurz. Dann begann er mit einem besonderen Stück. Merlin hätte es nicht geglaubt, doch er war live dabei, wie Paul auf seiner Gitarre einen Tango spielte. Der Mann ihm gegenüber malte mit seiner akustischen Gitarre ein Bild aus einem fernen Land. Cedric hüpfte auf dem Schoß seines Papas im Takt auf und ab. »Wow. Das hat mir sehr gefallen. Wie lange hast du dafür geübt?« »Ich lernte mit dem Instrument zu experimentieren. Immer nur das einschlägige Repertoire zu spielen ist etwas eintönig.« An Carsten gewandt: »Darf ich die Aufnahme mal hören?« »Ein Augenblick noch. So, fertig.« Im Studio ertönte der Tango. Jedoch war nicht nur die Gitarre zu hören. Carsten hatte entsprechend auch andere Instrumente beigemischt, ohne den ursprünglichen Charakter zu verändern. Das Ergebnis beeindruckte auch Paul. »Darf ich es so speichern?«, fragte Carsten nach der Vorführung. »Ja, deine Mutter wird es mögen. Ich denke, das war für heute genug geübt.« Paul stand auf. Er verstaute sein Instrument im Koffer. Auch Merlin legte seine Gitarre beiseite. »Darf ich später noch etwas üben?« »Wenn du magst. Wir anderen möchten heute nach dem Dinner etwas spielen.« »Opa, Erlin bing bing. Hihi«, meinte Cedric plötzlich. »Stimmt, das hast du gut gesehen. Merlin und Opa spielen Gitarre. Dir hat es gefallen«, bestätigte Carsten seinen Sohn. »Wollen wir einmal nachsehen, was Leonardo und Salvatore so machen?« »Dada? Ja.« Carsten schaltete das Mischpult aus. Er nahm Cedric auf den Arm und ging mit ihm zurück zum Salon. Die Hunde vermissten ihren kleinen Schützling bereits. Flink wuselten sie um Carsten herum. »Dada! Eonado. Avatore hi!« Carsten setzte seinen kleinen Mann ab. Dieser krabbelte zu seinen Beschützern. Dann begann er zu erzählen, was er alles erlebt hatte. Carsten hörte ihm gern dabei zu. Zumal sich immer mehr Konsonanten in seiner Aussprache wiederfanden. »Hat Paul die Saiten gequält?« »Nein, Mama! Er hat gemeinsam mit Merlin Gitarre gespielt. Dein Enkel war ganz begeistert, was er hörte. Außerdem finde ich es schön, wie sich seine Sprache entwickelt.« »Paul, gibst du mir mal meine Gehhilfen? Ich brauche etwas Bewegung.« »Mama, nimmst du Leon mit raus? Ich glaube nicht, dass er nachher noch mit seiner Familie eine große Runde gehen möchte.« »Klar. Er war ja überwiegend bei uns. Wenn Ercan länger arbeitet, machen wir auch immer eine kleine Runde. Er wird halt ruhiger.« »Darling, ich habe uns auch gleich die Jacken mitgebracht.« Carstens Eltern machten sich fertig. Als Leon das sah, gesellte er sich dazu. Luise sah am Porch schon, dass der Hund es nötig hatte. Draußen suchte er sich sofort ein stilles Örtchen. »Wow, das ist ja auf einmal richtig kalt geworden«, stellte Paul fest. »Ja. Der Schnee wird wohl länger liegen bleiben.« »Das hoffe ich doch. Andreas hat wirklich schöne Rosen. Nicht auszudenken, wenn diese einem Schädling zum Opfer fallen.« »Ganz vermeiden kann man es wohl nicht. Ich hatte letztes Frühjahr einfach nur Pech. Sei‘s drum.« »Liebling, ich fand die Teerosenart sehr schön. Sie hatte so einen lieblichen Duft. Die kleinen Blüten gaben dem Beet etwas Romantisches.« »Die Rosenart ist schon sehr alt. Leider gab es sie bei uns nicht mehr. Das Center hatte nur die modernen Arten vorrätig.« »Glaubst du, dass Andreas noch Pflanzen auftreiben kann? Immerhin leben wir hier in dem Land der Gärtner.« »Weißt du was? Die Idee ist gar nicht mal schlecht. Dass ich nicht darauf gekommen bin.« Paul lächelte charmant. »Da ist der Viehdoktor doch zu etwas gut«, meinte er schelmisch. Trotz ihres Handicaps gab sie Paul einen Knuff auf den Arm. Nach dem Geplauder liefen sie durch den Garten. An den Statuen machten sie halt. Mit dem Schnee sahen sie etwas gespenstisch aus. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, es handelte sich um Wächter.« »Stimmt. Ist auch vielleicht gut so, wenn sie abschreckend wirken.« Gemeinsam gingen sie auf die Gartenbank zu. Mit der Hand beseitigte Paul den Schnee. Andreas sah aus dem Küchenfenster. Liebevoll hatte Paul seinen Arm um seine Gattin gelegt.

»Mama und Papa können immer noch sehr gut miteinander flirten«, meinte Ercan, als er seine Eltern auf der Bank sah. »Oh ja. Es ist schön mit anzusehen, wie sie sich immer noch lieben.« »Das wird sich nie ändern. Sie haben so eine unterschwellige Art, sich ihre Liebe zu zeigen. Ich erzählte dir doch davon, wie die Rosen im Garten ruiniert wurden. Papa mochte diese Rosen. Immer wenn er Mama Blumen schenkte, waren auch ihre Rosen darunter. Der Duft war so ganz besonders.« »Du meinst doch nicht die Duchesse de Brabant?« »Wenn das dieser Rosenbusch an dem Spalier neben der Terrasse war. Den hat es besonders schwer erwischt. Ich glaube, Papa war sehr traurig als Mama diesen entfernte.« »Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Carsten mag diese besondere Art. Kleine rosafarbene Blüten und ein ganz dezenter Duft. Hat Mama denn noch einen Ableger dieser Rosensorte?« »Nein. Ich glaube, diese Rosen werden bei uns nicht mehr vertrieben. Ihre Pflege ist nicht einfach. Wenn es um deren Umsatz geht, brauchen Gartencenter die unkomplizierten Arten.« »Glaubst du, sie würde sich über einige Pflanzen freuen?« »Nicht nur Mama. Selbst ich vermisse dieses Rosa. Es gab dem Haus so etwas Besonderes. Kannst du denn Pflanzen besorgen?« »Nichts ist leichter als das für mich. Es bedarf eines Anrufs bei meinem Gärtner.« Ercan staunte über seinen Schwager. »Ercan, ich arbeite am liebsten mit Gärtnereien zusammen, die in ihrem Bestand alte Pflanzenarten kultivieren. Denn solche Betriebe haben das Know-how eines überlieferten Wissens. Das findest du in keinem Gartenbuch. Hast du schon einmal eine dreifarbige Rose gesehen? Ich hatte das Erlebnis. Eine ganz unscheinbare Blütenknospe. Doch wenn sie sich entfaltet, umrandet ein schön geschachtelter Kranz aus Blütenblättern den gelblichen Kelch. Im Ansatz ist sie rubinrot. Dann wechselt die Farbe in ein kräftiges Rosa. Den Rand der Blüte dagegen ziert ein feiner schwarzer Rand. Im vollen Blütenstand sieht sie einfach umwerfend aus. Sie benötigt eine bestimmte Bienenart zum Bestäuben. Daher wohl auch die Farbkombination.« »Schaffst du das bis Weihnachten? Das wäre ein schönes Geschenk an unsere Eltern.« Anstelle einer verbalen Antwort wandte sich Andreas um und ging in sein Büro. Mr Hill war um das Ansinnen erfreut. »Andreas, sicher haben wir diese Rosenart vorrätig. Dürfte ich vorschlagen die Gloire de Dijon beizusteuern?« Andreas brauchte nicht lange zu überlegen. »Das wäre sehr freundlich. Von jeder Gattung jeweils sechs Exemplare. Geht das?« »Komme doch morgen zum Tee. Ich wollte eh mit dir über ein Problem im Park sprechen.« »Wir werden kommen.«

Den Nachmittag beschäftigte sich jeder auf seine Weise. »Schatz ich gehe in den Pool.« »Gut. Wie warm ist das Wasser eigentlich?« »Da Nonna und Babi öfters schwimmen gehen, habe ich die Temperatur auf 28°C erhöht. Warum möchtest du das wissen?« »Dr. Peters hat doch erwähnt, dass wir mit Cedric seine Mobilität im Wasser trainieren sollen. Wenn das Wasser angenehm warm ist, könnten wir doch heute alle drei ins Wasser.« Die Idee hatte was. Cedric war erstaunt, dass Andreas ihm etwas anderes anzog. Anstelle seines Stramplers bekam er einen flauschig weichen Mantel. »Bereit für ein neues Abenteuer?« Carsten war bereits im Pool, als die beiden kamen. »Abba«, freute sich Cedric. »Da seid ihr ja. Lust, etwas mit deinen Papas im Pool zu planschen?« »Cedic padsch?« Es dauerte nur einen Moment, dass alle drei im Wasser planschten. Cedric wurde erst abwechselnd von beiden Papas gehalten. Bis Andreas ihn etwas mehr Platz ließ. Cedric tauchte etwas unter. Dann begann er mit seinen Armen und Beinen zu rudern. Das Ergebnis war für ihn überwältigend. Andreas gab seinem Sohn einen Schubs in Carstens Richtung. »Cedric kommt dir auf sechs Uhr entgegen.« Die zwei Meter überbrückte der kleine Wassermann. Als er bei seinem Abba war, juchzte er vor Freude über seinen Erfolg. Das Spiel wiederholte sich einige Male. Bis Cedric meinte, seine Richtung zu ändern. »Carsten, Cedric paddelt von dir aus Richtung acht Uhr, vier Meter.« Carsten schwamm unter seinen Sohn her. Cedric wunderte sich, als plötzlich etwas unter ihm auftauchte. Dann hielt er sich an seinem Papa fest. Gemeinsam schwammen sie so einige Runden. »Abba hü«, spornte er Carsten an. Andreas lachte bei dem Anblick seiner beiden Männer. Carsten steuerte auf ihn zu. Andreas nahm Cedric in Empfang. »Du kannst ja schon gut schwimmen«, lobte er seinen Sohn. »Baba hü!«, forderte er seinen Papa auf. Andreas gab sich der Aufforderung hin. Dann tauchte er einfach unter seinen Sohn hinweg. Erst wusste dieser nicht, was Sache war. Ganz aus Reflex paddelte er wieder. So überbrückte er gute zehn Meter in Carstens Arme. Sein Papa nahm ihn in Empfang, hob ihn etwas aus dem Wasser und gab ihm einen belohnenden Kuss. Er fühlte, wie kalt Cedric war. »Jetzt machen wir uns wieder warm.«

Erst zog er Cedric seinen kleinen Mantel über. Dann rubbelte er ihn etwas trocken. Andreas gab Carsten seinen Bademantel. »Das war eine reife Leistung«, meinte Andreas. Gemeinsam gingen sie in ihre privaten Gemächer. Carsten kümmerte sich um seinen Sohn. Zog ihm trockene Sachen an und seinen warmen, flauschigen Strampler. Dann kam Andreas hinzu. »Ihr könnt schon mal zu den anderen gehen. Ich komme nach.« Carsten küsste seinen Sohn auf die Stirn. Cedric bedankte sich mit einem Schmatzer. Dann wechselte er zu seinem Baba.

Erst ging es in die Küche. Nach der anstrengenden Tätigkeit hieß es für neue Energie zu sorgen. »Baba Nane?« Dabei zeigte er auf den Obstteller mit Bananen. »Du möchtest eine Banane? Gut. Dein Wunsch sei mir Befehl.« Andreas pellte eine Frucht aus der Schale. Brach ein Stück ab. Cedric nahm es an sich und begann darauf herumzulutschen. Hin und wieder versuchte er auch, darauf herumzukauen. Aus dem Fenster sah er die Hunde im Garten toben. Da hatte Carsten wohl die Meute hinausgelassen. Leon ließ es ruhiger angehen. Gina, Salvatore und Leonardo jagten sich über die schneebedeckte Fläche. »Ich hoffe, deine Dadas haben Spaß im Schnee.« »Dada wo?«, fragte auch der kleine Mann sofort. Andreas nahm Cedric auf den Arm und ging mit ihm zur Terrassentür. Im Schein der Gartenbeleuchtung sah Cedric die Hunde. Ganz eifrig winkte er ihnen zu. Dann galt seine Aufmerksamkeit wieder seiner Banane.

Leonardo war derjenige, welcher genug vom Spielen hatte. Langsam ging er zum Nebeneingang. Carsten und Stefano wollten sie gerade hereinholen. »Leonardo ist wohl müde«, meinte Stefano. »Wir gehen später noch eine große Runde.«, gab Carsten bekannt. »Es ist nicht ungewöhnlich, dass unsere beiden vor ihrer Ration im Garten spielen. Salvatore!«, rief Carsten. »Leon! Gina!«, schloss sich Stefano dem Vorschlag an. »Gina ist weiß. Ihr Papa steht dem in keiner Weise nach.« »Das ändert sich wohl nie. Schon als Welpe liebte er die kalte weiße Pracht.« Stefano benötigte drei Handtücher allein für Gina. Dagegen machten die Rüden es Carsten einfacher. Er brauchte für die drei Herren genauso lange wie Stefano allein für Gina. Doch die drei warteten auf ihr Nesthäkchen. Gemeinsam schlichen sie in die Küche und leerten ihre Wassernäpfe. »Da seid ihr ja wieder. Gina, hast du gebadet?«, nahm Andrea ihren Welpen genauer ins Visier. »Gefühlte zwei Kilo Schnee«, antwortete ihr Stefano. »Wenn es nicht mehr war. Da hat sie sich zurückgehalten. Du hast sie auch sehr schön getrimmt.« »Danke, Stellina. Was machst du hier?« »Andreas bat mich, für meinen Neffen einen Tee zu zubereiten. Du kannst mir dabei helfen. Nonna hat da ein interessantes Rezept.« Stefano sah sich die Aufzeichnungen an. Insgeheim musste er lächeln. Das Rezept war in der italienischen Sprache gehalten. Auch wenn seine Gattin diese gut sprach, haperte es doch bei handschriftlichen Aufzeichnungen. Also gab er sich seiner Aufgabe hin und übersetzte. Als nächster erschien Carsten. »Haben wir noch Kaffee?« »Nein, Gabrielle hatte sich die letzte Tasse genommen. Mama und Papa sind im Studio. Sag mal, kann es sein, dass beide aus der Übung sind?«, fragte Andrea ihren Bruder. »Wenn sie längere Zeit nicht mehr gespielt haben. Es braucht etwas, bis die Bewegungen wieder geschmeidig sind. Das ist aber normal. Kein Grund zur Besorgnis.« Dabei präparierte er die Kaffeemaschine. »Andrea? Hast du schon Tee für Cedric?« »Gib uns noch fünf Minuten.« »Gut. Falls es länger dauert, wird dein Neffe dir schon zeigen, was er davon hält«, grinste Andreas seiner Schwägerin zu. »Fünf Minuten. Versprochen.« »Der Kaffee läuft durch. Ich gehe mal ins Studio«, kündigte Carsten an. Im Mischraum war es ruhig. Also ging er direkt in das Studio. Dort spielten seine Mutter und sein Vater ein interessantes Duett. Violine und Gitarre hörte auch er nicht oft zusammenspielen. »Hast du uns vermisst, Junge?« »Nicht direkt. Das war ein schönes Duett. Ein altes Volkslied, wer hat das arrangiert?« »Das ist unsere Kreation«, beantwortete Luise die Frage. »Eigentlich war es für Violine und Klavier gesetzt. Ich konnte deinen Vater überzeugen, mal den Klavierpart zu übernehmen. Gemeinsam haben wir dann die Stimme der Gitarre angepasst.« »Es ist euch wirklich gelungen. Möchtet ihr es nicht mal konservieren?« »Junge, von der ganzen Technik haben wir keine Ahnung.« »Ist recht einfach. Den Computer hochfahren und dann im Menü Aufnahme wählen. Das Programm fragt dann nach dem Modus der Aufnahme. Es gibt nur zwei Modi: Automatisch und Manuell. Bei automatisch regelt die Software alle Einstellungen. Falls ihr möchtet, kann ich das auch entsprechend manuell justieren. Die Pedale im Studio erklären sich von selbst. Sagte zumindest der Toningenieur, welcher die Anlage einbaute.« »Was meinst du, Liebes?« »Können wir machen, doch nicht heute. Ich muss mein Bein hochlegen.« »Wir sind im Salon. Oder willst du dich hinlegen?« »Der Salon ist schon okay. Edward hat mir einen kleinen Schemel für das Bein besorgt. Gegen einen Kaffee hätte ich jedenfalls nichts.«

Die beiden Musiker legten ihre Instrumente beiseite. Dann folgten sie Carsten. Als sie gemeinsam den Salon betraten, bot sich ihnen ein süßes Bild. Děda lag auf dem Sofa und Cedric krabbelte auf ihm herum. Dabei gab der Opa dem kleinen Mann Hilfestellung. Cedric hatte dabei viel Spaß. Carsten vernahm zur Bestätigung ein fröhliches giggeln, unterbrochen von ›Děda‹. Als Cedric seinen Papa sah, folgte schon ein: »Abba mmh!« »Sag einmal, Cedric, bist du auch einverstanden, wenn Andrea dir einen Tee gibt?« »Andea mmh!« Andrea gab sich nach dieser Aufforderung ihrer Aufgabe hin. Sie nahm Cedric Děda ab. Beide machten es sich in einem Sessel gemütlich. Dann galt es, den kleinen Helden zu versorgen. Andreas war nicht ganz untätig und schenkte jedem nach Wunsch ein. Seinem Großvater sah er die Erleichterung an. »Děda, jetzt, wo Cedric beschäftigt ist, stärke dich erst einmal. Der kleine Mann kann schon anstrengend sein.« »Ist das denn nicht seine Aufgabe: Seine Großeltern zu fordern?«, lachte er. »Du nimmst es mit Humor.« »Wir alle nehmen es mit Humor. Das ist in Italien nicht anders. Alle deine Nichten und Neffen haben uns auch so manches Mal herausgefordert. Es tat uns immer gut. Bei Meinungsverschiedenheiten konnten wir immer gut vermitteln. Wir vier sind wie die neutrale Schweiz.« »Seid ihr wirklich unparteiisch?« »Wenn es darum geht, Konflikte zu lösen, ja.« Carsten hörte aufmerksam zu. »Ansonsten steht ihr aufseiten eurer Enkel?« »Klar, du hast es selbst gesagt: Eltern setzten Grenzen, die bei den Großeltern auch überschritten werden dürfen.« »Das ist meine Erfahrung mit meinen Großeltern. Luise und Paul haben das insgeheim unterstützt.« Die besagten Personen betraten den Salon. Luise strebte den Zweisitzer an. Auf den Gehhilfen ging das sogar recht zügig. Paul folgte ihr, beladen mit einem großen Nähkorb. »Mama, Papa, was möchtet ihr?« Luise beantwortete die Frage für beide: »Kaffee! Ich gebe es nur ungern zu, doch wir brauchen ein Koffeinschub.« Andreas zuckte lediglich mit den Schultern. »Nonna und Babi kommen auch gleich. Sie haben ihre Siesta beendet.« »Wenn dem so ist, sollten wir uns schon Gedanken ums Dinner machen?«, meinte Andreas. »Habt ihr Wünsche?« Andreas sah sich um. Lediglich Děda räusperte sich. »Wäre es unverschämt, wenn wir mal Fish and Chips machen?« »Nein, es wäre nicht unverschämt. Warum nicht mal etwas Traditionelles?«, kommentierte Carsten den Wunsch. »Dann machen wir Fish and Chips. Dazu einige Salate und Dips.« Alle Anwesenden nickten zustimmend. Die Runde wurde geselliger. Der kleine Mann hatte genug und schob die Flasche beiseite. Gekonnt nahm Andrea den kleinen Mann hoch, damit die verschluckte Luft entweichen konnte. Anschließend wollte er zu seinen Hunden. Auf allen Vieren krabbelte er zu den Kudden. Dort legte er sich zwischen Leonardo und Salvatore. Besann sich, ein kleines Verdauungsschläfchen zu halten. Am Tisch entwickelten sich kleine Gesprächsrunden. »Sag einmal, Carsten, du übst doch mit Orchestern von einer CD. Hast du auch Stücke für Violinkonzerte?« »Natürlich. Also am Mischpult kann ich verschiedene Spuren herunterziehen. Ich kann jede Instrumentengruppe ausblenden. Dieses Hilfsmittel nutze ich für meine Vorlesung in Komposition. So kann ich den Studenten verdeutlichen, wie ein Stück zum Beispiel ohne Kontrabass oder auch Triangel klingt. Soloinstrumente haben in der Regel eine Sonderspur bei den Aufnahmen. Warum?« »Ich habe als Studentin mal das Violinkonzert in G-Dur von Bruch gespielt. Ich möchte wissen, ob ich das noch hinbekomme. Probieren wir es morgen.«

Andreas war der erste, der die Runde verließ. »Wohin will er?« »Ich denke, er bereitet das Dinner für uns vor. »Ich helfe ihm mal«, schlug Nonno vor. »Warte, ich helfe euch. Schließen wir mal die Ladies aus der Küche aus«, zwinkerte er in die Runde. Andreas war um das Ansinnen erfreut. Gemeinsam machten sie sich ans Werk. Lediglich Carsten kam kurz zu ihnen. »Wie lange werdet ihr benötigen?« »Wir haben gerade angefangen, die Zutaten zusammenzusuchen. Etwa noch eine Stunde. Vielleicht etwas mehr.« »Dann gehe ich mit den Hunden für eine größere Runde raus.« »Mach das. Pass aber auf, die Wege können rutschig sein.« »Ich pass auf. Cedric spielt mit Andrea«, bestätigte Carsten. »Gassi!«, lautete das schlichte Kommando. Am Porch warteten bereits drei Hunde auf ihn. Kaum war die Tür offen, liefen zwei von ihnen sofort hinaus. Lediglich Leonardo wartete auf seinen Herren. »Lauf, ich komme nach.« Der Hund folgte seinen Geschwistern. Üblicherweise suchten sie sich einen Platz zum Lösen. Carsten nahm seinen Stock und tastete nach dem Weg. Was sich nicht als sehr effizient erwies. Der Schnee dämpfte die Geräusche. Er verließ sich auf seinen Orientierungssinn. Am Übergang zum Park wuselten die Hunde wieder um ihn herum. Jetzt zeigte sich die Teamarbeit seiner Hunde. Leonardo ging gesittet neben ihm her. Salvatore lief einige Meter mit Gina voraus. An ihren Geräuschen orientierte sich ihr Rudelführer. »Hallo Carsten«, begrüßte ihn Gwenda. »Wolf wollte nicht den ganzen Tag im Haus bleiben. Daher haben wir uns auf einen Spaziergang gemacht.« »Hallo Gwenda. Gefällt Wolf der viele Schnee?« »Er nimmt es locker. Seine Nase ist schon ganz weiß.« »Nasenarbeit. Wie ging es mit Wolf aus?« »Ben sammelte seinen Haufen ein. Keine Würmer. Der Kamillentee tat seine Wirkung. Seine Ration hat er jedenfalls am Folgetag lustvoll verdrückt.« »Freut mich für euch.« »Ich bin auf dem Weg zum Spielplatz, darf ich dich begleiten?« »Gern doch. Dürfte ich mich bei dir einhaken, dann kann Leonardo mit der Meute spielen?« Anstatt einer Antwort legte Gwenda seine Hand auf ihren Arm. Zusammen gingen sie über den zugeschneiten Weg. »Victor hat heute Morgen schon mit einer kleinen Walze den Wanderweg geplättet. Ist bequemer darüberzulaufen.« »Ich werde mich nicht darüber beschweren. Wie läuft es denn bei euch mit den ganzen Vorbereitungen?« »Dieses Jahr bleibt der Pub das Wochenende geschlossen. Ich bat ihn darum. Etwas Zeit mit der Familie verbringen, anstelle Gäste zu bewirten. Ben freut sich darauf, mit seinen Enkelkindern zu spielen.« »Habt ihr viele Enkelkinder?« »Sieben. Von acht Jahren bis 24 Monate alles vertreten. Es wird turbulent.« Carsten hörte die Freude in Gwendas Stimme. Nebenbei nahm er auch wahr, wie die Hunde miteinander balgten. »So, hier trennen sich unsere Wege. Du findest allein zurück?« »Ja. Ich habe ja meine Bande bei mir. Leonardo und Salvatore achten auf mich. Es wird zwar etwas länger dauern, doch das habe ich bereits bei der Runde mit eingeplant.« Gwenda rief nach Wolf. Dann verabschiedete sie sich. »Leonardo, Salvatore! Ab nach Hause«, hörte sie Carsten noch sagen. Carsten machte sich auf den Weg. Jetzt blieben alle Hunde in seiner Nähe. Anscheinend hatte sie sich ausgetobt. Es dauerte dennoch eine halbe Stunde, bis sie wieder im Porch waren. Dort erwartete sie Paul. »Junge, ich helfe dir beim Trockenlegen der Hunde.« »Hast du auf uns gewartet?« »Nicht direkt. Leon wollte noch einmal pieseln. Ich sah dich kommen.« »Dann übernimm mal Gina. Wolf geht es gut. Keine Würmer sagte mir Gwenda vorhin. Haben Hunde öfters Magenverstimmungen?« »Vor allem bei einseitiger Ernährung. Wenn dann mal etwas anderes angeboten wird, rebelliert die Verdauung. Ansonsten ist das wie bei uns Menschen. Zuviel, etwas Falsches oder Verdorbenes lösen solche Probleme aus.« »Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich habe mir den Speiseplan deiner Hunde angesehen. Du variierst jeden Tag bei den Zutaten. Besser kann man es nicht machen.« Paul nahm die feuchten Tücher in Empfang und hängte sie auf. »Ich habe Ercan gebeten, die Rationen vorzubereiten. Cedric wollte es sich nicht nehmen lassen, ihm dabei über die Schulter zu schauen.« »Ehrlich? Ich mag es, wie er sich dafür interessiert. Besser kann ich ihm Verantwortung nicht vermitteln.«

Das Dinner wurde wie immer sehr lebhaft. Fish and Chips, Salate und Saucen wurden herumgereicht. Cedric bekam einen festeren Kartoffelbrei mit einem Rührei und etwas Spinat serviert. Sein Dinner wurde mit einer Bananencreme abgerundet. Carsten brachte den kleinen Mann anschließend zu Bett. Den Abend beschlossen alle mit verschiedenen Brett- und Kartenspielen. Weit nach Mitternacht kehrte Ruhe ein.

Andreas rüttelte Carsten wach. »Tiger, kannst du uns mal helfen? Ich glaube, Cedric bekommt einen Zahn.« »Dann wollen wir einmal testen, welches Rezept am besten wirkt.« Cedric weinte in seinem Bett. Andreas sah die kleinen Tränen und dass er Schmerzen hatte. Sehr vorsichtig nahm Carsten seinen Sohn aus dem Bett. »Abba … aua«, schluchzte Cedric. Carsten küsste ihn. Allein das hatte schon eine tröstende Wirkung auf den Jungen. Dann tastete der Papa vorsichtig den Kiefer des Jungen ab. An einer Stelle fühlte er etwas Hartes. Behutsam begann er, diesen Bereich zu massieren. »Ist gut, Cedric. Wir helfen dir durch diese schwere Zeit.« Dann wandte er sich Andreas zu. »Schatz, unsere Nachtruhe ist vorerst vorbei. Geh doch mal in die Küche und sehe nach etwas Kaltem. Etwas erfrischenden Fruchttee.« »Ich glaube, Luise hat dort einen Beißring in den Kühlschrank gelegt.« »Den bring auch mit. Vielleicht etwas, worauf er kauen und sabbern kann.« »Etwas aus der Apotheke?« »Ja. Hinten links steht eine kleine Flasche. Bezeichnet ist sie mit Lösung Nr. 5. Davon träufle drei Tropfen in seinen Tee.« »Willst du Cedric betäuben?« »Nein, Papa nutzt dieses Mittel bei Tieren zur Beruhigung. Direkt auf die Wunde geträufelt, wirkt es lindernd. Hat aber einen bitteren Geschmack.« »Okay.« Andreas lief los. Die kleine Massage tat ihre Wirkung. Cedric beruhigte sich. Wenn Carsten auch spürte, dass er auf seinen Finger biss. »Das tut dir gut«, meinte er nur. Andreas brachte den Beißring und eine Scheibe Brot. »Du bist ein wirklicher Supermann.« »Kunststück, er kaut auf meinen Finger. Der Zahn ist durch. Den Tee benötigen wir im Moment nicht mehr. Wir nehmen ihn zu uns. Er darf nach Herzenslust unser Bett vollkrümeln und am Ring lutschen. Wichtig ist, dass er zur Ruhe kommt.« Gesagt, getan. Bei seinen Papas fühlte sich Cedric geborgen. Carsten summte ihm etwas vor. Bald schon entspannte sich ein kleiner Körper. Andreas fischte eine labbrige Brotscheibe aus dem Bett. Carsten behielt recht. Richtig entspannen konnten sie beide nicht. Zwischendurch stand Andreas noch einmal auf, um den Ring wieder in den Kühlschrank zu legen. Cedric schlief bis acht durch. Seine Papas erwiesen sich als interessante Objekte, um darauf herumzuklettern. Andreas wachte als erster davon auf. »Guten Morgen, mein kleiner Gipfelstürmer.« »Baba!«, begrüßte er seinen Papa. Andreas nahm seinen Sohn hoch und spielte mit ihm. Die Geräuschkulisse nahm zu. Carsten lächelte über den Spaß, den Cedric hatte. »Guck mal, dein Papa ist auch schon wach.« »Abba!«, freute sich der kleine Mann. Gemeinsam durchwühlten sie das Bett. Erst mit dem Erscheinen von Salvatore beendeten sie das Vergnügen. »Abba, Cedric padsch.« Carsten stimmte dem zu. Es wurde Zeit, sich dem harten Alltag zu stellen. »Da hast du recht. Vor lauter Spielen haben wir die Zeit vergessen. Leonardo und Salvatore möchten bald frühstücken. Du hast sicher auch schon mächtig Hunger.« Der Papa widmete sich der Körperpflege seines Sohnes. Beim Baden hantierte Cedric mit seiner Ente. Carsten nahm auch die Gelegenheit wahr, den Kiefer noch einmal abzutasten. Der erste Zahn würde wohl keine weiteren Probleme bereiten. Doch spürte er schon weitere kleine Knubbel. Es kam ein neues Element in der Prozedur hinzu: Eine kleine, weiche Zahnbürste. Gekonnt massierte er damit den kleinen Kiefer. Cedric fand es ungewohnt und biss immer wieder darauf. Carsten entschied sich daraufhin, sich selbst die Zähne zu putzen. Cedric saß in seiner kleinen Wanne und sah seinem Papa sehr genau dabei zu. Dem Beispiel folgend, ging es ein wenig leichter. Andreas kam hinzu. Er wollte wissen, was seine beiden Liebsten denn so lange im Bad machten. Ein lustiges Bild bot sich ihm. Beide hatten ihre Münder weit geöffnet. Carsten führte die kleine Hand, so dass Cedric die Bewegung lernte. »Das machst du wirklich großartig«, lobte Andreas, ließ aber aus, wen er meinte. Carsten nahm einen Becher. Daraus nahm er einen Schluck und spülte seinen Mund aus. Dann war Cedric dran. Doch mit dem Spülen klappte es noch nicht, also schluckte er einfach das Wasser hinunter. »Du hast den Kniff fast heraus. Gut gemacht.« »Baba du au«, forderte Cedric. Andreas gab sich geschlagen. Vor den Augen seines Sohnes putzte er auch sich die Zähne. Wobei beide Papas erst einmal auf die Zahncreme verzichteten. Nach diesem Intermezzo war Cedric bereit, sich von Andreas anziehen zu lassen. Die kleine Familie traf gemeinsam in der Küche ein. »Ihr habt ja lange geschlafen. Guten Morgen, Cedric.« »Oba!«, erwiderte der Angesprochene den Gruß. »Nonno, eigentlich hat nur Cedric lange geschlafen. Er hat letzte Nacht seinen ersten Zahn bekommen.« Andreas’ Großvater grinste nur. »Willkommen im Kreis. Hat er denn noch Schmerzen?« »Im Moment nicht. Ich konnte durch leichte Massage beim Durchstoß behilflich sein. Aber die nächsten folgen schon.« »Ich werde Nonna bitten, ihm ein entsprechendes Kompott zuzubereiten.« Dann wandte er sich seinem Enkel zu. »Lust auf eine Banane als Vorspeise?« »Nonno bane.« Gabriele schälte eine Frucht. Brach ein großes Stück ab und gab es seinem Urenkel. Dieser lutschte und kaute auf der weichen Frucht herum. »Bananen sind ideal für solche Fälle. Sie sind fest genug, den Vorgang zu unterstützen. Dennoch auch weich, das Zahnfleisch zu massieren. Wie haltet ihr es mit der Zahnpflege?« »Cedric hat in seinem Bad eine kleine Zahnbürste. Weil er noch sehr viel verschluckt, verzichten wir auf Zahncreme. Seine Koordination ist noch nicht ausgefeilt. Daher geben wir ihm ein Beispiel und helfen ihm.« »Wie oft am Tag soll diese Prozedur erfolgen?« »Jetzt erst einmal morgens und vor dem Zu-Bett-Gehen. Er soll ja lernen, seine Beißerchen zu pflegen«, erklärte Carsten ihre Vorgehensweise. »Wenn sein Milchgebiss soweit vorhanden ist, abends dann mit Kinderzahncreme. Alles weitere werden wir dann mit seinem Zahnarzt besprechen«, ergänzte Andreas. Nonno hörte sehr wohl die Unsicherheit heraus. Doch die Vorgehensweise fand er gut durchdacht. »Sollen wir zusammen das Frühstück vorbereiten?« »Ich müsste erst die Hunde rauslassen, es ist spät.« »Die Hunde haben Andrea und Stefano schon mit auf einer kleinen Runde. Gina hat sie wohl aus dem Bett geworfen.« »Wenn dem so ist, bereite ich die Rationen vor. Cedric, hilfst du mir?« »Dada mmh? Ja!« Gemeinsam mit seinem Papa füllte er fünf Näpfe mit diversen Zutaten. Tatkräftig kommentierte er, was er sah. Zuletzt streute er über vier der Näpfe noch Getreideflocken. »Abba da auch!« Dabei führte er die Hand seines Papas zu dem letzten Napf. »Oh, das ist der Napf von Charaid. Der kleine Kater verträgt die Getreideflocken nicht.« »Mau nicht gut?« »Das hast du richtig erkannt. Du kennst dich wirklich gut aus. Sollen wir jetzt die Näpfe auf den Boden stellen?« »Abba da hin?« »Komm, du zeigst mir jetzt, wo ich das Frühstück deiner Tiere aufstellen soll.« Carsten setzte seinen Sohn auf den Boden ab. Cedric krabbelte zu den üblichen Plätzen. »Dies ist der Napf von Leonardo«, meinte Carsten. »Leonardo da!« Carsten ließ sich von seinem Sohn zeigen, wo er ihn aufstellen sollte. So verfuhren sie auch mit den restlichen Näpfen. »Nein, Mau da hin«, entschied der kleine Mann. Dabei schob er Charaids Napf ein paar Zentimeter weiter. Als er mit der Anordnung zufrieden war, giggelte er. »Abba good.« »Wenn Du zufrieden bist, dann sind es die Tiere auch.« Wie auf Stichwort erschien die Meute in der Küche. Nachdem sie an ihren Wassernäpfen waren, galt es, den kleinen Mann zu begrüßen. Leonardo schnuffelte an dem Jungen, um dann mit spitzer Zunge seine Hände abzulecken. Salvatore begnügte sich damit , sich von kleinen Händen knuddeln zu lassen. »Abba?« »Du darfst das Kommando geben.« »Dada mmh!«

Diesmal brauchte kein Handzeichen das Kommando bestätigen. Cedric freute sich.

»Guten Morgen zusammen«, begrüßte Nonna die Männerrunde. »Guten Morgen. Liebes, machst du für unseren kleinen Helden dein Spezialfrühstück? Er hat seinen ersten Zahn bekommen.« »Das ging aber schnell.« »Ein kleiner Held eben. Das ist jedoch erst der Anfang. Ich habe seinen Kiefer abgetastet. Er hat noch drei Ansätze. Wird wohlmöglich eine unruhige Weihnacht«, informierte Carsten seine Großeltern. »Was ist das für ein Frühstück?«, lenkte Andreas das Thema. »Ein Kompott mit kleinen Fruchtstückchen. Ich habe für dich immer einen zerstoßenen Eiswürfel daruntergemischt. Bei dir hat es geholfen.« Andreas grinste. »Dann ist gut. Cedric wird es freuen.« Nonna machte sich an ihr Werk. »Was erzählt er eigentlich den Hunden?«, fragte sie zwischendurch. Carsten lauschte einen Moment dem Wortschwall seines Sohnes. »Er erzählt ihnen, wie er ihr Frühstück zubereitet hat. Jetzt spricht er davon, wie wir zuletzt Getreideflocken über die Rationen der Hunde streuten.« Nonna sah Carsten erstaunt an. Von dem, was Cedric da vor sich hin babbelte hatte sie kein Wort verstanden. »Du hast erstaunliche Fähigkeiten.« »Nein. Ich kenne seine Ausdrücke. Wir haben ja das Futter zusammen gemacht. Er hat alles kommentiert. Weißt du, Nonna, Cedric hat eine sehr interessante Art, sich auszudrücken. Sie ist sehr melodisch.« »Baba, Leonardo alle. Mehr?« »Nein, dann würde er Bauchweh bekommen. Heute Abend darfst du ihn wieder füttern.« »Good. Cedric nane!« »Dann komm her«, forderte ihn Nonno auf. »Ich habe noch Nachschub für dich.« Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. So schnell er konnte, krabbelte er zu seinem Opa. »Opa Nane.« Gabriele hob Cedric auf seinen Schoß und gab ihn ein weiteres Stück Banane. Sein Urenkel schob etwas davon in seinen Mund. Genüsslich lutschte er daran. Während der ganzen Zeit bereitete Andreas ein gemütliches Frühstück vor. Carsten stellte Andrea und Stefano zum Decken des Tisches im Dining Room ab.

Gut eine Stunde später saßen alle gemütlich beisammen. Nonna nahm sich der Aufgabe an, Cedric zu füttern. Sie sah ihrem Urenkel an, dass er sich nicht ganz wohl fühlte. Carsten saß neben ihm. Auch er spürte, wie still der sonst lebhafte Junge blieb. »Nonna, ist das Kompott gekühlt?« »Ja, du spürst es auch?« »Natürlich. Es wird nicht einfach werden für ihn«, bestätigte er. »Du meinst, der nächste Zahn kommt?«, fragte Andreas, obwohl er die Antwort schon kannte. »100 Punkte. Wir sollten unseren Speiseeisvorrat ein wenig vergrößern.« »Jungs, wisst ihr was? Ihr fahrt nachher mit Cedric ins Dorf einkaufen. Ich benötige noch einige Zutaten aus dem Supermarkt. Macht das Auto nicht ganz so warm.« Andreas dachte einen Moment nach. »Nein, wir machen es anders. Da wir noch eine große Runde mit den Hunden machen müssen, gehen wir zu Fuß. Andrea und Stefano können uns später im Tea Room abholen. Die frische Luft wird uns allen guttun.« Nonna und Babi zogen bewundernd ihre Augenbrauen hoch. So war Cedric bei seinen Papas und von den zu erwartenden Schmerzen abgelenkt. »Genau. Gestern ist Andrea gefahren. Heute mache ich mich mit dem Jeep vertraut«, unterstützte ihr Schwager das Vorhaben. »Ercan, kannst du mir und deiner Mutter ein paar neue Übungen zeigen?« Der Angesprochene dachte einen Augenblick nach. Dr. Hathaway hatte ihm die nötigen Informationen gemailt. »Ich hatte es sowieso vor. Ich hoffe, du hast deine Badehose mit. Mama, du darfst dich entspannen. Dr. Hathaway empfahl, dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Ich habe meinen Koffer dabei.« »Muss das sein?« »Ich kenne deine Abneigung gegen die Elektrotherapie. Dafür bekommst du auch eine Massage à la Ercan.« Das Angebot war einfach verlockend für Luise. »Sagt einmal, Jungs, hat Cedric kein Spielzeug?« »Oh doch, in seinem Zimmer.« »Dürfen wir es auch mit in den Salon nehmen? Seine Mobilität kann man sehr gut mit Bällen und anderen Gegenständen fördern.« »Außer auf dem Dachboden und im Keller darf er überall damit spielen. Es dürfte nur nicht herumliegen. Ich möchte nicht versehentlich irgendwo darauftreten und es kaputt machen.« »Da werden wir schon aufpassen«, stimmte Děda sofort zu. »Oma Mil.« Nonna hatte damit gerechnet. Aus dem Flaschenwärmer nahm sie die Flasche. »Du wirst begeistert sein: Vanillemilch mit Banane.« »Anane«, jubelte Cedric. Geschickt griff er zu. Nonna stützte die Flasche lediglich etwas. Cedric nuckelte zufrieden.

»Du, Andreas, ich habe mich gestern in deinem Gewächshaus umgesehen.« »Hat es dir gefallen?« »Natürlich, nur den kleineren Teil am Haus konnte ich nicht betreten.« »Der Teil ist immer abgeschlossen. Dort lagere ich in einem Schrank einige Chemikalien, welche ich für Bodenanalysen benötige.« »Wie dein Vater. Sicherheit geht immer vor«, erwähnte Babi. »Was ist das für ein Gerät mit der Glaskugel?« Andreas grinste verschmitzt. »Papa, da solltest du selbst draufkommen. Du hast alle Informationen, um auf den Sinn des Instrumentes zu kommen.« »Das ist jetzt nicht dein Ernst?« »Sicher doch. Ein wenig Gehirnjogging tut immer gut. Wenn du bis heute Abend den Sinn errätst, bekommst du eine Flasche 25 Jahren alten schottischen Whisky.« »Wenn nicht?« »Dann zahlst du für eine entsprechende Flasche.« Paul gefiel der Vorschlag. »Die Wette gilt.«

Nach dem Frühstück boten Nonna und Babi an, wieder aufzuräumen. Die kleine Familie machte sich fertig für einen Spaziergang. Als Carsten seinen Stock und das Geschirr nahm, wuselten auch ihre Hunde an. Andreas öffnete die Haustür und beide Vierbeiner stürmten heraus. Carsten atmete tief durch. Die kühle Luft füllte seine Lungen. Dann legte er Leonardo sein Geschirr an. »Sollen wir durch den Park oder direkt durch das Portal gehen?« »Lass uns durch den Haupteingang gehen. Bis zum Dorf werden wir etwas mehr als eine halbe Stunde gehen. Was macht unser Sohn?« »Er ist noch munter. Doch seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, fallen ihm bald seine Augen zu.« Wie Andreas es voraussagte, schlief Cedric bereits, als sie die Pforte erreichten. »Meinst du, Paul kommt darauf, dass es sich bei dem Instrument um einen Heliographen handelt?«, wollte Carsten von Andreas wissen. »Wenn er nicht auf den Kopf gefallen ist, ja.« »Ich bin wirklich mal gespannt. Mama kennt das Instrument jedenfalls.« »Woher?« »Anthropologie und Archäologie gehen manchmal Hand in Hand. Während ihres Studiums hat sie auch an Ausgrabungen teilgenommen. Die Sonnenscheindauer lag schon immer im Interesse der Menschen. Nur, früher musste man diese eben mit simpler Physik messen. Heute wird der Wert wohl mehr mit Rechnern ermittelt.« »Wie bist du darauf gekommen?« »Einfach. Du hast das Instrument in dem Bereich aufgestellt, wo die Pflanzen stehen, die viel Licht benötigen. Du sagtest ja schon: Alle Informationen liegen auf der Hand.« »Was habe ich doch für einen klugen Mann an meiner Seite.« Gemütlich gingen sie bis zum Supermarkt. »Hat dir Nonna gesagt, was sie benötigt? Dann warten die Hunde und ich hier auf euch beiden.« »Es sind vor allem Zutaten für Cedric. Ein paar Kosmetikartikel. Das war es auch schon.« »Vergiss das Eis nicht«, erinnerte Carsten an einen weiteren Grund. Es dauerte keine zwanzig Minuten. Mit zwei Taschen kam Andreas wieder zu den Wartenden. »Das ging schnell.« »Im Laden war es warm, das mochte unser Sohn nicht. Der Filialleiter hatte Verständnis für ihn und hat die ganze Sache beschleunigt. Wie waren die Hunde?« »Brav wie immer … naja, sie haben etwas miteinander gespielt.« »Wir sollten zum Tea Room. Cedric hat Hunger.« »Dann mal los.«

»Ist ungewohnt, Stellina.« »Die Besonderheit eines rechtsgesteuerten Autos. Es ist aber wirklich sehr komfortabel. Fünf bequeme Sitze. Ein großer Kofferraum. Doch er wirkt auch sehr kompakt.« Andrea hatte sich mit einigen Details bereits vertraut gemacht. »Leistung?« »Dieselhybrid 110 KW getunt. 19’’ Stahlfelgen, 9 Gang Automatikgetriebe mit zuschaltbarem 4x4 Allradantrieb. Seilwinde, Überrollbügel, Anhängerkupplung, eingebauter Kennel, ausziehbare Ablagefläche, viel Stauraum für tiermedizinisches Equipment. Eine 240V Steckdose. Bluetooth Freisprechanlage für zwei Endgeräte. Nicht zuletzt eine effektive Klimatisierung.« »Was Andreas dafür mal bezahlt hat?« »Willst du das wirklich wissen? Jedenfalls ist er individuell konfiguriert. Ich schätze, mit allem hat er mehr als £40.000 investiert.« »Wozu braucht ein Landschaftsarchitekt so ein Gefährt? Der ist doch für seinen Beruf überdimensioniert und er hat zwei davon.« »Es gibt eine Besonderheit in London. Ungerade und gerade Nummern im Kennzeichen haben tagesabhängige Berechtigung. Überdimensioniert ist er auch nicht. Er hat mich einmal zu einem seiner Projekte mitgenommen. Die Mondoberfläche dagegen wäre spiegelglatt gewesen. Ich hätte da noch eine Bitte: Wir sollten beide noch ein Fahrsicherheitstraining im Gelände machen.« Ihr Gatte sah nur einen Augenblick nach links. »Das hätte ich dir auch vorgeschlagen.« »Werbung?« »Nein, außer das Tierarztzeichen.« »Damit ist es nur für die Praxis gedacht.« »Wir können ihn auch privat nutzen. Andreas hat eine Blackbox einbauen lassen. Er sagte mir, so können wir Dienstfahrten einfacher abrechnen.« Stefano dachte über das Gehörte nach. Die Innovationen des Autos würden es ihm in der Buchführung einfach machen. »So, jetzt mach mal hin, die Jungs warten sicher schon auf uns«, forderte Andrea auf. Stefano drückte das Pedal etwas herunter und war über die Power wirklich erstaunt.

Im Tea Room zog Andreas Cedric die gefütterte Jacke aus. Dann erschien schon die Serviererin. »Wir hätten gern einen Kakao mit Schafsmilch und Tee für uns«, bestellte Carsten. Die Servicekraft wollte gerade gehen. »Könnten Sie bitte diesen Beißring für einige Minuten ins Eisfach legen?«, bat Andreas. »Natürlich«, antwortete die Dame wissend. Es dauerte wirklich nur einige Minuten. Neben den Getränken und dem Beißring wurde noch ein Napf mit Wasser bereitgestellt. Cedric sah den Ring und wollte ihn haben. Genüsslich lutschte er daran. Was ihm sichtlich gut tat. »Mr Von Feldbach«, sprach Nancy sie an. »Hallo, Nancy, mach Sie auch gerade eine Pause?« »Ja. Ich habe bis vorhin auf der Orgel gespielt. In der Kirche ist es dann auf Dauer recht kalt. Darf ich mit Ihnen kurz über das Konzert sprechen?« »Nur zu.« »Ich habe mir das geplante Programm angesehen. Franz Liszts Cantico del sol di Francesco d’Assisi, die 3. Symphonie von Saint-Saëns und mein Potpourri passen thematisch nicht zusammen. Anstelle von Franz Liszt wäre da nicht ein weiteres orchestrales Werk von Vorteil? Das würde auch den Menschen hier gefallen. Sehen Sie, religiöse Musik gibt es hier zuhauf. Was die Leute brauchen, ist Abwechslung. Meine Eltern unterstützen mic,h wo sie können, sagen aber auch immer wieder, dass ihnen die Kirchenmusik so manches Mal zum Halse heraushängt.« Carsten konnte sich nur schwer ein Grinsen verkneifen. Schon öfters hat er erfahren, dass die Bewohner ihr Herz oft auf der Zunge trugen. »Was stellen Sie sich denn vor? Immerhin soll Geld für die Orgel zusammenkommen.« »Sie sind ein bekannter Pianist, selbst in den Highlands. Mutti meinte, ein Klavierkonzert mit Ihnen würde wie ein Magnet wirken. Wo wir schon bei Saint-Saëns sind, eines seiner Klavierkonzerte?« »Gibt es denn hier genug Übernachtungsgelegenheiten? Allein das Orchester reist mit dreißig Musikerinnen und Musikern samt ihren Instrumenten an.« »Die ganze Region ist touristisch nicht ganz unbekannt. Inverness und Edinburgh sind gut erreichbar. Darüber würde ich mir keine Gedanken machen, das organisieren die Leute hier schon. Was meinen Sie dazu?« »Die Idee hat was. Von der Tonart würde das 4. Klavierkonzert passen. Lassen Sie uns doch im Januar darüber sprechen. Aber den Sonnengesang sollten Sie sich doch zu eigen machen. Es ist spieltechnisch sehr anspruchsvoll. Im Übrigen: Patrick ist Bariton.« Nancy sah zu Cedric. »Hat er etwas? Ihr Sohn zieht seltsame Grimassen.« »Seine Milchzähne brechen durch. Aber er hält sich tapfer.« »Abba?« »Ja, Cedric?« »Cedric mehr Mil?« »Natürlich bekommst du noch Kakao.« Carsten rief nach der Bedienung. »Baba, iih!« Andreas stand auf und schnappte sich Cedric. Als sie zur Toilette gingen, ahnte Nancy, worum es ging. »Cedric hat seine eigene Ausdrucksweise.« »Darf ich Sie fragen, wie er damit fertig wird, dass Sie blind sind?« »Er nimmt es als Selbstverständlichkeit hin. Wenn ihm an mir etwas suspekt vorkommt, hat er seine Methoden.« Der Kakao wurde serviert. Ein wenig später traf Cedric wieder ein. »Abba mil mmh.« Cedric nahm auf den Schoß seines Papas platz. Dann nahm Carsten die Flasche. Sein Sohn nuckelte zufrieden. Nancy verabschiedete sich von der kleinen Familie. Cedric sah einen Moment zur Tür. Er erkannte jemanden. »Abba Andea.«

»Da hast du gut aufgepasst«, lobte er ihn. »Stefano kommt gleich, er parkt noch den Wagen.« »Möchtest du Tee?« »Nein, lieber einen Kaffee.« Andreas winkte der Bedienung. Für Andrea und Stefano bestellte er Kaffee. »Wir haben Espresso, Cappuccino, Latte Macchiato, Café au Lait …« »Zwei Espresso bitte«, kürzte Andrea ab. »Andea mmh?« »Es ist kalt draußen und wir bevorzugen Kaffee. Beantwortet das deine Frage?«, antwortete Andrea ernsthaft. »Ja. Abba mil.« In seinem Blickfeld erschien die Flasche. Schnell war der Nuckel wieder im Mund. Gerade als der Espresso serviert wurde, betrat Stefano den Tea Room. »Hast du einen Platz gefunden?«, wurde Andreas neugierig. »Klar. Es ist für mich noch ungewohnt, da das Steuer rechts ist.« »Mach dir nichts draus. Bei mir war es relativ einfach, da ich meinen Führerschein hier gemacht habe. Dafür hatte ich dann auf dem Kontinent einige Probleme. Letztendlich ist es nur Gewohnheit.« »So sehe ich das auch. Habt ihr viel einkaufen müssen?« »Nein. Zwei Taschen. Dazu noch Eis für Cedric.« Stefano nippte von dem Espresso. »Wow, ist der gut.« »Andreas, geht ihr nachher wieder zurück?«, fragte Andrea ihren Schwager. »Ja. Ich denke, es wird Cedric guttun. Eventuell machen wir einen Abstecher zur Kirche. Neue Eindrücke sammeln. Heute Nachmittag sind wir dann bei den Hills zum Tee eingeladen. Mr Hill möchte mit uns ein Problem besprechen.« »Ach, möchte er das?«, wunderte sich Carsten etwas. Doch es tat gut, sich mit dem Gärtnermeister zu unterhalten. Immerhin hatte die Gärtnerei Hill & Son sich vorbildlich um den Park und den Spielplatz gekümmert.

Die Teepause beendete Cedric, nachdem er seine Flasche geleert hatte. Andrea nahm die Einkäufe entgegen. »Ach, Andrea, sage Luise doch, dass sie einen weiteren Beißring in den Kühlschrank legen kann. Cedric scheint es zu mögen.« Dann verabschiedeten sie sich. In der Kirche war es angenehm. »Sag einmal, Tiger, ist es für eine Orgel nicht zu kalt?« »Genau weiß ich es nicht. Doch ich könnte mir vorstellen, dass auch im Hochsommer die Temperatur sich hier nicht großartig ändert. Wenn dem so ist, wäre das ideal für das Instrument. Ich denke, um Genaueres zu erfahren sollten wir den Orgelbauer fragen«, lautete Carstens Antwort. Diese vorsichtige Sichtweise liebte Andreas an ihm. Er gab offen zu, nicht alles zu wissen. Bot aber auch an, sich der Thematik zu stellen. »Baba, Cedric buh buh!« Andreas lächelte. »Dann komm. Mach es dir in dem Tuch bequem. Bei mir wirst du sicher ein gutes Nickerchen machen können.« Cedric entspannte sich. Zuletzt schloss Andreas seine Jacke um den kleinen Mann noch etwas mehr zu wärmen. Mit dem zufriedenen Jungen machten sie sich wieder auf den Weg nach Hause. »Salvatore!«, sprach Andreas seinen Hund an. »Was ist mit ihm?« »Er lief mir zu weit voraus. Manchmal hat er einfach anderes im Kopf.« »Nun, wir sind hier noch an der Hauptstraße. Da ist es ganz gut, ihn im Blickfeld zu haben. Gerade wenn er nicht an der Leine läuft«, bestätigte Carsten. Dann kam die Abzweigung zu ihrem Haus. »Andreas, darf ich mich an euch beiden festhalten? Dann können die beiden Rabauken die Gegend unsicher machen.«, Andreas hatte keine Einwände. Salvatore und Leonardo nutzen die Gelegenheit, ihre Nasen durch den Schnee zu pflügen.

»Schläft Cedric noch?«, wollte Carsten wissen. »Ja. Er hat auch noch etwas nachzuholen.« »Und seine Papas?«, lächelte Carsten charmant Andreas an. »Die kommen auch mit weniger aus.« »Wenn dem so ist, Schatz. Ich kümmere mich um die Hunde.« Gesagt, getan. Cedric schlief seelenruhig in seinem Tagesbett. Er bekam nicht einmal mit, wie Andreas ihm etwas anderes anzog. Leonardo und Salvatore zogen sich in ihre Kudden zurück. In ihrem Zimmer trafen sich Andreas und Carsten. »Schön ruhig im Haus. Wo die alle hin sind?« »Unsere Großeltern sind vielleicht mit Leon und Gina raus. Paul soll ja wohl schwimmen. Ich bin nicht der einzige in der Familie, der sich im Wasser wohlfühlt. Sie sollen sich erholen. Ercan massiert Mutti.« »Ist es Luise nicht peinlich?« »Warum? Ercan ist Physiotherapeut. Zwischen Beruf und privat zieht er eine Linie. Nun, bereit, sich unserem Sohn zu stellen?« »Klar. Ich hole noch den Stoffball für ihn. Damit kann er dann im Salon spielen.« »Abba. Baba«, wurden sie begrüßt. »Sie einmal, ich habe dir einen Ball mitgebracht.« Zur Demonstration zeigte er seinem Sohn einen Stoffball. »Uui!« Andreas nahm Cedric aus deinem Tagesbett. Auf allen Vieren krabbelte er zu dem Spielzeug. Der Ball rollte etwas weiter und Cedric eilig hinterher. »Echt süß, wie er sich für den Ball begeistern kann. Damit haben wir ihn ein wenig beschäftigt.« »Nur, solange die Hunde den Ball nicht zum Spielzeug erkoren haben.« »Ich denke, Cedric wird ihnen schon zeigen, dass es sein Ball ist. Außerdem mag Salvatore das Geräusch der kleinen Glöckchen nicht besonders.« »Abwarten. Kann man den Ball auch waschen? Für den Fall, dass er schmutzig wird.« »Es ist ein Stoffball, waschbar bei 30°C im Schonwaschgang.« Carsten begab sich auf den Fußboden. Er folgte den Geräuschen. Bald schon entwickelte sich ein interessantes Spiel zwischen ihm und seinem Sohn. Juchzend freute sich Cedric, wie sein Papa mit ihm tobte. Andreas konnte sich der Szene nicht verwehren. Kurz darauf spielten die drei mit dem Ball. Dann wuselten Leonardo und Salvatore zwischen ihnen. Sie schubsten den Ball immer wieder mit ihrer Nase zu Cedric. Andreas nahm wohlwollend zur Kenntnis, wie agil Cedric schon war. Das Spiel beendete der kleine Mann, indem er sich einfach auf den Ball legte. »Du hast gewonnen, Cedric«, bestätigte Andreas seinen Sohn. Dann knuddelte er ihn. Cedric lachte bei den Berührungen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie die Hunde sich wieder auf ihre Ruheplätze zurückzogen. »Baba. Aua!«, schluchzte Cedric auf einmal. Andreas nahm seinen Sohn auf den Arm. Wie Carsten steckte er seinen Finger in den kleinen Mund und massierte verschiedene Stellen des Kiefers. »Carsten, würdest du bitte einen Beißring holen?« Es dauerte nicht lange, da hatte Cedric einen gekühlten Ring in seinem Mund. Zufrieden kaute er darauf herum. Scheinbar ließ der Schmerz nach. Toben mit seinen Papas machte selbst den stärksten kleinen Mann müde. Die Gelegenheit wahrnehmend, kuschelte er sich bei Andreas ein. Es dauerte nicht lange und Cedric schlief ein. »Konntest du etwas fühlen?«, flüsterte Carsten. »Drei Durchbrüche. Der kleine Mann lässt sich dabei keine Zeit.« »Weißt du, Andreas«, meinte Carsten ernst, »du bist ein guter Papa. Wir werden diese kleine Hürde schon gemeinsam meistern.« Andreas beugte sich etwas vor und küsste Carsten sehr zärtlich.

»Danke.« »Ich habe zu danken, Schatz. Ich mache mich jetzt etwas rar. Mama wollte im Studio etwas ausprobieren. Dazu bedarf sie meiner Unterstützung.« »Mach nur, ich bleibe bei unserem Sohn. Vielleicht erlaubt er mir, ein Nickerchen zu halten.« Carsten nickte zuversichtlich.

Im Studio machte Luise einige Übungen auf ihrer Violine. Währenddessen fuhr Carsten den Computer hoch. Er suchte sich einige Versionen des besagten Konzertes heraus. »Junge, ich bin soweit!«, hörte er seine Mutter sagen. »Mama, hast du ein bestimmtes Orchester im Kopf? Ich kann dir mit fünf dienen.« »Nein, Andreas sagte, dass du einige Orchester kennst. Wähle du mir eins aus.« Carsten dachte einen Moment nach. »Ich glaube, die Berliner Symphoniker passen am besten. Ich spiele sie dir einmal ein.« Nach wenigen Tastendrücken ertönte das gewählte Orchester. »Ja, das klingt gut«, kam es wenig später aus dem Lautsprecher. »Wie gehen wir jetzt vor?« »Zuerst machen wir eine Probe. Ich nutze diese für die Justierung. Wenn du Wünsche hast, sag es. Dazu müsstest du den Kopfhörer aufsetzten. Das Mikrofon sollte etwa einen halben Meter von deinem Instrument entfernt sein.« »Ich bin soweit.« »Dann lasse ich jetzt mal das Orchester spielen. Du kennst deine Einsätze.« Luise hörte die Musik. Aufmerksam folgte sie den Noten vor ihr. Dann kam ihr Einsatz. Carsten hörte das Zusammenspiel. Er justierte einige Spuren nach, bis er ein gutes Gefühl spürte. Seine Mutter machte einige Fehler, doch da es eine Probe war, spielte sie den ersten Satz zu Ende. »Wie war ich?«, meinte sie plötzlich. »Soweit gut. Kannst du dein Instrument stimmen? Deine a-Saite klingt einen viertel Ton zu tief.« Luise tat, worum Carsten sie bat. »Gut so. Wir nehmen die Sätze einzeln auf.« »Nein, Junge. Ich denke, ich schaffe das ganze Konzert.« »Du bist die Virtuosin. Lass dich von deinem Gefühl leiten.« Carsten gab ihr durch die Scheibe ein Zeichen. Dann ertönte wieder das Konzert. Während Luise lediglich das Orchester im Kopfhörer hörte, verfolgte Carsten das Konzert im Ganzen. Nach einer guten halben Stunde war es auch schon wieder vorbei. »Das war sehr gut, Mama. Du hast es noch drauf.« »War aber auch ganz schön anstrengend. Kann ich mal die Aufnahme hören?« Anstelle zu antworten, fuhr Carsten das Band ab. Luise war baff von dem, was sie hörte. »Wow, deine Mutter hat es noch drauf«, meinte Paul hinter Carsten. »Was meinst du?« »Fragst du mich als Sohn oder Dozent? Als Sohn finde ich es umwerfend. Der Dozent in mir hört einige verbesserungswürdige Partien.« »Ehrlich, als Sohn gefällst du mir besser.« »Es muss Mama gefallen. Dir gefällte es ja auch, oder war dein ›Wow‹ nicht ernst gemeint?« Pauls Schweigen war ihm Antwort genug. »Junge, speicherst du das mal. Ich habe da ein paar Stellen gehört, die mir nicht gefallen. Doch das viele Sitzen strengt an. Meinst du, wir können das noch einmal machen? Morgen?« »Natürlich. Im Übrigen: Papa gefällt es bereits.« »Paul liebt mich, da ist er weniger kritisch«, tönte es aus den Lautsprechern. Paul nahm es mit Humor. Er ging ins Studio und half seiner Frau, das Instrument wieder in den Koffer zu legen. Gemeinsam verließen sie die Örtlichkeit. Carsten speicherte die Aufnahme. Dazu machte er sich einige Notizen, welche beim nächsten Mal nützlich sein könnten. Danach machte er auch dort Feierabend.

Zur Tea Time entführte Andreas seine beiden Männer samt Hunden. »Wir fahren zur Gärtnerei Hill. Ich wurde zum Tee eingeladen. Es gibt wohl ein kleines Problem im Park.« »Irgendeine Ahnung, was es sein könnte?«, fragte Carsten nach. »Nein. Wenn es schon länger bestünde, hätte ich schon eher etwas erfahren. Doch die Arbeiten dort sind schon seit einigen Wochen abgeschlossen. Warten wir ab. So, wir sind da.« Die Türen des Wagens waren noch nicht verschlossen, da kam ihnen auch schon Mrs Hill entgegen. »Mr Zahradník, Mr Von Feldbach. Ich freue mich, nun auch Ihren Sohn persönlich kennenzulernen. Victor hat schon viel von Cedric berichtet«, begrüßte die Dame ihren Besuch. »Ihre Hunde dürfen sich frei bewegen. Mein Mann und mein Sohn erwarten Sie bereits.« »Mrs Hill, habe sie eine Ahnung, worum es sich bei dem Problem handelt?« »Nicht konkret. Es hat irgendetwas mit dem alten Burn zu tun. Mein Großvater kannte noch die alte Mühle. Die Rutherfords benutzten diese, um Strom zu erzeugen.« »Das ist interessant.« »Lord Rutherford war der Bevölkerung wohlgesonnen. Der Strom versorgte, wenn auch begrenzet, die Gemeinde.« »Mrs Hill«, begann Carsten, »gibt es denn noch sehr viele Mitbewohner, die ähnliche Informationen zu den Rutherfords haben?« »Direkten Kontakt haben wohl die wenigsten der lebenden Bevölkerung noch gehabt. Viele kennen die Geschichten über ihre Großeltern. Zum Teil leben hier noch Menschen, deren Familien für die Lords gearbeitet haben. Lady Rutherford hatte ja in ihrem Haushalt einige Angestellte, Küchenpersonal, Hausdamen, Gesellschafterinnen, Hausdiener. Die Lords hatten jeweils Butler und Verwalter für ihr Gut. Jagdaufseher, Forstangestellte und Personal, welches sich um die Tiere kümmerten. Eben alles, was zu der damaligen Zeit einfach notwendig war.« Währenddessen gingen sie ins Haus. Cedric hörte einfach nur am Schnuller nuckelnd zu. »Mr von Feldbach, ich kenne ja die meisten Menschen hier. Sie möchten mehr über die Rutherfords erfahren?« »Die offizielle Chronik kenne ich ja schon. Uns geht es darum zu erfahren, wie die Lords und Ladies in der Bevölkerung wahrgenommen wurden. Da sind solche überlieferten Geschichten wertvolle Quellen.« Mrs Hill lächelte. Sie ahnte, worauf dieses Ansinnen hinauslaufen würde. »Ich werde mal sehen, was ich tun kann. Vielleicht kann ich ja einige dazu bewegen, ihre Geschichten zu erzählen oder besser noch diese aufzuschreiben.« Dann machte sie eine nachdenkliche Pause. »Für eine nichteinheimische Familie legen sie wirklich viel Wert darauf, mehr über die historische Entwicklung dieser Gemeinde zu erfahren. Das gibt diesem verschlafenen Nest neue Impulse.« »Mrs Hill, wir sind ein kleiner Teil dieser Gemeinde. Meine Mutter hat uns immer darin gefördert, neugierig zu bleiben. Vielleicht ist es ihrer Berufung der Anthropologie geschuldet. Je besser jemand die Entwicklung einer sozialen Gesellschaft verstand, umso einfacher war es, sich zu integrieren. Letztendlich geht es einfach um ein angenehmes Zusammenleben. Daran arbeiten wir - hoffentlich - gemeinsam.« Andreas hörte aufmerksam zu. Er kannte diese offene, sympathische Art seines Mannes. Neu war ihm der Aspekt, dass Luise ihn dahingehend aktiv unterstützt hat.

Das Wohnzimmer der Hills war weihnachtlich eingerichtet. Da der Weihnachtsbaum schon beleuchtet war, fand dieser das Interesse von Cedric. Auf Andreas‘ Arm wurde er lebhaft. Deutet mit einem kommentierenden ›Oh‹ und ›Ah‹ auf alles, was er sah. »Cedric ist ja sehr neugierig. Gefällt dir unser kleiner Baum?«, begrüßte Mr Hill die Gäste. »Hallo Victor. Wir finden es auch ganz gut so. Neugier ist ein starker Antrieb, aktiv zu bleiben.« »Ich kenne das von Andrew. Schon sehr früh hat er sich für Pflanzen interessiert. Doch möchtet ihr euch nicht setzten?«, forderte Mr Hill die Gäste auf. »Gerne«, antworte ihm Andreas. Am Tisch wechselte Cedric zu Carsten. Dieser saß dem Baum gegenüber und der kleine Mann guckte jetzt genauer hin. »Du sagtest am Telefon, es gäbe Probleme im Park?«, begann Andreas. »Ja, durch den vielen Niederschlag der vergangenen Wochen staut sich das Wasser im Bach. Der Park war wenig frequentiert und es kümmerte keinen. Das hat sich nun aber geändert«, lautete die Antwort. »Der Bach fließt in Richtung des freien Areals jenseits des Parks«, führte Andrew fort. »Er fließt jedoch nicht richtig ab, sondern versickert langsam. Daher jetzt auch der Rückstau.« »Der Burn dort ist versumpft. Ich habe schon Hinweise dazu gefunden. Kaum einer kennt dort noch die Gegebenheiten.« Carsten hatten die Ausführungen aufmerksam verfolgt. »Victor, ist durch den Rückstau des Wassers das Haus, der Spielplatz oder unser Hausbrunnen gefährdet?« »Nein, lediglich die unten gelegenen Wanderwege werden unpassierbar. Das Grundstück liegt über dem Niveau des Areals.« »Wir können jetzt nicht viel unternehmen. Mit der Schneeschmelze wird die Situation wohl noch schlimmer. Sperren wir die betroffenen Wanderwege. Stellen Hinweise zur Überschwemmung auf. Ich denke, die Menschen werden diese Maßnahme verstehen. Sobald sich die Situation entspannt, kümmern wir uns um die Ursache.« »Wie sollen wir das angehen?«, fragte Mr Hill nach. »Wir haben uns mit dem nationalen Archiv in Verbindung gesetzt, das uns hoffentlich entsprechende Kopien alter Landschaftskarten mit Bebauung zukommen lässt. Denn auf den Karten im Internet fehlen diese Informationen. Andreas hat ja schon festgestellt, dass der alte Burn versumpft beziehungsweise zugewachsen ist. Mit diesen Informationen als Basis wäre es möglich, zumindest den Abfluss des Burns wieder freizulegen.« »Alternativ könnten wir mit einem kleinen Stauwerk den Überschwemmungen entgegenwirken«, führte Andreas die Überlegungen fort. »Dazu möchte ich einen alten Professor für Wasserbau kontaktieren. Im kommenden Frühjahr wird mein Schwiegervater eine Gruppe Boreray-Schafe dort ansiedeln. Sie sollen vor allem einer weiteren Verwilderung des Geländes entgegenwirken. Ich würde dazu gern Mr Moore mit seiner Erfahrung hinzuziehen.« Mrs Hill schenkte jedem Tee ein, während sie schweigend den Männern zuhörte. Carsten holte für Cedric eine vorbereitete Flasche hervor. »Mr Von Feldbach, mag ihr Sohn Butterkekse?« »Klar. Er lutscht diese aber mehr.« Es wurde ruhig Tee getrunken und diverses Gebäck gegessen. Dann leuchtete Mr Hills Mimik auf. »Andrew, hast du nicht mal als Jugendlicher mit deinen Kumpels auf dem Gelände Archäologen gespielt? Hattet ihr da nicht auch ein altes Fundament entdeckt?« »Du weißt davon?« »Die ganze Gemeinde wusste davon. Doch habt ihr nicht davon eine Karte angefertigt?« »Ja. Ich weiß nur nicht, ob diese noch existiert.« »Wenn, dann oben auf dem Speicher in der alten Kiste. Nach den Feiertagen suchen wir diese mal«, beschloss Mrs Hill dieses Thema. Denn alle Anwesenden wussten, das in absehbarer Zeit nicht viel zu bewerkstelligen war. Außer eben diese Hinweise aufzustellen.

Cedric hatte genug von dem Baum gesehen und guckte sich neugierig um. Dabei sabberte er munter auf einem Keks herum. Dann fiel ihm ein Bild auf. »Baba! Da Dada Wolf?« Mit seiner freien Hand zeigte er auf das Bild eines Schäferhundes. »Nein, das ist nicht Wolf von Ben.« »Das, Cedric, ist unser Hund Lucky.« »Dada wo?« »Lucky ist tot. Er war sehr krank.« Sowohl Andreas als auch Carsten spürten, wie ihr Sohn das Gehörte einzuordnen versuchte. »Oh«, war sein anschließender Kommentar. »Cedric mag Hunde. Mit unseren beiden spielt er oft. Merlin berichtete uns von der Hüftdysplasie und Uhrer Entscheidung. Aus der Praxis meines Vaters kenne ich die Diagnose. Ich weiß, dass Ihre Entscheidung zum Wohl von Lucky war.« Im Wohnzimmer machte sich eine nachdenkliche Ruhe breit. Mrs Hill fand als erste ihre Sprache wieder. »Lucky fehlt uns. Ein sehr guter Wachhund. Im Sommer blieb er gerne draußen und hatte seinen Platz im Gewächshaus. Jetzt haben wir drei Hunde adoptiert. Du kannst dich daran erinnern, dass Merlin uns in der Usher Hall aufsuchte? Er bat mich, im Tierheim auszuhelfen. Als Gassigängerin habe ich mich um eine Hündin gekümmert. Sie brachte drei Welpen zur Welt. Nach der Entwöhnung wollte keiner die drei haben. Eine Mischung aus Deutschem Schäferhund und Rottweiler. Zwei Hündinnen und ein Rüde.« »Wo sind sie jetzt?«, fragte Carsten. »Sie halten Siesta. Nach ihrer Gassirunde sind sie einfach müde.« Andreas sah eine zufriedene Mrs Hill. »Edward stellte mir vergangene Woche Ihre Eltern vor«, wechselte sie das Thema. »Ihre Mutter sah sich an unserem Blumenstand auf dem Markt um. Dabei kamen wir ins Gespräch. Sie ließ sich einen schönen Strauß binden. Ihr Vater staunte nicht schlecht, als er bezahlen sollte.« »Das macht er oft. Bei Blumensträußen, Gebinden oder wenn Mutti etwas für den Garten benötigt, zögert er aber nicht. Sie lieben die Natur um sich herum.« »Das bringt mich auf einen anderen Anlass unseres Besuchs«, erinnerte sich Andreas. »Die Pflanzen«, vervollständigte Mr Hill das Thema. »Ich habe wie gewünscht sechs Paar Rosenstöcke zusammengestellt. Andrew, kannst du die Pflanzen gleich zu Andreas‘ Auto bringen? Sie stehen im kleinen Gewächshaus.« Mr Hill Junior nickte bestätigend.

Cedric betrachtete noch immer das Bild mit dem Hund. Anscheinend mochte er das Tier, ohne es näher zu kennen. Carsten spürte, wie ruhig er war. Etwas schien ihn zu beschäftigen. »Wir sollten langsam wieder los«, meinte er.

Andrew brachte eine größere Kiste zum Auto und stellte diese in den Kofferraum. Dann sprangen beide Hunde dazu. »Sie haben wirklich wohlerzogene Hunde. Gehen sie an die Pflanzen?« »Nein, Salvatore kennt das schon und Leonardo interessiert sich nicht dafür. Was schulde ich euch?« »Paps sagte, es ist ein Geschenk.« »Danke.« Währenddessen hatte Carsten ihren Sohn wieder in seinen Sitz gesetzt. Zuletzt gab er ihm seinen Teddybären. Mit dem obligatorischen Weihnachtsgruß fuhren sie los. »Darf ich fragen, was das für Rosen sind?« »Es sind Teerosen. Einmal die Durchesse de Brabant und die Gloire de Dijon. Ercan berichtete mir davon, dass Luises Rosen den letzten Winter nicht überstanden haben. Da beide sehr alte Rosenarten sind, gibt es diese nicht mehr in modernen Gartencentern.« »Warum sechs Paar?« »Ein Paar ist für Luises Gartenparadies, für meine Großeltern und Zio Jihan. Das letzte Ensemble ist für uns. Ich möchte diese an der Terrasse setzten. Geben wir unserem Heim etwas mehr Farbe.« »Und mehr Aroma«, ergänzte Carsten.

Andreas fuhr direkt in die Garage. Carsten kümmerte sich um ihren Sohn. Andreas öffnete lediglich die Hecktür und ließ beide Hunde aussteigen. Die Kiste mit den Pflanzen prüfte er kurz. Auf seinen Gärtner konnte er sich verlassen. Für diese Nacht konnten die Pflanzen im Wagen bleiben. »Andreas, ich gehe schon mal mit Cedric vor.« »Warte, ich komme mit. Salvatore, Leonardo.« Beide Papas gingen durch das Tor hinaus, bevor sich das Garagentor schloss. »Du, sag einmal, warum haben wir keinen Durchgang zum Haus?« »Arthur hatte mich gefragt, als diese Entscheidung anstand. Wir haben die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen. Ich habe mich dagegen entschieden. Einmal, damit keine schädlichen Abgase ins Haus gelangen. Ein weiterer Punkt war, dass wir zwei Wanddurchbrüche zum Porch hätten machen müssen. Enttäuscht, dass ich ich diese Entscheidung allein traf?« »Eine grundlegende gute Entscheidung. Nein, Arthur war doch dabei. Es gibt auch einen weiteren Vorteil: Die Hunde laufen nicht einfach so ins Haus. Wenn sie noch einmal durch den Garten gehen, haben sie auch Gelegenheit, sich zu lösen. Praktisch gedacht eben.« Aus der Liegeschale kommentierte ein kleiner Mann das Gespräch. »Abba, Dada Aah un Iih?« »Genau. Leonardo und Salvatore laufen zu ihren Ecken. Dort pieseln sie oder machen einen Haufen.« »Cedic au Iih un aah!« »Danke für deinen Hinweis. Andreas, kümmerst du dich darum?« Behutsam übernahm der Angesprochene seinen Sohn und eilte ins Haus. Carsten klappte seinen Stock auseinander. Im Garten tobten die Hunde. Den Geräuschen nach waren auch Gina und Leon draußen. »Carsten! Die Hunde haben das Vergnügen ihres Lebens im Schnee«, sprach ihn Stefano an. »Ist mir ganz recht. Wie geht es deiner Familie?« »Sie stehen ein wenig im Stress. Heute ist die Weihnachtsfeier ihres Reitvereins auf dem Pferdehof. Mama und Papa betrachten es fast wie eine Audienz beim Papst. Alles muss perfekt arrangiert sein. Dagegen sehen es meine Geschwister immer sehr locker. Ich bin wirklich froh, dass ich hier die Ruhe genießen darf.« »Ob es wirklich ruhig bleibt?«, meinte Carsten. »Natürlich. Die älteren Herrschaften lieben es, bei ihrer Familie zu sein. Da ist ein perfektes Fest Nebensache. Andrea ist in den letzten Wochen auch nicht zur Ruhe gekommen. Die Sorgen um Luise und Paul, Mehrarbeit in der Praxis. Zwei Tage vor unserem Abflug wurde sie nachts zu einem kalbenden Rind gerufen. Ich sah sie erst zum Frühstück wieder.« »Das Leben mit einer Tierärztin kann hart sein. Gerade für die Familie.« »Deswegen bin ich auch glücklich zu sehen, wie deine Schwester sich hier entspannt. Sie blüht richtig auf.« Carsten hörte Erleichterung in der Stimme seines Schwagers. »Weißt du was? Als wir vor einem Jahr das Haus entdeckten, hatte ich von London genug. Die Stadt ist nie still. Zu Beginn unseres Studiums war es noch ein Abenteuer. Das schleift sich jedoch schnell ab. Hätte ich nicht Andreas und Max gehabt, wäre ich wohl schon nach einem Jahr wieder zurück.« »Seid ihr denn nie aus London raus?« Carsten lachte. »So oft es ging, haben Max und ich Andreas zu diversen Parks und Gärten begleitet. Am liebsten waren wir drei im Colne Valley Regional Park. Dort sind wir teilweise Stunden gelaufen. Die Ruhe tat uns allen gut.« »Jetzt habt ihr euren eigenen ruhigen Park.« »Eigentlich nur der weitläufige Garten. Der Park steht auch der Bevölkerung zur Verfügung. Die respektieren jedoch unsere Privatsphäre.« Stefano sah sich um. Der Garten, auch wenn schneebedeckt, hatte etwas Beruhigendes. »Spricht etwas dagegen, uns auf die kleine Bank zu setzten?« »Nein. Ich bin sogar ganz froh. Die Ruhe der Natur tut einfach gut. Obendrein sollen die Hunde ruhig toben.« Stefano kannte eigentlich nur seine beiden Vierbeiner. »Wird das für Gina und Leon nicht zu viel?« »Nein. Leon weiß, wann Schluss mit Lustig ist. Er gibt sich später auch mit dem Garten zufrieden. Gina wird sicher anschließend relaxen. Wenn sie nach ihrem Vater kommt, hat sie danach noch Ausdauer für eine mittlere Runde mit unseren beiden.« »Du kannst Gina schon nach den paar Tagen einschätzen?« »Nein, mein Gefühl sagt mir, dass ich richtig liege. Außerdem achten ihre Brüder auf sie.« Carsten lauschte den Geräuschen der Hunde. »Papa sagte mir, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass Elterntiere sich um ihren Nachwuchs kümmern. Normal machen das die Weibchen. Doch schon Arco hat da eine Ausnahme gemacht. Er hat sich vorbildlich um Max gekümmert. Das hat er wohl Leon in seine Gene gelegt. Doch auch bei dem Wurf, aus dem Leonardo und Salvatore hervorgegangen sind, kümmern sich alle um ihre Welpen. Unsere beiden nehme es sehr ernst, wenn es um das Wohl ihrer kleinen Schwester geht. Andersherum lernt eure kleine Lady viel von ihnen.« Stefano sah sich die vier Hunde an. Wie sie im Schnee tobten, sich jagten. Ihre Zweisamkeit wurde durch Andreas und Cedric unterbrochen. Der Papa war der Meinung, mit seinem Sohn einmal im Garten nach dem Rechten zu sehen. »Dada! Wau«, jubelte ein begeisterter Cedric. Zeigte dabei mit einer Hand auf die vier Hunde. »Baba? Dada brrr?« Es brauchte, bis Andreas die Frage verstand. Dann fiel der Penny. »Nein. Die Hunde haben ein Fell. Das hält sie warm. So wie dich deine warme Jacke. Du kannst das gleich selbst prüfen, wenn du uns hilfst, deine Tiere wieder trocken zu reiben.« Cedric schwieg und schien nachzudenken. Zwischenzeitlich hatten die Vierbeiner den kleinen Mann entdeckt. Mit viel Elan stürmten sie auf die Gruppe zu. Plötzlich sah sich Cedric von vier Hunden umringt. Mit seinen Armen ruderte er auf Andreas‘ Arm, so dass dieser etwas Mühe hatte, ihn zu halten. »Gina sieht müde au.«, meinte Stefano. »Dann lass uns mal wieder hineingehen. Nach dem Dinner scheuchten wir die Bande noch einmal in den Garten. Dann sollte es gut sein.« Im Porch kümmerten sie sich alle, um die Vierbeiner wieder salonfähig herzurichten. Andreas und Cedric nahmen sich Leon an. Nach einer viertel Stunde war auch das erledigt. Nach dem Dinner wollten nur die jungen Hunde sich erleichtern. Leon hatte lediglich ein müdes Grinsen übrig. Andreas fragte seine Schwägerin, ob er es durchhalten würde. Wobei sie abschätzend meinte, dass es möglicherweise eine kürzere Nacht geben könnte. »Na, ich bin schon öfters zeitig aus dem Bett. Da morgen nichts Besonderes ansteht, kann ich auch eine Siesta halten«, kam es lapidar von Carsten. »Wie läuft es denn in Glasgow?«, fragte Nonno in geselliger Runde. »Ganz gut. Ich habe dort drei Gärtnereien gefunden, die bereits die Bäume gesetzt haben. Sie kümmern sich auch weiterhin um deren Pflege«, beantwortete Andreas die Frage. »Wieso drei?« »Weil jeder Betrieb einen anderen Schwerpunkt hat. Eine Gärtnerei macht hauptsächlich Landschaftspflege. Darunter fallen alle großen Gehölze. Angefangen vom Pflanzen bis hin zu den jährlichen Schnitten, pflegen sie die Bäume. Die anderen beiden Fachbetriebe teilen sich die Arbeiten. Dabei kümmert sich jeder Betrieb um einen Bereich in dem Stadtteil. Für eine Gärtnerei wäre es einfach zu viel, um alles ordentlich zu bewerkstelligen. Wir haben uns direkt nach der Auftragserteilung zusammengesetzt. Da alle Betriebe aus der Region sind, hat die Stadt der Kostenübernahme zugestimmt. Die Aufteilung haben sie selbst vorgeschlagen. Ich denke, sie sind ganz zufrieden mit diesem Kompromiss.« »Ist das Projekt denn so weitläufig?« »Es ist ein ganzer Stadtteil und erstreckt sich über mehrere Hektar. Es ist mein bisher größtes Projekt. Daher auch die Sandkiste in meinen Arbeitsräumen. Es gibt einen kleinen Public Garden, dazu kommen die Begrünungen eines Wohnviertels. Zuletzt noch gibt es neue Versorgungswege, die ebenfalls durch Pflanzen aufgelockert werden sollen. Dieses Projekt erstreckt sich über drei Jahre, da darf ich den Überblick der einzelnen Phasen nicht verlieren. Nach Abschluss, so habe ich das mit allen Beteiligten vereinbart, mache ich regelmäßig Inspektionen. Im Gegenzug werde ich bei Problemen durch die Gärtnereien informiert. Ich glaube, die Stadt ist ganz froh, sich nicht darum kümmern zu müssen. Es wird sich in einem Jahrzehnt zeigen, wie gut ich geplant habe.« Die Anwesenden hörten ihm aufmerksam zu. Da machte es nichts aus, dass die Ladies mit Handarbeiten beschäftig waren. »Ich denke«, begann Paul, »dass du dir dadurch hier in Schottland einen Namen machst.« »Paul, man kennt mich bereits. Viele Gärtnereien und Baumschulen horchen auf, wenn der Name Zahradník fällt. Gerade diejenigen, welche auf Qualität Wert legen.« »Du bist ganz wie dein Vater. Pawel schloss bei Auftragsarbeiten auch schon einige Betriebe aus, weil sie einfach nicht mit entsprechendem Know-how aufwarten konnten. Bei der Renaturierung von Industriegeländen ist die Landschaftspflege im Anschluss sehr wichtig. Im Ruhrgebiet hat Sylvia, seine Geschäftspartnerin, ihrem Umut freien Lauf gelassen. Als ein Betrieb mit einer Brigade von Saisonarbeiter anrückte, machte sie den Meister zur Schnecke. Sie drohte, den Vertrag fristlos zu kündigen, falls die Arbeiten nicht von gelernten Gärtnern durchgeführt werden. Obendrein würde der Betrieb mit einer Klage auf Schadenersatz zu rechnen haben«, plauderte Babi locker vor sich hin. »Hat sich etwas geändert?« Děda lachte. »Sylvia hatte Haare auf den Zähnen. Vor ihr war keiner sicher. Der genannte Gärtner war zwei Meter groß und hatte ein Kreuz wie ein Kleiderschrank. Nach dem Gespräch entwickelte sich die Pflege vorbildlich. Das Projekt war sogar Bestandteil einer Landesgartenausstellung.« »Hat sich denn bei den Saisonarbeitern etwas geändert?«, wollte Andreas noch wissen. »Sylvia sprach einmal davon. Die Gärtnerei setzt auch weiter auf solche Hilfskräfte. Jedoch wurden diese nur eingestellt, wenn sie eine entsprechende Qualifikation vorweisen konnten.« »Wenigstens eine sinnvolle Basis. Vermeiden kann man es leider nicht«, resignierte Carsten. »Und, Papa, hast du herausbekommen, was für ein Gerät du entdeckt hast?«, erinnerte sich Andreas an die morgendliche Wette. »Nein, nicht wirklich. Ich könnte mir vorstellen, dass es etwas mit Licht zu tun hat.« Luise hustete. »Och Männe. Es ist ein Heliograph! Damit hat man in grauer Vorzeit die Sonnenscheindauer gemessen. Andreas hatte doch erwähnt, dass alle Informationen auf der Hand liegen.« »Du kennst es?« »Natürlich. Nebenbei bemerkt, es ist auch ein schönes Kunstwerk.« »Danke, Mama. Es ist ein Geschenk eines alten Gärtners der Royal Horticultural Society. Der Graph ist aus dem 18. Jahrhundert. Es besteht aus hochwertigem Messing, welches ein Restaurator fachmännisch aufpoliert hat. Ein Glasbläser fertigte mir eine neue Glaskugel an. Die ursprüngliche hatte einige Abstöße und war auch schon etwas blind geworden. Etwas schwieriger war es, passende Messstreifen zu finden. Durch Zufall fand ich einen Hersteller, der noch alte Schablonen für das Modell hatte. Dort bestelle ich nun regelmäßig nach.« »Gibt es denn keine modernen Methoden?«, fand Paul das Thema interessant. »Klar gibt es die. Heutzutage wird die Sonnenscheindauer theoretisch ermittelt. Doch dazu bedarf es eines Rechners und dieser arbeitet am besten mit Strom. Für mich reicht die mechanische Methode vollkommen aus. Obendrein macht es sich als Kunstwerk sehr gut im Gewächshaus«, gab Andreas Auskunft. Nach einer Weile des Schweigens meldete sich Cedric via Babyphon. Andreas machte sich auf, um der Ursache auf den Grund zu gehen. »Nimm vorsichtshalber einen Beißring mit.« Nach einer halben Stunde kam Andreas mit Cedric zurück. »Oh weiser Papa, Cedric hat Schmerzen. Der Ring lindert etwas. Aber er kommt nicht zur Ruhe.« »Vielleicht klappt es ja bei seinen Papas. Ihr entschuldigt uns? Dann gehen wir jetzt zu Bett.« Die Familie wünsche ihnen eine gute Nacht und viele schöne Träume für Cedric.

Bei seinen beiden Papas entspannte sich der Junge. Da machte es auch nicht viel aus, dass Carsten ihm in der Nacht noch seine Windeln wechselte. Dennoch war für Andreas und Carsten die Nacht schon früh vorbei. Ungeachtet, dass Cedric bei ihnen war, brachte Andreas seinen Liebsten mit einem leidenschaftlichen Kuss auf Touren. Danach wurde noch einmal gemeinsam das Bett durchwühlt. Cedric mochte es, von seinen Papas geknuddelt zu werden. Mit einem ›Baba ahh!‹ beendete Cedric diese Aktion. »Schatz, wenn ihr soweit seid, sollen wir etwas im Pool baden? Mal ein etwas anderer Frühstart für uns.« »Eine gute Idee. Cedric wird es sicher spannend finden. Dürfen denn seine Enten auch mit?« »Natürlich. Das sind doch ideale Spielsachen, um Spaß zu haben.« Gemeinsam machten sie sich an die Vorbereitungen für den Badespaß. Andreas kümmerte sich um ihren Sohn. Während Carsten mit bunten Enten den Pool verzierte. Wegen der frühen Stunde scheuchte er die Hunde kurz in den Garten. Eine Notiz hinterlegte er in der Küche, worin er bat, die Hunde vor dem Frühstück noch einmal rauszulassen.

Andreas zog seinem kleinen Mann nach dem Toilettengang lediglich eine Badehose an. Cedric wunderte sich etwas wegen der veränderten Prozedur. Als Andreas ihm noch seinen flauschigen Bademantel überzog, kam ihn eine Erleuchtung. »Baba Cedric padsch?« »Du bist ja wirklich klug«, lobte ihn Andreas. »Dein Abba hat vorgeschlagen, heute mal gemeinsam zu baden. Sollen wir los?« Das Leuchten in Cedrics Augen war ihm Antwort genug.

Als sie beide im Wellnessbereich ankamen, hatte Carsten schon einiges vorbereitet. Neben den dutzenden Enten schwammen noch einige andere Dinge auf der Oberfläche des Pools. Cedric jubelte: »Abba good.« Dann ging es ins warme Wasser. Cedric war in seinem Element und planschte munter vor sich hin. Als er seine rote Ente sah, ruderte er, so gut es ihm gelang, darauf zu. Durch die kleinen Wellen entfernte sich das Spielzeug aber wieder. Unbeirrt davon folgte er ihm. »Carsten, vier Uhr«, informierte Andreas. Carsten schwamm seinem Sohn entgegen. Die Ente vor sich hertreibend. Dann galt es, Spaß zu haben. Nach einer halben Stunde legten sie eine Pause ein. »Baba mmh?«, beendete der kleine Mann den Spaß. Mit seiner roten Ente in der Hand verließen sie wieder den Bereich. Diesmal war es Carsten, der sich um Cedric kümmerte. Andreas bereitete derweil das Frühstück für Cedric vor. Als Carsten mit Cedric auf dem Arm in der Küche erschien, war für die großen Jungs frischer Kaffee fertig und für Cedric ein leckerer Hafer-Fruchtbrei. »Guten Morgen«, begrüßte Nonna die junge Familie. »Oma hi!«, freute sich ein kleiner Mann, seine Oma zu sehen. Nonna ging auf Cedric zu und knuddelte ihn etwas am Bauch. »Veronika und ich möchten erst noch etwas in den Pool.« »Ciao Nonna, klar. Außer es macht euch etwas aus, mit Enten zu schwimmen.« »Enten?« Kurz erzählte Andreas ihr von dem Badevergnügen mit Cedric. Nonna lachte. »Nein, es macht uns wirklich nichts aus. Wir können ja dann die Schwimmteile alle einsammeln.« »Danke. Sonst hätte ich noch mal in den Pool gemusst. Im Übrigen dürft ihr ruhig mit Cedric im Pool planschen. So er auch will.« Andreas‘ Großmutter war von dem Vorschlag angetan. Allein dass die jungen Väter ihren Sohn bei ihnen sicher wussten. »Das wird uns allen einen riesigen Spaß machen. Ich habe schon lange nicht mehr mit Gummienten gebadet«, grinste sie.

Andreas schlug ein Frühstücksbuffet vor. So konnte jeder, wie er mochte, sich sein Frühstück zusammenstellen. Der nächste war Ercan. »Morgen, hier ist ja schon einiges los. Kann ich die Ration für Leon machen?« »Nur zu. Ich habe nämlich keine Informationen, wie sein Bedarf ist.« »Entsprechend seines Alters mehr Ballaststoffe. Die ideale Menge am Morgen ist ein Pfund. Einmal die Woche bekommt er einen Knochen. Damit beschäftigt er sich einige Tage.« »Ein genügsamer Zeitgenosse«, pflichtete Andreas bei. »Er ist halt Rentner. Seine Leidenschaft für Frisbees hat er an Gina weitergegeben. Sollen die Hunde erst noch in den Garten?« »Nicht nötig, sie haben sich schon gelöst. Sie machen später eine große Runde. Du darfst Andreas und Cedric ruhig dabei begleiten.« »Kommst du nicht mit?«, fragte Andreas nach. »Nein. Ich habe über das Gespräch mit Nancy wegen des Konzertes nachgedacht. Ihre Idee hat etwas. Ich habe da eine vage Vorstellung zu dem 4. Klavierkonzert von Saint-Saëns. Im zweiten Satz würde ich eine Wiederholung für die Orgel arrangieren. Ich möchte das im Studio testen. Da Mama heute Nachmittag noch an ihrem Konzert feilen möchte, nutze ich den Vormittag.« »Gehst du heute gar nicht raus?« »Natürlich! Ich will es mir doch nicht mit unserem Sohn verderben. Obendrein würde Leonardo mich auch nicht in Ruhe lassen. Im Studio wird es wohl nicht länger als drei Stunden insgesamt dauern. Dazwischen habe ich noch viel Zeit, um frische Luft zu tanken.« Entspannt trank er von seinem Kaffee. »Abba Dada wo?«, stellte ein neugieriger Junge eine essentiell wichtige Frage. »Du vermisst deine Hunde? Ruf sie doch einmal.« Erst wusste Cedric nicht, was sein Papa von ihm wollte. Also fragte er nach. »Leonardo, Salvatore! Dada wo?« Wie auf Stichwort betraten die beiden Genannten samt Begleitung die Küche. »Dada hi«, freute sich der Junge. »Leonardo, Salvatore, mmh?« Carsten nickte lediglich den Hunden zu. Mit viel Eifer machten sich die Vierbeiner über ihre Rationen her. Andreas sah, wie Cedrics Augen über diesen Erfolg leuchten. Unterbrochen wurde das gemütliche Beisammensein durch das Telefon. »Ich gehe. Cedric ist sicher noch nicht satt.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stand Carsten auf. In seinem Arbeitszimmer nahm er das Gespräch an. Wenig später kam er zurück. »Etwas Wichtiges?« Andreas‘ Neugier war unbändig. »Zio Jihan will seinen Großneffen kennenlernen. Er ist schon in London.« »Dann wird unser Sohn mit den schönen Künsten vertraut. Wo sollen wir ihn unterbringen?« »Glaubst du, er wäre uns sehr böse, wenn wir ihn bei Ercan unterbringen?« »Nein. Er weiß ja, dass unsere Familien bei uns sind. Da Cedric nichts dagegen haben wird, von den anderen bespaßt zu werden, stelle ich dort noch ein Bett auf.« »Haben wir denn noch welche?« »Nein. Doch ich denke, der Schreiner hat noch eines. Wir sollten eventuell doch zwei weitere Gästezimmer einrichten.« »Das nehmen wir im Neuen Jahr in Angriff. Hast du schon ein Dinner für morgen Abend vorbereitet?« »Das habe ich. Doch ich werde noch eine kleine Finesse für Zio kreieren.«

Das Buffet war vorbereitet. Ihre Gäste waren erfreut, dass sie sich beim Frühstück bedienen konnten. Andreas übergab Cedric später seiner Schwägerin. »Ich muss noch etwas erledigen. Geht mit ihm und den Hunden eine große Runde Gassi. Habt ihr euch schon mal den Spielplatz angesehen?« »Nein.« »Cedric wird euch alles erklären. Auch wenn ihr nicht alles verstehen werdet.« Andrea lachte laut auf. »Es wird sich zeigen. Mein Neffe hat ja schon ein umfangreiches Vokabular.« Carsten machte sich daran, Cedric für den Ausflug warm einzupacken. In der Zwischenzeit bereitete Andreas eine Wegzehrung für seinen Sohn vor. »Stefano, nehmt euch Zeit. Unsere Vierbeiner sollen sich austoben. Für Cedric habe ich noch eine Flasche mit seiner Lieblingsmilch. In dem Wärmer bleibt sie lange warm.« Stefano versprach, sich vorbildlich um den kleinen Mann zu kümmern. Dann zog die Gruppe los.

Ein Bett war schnell besorgt. Merlin half beim Aufbau. Nach zwei Stunden war das Zimmer für den neuen Gast vorbereitet. »Wo ist Carsten?« »Er ist im Studio, etwas testen. Es geht um eine Konzertvariante für das Orgelprojekt.« »Das Konzert ist doch erst in drei Monaten. Warum kümmert er sich jetzt schon darum?« Andreas fand die Frage interessant. Andersherum kannte er das musikalische Metier. Nicht so Merlin. Für ein gutes Arrangement braucht es Zeit. »Es ist nicht so einfach zu erklären. Ein Arrangement zu schreiben, welches sich auf ein bestehendes Werk bezieht, ist kompliziert. Es soll ja den ursprünglichen Charakter erhalten. Wie ich Carsten verstanden habe, möchte er bei einem Klavierkonzert die Orgel integrieren, die bisher nicht Bestandteil der Komposition ist. Du kennst ja die Orgel in der Kirche. Sie kann ohne Weiteres die Begleitung eines ganzen Orchesters ersetzen.« Merlin nickte, so langsam verstehend. »Du willst sagen, dass Carsten das Konzert nur mit Klavier und Orgel aufführen will?« »Würde dann das Konzert nicht einen ganz neuen Charakter bekommen?« Andreas sah Merlin darüber nachdenken. »Komm, lass uns einen Tee trinken.« »Darf ich auch um einen Espresso von dir bitten?«, fragte der junge Mann schüchtern. Andreas grinste. »Klar können wir auch Espresso trinken. Dauert etwas länger.« Andreas machte sich daran, einen Espresso klassisch zuzubereiten. »Carsten ist doch Lehrer und Virtuose an den Tasten. Es sollte doch für ihn nicht so schwer sein.« »Er ist aber auch Musikhistoriker. Es tut ihm in der Seele weh, ein Werk zu verunstalten. Da bedarf es viel Fachwissens und sprichwörtlich Fingerspitzengefühl.« »Kennt denn Carsten alle Konzerte?« »Nein. Dazu sind es wirklich zu viele. Jedoch fällt es ihm nicht schwer, ein Werk zu analysieren. Dazu kommt noch sein absolutes Gehör. Obendrein verlässt er sich auf sein Gefühl für Harmonien.« Andreas machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es gibt Werke, die er absolut schrecklich findet. Dazu gehören Werke der sogenannten Zwölftonmusik. Er sagte mir mal, dass es sich für ihn anhöre wie ein quietschendes Kreidestück auf einer Tafel.« »Du meinst den Stick-Slip-Effekt? Das hat mir Gwenda in Physik erklärt.« »Genau. Dann stellen sich bei ihm die Nackenhaare auf.« Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen. »Schatz, hast du Kaffee für mich?« »Reicht dir auch ein Espresso?« »Ja.« »Warst du erfolgreich?« »Jein. Also, meine Idee zu dem Konzert hat etwas. Nur fehlt mir das nötige Wissen für die Registrierung einer Orgel. Ich werde mit einem Dozenten sprechen.« Merlin staunte ob der Antwort. Carsten gab offen zu, in seinem Metier nicht alles zu können. »Es geht besonders darum, dass die Orgel einfach nicht zu laut sein darf. Mir schwebt eine Harmonie zum Klavier vor. Dezent, aber ausdrucksvoll«, ergänzte der Musiker. »Deine Ideen haben immer etwas Besonderes. Was anderes: Gehst du gleich raus? Die anderen sind noch unterwegs.« »Nein. Nach dem Lunch mache ich ein Verdauungsspaziergang. Mama wird sich wohl hinterlegen und am Nachmittag machen wir an ihrem Konzert weiter.« »Ah, unsere Ausflügler sind zurück«, meinte Merlin, als er die Hunde im Garten erblickte. »So wie es aussieht, steht noch eine intensive Behandlung im Porch an.« »Mit Cedric wird das schnell gehen. Er hat den Dreh schon raus. Unsere Hunde halten bei ihm schön still.«

Es dauerte keine 15 Minuten, bis die Hunde die Küche betraten. »Also Stellina, der Platz hat wirklich Charme.« »Ja. Cedric hat alles sehr detailliert beschrieben. Auch wenn ich nicht alles verstanden habe.« »Das ist nur eine Frage der Übung.« »Ehrlich, Andreas, das war für mich nebensächlich. Cedric hat eine sehr schöne Stimme. Ich könnte ihm stundenlang zuhören.« Carsten grinste. Er wusste, was Andrea meinte. »So, ich übergebe dir einmal den kleinen Fremdenführer. Mir scheint, er hat Hunger.« Carsten nahm sich des kleinen Mannes an. »Hast du wirklich Hunger?«, fragte er dann auch nach. »Mmh! Nanane?« »Dann bekommst du auch eine Banane. Dazu noch etwas Tee?« »Abba.« Diese Antwort strahlte förmlich seine Zustimmung heraus. Wenig später lutschte Cedric gemütlich an einem Stück Banane. Während Carsten frischen Früchtetee unter seiner Beobachtung zubereitete. »Bist du zufrieden mit meiner Arbeit?« »Abba?« »Du siehst mir doch zu oder glaubst du, ich würde das nicht bemerken?« Eine Antwort erwartete der junge Papa nicht. Der kleine Gentleman hingegen erfuhr, wie sein Abba in seiner Umgebung alles wahrnahm. Selbst wenn er dem Geschehen den Rücken zukehrte. Nachdenklich lutschte er an seiner Banane weiter. Den abgekühlten Tee füllte Carsten in die Nuckelflasche und stelle diese in den Flaschenwärmer. Cedric würde sich melden, wenn er etwas trinken wollte. Unbewusst summte Carsten einige Phrasen aus dem Klavierkonzert vor sich hin. Das motivierte Cedric, genau hinzuhören. »Abba bum bum?« Carsten brauchte einen Augenblick, diese Frage richtig zu deuten. »Oh. Du willst mit mir etwas Klavier spielen. Dann lass uns in den Salon gehen. Heute darfst du den Flügel deines Papas testen.«

Im Salon saßen ihre Großeltern bei ihrem Tee und plauderten über diverse Themen. »Dürfen Cedric und ich etwas auf dem Flügel spielen?« »Nur zu!«, forderte Děda die beiden Musiker auf. Carsten verzichtete darauf, den Flügel zu öffnen. Auf der Bank nahm er seinen Sohn auf den Schoß. Schon nachdem der Junge die Tasten sah, haute er darauf. Die Töne veranlassten, dass er vor Freude begann zu giggeln. Carsten ließ sich davon inspirieren und spielte dazu einfache Harmonien. Wenige Minuten später spürte der Papa, wie müde Cedric wurde. Es war ein langer Vormittag gewesen. Selbst wenn er auf dem Spaziergang etwas geschlafen hatte, holte ihn jetzt der mangelnde Schlaf ein. »Děda, würdest du mir Cedric abnehmen und in sein Tagesbett bringen?« »Ich bringe ihn auf sein Zimmer. Er sieht aus, als bräuchte er eine länge Ruhezeit.« Carsten vertraute der Erfahrung seines Großvaters und nickte zustimmend. »Junge, kaum lag unser Enkel in seinem Bett, schlief er auch schon. Ich habe ihm seinen Teddy dazugelegt. Salvatore ist ebenfalls dort und macht ein Nickerchen.« »Ist gut. Die Stunden draußen taten ihm wohl sehr gut. Dürfte ich euch etwas vorspielen? Ich habe mir im Studio etwas zusammengestellt und würde euch um eure Meinung bitten. Ich warne euch, es ist nicht perfekt.« Die Anwesenden blieben neugierig. Carsten holte einen USB-Stick hervor und verband diesen mit der Musikanlage. Wenige Minuten später ertönte aus den Lautsprechern ein Klavierkonzert. Den Zuhörern gefiel das, was sie hörten. Nach einer halben Stunde verstummte die Musik. »Was meint ihr dazu? Es ist eine Modifikation eines Klavierkonzerts von Saint-Saëns.« »Also mir gefällt es. Ich kenne das Konzert. Aber ich habe es noch nicht mit einer Orgel gehört«, meinte Nonna. »Das ist die Modifikation. Nancy schlug vor, anstelle liturgischer Musik zum Konzert ein weiteres konzertantes Stück aufzuführen. Da es für die Orgel ist, habe ich mir gedacht, diese in das Stück zu integrieren«, erklärte Carsten. Babi räusperte sich. »Es ist dir geglückt. Aber ich finde es nicht ganz ausgewogen. An manchen Stellen klingt die Orgel zu mächtig. Sie übertönt den Flügel und das Orchester.« »Nun, ich habe nur die künstliche Orgel aus dem Computer. Die Feinheiten werde ich mit einem Dozenten besprechen. Er ist Fachmann für Orgelmusik und komponiert auch für dieses Instrument. Mir ging es in erster Linie darum, ob meine Idee generell interessant klingt.« »Das tut sie«, meinte Nonno. »Ich kenne das Konzert nicht so wie Antonia. Es ist mir quasi neu. Von Saint-Saëns kenne ich nur das ›Ägyptische‹ Konzert.« »Kein Wunder. Es gehört mit zu den meistgespielten Werken des Komponisten. Um auf meine Frage zurückzukommen. Wird es für die Spendenaktion reichen?« »Keine Frage. Es wäre ja auch eine Uraufführung und das steigert das Interesse. Wir sind alle nur einfach Menschen, die nicht dein Wissen haben. Mich hat es neugierig gemacht.« »Danke. Dann werde ich es so auch umsetzten«, teilte Carsten seine Überlegungen mit. »Ach, noch etwas. Ihr seid keine einfachen Menschen. In der Musik kennt ihr euch alle sehr gut aus. Wisst mehr als so mancher zwischen diversen Musikrichtungen zu unterscheiden. Was euch nicht gefällt, gefällt euch einfach nicht. Eure Ansicht ist mir immer ein guter Rat gewesen, wenn sich meine Vorstellungen verhaspelt haben«, lobte Carsten. »Junge, so habe ich das noch nie betrachtet. Doch ich hätte zudem einen Vorschlag zu machen. So wie ich das verstanden habe, wird dieses junge Mädchen die Orgel spielen. Glaubst du, sie hätte dazu auch etwas beizutragen?« Carsten sah erstaunt auf. »Das habe ich bereits berücksichtigt. Da wir im Februar ja gemeinsam am College proben, machen wir uns auch mit dieser Variation vertraut. So, wie ich Nancy kennenlernen durfte, wird sie sicher etwas dazu beitragen. Ich habe sie spielen gehört. Davon ausgehend, dass es sich um eine mechanische Orgel in der Kirche handelt, hat sie einen kräftigen Anschlag. Das möchte ich bei der Komposition berücksichtig wissen. Das besprechen wir dann gemeinsam. Wenn jetzt nichts anliegt, würde ich mir die Zeit für einen Spaziergang nehmen.«

Gemütlich ging Carsten über ihr Anwesen spazieren. Anderes blieb ihm auch nicht übrig, denn er war allein unterwegs. Leonardo sollte sich nach dem Toben mit seiner Familie ausruhen. Erst als er sich dem Spielplatzgelände nährte, wurde er von Wolf begrüßt. »Wo hast du denn dein Herrchen gelassen?« »Hallo Carsten, Wolf ist mir ein paar Meter vorausgelaufen. Heute allein unterwegs?« »Hallo Ben. Ja. Unsere Hunde waren heute schon über eine Stunde draußen. Jetzt dürfen sie relaxen. Ich finde es gut, wenn ich mich auch mal ohne deren Hilfestellung orientieren muss. Obendrein hat Andreas viel dafür getan, dass ich mich hier zurechtfinde.« »Und die Hills sorgen dafür, dass es auch so bleibt. Was ich dich fragen wollte: Viktor hat den Weg zum Park gesperrt?« »Vorübergehend. Es gibt durch den vielen Niederschlag einen Rückstau im Burn. Die Wege sind teilweise überschwemmt. Wenn der Schnee jetzt schmilzt, verschärft sich die Situation noch. Andreas, die Hills und ich haben uns entschlossen, Warnhinweise aufzustellen, bis sich die Situation wieder entspannt. Im Frühjahr werden wir uns dann um die Lösung des Problems kümmern.« Ben sah einen Moment seinem Hund hinterher, der im Dickicht verschwand. »Es fiel früher nicht so sehr auf, da der Weg weniger benutzt wurde. Er war ja auch zugewachsen. Ihr habt der Naherholung neue Impulse gegeben.« »Glaubst du, die Gemeinde wird diese Maßnahme verstehen?« »Wenn sie nicht auf den Kopf gefallen ist, natürlich. Sie können sich ja auch bei Viktor informieren. Müssen sie halt den gleichen Weg zurückgehen.« Carsten zuckte lediglich mit seinen Schultern. Ben lachte. Carsten stellte fest, dass sein Gegenüber eine angenehme sonore Stimme hatte. »Gwenda hat sich durchgesetzt. Das Inn bleibt über die Feiertage geschlossen.« »Fällt es dir denn schwer?«, wollte Carsten wissen. Wirkte aber nicht neugierig. »Nein. Ich liebe Gwenda. Sie äußerte den Wunsch, unsere Enkel in Cambridge besuchen zu wollen. Dort werden wir gemeinsam feiern.« »Klingt nach viel Spaß.« Ben rief nach seinem Hund. »Oh ja. Nach Weihnachten sind wir alle wieder zehn Jahre jünger.« Ben sah sich Carsten an, denn er hatte da noch ein Anliegen. »Sag einmal, könntet ihr euch um Wolf kümmern?« »Klar, auf einen Hund mehr kommt es nicht an. Mögen deine Enkel ihn nicht?« »Das hat weniger mit mögen zu tun. Es ist allergiebedingt. Mein Schwiegersohn hat eine Tierhaarallergie.« »Bring ihn vor der Abfahrt zu uns. Dazu auch eine Liste, was er zu fressen bekommt. Was ist mit eurem Zuhause?« »Constable Smith sieht dort jeden Tag nach dem Rechten. Er ist ein Schulfreund von Gwenda und macht es immer, wenn wir für längere Zeit abwesend sind.« »Gut. Unsere Bande wird sich schon um ihren Gast kümmern. So langsam sollte ich wieder zurück.« Ben verabschiedete sich und zog mit seinem Hund von dannen.

Zuhause zog sich Carsten zuerst um. Leonardo schien ihn schon vermisst zu haben und folgte ihm ins Schlafzimmer. Sein Herrchen nahm sich die Zeit, mit ihm zu knuddeln. »Heute kommt Wolf einige Tage zu uns.« »Ist etwas mit Gwenda und Ben?«, bekam Andreas die letzten Worte mit. »Nein. Sie fahren für einige Tage zu ihrem Enkel. Wolf scheint bei einem Familienmitglied eine Allergie auszulösen.« »Wenn dem so ist« , sellte Andreas nüchtern fest. »Luise fragte nach dir. Sie möchte gern an dem Konzert weitermachen.« Gemeinsam gingen sie zu den anderen. »Mama, wenn du magst, können wir loslegen.« Im Studio bereiteten sie sich unabhängig voneinander vor. Während die Rechner starteten, spielte sich Luise ein. Jetzt kam der Dozent für Musik in Carsten durch. »Mama, kannst du deine Violine stimmen? Sie klingt noch nicht harmonisch.« Luise schnappte sich die Stimmgabel und korrigierte die Grundtöne. »Wie ist es jetzt?« »Ganz gut. Spiel doch mal einige Harmonien.« Luise tat, worum sie gebeten wurde. Wenige Minuten später fragte sie nach. »Perfekt. Hast du ein bestimmtes Vorgehen?« »Wir gehen die Sätze einzeln durch. Ich habe gestern noch einmal darüber nachgedacht. Ich glaube, im zweiten Satz trödle ich ein wenig. Im dritten Satz habe ich Probleme bei der Dynamik.« »Okay. Den ersten Satz fand ich ganz gut. Willst du ihn nutzen, um dich in das Werk einzufühlen?« »Ja«, kam es prompt. »Bereit? Ich starte die Aufnahme. Du hast die Kopfhörer auf?« »Dann mal los.«

Nach weiteren zweieinhalb Stunden war Luise mit dem Werk zufrieden. »Was meinst du, Junge?« »Dafür, dass du Violine nur als Hobby spielst: Gut. sich Du hast Kontinuität, mit einigen Proben könntest du es auch mit einem Orchester aufführen. Ich speichere die Aufnahme und mache davon eine CD. Als Sohn bin ich stolz auf dich. Cedric würde bestimmt gern von dir lernen.« »Wenn er sich gern mit Geigen auseinander setzten will: immer. Es ist ein wunderbares Gefühl, seinen Kindern Musik zu vermitteln.« »Das haben wir bereits begonnen. Cedric mag es, auf den Tasten des Flügels herumzudrücken. Er meint dann immer ›bum bum‹ dazu.« Luise hatte derweil ihr Instrument wieder verstaut und humpelte aus dem Studio. »Ist ja süß. Unser Enkel ist wirklich aktiv dabei. Du hast sicher schon festgestell, dass er eine sehr weiche Stimme hat.« »Mehr noch. Ich weiß nicht, ob es bei allen Babies so ist: Cedric ist sehr melodisch, wenn er sich artikuliert. Er drückt seine Gefühle in ganz feinen Nuancen aus. Wir wissen sofort, was Sache ist.« »Hast du ihn auch mal schreien lassen?« »Nein. Das bringe ich nicht übers Herz. Gerade nachts nicht. Vielleicht ist es falsch, doch er kann mir nicht sagen, was Sache ist. Andreas meinte, ich sei übervorsichtig.« »Als Mutter pflichte ich ihm bei. Doch ich glaube nicht, dass Cedric euch in der Nacht Streiche spielt. Tagsüber solltest du langsam Prioritäten setzen.« »Es ist bei uns eigentlich nie Thema. Doch Cedric ist auch eine interessante Persönlichkeit. Er hat schöne Haare. Seitlich am Kopf einen widerspenstigen Wirbel. Wenn er zugreift, ist sein Griff fest. Mrs Sanches warnte mich in den ersten Wochen beim Windeln wechseln. Ich hatte Cedric gerade gebadet und er lag auf dem Wickeltisch. Ich habe mich etwas vorgebeugt und ihn geknuddelt. Er traf mich unvorbereitet mitten im Gesicht.« Mama von Feldbach lachte herzlich auf. Da kamen Erinnerungen an ihre eigenen Kinder hoch. Sie sah Carsten an, dass er es ebenfalls mit Humor nahm. »Junge, das ist etwas, was sich wohl seit Menschengedenken immer wiederholt.« »Wie entwickelte sich die Gesellschaft in Bezug auf Kinder?« »Interessante Frage. Überlieferungen gibt es erst seit rund 10.000 Jahren. Sehr gut nachvollziehbar durch die altägyptischen Aufzeichnungen. Vermutlich, doch das geht ein wenig ins Spekulative, handhabte die Gesellschaft davor Großfamilien. Ähnlich wie man es heute noch bei einigen Affenarten wiederfindet. Der Nachwuchs wurde von der Gemeinschaft betreut. Große Umbrüche gab es dann ab dem späten Mittelalter bis in unsere Zeit. Kinder waren ein Segen, um eine Sippe am Leben zu halten. Mit der Industrialisierung änderte sich das Ansehen von Kindern. Sie wurden oftmals zu Gegenständen reduziert. In Minen waren sie billige Arbeitskräfte. Die Kindheit endete oft mit dem Erreichen des fünften Lebensjahres. Nur in privilegierte Familien erreichten sie ein stattliches Alter von mehr als drei Jahrzehnten. Erst im 20. Jahrhundert gab es einen gesellschaftlichen Wandel. Gerade in den vergangenen fünf Jahrzehnten änderte sich das Familienbild. Ausschlaggebend ist das veränderte Bild von Familien. Verschiedene Lebensmodelle gaben neue gesellschaftliche Impulse.« »Mal konkret: Was unterscheidet unsere Familie von denen der letzten zwei Generationen?« »Nur die gesellschaftliche Einstellung. Deine Großeltern waren recht konservativ. Wobei ich sagen möchte, dass Pauls Eltern liberaler eingestellt waren. Zwischen uns und euch gibt es kaum Unterschiede. Eigenlob stinkt ja bekanntlich, doch ich denke, wir haben unsere Sache sehr gut gemacht.« Carsten schnüffelte etwas. »Es riecht nicht unangenehm. Ich glaube auch, dass ihr eure Sache gut gemacht habt.« Carsten fuhr den Rechner wieder herunter. »Ich weiß zwar nicht, wonach dein Herz dir steht. Ich benötige jetzt einen Espresso à la Nonno.« Dem Vorschlag konnte sich Luise nur anschließen.

Im Salon fanden sie nur Andreas und Cedric auf dem Boden spielend vor. »Die anderen sind sich die Beine vertreten. Ercan ist mit Leon und Salvatore unterwegs. Andrea und Stefano mit Gina. Leonardo liegt oben bei uns.« »Tja, dann wird das mit Gabrieles Espresso nichts«, meinte Luise. »Oh, dem kann ich abhelfen. Habt ihr noch Energie, euch mit Cedric zu beschäftigen?« »Das kann ich übernehmen«, sprang Carsten ein. »Womit habt ihr euch gerade beschäftig?« »Wir haben uns den Ball gegenseitig zugespielt. Cedric ist schon ganz schön flink, ihm zu folgen.« »Dann kann er mir sicher viel beibringen.« »Lass dich überraschen. Ich gehe mal deinen Espresso machen. Für dich auch?«, wandte er sich Luise zu. »Ja. Bitte.« Dann setzte sie sich in ihren Sessel, um anschließend ihr Bein zu entlasten. Carsten setzte sich auf den Fußboden. »Abba!«, freute sich Cedric. Dann hörte Carsten die kleine Glocke im Ball. Der Ball rollte links von ihm. Er fing das Spielzeug ein. Cedric giggelte. Also rollte er den Ball in der Richtung des Geräusches. Luise sah, wie der Ball das Ziel leicht verfehlte. Jetzt war sie auf Cedrics Reaktion gespannt. Dieser zögerte nicht lange und krabbelte hinterher. Als er den Ball erreicht hatte, griff er danach. Dann wiederholten sie das Spiel. Carsten machte seine Sache gut. Cedric juchzte vor Vergnügen. Irgendwie trafen sich die beiden und Papa Carsten knuddelte seinen Sohn. Das gebrochene Bein hielt Luise davon ab, selbst an dem Spiel teilzunehmen. Sie langweilte sich etwas. Die fertigen Pullover hatte Babi bereits als Geschenke verpackt. Ein Blick in den Nähkorb brachte sie auf eine Idee. Von der Wolle waren diverse Reste übriggebliebene. Daher entschied sie sich, daraus eine Pudelmütze für Cedric zu stricken. »Charaid macht sich in den letzten Tagen etwas rar«, meinte sie plötzlich. »Mao? Wo?«, hatte sie das Interesse von Cedric geweckt. »Charaid ist ein Freigänger«, begann Carsten. »Dein Kater ist nicht hier, Cedric. Möglich, dass er sich ein ruhiges Plätzchen gesucht hat.« Cedric überlegte. »Mau buh buh?«, stellte er die für ihn wichtige Frage. »Vielleicht. Wir sehen ihn bestimmt später an seinem Napf. Bist du enttäuscht?« Luise sah ihren Enkel eine Schnute ziehen. Doch das verging sehr schnell und er ließ sich wieder auf eine Runde Knuddeln ein.

»So, drei Espresso«, betrat Andreas den Salon mit einem Tablet. »Ihr habt ja viel Spaß auf dem Boden«, lautete sein Kommentar zu seinen beiden Männern. »Den haben wir. Cedric ist schon ganz schön mobil.« »Das durfte ich auch schon feststellen. Doch mir scheint, die Aktivität zollt ihren Tribut. Er wirkt müde auf mich.« »War ja auch viel Bewegung für ihn. Legst du ihn auf den Dreisitzer, da kann er dann selbst entscheiden, ob er sich ausruhen möchte.« Cedric sah erstaunt auf, als er vom Boden gehoben wurde. Nachdem er seinen Baba erkannte, legte er seine Ärmchen um seinen Hals. Behutsam legte ihn Andreas auf dem Sofa ab. »Na, kleiner Mann. Deine Papas haben dich wohl etwas müde gespielt.« Als Antwort gähnte Cedric. Andreas sah sich nach einer Decke um. Cedric schien zu ahnen, was Sache war. Als er dann zugedeckt war, fielen ihm auch seine Augen zu. »Dann habe mal einen schönen Traum«, flüsterte sein Papa ihm zu.

Der Espresso tat den dreien gut. »Was wird das?«, fragte Andreas. »Ich stricke eine kleine Pudelmütze für meinen Enkel. Noch ist sein Kopf empfindlich, was Temperaturen betrifft. Denkt immer daran. Selbst wenn er sich später dagegen wehren sollte.« »Da stehen uns wohl noch einige schwere Diskussionen bevor«, meinte Carsten nicht ganz ernst. Immerhin hatte er schon bei Ercan diese Erfahrung machen dürfen. »Sag mal, Carsten, spielst du heute kein Klavier?« »Oh, ich habe mein Pensum an den Tasten bereits geleistet. Fingerübungen, Etüden und Klavierstücke für meine Schüler. Du weißt ja selbst: Ein Dozent, der sich nicht vorbereitet, ist ein schlechter Lehrer.« »Ich wusste nicht, dass du von mir gelernt hast«, war Luise nun doch erstaunt. »Ich habe auch immer mitbekommen, wie du deine Vorlesungen an der Uni vorbereitet hast. Materie zu vermitteln, bedeutet für mich auch immer, mich auf meine Studenten einzustellen. Es sind ja Individuen. Gerade bei der Vermittlung von Künsten wird es offenkundig.« »Warum?«, hakte Andreas nach, den das Thema interessierte. »Weil nicht nur die Menschen unterschiedlich sind, sondern auch ihre Empfindungen individuell sind. Ein Ton kann definiert werden. Jeder nimmt ihn jedoch anders wahr. Gleiches gilt für die anderen Sinne. Die RAL definiert Farben. Gelb ist Gelb, Rot ist Rot und so weiter. Du empfindest aber Gelb als ›Andreas-Gelb‹, während Mutti ein ›Mutti-Gelb‹ sieht. Dann gibt es noch ganz andere Aspekte. Fabio nimmt Töne als Farben wahr. Andere Menschen Gerüche. Die Liste ist lang. Ich glaube, die Wissenschaft kratzt gerade mal an der Oberfläche, was die Sinneswahrnehmung betrifft.« Luise hörte den Ausführungen gespannt zu. »Ich kenne aus meinem Bereich ähnliche Phänomene«, führte sie das Thema weiter aus. »So weiß ich zum Beispiel, dass Bewohner der Savanne der Farbe Grün kaum Bedeutung beimessen. Dafür konnte nachgewiesen werden, dass sie sehr gut blaue Nuancen in der Natur unterscheiden. Vermutlich ist das in anderen Regionen ähnlich.« »So habe ich das noch nicht gesehen«, resümierte Andreas. »Ich denke, in meinem Bereich wird es ähnlich sein. Zumindest weiß ich, dass die Natur für unterschiedliche Spezies andere Kriterien bereithält.« »Du triffst den Nagel auf den Kopf. Die Evolution hat da ganze Arbeit geleistet. Euer Sohn hat großes Glück. Bei euch erlebt er Kunst und seine Sinne esensibel inzusetzen.«

Die Unterhaltung wurde durch das Signal am Tor unterbrochen. »Ich gehe nachsehen, wer dort ist«, machte sich Andreas auf dem Weg. Später kam er mit Lewis zurück. »Hi.« »Hi Lewis«, begrüßte Carsten ihren Gast. »Was führt dich zu uns?« Der junge Mann druckste etwas herum. »Ich habe Zuflucht gesucht. Ich habe Abbys Cabrio beschädigt. Er hatte es mir verboten, seinen Wagen zu nehmen. Jetzt weiß ich auch warum. Das Verdeck konnte nicht richtig verriegelt werden. Mitten in der Fahrt schnellte es hoch und …« Luise lachte. »Nach dem Schreck brauchst du sicher einen Tee. Andreas, machst du welchen?« »Klar. Unsere Ausflügler sollten ja auch bald wieder eintreffen.« Andreas machte sich daran, frischen Tee zu kochen.

»Jetzt mal ernst«, wurde Carsten sachlich. »Du suchst bei uns Zuflucht? Was ist mit deiner Familie? Glaubst du nicht, sie machen sich Sorgen?« »Abby wird bestimmt wütend sein.« »Was erwartest du denn? Du hast sein Auto genommen, gegen seinen Willen. Dann noch beschädigt. Soll er deswegen Freudentänze aufführen? Stell dir einmal vor, Bryan würde gegen deinen Willen etwas von dir kaputtmachen. Lachst du dann mit ihm darüber?« Zerknirscht gab Lewis zu, dass es unüberlegt gewesen war. Er wäre sicher auch stinksauer. »Was soll ich denn jetzt machen?« »Ich denke, du solltest dich erst einmal

Zu Hause melden. Damit Bryan und Rachid sich keine Sorgen über deinen Verbleib machen. Dann überlegen wir uns, wie es weitergehen soll. Wer kümmert sich eigentlich um Notos?« »Wenn ich nicht da bin Abba«, lautete die schlichte Antwort. Andreas stellte vor Lewis eine Tasse Tee ab. Dazu ein fingerbreit gefülltes Glas. »Ich habe den Ferrari in die Garage gestellt. Der Schaden ist nicht so heftig. Der Stoff kann ersetzt werden und das Gestell ist nur leicht verbogen.« Lewis seufzte. »Den Stoff gibt es nur noch auf Bestellung. Ich denke, damit habe ich für ein Jahr kein Taschengeld mehr.« Luise stutze etwas. »Darf ich fragen, was du monatlich zur Verfügung hast?« »Darfst, du Luise. Ich bekomme normalerweise 200 Pfund im Monat.« »Du glaubst, der Stoff kostet 2400 Pfund?« »Original gibt es den nicht mehr. In Italien gibt es nur eine Weberei, die welchen in Handarbeit herstellen kann.« Er nahm das Glas und nippte daran. Seine Augen wurden groß. Andreas servierte ihm einen edlen Brand. »Wow!«, brachte er lediglich heraus. »Den brauchst du auch, nach dem Schock. Obendrein, Bryan ist auf dem Weg hierher. Ich habe ihn vorhin angerufen.« »Er war bestimmt böse?«, fragte Lewis nach. »Am Telefon klang er besorgt. Er fragte, wie es dir geht und ob dir etwas passiert sei. Ich habe ihm gesagt, dass es dir gut geht. Nach dem Auto hat er im Übrigen nicht gefragt«, informierte ihn Andreas. »Das wird er sicher nachholen.« »Kopf hoch. Das wird schon.« Lewis sah Andreas zuversichtlich an. »Da wir Gäste erwarten, werde wir heute wohl gemeinsam das Dinner vorbereiten.« »Ich helfe gern«, bot sich Lewis an. Ihre Aufmerksamkeit wurde durch eintretende Hunde abgelenkt. Salvatore begrüßte Lewis auf seine Weise. Leon zog sich nach einer kleinen Runde durch den Salon in eine Kudde zurück. »Fehlen nur noch Gina, Leonardo und Wolf.« Letztgenannter meldete sich samt Herrchen an der Pforte. Andreas ließ sie hinein. Am Eingang übergab Ben ihm eine Liste mit Futteranweisungen. »Gwenda wartet. Wir wollen nicht zu spät bei unserem Enkel eintreffen. Gruß an Carsten und euch allen ein schönes Fest. Danke, dass ihr euch um Wolf kümmert.« »Nicht der Rede wert. Unsere Meute wird ihn schon zu beschäftigen wissen«, grinste Andreas. »Kommst du, Wolf? Unsere Hunde sind im Salon.« Wolf schaute ihn verständnislos an. Als Andreas sich auf den Weg zum Salon machte, folgte er ihm einfach. Als er seine vierbeinigen Kumpel sah, wusste er, wo sein Schlafplatz ist. Die Begrüßung untereinander fiel typisch aus: Beschnüffeln, Rangfolge festlegen, schlummern. Von alledem bekam Cedric nichts mit. Tief und fest schlief er auf dem Dreisitzer.

Zur Tea Time war die Familie wieder versammelt. Gina hatte sich bei Wolf eingekuschelt. Sie mochte einfach den wuscheligen Hund auf Anhieb. Etwas Aufregung gab es, als Bryan samt Familie eintraf. Aaron und Sami liefen auf ihren großen Bruder zu. Umarmten ihn stürmisch. Bryan und Rachid beließen es bei einem einfach ›Hallo‹. Carsten sah sich in der Pflicht, sich mit Bryan zum beschädigten und den Wagen zu besehen. »Was meinst du? Ist der Schaden sehr hoch?« Bryan schüttelte den Kopf, was Carsten natürlich nicht sah. »Nein. Und selbst wenn, es ist nur Material, was man ersetzten kann. Nicht auszudenken, wenn unserem Sohn etwas passiert wäre. Ich hatte es ihm verboten. Ich wusste ja, dass die Verriegelung des Verdecks defekt ist. Das Ersatzteil hatte ich schon bei Ferrari bestellt. Das Gestell kann ich selbst richten. Nur den Stoff muss ich nun nachbestellen. Der Riss zieht sich quer über das Dach. Da hat Lewis ganze Arbeit geleistet«, meinte Bryan nüchtern. »Kann der Wagen hier einige Tage bleiben? Mit dem Schaden muss ich ihn auf einem Anhänger abholen.« »Das ist kein Problem. Die beiden Geländewagen stellen wir draußen ab.« »Der Wagen ist eigentlich für Lewis tabu. Die kleine Göttin ist ein Liebhabermodel: Ferrari 328 GTS. Es ist mein allererster Sportwagen. Man braucht sehr viel Übung, um die 270 Pferde bei 160 Mph in Zaum zu halten. Lewis ist dafür noch zu jung.« Carsten hörte den Stolz in der Stimme, wie sein Gast über den Wagen sprach. Aber auch die Enttäuschung über Lewis’ Verhalten. Dennoch fragte er nach: »Bist du ihm sehr böse?« Bryan sah Carsten an, bevor er ihm antwortete: »Ich bin von seinem Verhalten enttäuscht. Aber böse kann ich ihm nicht sein. Sieh einmal, das Auto ist eine Versuchung, welcher ein Junge wie Lewis nur schwer widerstehen kann. Dazu muss ich mir selbst auch eine Mitschuld geben. Ich habe den Schlüssel nicht weggeschlossen.« »Bryan, es ist müßig, jetzt über Schuld zu reden. Es macht die Sache nicht ungeschehen. Andreas und ich laden euch alle zum Dinner ein. Es gibt sicher genug Gesprächsstoff mit unserer Familie.« »Die Einladung nehmen wir gerne an.« Carsten und Bryan verließen die Garage. »Eines muss ich Lewis zugutehalten. Nicht jeder Fahrer hätte die Ruhe bewahrt.« »Er kommt da ganz nach seinen Vätern«, schmunzelte Carsten. Bryan wurde noch einmal sehr ernst. »Carsten, ich weiß nicht, wie du es herausbekommen hast. Mr Johnson hat einen älteren Bruder. Beide wuchsen in unterschiedlichen Pflegefamilien auf. Euer Organist wurde von einem geistlichen Ehepaar adoptiert. Daher wohl auch seine Berufswahl. Der Adoptivvater seines Bruders war Lehrer. Sehr konservativ und streng.« »Lebten sie in sehr unterschiedlichen Regionen?« »Nein. Ohne dass sie voneinander wussten, lebten sie beide in der Grafschaft Perth and Kinross. Warum?« »Nun, du fragtest mich nach meinem Motiv der Nachforschung. Beide drückten sich gleich aus. Jedoch gab es abweichende Nuancen in deren Artikulierung. Mir fällt so etwas auf.« »Es ist gut. So konnten wir auch das Alibi des Bruders prüfen. Er hat keines zu der fraglichen Zeit des Unfalls deiner Eltern. Obendrein fiel er wegen Wilderei auf.« »Haben wir unseren Täter?« »Nicht wirklich, man kann es ihm nicht nachweisen. Ganz zu schweigen, dsas wir noch immer nicht die Waffe haben.« »Ich vertraue da ganz euren Erfahrung. Stehen denn beide irgendwie mit den Rutherfords in Verbindung?« »Sie sind die unehelichen Kinder der Nichte der letzten Lady Rutherford. Da haben deine Großmütter mit sehr wertvollen Informationen aufwarten können.« »Babi und Nonna haben es drauf, die richtige Frage zur richtigen Zeit zu stellen. Sie verwickeln einen in ein belangloses Gespräch und ziehen daraus ihre Schlüsse. Das können im Übrigen auch Děda und Nonno.« »Luise und Paul stehen dem ebenfalls nicht nach. Das durfte ich damals bei unserer ersten Begegnung schon feststellen.«

Im Salon sah Lewis Bryan an. Dann ging er auf seinen Vater zu. »Abby, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich hätte den Wagen nicht nehmen dürfen.« Bryan schien nichts anderes erwartet zu haben. »Über den Stunt sprechen wir noch ausführlich zu Hause. Du hattest Glück im Unglück. Der Schaden hält sich in Grenzen. Aber auf die Hälfte deines Taschengeldes der nächsten zwei Jahre wirst du verzichten müssen. Ich weiß, dass der Spider verlockend ist. Doch glaube mir, ein Verbot spricht keiner von uns leichtfertig aus. Wir haben unsere Gründe, selbst wenn sie dir manchmal nicht ersichtlich sind. Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt.« Dabei wuselte er Lewis durch die Haare. »Carsten und Andreas haben uns zum Dinner eingeladen. Du kannst schon einmal anfangen, deine Strafe abzuarbeiten.« »Was ist mit unseren Tieren?« »Wir haben einen Nachbarn gebeten, heute die Tiere zu versorgen. Ab morgen wirst du es morgens und abends selbst machen. Ich werde es persönlich kontrollieren. Dazu wirst du jede Woche unsere Autos waschen …« »Alle?« »Rachids, den Familienwagen und meine beiden.« Ohne weitere Kommentare ging Lewis zur Küche. Andreas hatte schon einige Zutaten bereitgelegt. »War es schlimm?« »Die Strafe ist heftig. Tiere versorgen geht ja noch. Das mache ich ja öfters. Doch Autowaschen ist nicht so mein Ding. Wie kann ich dir helfen?« »Ich dachte, wir machen einen internationalen Abend. Nonno und Babi kommen später dazu und bereiten tschechische und italienische Gerichte vor. Dazu mache ich ein Taboulé. Ich glaube, Falafel, Fladenbrot und ein arabisches Hühnerfrikassee runden das Dinner ab.« »Das ist aber viel!« »Wir sind achtzehn Personen. Wobei Cedric sich noch mit Brei zufrieden gibt. Ich denke, die Menge ist okay.« »Dann bereite ich die Falafel vor. Hast du Kichererbsen?« »Klar. Dort im Kühlschrank steht die Schüssel mit den eingeweichten Erbsen. Den Teig für das Brot habe ich auch schon vorbereitet. Er muss noch eine Stunde ruhen.« »Bei uns geht das schneller.« »Es ist eine Wissenschaft für sich. Babi und Děda sind Diabetiker. Je länger die Hefe ihre Arbeit macht, desto weniger Stärke ist im Brot vorhanden. Das kommt den beiden entgegen. Ich habe bei Nonno im Ristorante viel gelernt. Du kannst dich gerne mit ihm unterhalten. Er hält mit seinem Wissen nicht hinter dem Berg.« Während Lewis sich um die Falafel kümmerte, machte sich Andreas daran, das Taboulé zuzubereiten.

Cedric war erst nicht begeistert, geweckt zu werden. Als er Sami und Aaron sah, änderte es sich sofort. Die beiden kleinen Männer spielten ausgiebig mit ihm. »Ist die Strafarbeit für Lewis nicht etwas heftig?«, fragte Carsten Rachid. »Nicht wirklich. Bryan schlug vor, die Strafe auf zwei Wochen zu beschränken. Das reicht aus. Lewis soll seine Lehren aus seinem Verhalten ziehen.« »Autowaschen und das bei vier Wagen?« »Damit ist er samstags gut beschäftigt. Obendrein artet es bei unseren Jungs immer zu Gemeinschaftsarbeit aus«, grinste Rachid seinen kleinen Männern zu. »Ich bin einmal gespannt, was uns alles einfallen wird, wenn Cedric Unfug treibt. Du entschuldigst mich jetzt mal. Ich gehe mit unseren Hunden vor die Tür. Leonardo, Salvatore, Wolf!« Carsten erhob sich und machte sich für eine längere Runde bereit. Etwas überrascht war er, als sich Lewis ihm anschloss. »Andreas meinte, dass ich mich etwas rarmachen dürfe. Es ist alles soweit vorbereitet.« »Dann komm. Ich zeige dir etwas von unserem Grundstück. Obendrein sollte jemand Wolf im Auge behalten.«

Im Garten zeigten die Hunde ihrem Gast, wo er sich lösen konnte. Dann kam schon das Seil ins Spiel. Die drei Hunde spielten ausgiebig miteinander. »Wir machen jetzt eine größere Runde. Damit sind die Hunde später ruhiger.« Carsten schlug den Weg zur Lodge ein. Von dort ging es über einen Nebenweg in Richtung des Spielplatzes. Lewis war angetan von dem, was er sah und vor allem wie gut sich Carsten orientierte. »Auf dem Rückweg vom Spielplatz bitte ich dich, auf Wolf zu achten. Er läuft dann wohl aus Gewohnheit in den Wald. Leonardo bleibt dann schon eher bei mir.« Wie Carsten es vorhergesagt hatte, verschwand der wuschelige Hund im Dickicht. Gefolgt von Salvatore. Dieser schien jedoch auf Bens Hund aufzupassen. Dennoch folgte ihm Lewis ebenfalls.

Derweil gingen Carsten und Leonardo ruhigen Schrittes ihres Weges. Leonardo spannte seine Körperhaltung an. Stellte sich Carsten in den Weg, der notgedrungen stehen blieb. »Was hast du?«, lautete auch seine Frage. Ein leichtes Knurren reichte aus, dass Carsten aufhorchte. »Sieh einmal an. Endlich treffe ich dich allein an«, sprach ihn eine bekannte Stimme an. »Verschwindet von meinem Besitz. Ich bin der rechtmäßige Lord.« Carsten musste sich erst einmal sammeln. Dann zog er seine Augenbrauen etwas an. »Erst einmal habe ich Ihnen nicht erlaubt, mich zu duzen. Zweitens bin ich nicht allein. Mein Hund ist ja bei mir.« »Die Töle ist nicht gefährlich. Wenn sie mich angreift, erschieß ich sie.« Ohne sich um die Antwort weiter zu kümmern, tätschelte er Leonardo, der sich neben ihn setzte. Dann wandte er sich seinem Gegenüber zu. »In einem Punkt haben Sie recht. Leonardo ist nicht aggressiv. Er wurde dazu ausgebildet, mich zu begleiten. Das gilt jedoch nicht für Salvatore.« »Der Hasenfuß ist in den Wald gelaufen.« »Er läuft gerne in den Wald. Ist aber sicher kein Hasenfuß. Für sein Verhalten möchte ich jedoch nicht meine Hand ins Feuer legen. Er ist vorsichtig. Ich vertraue auf seine Instinkte. Waffen sind ihm einfach nicht geheuer. Doch Sie sind ein schlechter Beobachter. Dabei hätte ich gedacht, dass ein Wilderer sich besser vorbereitet. Ein weiterer Punkt ist Ihr Anspruch auf den Titel. Einen Lord gibt es nicht mehr. Der Titel ist mit dem Tod von Lady Rutherford erloschen. Das Anwesen habe ich rechtmäßig erworben. Sie befinden sich also auf meinem Anwesen. Das allein erfüllt schon den Tatbestand des Hausfriedensbruchs. Sie richten ein Gewehr auf mich?« Carsten wusste, dass Lewis und die Hunde in der Nähe waren. Sofort, als Leonardo knurrte, erstarben die Geräusche um ihn herum. Er hoffte, dass Lewis Unterstützung holen würde. Er sprach etwas lauter, so dass Lewis zusätzliche Informationen bekam. Einzig Wolf war ein unkalkulierbarer Faktor. Da konnte er nur auf Salvatore vertrauen. »Als ich auf Ihren Wagen schoss, habe ich wohl einen Fehler gemacht. Ich habe mich nicht davon überzeugt, dass Sie im Wagen saßen. Aber so einen Fehler mache ich nicht zweimal. Sie werden einen tödlichen Unfall haben. Sie sind zu weit in den Wald gegangen und wurden von einem herunterfallenden Ast erschlagen. Blinde Menschen sollten nicht allein durch unbekanntes Terrain gehen.« »Das wird weitere Untersuchungen nach sich ziehen. Man wird ihnen auf die Schliche kommen.« …

Rachid war gerade in der Küche bei Andreas, als Lewis ihm eine Nachricht schickte. Er brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um alarmiert zu sein. »Carsten ist in Schwierigkeiten. Bleibt bitte alle im Haus. Bryan und ich werden uns darum kümmern«, lautet seine knappe Anweisung. Andreas war geschockt und nickte nur, dass er verstanden hatte. Es dauerte keine weitere zehn Sekunden, als die beiden Kriminalisten durch den Porch verschwanden. Lewis hatte überlegt gehandelt und ihm mit der Nachricht auch ihre Location mitgeteilt. Schon von weitem hörten sie zwei Männer sprechen. Nur mit Handzeichen verständigten sie sich. Rachid war nah genug am Ort des Geschehens, um die Situation professionell zu beurteilen. Bryan hatte sich bis zu Lewis angeschlichen. Der Junge machte ein erleichtertes Gesicht, als er seinen Vater neben sich auftauchen sah. Bryan deute seinem Sohn an, die Hunde zurückzuhalten. Stumm nickte er und hielt die Tiere an deren Halsbändern fest. Aus ihrer Position heraus folgten sie dem Gespräch. Carsten hatte Nerven. Er lenkte den Dialog in seinem Interesse. »Sie müssen ein guter Schütze sein, um den Hinterreifen eines schnell fahrenden Autos zu treffen. Nur schade, dass die Fahrerin durch ihre Reaktion Ihnen einen Strich durch die Rechnung machte.« »Ja, sie hat schnell und gekonnt reagiert. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wir gehen jetzt in den Wald. Halten Sie Ihren Hund zurück, ich habe meine Waffe auf Sie gerichtet.« »Ich werde sicher nicht in den Wald gehen. Falls Sie mich erschießen, wird man den Knall hören und Sie haben keine Kontrolle über meine Hunde.« Carsten hörte ein leises Geräusch. Er musste Leonardo bewundern. Er konnte sehr viel besser Geräusche wahrnehmen und bleib jedoch gelassen, um keine Reaktion zu zeigen. Im Gegenteil, als Carsten sich weigerte, einen Schritt zu gehen legte er sich neben ihm ab.

Bryan flüsterte Lewis zu: »Ich gebe dir ein Zeichen und du lässt die Hunde los. Wir brauchen eine Ablenkung, damit Rachid handeln kann.« Lewis nickte. Es dauerte noch eine Weile. Dann gab Bryan ihm das Signal. Lewis ließ die Halsbänder los. Beide Hunde stürmten davon und machten knisternde Geräusche. Nur einen Bruchteil war Carstens Gegenüber abgelenkt. Doch es reichte Rachid aus, um den Täter zu überwältigen. Ein Schuss löste sich. Carsten lag am Boden.

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