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Mit anderen Augen

Teil V

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel XXXII, Zwischen den Jahren

An der Kurklinik umarmten Olga und Karel ihren Enkel und Carsten zum Abschied sehr liebevoll.

Dann setzten die Jungs sich wieder in den Wagen und langsam entfernten sie sich von der Kurklinik. Carsten hielt seinem Freund die ganze Rückfahrt schweigend die Hand. Andreas schaute aus dem Fenster und sah die dicken, weißen Flocken. Ein Wetter, welches überhaupt nicht nach Pauls Geschmack war. Teilweise ging die Fahrt nur im Schritttempo vorwärts. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass sie erst gegen Mitternacht wieder daheim eintrafen. Luise empfing ihre Männer mit warmen Getränken. Doch bevor Carsten seine heiße Schokolade in die Hand nahm, wurde er stürmisch von seiner Hündin begrüßt. Er ging in die Hocke. Die Hündin wurde von ihm gestreichelt und geknuddelt bis sie sich wieder beruhigte.

„Junge, sie war ganz hibbelig. Immer wieder lief sie zur Tür wenn ein Auto vorbei fuhr.“

„Es hat auch ein wenig länger gedauert als es geplant war. Sie war doch noch einmal draußen?“

„Sicher, ich bin mit Ercan und den Hunden nach dem Abendbrot Gassi gegangen. Bis zum See, das war hoffentlich nicht zu weit?“

„Iwo, Mama. Genau richtig“

„Du Paul, da fällt mir ein, beim Nachbar hat Leon einen Schneemann von seinem Schlitten geschubst. Einfach so...“

Es dauerte bis die Herren der Schöpfung wieder vernünftig sprechen konnten. Luise stand da und wusste nicht was sie davon halten sollte. Was war denn so lustig an der Sache? Carsten war es, der seine Mutter über den gleichen Vorfall am Abend zuvor aufklärte. Danach war es auch für Carstens Mutter nicht leicht, ernst zu bleiben. Ihren Segen hatte Leon bereits, denn auch sie fand die Dekoration ein wenig zu kitschig. Ihr Gatte erkläre sich großzügigerweise bereit, den kleinen Unfall am folgenden Tag zu richten. Carstens Vater hatte aber noch ein ernstes Wort für die Umherstehenden. So sollte der kleine Hund auf den Spaziergängen angeleint bleiben. Er war für den Straßenverkehr noch zu unerfahren. Da konnte es schon passieren, dass er einfach auf die Straße lief. Andreas sah Carsten an, dass auch er nicht an so etwas gedacht hatte. Anscheinend wusste er es nicht besser, denn Arco wie auch Max hatten es wohl in ihrer Ausbildung gelernt. Bei Leon waren sie in der Pflicht und Andreas war sich sicher, dass der kleine Rüde es recht bald beherrschte.

Max wuselte weiter um ihren Herren herum. Carsten übergab seine geleerte Tasse an Paul weiter und zog sich gähnend mit Andreas zurück.


Die Tage vergingen wie im Flug. War es ruhiger im Hause Feldbach, so übte Carsten an dem Klavierkonzert. Dass Carsten sehr diszipliniert war, wusste Andreas ja schon, in diesen Tagen lernte er auch, dass die restlichen Familienmitglieder dieses zu schätzen wussten. Luise hielt Andreas schon einmal zurück, wenn dieser den Salon während der Übungsstunden betreten wollte. In der Küche erklärte sie ihm den Grund. Carsten konnte beim Klavierspielen seine Umgebung völlig vergessen. Sie hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass sie beim Betreten des Salons ihren Sohn dermaßen erschreckt hatte, dass er mit seinem Knie von unten gegen die Tastatur schlug. Selbst sein kleiner Bruder respektierte die Regel, Carsten dann nicht zu stören.

Dennoch, hin und wieder saß Andreas neben ihm und ergab sich die Gelegenheit, spielten sie etwas zusammen. So ganz nebenher verbesserte Andreas dabei sein eigenes Spiel. Carsten war ein recht geduldiger Lehrer. Der Höhepunkt des Musizierens war wohl für alle, als Luise, Andreas und Carsten spontan gemeinsam ein sechshändiges Stück zum Besten gaben.

Der Junge ahnte schon, dass es bei den von Feldbachs nie langweilig werden würde. Als Carsten zu einer Routineuntersuchung bei seinem Augenarzt war, begleitete er Andrea zum Reitverein. Neben den alltäglichen Stallarbeiten machte sie verschiedene Reitübungen mit ihrem Pferd. Andreas staunte nicht schlecht, wie selbstsicher sie mit dem großen Tier umging. Im Gegensatz zu ihm selbst.

„Setz dich gerade hin! Zieh nicht so an den Zügeln! Gut so. Du machst dich, Andreas. Und nun links herum.“

„Wenn Diogenes ein Fahrrad wäre, würde ich ja den Lenker drehen...“

„Gib ihm einen leichten Stoss mit deiner Ferse in die hintere linke Flanke. Gleichzeitig etwas mehr Leine im rechten Zügel. Genau. Rechts herum ist es dann genau umgekehrt.“

„Wie mache ich mich?“

„Recht gut. Okay. So und nun machst du folgendes: Drei Runden links herum an der Bande entlang. Anschließend eine große Acht und dann drei Runden rechtsherum. Alles im ruhigen Schritt.“

„Drei links, Acht, drei rechts. Okay und was machst du?“

„Ich hole jetzt Marks Pferd. Bin in ein paar Minuten wieder da.“

Damit ließ sie Andreas zurück. Dieser bemühte sich, die ihm gestellte Aufgabe zu erledigen, was sich doch als schwieriger herausstellte als er es sich gedacht hatte. Als Andrea mit Marks Pferd zurück war, stand Diogenes mit Andreas frontal zur Bande. Obwohl Andreas immer wieder auf das Tier einredete, es bewegte sich keinen Zentimeter. Ob dieser kuriosen Situation musste Andrea einfach lachen, was ansteckend wirkte. Grinsend saß der Junge auf dem Pferd. Nachdem sich Andrea wieder beruhigt hatte, erklärte sie ihm die Kommandos zum Weiterreiten. Andreas zog einmal kräftig am linken Zügel und gab dem Pferd mit beiden Fersen einen Stoß in die Flanken.

Und tatsächlich, Diogenes drehte sich zur linken Seite und setzte sich wieder in Bewegung. Andrea begleitete ihn nun und gemeinsam ritten sie kreuz und quer durch die Halle. Nach einer Stunde brachten sie die Pferde wieder in die Boxen zurück. Nicht nur Diogenes sah verschwitzt aus, auch sein Reiter. Nun bekam Andreas mit, wie viel Arbeit so ein Tier machte. Trockenreiben, striegeln und so weiter. Selbst die Streu in der Box wechselten sie aus. Nach einer weiteren Stunde begaben sie sich in die Reiterklause wo Andrea ihn auf eine Spezi einlud. Andreas war an allem und jeden interessiert und diesen Charakterzug wusste Andrea zu schätzen. So gab sie ihm bereitwillig Antwort auf seine Fragen. Sie erkläre dem Jungen, dass sie jeden Tag drei bis vier Stunden bei den Pferden ist. Manchmal ließ sie Diogenes am Karussell laufen um seine Box gründlich zu reinigen. Da ging schon einmal ein ganzer Nachmittag mit drauf. Oder sie übte Sprünge über diverse Hindernisse. Vor Turnieren konnte es schon einmal so spät werden, dass sie von ihren Eltern abgeholt werden musste.

„Deine Eltern akzeptieren dein Hobby so einfach?“

„So einfach nicht. Ich musste mich schon durchsetzen. Besonders weil sie zwei Bedingungen stellten. Die Erste: Vernachlässige ich das Tier ist das Hobby passé und Papa hat da ein Argusauge drauf. Die Zweite: Ich darf erst zu den Tieren, wenn ich meine häuslichen Aufgaben und Pflichten erfüllt habe. Da kann es schon einmal passieren, dass ich nur zwei Stunden hier bin.“

„Diese Regeln gelten nur für dich oder auch für Carsten?“, hakte Andreas nach.

„Jeder von dreien hat eigene Regeln aber die Konsequenzen sind gleich. Das hat Mutti so bestimmt und wir drei helfen uns gegenseitig wo es geht. Papa drückt schon einmal ein Auge zu wenn es bei mir eng wird. Dafür helfe ich ihm dann in der Praxis. Kein Pardon lässt einer von ihnen gelten, wenn ich in der Schule schlechter werde. Da blocken sie jeden Versuch gnadenlos ab. Aber unter uns, seit ich diesem Hobby nachgehe, sind meine schulischen Leistungen besser geworden. Wenn ich reite, betrete ich eine andere Welt.“

„Hast du keine Angst dir weh zu tun wenn du vom Pferd fällst?“

„Na ja, blaue Flecken und Prellungen habe ich schon genug mit nach Hause gebracht. Toi, toi, toi. Aber noch nichts gebrochen. Andreas, reiten und besonders die Military fordern eiserne Disziplin. Du musst konzentriert dabei sein um gegebenenfalls schnell zu reagieren.“

„Kennst du denn deine Strecke nicht?“

„Doch, aber die Bedingungen können sich verändern, Regen zum Beispiel weicht Böden auf. Oder hinter einer übersprungenen Hecke schreckt ein Hase oder so auf. Diogenes reagiert darauf und ich muss in so einer Situation ebenfalls agieren.“

„Aktion gleich Reaktion!“

„So kann man es auch ausdrücken.“

Andreas trank von seiner Spezi.

„Und wie läuft es hier am Morgen, ich meine du musst doch auch früh zur Schule?“

„Da gibt es Angestellte im Reitverein die sich dann um die Pferde kümmern. Sie lassen die Tiere auch raus auf die Weide. Nur an den Wochenenden nicht. Da bin ich oder Mark rechtzeitig hier um sie zu versorgen. Komm, lass uns gehen, sonst verpassen wir noch den Bus.“

Andreas brachte die leeren Gläser zurück und Andrea zahlte. Im Bus bedankte sich Carstens Freund für den interessanten Nachmittag. Seine Begleiterin winkte ab. Besonders weil sie ihm beschied, am folgenden Tag durch einen Muskelkater noch daran erinnert zu werden. Eines wollte Andreas jetzt noch wissen, ob Carsten denn auch reiten würde. Ganz erstaunt über diese Frage, bestätigte ihn Andrea, dass Carsten sogar gerne reitet. So würden sie in den Sommerferien öfters kleinere Tagestouren machen. Und wenn er noch ein wenig sicherer auf dem Rücken eines Pferdes wäre, könnte sie sich sogar vorstellen, ihn auf solche Touren mitzunehmen.


Nachdem Paul Leon dabei erwischte, wie er eines Morgens den Stamm des Weihnachtsbaums markierte, räumten er und Andreas den Baum in die Garage. Ansonsten machte der kleine Rüde, was Welpen in seinem Alter gerne tun: Schlafen, fressen und die Welt erkunden. Was auch schon einmal dazu führte, dass alte Pantoffel mit neuen Luftlöchern verziert wurden. ;-) Er war aber ganz ein Retriever. Wie Max und Arco hatte er immer etwas im Fang und konnte lange darauf herumkauen.

Wie Carsten schon vermutete, hielt Max ein wachsames Auge auf Leon. Andreas sah sie schon mal den kleinen Rüden ermahnen, indem sie ihn mit einem leisen Knurren bedachte. Mit der Reaktion, dass der kleine Vierbeiner mit eingezogenem Schwanz das Feld räumte, aber schon nach wenigen Minuten wieder auf Entdeckungstour ging. Bei Ercan vor dem Bett schlief er die meisten Nächte sogar schon durch. Nachmittags stand meist ein gemeinsamer Spaziergang der Jungen mit Max an. Ausgelassen frönte die Blindenführhündin ihrem Lieblingsspiel: Einem Kunststoffdiskus nachjagen. Öfters ging es auch gemeinsam auf einen Rodelberg, wo sich die Jungs als Schlittenfahrer behaupteten. Während Max sich mit anderen Hunden im Schnee balgte. Gegenüber Carsten äußerte Andreas seine Bedenken, weil Max sich nicht immer behaupten konnte. Doch Carsten machte sich da weniger Gedanken als Andreas. Der blinde Junge erklärte ihm, dass es für Max wichtig ist, soziale Hundekontakte zu haben. Und mit Nichten war sie immer in einer dominanten Rudelposition. Das machten die Tiere sehr schnell unter sich aus.

Mit Andreas ging Carsten abends noch eine ruhige Runde spazieren oder einfach mal einen ganzen Nachmittag in die Ortssauna. Andreas war erfreut, dass Carsten auch so ein Fan dieser Einrichtung war. Dabei wurde in entspannter Atmosphäre auch mal über die Anstehenden Aktivitäten der nachfolgende Tage gesprochen.

„Sage einmal, das Konzert morgen, wie kommst du da hin?“

„Mama, Papa und ich fahren mit dem Auto hin. Möchtest du auch mitkommen?“

„Nein danke, ich bin einfach nicht in Stimmung für solche Veranstaltungen. Da helfe ich lieber Andrea auf Ercan aufzupassen. Nimmst du Max mit?“

Andreas sah Carsten die Stirn kräuseln. Dann nach einiger Zeit:

„Ich würde sie liebend gerne mitnehmen, sie gibt mir Sicherheit. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass sie sich da langweilt. Das möchte ich wiederum auch nicht. Ich weiß einfach nicht, was mit ihr los ist. Im Internat war ich auch für zwei Stunden oder so weg. Es ist für sie nichts neues und es ist auch eine Zeitspanne die sie schon einmal alleine bleibt. Aber das Theater letzte Tage gibt mir schon zu denken. Ich werde Papa um Rat fragen. So und nun lass uns diese angenehme Hitze genießen.“

Nach so einem Saunabesuch fühlten sich die Jugendlichen rundherum wohl. Auf dem Weg nachhause führte Andreas und Carsten tastete mit seinem Stock nach Hindernissen. Nach dem Abendessen saßen Carsten und Andreas noch gemütlich im Wohnzimmer und ließen den Abend vor dem Konzertbesuch ausklingen. Im Zweisitzer hatte es Carsten sich bequem gemacht. Max saß vor ihm und legte ihren Kopf in dessen Schoss. Der Junge kraulte ihr sanft den Kopf. Paul saß ihnen gegenüber, er kannte seinen Sohn und sah ihm an, dass ihm etwas auf dem Herzen lag.

„Papa, darf ich dir eine Frage stellen?“

„Ja, was hast du auf dem Herzen, geht es um Max?“

„Ja. Ich weiß nicht ob sie morgen mitkommen soll. Du hast ja selber mitbekommen, wie sie sich benommen hat und ich möchte nicht, dass sie alleine im Hotel bleiben muss.“

„Nimm sie mit! Wenn sie hier bleibt, wirkt es wie eine Bestrafung. Und ich kann mich nicht erinnern, dass sie etwas angestellt hat. Allein dass du in ihrer Nähe bist, beruhigt sie schon. Und warum sollte sie im Hotel bleiben? Ihre Aufgabe ist es, dich sicher zu begleiten, also auch ins Konzerthaus. Ich weiß, dass sie sich benehmen kann, so dass du dir da keine Sorgen machen musst und um den Einlass kümmere ich mich gegebenenfalls schon.“

Carstens Gesicht hellte sich auf. Er bedankte sich bei seinem Vater. Danach rappelte er sich auf, dicht gefolgt von Andreas und Max zogen sie sich zurück. Die Retrieverhündin begleitete sie auf ihr Zimmer um es sich auf ihrem Platz bequem zu machen. Als die Jungen aus dem Bad kamen, schlummerte sie schon. Andreas ging noch zum Fenster hinüber und öffnete es einen Spalt. Carsten lümmelte sich schon im Bett und wartete auf seinen Freund. Eng aneinander gekuschelt schliefen sie ein.

Der nächste Morgen stand im Zeichen der Organisation. Andrea und Andreas wurden von Paul zum Ercan – Sitting vergattert. Luise packte das Nötigste für eine Nacht ein und noch etwas Proviant für Max. Paul verstaute die Koffer mit der Abendgarderobe in den Kofferraum des Kombis. Max und Carsten nahmen auf den Rücksitz Platz, wo der Junge die Hündin am Sicherheitsgurt fixierte. Dann ging es auf nach Dresden.


Andreas und Ercan gingen mit Leon nachmittags rodeln. Das Gelände lag abseits der Straßen, so dass der kleine Rüde unter Aufsicht auch ohne Leine herumtoben konnte. Doch bald schon sah Andreas, dass der junge Hund müde war. Er packte Ercan auf den Schlitten und lies den Knirps den Hund halten. So zog er das Gespann wieder nach Hause. Nach dem Trockenrubbeln des Vierbeiners suchte dieser einen Schlafplatz in der Küche auf. Andrea hatte schon ein kleines Abendessen für sie vorbereitet. Auch Leons Napf enthielt etwas Futter.

„Ist das nicht ein wenig mager für den Hund, Andrea?“

„Nein, Papa hat mir heute Morgen noch Anweisung gegeben, Leon nicht zuviel zu Abend zu geben.“

„Ah!“

Das Abendessen verlief, obwohl die halbe Familie aus dem Haus war, nicht ruhiger. Ercan erzählte was er erlebt hatte und Andrea stellte Fragen dazu. Andreas hörte zu und war erfreut wie phantasievoll der Dreikäsehoch seine Abenteuer schilderte. Anschließend räumten alle die Küche wieder auf. Ercan verzog sich, um noch etwas zu spielen. Doch bald schon tauchte er im Wohnzimmer wieder auf.

„Andrea, darf ich noch etwas fernsehen?“

„Wenn du den Kinderfilm sehen möchtest ist das okay, danach geht es ab ins Bett. Und hast du Leon schon Gassi gehen lassen?“

„Ja, vorhin habe ich ihn in den Garten gescheucht. Jetzt schläft er sicherlich schon.“

„Schön.“

„Sage einmal Andrea, musste Diogenes nicht bewegt werden?“

„Das hat Mark für mich heute getan. Sein Vater hat ihn heute Nachmittag für ein paar Stunden von seinen Pflichten auf dem Hof befreit. Da draußen momentan doch etwas zu viel Schnee für die Pferde liegt, werden sie nur in der Reithalle bewegt.“

„Aha, und das reicht aus?“

„Naja, so das Optimale ist es für Diogenes nicht. Mark hat mit ihm kleine Sprünge geübt. Mehr geht momentan nicht. Es reicht aus, damit das Pferd nicht ganz aus der Übung kommt. So und was machen wir heute Abend?“

„Sollen wir uns nachher noch die Konzertübertragung anschauen?“

„Och, vermisst du deinen Liebsten?“

„Du etwa deinen nicht? Er hätte doch auch herkommen können.“

„Sicher, macht er vielleicht auch noch, doch zunächst muss er auf dem Gut seines Vaters helfen die Tiere zu versorgen.“

Nach dem Kinderfilm ging Ercan ins Bad, konnte sich aber nicht entscheiden ob er nun lieber duschen oder in die Badewanne gehen wollte. Andreas nahm ihm die Entscheidung ab, indem er ihn kurzerhand unter die Dusche schickte. Quietschend und lachend blödelten die Jungs im Bad herum. Als es Zeit wurde, zog Ercan sich, nachdem er wieder trocken war, seinen Schlafanzug an, stellte sich an ein Waschbecken, schnappte sich seine Zahnbürste und putzte sich die Zähne. Währenddessen räumte Andreas das Bad wieder auf und putzte die Pfützen weg. Gemeinsam gingen sie hinüber in das Kinderzimmer. Nachdem Ercan sich ins Bett verzogen hatte, setzte sich Andreas auf die Bettkante und las aus dem großen Märchenbuch vor, welches ihm Ercan gab.

„... und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Gute Nacht.“

„Ich bin aber noch nicht müde.“

Andreas zog verwundert die Augenbrauen hoch, denn während er gelesen hatte, gähnte der Bub mehrmals.

„Och! Jetzt habe ich mir den Mund trocken gelesen und du bist nicht müde? Warte mal, ich kenne da ein altes Hausmittel von meiner Mama.“

Andreas räusperte sich und begann ein kleines Schlaflied zu singen. Eines, welches ihm seine Mutter immer vorgesungen hatte. Diese Aktion schien die Wirkung nicht zu verfehlen. Ercans Augen fielen langsam zu. Nachdem der Jüngste von Feldbach in die Traumwelt hinübergeglitten war, verließ Andreas grinsend das Zimmer. Im Wohnzimmer hatte es sich Andrea vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Sie schaute zu Andreas hinüber als er durch die Tür kam.

„Der Bengel schläft friedlich vor sich hin.“

Anerkennend schaute Carstens Schwester ihn an.

„Danke, es ist schon erstaunlich wie er auf euch Jungs hört.“

„Ercan himmelt Carsten förmlich an und Carsten selber ist auch ganz vernarrt in seinen kleinen Bruder. Dass er auf mich hört, ist mir ehrlich gesagt auch ein Rätsel.“

„Du scheinst das gewisse Etwas zu haben. Was war das für ein Lied, welches du ihm vorgesungen hast?“

„Ein italienisches Wiegenlied, ich habe es von meiner italienischen Oma gelernt. Du hast es gehört?“

„Ich war eben im Treppenhaus. Ich habe dir gerne zugehört, obwohl ich nichts vom Text verstanden habe, bis dann das Telefon läutete. Mark hatte angerufen. Ich soll dich von ihm grüßen.“

„Gruß zurück. Kommt er?“

„Nein, er ist fix und fertig. Das Konzert hat schon begonnen, komm setzt dich, ich habe auch noch schwarzen Tee.“

„Danke, was spielen sie denn?“

„Was von Brahms, Prokofjew und Mahler bis zur Pause, danach etwas vom Mendelssohn – Bartholdy. Du kannst mit klassischer Musik nicht viel anfangen?“

„Seit ich Carsten kenne, ein wenig schon, doch es ist nicht mein Metier. Ich mag da eher modernere Musik wie Rock'n Roll, Blues und so weiter. Mit den Charts habe ich es auch nicht so. Nimmst du das auf?“

„Ja, Mama hatte mich darum gebeten.“

„Na so berauschend ist es ja nicht.“

„Nee, warte mal. Hast du Lust auf eine Wintergeschichte? Da läuft im Kanal Regenbogen ‘Eingeschneit' (nach einer Geschichte von P. Conrad). Scheint lustig zu sein.“

„Dann mach mal, Andrea. Das Konzert können wir uns ja später ansehen.“

Andrea schnappte sich die Fernbedienung und schaltete um. Der Film gefiel den Beiden. Es handelte sich um zwei verfremdete Freunde, die ungewollt in einer Waldhütte zusammen eingeschneit sind. So nach und nach entwickelt sich ein Abenteuer, in welcher die Liebe sicherlich nicht zu kurz kam. In einer Werbepause ging Andrea noch einige ungesunde Knabbersachen holen. Andreas schaltete wieder um auf die Liveübertragung aus Dresden. Die Pause war wohl beendet, Andreas erkannte die Melodie, welche Carsten auf dem Klavier übte. Gerade war ein Kameraschwenk über die Zuschauer.

„Woher kenne ich nur diese Musik, Andreas?“

„Das ist doch das Klavierkonzert, welches Carsten in letzter Zeit für Herrn Kramer übte. Aber anscheinend ist Carsten schon gegangen. Der Platz neben Paul und Luise ist frei.“

„Was? Mama und Papa im Fernsehen?“

„Ja, schau doch!“

Andrea stellte sich vor das Gerät und versperrte Andreas die Sicht. Die Kameraperspektive verließ das Publikum und wandte sich dem Orchester und den Pianisten zu. Andrea's Kehle entfuhr ein kleiner Aufschrei. Sie schritt zur Seite und gab Andreas den Blick auf die Übertragung preis. Carsten war nicht gegangen. Er war einer der Pianisten des Konzertes und Herr Kramer der Zweite. Er war nun doch enttäuscht, nicht live im Konzerthaus zu sein. Carstens Schwester tröstete ihn damit, dass er keinen schwarzen Frack trug wie alle anderen Musiker. Das ließe darauf schließen, dass es sicherlich kein geplanter Auftritt war. Andreas entfuhr ein kleines Lächeln und er stimmte Andrea zu. Gegenüber den anderen Beteiligten stahl Carsten ihnen allein schon durch sein Äußeres die Show. Sein silberbeigefarbener Gehrock hob sich aus dem dunklen Hintergrund ab. Und wenn er mal in Grossaufnahme zu sehen war, sah es so aus als ob er direkt aus dem 19. Jahrhundert kam. Aber nicht nur sein Auftreten wirkte souverän, sondern auch sein Spiel. Und wie schon bei der Vorführung im Internat zum Jubiläum zog er durch seine eher reservierte Art die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Da sie das Konzert eh aufzeichneten, entschlossen sich die Daheimgebliebenen, den zweiten Teil des Films anzusehen.


In dem Konzerthaus neigte sich der dritte Satz, das Allegro vivace dem Ende zu. Carsten konzentrierte sich noch einmal, dann war es geschafft. Der Schlussakkord, des Konzerts für zwei Klaviere und Orchester As Dur von Felix Mendelssohn-Bartholdy verklang. Wie in Zeitlupe legte Sir Simon MacCollins seinen Dirigentenstab auf sein Pult, zögerte einen Moment und drehte sich zum Publikum um. Ein enthusiastischer Applaus setzte ein. Die Pianisten erhoben sich und verbeugten sich vor der Zuhörerschaft. Anschließend erhob sich der erste Violinist und verbeugte sich mit dem Dirigenten. Die Anwesenden applaudierten eine Zugabe herbei. Mr. MacCollins schritt zu Carsten und Herr Kramer reichte ihnen die Hand und gratulierte ihnen. Dann besprach er sich mit ihnen. Sie wiederholten einige Takte aus dem Andante (2.Satz) des Konzertes. Später folgte eine weitere Zugabe. Diesmal fing Carsten alleine an, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war. Er begann das kleine italienische Kinderlied zu spielen, welches Andreas ihn gelehrt hatte. Was er nicht bemerkte, Sir MacCollins hob seinen Dirigentenstab und gab einen Einsatz. Leise begleitete das Orchester den Jungen. Das Lied schien bekannter zu sein, als Carsten gedacht hatte. Er hörte, wieviel Leidenschaft eine so kleine, einfache Melodie auslösen konnte. Er selber war in Gedanken bei seinem Freund. Mit jedem Akkord den er spielte, vermisste er Andreas ein wenig mehr. Carsten nickte und beendete damit sein Spiel. Das erste, was er hörte, war ein Bellen. Es zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. Einige Zuschauer lachten und lösten damit einen weiteren Beifallsturm aus. Sir Simon MacCollins, Herr Kramer und Carsten wurden Blumen überreicht. Im Anschluss daran verließen sie gemeinsam die Bühne. Der Dirigent führte Carsten.

„Ich muss gestehen, du bist wirklich gut, Carsten. Du hast das gewisse Gefühl für Musik. Ich hatte ja meine Zweifel als Volker den Vorschlag vorhin machte. Du hast nicht nur mich überzeugt. Möchtest du nicht auf eine Akademie wechseln?“

Carsten war erfreut über das Kompliment und bedankte sich. Selbstsicher führte er seine Ansicht zu diesem Thema an. Er selbst hatte sich schon früher die Frage gestellt eine Musikakademie zu besuchen. Doch das Ergebnis blieb gleich: Der Stellenwert seiner Familie, Freunde und Max war ihm zu wichtig, als darauf zu verzichten. Vielleicht aus eigener Erfahrung, konnte der Dirigent diesem Argument nur zu gut folgen. Daher schwenkte er auf einen anderen Gesprächsstoff um.

„Welches Konzert würdest du gerne einmal geben wollen?“

„Was mich schon immer einmal reizen würde, ist das 5. Klavierkonzert von Beethoven. Für das Internatsorchester ist es einfach zu komplex.“

„Ich denke das ließe sich kommenden Sommer einrichten. Was meinst du?“

Sir MacCollins war sehr daran Interessiert. Carsten wiegte mit dem Kopf, Lust hätte er schon, doch ob er auch dazu Zeit finden würde? Er teilte ihm seine Bedenken mit, die der Dirigent aber zu zerstreuen wusste. Er verabredete mit dem Jungen, ihm eine CD mit einer Orchesteraufnahme zukommen zu lassen. Wenn er dann dazu bereit wäre, sollte er ihn informieren. Dabei beließen sie es. Eines wollte Carsten aber noch in Bezug seiner Zugabe wissen. Mr. McCollins erklärte ihm, dass sein Orchester hin und wieder Kindernachmittage gestaltet. In dessen Standartrepertoire gehören nun unter anderem internationale Kinderlieder und dieses sei eines der meist gespielten.

„Danke für ihre Auskunft! Herr Kramer?“

„Ja, was gibt es?“

„Sie sagen ja gar nichts?“

„Was soll ich denn sagen?“

„Na zum Beispiel ob ich meine Hausaufgaben gemacht habe.“

„Sogar hervorragend, dein Spiel war sehr gut und du hast es dem Orchestertempo dynamisch angepasst. Es ist etwas anderes als ob du mit einer Konserve übst. Und der Neid muss es mir lassen, du hast heute Abend bewiesen, dass du schon ein eigenes Format hast. Die ganze Art und Weise wie du dieses Konzert gegeben hast, hat uns alle ein wenig in den Schatten gestellt. Komm, ich bringe dich zu Max und deinen Eltern.“

„Danke, für alles.“

Das familiäre Dinner in einem exklusiven Restaurant war ein schöner Abschluss für einen konzertanten Abend. Neben so manchen Anekdoten wurde immer wieder Carstens Talent gelobt. Dieser Umstand ging ihm so allmählich auf den Geist. Daher benutzte er die erste Möglichkeit mit Max kurz vor die Tür zu gehen. In einem restauranteigenen kleinen Park fand er etwas Ruhe. Max dirigierte ihn zu einer Bank. Nachdem sie ihre Geschäfte erledigt hatte, gesellte sie sich zu dem Jungen auf die Bank und knuddelte sich an ihn. Carsten strich ihr sanft über den Kopf. Ihm und der Hündin tat diese Ruhe einfach nur gut.

Knirschender Schnee kündigte einen Besucher an, der sich langsam den Beiden näherte. Carstens Vater blieb neben ihnen stehen. Wohlwollend schaute er auf seinen Sohn nieder. Er war mächtig stolz. Doch ahnte er auch, was Carsten in diesem Moment beschäftigt. Seine Frage, ob ihm der Rummel um seine Person auf den Keks ging, war schon mehr eine Feststellung. Nein, Paul wusste, dass sein Sohn sich nach seinem Freund sehnte. Folgerichtig ließ er seinen Sohn an seinen Gedanken teilhaben. Er erzählte von dem Moment an, in dem Carsten die ersten Takte seiner Zugabe gespielt hatte. Wie Max aufstand, ihre Pfoten auf die Balkonbrüstung legte und interessiert hinunterschaute, seine Frau ihn wissend anlächelte und sie alle gemeinsam an ihre Liebsten dachten. Im Anschluss daran gab er Carsten sein Mobiltelefon, damit er Andreas anrufen konnte.


„Hallo Andrea, ist mein Schatz in deiner Nähe?“

„Hallo Carsten, war der Auftritt geplant?“

„Nein. Woher weißt du davon?“

„Das Konzert wurde doch im Fernsehen übertragen. Du siehst echt spitze in dem silberbeigefarbenen Gehrock aus. Diese Farben unterstreichen deine Persönlichkeit.“

„Danke, ich verlass mich da auf meine Schwester. Ist Andreas bei dir?“

„Augenblick, ich gebe ihn dir.“

„Na Schatz, feierst du deinen Auftritt?“

„Ich würde ihn gerne vergessen, der ganze Rummel wird mir über. Ich wünschte du wärst hier bei mir.“

„Ich mir auch, Carsten. Liebst du mich?“

„Ja, hast du es nicht gehört?“

„Nein, was soll ich gehört haben?“

„Ich habe unser Lied als Zugabe gespielt, das Orchester hat mich sogar begleitet. Dann hast du es nicht mitbekommen.“

„Nein, wir haben uns einen Film im Regenbogenkanal angeschaut. Aber Andrea hat das Konzert aufgezeichnet. Die Zugabe sagst du?“

„Ja. Sorry Andreas, ich muss wieder zu den Anderen. Bis morgen, meine bessere Hälfte, träum was schönes.“

„Ja, von dir Carsten. Ich bin stolz auf dich. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“

Klick! Andreas stellte das Handtelefon wieder ins Ladegerät. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, spulte die Videokassette zurück und sah sich den Schluss des Konzertes an. Als Andrea ins Zimmer kam, saß Andreas mit einem Lächeln und feuchten Augen im Sessel. Jetzt fühlte er, wie Carsten ihn vermisste. Zusammen mit Andrea räumte er den Salon wieder auf. Andrea kontrollierte die Türen und gemeinsam verzogen sie sich auf ihre Zimmer. Bevor sich jedoch Andreas schlafen legte, schaute er noch einmal nach Ercan. Carstens Bruder schlief friedlich vor sich hin. Neben ihm lag Leon. Andreas ging auf den jungen Hund zu und hob ihn aus dem Bett. Der Rüde wusste im ersten Augenblick nicht was geschah. Andreas setzte ihn behutsam auf seiner Matte vor dem Bett ab. Leon schien zu verstehen. Er drehte sich zweimal im Kreis und machte es sich dort bequem. Er schaute noch einmal hoch, als Andreas das Zimmer wieder verließ.

Im Bad putzte der Teenager sich die Zähne und machte sich fertig für die Nacht. Dann ging er zurück ins Zimmer, öffnete das Fenster einen Spalt und zog die Bettdecke bis über seine Ohren. In dem großen Bett kam Andreas sich verloren vor. Er schnappte sich Carstens Kopfkissen und kuschelte sich daran. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er ein.

Als er am Morgen aufwachte, kam ihm das Bett etwas eng vor. Er schaute sich um. Links von ihm lag Ercan und rechts Leon.

„Leon, nein! Raus aus dem Bett!“

Der junge Hund schaute nach der Quelle des Störenfrieds, dann stand er träge auf und sprang hinaus.

„Hallo Andreas, warum darf Leon nicht im Bett sein?“

„Guten Morgen Ercan, bist du schon lange hier?“

„Nein, vielleicht eine viertel Stunde. Warum darf Leon nicht im Bett sein?“

„Weil es dein Papa gesagt hat, bringt wohl nicht viel? Hat Arco in deinem Bett geschlafen?“

„Nein. Der war doch viel zu groß und zu schwer, da hätte ich ja kein Platz gehabt.“

„Genau. Auch wenn Leon noch klein ist, er wird einmal so groß werden wie Arco und Max. Dann möchtest du auch nicht, dass er sich in dein Bett legt. Wenn du ihm das jetzt erlaubst, glaubt er, er darf das immer. Auch dann, wenn er groß ist.“

„Ich verstehe, Andreas. Aber er friert doch!“

„Dann müsstest du ihm auch Schuhe und Jacke anziehen wenn ihr in den Schnee geht.“

„Quatschkopf. Er hat doch ein Fell.“

„Richtig, und das hält ihn warm. Auch nachts wenn er in deinem Zimmer liegt. Darum bitte ich dich, Leon nicht in deinem Bett schlafen zu lassen.“

„Gut, aber wie bringe ich es ihm bei?“

„Gute Frage. Ich denke dein Vater kennt einige Tricks. Fragen wir ihn einfach, wenn er wieder da ist. Okay?“

„Gut! Kommst du jetzt frühstücken?“

Selbstverständlich konnte Andreas diese Bitte nicht abschlagen. Nachdem sich beide frisch gemacht und angezogen hatten, bereiteten sie in der Küche ein üppiges Frühstück vor. Als Andrea auftauchte, stand alles bereit und sie setzte sich an den gedeckten Tisch zu den beiden Anderen. Beherzt griffen sie zu.

Wie jeden Morgen erzählte Ercan von seinen Träumen. Dabei schilderte er sehr detailliert seine Abenteuer mit Leon auf grünen Wiesen. Schnell wurde den Jugendlichen klar, dass Ercan genug vom vielen Schnee hatte. Weiter erzählte er, wie sie am Morgen leise in Carstens Zimmer geschlichen waren um Andreas zu wecken. Dabei kam auch zur Sprache, wie sie es dem Rüden beibringen können nicht mehr ins Bett zu springen. Andreas staunte nicht schlecht, dass Ercans Schwester eine Antwort parat hatte. So würde Leon es mit der Zeit lernen, wenn er immer gleich nach der Tat zurecht gewiesen wird. Hat der kleine Rüde etwas gut gemacht, sollte ein Lob freundlich gesprochen werden. Ein Tadel dagegen möglichst streng. Bei ganz groben Verfehlungen kann man den Welpen auch mal im Nackenfell greifen und ihn leicht schütteln. Diese Maßnahme sollte aber nur selten angewendet werden.

Selbst Hundeeltern rügen ihren Nachwuchs auf diese Weise selten.

Gespannt folgten Andreas und Ercan ihren Ausführungen. Ercan - und nicht nur er allein - wollte wissen woher sie das denn wisse. Es stellte sich heraus, dass Andrea nicht nur ein Gespür für Tiere hat, sondern auch das Verhalten der Tiere beobachtet. Nun war es Andreas der eine gewisse Neugier an den Tag legte. Andrea beantwortete seine Fragen mit viel Enthusiasmus und empfand ihn nicht als aufdringlich. Im Gegenteil. Das Frühstück zog sich hin.

Andreas erfuhr, dass Carstens Zwillingsschwester nach der Schule eine Ausbildung als Tierpflegerin anstrebte. Ob danach ein Veterinärstudium folgt, wollte sie noch nicht entscheiden. Aber wie sie sich auch entscheiden würde, ihre Eltern stünden hinter ihr.

Während die beiden Teenager die Küche wieder auf Vordermann brachten, scheuchte Ercan seinen Hund in den Garten hinaus. Zielstrebig steuerte der Welpe den ersten Baum an, lief zweimal drum herum und versuchte sein Hinterbeinchen zu heben. Was ihm jedoch nicht so ganz gelang. Dann lief er zu einer freien Fläche, buddelte etwas im Schnee und hockte sich hin. Fünf Minuten später rubbelte Ercan den kleinen Rüden wieder trocken.

Am späten Nachmittag kamen die Konzertbesucher zurück. Nachdem Carsten ausgestiegen war, wurde er liebevoll von Andreas begrüßt. Lange standen sie einfach nur da und umarmten sich. Erst als Carsten merkte, dass sein Freund fror, gingen sie ins Haus.

„Hey, Carsten. Danke für dein Geschenk!“

„Was meinst du, Andreas?“

„Na die Zugabe, Darling.“

„Ich habe dich vermisst.“

„Ich dich auch. Ich liebe dich.“

Die beiden Jungen verzogen sich auf ihr Zimmer. Carstens Eltern sahen die Beiden erst zum Abendessen wieder. Mit strubbeligen Haaren und süffisantem Lächeln auf den Lippen. Später konnte man die Jungen Hand in Hand mit Max eine große Runde spazieren gehen sehen.

Daheim wieder angekommen, ließen sie den Abend im Salon ruhig ausklingen. Andreas schaute sich noch die Spätnachrichten an und hielt dabei Carsten um die Hüften im Arm. Dieser schmiegte sich an seinen Freund. Die Anstrengungen der letzten beiden Tage forderten ihren Tribut und Carsten nickte ein. Andreas lächelte, als er den etwas desorientierten Carsten hinauf ins Zimmer begleitet.


Zum Jahreswechsel gaben die von Feldbachs eine familiäre Party. So lernte Andreas noch einige von Carstens Onkeln und Tanten kennen, sowie Frau von Feldbachs Eltern. Andreas nahm seinen Freund zärtlich in die Arme und gab ihm um Mitternacht einen zarten Kuss. Zum Feuerwerk blieb Carsten im Haus bei den Hunden, während Andreas sich das Spektakel mit den anderen ansah. Als Andreas wieder zu seinem Freund stieß, sah er welche Wirkung Carsten auf die Tiere hatte. Max schlummerte friedlich vor sich hin und Leon stand im Salon vor dem Jungen. Der kleine Rüde fixierte einen Tennisball, den Carsten in der Hand hielt. Dann knallte es sehr laut und Leon zog vor Angst seine kleine Rute ein. Carsten ließ dann den Ball rollen und der junge Hund rannte hinter ihm her, um ihn zu Carsten zurück zu bringen. Dann lobte er den Welpen und das Spiel begann von neuem. Andreas sah ihnen dabei zu. Als Leon den Ball letztendlich einfach zu seinem Lager neben Max brachte, wussten die Jungen, dass ein Feuerwerk oder Gewitter den Rüden nicht mehr aus der Ruhe bringen würde.

„Na, hat dir das Spiel gefallen?“

„Ja, es war schön mit anzusehen wie du dem Hund die Angst vor dem Krach genommen hast.“

„Also Angst wird er auch noch in Zukunft davor haben, doch er wird es tapfer ertragen. Er hat nun eine positive Erfahrung, welche er mit einem Knall in Verbindung bringen kann. Irgendwann wird er wie Max die ganze Sache verschlafen.“

„Habt ihr es Max auch so beigebracht?“

„Ja, zumindest was Feuerwerk und Gewitter angeht. Ansonsten ist sie schussfest, wie es in den

Statuten für Blindenbegleithunde heißt. Sie darf sich bei einem überraschenden Knall nicht

aus der Ruhe bringen lassen.“

Andreas bestätigte, dass er verstanden hatte. So langsam wurde ihm klar, warum Carsten sehr viel Wert auf Max Wohlergehen legte. Die Aufgabe eines Blindenführhundes ist für das Tier ein anstrengender Job. Carsten sagte ihm ja schon, dass es für Max ein Spiel ist, ihm zu helfen.

Aber dieses Spiel darf für Max nicht langweilig werden.

Kapitel XXXIII, Zurück im Internat

Im Internat war am letzten Ferienwochenende viel los. Carsten und Andreas hatten sich dazu entschieden, schon am Samstagabend wieder zurück zu fahren. Nachdem sie sich von Ercan und Paul verabschiedet hatten, gingen sie erst einmal daran, ihre Koffer und Taschen auszupacken.

„So, das wäre erledigt. Und was stellen wir nun an?“

„Was du machst, weiß ich jetzt nicht, doch ich beziehe mein Bett neu. Der alte Bezug riecht etwas muffig.“

„Apropos Bett, meinst du wir könnten unsere Betten zusammen stellen?“

„So wie ein Ehebett? Und wie willst du es den Anderen erklären?“

„Wie wäre es mit mehr Platz im Zimmer?“

„Das nimmt dir bei diesem Platzangebot kaum jemand ab. Da müssten wir schon mit der Wahrheit rausrücken.“

„Carsten, davor habe ich Angst. Was ist, wenn der Schuss wie bei mir in München nach hinten los geht?“

„Also ewig können wir es sowieso nicht verheimlichen. Meiner Erfahrung nach bleiben Geheimnisse hier nicht lange geheim. Und ein Gerücht ist schwer zu kontrollieren.“

„Aber wie sollen wir es angehen? Als Aufreißer in den JHP-News möchte ich auch nicht erscheinen.“

„Als Aufreißer nicht, doch dezent, in einem kleinen Artikel könnte ich mir schon vorstellen, das Thema an sich zu publizieren. Wir haben schon öfters die Schülerzeitung unter ein Thema gestellt, warum nicht mal Beziehungen und Sexualität?“

„Dein Optimismus in allen Ehren, das funktioniert nie und nimmer.“

„Oh, so pauschal würde ich es nicht abtun. Der einzige Haken an der Geschichte wäre...“

„Also doch ein Haken. Wahrscheinlich ziehen wir unsere Clique auch mit hinein.“

„Richtig! Wir müssten unsere Beziehung der Clique offenbaren. Wir brauchen sie allesamt, um das durchzuziehen. Britta und Ralph recherchieren sehr gründlich und denen fährt keiner an den Karren, auch bei scheinbar ‘unbequemen' Themen nicht. Chris benötigen wir in ihrer Funktion als Chefredakteurin. Zudem hat sie den besten Draht zur Verwaltung. Glaube mir, mit diesem Team kannst du Berge versetzen.“

„Und wie sieht es mit ihrer Verschwiegenheit aus?“

„Lass es mich einmal so sagen: Ein Geheimnis bei ihnen ist sicherer als die Goldreserven in Ford Knox je waren.“

„Okay, dann lass es uns ihnen sagen. Ich bin mal gespannt wie sie reagieren werden.“

„Morgen Abend wirst du es genauer wissen. Traditionell treffen wir uns am Vorabend des ersten Unterrichtstages.“

„Wie sieht denn unser erster Schultag überhaupt aus?“

„Nach dem Frühstück, so gegen halb Zehn, finden sich alle in der Aula ein. Dort hält der Direktor seine Neujahrsansprache. Anschließend geht es hinüber in die Klassen. Da außer Organisatorisches nicht viel läuft, ist gegen Mittag schon wieder Schluss.“

„Nachmittag ist frei?“

„Je nachdem wie schnell du bist. Im Intranet werden die Stunden- bzw. Kurspläne, für die höheren Jahrgangsstufen veröffentlicht. Ich stelle dann meinen Unterricht zusammen. Was für dich etwas leichter ist.“

„Wieso?“

„Du stellst Fragen! Neben dem Gemeinschaftsunterricht habe ich auch noch meine Blindenkurse unterzubringen, mein neues Projekt, den Klavierunterricht und meine Schwimmstunden. Und es wäre wirklich schön, wenn am Ende des Tages noch ausreichend Freizeit bleiben würde.“

„Ups, ist ja nicht gerade wenig. Und wieso habe ich das nicht vor einem halben Jahr machen müssen?“

„Hast du schon getan. Nur beschränkte es sich lediglich auf die Projektarbeit. Das erste Halbjahr unserer Jahrgangsstufe wird noch vorgegeben. Ab dem zweiten Semester gestaltest du deinen Stoffplan bis zum Abi selbst. Nicht umsonst waren alle Unterrichtsthemen zu den Weihnachtsferien abgeschlossen.“

„Weißt du denn schon, wo du deine Schwerpunkte legen wirst?“

„Ich habe zwar so eine Ahnung, doch genaueres wird uns erst am Montag gesagt. Warten wir bis dahin, ja?“

„Carsten, ich weiß ich gehe dir auf die Nerven mit meiner Fragerei, aber woher weißt du das alles?“

„Als Chefredakteur der JHP-News bekommst du so etwas mit. Außerdem wurde es uns zu Beginn des Schuljahres gesagt. Daher weiß ich es auch. Soweit ich mich aber erinnere, bist du einen Tag später zu uns gekommen, da waren schon andere Themen an der Tagesordnung. Und deine Fragen nerven mich nicht. Wie heißt es doch so schön im Titel einer Kindersendung: Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm.“

„Du bist ein Schatz!“

„Ah, auch schon erkannt? So, ich gehe jetzt mal für kleine Jungs und anschließend mit Max Gassi. Du könntest ja inzwischen dein eigenes Bett beziehen.“

Carsten tastete sich zur Tür und ging auf den Korridor hinaus. Andreas schüttelte nur mit dem Kopf. Sein Freund hatte aber recht, die Bettwäsche roch muffig. Daher ging er das Bettwäschewechseln an. Er legte die letzten Handgriffe an, als Carsten das Zimmer betrat. Der blinde Junge schnappte sich das Blindengeschirr für den Hund und rief Max zu sich. Während Carsten Max das Geschirr anlegte, informierte er seinen Mitbewohner, dass es eine größere Runde wird, damit die Hündin sich wieder an die Umgebung gewöhnt.

„Ich denke, ich gehe mit ihr bis zum Schulgebäude, eventuell dort einmal um den Block und wieder zurück. Würde so eine bis eineinhalb Stunden dauern. Kommst du mit?“

„Nein, ich mache mir ein paar Gedanken zu dem Rondell, welches ich bepflanzt habe. Dann kann ich am Montag mit den Gärtnern über dessen Pflege sprechen.“

„Okay. Treffen wir uns dann in der Mensa?“

„Jep, dann sollte ich Hunger haben.“

Max stellte sich neben Carsten auf. Der Junge nahm den Bügel und öffnete die Tür. Sicher führte sie ihn hinunter zum Spind am Hintereingang. Dort angekommen, entnahm Carsten ihm eine gefütterte Regenjacke und seine Winterschuhe. Max setzte sich und sah ihrem Herrchen beim Anziehen zu. Sobald er damit fertig war, stand sie wieder neben ihm. Gemeinsam gingen sie die geräumten Wege entlang. Die Hündin genoss den langen, ruhigen Gang an der Seite ihres Herrchens. Carsten hatte mit seiner Vermutung recht. Ihm schien, dass seine Hündin an einigen Punkten länger verharrte als üblich. Nachdem sie sich langsam wieder dem Internat nährten, holte Carsten seinen Blindenstock hervor. Den Bügel des Geschirrs ließ er los. Dann kam das Kommando, welches Max bedeutet, sich zu lösen. Am Hintereingang stand sie wieder bei Fuß. Gemeinsam gingen sie wieder hinein. Am Spind zog Carsten seine Regenkleidung wieder aus. Max befreite er von dem Geschirr, hängte es an einen Haken. Nach dem Trockenrubbeln holte er aus dem kleinen Schrank eine Bürste hervor.

Andreas sah Carsten Max' Fell bürsten. Anscheinend war er schon länger dabei, denn gerade bürstete er einen ihrer Vorderläufe.

„Na, bekommt Max ihre Massage?“

„Ja, bin gleich fertig. Nur noch dieses Bein.“

„Max geniesst es.“

„Ich fühle wie sie sich entspannt. So, fertig.“

„Alle Anstrengung umsonst.“

„Wieso?“

„Na Max hat sich geschüttelt und nun ist wieder alles wuselig.“

„Dann ist ja alles in Ordnung. Oder hast du geglaubt ich bürste sie damit ihr Fell ordentlich ist? Nein, ihr steht ein Fellwechsel bevor. Ich bürste ihr die losen Haare heraus. Nebeneffekt: Die Durchblutung ihrer Haut wird angeregt. Ich müsste mir Gedanken machen, wenn sie sich nicht schütteln würde. Hier, das habe ich aus der Bürste geholt.“

Carsten hielt in einer Hand ein dickes, creamfarbendes Haarknäuel. Andreas staunte nicht schlecht. Manchmal stellte er sich die Frage, wo die alle herkamen wenn die wöchentliche Reinigung anstand. Schließlich wurde ihr Zimmer zusätzlich täglich gestaubsaugt.

Carsten schloss den Spind und legte das Geschirr wieder an. Gemeinsam gingen sie in den Speisesaal. Am Tresen bestellten sie ihr Abendessen. Als die Bedienung nach Max' Ration fragte, bat Carsten, später mit dem Koch sprechen zu dürfen. Anschließend suchten sie sich einen ruhigen Tisch. Während sich Max schmatzend über ihr Fressen hermachte aßen die Jungen schweigend - ein befriedigendes Schweigen. Diese Ruhe wurde durch Daniel, einen der Köche, unterbrochen.

„Hat es euch geschmeckt?“

„Sicher doch und wie es sich anhörte auch Max.“

„Du wolltest mich sprechen?“

„Genau und Max ist mein Stichwort. Papa meinte sie dürfe ruhig mehr Gemüse und Getreide bekommen. Dabei sollten Vitamine an erster Stelle stehen.“

„Mehr Rohkost sollte für uns kein Problem darstellen. Ich nehme an, die Futtermenge soll

gleich bleiben?“

„Nein Daniel. Wir sollten auf die energetischen Werte achten.“

„Okay, ich werde eine entsprechende Notiz machen. Wann sollen wir beginnen und wie lange?“

„Ich würde sagen, wir fangen morgen mit der Umstellung an und beobachten, wie sich Max entwickelt. Falls ihr es absolut nicht zusagt, reduzieren wir wieder.“

„Ich schlage vor, wir stellen die Ernährung innerhalb von drei Tagen um. Müssen wir sonst noch etwas beachten?“

„Ja, Max soll morgens mehr Kohlenhydrate bekommen! Das war es aber auch schon.“

„Carsten, was ist mit dem Fellwechsel?“

„Das regelt die Natur von selbst.“

„Gut Jungs, ich muss wieder in die Küche. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“

„Was steht morgen auf dem Speiseplan?“

„Schnitzel, Wiener- oder Jägerart, Spieß Maui, als Beilagen Reis, Kartoffeln, Kroketten und diverse Gemüsearten.“

Daniel machte sich auf und sprach auf dem Weg zur Küche noch mit weiteren Schülern. Andreas stellte die Gedecke auf ein Tablett. Carsten nahm den Napf. Gemeinsam gingen sie zur Tablettabgabe und entsorgten das benutzte Geschirr. Ihre Wege trennten sich. Andreas ging hinüber zum Gemeinschaftsraum, um noch die Nachrichtensendung sehen zu können und Carsten hinauf ins Zimmer. Dort befreite er die Hündin vom Führgeschirr und setzte sich an seinen Schreibtisch.

So fand ihn auch Andreas vor. Carsten war an seinem PowerBook mitten in einer Chatunterhaltung. Max schlief eingerollt auf ihrer Decke. Irgendwie fühlte sich Andreas müde und machte kein Hehl daraus, frühzeitig zu Bett zu gehen.

„Du willst schon schlafen?“

„Ich fühl mich fertig. Irgendwie war der Tag doch anstrengender als ich es gedacht habe.“

„Dann mache ich mich auch gleich fertig. Nur noch im Chat verabschieden.“

„Meinetwegen kannst du noch weiter machen.“

„Deinetwegen schon, aber was ist mit mir? Vielleicht gehen mir auch die Kräfte aus?“

„Ich wollte nur signalisieren, dass es mich nicht stört wenn du aufbleiben willst.“

„Schon verstanden, aber ich muss morgen fit sein um die Sache mit der Zeitung anzuleiern. So, nur noch einmal für kleine Jungen und dann ist schlafen angesagt.“

Andreas hörte noch das leise Jingle, welches Carsten signalisierte, dass sein Laptop herunterfährt. Dass Carsten von der Toilette zurückkam, sich die Zähne putzte und sich schlafen legte, registrierte Andreas nicht mehr. Er schlief tief und fest und bekam es auch nicht mit, wie sein Mitbewohner und Max am frühen Morgen vor die Tür gingen. Erst als Carsten leise niesen musste, wurde Andreas geweckt. Er wünschte seinem Freund einen guten Morgen und Gesundheit. Etwas orientierungslos schaute er auf seinen Wecker. Seine nächste Frage galt dem Frühstück. Carstens Antwort, dass es einen Brunch bis um Zwei geben würde, beruhigte ihn Zwecks Nahrungsaufnahme. Dann beschwerte sich Andreas. Wie denn Carsten es nur übers Herz brachte, ihn alleine schlafen zu lassen? Grinsend orientierte sich Carsten zu seinem Freund und setzte sich auf dessen Bettkante. Langsam tastete er sich zu dessen Gesicht, beugte sich zu ihm hinunter bis er dessen Atem ganz nah spürte.

Andreas sah Carstens Gesicht auf sich zu kommen, er schloss seine Augen und gab sich dem Gefühl des ersten Kusses des Tages hin. Carsten küsste ihn zaghaft und doch leidenschaftlich. Der Kuss fühlte sich anders an, intensiver und durch Carstens zurückhaltende Art sehr erotisch. Langsam schlüpfte Carsten unter Andreas Bettdecke, ließ seine Finger über dessen Gesicht wandern. Mit seinen Fingerkuppen spürte er jede kleine Hautveränderung seines Freundes. Mal fühlte sie sich glatt an. An einer anderen Stelle etwas rau und trocken. Dann spürte er vorwitzigen Flaum unter der Nase.

Aber auch Andreas lag nicht untätig herum. Seine Hände lagen auf Carstens Brust und streichelten diese. Seine Berührungen lösten bei ihm einen wohligen Schauer aus.

So hätten die Beiden noch stundenlang weitermachen können. Ihr Spiel wurde jedoch durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.

„Schade, gerade als es gemütlich wurde.“ seufzte Andreas. „Gehst Du?“

„Warum ich?“

„Weil Du in meinem Bett liegst und ganz so offensichtlich sollten wir uns nicht outen!“

„Schon gut, ich mach schon, oller Sklaventreiber.“

Carsten stand auf. Derweil klopfte es erneut.

„Einen Augenblick bitte, ich zieh mir nur etwas über.“

„Ist der neu?“

„Nein, nur frisch gewaschen.“

Danach wandte sich Carsten zur Tür und öffnete. Kaum einen Spalt auf, erkannte er den Störenfried.

„Guten Morgen Carsten, seid ihr schon auf?“

„Wie du siehst, guten Morgen Christiane. Komm rein falls es dich nicht stört, dass Andreas noch im Bett verweilt.“

„Nee, nicht im Geringsten.“

Damit schlüpfte sie an Carsten vorbei ins Zimmer um sofort durch Max gestoppt zu werden. Erst nachdem die Retrieverhündin ihre Streicheleinheiten bekommen hatte, lies sie von Christiane ab.

„Was verschafft uns die Ehre deiner Aufwartung zu dieser frühen Stunde?“

„Hat Euch Jüngling keiner Manieren beigebracht? Wünschet Ihr mir nicht einen gesegneten Guten Morgen? So dem auch sei, auch Dir einen guten Morgen. Was mich herführt? Ich habe eben die Redaktionsmails abgerufen. Nun ratet einmal, welche Neuigkeit ich für euch beiden habe?“

„Keine Ahnung, es ist kurz nach Zehn am Sonntagmorgen, ich bin noch nicht lange von der ersten Gassirunde zurück und wollte mich noch einmal im Bett lümmeln.“

„Wir bekommen noch einen neuen Schüler in unsere Jahrgangstufe.“

„Ist zwar ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit, aber kam schon öfters vor. Oft ist der Grund bei familiären Veränderungen zu finden. Du kennst das doch, Chris.“

„Sorry dass ich frage, aber warum wird deswegen die Redaktion informiert?“

„Das - Andreas - ist eigentlich nicht üblich. Aber die Verwaltung hatte versehentlich unsere Emailadresse im Verteiler gelassen. Normalerweise bekommen wir lediglich eine Liste mit neuen Schülern zu Beginn des Schuljahres. Sie kommt übrigens aus der Münchener Region, zumindest was ihre Adresse angeht.“

„Dann warten wir einfach mal ab, einen Platz haben wir ja noch im Klassenzimmer.“

„Der weise Carsten. Was gibt es bei euch neues? Was macht Arco?“

„Arco ist vor Weihnachten über die Regenbogenbrücke gegangen.“

„Oh! Wie geht es dir?“

„Da ich ihm beim Sterben begleiten durfte, freue ich mich für ihn. Warte mal.“

Carsten wandte sich zu seinem Schreibtisch und holte den Abdruck hervor.

„Was ist das?“

„Arcos Pfote. Quasi sein persönliches Weihnachtsgeschenk.“

„Du spinnst, so große Pfoten hatte er bestimmt nicht.“

„Doch, seine linke Tatze. Und da du mir nicht glaubst, schau dir mal Max Vorderlauf an. Der steht diesem hier nicht viel nach.“

„Na, der Beweis ist erbracht. Etwas anderes Jungs, es gibt da ein Gerücht...“

Andreas sah erschrocken zu Carsten. Dessen Gesicht aschbleich war.

„...Ich habe gehört du hättest ein bravouröses Konzert gegeben.“

Sowohl Andreas wie auch Carsten atmeten tief durch. Chris schaute von einem zum anderen, eine Antwort erwartend.

„Ja, das ist aber kein Gerücht sondern Tatsache. Es wurde im TV live übertragen. Und es war nicht ganz freiwillig. Als wir am Nachmittag bei meinem Professor zu Kaffee waren, erreichte ihn die Nachricht, dass das Konzert wegen Krankheit der Pianisten abgeblasen werden sollte. Er ließ mir keine Wahl und rief Sir McCollins an, dass er Ersatz hätte. Eine Stunde vor Konzertbeginn machten wir eine gemeinsame Probe. Während des ersten Konzertteils konnte ich bei meiner Sippe auf dem Balkon sein. In der Pause spielten Herr Kramer und ich uns warm. Das Klavierkonzert hatte ich ja mit einer Aufnahme dieses Orchesters einstudiert. Diese Info bekam ich allerdings erst beim anschliessenden Dinner mitgeteilt.“

„Hattest du denn kein Lampenfieber?“

„Bis zum Konzert habe ich mir vor Nervosität fast in die Hosen gemacht. Doch als ich auf der Bühne war, die ersten Takte hörte: Wie weggeflogen.“

„Ja, ich habe mir das Konzert auf Video angeschaut. Ich kann nur sagen, Carsten war Herrn Kramer in keiner Weise unterlegen und selbst das Orchester sah nicht besonders aus. Nein, ich würde sogar sagen er war der Mittelpunkt. Und ganz zum Schluss hat mein Schatz unser Lied als Zugabe gespielt...“

Erschrocken drehte Carsten sein Kopf zu Andreas. Der plötzlich begriff, was er da los gelassen hatte im Eifer des Gefechts. Chris zog ihre Brauen hoch und legte ihre Stirn in Falten. Andreas konnte ihre Gedanken fast sehen. Nach einer kleinen Weile räusperte sie sich.

„Was für eins?“

„Ein italienisches Kinderlied. Andreas hat es mir beigebracht. Es ist eine einfache Melodie, die wunderbar in andere Tonarten transponiert werden kann.“

„Spiel es mir bitte mal vor!“

„Sorry, Chris. Ich bin eben erst aufgestanden und habe noch nicht gefrühstückt.“

„Okay. Dann heute Nachmittag. Ich gehe davon aus, dass ihr es vierhändig darbietet.“

„Aber...“

„Kein aber, Jungs. Lasst euch etwas einfallen.“

Damit ging das Mädchen zur Tür. Öffnete diese und verließ das Zimmer der Jungen. Sowohl Carsten als auch Andreas atmeten tief durch. Beiden gingen eine Menge Gedanken durch den Kopf und gleichzeitig stellten sie die entscheidende Frage, ob Chris ‘mein Schatz' nicht wahrgenommen hat oder einfach nicht darauf eingehen wollte. Alles grübeln half nichts, jetzt konnte Andreas nicht mehr ruhig liegen bleiben. Er stand auf und schnappte sich seine Waschutensilien. Dicht gefolgt von Carsten ging er in den Waschraum und machte sich gesellschaftsfähig.

Im Speisesaal war reger Betrieb. Max und die Jungen suchten sich einen kleinen Tisch. Sie hatten einfach Lust, gemütlich und ungestört zu frühstücken. Selbst Max, die ihren Napf normalerweise in rekordverdächtiger Geschwindigkeit leerte, schaltete einen Gang hinunter.

„Max, schmeckt es dir nicht?“

„Wieso?“

„Sie frisst heute so langsam. Ist es eigentlich nicht etwas spät für ihre Ration?“

„Wir haben ja etwas Zeit, daher erlaube ich mir, etwas weiter auszuholen. Hunde - wie du weißt - stammen von den Wölfen ab, es sind also Rudeltiere. In der natürlichen Hierarchie frisst erst der Rudelführer, dann die Meute. Für Max bin ich der Rudelchef! Nicht Papa oder Mama oder sonst eine Person. Faste ich, ist es für Max selbstverständlich, auch die Mahlzeiten ausfallen zu lassen.“

„So läuft der Hase. Was ist wenn du krank bist und nicht essen kannst oder möchtest?“

„Oh, dann bekommt sie dennoch ihr Futter aber nicht von mir. Ich glaube, ihr Instinkt sagt ihr dann, dass ihr Rudelführer nicht in der Lage ist, selber Nahrung aufzunehmen. Wir tauschen unsere Positionen bis ich wieder Gesund bin. Dann gebe ich ihr ihren vollen Napf und unsere kleine Welt ist wieder in Ordnung.“

„Wenn alles immer so einfach wäre.“

„Oh, ist es eigentlich auch, zumindest wie wir uns als Tiere benehmen. Da wir Menschen uns aber angewöhnt haben so zu tun als seien wir die Krönung der Evolution, machen wir es uns auch kompliziert.“

„Und warum verstehst du Max so gut?“

„Weil ein Tiertrainer mir mal den weisen Rat gegeben hat, einen Hund nicht wie einen Menschen zu behandeln, sondern ich soll mich in das Verhalten des Hundes hineindenken. Weil ich das beherzige, gibt es zwischen Max und mir auch keine Probleme. Ich weiß was ich von ihr verlangen kann und wo ihre Grenzen sind.“

„Einfach und genial!“

„Aber du darfst sie auch ruhig knuddeln wenn euch beiden danach ist. Sie ist eine liebe Fellnase mit großem Knuddelbedarf.“

„Ich weiß. Mittlerweile gehe ich auf ihren Bettelblick nicht mehr ein, das hat nämlich kein Ende.“

„Auch schon gemerkt? Ich wollte dich schon darauf aufmerksam machen, doch du bist ja ein intelligentes Bürschchen.“

„Armleuchter, mir wäre fast die Hand abgefallen vor lauter Kraulerei.“

„Ist dir aber nicht. Damit wäre ich beim Kaffeekonzert. Wie wollen wir Chris besänftigen?“

„Glaubst du sie hat das verstanden?“

„Darauf kannst du Gift nehmen. Sie versteht bei einem Fußballspiel im Stadion was drei Reihen hinter ihr gesagt wird, wenn gerade ein Tor gefallen ist. Sie ist nur so anständig und schaltet ihr Gehirn ein bevor sie sich äußert.“

„Du kennst sie besser als ich. Zurück zum Lied. Du sagtest, du transponierst es in andere Tonarten?“

„Ja, in F-Dur klinkt es sehr fröhlich. Wogegen es in d-moll ehr tröstend klingt.“

„Das machst du mit meinem Lied?“

„Natürlich, warum denn nicht? Musik ist doch zum spielen da! Glaubst du denn allen Ernstes die großen Komponisten hätten nicht experimentiert? Bach zum Beispiel hat doch nur die musikalische Harmonie entdeckt, weil er die Idee hatte, die Frequenzweiten der Töne in gleichmäßige Abstände zu teilen.“

„Aber er hat doch immerhin die Barockmusik erfunden.“

„Nun, wenn du es genau nimmst, stimmt es nicht ganz. Il Prete Rosso hat mit seinem Stil Bachs Musik sehr stark beeinflusst. Johann Sebastian Bach hat einige Konzerte Vivaldis transkribiert, besonders die Konzerte aus dem Op. 3 von 1711. Sehr deutlich ist der qualitative Unterschied bei dem letzten Konzert aus dieser Reihe. Bei Vivaldi ist es ein Konzert für vier Violinen und Orchester, beim Bach sind es vier Cembali und Orchester. Nur Bach hat es dahingehend verändert, dass es sich für uns harmonisch anhört.“

„Dann hat also keiner die Barockmusik erfunden?“

„Viele Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts haben daran mitgewirkt. Eingeleitet wurde die Entwicklung durch Claudio Monteverdi (1567-1643) , er gewichtete nach der Renaissance das Instrumentalspiel und den Gesang inhaltlich gleich. Daraus entstanden die instrumentalen Concerto Grosso, Concertinos und parallel die chorischen Orchester und Tuttis. Dann entwickelten sich die Instrumente klanglich und technisch ja auch weiter.“

„Hm, und wie entstanden die Solokonzerte?“

„Ich denke das gehört zur Entwicklung des barocken Stils dazu. Es wurde ja der Gesang hervorgehoben. Da meines Wissens ein Mensch kein Duett singen kann, wäre wohl folgerichtig, es auch mit den Instrumenten auszuprobieren. Der Singstimme am nächsten sind die Streichinstrumente, Violine (Sopran), Viola (Alt), Violoncello (Tenor und Bariton), Contrabass (Bass). Während Vivaldi die Violinen hauptsächlich in Duetten und Terzetten einsetzte, versuchte Bach, die Charaktere der Instrumente hervorzuheben. Sehr eindrucksvoll ist es ihm beim fünften Brandenburgischen Konzert gelungen. Jedes der Instrumente, Violine, Cembalo, Traversflöte hat in diesem Konzert einen Solopart, während die anderen Instrumente sich den Streichern bzw. dem Continuo einfügen. Es gibt Musikwissenschaftler die der Meinung sind, dass gerade dieses Konzert die Geburtsstunde der Klavierkonzerte war.“

„Warum? Noch Kaffee? Deine Tasse ist leer.“

„Bitte sehr. In diesem einen Konzert (BWV 1050) spielt das Cembalo satte fünf Minuten allein. So etwas gab es zuvor nicht, da das Cembalo zu den Continuo-Instrumenten zählte.“

„Aha. Ich glaube ich habe jetzt beim Frühstück mehr gelernt als in einer Stunde Musikunterricht.“

„Ich kann mich nur wiederholen, du bist ein intelligenter Kopf.“

„Danke für das Kompliment, um jetzt auf das Lied zurück zu kommen: Was machen wir da?“

„Was würde dir denn gefallen?“

„Na um auf den Auslöser zu kommen, fände ich eine nachdenkliche Version passend. Aber ich bin im freien Transponieren nicht so gut.“

„Oh, das musst du auch nicht. Wenn du das Lied nachdenklich stimmen willst, spiele es als Blues.“

„Wie wäre folgende Vorgehensweise: Erst Original, dann Blues?“

„Hört sich gut an, dann setzten wir es auch so um. So, nun ist genug gebruncht. Ich will mir noch etwas Bewegung an der frischen Luft verschaffen.“

„Dann begleite ich dich und Max. Etwas anderes habe ich momentan eh nicht vor.“

Carsten und Andreas räumten ihren Frühstückstisch ab und transportierten die Tabletts zur Abgabe. Die Jungen verschwanden auf ihr Zimmer um sich zurecht zu machen, später am Hintereingang zog Carsten noch die gefütterte Jacke aus dem Spind an, um sich danach der kühlen Luft zu stellen. Gemütlich ging die kleine Gruppe ihren gewohnten Weg durch den verschneiten Wald zum See, einmal drum herum und Max hin und wieder hinein, um dann eine gute Stunde später wieder am Internat einzutreffen. Wie gewöhnlich zog Carsten seine Jacke aus und entnahm dem Spind ein Hundetuch. Max zeigte ihre Freude über die ihr gewidmete Aufmerksamkeit dadurch, ihrem Herrchen regelmäßig die Hand zu lecken. Anschließend gingen die beiden gemütlich hinauf zum Zimmer. Andreas war schon vorausgegangen. Bei Max Pflege konnte er sowieso nicht behilflich sein. Normalerweise machte Max das Treppensteigen nicht viel aus. Dennoch ließ sie sich Zeit, die vielen Stufen hinauf zu klettern. Aus Erfahrung wusste Carsten dieses Benehmen auf ihre Erschöpfung zurückzuführen. Sie brauchte einfach ihre Regeneration.

Das Geschirr hatte er ihr erst gar nicht mehr angelegt und im Zimmer angekommen, suchte sie auch geradewegs ihren Schlafplatz auf.

„Max ist fix und fertig.“

„Ich weiß, sie ist die Treppe ruhig angegangen. Seit gestern musste sie auch viele Eindrücke verarbeiten. Das schlaucht. Bei der Abendrunde zur Schule hat sie auch viel geschnuffelt. Aber das ist jedes Mal wenn wir längere Zeit nicht hier gewesen sind. Also alles im grünen Bereich. So, nun aber zu dem Lied, sollen wir ein wenig üben?“

„Gerne.“

Carsten setzte sich an das Piano und schaltete es ein. Andreas setzte sich neben ihm. Doch bevor sie zu spielen begannen, gab er seinem Freund ein liebevolles Küsschen auf die Wange. Dann legte Carsten das Kinderlied als Blues vor und Andreas machte es nach.

Chris wollte gerade an die Tür klopfen, als sie eine Melodie hörte. Sie wirkte melancholisch. Als die Musik verklang, pochte ihr Zeigefinger an die Tür. Andreas bat sie herein und forderte sie auf, es sich gemütlich zu machen. Das kleine Privatkonzert dauerte nicht lange. Wie abgesprochen, erklang die Melodie im Original und anschließend im ruhigen Blues. Lange saß Christiane auf Carstens Schreibtischstuhl, schweigend. Andreas wollte etwas sagen, doch Carsten hielt ihn zurück, nahm demonstrativ dessen Hand und hielt sie fest.

„Was soll ich sagen? Ihr habt echt Stil jemanden etwas anzuvertrauen. Weiß sonst schon wer von eurer Beziehung?“

„Andreas Grosseltern und meine Familie.“

„Na und jetzt du. Eigentlich wollten wir es euch allen heute Abend sagen, ich meine, unseren engsten Freunden.“

„Aber heute Morgen war dein Mundwerk wohl schneller als deine Gedanken. Na ich freue mich jedenfalls für euch beiden. Carsten ist endlich in festen Händen. Das gibt sicherlich eine Flutwelle von Tränen. Die beiden ansehnlichsten Jungs unsere Klasse, die obendrein noch etwas auf den Kasten haben, sind schwul.“

„Was meinst du, wie reagiert unsere Jahrgangsstufe darauf?“

„Oh, da müsst ihr euch nicht zu viele Gedanken machen. Ein oder zwei werden Ärger machen wollen, doch ich denke mal, die Klasse wird ihnen recht schnell beibringen, dass sie dann alleine dastehen werden. Schwieriger wird es im übrigen Internat sein. Ich empfehle euch, es nicht auf die lange Bank zu schieben.“

„Das hatten wir auch nicht vor. Carsten meinte, wir sollten das Thema an sich mal in den JHP-News publizieren. Jetzt wo ich eine Nacht darüber schlafen konnte, finde ich den Gedanken sogar als guten Ansatz.“

„Hm, Themenschwerpunkt hatten wir schon lange nicht mehr, das ließe sich einrichten. Heute Abend sagtet ihr? Gut, ich werde Maria mitbringen. Sonst noch etwas?“

„Ich weiß dass Britta etwas ahnt, aber Ralph hat noch gar keine Ahnung. Könntest du eventuell etwas vortasten?“

„Nein, das macht ihr mal schön selbst. So, für mich wird es langsam Zeit, Mario wird mich in einer viertel Stunde abholen. Stellt mir hier nicht mehr soviel an. Nicht dass ich heute Abend Klagen höre.“

„Wir doch nicht! Ehrenwort.“

„Dann grins nicht so verschämt, Andreas.“

Max hatte für das Mädchen lediglich ein Blinzeln über, als es das Zimmer verließ. Die Jungen reflektierten noch einmal die letzte Stunde und waren an sich mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Der Stein war ins Rollen gebracht und es gab nichts mehr, um ihn aufzuhalten. Andreas schlug vor, zum Kaffee hinunter zu gehen. Carsten ging zu seiner Hündin hinüber und tätschelte sanft ihren Kopf. Kurz darauf füllte er ihren Napf, um anschießend mit Andreas hinunter zum Speisesaal zu gehen. Andreas besorgte den Kaffee und staubte bei Inge noch zwei Stück von Daniels Marmorkuchen ab.

„Also, ich kann verstehen, dass dein Bruder keine Lust mehr auf den Schnee und die Kälte hat. Diese Eintönigkeit ist echt langweilig.“

„Das aus deinem Mund? Die paar Tage Schnee machen dich schon mürbe? Du selber solltest doch wissen, dass für die Natur eine Frostperiode von sechs bis acht Wochen von Nöten ist. Allein um die Schädlinge im Zaum zu halten.“

„Gibt es etwas, worüber du nicht bescheid weißt?“

„Kunststück, wir hatten mal so ein milden Winter vor einiger Zeit, dass Mutti schon Angst um ihren Garten hatte. Im Frühjahr zeichnete sich schon ab, dass Pflanzenschädlinge eine Plage werden würden. Gerade ihre geliebten Rosen waren den Angriffen von Blattläusen und Mehltau ausgesetzt. Sie war fast soweit, Gift einzusetzen.“

„Aber euer Garten war doch in einem tadellosen Zustand als ich das erste Mal bei dir war. Hat sie denn dieses Schädlingszeug eingesetzt?“

„Gift ist bei uns im Garten tabu, allein schon der Hunde wegen. Ein Nachbar hat uns den Tipp mit einem Brennnesselsud gegeben.“

„Oh, nein! Das stinkt doch.“

„Na die Hunde haben es gemocht und es wirkt Wunder, laut Mutti.“

„Da muss ich zustimmen. Der Geruch ist nichts für feine Nasen, aber die Wirkung bombastisch. In Papas Gärtnerei wurde auch der Sud eingesetzt, aber nur dort wo sich keiner durch den Geruch gestört fühlte. Biologische Schädlingsreduzierung nannte er das immer. Haben euch die Nachbarn gemieden?“

„Wir wohnen ja nicht im Zentrum der Kleinstadt und weiter hinterm Haus wurde ja auch Jauche ausgefahren. Von daher sind wir einiges gewohnt. Aber um wieder auf den Auslöser zurück zu kommen: Warum geht dir das Wetter auf den Keks?“

„Keine Abwechslung.“

„Dann mach doch welche. Ich denke die erste Woche geht mit organisatorischem Gesims drauf, aber in der zweiten Woche könntest du eine Party machen.“

„Hallo zusammen! Party? Habe ich da Party gehört?“

„Hallo Ralph, ja hast du. Andreas ist schon jetzt langweilig, da habe ich eben den Vorschlag gemacht.“

„Wie wäre es mit einem Motto?“

„Und was schwebt dir da so vor, ein Maskenball?“

„Ja, warum denn nicht? Jeder verkleidet sich und zu Mitternacht wird das beste Kostüm prämiert. Haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Was meint ihr? Ich denke unser Theaterfundus hat ausreichend...“

„Hallo Carsten, das war ja ein tolles Konzert was du gegeben hast.“

Ein fremdes Mädchen mit blondgefärbtem Haar strebte auf den Tisch der kleinen Gruppe zu und fiel Ralph ins Wort, was keinem der kleinen Gruppe gefiel. Aber sie schien von den anderen Anwesenden keine Notiz zu nehmen. Selbst Carsten konnte sich keinen Reim darauf machen. Auf Nachfrage wer sie denn sei, stellte sich das Mädchen als die neue Schülerin der Stufe vor. Sie war wohl in dem Konzert gewesen, welches Carsten gegeben hatte. Jedenfalls war dies ihr einziges Thema.

„... und was mich echt anekelt: War da doch tatsächlich ein Hund im Theater. Hunde sind ja so etwas von unhygienisch.“

„Ja?“

„Ja, sicher doch. Die stinken und wälzen sich im Dreck.“

„Nun, da sie keine Hände haben, können sie sich schlecht am Rücken kratzen. Ergo schubbern sie sich.“

„Sollen sie doch, aber dann sollten sie auch draußen bleiben.“

„Ich denke das ist Ansichtssache, vielleicht war der Hund ja nicht ohne Grund im Theater. Ich denke es wäre aber müßig sich damit auseinander zu setzen.“

„Ja, du hast recht. Dann verrate mir doch einmal, wer für die Zugaben verantwortlich gewesen ist. Wie kann man nur ein Kinderlied in der Semperoper spielen...“

Andreas zog seine Augenbrauen hoch. Wie Carsten ihm erzählte, war es seine eigene Idee. Und es passte doch sehr gut zu einem Konzertabschluss. Selbst das Orchester hat mitgespielt, also fand es doch Akzeptanz. Was hatte sie denn daran auszusetzen? Andreas hörte gar nicht weiter zu. Ein bestätigender Blick zu Ralph und auch er hatte sein Hörzentrum auf Durchzug geschaltet. Einzig Carsten schien ihr noch zuzuhören. Seine Finger trommelten rhythmisch neben seinen Teller auf dem Tisch. Ein untrügerisches Zeichen, soweit kannte er seinen Freund schon, dass seine Geduld langsam erschöpft war. Doch das Mädchen quasselte in einem Fort.

„Ja und dann habe ich schon mit Herrn Walz gesprochen, wir geben ein Konzert. Du musst wissen, dass ich sehr gut Violine spiele.“

„Davon ist mir aber nichts bekannt. Des Weiteren habe ich bis zum Sommer alle Hände voll zu tun. Ich gehe davon aus, Herr Walz meint jemand Anderen.“

„Nein, er sagte er hätte einen sehr guten Klavierspieler mit dem ich zusammenspielen könne.“

„Nun, ich bin nicht der einzige hier der...“

„Du bist hier der Beste, also meint er dich. Ich spiele nur mit der allerbesten Klavierbegleitung.“

„Dann werde ich der Dinge harren die da kommen werden. Doch mach dir da keine allzu große Hoffnung. Und da ich es als sehr unhöflich empfinde, jemanden ins Wort zu fallen, gehe ich nun davon aus, dass dieses Gespräch hiermit beendet ist.“

Demonstrativ wandte sich der Junge ab und aß von seinem Marmorkuchen. Ralph beobachte das Mädchen. Es sah so aus als wolle sie noch etwas sagen, doch dem war nicht so. Sie drehte sich beleidigt um und ging. Was er selbst an Carsten bewunderte, war dessen selbstsichere Art und Weise, durch Gestik ein Thema für beendet zu deklarieren. Daher war es selbstverständlich, dass Carsten wieder auf die Party zu sprechen kam.

Im weiteren Verlauf der kleinen Kaffeetafel wurde über die Ferien reflektiert. Nach gut einer Stunde trennte sich das Trio. Ralph um sich wieder einzurichten und dann später seine Freundin aufzusuchen. Carsten wollte sich zu Max begeben, um sie nicht allzu lange allein zu lassen. Des Weiteren wollte er sich seinem Blindenforum widmen. Andreas wusste nicht recht was er anstellen sollte. Ihm war, als wäre ihm in der letzten Stunde etwas Wichtiges entgangen. Darum entschied er sich für einen Spaziergang übers Gelände.

Die frische Luft, so sehr ihn der Schnee auch störte, empfand er als angenehm. Selbst die Stille um ihn herum befriedigte ihn tief im Innersten. Ihm war, als ob sie die Quelle seiner inneren Ruhe wurde. Tief atmend schlenderte er durch den Schulgarten hinunter zum See. Vor dem kleinen Ruderhaus stand eine überdachte Bank. Er setzte sich hin und ließ die Umgebung auf ihn wirken. Der Himmel über ihm färbte sich ins tiefe Dunkelblau. Die orangefarbene Uferbeleuchtung reflektierte in der weißen Pracht. Das Spiel der Farben sah so unwirklich aus. Langsam sortierte er seine Gedanken. Er schmunzelte über Carstens Abfuhr. Der Junge konnte ihn immer wieder ins Staunen versetzen. Er fragte sich, ob das Mädchen bemerkt hatte dass Carsten nicht sehen konnte. So im Nachhinein konnte er diese Frage mit nein beantworten. Es war aber auch wirklich schwer, denn Carstens Augen hatten für ihn immer so ein faszinierendes Leuchten. Und nur wer ganz genau hinsah, konnte erkennen, dass sie starr waren. Sein Blick schweifte über den vor ihm liegenden See. Das gegenüberliegende Ufer verschwand im Nirgendwo. Er dachte an die letzen Monate. So viel hatte sich verändert in seinem Leben. Er hatte nicht nur neue Freunde gefunden, sondern auch seinen Freund. Er fühlte sich glücklich und zufrieden. Welcher Unterschied war es doch zu München. Wo dort nach seinem missglückten Liebesgeständnis ihm nur noch Steine in den Weg gelegt wurden, schien es hier kaum Probleme zu geben. Gut, es würde, so realistisch war er schon, nicht ganz ohne Sticheleien und dergleichen gehen. Aber er wusste, dass er nicht allein da stand. Und das ist ein sehr gutes Gefühl, fast so wie bei seinen Grosseltern daheim.

Auf einmal fuhr Andreas hoch, seine Grosseltern, die hatte er jetzt völlig vergessen. Sie warten sicher auf ein Lebenszeichen von ihm. Er stand auf und ging zügig zum Hintereingang zurück. Er schlüpfte schnell durch den Hintereingang, stellte seine nassen Schuhe auf eine Matte neben Carstens Spind ab und zog sich seine Hausschuhe an. Ruhigen Schrittes erklomm er die Treppe in den dritten Stock. Der Korridor seines Zimmers war menschenleer. Ein Blick auf die Uhr bestätigte seine Vermutung: Fernsehzeit. Gerade als er die Klinke herunterdrücken wollte, hörte er hinter sich eine bekannte weibliche Stimme.

„Also doch, die Schulschwuchtel aus München. Hast mich wohl nicht erkannt, wie?“

„Woher sollte ich dich kennen?“

„Du hast meinem Freund eine Liebeserklärung gemacht, schon vergessen? Hier bist du also untergetaucht. Interessant.“

„Und was willst du jetzt tun?“

„Hm, ich kann mir vorstellen, dass hier Perverslinge wie du einer bist nicht gern gesehen werden. Es könnte passieren, dass ich Carsten - so ganz zufällig - von deiner Vergangenheit erzählen könnte. Ich denke, dann stehst du ganz schnell alleine da.“

„Erzähl Carsten bloß nichts, sonst ...“

„Sonst was? Du bist nicht in der Lage hier Forderungen zu stellen. Aber ich könnte dicht halten, gegen einen kleinen Obolus.“

„Geld?“

„Das habe ich selber, nein. Soweit ich mich erinnere, konntest du ganz gut Englisch. Du machst meine Hausaufgaben und ich bin still. Wenn meine Zensuren okay sind, passiert dir nichts. Wenn nicht... muss ich es extra erwähnen?“

„Nein. Schon verstanden.“

„Dann gute Nacht, Schwuchtel.“

Andreas antwortete nicht. Sah dem Mädchen auch nicht nach wie es sich entfernte. Beherzt drückte er die Klinke hinunter und öffnete die Tür. Carsten lag auf seinem Bett und schlief. Ein Anblick, den Andreas mochte und ihn das gerade Geschehene vergessen ließ. Max trottete an und deutete ihm, mal raus zu müssen. Kurz entschlossen nahm er die Leine und ging mit der Hündin Gassi. Zwanzig Minuten später stand er wieder im Zimmer. Carsten lag noch immer auf dem Bett, räusperte sich jedoch als er Andreas bemerkte.

„Warst du mit Max vor der Tür?“

„Ja, sie kam vorhin an und ich wollte dich nicht wecken.“

„Danke, sonst hätte ich gleich noch einmal gehen müssen. Ich weiß auch nicht, aber ich fühl mich nicht so besonders.“

„Vielleicht reicht es ja, wenn du dich ausruhst. Wenn ich mir dich so ansehe, siehst du auch nicht besonders fit aus.“

„Daran habe ich auch schon gedacht, doch die anderen kommen gleich. Da kann ich doch nicht einfach im Bett liegen.“

„Wenn dich die anderen sehen, werden sie es schon verstehen. So und nun keine Widerrede. Tu' einfach was man dir sagt.“

Carsten fügte sich. Sein Freund hatte ja recht. Bald darauf kam schon der Rest der Clique und Maria. Wie üblich wurde erst einmal ausführlich über die Ferien geplaudert und wer was geschenkt bekommen hat. Dann wechselte Chris geschickt das Thema auf die Schülerzeitung. Es wäre ja mal wieder Zeit, sich einem Schwerpunktthema zu widmen.

„Was meint ihr dazu?“

„Keine schlechte Idee, Chris. Was haltet ihr von Klima und Klimawandel?“

„Ich halte das Thema momentan für etwas abgedroschen. Es müsste eines sein, welches uns alle hier im Internat mehr oder weniger betrifft. Zum Beispiel Freizeitgestaltung. Welche Möglichkeiten es da gibt und so weiter.“

„Sorry Britta, das hatten wir schon vor einem dreiviertel Jahr. Und wenn ich daran denke, dass aufgrund der Zeitung die Außenanlagen aufpoliert wurden, fände ich es auch nicht passend.“

„Also so einfach würde ich es nicht abtun, Carsten. Vielleicht sollten wir das Thema Freizeit einmal aus einem anderen Blickwinkel sehen.“

„Wie meinst du das, Maria?“

„Na, ich meine... wie gehen wir im Internat damit um, wenn sich Paare bilden. Bei uns in der Klasse haben sich zwei gefunden und ich fand es nicht sehr schön wie die Anderen damit umgegangen sind. Neid, Eifersucht et cetera. Wenn wir ehrlich sind, sind wir doch alle hormongesteuerte, pubertierende Jugendliche. Es kann ergo jeden treffen.“

„Da muss ich dir recht geben. Wir können ja die Zeitung unter das Thema Liebe im Internat stellen. So mit allen Facetten: flirten, verlieben, Eifersucht, Trennung, Sex. Wie gehen wir als Jugendliche damit um und wie die Lehrer. Was ist hier erlaubt und was nicht. Wie reagiert das Internat auf ein schwules respektiv lesbisches Paar? Ich habe mal im Archiv gestöbert und mir ist dergleichen nicht untergekommen.“

„Weil es auch ein sehr schwieriges Thema ist. Es kann teilweise sehr persönlich werden und wir bewegen uns auf einem sehr schmalen Grat.“

„Da stimme ich dir zu Ralph, doch ich denke, wir haben auch ein super Team mit dem wir es bewerkstelligen können. Sieh es einmal von dem Standpunkt einer journalistischen Herausforderung.“

„Genau, außerdem würden wir wissen woran Carsten und ich sind, wenn es bekannt wird, dass wir ein Paar sind.“

Andreas Worte sorgten für schlagartige Stille. Chris und Britta grinsten sich wissend an. Maria schien ebenfalls nicht sonderlich überrascht. Tja, und Ralph schaute von einem zum anderen, unfähig etwas zu sagen. Verwirrt stand er auf und verließ das Zimmer. Eine Reaktion mit der keiner der Anwesenden gerechnet hatte.

„Wer war das?“

„Ralph, Carsten. Ihm scheint es etwas zuviel auf einmal.“

„Wieso?“

„Du willst es auch immer genau wissen, Andreas. Sagen wir es einmal so, Ralph ist extrem konservativ aufgewachsen. Das Thema Liebe und Sex wurde, wie wohl in vielen Familien, tabuisiert. Nur als er wegen eines Unterrichtsausfalls früher nach Hause kam und seine Mutter in flagranti mit ihrer besten Freundin erwischte, war es vorbei. Ralph war völlig durch den Wind, wie er mir sagte. Ihr kennt Ralph, der frisst erst einmal alles in sich hinein. Gegenüber seinen Eltern hat er dicht gehalten, doch lag von nun an etwas zwischen ihnen. Der Wechsel auf dieses Internat tat ihm ausgesprochen gut. Zum Einen weit weg von seinen Eltern, zum Anderen fand er hier Freunde. Er verarbeitete das Erlebte langsam und vertraute sich dann Frau Möller-Klein an. Danach ging es ihm besser. Als er dann nach einem halben Jahr das erste Mal wieder nach Hause fuhr, muss er wohl mit seinen Eltern Tacheles geredet haben. So von wegen Doppelmoral und so weiter. Das war sein einziger Vorwurf.“

„Ja, aber was hat es mit uns zu tun?“

„Nun, kannst du dir nicht vorstellen, dass eure Beziehung für ihn diese Erinnerungen weckt?“

„Aber wir haben ihn in keinster Weise angelogen, Britta.“

„Nein, aber wir haben ihn auch nicht unbedingt eingeweiht. Ich hatte doch so meine Ahnungen und Chris ist auch nicht verklemmt was gleichgeschlechtliche Liebe angeht. Wir waren also auf eine gewisse Art vorgewarnt. Aber Ralph? Denn haben wir ins kalte Wasser geschubst. Carsten, du kennst ihn von uns am besten.“

„Ich denke er wird seine Zeit brauchen und vor allem geduldige Freunde. Es ist nicht untypisch für ihn, erst einmal Abstand zu gewinnen. Dann kann er in aller Ruhe über die Sache nachdenken. Nur zu dem Ergebnis kann ich nichts sagen. Es ist aber ein positives Zeichen, dass er das Zimmer ruhig verlassen hat.“

„Gut, es hilft alles nichts. Ich nehme an, das Thema für die Zeitung steht. Dann lasst uns einmal den Stein ins rollen bringen.“

„Maria, die Praktische. Mein Kompliment.“

„Danke, aber ich bin einfach müde und möchte gerne noch einige Stunden schlafen.“

„Hast recht, es ist spät geworden. Kann ich mich darauf verlassen, dass unser Gespräch dieses Zimmer nicht verlassen wird?“

Alle noch anwesenden stimmten dem zu und so langsam brachen sie auf. Andreas räumte noch etwas auf und lüftete einmal kräftig durch. Nachdem er fertig fürs Bett war, ging er zu Carsten hinüber und setzte sich auf dessen Bettkante. Seine Hand ließ er über dessen Brust streicheln.

„Hast du noch etwas auf dem Herzen, Spatz?“

„Ja, aber das hat nichts mit der Zeitung zu tun. Ich habe dich heute Nachmittag beobachtet, was hast du so rhythmisch getrommelt? Es sah so aus als ob du Klavier spielen würdest.“

„Hab ich auch, es ist eine Passage für die rechte Hand aus einer Chopin Etüde. Ein einfaches Griffmuster. Mehr nicht. Kommst du noch etwas kuscheln?“

„Wenn du wünscht, mach mal Platz.“

Andreas schlüpfte unter die Bettdecke und drückte sich dicht an seinen Freund. Mit einer Hand strich er über Carstens Wange und dieser schnurrte unter der Berührung. Langsam beugte sich Andreas hinunter und revanchierte sich für den Guten-Morgen-Kuss.

Ende Teil V

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