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Konfrontation
Teil 2
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Informationen
- Story: Konfrontation
- Autor: Tommy
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Diese Geschichte ist frei erfunden. Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie realen Handlungen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Wer Geschichten mit erotischem bzw. homosexuellem Inhalt nicht mag oder für wen das Lesen solcher Geschichten gesetzlich verboten ist, muss jetzt diese Seite verlassen.
Diese Geschichte ist exklusiv geschrieben für Du bist nicht allein (www.dbna.de ) und Nickstories . Eine Verwendung außerhalb dieser Angebote ist ohne ausdrückliche Genehmigung meinerseits nicht erlaubt.
Kapitel 4
Ich öffnete - so muss ich zugeben - nur widerwillig die Tür. Ich hatte mich erkältet und zusammen mit der mir eigenen Wehleidigkeit bei allem, was mit Schnupfen zu tun hat, wurde daraus mein die Woche bestimmendes Drama. Und in solchen Situationen war es einfach nicht angebracht, mich anzurufen oder es gar zu wagen, mich zu besuchen. Doch die Überraschung war ihr gelungen.
»Hallo Bastian«, sagte Kerstin und lächelte mich unsicher an. Ich hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass sie sich noch mal bei mir blicken lässt, nach all dem, was in den letzten Wochen und Monaten zwischen uns gelaufen war. Wir hatten uns nicht im Streit getrennt, nicht zuletzt, weil unsere Beziehung mehr eine intim angehauchte Freundschaft denn eine Liebesbeziehung war und wir nicht aneinander hangen. Wir beide wussten das. Dachte ich.
Auf der anderen Seite war sie gekränkt gewesen, weil es für sie keinen greifbaren Grund für die Trennung gab. Dass es etwas mit Kai zu tun haben musste, konnte sie sich wohl denken, aber da ihr die eine oder andere Information für eine logische Verknüpfung fehlte, war sie nicht zufrieden. Ich konnte Menschen nicht leiden, die Dinge auch dann nicht einfach mal hinnehmen konnten, wenn man sie eindringlich darum bat. Kerstin war so ein Mensch.
»Darf ich ‘reinkommen?« Sie hatte sich etwas zu sehr herausgeputzt, in einem über die natürliche Schönheit unterstreichend hinausgehendem Maße. Ich mochte das weder bei Frauen noch bei Männern. »Klar«, sagte ich, bevor das Jucken in meiner Nase mich zu einem kräftigen Niesen nötigte. Im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich erst gesprochen und dann gedacht hatte. Mein Zimmer glich einem Feldlazarett, weil ich meiner Wehleidigkeit durch den Bau äußert bequemer Leidensstätten Ausdruck verlieh. ‘Chaos' hätte geschmeichelt und Kerstin wollte ich dort eigentlich nicht haben. Und wenn ich recht überlegte, wollte ich Kerstin nirgendwo haben, wo ich war. Nicht nur im Augenblick.
Erschwerend hinzu kam, dass ich selbst mich nicht in einem sehr ansehnlichen Zustand befand. Meine Bekleidung war weder an Exklusivität noch an einer sexy Ausstrahlung orientiert, vielmehr an Bequemlichkeit und Wärmedämmung. Kurz: Ich sah erbärmlich aus. Kerstin schien es nicht zu stören.
Wir gingen schweigend in mein Zimmer hoch, wo ich ihr auf meinem provisorisch geräumten Bett einen Platz anbot. Ich setzte mich ihr gegenüber auf meinen Schreibtischstuhl. Die Situation wurde schnell peinlich, denn irgendwie gab es zwischen uns wohl nicht mehr, was man hätte besprechen können.
»Na«, begann Kerstin, nachdem über einen mir unendlich vorkommenden Zeitraum nur Schweigen zwischen uns geherrscht hatte, »wie geht es Dir denn?«
Wollte sie nun Zeit füllen, mir ein Gespräch aufdrängen oder war sie ernsthaft daran interessiert, wie es mir geht? Nach unserer Trennung war ihr das eigentlich recht egal gewesen; hier und da vielleicht ein, zwei Sätze, dass sie sich Sorgen um mich machte. Aber Worte von Kerstin waren halt Schall und Rauch, und ihr Verhalten zeigte mir eindeutig, dass nicht viel dahinter steckte. Was mir irgendwo ganz recht gewesen war.
»Naja, es geht so«, antwortete ich schüchtern. Ich wollte ihr gar nicht sagen, wie es mir ging. Um die Situation etwas zu entschärfen und uns Zeit zu geben, noch mal über Gesprächsthemen zu sinnieren, benutze ich meine Höflichkeit als Gastgeber für eine Flucht: »Kann ich Dir irgendetwas anbieten?«
»Ein Alsterwasser wäre ganz nett, ja«, sagte sie und nickte leicht mit dem Kopf. Auch sie schien für eine Auflockerung unserer Stille dankbar zu sein. »Ein Alsterwasser«, bestätigte ich, »kommt sofort.« Mit diesen Worten verschwand ich.
Es wäre albern zu sagen, dass Kerstin der Grund für mich war, schwul zu werden. Auch wenn ich mich damit vielleicht im Gegensatz zu den landläufigen Meinungen befand, so gab es in meinen Augen keine Gründe. Man braucht auch keinen Grund. Man ist es halt, schwul, nicht schwul, Mann, Frau, Hund. Wer stellt da Fragen nach dem Warum?
Kerstin war vielmehr mein letzter großer Fehler, mein letzter, zum Scheitern verurteilter Versuch, Heterosexualität zu spielen und so meine wahren Gefühle nicht preisgeben zu müssen. Im Nachhinein bereute ich, Kerstin jemals kennengelernt zu haben.
In der Küche fiel mir auf, dass ich die Utensilien für ein Alsterwasser nicht zu Hand hatte und ging in den Keller, in der Hoffnung, dort das Nötige zu finden - mit Erfolg. Wieder zurück, richtete ich alles soweit an, machte mir einen heißen Erkältungstee dazu und ging mit diesen Sachen auf einem Tablett zurück in mein Zimmer. Als ich reinkam, stand Kerstin an meinem Schreibtisch.
Sie hatte mich wohl nicht kommen hören, auf jeden Fall erschrak sie etwas, als ich das Tablett unter einer gewissen, halt nicht mehr zu überhörenden Geräuschentfaltung auf meinen Nachtisch stellte. »Hab' ich mich jetzt erschrocken«, sagte sie und versuche mit einem Lächeln zu überspielen, dass ihr die Situation unangenehm war. Ich lächelte mild zurück - und musste gleich wieder niesen. Erkältungen sind etwas fürwahr unangenehmes.
»Sag' mal«, fragte sie, schon den ersten Schluck getrunken, »warum hast Du eigentlich keine Lust mehr auf mich?« Oh, Mann. »Ich meine, du schreibst mir einfach ein paar Zeilen, dass es aus ist, dass es dir leid tut und ähnliches mehr, aber die Frage nach dem Warum hast du mir bis heute nicht beantwortet. Gefalle ich dir nicht mehr ?«
Ich hatte es geahnt, sie wollte wieder auf dieses Thema zu sprechen kommen. Dabei hatten wir diese Phase doch eigentlich schon lange hinter uns gebracht, sie hatte mich deswegen schon lange nicht mehr angesprochen. »Kerstin«, seufzte ich, »wie oft wollen wir denn das noch durchkauen?« Ich nahm mir ein neues Taschentuch und putzte mir die Nase.
»Du glaubst wohl auch, nur weil ich dich eine Zeitlang nicht anrufe, lasse ich das auf sich beruhen, was?!«, fauchte sie mich plötzlich in einem sehr scharfen Ton an, auf den ich nicht vorbereitet war. »Es gibt Dinge«, versuchte ich nach eine Pause etwas Ruhe in unser Gespräch zu bekommen, »die ich dir nicht erzählen möchte, auch wenn sie mit dir, mir oder unserer Beziehung unmittelbar zusammenhängen.«
Kerstin hatte ihr Glas auf meinem Schreibtisch abgestellt und stand in aggressiver Stellung vor mir, die Hände zu Fäusten geballt und seitlich in die Hüften gestützt. Obwohl sie etwas kleiner war als ich, hatte sie etwas Bedrohliches an sich. »Und was soll das sein?« fragte sie in unverändert scharfem Tonfall.
»Ich will mit dir nicht darüber sprechen.« Ihre Augen funkelten mich wütend an. »Ich weiß aber auch gar nicht, warum du dich hier so aufregst. Unsere ganze Beziehung war doch mehr eine ... intensive Freundschaft. Und das wusstest Du auch ganz genau.«
»Und das gibt Dir das Recht, einfach zu sagen ‘Tschüß, Kerstin, danke, war nett mit Dir' und sich auf und davon zu machen?« Wahrscheinlich hatte ich ihre Eitelkeit doch zu sehr verletzt. Während wir zusammen gewesen waren, hatte sie nie ein derartig ernsthaftes Interesse an mir gezeigt. »Ja, eigentlich schon. Aber was spielen denn Gründe für eine Rolle? Es ist aus. Punkt. Wir beide haben doch nie was Ernstes miteinander gehabt.«
»Weil du nicht wolltest«, warf Kerstin mir mit einer pathetischen Handbewegung vor. »Ich hätte schon ganz gerne mit dir geschlafen. Du bist nämlich ganz knackig.« Ich hätte nie gedacht, dass ihr doch so viel daran liegt. »Aber wahrscheinlich kannst du's gar nicht. Ist bei dir in der Hose nicht so viel los, was? Kriegst wohl keinen hoch.«
Mir wurde das zu bunt - und ich mochte es nicht, wenn man vulgär wurde. Wir sprachen nicht zum ersten Mal darüber, und ich hatte es nicht nötig, mich von ihr hier, in meinem eigenen Zimmer, derart zusammenfalten zu lassen. »Ich bin dir keinerlei Rechenschaft schuldig«, fasste ich mich kurz und schnäuzte erneut.
Kerstin fuchtelte drohend mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum. »Du Wichser, du glaubst wohl auch, so ‘ne Show mit mir abziehen zu können. Aber da hast du dich getäuscht. Weißt du was ? Ich ...«
»Kerstin, es langt jetzt«, unterbrach ich sie in einem mich selbst überraschenden ruhigen Ton. »Du hast mich benutzt, auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, für was eigentlich. Wie auch immer, ich bereue es nicht, nicht mit dir geschlafen zu haben und ich will es bis zum heutigen Tage nicht.« Ich musste aufpassen, mich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. »Und jetzt geh' bitte.« Die Aufforderung war eindeutig und ließ keinen Widerspruch zu.
Sie griff sich ihre Jacke, die sie auf dem Bett abgelegt hatte, zog sie sich hektisch über und ging zur Tür meines Zimmers. Ich wollte ihr folgen und sie zur Tür begleiten, doch sie drehte sich um und meinte: »Danke, ich finde alleine hinaus. Aber eines sage ich dir: Dich mache ich fertig !«
Als Kerstin das Haus verließ, hörte ich noch, wie sie unsere Haustür ins Schloss riss.
Kapitel 5
»Und was genau wollte sie nun eigentlich von dir?« Ich, mittlerweile weitestgehend genesen, hatte Sdrean von Kerstins gestrigen Besuch erzählt und er stellte spontan dieselbe Frage, die ich mir selbst auch schon gestellt hatte - ohne Erfolg. »Ich weiß es nicht«, sagte ich und zuckte mit den Schultern, »vielleicht wollte sie mir tatsächlich nur noch etwas Zeit gegeben haben und nun einen neuen Anlauf starten, um mich wieder an sich zu binden.«
»Ich denke, du bedeutest ihr nichts«, warf Sdrean ein. »Irgendwie hast du das doch mal erzählt.« - »Ist ja auch richtig«, sagte ich und biss ein Stück von dem Brötchen ab, das meine Pausenzehrung darstellte. »Ich glaube immer noch nicht, dass da in irgendeiner Form die Rache für eine verschmähte Liebe dahintersteckt. Sie interessiert nur, wie sie bei allem wegkommt. Vielmehr ist es ... ja ... ich weiß auch nicht. Ich denke, verletztes Ego trifft es noch am besten.«
»Würde zu ihr passen.« Mein Gegenüber nickte, nahm einen Schluck seines Tees und verzog das Gesicht: »Uh, junge, was süß. « Ich musste grinsen. Sdrean hatte sich viel zu viel Zucker in den Tee geschüttet, kein Wunder also, dass dieser eklig süß schmecken musste. »Ich glaube, ich werde mir einen neuen besorgen. Bin gleich wieder da«, sagte Sdrean. »Ja, is' recht«, antwortete ich und musste lachen, weil Sdrean noch auf dem Weg zur Ausgabe mit dem Inhalt seiner Tasse haderte.
Das Lachen sollte mir im nächsten Moment vergehen. »Na, da ist ja unsere Schwuchtel.«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich verstanden hatte, was ich gerade gehört hatte. Als der Groschen fiel, schwang ich mich mit aufgerissenen Augen herum und schaute in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, die nun die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
Kerstin stand mit verschränkten Armen in der Mensatür. Mit einem hinterhältigen Grinsen auf den Lippen hatte sie so laut gesprochen, dass ein Überhören nicht möglich gewesen war. »Tja, Jungs, ihr werdet in Zukunft wohl die Arschbacken zusammenhalten müssen oder den Hintern immer Richtung Wand halten.«
Ich fühlte, wie mir abwechselnd heiß und kalt wurde. Kerstins Weg führte sie durch unsere gesamte Mensa. Und sie kam direkt auf mich zu. »Wisst ihr, es soll ja einige abartige Jungens geben, die lutschen lieber an Schwänzen.« Es war keine leere Versprechung gewesen, sie wollte mich fertigmachen. Und sie tat das, indem sie mich auf hinterhältigste Art und Weise vor aller Welt outeten würde.
»Und diese Leute sind dann so unklug und sprechen in der Öffentlichkeit so laut darüber, dass andere es mitkriegen müssen.« Ich schluckte. Sdrean und ich hatten doch einen unerwünschten Zuhörer gehabt. Der Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, rang um Luft.
»Und dann braucht man nur zu diesen Leuten nach Hause zu gehen und sich eine x-beliebige Diskette vom Schreibtisch zu nehmen und man findet lauter kleine, widerliche Bildchen.« Sie hielt eine blaue ZIP-Diskette in der Hand. Eine Diskette, die ich kannte. Die eigentlich auf meinem Schreibtisch zu liegen hatte.
»Und wir haben so einen Arschficker unter uns, ...«
Mir stiegen die Tränen in die Augen, die Kehle schnürte sich mir zu. Ich hatte solche Angst vor dem Coming Out, solche schreckliche Angst ...
Sie stand nun direkt vor mir und baute sich für ihr Finale vor mir auf. »... nicht wahr, Bastian?«
Totenstille.
Für einen unendlich langen Zeitraum kein einziges Geräusch, nur mein Atmen und tausende und abertausende Blicke, die sich in mich hineinbohrten und mich innerlich zerrissen. Der Tag, von dem ich gehofft hatte, dass er so nie kommen würde, war da. Ich war geoutet - gewaltsam geoutet worden.
»Raus.«
Die vielen Augen, die sich auf Kerstin und mich gerichtet hatten, wandten sich um, auf einen Jungen zwei Tische weiter. Er stand und starrte uns mit einem bösen Blick an.
»Mach, dass Du hier ‘rauskommst.« Seine Stimme klang heiser vor Wut.
Kerstin wandte sich wieder mit einem gemeinen Grinsen mir zu: »Bye, bye, little boy ...« Was hätte ich dafür gegeben, wenn ich in diesem Moment hätte tot umfallen dürfen. Alles, nur nicht diese Demütigung.
»Kerstin!« Oles Stimme war nicht mehr heiser, sondern schrie durch die Mensa. Die Angesprochene erschrak, ihr Grinsen verschwand von einer Sekunde auf die andere. »Verschwinde!«
Kerstin war sichtlich vor den Kopf gestoßen. »Was?« Ole schien die Geduld zu verlieren, machte Anstalten, von seinem Platz sich zum Gang durchzukämpfen, auf Kerstin loszugehen. Ein Tischnachbar hielt ihn zurück. »Glaubst du, ich werde es zulassen, dass du deine enttäuschten Eitelkeiten auf diese Art und Weise wieder geradebiegst? Glaubst du, dass du mit dieser Tour durchkommst? Oh, nein. Dir werde ich zeigen, wo der Hammer hängt, wenn du nicht augenblicklich verschwindest.«
»Glaubst du mir nicht, oder was?« Kerstin ging in die Gegenoffensive und winkte mit der Diskette in Oles Richtung. »Dann schau dir doch das hier mal an, mal sehen, ob du mir dann glaubst.«
»Und wenn? Was spielt das für eine Rolle? Wenn Bastian gerne mit Jungs schlafen möchte, wenn ihm diese Art der Liebe lieber ist und er dort Glück, Erfüllung und Ekstase findet, bitte. Was in aller Welt geht dich das an? Und woher glaubst du, das Recht nehmen zu können, es hier heraus zu posaunen und Bastian bloßzustellen.«
Kerstin wirkte nicht sonderlich beeindruckt. »Bist du auch einer von denen? Auch ein warmer Bruder?« giftete sie Ole an und versuchte so die Lage wieder zu ihren Gunsten zu wenden.
Ein Mädchen machte ihr einen Strich durch die Rechnung, indem sie ebenfalls aufstand und ihren Arm um Oles Hüfte legte. »Nein, mein Schatz ist nicht schwul.« Weder sie noch Ole lächelten. »Aber man braucht auch nicht schwul zu sein, um von dir angewidert zu sein.«
Wieder Stille. Unentschiedene Stille im stillen Kampf zwischen Kerstin und Ole.
Und auf einmal begann ein Freund von Ole, mit dem Löffel an den Kaffeebecher zu klopfen. »Wir«, fing Ole an, »stehen am Anfang des 21. Jahrhunderts.« Das Klopfen wurde mehr und lauter. »Und wenn wir nicht im Kleinen anfangen, toleranter als gestern zu sein, wird das Morgen kein Morgen, sondern ein Gestern sein.« An den Tischen nahmen sich immer mehr Leute ihr Löffel und klopften auf Tische und Stühle, an Tassen und Teller.
Mir liefen immer noch die Tränen über die Wangen, nun aber vor Freude. Das Coming-Out, vor dem ich solche Angst hatte, entwickelte sich zum bis dahin schönsten Tag meines Lebens.
Das Klopfen schwoll an Lautstärke immer mehr an und kreiste Kerstin regelrecht ein. Ihr blieb nichts außer Rückzug. Außer sich vor Wut und mit wüsten Beschimpfungen in Oles und meine Richtung wandte sie sich ab und ging in schnellen Schritten auf den Ausgang zu. Als sie aus der Tür war, ging das Klopfen in Applaus über. Immer mehr Leute standen auf, zum Teil auf die Stühle und Tische.
Ole kam auf mich zu und reichte mir die Hand. »Willkommen in der Welt ohne Verheimlichungen«, sagte er und lächelte. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich war fassungslos vor Glück und Dankbarkeit.
Als ich zusammen mit Ole, allerdings ohne seine Freundin, die sich verabschiedet hatte, die Mensa verließ, hatte ich die Sprache wiedergefunden und sie benutzt, um mich ausschweifend für sein Eingreifen zu bedanken. Ich kannte Ole; er war ein Mensch, der sich für andere immer an vorderster Front befand. Er war als Schülervertreter gefürchtet und hatte vor einigen Monaten für Aufregung gesorgt, als er einen Schüler aus einer ausweglosen Situation heraus boxte, indem er verhinderte, dass dieser der Schule verwiesen wurde.
Ole wollte sich gerade von mir verabschieden, da hielt ich ihn auf. Eine Frage beschäftigt mich noch: »Warum hast du das eigentlich getan?« Ole schaute mich fragend an. »Ich meine, es ist nicht ungefährlich, sich in ... äh ... solchen Situationen auf die Seite des Schwulen zu stellen.« Ich wurde etwas zögernd, nicht mehr ganz sicher, ob ich nicht gerade etwas Falsches sagte. »Und nicht selbstverständlich.«, meinte ich. Dann erschrak ich. Ich hatte eben Kerstins Attacke inhaltlich bestätigt, nicht wissend, ob ich das eigentlich wollte.
»Doch, es ist selbstverständlich.« Ole lächelte nicht. »Nur leider wissen das die meisten nicht.« Ich verstand nicht ganz, was er mir sagen wollte. »Sieh' doch mal. Was ist denn anders? Welche Rolle spielt es, dass du schwul bist?« An sich hätte ich jetzt strahlen können, mir gefiel seine Reaktion. Aber da Ole immer noch nicht lächelte, war mir nicht wirklich nach Fröhlichkeit zumute. Irgendetwas hatte er noch auf dem Herzen.
»Basti«, fing Ole zögernd an, »dass was du heute erlebt hast - das war viel Glück und ein Massenanfall von politischer Correctness. Es war vielleicht auch bisschen Ablehnung gegen Menschen wie Kerstin. Aber es war nicht das, was wirklich dahintersteckt. Es wäre illusorisch zu glauben, dass alle junge Menschen eine liberale Einstellung gegenüber Homosexuellen haben.«
Oles Stimme klang sehr ernst und machte mir etwas Angst. »Viele, gerade unter den Jungs, sehen hinter Gays nicht den Menschen, sondern das Klischee. Und es wird immer wieder zur Konfrontation kommen. Die heutige mit Kerstin war vielleicht deine erste, aber es wird nicht die letzte gewesen sein. Und es dürfte sich beim heutigen Punkt für dich um einen der wenigen handeln, die du machen wirst.« Ole atmete tief ein. »Ich wünsche dir viel Kraft. Kraft für die Konfrontationen von morgen.«
»Warum so negativ ?« Ich schaute Ole durchdringend an, versuchte, hinter seinem besorgten Gesicht etwas zu sehen. »Bastian, diese Welt ist hetero. Und wenn diese Welt es will, wird sie dich umbringen.« Damit wandte Ole sich ab.
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