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Shadowy - Episode 1
Teil 2
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Informationen
- Story: Shadowy - Episode 1
- Autor: Torben
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 9. - Spread Your Wings
- 10. - Flying Without Wings
- 11. - The Ghosts That Haunt Me
- 12. - I Don't Like Mondays
- 13. - Neighbourhood
- 14. - The King Must Die
- 15. - Games Without Frontiers
- Nachwort
Vorwort
Machen wir es kurz, „Shadowy Episode 1 - The Show Must Go On“ ist die Fortsetzung von „Shadowy - Episode 0“. Hier ist nun der zweite Teil, und ich hoffe, das Lesen macht euch genauso viel Spaß wie mir das Schreiben. Über ein paar Kommentare würde ich mich freuen. Jede Reaktion, egal ob positiv oder negativ, ist besser als überhaupt keine!
Dann wird es auch höchste Zeit, dass ich die Leistung der „Beta-Leser“ hervorhebe, die seit Episode 1 Teil 1 auch die Erstkorrektur machen. Durch ihre Anregungen und Hinweise konnte ich viele Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten bereinigen. Zugegeben, manchmal „grummle“ ich ein wenig, wenn „schon wieder“ einer etwas gefunden hat. Aber letztlich ist es doch schön, wenn dann etwas Vernünftiges dabei heraus kommt. - Und ich denke, ich kann mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Gleichzeitig möchte ich mich an dieser Stelle bei den Lesern bedanken, die sich inzwischen bei mir gemeldet haben. Das positive Feedback zu den Shadowy Episoden, das ich inzwischen bekommen habe, hat mich dann doch sehr überrascht und erfreut.
Ich würde mich freuen, wenn ihr euch auch weiterhin beteiligen würdet, denn durch euer Feedback wird die Geschichte besser! Dabei möchte ich euch ganz besonders das Shadowy-Forum nahe legen. Für mich ist es das bequemste und nützlichste Mittel, um mit euch zu diskutieren. Und für euch eine gute Gelegenheit, euch mit anderen Lesern auszutauschen.
9. - Spread Your Wings
Sammy was low
Just watching the show
Over and over again
Knew it was time
He‘d made up his mind
To leave his bad live behind
aus „Spread Your Wings“ von Queen
Campus-Occursus, Dienstag, 27.11.2035
Nico brachte uns auf dem kürzesten Weg, also mittels Teleportation, zurück unter die Kuppel. Wir waren gerade dabei, den anderen von unserer Unterhaltung mit Olaf zu berichten, als Scotty und ein neuer Techniker zu uns kamen. Sie hatten einige Ausrüstung dabei, unter anderem zwei Wartungsroboter, also Roboter, die einfache Arbeiten halb autonom verrichten konnten.“
»Hallo Jungs, ich hoffe, ich störe nicht all zu sehr?«, fragte er lächelnd. Bei jedem anderen, den wir kannten, war das meist nur eine Höflichkeitsfloskel, Scotty meinte so eine Frage wirklich ernst. Er würde sicherlich sofort gehen, wenn er auch nur das Gefühl hätte, dass es jetzt unpassend wäre.
»Nein, bestimmt nicht. Was hast du uns den diesmal mitgebracht?«, fragte Lukas, der sich besonders gut mit Scotty verstand, neugierig.
»War eigentlich nur eine Idee eines der NeckTech-„Eierköpfe“. Das hier soll ein Roboter werden, der kleine Kunststoff-Bälle verschießen kann. Er ist darauf spezialisiert, wirklich zufällige Ergebnisse zu erzielen, da er auch die gesamte Kuppel als „Reflektor“ benutzen kann. Er spielt also so was wie Billard mit euch, und das in 3D, ihr seid dabei die bunten Kugeln. Angeblich soll es euch helfen, eure Präkognition und die Telekinese zu trainieren. Interesse?«
Wir mussten lachen. Da hatten sich die „Eierköpfe“, wie er die NeckTech- Wissenschaftler nannte, ja wieder was Interessantes ausgedacht. »Klar, immer doch. Braucht ihr Hilfe?«, antwortete Lukas.
»Nein, das geht schon, ich hab ja Hilfe dabei«, antwortete Scotty mit einem fiesen Grinsen und einem Seitenblick zu dem Techniker. Dieser wurde auch sogleich rot, stand dann aber weiterhin etwas hilflos in der Gegend herum.
Der Techniker war etwas jünger als Scotty, aber auch schon so um die 30, 1 Meter 70 groß, hatte rotblonde Haare und viele Sommersprossen in seinem etwas runden Gesicht. Jetzt, als er sich bewegte, wirkte er irgendwie ungelenk. Sonderlich viel Geschick schien er auch nicht zu haben. Da er immer wieder zu uns sah, nahm ich an, dass auch unsere Anwesenheit zu seiner Nervosität beitrug. Wer weiß schon, was er alles über uns gehört hatte.
Wir jedenfalls besprachen uns weiter und diskutierten über die PSI-Energie. Remo und Mischa bestätigten das, was Nico schon gesagt hatte. Anfangs waren sie schon nach kleinen Anstrengungen völlig „ausgepumpt“ und brauchten mehr als einen Tag, bis sie sich wieder regeneriert hatten. Inzwischen waren sie schon nach zwei Stunden wieder voll da und konnten auch wesentlich mehr leisten als zuvor.
Immer wieder fiel mir auf, dass Scottys Techniker sich mehr auf unser Gespräch zu konzentrieren schien, als auf seine Arbeit. Eigentlich arbeiteten nur Scotty und die Roboter. Lukas erklärte gerade, dass diese Steigerung der Fähigkeiten, nach Franks Auffassung, mit dem Ansteigen der verfügbaren Energie zu tun habe, als es hinter uns laut polterte und das Gemurmel zwischen Scotty und dem Techniker lauter wurde. Ich hörte nur noch Scotty sagen: »...hast es versprochen!«, woraufhin der Techniker trotzig entgegnete: »Aber so ist es falsch! Die gehen von falschen Voraussetzungen aus!« Der letzte Satz war dann so laut, dass wir ihn nun wirklich nicht mehr überhören konnten.
Demonstrativ wandten wir uns zu den beiden um und sahen Scotty fragend an. Es muss für ihn schon etwas seltsam ausgesehen haben, denn ohne uns abgestimmt zu haben, machten wir alle dasselbe.
»Tut mir leid, Jungs. Ich denke, wir gehen jetzt, und ich mache das Morgen oder so fertig«, entschuldigte sich Scotty. Der Techniker schien regelrecht geknickt zu sein, ließ die Schultern hängen und sah wirklich traurig aus.
Plötzlich fragte Julian: »Welche unserer Voraussetzungen sind denn falsch gewesen?«, dabei klang seine Stimme wieder einmal völlig sanft, und man konnte sein Interesse wirklich hören.
Der Techniker sah auf und gab sich einen Ruck: »Ihr redet immer nur von der Energie, die ihr habt, die man als PSI-Kapazität bezeichnet und der Regenerationsrate, also dem Faktor, der bestimmt, wie lange es dauert, bis ihr wieder volle Kapazität habt. Aber es gibt da noch ein paar andere Größen die da mitspielen! Da wären zum Beispiel noch die PSI-Effizienz, die Energiekosten, die Sockelenergie und die Überkapazität.« Anfangs noch relativ unsicher, sprach er jetzt so, als würde er einen Vortrag halten. Plötzlich wirkte er nicht mehr unsicher. Doch Scotty, der hinter ihm stand, verdrehte nur die Augen.
»Und woher willst du das alles wissen?«, fragte ich ihn, sah aber dabei mehr Scotty an.
Dieser legte seinem „Techniker“ dann auch eine Hand auf die Schulter und antwortete für diesen: »Tut mir leid, Jungs, ich wollte euch nicht hintergehen, aber Sammy ist ein guter Freund von mir und wollte euch unbedingt sehen. Bei NeckTech war man aber der Meinung, er wäre nicht sonderlich hilfreich, obwohl er Parapsychologe ist.«
Sammy sank schon wieder etwas in sich zusammen. Doch jetzt war bei mir die Neugierde geweckt: »Parapsychologie? Du kennst dich wirklich mit so was aus?«
Jetzt sah er wieder auf und grinste: »Ja klar, ist doch mein Job, auch wenn einige das für „faulen Zauber“ halten.«
Julian lachte: »Du kennst nicht zufällig Prof. Heller?«
So wie sich Sammys Gesicht verfinsterte, kannte er ihn und dessen frühere Ansichten nur all zu gut.
Langsam kamen wir dann dahinter, dass Scotty ihn mehr oder weniger hier eingeschmuggelt hatte, unter der Bedingung, er müsse sich ruhig verhalten. Jedenfalls hatten wir nun die Gelegenheit mal einen wirklichen PSI-Fachmann zu befragen. Sammy befasste sich schon seit Jahren damit - sein kleiner Bruder war Empath, wenn auch nur ein sehr schwacher. Deswegen kannte Sammy bei Mutanten auch keinerlei Berührungsängste.
Sammy hatte sich auch bei NeckTech sehr mit Mutanten beschäftigt, insbesondere, als Nico dort öfters „Besorgungen“ machte. Da war er allerdings auch mehrfach mit Prof. Heller zusammengetroffen und ihre Meinungsverschiedenheiten waren sehr lautstark ausgetragen worden. Da der Professor jetzt hier war, sollte Sammy lieber nicht hier erscheinen, so dachten jedenfalls einige maßgebliche Leute bei NeckTech. Wohl auch deshalb, weil Prof. Heller ein persönlicher Freund von Dr. Neckler war.
Nun, uns konnte es egal sein. Wir durften hierher einladen, wen wir wollten. So erfuhren wir nun, dass wir jedes Mal, wenn wir unsere Kapazität voll ausschöpften, nach der Regeneration etwas mehr Kapazität zur Verfügung hatten.
Sammy hatte einen anschaulichen Vergleich, mit dem er uns die Zusammenhänge näher brachte: »Das Ganze kann man sich an Hand eines Staudamms mit entsprechenden Verbrauchern vorstellen. Der Stausee, also das Volumen, in dem das Wasser gestaut wird, entspricht dabei der PSI-Kapazität, während das Wasser selbst die PSI-Energie repräsentiert. Je größer das Volumen, desto länger kann Wasser für die Turbinen geliefert werden - wobei die Turbinen eure Fähigkeiten sind, die mit PSI-Energie versorgt werden müssen.
Der Energiedurchsatz entspricht einem Regler (Schieber), der den Zufluss zum Stausee bestimmt. Jedes Mal, wenn ihr durch das Anwenden eurer Kräfte den Stausee geleert habt, wird der Regler etwas weiter aufgedreht, so dass mehr Wasser zuströmt als zuvor. Der Wasserzufluss erhöht sich also. Dabei wird auch gleich der See, also das Volumen, ein wenig vergrößert, so dass er nach dem Auffüllen eine größere Kapazität als zuvor hat.
Werden die Turbinen des Kraftwerks durch effizientere ersetzt, so wird weniger Wasser als zuvor benötigt, um die gleiche Leistung zu erbringen. Das ist der Effekt, der durch reines Trainieren erreicht wird, wenn ihr also nicht bis an eure Kapazitätsgrenze geht.«
»Wir können also unsere Fähigkeiten auf zwei unterschiedliche Arten steigern? Einmal, wenn wir bis zur Erschöpfung trainieren, dann steigt die Kapazität, oder indem wir einfach ständig ein wenig trainieren, und so unsere PSI-Effizienz erhöhen?«, fragte Nico noch zur Sicherheit.
»Nach dem was ich weiß, ja. Das Trainieren bis an die Kapazitätsgrenze hat den Vorteil, dass das Regenerieren dann jedes Mal etwas schneller geht. Eigentlich solltet ihr eine Veränderung am Zustrom der PSI-Energie spüren. Jedes Mal nach einer Totalentladung müsste der PSI-Energiestrom, der in euch fließt, stärker sein als zuvor.«
Nachdenklich sah ich ihn an: »Ich kann das so nicht ganz bestätigen, da es bei Julian, Tom, Lukas und mir ein wenig anders war, uns wurde die Energie von der „Maschine“ hineingepresst. Wir hatten bis jetzt einfach nicht die Gelegenheit, so etwas zu beobachten. Generell würde ich allerdings zustimmen, ich denke, dass wir jetzt wesentlich schneller regenerieren.«
Sammy nickte: »Ich bin ja leider kein Mutant, und so viele Mutanten kenne ich auch nicht, die überhaupt darüber reden würden. Bis jetzt scheint es aber die plausibelste Erklärung zu sein, die ich finden konnte. Der Energie-Umsatz ist auch beim Anwenden von sehr sparsamen Kräften interessant. Die Telepathie verbraucht zum Beispiel wenig Energie. Das heißt, wenn ihr einen hohen Energie-Umsatz, also zuströmende Energie habt, könnt ihr solche „sparsamen“ Fähigkeiten beliebig lange einsetzen. Der Zustrom muss dazu natürlich ähnlich groß wie der Verbrauch sein.«
Nachdenklich sah er zu Nico: »Bei Teleportern ist der Energieverbrauch extrem hoch, daraus folgt, dass bei einem Teleporter das kombinierte Trainieren wohl am effektivsten ist. Viele kleine Sprünge, um die Effizienz zu steigern, je mehr desto besser. Dabei sinkt natürlich der Energievorrat auch, aber lange nicht so stark wie bei einem oder wenigen großen Sprüngen. Ein Teleporter sollte also nicht den „Weitsprung“ trainieren, sondern das Springen an und für sich. Mit entsprechend hoher Kapazität gelingen ihm dann auch die großen Sprünge.«
Sammy sah uns der Reihe nach an, scheinbar um sich zu vergewissern, ob wir ihm folgen konnten. Dann holte er noch einmal tief Luft und erläuterte weiter:
»Das Gleiche gilt natürlich genauso für jede andere Fähigkeit. Die Effizienz steigert ihr durch das reine Anwenden der Fähigkeit. Ob ihr dabei mittels Telekinese zehn Kilogramm oder eine Tonne bewegt, spielt eigentlich keine Rolle. Nur, wenn ihr eine Tonne bewegt, seid ihr sehr schnell erschöpft, und ihr müsst warten, bis ihr euch wieder regeneriert habt.«
Jetzt wurde uns klar, dass wir unsere Telekinese im Labor-23 im Prinzip falsch trainiert hatten. Nur dadurch, dass uns die Maschine künstlich wieder aufgeladen hatte, konnten wir es nie bemerken. Hier jedoch auf dem Campus hätten wir mit den Hoods falsch trainiert.
Julian fasste es dann zusammen: »Wir sollten beim Training also unsere Kräfte so einteilen, dass wir erst gegen Ende des Trainings auch wirklich völlig erschöpft sind, damit wir die Steigerung der Effizienz und die Kapazitätssteigerung nach der Regeneration bekommen?«
»So würde ich es empfehlen«, lächelte Sammy fröhlich, der sich schon längst zu uns auf den Boden gesetzt hatte. Nachdenklich fügte er noch hinzu: »Aber wenn ihr eine Fähigkeit auf Effizienz trainiert, dann kommt dies nur dieser einen Fähigkeit zugute. Wenn ihr jedoch eure Kapazität erhöht, dann steht dieses „Mehr“ an Energie allen Fähigkeiten zur Verfügung. Was ich damit sagen will: Wenn ihr Telekinese auf Effizienz übt, dann wirkt sich das nicht auf eure Telepathie aus. Nur bei der Telekinese geht ihr dann effizienter mit der zur Verfügung stehenden Energie um.«
»Ein Mutant mit geringer Kapazität sollte also zuerst seine Kapazität erhöhen, wodurch dann auch sein Energieumsatz steigt. Später erst trainiert er an seiner Effizienz, denn sonst wird er immer ein „kleines Licht“ bleiben?«, vergewisserte sich Tom.
»Ich denke - Ja. Viele Mutanten, die prinzipiell mehr könnten, erreichen dieses Mehr an Fähigkeiten nicht, weil sie aus Unkenntnis auf Effizienz trainiert haben. Wer nie bis an die Grenze gegangen ist, kann auch nie seine Kapazität erhöhen. Somit bleibt ihm nur die Möglichkeit seine Effizienz zu steigern. Doch jede Fähigkeit hat einen bestimmten „Sockelbetrag“, der erst erreicht sein muss, bevor die Fähigkeit genutzt werden kann.
Eigentlich müsste Nico mehr darüber berichten können. Ein Teleporter entwickelt seine Fähigkeit erst wesentlich später als ein Telepath, da sich erst genügend Energie ansammeln muss, bevor die Teleportation „verfügbar“ ist.«
Nico nickte überrascht: »Erst ein Jahr nachdem ich meine Telepathie entdeckt hatte, konnte ich zum ersten Mal teleportieren. Hinterher war ich absolut leer und es dauerte einen ganzen Tag, bevor ich mich wieder mittels Telepathie verständigen konnte. Ich hatte wirklich Schiss vor einer weiteren Teleportation, weil ich Angst hatte, ich könnte meine Telepathie endgültig verlieren.
Erst als mir ein anderer Teleporter sagte, dass dies völlig normal sei und mit der Zeit nachlassen würde, begann ich die Teleportation zu nutzen. Doch noch immer kann es passieren, dass, wenn ich mich völlig verausgabe, sogar die Telepathie vorübergehend verschwindet. Es dauert inzwischen aber wirklich nicht mehr lange, spätestens nach einer Stunde ist sie wieder voll da.«
Den Roboter, der auf Sammys Vorschlag zurückging, hatte Scotty unterdessen fertig montiert. Den ersten Testlauf überstand ich gerade einmal drei Minuten ohne Treffer. Ziel war es nur, von einem Ende der Halle zum anderen zu gelangen, ohne von einem der Bälle getroffen zu werden. Doch weil der Robot nicht direkt schoss, sondern die Bälle an der Kuppel abprallen ließ, war es verdammt schwer, ihnen auszuweichen oder sie telekinetisch abzuwehren. Außerdem hüpften diese Dinger wie blöd durch die Gegend, so dass sie meinen Weg mehr als nur einmal kreuzten.
Lukas machte es sich da wesentlich einfacher. Ich fand das Anwenden der Larualisation nicht ganz fair. (Diese Fähigkeit wurde offiziell so genannt, vom lateinischen larualis = gespensterhaft, also dem „in Phase gehen“) - Ich desintegrierte die Bälle ja auch nicht. Nein, es war wirklich nicht fair!
Sammy kannte viele Fähigkeiten oder hatte zumindest von ihnen gehört. So war Erics Abschirmung für ihn nichts Neues. Das ganze war unter dem Begriff „Indeprenthie“ (vom lateinischen indeprensus=unfassbar) bekannt. Es gehörte zu einer Gruppe von Fähigkeiten, die die Mutanten einfach nur „Defence“ nannten. Denn diese Fähigkeiten konnten niemanden gefährden, waren also rein defensiv.
Wohingegen unser „Destruieren“ und die „Annihilation“, wie Julian und ich sie beherrschten, rein offensive Fähigkeiten waren. Allerdings war der Begriff „Annihilation“ von Olaf geprägt worden, da niemand bisher von so einer Fähigkeit gehört hatte. Annihilation setzt sich aus „an = zu“ und „nihil = nichts“ zusammen und wird in der Kernphysik für das gegenseitige Auslöschen von Elementar- und Antiteilchen verwendet.
Wir hatten Sammy natürlich eingeladen, noch ein paar Tage bei uns zu bleiben. Auch wenn er andeutete, dass Prof. Heller ihn nicht „sonderlich“ schätzen würde und es deshalb Probleme geben könnte. Nun, der Professor war hier auch nur Gast auf unserem Campus-Occursus. Er hatte kein Mitspracherecht, wen wir noch hier her einluden. Außerdem sollte sich dessen Einstellung gegenüber PSI drastisch geändert haben, wovon nun auch Sammy profitieren dürfte. Uns war es jedenfalls wichtig jemanden zu haben, mit dem wir über unsere PSI-Probleme reden konnten, denn Prof. Heller und sein Team interessierte nur die physikalische Seite unserer Fähigkeiten. Sie hätten uns solche Tipps zum effizienteren Training nie geben können.
10. - Flying Without Wings
Everybody´s looking for a something
One thing that makes it all complete
You´ll find it in the strangest places
Places you never knew it could be
Some find it in the faces of their children
Some find it in their lover´s eyes
Who can deny the joy it brings
When you´ve found that special thing
You´re flying without wings
aus “Flying Without Wings” von Westlife
Campus-Occursus, Dienstag, 27.11.2035
Remo und Mischa hatten unter Toms Aufsicht mit telekinetischen Übungen begonnen, während wir anderen noch immer ein wenig diskutierten. Eric interessierte sich besonders für die Möglichkeit, weitere Trainingsroboter und Geräte zu bauen.
Gerade für den Nahkampf fehlte uns eine entsprechende Möglichkeit, wie Lukas heute schmerzlich erfahren hatte. In einer Übung hatte Tom unseren „Schülern“ die ersten Lektionen im „ForceFight“ beigebracht. Damit meine ich das Kung Fu mittels telekinetischer Unterstützung. Ein 10 Meter-Hochsprung aus dem Stand war damit durchaus möglich.
Entsprechend kraftvoll waren dann auch der ForcePunch oder der ForceKick. Dabei sollte man keine Sekunde unaufmerksam sein, was Lukas jedoch war. Remos Schlag ging durch Lukas Deckung und traf ihn dann wirklich heftig. Zwar hatte Remo noch ein wenig verzögert, trotzdem flog Lukas durch die Gegend und brach sich zwei Rippen. Dank Reiki war das kein Problem, jedoch hätte es auch wesentlich übler ausgehen können.
Wir hielten den „ForceFight“ aber für sehr wichtig, zumal dabei nur wenig Energie aufgewendet werden musste. Außerdem konnte man diese Form der PSI-Fähigkeit relativ unauffällig anwenden. Wenigstens, solange man keine 10 Meter-Sprünge machte oder Wände und sonstiges Inventar zertrümmerte. Die Mischung asiatischer Kampftechniken mit der Telekinese ließ also wirklich eine extrem effektive, völlig neue Fähigkeit entstehen. Nur das Trainieren war eben sehr gefährlich, auch, oder gerade, für den Trainer.
Hier nun schienen Eric und Scotty ein neues Einsatzgebiet für einen der Trainingsautomaten zu sehen. Entsprechende Panzerung vorausgesetzt, müsste so eine Maschine unseren Kräften durchaus standhalten. Die neuesten Kunststoffe und Legierungen waren äußerst widerstandsfähig, und in unserem Fall kam es ja nicht auf Härte, sondern auf Elastizität an. Außerdem wollten wir es nicht darauf anlegen, so einen Automaten zu zerstören.
Noch ganz in Gedanken nahm ich wahr, wie Remo und Mischa nun wieder ForceJump-Übungen machten. Das machte mir selbst eigentlich auch am meisten Spaß. Für einige Augenblicke hatte man wirklich das Gefühl zu fliegen. Nur die Landung war anfangs ziemlich heftig, denn etwas musste ja die kinetische Energie aufnehmen.
Wenn wir eine Wand zertrümmerten, dann musste diese die Energie “schlucken“. Doch die Landung nach einem zehn Meter ForceJump war dasselbe wie ein Sprung von einem zehn Meter hohen Turm auf den Boden. Dieser gab in der Regel einfach nicht nach. Da wir unsere Muskulatur, Bänder und Knochen durch die telekinetische Energie verstärkten und schützten, waren zehn Meter gerade noch erträglich.
In seinem Eifer hatte Mischa diese Höhe überschritten - sogar weit überschritten. Doch solange wir trainierten, standen Tom und Lukas bereit, ihn rechtzeitig abzufangen. Wer wie sie zwei Tonnen locker durch die Luft wirbeln konnte, der kam mit Mischas 65 Kilogramm leicht zurecht. Doch diesmal griffen sie nicht ein, wie ich an ihren erstaunten Gesichtern erkannte. Sie mussten auch nicht eingreifen! Mischa stürzte nicht herunter, er sank langsam zu Boden!
Das war etwas völlig Neues. Keinem von uns war es bisher gelungen sich selbst telekinetisch gezielt zu bewegen. Wir konnten uns also nicht wie Münchhausen an den Haaren aus dem Sumpf ziehen. Es war uns einfach nicht möglich, uns dabei zu stabilisieren. Wir fanden an uns selbst keinen Angriffspunkt. Nur Lukas war es bisher gelungen, während eines Sprunges eine Kursänderung durch einen telekinetischen Impuls durchzuführen.
Doch Mischa sank ruhig, relativ stabil und kontrolliert zu Boden. Durch meinen unbewussten Ausruf alarmiert sahen auch Julian und Nico die etwas abrupte, aber im Vergleich zum Bisherigen, sanfte Landung von Mischa. Gemeinsam kamen wir dann bei unserem „Überflieger“ an, der selbst ein wenig erstaunt war.
Mischa lachte uns an: »Wow, ich wusste gar nicht, wozu ich fähig bin!«
Den Satz hatte ich aber auch schon mal gehört. »Und wie hast du das gemacht?«, wollte ich wissen.
»Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich es konnte. Es war ganz anders als bisher!«
Damit verdarb er mir natürlich die Hoffnung, dass es etwas wäre, was wir von ihm lernen könnten. Diese Befürchtung wurde mir dann auch gleich noch von Sammy bestätigt: »Das was Mischa da gemacht hat, nennt man Levitation. Levitas ist lateinisch und bedeutet „Leichtigkeit“. Es ist eine Fähigkeit aus dem Bereich der Psychokinese, also mit der Telekinese verwandt, aber eben eine eigenständige Fähigkeit.«
Julian, der bei mir „geschnüffelt“ hatte, stupste mich in die Seite: »Wird doch nichts mit „Supermann“.«
»Warum eigentlich nicht? Warum können wir uns nicht selbst bewegen?«, wollte Tom nun auch wissen, denn wer würde nicht gerne fliegen können. Lukas konnte es, aber nur wenn er in Phase war, das hatte er ja schon mal im Labor-23 gezeigt. Doch bei ihm war es auch völlig klar gewesen, sonst würde er, wenn er in Phase ging, bis zum Erdkern durchrutschen.
Sammy grinste: »Wieso? Ihr könnt euch doch „selbst“ bewegen! - Oder wofür habt ihr eure Beine?« Nach diesem Ausspruch musste er vor drei missgestimmten Telekineten Schutz suchen. Seine Wahl fiel auf mich - was eine schlechte Wahl war, denn auch ich war missgestimmt. Jedoch bemerkte Sammy das erst, als seine Füße etwas wärmer wurden als normal. So konnte er diese so benutzen, wie er es uns zuvor geraten hatte. Hatte ich schon erwähnt, dass ich natürlich auch Julians „normale“ Thermokinese übernommen hatte?
Nachdem wir uns beruhigt und Sammy seine Füße abgekühlt hatte, die übrigens bemerkenswert groß waren, ging er dann doch noch auf Toms Frage ein.
»Mike, hast du dir mal überlegt, was passieren würde, wenn du eine 2 Tonnen-Last mit den Armen über dir balancieren müsstest?«. So boshaft wie Sammy grinste, stellte er es sich sehr plastisch vor.
Oh Mann, war der Kerl nachtragend, nur wegen der warmen Füße. »Ich denke, ich würde eine reichlich ungesunde Haltung einnehmen«, murmelte ich und begann zu ahnen, worauf er hinaus wollte.
Sammy kicherte: »Ja, das denke ich auch. Aber wenn du mittels Telekinese zwei Tonnen durch die Gegend schweben lässt, spürst du dann deren Gewicht?«
Ich schüttelte stumm den Kopf.
»Eben, weil du nicht der Lagerpunkt deiner Kraft bist, sonst würdest du das Gewicht auch spüren«, nach kurzem Nachdenken erklärte er weiter, »Es gibt zwar eine Verbindung zwischen euch und dem Gegenstand, den ihr bewegt, jedoch seid ihr nicht der Lagerpunkt, wie man es mit einem Hebel erwarten würde. Scheinbar, dies ist aber nur eine Vermutung, verteilt ihr die aufzunehmenden Kräfte auf die Umgebung.«
Tom sah ihn fragend an: »Da wir aber nicht der Lagerpunkt beim Anheben sind, können wir uns auch nicht richtig vom Boden abstoßen?«
»Klingt wenigstens einleuchtend. Wenn ich etwas anhebe, dann ist dieser Gegenstand ein Endpunkt der telekinetischen Verbindung. Doch ich bin offensichtlich nicht der Gegenpol, denn sonst wäre ich bei zwei Tonnen Gewicht längst ziemlich unförmig«, gab ich Sammy soweit Recht.
Und Julian ergänzte: »Da ich aber nicht der Gegenpol bin, kann ein telekinetischer Impuls, der mich vom Boden wegdrücken soll, auch nicht bei mir selbst ansetzen. Doch was, wenn ich mich selbst als Ziel auswählen würde?«
»Das geht eben genauso wenig, wie ich mich selbst mit einem EMP bestrahlen kann«, antwortete Tom.
»Wir können Telekinese auf uns selbst anwenden, jedoch bleiben dann die Kräfte innerhalb unseres Körpers, sonst wäre „Force-Kampf“ nicht möglich. Doch dabei halten wir, übertrieben gesagt, unseren Körper „nur“ zusammen«, murmelte ich etwas enttäuscht. Ich wäre wirklich gern geflogen.
Mischa, Remo und Nico hatten die ganze Diskussion mit Staunen zur Kenntnis genommen. Für sie war es einfach noch ungewohnt, alles so zu hinterfragen. Mischa konnte fliegen, schön, dann muss er das jetzt üben. Das war ihre Art, sie gingen ihren Kräften einfach nicht auf den Grund. Aber das lag auch ein wenig daran, dass sie ihre Fähigkeiten bisher ein wenig „mystifiziert“ hatten. Sie waren geborene Mutanten und hatten ihre Fähigkeiten meist plötzlich und unerwartet entdeckt. Deshalb hatten sie wohl einfach eine andere Einstellung dazu.
Nachdem Mischa noch ein paar Flugversuche gemacht hatte, waren wir alle doch einigermaßen müde und zogen uns zurück. Immerhin hatten wir an diesem Tag entdeckt, dass Julian und ich uns unsere Kräfte teilten, wir waren mit Julians Thermokinese weitergekommen, hatten Nicos Teleportation etwas enträtselt und jetzt auch noch Mischa zum Fliegen gebracht. Wenn das kein erfolgreicher Tag war, was dann?
In dieser Nacht nahmen wir uns dann auch wieder etwas Zeit für körperliche Interaktionen, denn zu mehr als ein wenig Kuscheln waren wir in letzter Zeit kaum noch gekommen. Und das war uns dann auf Dauer doch etwas zu wenig.
11. - The Ghosts That Haunt Me
Campus-Occursus, Freitag, 30.11.2035
Der Rest der Woche verlief dann wesentlich entspannter. Langsam gewöhnten wir uns an den neuen Rhythmus. Morgens früh aufstehen, gemeinsam eine Runde auf dem Campus laufen und das Qi Gong-Training am kleinen See. Danach kamen Frühstück und Besprechung mit Stefan. Ab da trennten wir uns. Julian und ich verbrachten den Vormittag mit dem Team von Prof. Heller und die anderen trainierten unter der Kuppel. Mittags wieder ein gemeinsames Essen in der Kantine, danach trainierten wir alle zusammen unter der Kuppel. Julian und ich kümmerten uns dabei gezielt um Nico und Eric. Mischa machte große Fortschritte im Alleinflug, worum ich ihn wirklich beneidete.
Da Lukas, wenn er in „Phase“ ging, auch schweben konnte, kümmerte er sich nun speziell um Mischa, während Tom sich auf das „normale“ telekinetische Training beschränkte. Sammy arbeitete einen Test- und Trainingsplan für Nico aus, der sich auch tatsächlich verbessern konnte. Sowohl Kapazität als auch Effizienz konnte er innerhalb der letzten drei Tage merklich steigern. Damit untermauerte er dann auch Sammys Thesen und gab uns allen einen Ansporn, in dieser Richtung weiter zu machen.
Doch nicht nur bei uns, auch bei unseren „Schülern“ zeigten sich gewisse mentale Ermüdungserscheinungen. Wir konnten so nicht ständig weiter üben, ab und zu muss man auch mal eine Pause einlegen oder etwas anderes machen. Nico, Mischa und Remo waren es aber überhaupt nicht gewohnt, ihre Fähigkeiten zu trainieren. Dementsprechend ließ nun die Konzentration beim Training etwas nach und das konnte bekanntlich gefährlich werden.
Deswegen war es am Nachmittag dann auch zu einer Auseinandersetzung zwischen Sammy und Prof. Heller gekommen. Wir hatten schon geplant am Wochenende etwas auszuspannen, als uns Prof. Heller mit der Neuigkeit überraschte, auch am Samstag mit uns arbeiten zu wollen.
Dass sich Sammy und der Professor nicht sonderlich leiden konnten, hatten wir gewusst, doch das, was dann in der Kantine geschah, war auch für uns etwas überraschend gewesen. Das Wortgefecht der beiden war sehr heftig und auch nicht frei von bösen Anspielungen. Nun, nach Punkten hatte sich Sammy letztlich durchgesetzt. Alleine schon deswegen, weil wir klarstellten, dass wir kein „Experimentiermaterial“ waren und selbst über uns bestimmen konnten.
Prof. Hellers Hauptproblem lag wohl darin, dass er nach wie vor nicht mit unseren Fähigkeiten klar kam. Sie passten einfach nicht in sein Weltbild. Da er am Ergebnis, also der Untersuchung von Antimaterie-Materie-Reaktionen jedoch interessiert war, blendete er den für ihn nicht so angenehmen Teil, also uns, einfach aus.
Mit der Folge, dass er uns mehr oder weniger als Maschinen, als Generatoren für seine Antimaterie sah. Und eine Maschine hat zu funktionieren - mehr nicht. Ich bin mir sicher, dass das keine böse Absicht von ihm war. Für uns war es jedoch sehr unangenehm.
Für uns gab es somit einen Grund mehr ihm nicht zu sagen, dass auch ich die Annihilation beherrschte. Allerdings hatten wir es auch Sammy noch nicht gesagt. Es war im Moment einfach noch eine Sache, die unter uns Mutanten blieb.
Jedenfalls wollten Nico, Remo und Mischa das Wochenende bei ihren Freunden im Sektor verbringen und fuhren auch schon nach dem Mittagessen los. Wir überlegten danach, wie wir uns dem Zugriff von Prof. Heller entziehen konnten. Dabei hatten wir gedacht, der Campus-Occursus wäre „unser“ Zuhause. Schließlich machte Stefan den Vorschlag, eine etwas abgelegene Hütte von NeckTech in den Bergen aufzusuchen.
Scheinbar war es Sammy gelungen da noch etwas in die Wege zu leiten, bevor er sich, nach dem Streit mit Prof. Heller, ebenfalls ins Wochenende verabschiedet hatte. Die Aussicht mal zwei Tage nur unter uns zu sein, besserte unsere Stimmung beträchtlich. So packten wir das Nötigste zusammen und Martin flog mit uns fünf in Richtung Berghütte. Eric kam natürlich mit.
Die „Hütte“ war ein kleiner Bungalow, der, weitab jeder Ansiedlung, in einem der neuen „Nationalparks“ lag. Hier oben lag sogar schon Schnee, doch das hatte uns Stefan schon angekündigt und wir waren entsprechend eingekleidet. Gleich nachdem Martin uns bei der „Hütte“ abgesetzt hatte, flog er auch wieder ab, und nach fast vier Wochen waren wir jetzt zum ersten Mal wieder nur unter uns.
Julian und ich nutzten die Gelegenheit, um die Gegend ein wenig zu erkunden. Tom, Lukas und Eric nahmen sich unterdessen den Bungalow vor. Schon bald nachdem wir losgelaufen waren, erreichten wir einen kleinen See und die Stille dieses friedlichen Ortes umfing uns.
Als ich die nur leicht mit Schnee bedeckten Bäume auf der anderen Seite des Sees betrachtete, musste ich wieder an die Anfänge „unserer“ Geschichte denken. „The woods are lovely, dark and deep. But I have promises to keep. And miles to go before I sleep.“ Wie weit mussten wir noch gehen? Würden wir überhaupt je Ruhe finden? Julian trat hinter mich und nahm mich fest in seine Arme. Beruhigende Impulse gingen von ihm aus. »An was denkst du?«, fragte er mich, während ich noch immer zu den Bäumen sah.
Mich an ihn lehnend, seine Wärme und Nähe genießend, murmelte ich: »He, du bist doch Telepath«, dabei öffnete ich meine Abschirmung ganz weit und spürte jetzt auch sein vorsichtiges Tasten.
»»Es ist wirklich schön hier««, empfing ich seine Gedanken. Ja, das war es wirklich. Zum ersten Mal nachdem das Ganze vor fast einem halben Jahr begann, kam wirklich Ruhe über mich.
»»Jetzt sind es fast fünf Monate! Vor fünf Monaten, am 8. Juli, erfuhr ich, dass meine Eltern gestorben waren. Damit begann dann alles««, erinnerte ich ihn. Julian zog mich noch näher zu sich heran. Stumm und völlig ineinander vertieft standen wir da und lauschten den wenigen Geräuschen der Umgebung.
Wir hatten Eric schon gespürt, bevor wir seine Schritte im Schnee gehört hatten, denn in unserer Nähe verzichtete er immer auf seine Abschirmung. Es hatte inzwischen begonnen zu schneien. Langsam kam er näher und beobachtete uns ein paar Minuten, bevor er ganz an uns herantrat. »Stimmt etwas nicht?«
Gemeinsam drehten wir uns zu ihm um, und ich wischte mir ein paar Tränen aus den Augen, die sich dahin verirrt hatten. Julian antwortete für uns beide: »Nein, ist schon gut. Es waren nur Schatten, einfach nur Schatten der Vergangenheit.«
Eric nickte nur, und gemeinsam sahen wir dann noch einige Zeit auf den See und ließen diese Stille auf uns wirken. Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter und drückte kurz zu: »Kommt jetzt, es wird wirklich kalt. Im Bungalow ist es schön warm. Wir haben sogar einen offenen Kamin.«
Gemeinsam gingen wir zurück zum Bungalow, wo Tom und Lukas schon auf uns gewartet hatten. Ich hatte es überhaupt nicht bemerkt, dass sich die beiden inzwischen auch noch bei mir eingeklinkt hatten. Im Grunde war es ein Fehler gewesen, uns erst jetzt ein wenig Ruhe zu gönnen. Andererseits war alles so plötzlich gekommen. Wir waren von den Ereignissen regelrecht getrieben worden.
Der ganze Abend verlief dann ruhig und harmonisch. Wir alle hatten diese Ruhe jetzt wirklich nötig. Wir sprachen über alles, was bisher geschehen war und was wir dabei empfunden hatten. In den letzten Tagen befürchte ich, dass wir uns langsam ein wenig auseinander leben könnten, doch dieser Abend brachte uns wieder näher zusammen. Dicht aneinander gekuschelt schliefen wir ein, und so wachten wir dann auch wieder auf. Nur dass ich jetzt plötzlich Lukas ihm Arm hielt und er mich.
Lächelnd sah ich ihn an und strich durch sein offenes Haar. Tom, Julian und Eric schliefen noch fest. Ich sah Lukas in die Augen und verspürte wieder diese Lust auf ihn - wir hatten schon seit Wochen nicht mehr miteinander geschlafen. Behutsam tastete ich mich zu ihm vor und stellte erfreut fest, dass es ihm genauso erging. Noch immer telepathisch ineinander vertieft, begannen wir mit dem Austauschen von Zärtlichkeiten. Doch schon bald reichte mir das nicht mehr. Ich wollte ihn spüren! Da er noch immer mit mir verbunden war, wusste er es im selben Moment.
Sogleich leitete er eine andere Art der Verbindung zwischen uns ein, die genauso intim, aber noch um einiges lustvoller war, als die telepathische. Es war einfach umwerfend ihn nun doppelt zu spüren. Einmal in mir, und nun auch noch telepathisch die Lust, die er selbst dabei empfand.
Gleichzeitig mit dem Annähern an den Höhepunkt fühlte ich seine Energie, die ungeheure Macht, die sich inzwischen in ihm manifestiert hatte. Es war das, was Frank damals „Potential“ genannt hatte und Sammy als Kapazität bezeichnete. Im nachhinein kann ich es nur mit meiner emotionalen Stimmung erklären. Ich war wirklich sehr dicht vor dem Höhepunkt, so dass ich es nicht gleich bemerkt hatte. Die Verbindung zwischen mir und Lukas wurde immer intensiver. Inzwischen spürte ich seine Gefühle fast stärker als meine eigenen. Und dann, im Augenblick des Höhepunkts - der Flash! Ein Damm schien zu brechen und etwas Unerwartetes strömte in mich. Lukas entlud sich auch energetisch in mich!
Die Gewalt schien mich regelrecht wegzureißen! Und dann spürte ich ihn plötzlich nicht mehr. Die telepathische Verbindung war noch da, aber ich spürte ihn weder in noch auf mir. Erschrocken sah ich auf und blickte in Lukas vor Schrecken geweitete grüne Augen. Er lag also doch noch auf mir, nur ich befand mich irgendwie - tiefer.
Während ich noch grübelte, drehte sich Lukas zur Seite. Natürlich waren die anderen längst wach geworden und ihrerseits beschäftigt gewesen. Doch jetzt sahen alle auf die Stelle, an der ich mich befand. Tom war der Erste, der sich fing und seine Mundwinkel zuckten verdächtig, als er sagte: »He, seit wann bist du so feige und flüchtest dich ins Bett. Oder bist du schon unter das Bett gerutscht?«
Langsam begann ich die Situation, in der ich mich befand, zu realisieren. Tom hatte Recht. Ich befand mich wirklich „im“ Bett! Jedoch nicht so, wie man das umgangssprachlich sagt und damit eigentlich „auf“ dem Bett liegend meint. Ich steckte in der Matratze des Bettes! Und - Ich befand mich offenbar in „Phase“!
Als ich das soweit auf die Reihe bekommen hatte, konzentrierte ich mich ein wenig und stieg aus der Matratze empor. Einige Augenblicke später hatte ich auch den Energiefluss unter Kontrolle gebracht und abgestellt. Wir sahen uns alle an und jeder hing ein wenig seinen Gedanken nach. Auffällig war das Zucken in Toms Mundwinkel. Doch er konnte sich schließlich nicht mehr beherrschen und grölte los.
Da hatte mich Lukas tatsächlich in die Matratze gef... - gestoßen. Da Lukas auch noch ein wenig verunsichert war, denn so hatte er sich den Höhepunkt sicherlich nicht vorgestellt, zog ich ihn an mich. Da erst fühlte ich, dass er nicht nur aufgrund des Schreckens so blass war und zitterte. Er musste bei dieser Aktion einen großen Teil seiner Energie an mich abgegeben haben. Er war total ausgepowert und geschwächt.
Behutsam ließ ich einen Strom Reiki-Energie in ihn fließen, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte. Dann sah ich zu Julian und wusste im gleichen Moment, dass auch er etwas von Lukas mitbekommen hatte. »Du spürst es auch?«, mehr brauchte ich nicht zu fragen.
Julian konzentrierte sich einen kurzen Moment und griff dem etwas erstaunten Eric von hinten durch den Oberkörper. Ganz offensichtlich befand er sich dabei in „Phase“, sonst hätte Eric nicht bloß etwas erstaunt auf den Arm gesehen, der aus seinem Brustkorb ragte.
»Was einer von euch beiden kann, das kann auch der andere«, fasste Tom nüchtern zusammen.
Eric, der noch immer fasziniert auf den „neuen“ Arm sah, ergänzte nüchtern: »Jetzt haben wir es schon mit drei Geistern zu tun. Das entwickelt sich langsam zur Epidemie.« Wir waren eben doch die „Iratus Lemurum“, nur im Moment mehr erstaunt als zornig.
»Aber WIE?«, brachte es schließlich Lukas auf den Punkt, »du hast mich regelrecht leer gesaugt!«
Betroffen sah ich ihn an. Das war mir keinesfalls bewusst gewesen. Nachdenklich reichte ich den anderen die Hand und wir bildeten einen Block. Auch wenn wir uns eigentlich nur erholen wollten, dies war jetzt einfach viel zu wichtig. Julian, der wieder zu uns „zurückgekehrt“ war, übernahm es, Eric, der ja kein Telepath war, bei uns einzubinden.
Stück für Stück gingen wir dann die letzten Minuten noch einmal durch. Allmählich wurde dann klar, wenigstens ansatzweise, wie es geschehen konnte.
Während wir da so interagierten, wurde die Verbindung zwischen mir und Lukas immer intensiver. Nur unterbewusst hatte ich wahrgenommen, dass jetzt eine ähnliche Energie in mich floss, wie bei Behandlungen in der „Maschine“. Im Moment des Höhepunkts hatten Lukas und ich uns so weit synchronisiert, dass er mir mit einem einzigen Impuls seine Ghost-Fähigkeit übertragen hatte.
Wobei, übertragen hatte er mir nur die Möglichkeit diese Fähigkeit nun auch anzuwenden. Er beherrschte sie nach wie vor, insofern entsprach das Übertragen eher einem Weitergeben einer Information. Dieser letzte Impuls von Lukas hatte bei mir scheinbar den für die „Larualisation“ zuständigen Gehirn-Sektor aktiviert oder frei geschaltet.
Doch wie es zu dieser Synchronisation kommen konnte, war uns einfach nicht so ganz klar. Fest stand, dass es nicht so wie das Übertragen der Reiki-Kräfte gehen würde. Hier war viel mehr Energie im Spiel gewesen als bei allem, was wir mittels Reiki bisher gemacht hatten.
Tom lächelte verträumt vor sich hin und sah Julian dabei an: »Also ich würde mich für ein Experiment opfern.«
Julian sah zu mir und wir alle mussten grinsen. Die Versuchung war verdammt groß. Wenn es uns gelang - also, wenn es Julian schaffen würde, auch auf Tom die „Larualisation“ zu übertragen - die Folgen wären kaum noch abzusehen. So was dürfte dann natürlich niemals bekannt werden. Alleine schon der Gedanke, die Darwinianer würden erfahren, dass wir es auch ohne ihre „Maschine“ schaffen könnten,...
Aber andererseits - ich sah zu Tom - wäre es einfach nicht fair, es nicht zu probieren. Wir hatten nun eine Idee, wie es funktionieren könnte. Wir kannten im Prinzip sogar die genaue Modulation - es war dieselbe, die wir für die Aktivierung benötigten. Hatte nicht schon Dr. Brunner gemeint, wir könnten mittels Qi Gong die Modulation viel genauer abstimmen und unsere Fähigkeiten so gezielt erweitern? Ob er dabei auch an so etwas gedacht hatte?
»»Wohl eher nicht««, grinste Julian
Nach kurzem Zögern war für mich die Sache klar: »Ich bin dafür, dass wir es probieren! Was kann schon passieren? Im schlechtesten Fall verderbt ihr euch einen schönen Augenblick durch zu viel Konzentration!«
Julian sah Tom auffordernd an: »Wenn du es willst, ich bin zu allen Schandtaten bereit.«
Lukas und ich lehnten uns zurück. Wenn es Julian wirklich gelingen sollte, dann stand dem weiteren Ausbau unserer Kräfte wirklich nichts mehr im Wege. Dabei fiel mein Blick auf Eric. Ich grinste ihn an, während er sich zu uns kuschelte. Würde er der Nächste sein? Würde er seine „Unberührtheit“ diesem höheren Ziel „opfern“? Völlig eigennützig wünschte ich, dass Julian bei Tom Erfolg haben würde.
Denn auf Eric war ich wirklich schon lange scharf. Noch immer spielte er in unserer Runde nur als „Aktiver“ mit. Zwar hatte er sich immer mal wieder „angeboten“, aber nur weil er spürte, dass wir gern mehr wollten und nicht weil er es selbst wollte. Deshalb war er noch immer „unberührt“. Keiner von uns wollte, dass er „es“ nur für uns tat.
Als Julian und Tom langsam zu ihrem Höhepunkt kamen, klinkte ich mich bei Julian ein und half so im Hintergrund, die Energie entsprechend zu modulieren. Als es dann soweit war, ging es fast ganz von allein. Julian musste die Übertragung nur noch anstoßen und Tom bekam seine Ladung ab. Wie ich auch, so verschwand er einen Augenblick später in „Phase“ und kehrte sogleich, breit grinsend, zurück.
Doch auch an Julian war die Aktion nicht spurlos vorübergegangen. Er war, ebenso wie Lukas, völlig ausgepowert und brauchte eine gehörige Menge Reiki, um einigermaßen fit zu werden. »In die Massenproduktion können wir so aber nicht gehen«, kicherte Lukas, der noch immer etwas schwächelte.
Als ich Eric ansah, schüttelte dieser den Kopf: »Erst muss Julian wieder völlig regeneriert sein, bevor wir darüber nachdenken können. Einer von euch beiden sollte immer völlig einsatzbereit sein.«
Wahrscheinlich hatte er Recht. Noch hatten wir keine Ahnung, wie lange wir für eine Regeneration brauchten. Das letzte Mal, als ich so ausgepowert war wie Julian jetzt, dauerte es mehr als einen ganzen Tag, um wieder einigermaßen fit zu werden. In der derzeitigen Situation konnten wir es uns wirklich nicht erlauben, dass gleich drei von uns am Ende ihrer Kräfte waren.
Aber ich fühlte noch immer die Energie von Lukas, es war wie eine Übersättigung. Auch war ich sicher, dass es bestimmt nicht notwendig war, so viel Energie dabei zu übertragen. Doch das war im Moment nicht so wichtig, denn ich wollte noch etwas anderes herausfinden.
Ohne weiter auf seine Bemerkung einzugehen, setzte ich mich Eric gegenüber und legte ihm meine Hände an die Schläfen. Ich hatte nur eine vage Idee, aber ein Versuch konnte nichts schaden. Noch immer sah er mich ein wenig kritisch an, aber ich war mir sicher, dass ich mich hierbei nicht überanstrengen würde.
Vorsichtig tastete ich mich zu ihm durch. Wieder war ich über seine Art zu denken überrascht und auch ein wenig verunsichert. Er wog gerade die Konsequenzen ab, die sich daraus ergeben würden, wenn wir beliebig unsere Fähigkeiten weitergeben konnten. Doch das interessierte mich im Moment einfach nicht und ich blendete diesen Teil seiner Gedanken einfach aus. Langsam begann ich mich auf ihn einzuspielen. Ich passte die PSI-Energie, die ich nutzte um ihn abzutasten, auf seine individuelle Schwingung an, ich synchronisierte mich auf seine Signatur.
Dann begann ich die PSI-Energie zu modulieren. Es war nur eine Idee, aber ich war relativ sicher, dass es so gehen würde. Tatsächlich begann sich seine Signatur zu verändern. Sie änderte sich so, wie sich die Signatur von uns allen schon einmal geändert hatte. Ich hatte mich darauf beschränkt, nur die Modulation zu benutzen, die ich bei uns allen und bei allen Telepathen, die ich kannte, gefunden hatte. Mit anderen Worten, ich machte Eric zum Telepathen.
Als ich mich von ihm löste, war ich noch immer bei voller Kapazität, oder wenigstens annähernd, jedoch sehr müde. Diese Behandlung hatte mehr als zwei Stunden gedauert, wie ich dann, als wir fertig waren, feststellen musste. Doch nun fühlte ich die ersten, sehr vorsichtigen Tastimpulse von Eric als leichtes Kribbeln im Hinterkopf. Er war jetzt wirklich ein Telepath.
Triumphierend sah ich zu Julian, der jedoch nur den Kopf schüttelte. OK, wir hätten es vorher vielleicht wirklich besprechen sollen. Doch dann nahm er mich nur liebevoll in den Arm und wenig später war ich eingeschlafen.
Ich wurde durch eine telepathische Unterhaltung wach. Die Jungs unterhielten sich gerade über die Auswirkungen, die das alles haben könnte. Eric steuerte dazu an die zwanzig verschiedene Szenarien bei, während er sich noch um die Zubereitung einer leckeren Mahlzeit kümmerte.
Kochen war eines seiner Hobbys und gerade bereitete er eine Lasagne zu. Alle anderen lümmelten neben mir auf dem Bett herum. Ich lag noch immer halb auf Julian, der mich sanft am Kopf kraulte. »»Soll ich jetzt anfangen zu schnurren?««
»»Warum nicht?««, selbst telepathisch klang seine Stimme sanft.
»»He, He - Lukas ist die einzige Ghost-Cat««, vernahm ich Toms Protest.
Lukas drehte sich zu uns um: »»Jetzt sind wir wirklich die „Iratus Lemurum“. Wenn das Frank erfährt, rotiert er durch ganz Camelot.««
»»Warum benutzt ihr eigentlich die Telepathie?««, wollte ich nun doch wissen. Meist nutzten wir sie nur, wenn es um Dinge ging, die man nur sehr schwer ausdrücken konnte. Doch diese Unterhaltung war doch völlig normal.
»Na, damit ich langsam ein wenig in Übung komme und nicht so laut rufen muss«, rief Eric lachend aus der Küche.
»»Ach so, ich dachte, wir wollten entspannen««, gab ich zu bedenken.
»»Bist ja selbst schuld, hättest Eric eben nicht zum Telepathen machen dürfen««, vernahm ich Lukas, der mich dabei aber fröhlich angrinste.
»»Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen? Ich dachte schon, wir müssten unsere körperliche Interaktion vertiefen, um so etwas zu erreichen?««, fragte mich Eric.
»»Es war mehr so eine spontane Erleuchtung! Eine Kombination der Fakten, die wir hatten, und ein Schuss ins Blaue. Reiki konnten wir so weitergeben. Telepathie war die erste Fähigkeit, die jeder von uns „Transmutanten“ bekam und sie ist auch die am weitesten verbreitete Fähigkeit unter den Mutanten. Ich war daher einfach sicher, dass es am leichtesten sein würde, Telepathie weiterzugeben. Wie gesagt, es war mehr Intuition als rationale Überlegung««, versuchte ich die Dinge zusammenzufassen, die mir dabei durch den Kopf gegangen waren.
»»Dafür hat es aber überraschend gut funktioniert««, murmelte Tom. Dass man auch telepathisch murmeln konnte, war mir auch noch nie aufgefallen, dachte ich so bei mir.
»»Nicht nur murmeln, auch flüstern und kichern ist möglich««, griff Lukas meinen Gedanken auf.
»»Flüstern auch?««, Erics Frage klang erstaunt.
Aber auch ich war erstaunt, besonders als Lukas dann wirklich flüsterte: »»Klar, die Lautstärke ist deswegen allerdings nicht leiser. Ihr empfangt mich mit der gleichen Intensität mit der ich normal „spreche“ oder auch „BRÜLLEN“ würde. Es ist der Ton, der die Musik macht, und bei uns eben das, was bei der Nachricht noch „mitschwingt“.«« Tatsächlich, die Nachricht war genau so von meinem Gehirn interpretiert worden. Als er „Brüllen“ sendete, spürte ich wirklich, dass dieses Wort lauter war als die anderen. Aber auch das Lachen war ja bisher immer gut „rüber“ gekommen.
»»ESSEN IST GLEICH FERTIG!««, „brüllte“ Eric entsprechend der neuen Erkenntnisse. Und wir konnten uns tatsächlich dazu aufraffen, unsere gemütliche Liegewiese zu verlassen. Wie die anderen schlüpfte ich nur in meine Shorts und machte mich noch ein wenig frisch, bevor wir den Tisch deckten.
Tom warf die Teller, Besteck und Gläser herüber, die Lukas telekinetisch abfing. Julian und ich verteilten dann alles auf dem Tisch. Im Zirkus hätten wir damit sicherlich auch Erfolg gehabt. Eric stand noch immer in der Küche und starrte erwartungsvoll auf den Ofen, in dem die Lasagne garte.
Ich konnte mich nicht beherrschen und trat hinter ihn, drückte meinen Unterleib gegen seinen knackigen Hintern und „flüsterte“: »»Hast ja noch einmal Glück gehabt, dass es auch ohne Interaktion der körperlichen Art geklappt hat.««
Grinsend drehte er sich um und wir sahen uns in die Augen. Wieder spürte ich eine Verbundenheit mit ihm, wie ich sie sonst nur für Tom oder Lukas empfand. Meine Empfindungen für Julian gingen natürlich noch weiter, aber manchmal fragte ich mich, warum mir Eric so nahe ging.
Noch bevor ich es richtig realisieren konnte, lagen wir uns in den Armen und ich wollte ihn einfach nur halten, ihm zeigen, dass ich ihn so mochte wie er war. Und da wurde uns beiden klar, und damit allen anderen auch, weshalb ich probiert hatte, die Telepathie so auf Eric zu übertragen.
Bisher hatte noch keiner „aktiv“ mit ihm geschlafen und ich wollte es einfach nicht, dass es „nur“ wegen der Übertragung von Fähigkeiten geschah. Einerseits hatte ich es mir gewünscht, doch andererseits genau deswegen auch wieder verhindert. „Es“ sollte geschehen, wenn er dazu bereit war, und nicht weil es gerade „angebracht“ oder gar „notwendig“ war.
Eric öffnete sich nun ganz. Eine Welle der Zuneigung und, ja, auch Liebe überrollte mich. Dann war da noch ein Wort, das alles sagte: »»Danke!«« Und mehr war wirklich nicht nötig.
Alle standen um uns, Julian lehnte sich von hinten an mich und Lukas brachte es auf den Punkt: »»Manchmal machst du die Dinge verdammt kompliziert! Aber jetzt bin ich wirklich stolz auf dich.««
Was soll das heißen, ich mache die Dinge kompliziert? Die Dinge sind kompliziert! Aber ich wusste auch so was er meinte. Nach einigen Augenblicken des Schweigens war es Tom, der die Lasagne vor dem Verbrennen rettete.
Nach dem Essen und Aufräumen machten wir noch einen gemeinsamen Spaziergang. Jeder hing seinen Gedanken nach, Diskussionen kamen keine auf, jeder genoss die Ruhe auf seine Art.
Abends saßen wir zusammen und versuchten die Möglichkeiten, die sich uns da eröffnet hatten, zu erfassen. Konnten wir nun möglicherweise auch von anderen Mutanten Fähigkeiten übernehmen? Die anfängliche Euphorie machte bald einer gewissen Nüchternheit Platz. Mehr noch als bei mir, hatte ich bei der Übertragung von Julian zu Tom gespürt, dass bei Julian ein eigener Sektor aktiv geworden war. Ich hatte ihm geholfen alles vorzubereiten, doch im entscheidenden Augenblick war er es gewesen, der die Übertragung „angestoßen“ hatte.
Je mehr wir darüber diskutierten und jeweils auf unsere Erinnerungen zugriffen, desto klarer wurde uns, dass das Übertragen von Fähigkeiten wiederum eine eigene Fähigkeit war. Genau diese Fähigkeit wurde eben auch bei der Übertragung von Erics Telepathie angesprochen. Sex war dazu also nicht notwendig, wenn auch offensichtlich sehr hilfreich.
Es war auch nicht Lukas, der mir seine „Ghost-Fähigkeit“ gegeben hatte - ich hatte sie mir einfach genommen. Deshalb war er auch so „ausgelutscht“. Und ich bezweifelte sehr stark, dass ein anderer Mutant so etwas mit sich machen lassen würde. Oder wenn es geschah, hinterher noch ein gutes Wort mit uns sprechen würde.
Entgegen meiner ursprünglichen Absicht beschlossen wir schließlich doch, dass wir darüber mit Sammy sprechen mussten. Bei ihm hatte ich, ähnlich wie bei Eric, gleich von Anfang an ein sehr gutes Gefühl. Ich war sicher, dass wir ihm vertrauen konnten und alle anderen waren derselben Meinung. Sogar Tom, und dessen Vertrauen konnte man wirklich nicht leicht gewinnen.
12. - I Don't Like Mondays
Campus-Occursus, Sonntag, 02.12.2035
Am Sonntag, pünktlich um 18 Uhr, es war schon dunkel, holte uns Martin mit dem Flugschrauber ab. Wir hatten den Tag für einen ausgedehnten Spaziergang genutzt und nebenbei noch allerlei „Unfug“ gemacht. Natürlich war der Reiz groß gewesen immer mal wieder unsere neue Fähigkeit auszuprobieren. Lukas, der ja schon im Labor ausgiebig „herumgegeistert“ war, kümmerte sich während unserer „Geisterstunden“ um Erics Telepathie.
Wir drei neuen Geister experimentierten dafür umso ausgiebiger mit der Larualisation. Erstaunlich war auch, dass sowohl Lukas als auch Julian sich inzwischen vollständig regeneriert hatten. Also würde Sammy mit seiner Prognose, dass die Regeneration von Mal zu Mal schneller ging, wahrscheinlich wieder Recht behalten.
Zwei Versuche von Julian und mir, Eric auf „normale“ Art die Ghost-Fähigkeit zu übertragen, waren gescheitert. Außer Kopfschmerzen hatte Eric nichts bekommen. Anfangs wurden seine telepathischen Kräfte sogar etwas schwächer. Scheinbar war die Energie die wir übertrugen zu gering, oder wir hatten einfach einen Denkfehler gemacht. Ein Grund mehr weswegen wir uns mit Sammy besprechen wollten.
Nico, Remo und Mischa waren auch schon per Sprung im Campus eingetroffen. Solche Entfernungen schaffte Nico inzwischen sogar mit zwei Begleitern, dabei waren es immerhin etwas mehr als zwölf Kilometer reine Luftlinie. Insofern hatte sich seine Reichweite also nahezu verdoppelt, und das auch noch mit Last!
Wir Mutanten zogen uns wenig später zurück und berichteten unseren „Schülern“ von unseren neuen Erkenntnissen. Natürlich war Nico, der ja auch Telepath war, die Signaturänderungen bei uns aufgefallen. Im ersten Augenblick hatte er Eric völlig verstört angesehen. Gesagt hatte er allerdings nichts, bis wir selbst ihn und die beiden anderen einweihten.
Zu sagen, dass sie überrascht waren, wäre eine glatte Untertreibung. Anfangs wollten es Remo und Mischa einfach nicht glauben und nach einer Vorführung sahen sie uns wieder so an wie am ersten Tag. Doch zum Glück fing sich das dann bald wieder und natürlich versprachen sie, es vorläufig für sich zu behalten.
Doch so konnten wir nun mit ihnen darüber diskutierten, welche Probleme sie darin sahen. Sie waren ja schließlich „echte“ Mutanten und die reagieren bekanntlich manchmal etwas anders als wir. Nico, der wie üblich alles sehr locker nahm, brachte dann auch wieder die Warnung hervor, mit der wir am ehesten gerechnet hatten. Die Freien Mutanten würden sich dadurch sicherlich noch mehr unter Druck gesetzt fühlen. Mutanten, welche die Fähigkeiten anderer „replizieren“ konnten, hatte es nach seinem Kenntnisstand bisher noch nie gegeben.
Wir wussten auch nicht, ob alles wirklich so einfach war, wie Nico sich das vorstellte. Er hatte da eine sehr „eigene“ Vorstellung, wie „es“ geschehen war. In Nicos Phantasie fanden schon regelrechte Orgien statt. Vielleicht hätten wir doch nicht so genau darauf eingehen sollen, wie wir die Ghost-Fähigkeit empfangen beziehungsweise weitergegeben hatten.
Er stellte sich auch sogleich für ein Experiment zur Verfügung, falls wir an seiner Teleportation interessiert wären. So viel zu meiner Behauptung, dass andere Mutanten so was nie mitmachen würden. Er war dazu bereit, und das ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Dass er mich dabei ständig angrinste und sich sehr bildhaft vorstellte, Lukas Position aus unserer Schilderung einzunehmen, zählt ja wohl nicht.
Am Ende stand aber fest, dass die Jungs kein Problem damit hatten. Für sie war es eben eine ungewöhnliche Fähigkeit - mehr aber auch nicht. Wobei ich den Gedanken, in Zukunft teleportieren zu können, sehr reizvoll fand. Doch wir wollten erst noch ein wenig trainieren und abwarten, bevor wir so etwas angehen würden. Etwas beruhigt gingen wir bald darauf zu Bett, denn für Montag war wieder ein volles Programm angekündigt.
Campus-Occursus, Montag, 03.12.2035
Der Tag begann, wie inzwischen üblich, zuerst mit Sport. Beim anschließenden Frühstück informierten wir auch Stefan und Pascal, der mal wieder zu Besuch war, über die Neuigkeit. Nicht sonderlich ausführlich, aber genug, damit sie wussten, dass wir uns noch immer weiterentwickelten. Pascal, dessen Fähigkeiten auch immer besser wurden, seit er regelmäßig mit uns und Frank trainierte, hatte da dann auch etwas mehr über die Umstände der Weitergabe erschnüffelt. Er sagte jedoch nichts dazu. Gelten doch schon „normale“ Schwule als eher polygam, so traf dies auf uns Mutanten in noch stärkerem Maße zu. So interpretierte ich jedenfalls sein Grinsen.
Bald nach dem Frühstück waren wir schon wieder dabei, in einem neuen Experiment für Prof. Heller Antimaterie zu erzeugen. Er hatte die Zeit unserer Abwesenheit genutzt und eine so genannte „Magnetflasche“ heranschaffen lassen. In dieser konnte Antimaterie aufbewahrt werden, indem starke Magnetfelder verhindern, dass die Antimaterie mit der Gefäßwand in Wechselwirkung gerät und es zu einem Annihilationsprozess kommt. In der Flasche selbst musste natürlich, bis auf die Antimaterie, ein absolutes Vakuum herrschen.
Wir benötigten fast zwei Stunden, die verbliebenen Materieteilchen in der Flasche zu eliminieren. Julian und ich wechselten uns dabei ständig ab, ohne dass die anderen es bemerkten. Dann gelang es uns tatsächlich, eine winzige Menge gefrorenen Wasserstoff in „Anti-Wasserstoff“ zu wandeln.
Julian und ich unterstützten gerade Olaf und Jörg, die mit der Feinjustierung der Magnetfelder beschäftigt waren, indem wir die Anti-Wasserstoff-Moleküle telekinetisch zusammen hielten, als uns ein heftiger Impuls von Frank erreichte.
Er war noch immer bei den Hoods und rief uns nun so „laut“, dass wir beinahe die Kontrolle verloren hätten. Es wäre zwar nicht gefährlich geworden, so groß war die Menge nicht, aber die ganze Arbeit wäre umsonst gewesen. Was der Professor dazu gesagt hätte, mochte ich mir erst gar nicht vorstellen.
Die Heftigkeit, mit der Frank uns rief, ließ jedoch nur den Schluss zu, dass im „Sektor 20“ etwas sehr Außergewöhnliches geschehen sein musste. Also zog ich mich zurück und nahm den „Anruf“ an. »»Hallo Frank, was ist passiert?««, eröffnete ich das Gespräch.
»»Ihr müsst sofort kommen! Wir haben hier einen Notfall und ich weiß nicht, wie schlimm es noch werden wird. „King Roy“ hat ein paar unserer Jungs angegriffen, wir haben Verletzte und einer wurde entführt.««
»»Scheiße! Wie schlimm?««, wollte ich wissen und spürte, dass sich nun auch Julian eingeklinkt hatte.
»»Sieht nach Verbrennungen am ganzen Körper aus. Robin und ich sind zu schwach, ihnen wirklich helfen zu können.««
»»OK, wir kommen. Nico wird uns transportieren.««
Der erschien auch schon im selben Augenblick, und ohne auf die überraschten Gesichter unserer drei Weißkittel zu achten, verschwanden wir aus dem Labor und waren in der gleichen Sekunde auch schon in „Camelot“.
Camelot, Montag, 03.12.2035
Die Jungs hatten wenigstens keine Schmerzen, die waren durch Medikamente und das Reiki von Robin und Frank ausgeschaltet worden. Bei einem, Jan, sah es ziemlich schlimm aus. Zwei andere, Rene und Dorian, waren noch einmal relativ glimpflich davon gekommen. Sandro, unser Doc Holiday, teilte uns dann gleich mit, dass es keine thermische Verbrennungen seien. Die Verletzungen seien eher vergleichbar mit einer Verbrennung durch Trockeneis oder etwas Ähnlichem. Der Haut war offensichtlich Flüssigkeit entzogen worden, sie war völlig ausgetrocknet und teilweise aufgeplatzt.
Noch während wir mit der Untersuchung von Jan beschäftigt waren, brachte Nico mit einer weiteren Teleportation Lukas und Tom, als „Nachlieferung“, wie er grinsend anmerkte. In solchen Situationen wäre es wirklich nicht schlecht, wenn wir auch teleportieren könnten.
Jan war ein „Normalo“, die restlichen drei Beteiligten waren Mutanten. Wobei der dritte, Metin, das Entführungsopfer war. Tatsächlich war ihrer Haut das Wasser entzogen worden. Zum Glück wirklich nur an der Oberfläche und dann auch nicht vollständig, jedoch war es trotzdem schlimm genug.
Von Robin erfuhren wir, dass „King Roy“ wahrscheinlich für die Verletzungen verantwortlich war. Denn er beherrschte, nach neuesten Informationen, eine Abart der Telekinese, die man Hydrokinese nannte. Wenn er wirklich böse wurde, konnte er dem ganzen Körper eines Menschen das Wasser entziehen - die absolute Dehydration. Aber auch sonst schien er alles Mögliche mit Wasser machen zu können.
Doch „King Roy“ war uns im Moment nicht so wichtig. Zuerst kümmerten wir uns um Jan, und es war glücklicherweise nicht all zu schwer, ihn zu regenerieren. Da Rene und Dorian wesentlich besser davon gekommen waren, kümmerte sich Julian anschließend um Rene, während ich Dorian versorgte. Nebenbei erfuhren wir so, dass es ihnen möglich gewesen war, einen Teil von „King Roys“ Angriff abzuwehren. Beide waren schwache Telekineten, aber immerhin stark genug, um einen Teil der Energie zu blocken. So blöd das klingen mag, für uns war dies eine wichtige Information.
Aber auch Metin hatte psychokinetische Fähigkeiten. Wobei Telekinet auf Metin Eslik nicht so richtig zutraf, er war Aerokinet. Einem Aerokinet ist es möglich, Bereiche mit extrem hohem Luft-Überdruck oder Luft-Unterdruck zu erschaffen. Ihm war es somit möglich, einem Gegner im wahrsten Sinne die Luft abzudrehen oder ihn vor eine Wand aus Luft zu stellen. Metin selbst war noch nicht sonderlich stark und hätte eigentlich zu der nächsten Gruppe gehört, die mit uns im Campus-Occursus trainieren sollte.
Doch nun war er in „King Roys“ Händen. Das Ganze war mehr als nur die „Rekrutierung“ eines Mutanten, es war eine Herausforderung an uns. Diesmal musste es uns auch niemand erklären, die Provokation war wirklich offensichtlich. Wir alle hatten damit gerechnet, dass der „King“ irgendwann die Geduld verliert. Dass es so schnell gehen würde, damit hatte er uns wirklich überrascht.
Es wurde Zeit für eine Krisensitzung und so zogen wir uns wieder in Robins Büro zurück. Aber zu viel Zeit wollte ich diesem „King Roy“ nicht lassen. Ich wollte so schnell als möglich zuschlagen, damit er sich nicht auf unseren Gegenschlag vorbereiten konnte.
Eric, der mit Nicos dritter und vorläufig letzter „Lieferung“ zusammen mit Sammy hier eingetroffen war und mit zu der „Tafelrunde“ gehörte, widersprach mir jedoch sofort.
»Mike! Jede überhastete Reaktion von uns wäre ein unnötiges Risiko. „King Roy“ wollte die drei nicht töten, sonst hätte er es einfach getan. Außerdem musst du davon ausgehen, dass er diese Aktion schon lange geplant hat. Insofern bringt ein schneller Gegenschlag überhaupt nichts, außer einem hohen Risiko für uns. Er hat sich sicherlich schon längst auf unsere Reaktion vorbereitet!«
Auch Robin, der inzwischen einige Informationen über „King Roy“ zusammen getragen hatte, war dieser Meinung: »Der Kerl neigt zwar dazu, sehr exzentrisch und spontan zu sein, jedoch würde er so eine Aktion niemals ohne Vorbereitung starten. Wir wurden inzwischen ausdrücklich davor gewarnt, übereilt zu reagieren.«
»Wer hat wen gewarnt?«, wollte ich in dunkler Vorahnung wissen.
»Die Warnung stammt aus dem inneren Kreis der Freien Mutanten, sie wurde uns aber von einem Freelancer übermittelt«, sagte Frank und zeigte mal wieder sein zynisches Grinsen.
Ich verstand jetzt eigentlich überhaupt nichts mehr. Das zeigte wohl auch mein Gesicht, und so erbarmte sich Frank und schob noch ein paar Erläuterungen nach.
»Die Freien Mutanten haben „King Roy“ schon länger im Auge, das haben wir ja schon besprochen. Scheinbar sind sie auch davon überzeugt, dass ihr, die „Iratus Lemurum“ dessen „Monarchie“ schnell beenden könntet. Nur fürchten die „Freien“, die Begleiterscheinungen dieses Umsturzes könnten Ähnlichkeiten mit einem Nuklearangriff haben. Dies würden dann, nach allgemeiner Auffassung, nicht mehr in die Kategorie „unauffällig“ gehören.« Ihn schien der Gedanke allerdings eher zu erheitern.
Schnell fuhr er fort: »Generell signalisieren sie jedoch, dass sie es gerne sähen, wenn das Problem „King Roy“ erledigt wäre. Eine „endgültige“ Lösung würde bevorzugt«, Franks Stimme triefte nur so vor Zynismus. Ihm schien es geradezu Schmerzen zu bereiten, dass wir für die „Freien“ jetzt die Drecksarbeit erledigen sollten.
Julian sah mich fragend an: »Eine „endgültige“ Lösung würde bevorzugt? Sollen wir ihn jetzt exekutieren?«
Ich zuckte nur mit den Schultern: »Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist. Nur um den Freien Mutanten einen Gefallen zu machen, werde ich nicht zum Mörder. Immerhin hat er keinen von unseren Jungs bisher wirklich schwer verletzt. Auch ohne Reiki wären die Verletzungen in ein paar Wochen weitgehend geheilt.«
»Aber einige Narben wären trotzdem zurückgeblieben, besonders bei Jan«, erklärte Sandro, ergänzte aber sogleich, »allerdings ist auch das kein Grund, jemanden zu töten.«
»Weiß sonst noch jemand einen Grund, weswegen wir „extrem“ gegen ihn vorgehen sollten?«, wollte Tom wissen und sah dabei besonders Robin an, da der neben Frank die meisten Informationen hatte.
Robin wollte gerade mit einer Zusammenfassung beginnen, als Frank kurz die Hand hob und sich konzentrierte. Offensichtlich empfing er gerade eine Nachricht, grinste dann böse und schloss sich mit Nico kurz, der daraufhin verschwand, um einen weiteren Personentransport durchzuführen.
»Einige Leute werden nervös, weil hier so eine geballte Kapazität zusammengekommen ist«, dabei sah er uns Transmutanten nacheinander und sehr nachdenklich an. »Nico und Robin haben doch von Leon Walleras, dem Freelancer und Hypno, erzählt?«
Wir nickten stumm und gespannt.
»Nun, ich hatte gleich danach einen telepathischen Rundruf unter den Freelancern gestartet, doch leider bisher ohne Erfolg. Aber die Freien Mutanten haben ihn jetzt in Australien aufgespürt und informiert. Er ist bereit uns zu helfen, Nico holt ihn gerade ab. «
»Äh, ist Australien nicht „etwas“ weit für Nico?«, fragte Lukas leicht irritiert.
»Etwas mehr als zwölf Kilometer bestimmt«, grinste Frank mit Pokermiene.
Als er aber sah, dass wir mehr als nur „ein wenig“ angespannt waren, erklärte er die eigentliche Pointe: »Ein Teleporter der Freien Mutanten kommt gerade „zufällig“ aus Australien zurück und hat ihn mitgebracht. Nico muss ihn nur zwei Sektoren von hier abholen.«
»Zufälle gibt's!«, spottete Eric.
»Die haben Teleporter, die diese Entfernung schaffen?«, fragte ich beeindruckt.
»Glaubst du, sie könnten sonst so ein System über Jahre aufrechterhalten? Unter den Freien Mutanten und den Freelancern sind die stärksten Mutanten, die es gibt. Wird euch endlich klar, was es bedeuten kann, wenn diese Mutanten wegen euch besorgt sind?«, Frank sah uns sehr ernst an. »Wenn sie nicht so zerstritten und auch verunsichert wären, dann wärt ihr das Angriffsziel!«
Lukas sah sich kurz in Robins Büro um. Nur die Mitglieder der Tafelrunde und Sammy waren anwesend, alle, bis auf Sandro und Sammy, waren Mutanten. Dann fragte er: »Und wie wollten sie gegen echte Geister kämpfen?«, entgegen seiner Gewohnheit lächelte er nicht.
Zu meinem Erstaunen erfasste Frank sehr schnell was Lukas damit sagen wollte. Er musste unsere veränderte Signatur natürlich längst bemerkt haben. Doch scheinbar war er zu aufgeregt gewesen, dies folgerichtig zu realisieren.
Blass geworden stammelte er nur: »Alle vier?«
Eric schirmte sich total ab und begann dann für alle „hörbar“, auch für Sandro und Sammy, die Kurzfassung unseres Wochenendes zu senden. Für Frank war Erics totale Abschirmung ein weiterer Schlag, er konnte ihn „hören“, aber nicht erfassen, und dass Eric nun auch Telepath war, erschütterte ihn sichtlich.
Sammy raufte sich nur in stummer Verzweiflung die Haare, scheinbar brachten wir ihm da gerade ein paar seiner „gefürchteten“ Hypothesen durcheinander, was er überhaupt nicht leiden konnte. Wobei er selbst natürlich fast stündlich seine Hypothesen modifizierte. Aber dafür war jetzt einfach keine Zeit.
Wichtig war, dass außer unseren Vertrauten niemand von den erweiterten Fähigkeiten wusste. »Wir wollen keinen Krieg mit den Freien Mutanten. Erstens wäre es unnötig und zweitens sind wir im Moment auch nicht in der Lage ihn wirklich zu gewinnen«, versuchte ich meinen Standpunkt zu verdeutlichen.
»Kriege wurden noch nie gewonnen! Man kann nur versuchen, die Verluste klein zu halten«, murmelte Eric grübelnd. Dann sah er zu Sandro: »Du musst dir noch heute einen „Blockadechip“ besorgen. Es ist absolut notwendig, dass niemand von „außen“ davon etwas mitbekommt.«
Sandro signalisierte seine Zustimmung, und der Eingriff war wirklich minimal. Was ihm auch von Sammy gleich versichert wurde, der ja ebenfalls einen trug.
»Jetzt brauchen wir aber erst einmal einen guten Plan für den Tyrannen-Sturz! Ich will nämlich keinen von euch verlieren«, erklärte Julian mit ruhiger Stimme. Dann ergänzte er noch: »Und falls es dafür erforderlich sein sollte, einen Despoten zu eliminieren, dann bin ich dazu bereit.« Dabei klang seine Stimme nicht mehr sanft.
»Robin, du wolltest uns doch vorhin etwas über „King Roy“ und seine „Spartaner“ erzählen. Was hast du über sie in Erfahrung bringen können?«, versuchte ich die Versammlung wieder auf das Kernthema zu bringen.
»Also, ihr habt es ja soweit schon völlig richtig erfasst. Dieser „King Roy“ ist wirklich ein Tyrann oder Despot - oder einfach nur größenwahnsinnig. Er ist nur 1 Meter 65 groß und sieht eher wie 36 aus, ist aber gerade mal 24 Jahre alt. Er ist in seinen lichten Momenten überdurchschnittlich intelligent! Doch meistens befindet er sich scheinbar nur in einer halbrealen Welt. Wie in einem Traum kann er innerhalb von Sekunden alles umschmeißen, was bisher gewesen ist. Aus Freund wird Feind und umgekehrt. Er bastelt sich seine „Wirklichkeit“ je nach Bedarf.« Julian stöhnte vernehmlich. Der Kerl schien also wirklich total unberechenbar zu sein.
Robin fuhr ungerührt fort: »Er selbst ist mit Sicherheit Telepath und Hydrokinet. Nach einigen Quellen ist er aber auch ein echter Telekinet und ein sehr schwacher Suggestor. Er selbst beeinflusst „seine Leute“ also nicht, wenigstens nicht dauerhaft.
Dafür ist Patrick, ein anderer Mutant, der gerade 16 geworden sein soll, zuständig. Patrick wird als „frühreifer“ Mutant bezeichnet, da er schon mit zwölf erste empathische Fähigkeiten entwickelt haben soll. Seine Primärfähigkeit ist jedoch die Hypnosuggestion - und darin soll er unheimlich stark sein.
Je nach Quelle, da gibt es unterschiedliche Aussagen, scheint Patrick aber nur unter Androhung zu „arbeiten“. Anfangs war er scheinbar ein gläubiger Anhänger von „King Roy“, doch in letzter Zeit scheint er sich etwas emanzipiert zu haben. Aber nach wie vor macht er, was „King Roy“ ihm befiehlt, da solltet ihr keine Hoffnung haben.« Damit war Robin am Ende und sah nachdenklich in die Runde.
»Was hat er sonst noch zu bieten? Ich meine, wie viele Mutanten mit welchen Fähigkeiten hat er unter Kontrolle?«, wollte nun Eric wissen.
Jetzt sah Frank von ein paar Folien auf, die er vor sich liegen hatte: »Nach unseren Informationen und denen, die mir schon seit Tagen zugespielt werden, hat er überwiegend Telekineten unter seinen Leuten. Aber, und dies dürfte wirklich interessant sein, seit ungefähr einer Woche wird auch ein Teleporter der Freien Mutanten vermisst, der sich nun bei ihm aufhalten soll«, wieder sah er mich sehr nachdenklich an.
»Dafür können wir aber wirklich nichts! Wieso holen sie ihn denn nicht selbst da raus?«
»Wie schon gesagt, die Zeiten sind im Umbruch. Die meisten der Freien Mutanten fanden dieses System nicht sonderlich gut, es gab nur eben keine Alternative. Mit eurem Auftauchen hat sich alles geändert. Noch glauben einige, dass die „Bruderschaft“ wieder auferstehen wird. Bis auf „King Roy“ traut sich keiner den ersten Schritt aus der Deckung zu machen«, jetzt lachte er bitter.
»Und genau deshalb unterstützen die Freien Mutanten uns nun. Sie wollen fast um jeden Preis verhindern, dass ausgerechnet solche Typen wie „King Roy“ die Situation ausnutzen könnten. Solange wir nicht solche Machtgelüste zeigen, können sie mit uns leben. Anderenfalls werden sie sich doch noch einmal zusammenfinden. Wie das dann allerdings ausgeht, möchte sicherlich keiner von uns erleben.«
»Du meinst, sie haben sich jetzt schon damit abgefunden, dass ihre Herrschaft abgelaufen ist?«, wollte Julian wissen.
»Sie haben nie wirklich geherrscht und du solltest nicht den Fehler begehen, sie als eine homogene Gruppe zu sehen. Sie haben sich nur zusammengefunden, wenn es galt, machthungrige Gruppen „zurückzustufen“ oder grobe Verstöße gegen die Große Konvention zu verhindern. Nie haben sich alle Freien Mutanten zusammengefunden. Es waren immer nur wechselnde Mehrheiten, die für eine bestimmte Aktion mobilisiert werden konnten. Es gibt und gab auch nie einen Chef, sondern immer nur den Großen Rat, der sich aber größtenteils aus den Ideologen zusammensetzte.«
Wieder machte Frank eine Pause und erläuterte dann weiter: »Mit eurem Auftauchen und dem Verhalten, das ihr gezeigt habt, wurde alles umgestürzt was bisher galt. - Nico hat euch angegriffen. Doch anstatt ihn zu töten, habt ihr ihm, Robin und den Hoods geholfen. Ihr habt einen Angriff der Darwinianer zurückgeschlagen, wie es bisher noch keine andere Gruppe getan hat. Und ihr seid eine Gruppe von Mutanten, von denen jeder alleine jederzeit als Freelancer bestehen könnte.
Dass ihr dann auch noch als „Erben der Bruderschaft“ aufgetreten seid, war nur noch das Sahnehäubchen«, mit einem bösen Lächeln fügte er noch hinzu, »ihr habt den Ideologen die Basis entzogen. Sie finden einfach keine Mutanten mehr, die sie gegen euch mobilisieren könnten. Und die meisten Freelancer sympathisieren sowieso mit euch, da sie ja nur Freelancer wurden oder sind, weil ihnen das bestehende System nicht gefällt.«
»Entscheidend ist also, wie wir uns jetzt im Kampf gegen „King Roy“ verhalten?«, fragte Eric.
»Wenn es uns gelingt, eine vernünftige Alternative anzubieten, werden wir kaum noch Probleme haben«, gab Frank ihm Recht.
»Wir wollten aber das alles nicht umstürzen! Wenigstens nicht so schnell«, gab ich zu bedenken.
Da Robin mich fragend ansah, fügte Julian noch erklärend hinzu: »Wir sind vor Wochen mit Pascal zu der Überzeugung gekommen, dass wir nur langsam versuchen sollten, die „Bruderschaft“ in Form der „Iratus Lemurum“ wieder auferstehen zu lassen. Auch, und gerade in Kombination mit dem, was ihr, die Hoods, schon macht, nämlich auch Normalos aufzunehmen. Es sollte keinen Sturz der Freien Mutanten geben, sondern einen steten Wandel.«
Lukas stöhnte und sah demonstrativ auf die Uhr: »Was soll das Ganze denn nun? Es hat doch keinen Sinn, ständig darüber zu diskutieren, was alles möglich sein könnte.
Fakt ist: Erstens, die Freien Mutanten sind im Moment keine reelle Gefahr für uns, solange wir sie nicht ganz grob provozieren.
Zweitens, Metin ist von diesem „King Roy“ entführt worden und wir müssen etwas für seine Befreiung unternehmen.
Drittens, wir sollten, wenn alles vorbei ist, sobald als möglich Kontakt zu den Freien Mutanten und den Freelancern aufnehmen. Alleine schon damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.
Und viertens, wo bleibt Nico? Ich dachte, es sind nur zwei Blocks?«
Entschuldigend hob Frank die Hände und grinste uns an: »Nico ist schon lange zurück. Ich hatte ihn nur gebeten, mit Leon in der Kantine zu warten, bis wir hier das Nötigste geklärt haben. Wir sollten doch wenigstens einen Plan haben, wie wir gegen „King Roy“ vorgehen.«
»Unsinn! Wir müssen erst Näheres über die Hypnosuggestion erfahren und wie stark King Roys Hausmacht ist, bevor wir überhaupt mit einem Plan anfangen können. Sorry Frank, aber alles andere macht wirklich keinen Sinn.« War Eric anfangs heftig geworden, versuchte er es dann doch wieder etwas abzumildern, als er Franks Reaktion bemerkte. Denn der war regelrecht aufgeschreckt, als Eric loslegte.
Frank sah zuerst zu Eric und dann zu mir, so dass ich ergänzte: »Wenn es um so was geht, dann verlasse wir uns ganz auf Eric. Er kennt uns und unsere Fähigkeiten und hat uns auch aus Labor-23 geführt.«
Das sah Frank dann auch ein, schließlich kannte er als einer der wenigen alles über diesen Teil unserer Geschichte. Nachdem wir noch ein paar andere Kleinigkeiten besprochen hatten, riefen wir Nico, der wenig später mit Leon zusammen in unser Besprechungszimmer kam.
Noch bevor Leon das Zimmer betrat, spürten wir seine Anwesenheit. Eine unbestimmte Aura oder Kraft ging von ihm aus, die jedoch keinesfalls bedrohlich wirkte. Nein, eigentlich eher das absolute Gegenteil. Als ich in seine dunklen Augen sah, spürte ich eine fast schon beunruhigende Ruhe, die von ihm aus ging. Ich musste mich bewusst abschirmen, um nicht seiner Ausstrahlung zu verfallen, und ihn wirklich wahrnehmen zu können.
Er war 1 Meter 88 groß und wirkte nicht allzu sportlich. Seine Augen waren groß, dunkel und einfach alles beherrschend. Sie zogen den Blick förmlich an. Man verspürte fast schon einen Zwang, ihm in die Augen zu sehen, selbst wenn man sich völlig abschirmte. Der Kopf war bis auf einen vier Zentimeter breiten Streifen rasiert, der ihm von der Stirn bis in den Nacken ging und tief blau gefärbt war. Die ganze sichtbare Haut hatte eine tief braune Farbe, was eigentlich inzwischen als ungesund galt, wenigstens für Mitteleuropäer.
Wie fast alle Mutanten bevorzugte er schwarze Kleidung. Er trug wie wir auch schwarze Lederschnürjeans, T-Shirt und einen knielangen Mantel gleicher Farbe und Materials. Jetzt zeigte sich sogar ein freundliches Lächeln, als er Frank, der aufgestanden war, umarmte. Frank hatte nie erwähnt, dass sie sich persönlich kannten.
Nun, so gut wie ich zuerst gedacht hatte, kannten sie sich eigentlich nicht. Sie waren sich mehrfach begegnet und hatten ab und zu voneinander gehört. Nur im Moment war Frank eben der Einzige, den er außer Nico und Robin kannte. Den Einzigen, den Leon etwas misstrauisch ansah, war Eric, selbst nachdem der seine Indeprenthie auf bloße Abschirmung herunter gefahren hatte.
Doch sonst war er wirklich äußerst nett und sehr hilfsbereit. Er verabscheute das, wozu Patrick von „King Roy“ gezwungen wurde, und war deshalb auch bereit uns zu unterstützen. Er hatte absichtlich gleich zu Anfang eine „Grundstrahlung“ verbreitet, damit wir einen Eindruck bekamen, was da auf uns zukam. Wie wir, jeder für sich selbst, festgestellt hatten, fiel es einem telepathisch veranlagten Mutanten nicht sonderlich schwer, sich gegen diesen Einfluss abzuschirmen. Deshalb hatte „King Roy“ wohl auch keine Telepathen unter seinen „Spartanern“.
Wenn Leon allerdings wirklich aktiv und konzentriert nach uns „griff“, war es uns fast nicht mehr möglich, diesen Angriff abzuwehren. Innerhalb der nächsten Stunden lernten wir, dass uns unsere „Stärke“ oder „Macht“ nicht viel gebracht hätte, wären wir wirklich unvorbereitet auf einen Mutanten wie Leon getroffen. Immer wieder versuchte er uns die Grenzen unserer Fähigkeiten aufzuzeigen. Dabei wollte er uns aber auch klar machen, dass ein Hypno oder Suggestor niemals soweit gehen durfte, wie er bei uns in seinen Demonstrationen ging.
Dass er sich dabei selbst etwas vormachte, war ihm scheinbar nicht klar. Er selbst, davon war ich überzeugt, würde nicht soweit gehen. Jedoch von sich auf jeden anderen Hypno zu schließen, fand ich dann doch sehr gewagt. Nachdem wir schließlich dieses Training absolviert hatten, war er überzeugt, dass Patrick uns niemals gefährlich werden konnte. Da erst bat er uns, nach Möglichkeit auf diesen jungen Mutanten Rücksicht zu nehmen.
Da er auch Telepath war, ließen wir ihn wissen, wie wir auf Nico und schließlich die Hoods gestoßen waren. Wir beabsichtigten weder Patrick noch „King Roy“ ernsthaft zu verletzen. Wobei uns die Unversehrtheit von „King Roy“, der schließlich die Ursache des Ganzen war, nicht so wichtig erschien. Leon war einigermaßen überrascht, denn von den Freien Mutanten war er nur sehr oberflächlich informiert worden, dass wir anders vorgingen als die meisten Mutanten. Er war hauptsächlich wegen Nico und den Hoods gekommen und da er Frank ein wenig kannte.
So versprachen wir ihm, Patrick soweit als möglich zu schonen. Es würde auch, wie wir nun wussten, nichts bringen, Patrick einfach auszuschalten. Da er Hypno war, arbeitete er mit einem so genannten „hypnotischen Block“. Er konditionierte seine „Opfer“ mit diesem Block und verursachte dadurch eine nachhaltige Beeinflussung. Die so Beeinflussten glaubten, aus freiem Willen zu handeln. Wenn wir Patrick also eliminieren würden, dann würde die Konditionierung weiter bestehen. Die Beeinflussten wären weiterhin „King Roys“ gehorsame Diener.
Bei einem Suggestor würde die Sache völlig anders aussehen. Dieser beeinflusst seine „Opfer“ permanent. Wie ein Puppenspieler übernimmt er seine „Opfer“ und steuert sie fern. Wenn ein Suggestor ausgeschaltet, abgelenkt oder geblockt wird, dann erlischt sein Einfluss, und das „Opfer“ ist wieder frei. Das Schlimmste war aber eine Teilsuggestion, bei der das Opfer quasi mit ansehen muss, wie es Dinge tut, die es nicht tun will.
Aber auch ein Hypno-„Opfer“ kann wieder befreit werden. Dazu muss der Hypnoblock, von einem Telepathen oder Hypno, abgebaut werden. Im Prinzip läuft es darauf hinaus, das Gehirn des „Opfers“ nach Spuren der Beeinflussung abzutasten und diese dann sehr vorsichtig abzubauen. Aber selbst ein guter und erfahrener Telepath benötigt dafür relativ viel Zeit. Wie stark oder nachhaltig Patrick seinen Block aufgebaut hatte, wussten wir natürlich nicht. Jedoch war Leon der Überzeugung, dass Patrick nicht sonderlich massiv vorgegangen war.
Auch Robin sagte, dass nach seinen Informationen die Beeinflussung nur darauf beschränkt sei, dass alle sich den Wünschen von „King Roy“ beugen würden.
13. - Neighbourhood
Camelot, Montag, 03.12.2035
Nach und nach bekamen wir so die wichtigsten Informationen zusammen und Eric begann mit der Planung. Wir hatten eigentlich nur drei Blocks zu überwinden, also knapp 1.000 Meter. Doch diese Strecke hatte es „in sich“, wie wir schon jetzt anhand der Karten erkennen konnten. „King Roy“, der den Sektor nördlich von uns kontrollierte, residierte in einem Gebäude, das nahe des Zentrums seines Sektors lag.
Doch unser Weg führte unter anderem durch einen weitgehend verwüsteten Block, eigentlich nur noch ein Trümmergrundstück. Was sonst noch an Unangenehmem auf uns warten würde, davon hatten wir keine Ahnung. Immerhin hatte der „King“ sicherlich gewisse „Vorbereitungen“ getroffen. Davon war Eric jedenfalls überzeugt, denn „King Roy“ hatte uns angegriffen und zwang uns nun, sein „Spiel“, auf seinem „Spielfeld“, zu spielen.
Mit einem Flugschrauber waren schließlich noch Stefan und Martin eingetroffen, die auch unsere Ausrüstung mitbrachten. Dies würde jetzt sozusagen die Feuertaufe der „Kampfanzüge“ sein. Die NeckTech-Wissenschaftler hatten militärische Kampfanzüge an unsere speziellen Bedürfnisse angepasst. Bisher hatten wir sie nur dreimal im Training getragen, denn sie waren relativ schwer und schränkten unsere Bewegungsfreiheit etwas ein. Da wir aber im Labor-23 gesehen hatten, wie leicht wir auch durch Splitter oder Querschläger verletzt werden konnten, war uns der Entschluss, diese „Rüstungen“ anzuziehen, nicht sonderlich schwer gefallen.
Nun liefen wir durch die Nacht einem ungewissen Ziel entgegen. Wir, das waren zunächst natürlich Tom, Lukas, Julian und ich. Als aber auch Eric sagte, dass er mitkommen würde, schließlich sei es sein Plan, wollte Frank nicht zurückstehen. Denn er sei ja auch ein „Iratus Lemurum“ und zudem müsse einer ja auf uns aufpassen. Wir hatten noch bis kurz vor 20 Uhr diskutiert, dann aber beschlossen, dass jedes weitere Zögern als Schwäche oder Unentschlossenheit ausgelegt werden könnte.
Nicht völlig unpassend pfiff Lukas die Melodie von „High Noon“. Die Zeit stimmte zwar nicht, jedoch die Stimmung traf schon ein wenig zu, nur dass wir eben zusammen waren und nebeneinander den Weg zu „King Roys“ Residenz antraten. Dass die Straßen völlig leer und verlassen waren, lag auch nicht an dem bevorstehenden „Showdown“. Es war in „Unkontrollierten Sektoren“, zu denen auch unser Sektor gehörte, um diese Zeit völlig normal. Kontrollierte Sektoren waren nach allgemeiner Definition nur die, in denen die Polizei oder eine Bürgerwehr die Kontrolle hatte.
Entlang der Magnetröhrenhochbahn, deren Röhre links von uns in neun Metern Höhe verlief, erreichten wir die Grünzone, die jeden Block umgab. Es war ein etwa 24 Meter breiter Rasenstreifen, in dem auch niedrige Bäume wuchsen und der, wie in diesem Fall, auch zusätzlich die Sektorengrenze bildete. Noch ein Schritt und wir sind in „King Roys“ Sektor, dachte ich und ein kalter Schauer fuhr mir den Rücken hinunter. Auch, aber nicht nur weil es inzwischen nur noch sechs Grad über Null waren.
Julian legte mir seine Hand auf die Schulter und sah mir noch einmal in die Augen: »Angst?«
Ich sah ihn an und zog ihn näher an mich: »Ja, ein wenig schon.« Dann blickte ich noch einmal in die Runde: »Wir kämpfen jetzt zum ersten Mal gegen wirklich starke Mutanten. Ich weiß nicht wie es wird. Ich habe Angst, was es uns kosten wird, aber ich fürchte, wir müssen es tun.«
Noch einmal reichten wir uns die Hände und bildeten einen Block. Lukas tastete mit Teleortung das Gelände vor uns ab. Noch war nichts zu sehen. Julian und Frank sondierten telepathisch die Umgebung, aber auch sie konnten nichts Ungewöhnliches ausmachen.
Da wir nur vier waren, die Larualisation, also das „in Phase gehen“, beherrschten, gruppierten wir uns nun um. Lukas und Eric übernahmen die Führung. Vor allem, weil Lukas der beste Teleorter von uns war und außerdem auch nachts im Infrarotbereich sehen konnte. Im Falle eines Angriffs musste er Eric mit in Phase nehmen.
Tom und Frank bildeten unsere Rückendeckung. Auch hier musste Tom sicherstellen, dass Frank nichts geschah. Julian und ich sollten in der Mitte bleiben und, da wir „PSI-Zwillinge“ waren, wie Sammy es nun nannte, flexibel dort zuschlagen, wo es notwendig wurde.
So vorbereitet überschritten wir die Sektorgrenze und drangen in „King Roys“ Territorium vor. Bis zum ersten Block waren es nur noch 40 Meter. Diese überbrückten wir in gemäßigtem Tempo. Wir hatten es jetzt nicht eilig. Auch wenn wir hier auf freier Fläche standen, so fühlte ich mich doch wohler als in der Nähe des Einheitsgebäudes, zu dem wir nun kamen. Eine Bombe oder etwas Ähnliches musste vor vielen Jahren in diesen 80 Meter hohen Klotz eingeschlagen sein. Die obersten zehn der 20 Stockwerke waren herabgestürzt und hatten auch Teile des Blockversorgers verschüttet.
Doch wir hatten uns für den direkten Weg zwischen den Gebäuden entschieden, anstatt immer der Straße entlang zu gehen. Das Gebäude selbst war „psionisch“ tot, außer Ratten lebte also niemand darin. Auch am zweiten Blockversorger kamen wir ohne Probleme vorbei. Diese fast 25 Meter hohen Gebäude beinhalteten unter anderem alles, was zur Versorgung von zwei Wohngebäuden benötigt wurde. Es gab pro Block also zwei davon.
Nun standen wir vor einer Straße, die wiederum an einen Grünstreifen grenzte. Auch die Gebäude auf der anderen Seite zeigten Spuren der Verwüstung. Gerade als wir den Grünstreifen hinter uns lassen wollten, meldete sich Lukas mit einem heftigen Impuls: »»Auf der anderen Seite bei dem Trümmerhaufen, da standen bis vor kurzem mehrere Fahrzeuge. Ich sehe noch deren Restwärme.««
Julian und ich traten neben ihn, konnten aber natürlich erst etwas davon sehen, als wir uns bei Lukas einklinkten. Die Umrisse hoben sich, zwar verschwommen aber doch noch relativ kräftig, von der Umgebung ab. Eric setzte sich die TeleBrille auf, eine Kombination aus Fernglas und Restlichtverstärker, und suchte das Gelände ab. Plötzlich flüsterte Tom: »Ich empfange Signale. Es scheinen sehr schwach Funksignale zu sein.«
Funksignale? Da „King Roy“ keine Telepathen hatte, würde es durchaus Sinn machen, doch etwas überraschend war es schon. Nur wenige Mutanten mochten oder nutzten Technik. Eric war davon überzeugt, dass „King Roy“ uns unterwegs ein wenig „beschäftigen“ würde, aber mein Gefahreninstinkt sagte mir, dass da noch etwas anderes war.
Vorsichtig schritten wir weiter und erreichten die Ruinen eines Wohngebäudes, als sie plötzlich zuschlugen. Es ging alles sehr schnell. Aus dem Gebäude rechts vor uns wurde plötzlich auf uns geschossen. Mehrere Gasgranaten schlugen in unserer Umgebung ein, während wir alle schon in Phase waren. Mit einem ForceJump brachten wir uns außer Reichweite und suchten in der Trümmerlandschaft nach einer Deckung. Doch noch bevor wir uns so richtig über diesen seltsamen Angriff wundern konnten, hörte ich ein Geräusch, welches ich wahrscheinlich mein ganzes Leben nicht vergessen würde.
Es war dasselbe hochfrequente, singende Geräusch wie am 27. Oktober. Es war das Geräusch einer anlaufenden PSI-Falle. Und das konnte doch nur eines bedeuteten - wir wurden von Catchern angegriffen und nicht von „King Roy“.
Keine 30 Meter entfernt auf dem Dach des Blockversorgers stand eine dieser Höllenmaschinen. Während ich noch überlegte, handelte Julian augenblicklich. Mit einem gewaltigen ForceJump schnellte er senkrecht in die Höhe, überstieg die 25 Meter-Marke und hatte freie Sicht auf das Dach. Während er noch seine Viper in Anschlag brachte, wirkten schon seine Annihilationskräfte und auf dem Dach explodierte das, was einmal eine „PSI-Falle“ gewesen war. Gleichzeitig mit der Explosion jagte er, quasi zur Tarnung, eine Salve MikroRaks hinterher.
Erst jetzt ging er wieder in Phase und sank unangreifbar für mögliche Schützen langsam zu Boden. Doch die Catcher, die uns schon wehrlos glaubten, stürmten aus drei Verstecken auf uns zu. Als sie ihren Irrtum bemerkten, war es schon zu spät. Zu nahe für den sinnvollen Einsatz von Waffen begingen sie den Fehler, uns von Hand überwältigen zu wollen.
Wahrscheinlich dachten sie, wir wären doch etwas geschwächt worden, da wir keine PSI-Kräfte gegen sie einsetzten. Doch wieder hatten sie keine Chance. Wir hielten uns zurück, da wir unsere Kräfte noch für „King Roy“ benötigten, und schlugen sie alleine mit unserer ForceFight-Methode.
Mit spielerischer Leichtigkeit schnellte Lukas in die Höhe und landete nach einem Salto inmitten von vier völlig überraschten Catchern. Bevor die auch nur zu einer gezielten Reaktion fähig waren, wurden zwei von ihnen mit einer schnellen Folge von ForceKicks an die nächste Wand befördert. Der Dritte brach nach einem geraden Punch gegen das Brustbein auf der Stelle zusammen, während der Vierte noch den Ansatz einer Abwehr erkennen ließ. Doch ein wirklich übler Sidekick, der ihn in Höhe der Niere traf, beendete den Kampf. Immerhin würde es diesmal keine Toten geben, wenigstens, soweit wir das beurteilen konnten.
Für uns war es mehr ein interessantes Training, für die Catcher eine weitere Niederlage. Wieder einmal konnte ich die Eleganz von Julian und Lukas bestaunen, während Tom und ich uns gezwungenermaßen etwas zurückhalten mussten. Es waren nur zwölf Catcher, von denen Lukas und Julian sich jeweils gleich vier auf einmal vorgenommen hatten. Da blieben für Tom und mich nur jeweils zwei übrig. Eric, der sich auch beteiligen wollte, ging gar völlig leer aus, was Frank schon wieder mit bissigen Kommentaren quittierte.
Als es vorbei war, lagen die zwölf Catcher verstreut auf dem Boden. Keiner von ihnen war noch bei Bewusstsein. Doch konnte dieser Angriff hier und heute ein Zufall sein?
Julian, der lächelnd neben mir stand und meine Gedanken mitverfolgte, schüttelte den Kopf: »»Bestimmt nicht! Scheinbar hat sich „King Roy“ mit ihnen eingelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihnen gelungen ist, keine 100 Meter von seiner „Residenz“ entfernt, unbemerkt so eine Falle aufzubauen.««
»»Mit Sicherheit nicht!««, gab Frank ihm Recht.
Während auf dem Dach noch allerlei explodierte, sah ich mich ein wenig in der Gegend um. »»Könnt ihr noch welche ausmachen?««
So plötzlich wie sie aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden. Nur der brennende Blockversorger und die herumliegenden Catcher zeugten noch von ihrem Angriff. Aber für unsere bisherigen Verhältnisse war es dann doch „sehr unauffällig“ gewesen. Hoffentlich sahen es die Freien Mutanten genauso.
14. - The King Must Die
...
and sooner or later
everybody's kingdom must end
and I'm so afraid your courtiers
cannot be called best friends
Elton John
„King Roys“ Residenz, Montag, 03.12.2035
Leicht geduckt standen wir im Grünstreifen genau gegenüber von „King Roys“ Residenz. Er beanspruchte für sich ein ganzes Gebäude und hatte sich im obersten Stockwerk seinen „Thronsaal“ einrichten lassen. Tatsächlich konnten wir auch von hier unten diverse Umbauten in den oberen Stockwerken ausmachen. Auch das Eingangsportal war besonders gesichert, außerdem standen vier Mutanten im Eingangsbereich bereit.
Wir hatten ihre Signatur sofort aufgenommen und wären sie auch Telepathen, könnten sie uns ebenfalls spüren. Doch nach allem was wir wussten, gehörte zu seinen Spartanern kein einziger Telepath - außer ihm selbst natürlich.
Es stand für uns außer Frage, dass er unsere kleine Auseinandersetzung mit den Catchern mitbekommen hatte. Nur welche Schlüsse zog er daraus? Hatte er sich wirklich mit ihnen verbündet oder hatte er sie nur geduldet, um uns zu testen? Eric glaubte Letzteres, da ein Bündnis auch für „King Roy“ zu gefährlich wäre. Die unterschiedlichsten Gruppen würden sich gegen ihn verbünden, wenn derartiges bekannt werden sollte. Andererseits galt er als überheblich und völlig unberechenbar.
Lukas hatte das Gebäude ausgiebig mittels Teleortung untersucht. Wir wussten jetzt, dass wir wirklich bis zur 19. Etage vorstoßen mussten, denn da befand sich „King Roys Thronsaal“. Er hatte den Boden der 20. Etage einfach komplett entfernen lassen um die entsprechende Höhe für seine „Bedürfnisse“ zu bekommen. Auch sonst gab es etliche bauliche Veränderungen, die uns aber nicht weiter stören sollten. Was uns wirklich irritierte, waren die „psionischen“ Störungen, auf die Lukas bei der Teleortung in „King Roys“ Nähe stieß. Seine unmittelbare Umgebung konnten wir auch gemeinsam nicht erfassen.
Allerdings wussten wir dennoch genug. Nach einer letzten Meldung an Robin machten wir uns auf den Weg. Ohne noch länger zu warten, drangen wir in „Phase“ einfach in den Eingangsbereich vor. Auch hier hatten wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite und so gelang es uns, drei der vier Mutanten ohne größere Probleme oder ernsthafte Gegenwehr auszuschalten. Denn auch für sie war unser ForceFight etwas Neues. Und bevor sie richtig erfassen konnten, wer da auf sie zu wirbelte, hatten Tom, Julian und Lukas ihre Gegner überwunden. Nur „meiner“ entzog sich dem Kampf durch Teleportation und mein Schlag ging, im wahrsten Sinne des Wortes, ins Leere.
Falls der „King“ bisher nicht gewarnt war, so würde er es spätestens jetzt sein. Eric erschien unser Vordringen aber als viel zu einfach und mein Magen gab ihm Recht. Ich hatte wirklich ein verdammt mieses Gefühl, als wir den Aufzug betraten. Wir sahen uns alle noch einmal an, bevor Eric auf den Knopf für die 16. Etage drückte, denn dort mussten wir in einen anderen Fahrstuhl wechseln, der dann in den „Thronsaal“ führte.
Langsam setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, und wenn ich langsam sage, dann meine ich es auch so. Der Fahrstuhl kroch regelrecht seinen Schacht hinauf. Wir rechneten mit allem Möglichen, vom aufklappenden Boden bis zu versteckten Waffen. Doch nichts geschah! Schließlich entdeckte Lukas in Höhe der 12. Etage doch noch etwas, was da wirklich nicht sein sollte. Vor der Fahrstuhltür war eine PSI-Falle aufgebaut und in wenigen Augenblicken würden wir den Kontakt auslösen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, begann ich die Energieversorgungsanlage der PSI-Falle mittels Telekinese neu zu konfigurieren und zerschmolz dabei „versehentlich“ das Steuergerät. Mit Thermokinese hatte ich einfach noch nicht so viel Übung. Wenn wir auch noch immer nicht wussten, wie so eine PSI-Falle funktionierte, so wussten wir wenigstens, wie wir sie zerstören konnten. Woher hatte aber unser lieber König seine PSI-Falle? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Catcher oder die Darwinianer sie ihm freiwillig überlassen hatten.
Natürlich musste auch diese Frage geklärt werden, wenn wir auf ihn trafen. Durch meinen kleinen Eingriff völlig unbehelligt, näherten wir uns so der 16. Etage. Doch auch hier hatte sich etwas geändert. Hatten wir noch vor einer halben Stunde hier nur zwei Wachen ausgemacht, so waren es nun sechs Mutanten, die uns empfangen sollten.
Eric, der nicht nur körperlichen Kontakt zu Lukas hielt, denn nur so konnte dieser ihn im Gefahrenfall „mitnehmen“, sondern sich auch mental bei ihm eingeklinkt hatte, wurde immer unsicherer. War sich „King Roy“ seiner Sache so sicher, dass er uns nach der PSI-Falle nur sechs seiner Leute entgegen stellte?
Drei der Wartenden waren offensichtlich Telekineten, und dabei auch noch ziemlich stark. Sie bildeten einen Block und griffen uns direkt und sehr massiv an. Die Teile, die uns jetzt in dem nur drei Meter breiten und zwölf Meter langen Gang entgegen wirbelten, wären wirklich gefährlich geworden. Gerade noch rechtzeitig gingen wir in „Phase“ und waren so von ihnen nicht mehr zu fassen.
Dann ließ Julian genau zwischen ihnen die Luft explodieren. Nicht so stark, dass sie ernsthaft verletzt wurden, aber stark genug, dass sie sich trennen mussten. Dies nutzten Tom, Lukas und ich aus, um sie telekinetisch gegen die nächste Wand zu schleudern, wo sie bewusstlos liegen blieben.
Der vierte Mutant fixierte mich und in höchster Konzentration spürte, ja, eigentlich sah ich die Kraft, die von ihm ausging. Er versuchte mich in ein Feld einzuhüllen und für einen kurzen Augenblick fühlte es sich wie ein heftiger Schlag an. Doch gelang es mir mittels meiner Telekinese diese sonderbare Kraft abzuwehren. Was mir gelang, war der Wand neben mir nicht vergönnt.
Da die Kraft, die er auf mich wirken ließ, ein Kugelfeld bildete, gerieten Teile der Wand und Decke in den Wirkungsbereich seiner Kraft. Große Stücke wurden herausgerissen und regelrecht zermahlen, fast schon pulverisiert. Offensichtlich besaß seine Kraft eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Destruktion, jedoch schien die Wirkung ein wenig anders zu sein.
Angesichts dessen, was er mir zugedacht hatte, verlor ich ein wenig die Beherrschung und riss telekinetisch eine der Deckenplatten über ihm aus der Verankerung, die dann auf ihn herabstürzte. Einen kurzen Augenblick sah ich noch die Überraschung in seinem Gesicht, dass ich überhaupt noch existierte. Dann wurde er von der 1,5 mal 1,5 Meter großen und etliche Kilogramm schweren Platte, die auf ihn stürzte, unsanft ins Land der Träume geschickt.
Vier waren geschafft, aber noch stellten sich uns zwei entgegen, wobei einer gerade den „taktischen Rückzug“ angetreten hatte. Allerdings spürte ich nicht den Doppelimpuls, der normalerweise bei einer Teleportation auftrat. Der Verbliebene ließ uns jedoch keine Zeit darüber nachzudenken. Zuerst schien es so, als würde er in „Phase“ gehen, jedoch anstatt zu einem „Ghost“ zu werden, erschien ein unförmiges Monster an seiner Stelle. Dieses stürmte nun ohne zu zögern auf uns zu, und dass es uns nicht nur begrüßen wollte, war uns allen klar.
Während ich noch völlig fasziniert den 2 Meter 50 Koloss anstarrte, der seinen mit grünen Schuppen bedeckten Körper mit großer Geschwindigkeit auf uns zu bewegte, schnellten Julian und Lukas an mir vorbei, um sich ihm entgegen zu werfen. Beide landeten eine Serie von Treffern, die den Koloss jedoch in keiner Weise beeindruckten. Jede Wand wäre unter diesem Ansturm zerborsten, der Koloss schwankte jedoch nur ein wenig. Dann ging er zum Gegenangriff über. Aus seinen Händen und Füßen wuchsen plötzlich 15 Zentimeter lange, messerscharfe Krallen und nur Julians und Lukas Geschicklichkeit war es zu verdanken, dass sie nicht verletzt wurden.
Gerade noch rechtzeitig gingen Julian und Lukas in „Phase“ und so war der Weg für Tom und mich frei, ihn telekinetisch zu packen und gegen die Wand zu schleudern. Unter dem gewaltigen Aufprall brach diese zusammen, jedoch schien der Grünhäutige auch davon keine Sekunde beeindruckt zu sein. Er schnellte unmittelbar darauf wieder hoch und ging erneut auf uns los. Dieses „Spiel“ wiederholte sich noch dreimal, bevor Frank rief: »Vernichte seinen Körper! Das ist ein Pseudometabolist. Du kannst ihn nur bezwingen, wenn du seinen Körper zerstörst.«
Noch zögerte ich, denn wir wollten niemanden töten und so flog der Grünhäutige ein weiteres Mal gegen die Wand. Langsam gingen uns aber die Wände aus. Da kam mir eine Idee. Wenn er die Wände so locker verkraftet, dann auch einen Sturz aus 64 Metern Höhe. Telepatisch rief ich nach Tom und sendete ihm meine Idee. Gemeinsam packten wir den „Kleinen“ und benutzten ihn als Ramme, um die zwei restlichen Wände zur Außenwand zu durchbrechen. Kaum war der Durchbruch geschafft, ließen wir ihn los und er stürzte haltlos die 16 Stockwerke bis zum Boden hinunter. Aus dem Auge, aus dem Sinn - dachte ich.
Zufrieden drehte ich mich zu Frank um, doch der schüttelte nur ärgerlich den Kopf. Als ich mich, durch Julians Ruf gewarnt, herumdrehte, verstand ich auch warum Frank so unzufrieden war. Keine zehn Meter vor uns entstand der Grüne schon wieder und stürmte auch sogleich wieder auf uns los.
»»Vernichte seinen Körper, du tötest ihn damit nicht!««, vernahm ich Franks telepathische Botschaft. Und als Tom ihn festhielt, konzentrierte ich mich kurz auf das „Monster“ und einen Augenblick später schien es zu zerfallen. Doch dann raste über meine eigene Verbindung, über die ich meine Energie zum Desintegrationsfeld leitete, eine gewaltige Ladung PSI-Energie auf mich zurück.
Einen kurzen Augenblick hatte ich wieder das Gefühl, im Labor-23 in der „Maschine“ zu liegen. Doch sehr schnell war die Rückkopplung vorbei und das Monster verschwunden. An seiner Stelle sahen wir dann wieder den Mutant, der doch vorhin zum Monster geworden war. Doch jetzt war er nur als „Ghost“ zu sehen. Frank hatte also Recht gehabt, der Typ war wirklich ein Pseudometabolist, dabei hatte ich nie geglaubt, dass es so etwas Verrücktes wirklich geben könnte.
Ein Pseudometabolist konnte, während er selbst in „Phase“ ging, einen Pseudokörper produzieren. Dieser Körper bestand scheinbar nur aus PSI-Energie. Manche behaupteten allerdings, es wäre PSI-Materie. Für mich sah er fast wie eine Art von Knetfigur aus. Wer auch immer Recht hatte, ich konnte diesen Körper mit meiner Destruktion zerstören. Warum es dabei zu dieser „Rückkopplung kam, war mir allerdings nicht so ganz klar, jedoch geschadet hatte sie mir nicht. Eher im Gegenteil, fühlte ich mich jetzt sogar richtig aufgetankt. Vielleicht war die Energie, die er in diesen „Pseudokörper“ gesteckt hatte, bei der Auflösung an mich übergegangen.
Der „Ghost“ versuchte jetzt scheinbar noch einmal so einen Pseudokörper zu erschaffen, was ihm allerdings misslang. Mit letzter Kraft ging er aus der „Phase“ heraus und brach vor unseren Augen zusammen. Er hatte sich offensichtlich völlig verausgabt. Langsam ging ich auf ihn zu. Nur ein heftiger Impuls meines Gefahreninstinkts ließ mich gerade noch rechtzeitig in Phase wechseln.
Die elektrische Entladung, die mir galt, ging wirkungslos durch mich hindurch und riss ein weiteres Loch in die Wand neben mir. Der Geruch von Ozon erfüllte den ganzen Gang und uns wurde klar, dass wir es nun mit einem Elektrokineten zu tun hatten.
Der sechste Mutant war also doch nicht geflohen. Aber wo war er?
Diese Frage beantwortete Tom, indem er den Schutt der zerstörten Wände telekinetisch zu einer Wolke zusammenballte und durch den zerstörten Gang wirbeln ließ. Denn auch wenn der „Sechste“ unsichtbar war, in „Phase“ war er nicht. Und den Trümmerteilen und Staubpartikeln war es egal, ob ihnen etwas Unsichtbares oder etwas Sichtbares im Wege war.
Langsam schälten sich die Umrisse des „Sechsten“ heraus, der bis an das Ende des Ganges zurückgewichen war. Mit zwei Sprüngen hatte Lukas ihn erreicht und gleich darauf sank dieser bewusstlos, und nun nicht mehr unsichtbar, zu Boden.
Nun war endlich der Weg zum „Thronsaal“ frei. Ohne weitere Verzögerung setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Doch nur für wenige Augenblicke, dann hielt der Fahrstuhl an - leider genau zwischen dem 17. und 18. Stock. Offensichtlich wollte der „King“ unter diesen Umständen unsere „Audienz“ absagen. So blieb uns nichts anderes übrig, als die letzten Meter in Phase nach oben zu schweben und durch die geschlossene Tür den Saal zu betreten.
Im Thronsaal, Montag, 03.12.2035
Der Thronsaal war groß, er nahm praktisch die gesamte Etage ein, also immerhin 30 Meter in der Länge und 20 Meter in der Breite. Wie schon erwähnt, war der Boden der 20. Etage entfernt worden, so dass der Thronsaal eine Höhe von acht Metern hatte. Am Kopfende führten fünf bogenförmige Stufen zu einem Absatz, von dem dann noch einmal drei Stufen zu..., ja wirklich, zu einem Thron führten.
Auf dem Thron saß dann wohl der, der sich „King Roy“ nennen ließ und uns jetzt mit verächtlichen Blicken bedachte. Rechts neben ihm, auf einem wesentlich schlichteren Stuhl, saß Patrick, den ich aufgrund der Beschreibungen auch sofort erkannte.
Die Wände waren mit Spiegeln versehen und sollten wohl an den „Spiegelsaal“ von Versailles erinnern, wirkten angesichts der hiesigen „Dimensionen“ aber eher lächerlich. Ringsum waren Einrichtungsgegenstände aus allen möglichen „Epochen“ verteilt. Alles wirkte überladen und mehr „gewollt“ als „gekonnt“. Aber dem „King“ schien es zu gefallen, auch wenn die meisten der „historischen“ Gegenstände schlichte, um nicht zu sagen plumpe Nachbildungen waren.
Rechts und links von uns wurde durch je sechs Säulen ein fünf Meter breiter Gang gebildet. Zwischen den Säulen hielten sich acht Mutanten auf. Auch „unser“ Teleporter aus der Eingangshalle war darunter und bedachte uns mit finsteren Blicken. Rechts und links vom Thron auf dem Absatz befand sich je ein überdimensionaler „Vogelkäfig“.
War ich bisher eher belustigt, so wurde ich jetzt wirklich wütend. Denn in dem einen Käfig war Metin, unser entführter Hood, halbnackt an das Gitter gekettet. Im anderen Käfig befand sich ebenfalls ein Mensch, der nicht nur so wie Metin angekettet war, sondern auch noch eine Art elektronisches Halsband trug. Diese Details hatten wir aufgrund der „psionischen“ Störungen, die „King Roy“ umgaben, bisher nicht erspähen können. Dass er die Quelle dieser Störungen war, konnten wir jetzt in seiner unmittelbaren Nähe feststellen. Er hatte also doch noch mehr zu bieten, als wir bisher gehört hatten.
Langsam schritten wir auf den Thron zu, und die Mutanten wichen ebenso schnell vor uns zurück. Schließlich hatten sie sich im Bereich der letzten Säule vor dem Thron versammelt. Da vernahmen wir zum ersten Mal „King Roys“ Stimme: »Wir können Uns nicht erinnern, euch eingeladen zu haben! Wie könnt ihr es wagen Uns ungefragt zu belästigen.«
Unbeeindruckt von seinem Geschwafel schritten wir weiter. Wir waren noch ungefähr zehn Meter von ihnen entfernt, als Eric von mir das Startsignal für „Plan Salut“ bekam. Ich hatte einfach keine Lust mich mit diesem Geschwafel abzugeben. Mit gewohnt schneller Bewegung zog Eric seine Waffe, um dem „King“ den ihm gebührenden Salut zu geben.
Wie bei einem Salut üblich, schoss er dabei natürlich nicht auf den König, aber dafür bekamen seine acht „Spartaner“ jeweils eine Schockdrohne verpasst. Die Schockdrohne war ein halbautonomes Geschoss, welches das einmal anvisierte Ziel selbstständig verfolgte und, im Falle eines Treffers, mit einer 50.000 Volt Ladung vorübergehend ausschaltete.
Unter Mutanten galt so etwas wohl als „unkonventioneller“ Angriff. Insbesondere, weil diese Drohnen eine Neuentwicklung von NeckTech waren und daher eine wirkliche Überraschung darstellte. Die Drohnen waren allerdings nicht sonderlich schnell. Einem der Mutanten gelang es, „seine“ Drohne telekinetisch abzulenken. Doch im selben Augenblick schnellte Julian auf ihn zu und der Mutant machte die unangenehme Bekanntschaft mit Julians Fuß. Bewusstlos sank dann auch dieser zu Boden und „King Roy“ hatte mit einem Schlag seine gesamte Hausmacht verloren.
Völlig ruhig wandte sich Julian nun an „King Roy“ und rief etwas theatralisch: »Gib die Gefangenen frei! Solltest du unsere Entschlossenheit in dieser Sache testen wollen, hast du Konsequenzen zu tragen, die in ihrer Endgültigkeit deine Vorstellung übersteig...«
Weiter kam er jedoch nicht mit seiner interessanten Ansage, denn er wurde von einem geradezu irren Kreischen des „Kings“ unterbrochen.
Gleichzeitig schlug dieser unvermittelt und mit ungeheurer Macht zu. Eine Welle telekinetischer Energie raste auf mich zu und ließ mich einige Meter zurückweichen. Eigentlich hatten wir mit einem solchen Angriff gerechnet. Dass er aber so unvermittelt und heftig sein würde, überraschte mich dann schon. Einige Sekunden kämpfte ich wirklich mit dieser Flut, bis ich mich selbst wieder soweit gefangen hatte und gegenhalten konnte.
Von einer Sekunde auf die andere hatten sich seine Stimmungslage und sein Aussehen verändert. Schien er anfangs tatsächlich empört über die Störung, so wirkte er nach dem Ausschalten seiner Getreuen wirklich verunsichert. Doch kaum hatte Julian angefangen zu sprechen, wurde er mit einem Mal bleich und ich sah nur noch grenzenlosen Hass in seinen Augen. »Ihr werdet Unseren Thron niemals erobern«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. Dabei erhob er sich halb von seinem Thron, um sogleich wieder zurück zu sinken.
Als hätten wir es auf seinen dämlichen Thron abgesehen, aber Vernunft sollte man von ihm wirklich nicht erwarten. Mühsam konnte ich die telekinetische Energie, die auf mich einstürzte, bändigen und zur Seite ablenken. Es war so, wie es Rene und Dorian beschrieben hatten, nur dass ich wesentlich stärker war als sie und seine Kräfte meinen Körper erst gar nicht erfassen konnten. Doch ich war auch sicher, dass er mich wesentlich heftiger angriff, als er Dorian und Rene angegriffen hatte.
Wie besprochen waren die anderen sofort in Phase gegangen. Nur Julian trat durch die Wogen immer neuer telekinetischer Wellen, die auf mich einstürzten. Auch er hatte einige Sekunden damit zu kämpfen. Doch als er mich erreichte und mir seine Hand gab, schien sich unsere Kraft zu verdoppeln. Gemeinsam war es nun wesentlich einfacher, dem Angriff standzuhalten.
»»Wow, was hat er bloß, dass er sich so über deinen Spruch aufregt?««, fragte ich Julian und behielt den „King“ dabei weiter im Auge.
Traurig sah Julian mich an: »»Es war eines der Lieblingszitate von Ralf. Er hatte sich immer gewünscht, eines Tages mit diesem Satz dem verantwortlichen Darwinianer gegenüber zu treten. Es stammt aus einem alten Film, ich habe es nur ein wenig umgeändert««, mit einem schiefen Grinsen ergänzte er noch, »»in dem Film hat der Tod diesen Satz gesagt.««
Scheinbar kannte der „King“ diesen Film auch und nahm es nun ein wenig persönlich. Aber was sollte man von einem Irren auch anderes erwarten.
Der „King“ stöhnte unter der gewaltigen Anstrengung, die wir ihm abverlangten, aber er war auch wirklich unglaublich stark. Während er uns immer neue Wellen seiner Kraft entgegen schickte, sah ich, wie Tom zusammen mit Frank, und Lukas mit Eric, zu den Käfigen gingen. Metin schien wirklich nur erschöpft zu sein. Der andere hatte auch physische Verletzungen. Wie bei Jan, so zeigten sich auch bei ihm Verbrennungen am ganzen Körper.
Plötzlich, von einem Augenblick zum anderen, stellte „King Roy“ seinen Angriff ein, lächelte uns freundlich an und meinte: »Wir denken, Wir können auf euer Angebot eingehen.«
Völlig überrumpelt wanderte mein Blick zu Julian und wieder zurück: »Wer wir?«
»Wir!«, zischte der „King“.
»Er meint sich!«, grummelte Julian.
»Ach er! Äh - welches Angebot meinst du?«
Schon wieder etwas ungnädig sah er auf mich herab: »Das über die Zusammenarbeit gegen die da«, dabei zeigte er auf den Jungen im Käfig, »welches ihr Uns gemacht habt.« Dann musste der Junge wohl der Teleporter der Freien Mutanten sein. Aber warum war er noch immer im Käfig? Er war doch Teleporter.
Nachdenklich sah ich zum „King“: »Darüber können wir nur verhandeln, wenn die beiden frei sind.« Ich wusste zwar von keinem Angebot. Aber da der Kerl sowieso verrückt war, was spielte es da für eine Rolle?
Ein weiterer telekinetischer Überfall konnte wohl als „Nein“ gewertet werden. Seine Majestät pflegte einen wirklich harten Verhandlungsstil, dachte ich bei mir. Doch auch diesen Angriff konnten wir abwehren. Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Als ich mich auf das „Gespräch“ mit dem King konzentriert hatte, verständigten sich Tom, Lukas und Julian auf eine neue Strategie. Jetzt wehrten wir nicht nur den Angriff von „King Roy“ ab, nun ging Julian seinerseits zum Angriff über. Mit gemäßigter Kraft heizte er seiner Majestät etwas ein, oder versuchte es zumindest.
Währenddessen drangen Lukas und Tom in „Phase“ in die Käfige ein und holten die beiden Gefangenen, nachdem sie kurz wieder „normal“ wurden, aus ihren Gefängnissen. Das Ganze fand ich schon sehr riskant, da in dieser Zeit Frank und Eric relativ schutzlos waren. Doch durch Julians Angriff war der „King“ entsprechend abgelenkt. Überhaupt schienen meine „Begleiter“ für ihn nur wenig interessant zu sein. Tom hätte jetzt sicherlich wieder etwas über „Alphamännchen“ gespottet.
In diesem Fall war „King Roys“ Überheblichkeit jedoch unser Vorteil. So konnten Tom, Lukas, Frank und Eric völlig unbehelligt die Aktion durchziehen. Nach einer weiteren „Normalisierung“ griffen sich Tom und Lukas auch wieder Eric und Frank und alle zusammen verschwanden durch den Boden. Dort teleportierte Frank mit Metin und der herbeigerufene Nico brachte den verletzten Freien Mutanten in Sicherheit. Kurz darauf erschienen Lukas, Eric und Tom wieder bei uns im Saal.
Der völlig verängstigte Patrick hatte alles beobachtet, jedoch keinerlei Reaktion gezeigt. Eigentlich wären wir damit auch fertig gewesen. Doch jetzt, da wir den „King“ kannten, war uns klar, dass wir eine Lösung für dieses Problem finden mussten, denn er würde sicherlich keine Ruhe geben - davon war ich inzwischen überzeugt.
Entgegen meiner Erwartung wurde der Angriff nun sogar heftiger, „King Roy“ zeigte keinerlei Spuren von Ermüdung. Die Wände, Säulen und andere Einrichtungsgegenstände zeigten jedoch eine Reaktion. Die vielen Spiegel zersprangen klirrend, die Wände und Säulen bekamen Risse, das ganze Gebäude schien leicht zu beben. Langsam bekamen wir Angst um die acht noch immer bewegungslos herumliegenden Mutanten.
Doch wieder brach der „King“ seinen Angriff unvermittelt ab und stellte mit unerschütterlicher Ruhe fest: »Nun gut, Wir sind euch entgegengekommen. Die beiden Gäste sind gegangen. Werdet ihr Uns nun den Treueid leisten?«, fast geringschätzig blickte er dabei auf uns herab.
»»Der Kerl ist ja wirklich völlig durchgeknallt!««, stellte Julian nüchtern fest.
»»Wieso? Er hat die Tatsache, dass seine „Gäste“ nun „gegangen“ sind, nur etwas anders interpretiert««, äußerte ich meine Bedenken über Julians Feststellung. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, ich hätte wirklich lachen müssen, denn eine gewisse Situationskomik war schon vorhanden.
Langsam schritten Julian und ich noch ein Stück auf den Thron zu und versuchten den „King“ zu sondieren. Scheinbar fühlte er sich dadurch bedroht, oder er hatte sich aus einem anderen Grund dazu entschlossen, uns erneut anzugreifen - diesmal noch heftiger als zuvor.
Ein kurzer Impuls an Tom und die drei machten sich an die Evakuierung der restlichen Mutanten. Denn diese lagen nach wie vor bewusstlos am Boden, und es bestand nun wirklich die Gefahr, dass sie von diesem telekinetischen Sturm in Mitleidenschaft gezogen wurden. Julian und ich konnten den „King“ sicherlich noch einige Zeit beschäftigen.
Wenigstens so lange, um alle Mutanten aus dem Gebäude zu bringen. Denn nicht nur die Mutanten im Thronsaal waren gefährdet. Langsam bekam die Decke Risse und die anderen schon vorhandenen wurden immer breiter. Wir entfesselten einfach zu viel telekinetische Energie.
Kaum war der letzte Mutant verschwunden, schaltete der „King“ schon wieder um. Völlig überraschend schlug eine mittelstarke elektrische Entladung zu mir durch. Er war also auch noch Elektrokinet und konnte somit elektrische Ladungen verschieben und damit „Blitze“ erzeugen. Doch im Gegensatz zu seiner normalen Telekinese und Hydrokinese war diese Fähigkeit zum Glück nicht sonderlich stark ausgeprägt. Die Abschirmung meines Kampfanzuges wurde damit fertig. In das Gewebe war ein Metallgeflecht eingebunden, das die Wirkung von Taser-Waffen und Schockdrohnen absorbieren konnte.
Für den „King“ war dieser Erfolg jedoch ein Zeichen, dass er „stärker“ war als wir. So brach er den Angriff erneut ab und forderte uns auf, sich ihm anzuschließen, nur dann würde er darauf verzichten uns zu eliminieren.
Nun konnte ich mir unter dem Begriff „Realitätsverlust“ auch bildlich etwas vorstellen. Doch andererseits kamen wir selbst auch nicht recht weiter. Etwas störte uns bei unseren Gegenangriffen. Wir konnten den „King“ einfach nicht richtig erfassen. Uns erschien er wie in einen dicken Nebel gehüllt. Telekinetische Angriffe schienen einfach an ihm abzugleiten. Er wehrte sie aber nicht „aktiv“ ab, sondern wir konnten ihn einfach nicht „packen“.
Auch physisch konnten wir nicht zu ihm vordringen. Wir hatten sogar Mühe unsere Position zu halten und nicht von ihm gegen eine der Wände geworfen zu werden.
»Gebt auf, ihr habt gegen Uns keine Chance. Akzeptiert, dass Wir der einzig wahre Herrscher sind!«, kreischte er uns mit zur Fratze verzerrtem Gesicht an.
Julian und ich rückten nur noch enger zusammen. Wir spürten, dass wir bald zu einer Entscheidung kommen mussten. Bei all seinem ganz offensichtlichen Irrsinn, war er ein wirklich starker Telekinet. Er konnte uns mit immer neuen Wellen angreifen, versuchte uns immer wieder zu fassen oder Gegenstände gegen uns zu schleudern. Im „Thronsaal“ tobte inzwischen ein wahrer telekinetischer Orkan.
Die meisten Fenster waren längst heraus gesprengt worden. Einige der Säulen waren umgestürzt oder sogar völlig zerborsten. Doch wir mussten noch immer Rücksicht auf Patrick nehmen, den wir nach Möglichkeit nicht gefährden wollten, denn das hatten wir Leon versprochen. Sonst hätten wir längst den Trick mit der Deckenplatte wiederholt, aber dazu saß Patrick einfach viel zu nahe beim „King“.
Auch Patrick schien das nun so zu sehen. Immer wieder sah er uns zweifelnd aber nicht verzweifelt an. Er hatte Angst, und das nicht nur vor uns, das war offensichtlich. Zu sagen, der „King“ gebärdete sich wie ein Verrückter, wäre gnadenlos untertrieben gewesen. Mit immer neuen Angeboten, die er wenige Sekunden später schon wieder umstieß, überschütte er uns. Geifer lief ihm inzwischen aus dem Mund und seine ganze Mimik glich nun nur noch der Karikatur eines menschlichen Antlitzes.
Fast beschwörend sah ich Patrick in die Augen, der sich dann auch plötzlich mit einem Ruck erhob und zur Seite warf. Nun hatten Julian und ich freie Bahn! Jetzt nahmen wir auch keine Rücksicht mehr. Genau über seinem Thron explodierte die Luft und eine kleine Sonne entstand für den Bruchteil einer Sekunde. Ihn selbst hatten wir bisher nicht erfassen können. Wie Frank und Sammy hinterher vermuteten, beherrschte der „King“ wohl eine ähnliche Fähigkeit wie Eric.
Der Glutball, den Julian über ihm entstehen ließ, war das Fanal für sein Ende. Geblendet riss er die Arme vor das Gesicht und seine Kleidung flammte auf. Mit einem letzten Aufschrei brach seine Abschirmung zusammen und wir konnten ihn voll erfassen.
Ich hatte noch nie so viele widerwärtige Gedanken und monströse Verwünschungen aufgenommen wie in seinen letzten Sekunden. Als er sich noch ein letztes Mal gegen uns stemmen wollte, schlug ich zu. Mein Desintegrationsfeld hüllte ihn ein und er zerfiel in einer flirrenden Wolke, in der kleine blaue Blitze wie ein Elmsfeuer aufleuchteten. Auf der PSI-Ebene spürten wir jedoch eine gewaltige Erschütterung. Das ganze Gebäude erzitterte und eine Schockwelle aus PSI-Energie breitete sich aus.
Der einzige Trost, den ich mir selbst zusprach, war der, dass er es wohl nicht mehr gespürt hatte. Doch nun wurde es auch für uns höchste Zeit. Julian schnellte nur noch vor und griff sich den am Boden liegenden Patrick, um dann auch sofort in Phase zu gehen, während ich die anderen informierte und das Gleiche tat. Immer stärker erbebte das Gebäude. Von der Erscheinung, die einmal „King Roy“ gewesen war, zuckten nun lange blaue Blitze zur Decke, den Wänden und dem Boden. Wo immer sie auftrafen, zerpulverte die Materie und neue Schockwellen rasten von da durch das Gebäude. Um uns stürzten nun die restlichen Säulen ein. Große Teile der Decke brachen herab und rissen dann auch noch den schwer lädierten Boden mit.
Plötzlich schien sich die Erscheinung noch einmal zusammenzuziehen, wieder Gestalt anzunehmen, um sogleich in einem finalen Feuerwerk zu vergehen. Gleichzeitig raste eine weitere ringförmige Schockwelle aus reiner PSI-Energie durch uns hindurch. Wie die Wellen eines ins Wasser geworfenen Steines breitete sie sich aus und erlosch dann endgültig. Der König war tot.
Wie ein Kartenhaus stürzten nun nacheinander vier weitere Stockwerke ein. Von all dem unberührt, standen, oder eigentlich schwebten wir über den Trümmern. Tom und Lukas war es zusammen mit Nico gelungen, auch alle anderen Mutanten rechtzeitig zu evakuieren. Dies war wohl einer der wenigen „Kriege“, in dem ein wahrlich größenwahnsinniger Herrscher alleine in seinem Größenwahn unterging. Normalerweise ließen solche Herrscher immer erst, oder gar ausschließlich, die anderen bluten.
Zusammen mit dem zitternden Patrick standen wir bald darauf vor der Ruine von „King Roys“ Residenz, die nun auch sein Grab geworden war. Als Tom und Lukas zusammen mit dem sichtlich erschöpften Nico aus dem Gebäude traten, hielt ich noch immer Julian im Arm. Mir ging einfach das von Schrecken und Entsetzen gezeichnete Gesicht von „King Roy“ nicht aus dem Gedächtnis. In seinen letzten Sekunden hatte er wohl wirklich realisiert, wie falsch er gelegen hatte und wie dumm sein Vorgehen war.
Doch wie würden die Freien Mutanten auf diesen Ausgang reagieren? War ihnen ein halb eingestürztes Gebäude noch „unauffällig“ genug, oder bahnte sich da nun die nächste Auseinandersetzung an?
Erste Bedenken kamen mir, als Frank panisch nach uns rief und fragte, was wir da entfesselt hatten. Die seltsame Schockwelle bei „King Roys“ Ende war in „Camelot“ zu spüren gewesen. Später erfuhren wir, dass diese Schockwelle im Umkreis von 20 Kilometer von jedem Mutanten gespürt worden war. Es war seine PSI-Energie, die da frei geworden war, oder, um es mit Sammys Analogie zu beschreiben, wir hatten den Staudamm, den „King Roy“ repräsentierte, gesprengt und das angestaute Wasser war als Flutwelle durch die Landschaft geströmt.
15. - Games Without Frontiers
If looks could kill, they probably will
In games without frontiers -- war without tears
Games without frontiers -- war without tears
Peter Gabriel
Noch völlig in Gedanken vertieft, drehte ich mich, nach Julians erstauntem Ruf, etwas träge um. Aus dem noch immer in Staub gehüllten Gebäude erschien Eric. Was an sich nicht sonderlich bemerkenswert gewesen wäre, jedoch kam Eric fröhlich pfeifend - durch die Wand!
Ein eisiger Schauer lief mir den Rücken hinunter, denn nicht alle Tage sah man einen „Ghost“, der „The King Must Die“ pfeifend durch Wände kam. »»Und es geht also doch!««, war Toms trockener Kommentar.
»»Du hast gedacht, es hätte nicht geklappt mit der Übertragung, doch bei mir hat es scheinbar nur etwas länger gedauert««, sendete Eric und war sichtlich zufrieden, nun nicht mehr per „Anhalter“ durch die Gegend geistern zu müssen.
Patrick, der noch immer sehr unsicher neben uns gestanden hatte, wich vor Eric zurück und prallte dabei gegen Lukas: »He, keine Angst, „Kleiner“. Niemand wird dir etwas tun. Wir wissen, dass er dich dazu gezwungen hat«, versuchte Lukas ihn etwas zu beruhigen.
Unterdessen hatte Eric uns auch erreicht und wirkte nicht nur recht fröhlich, sondern war es auch. Als er meine Trauermiene sah, reagierte er mal wieder typisch: »He, da ist jetzt wirklich kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Es lief wesentlich besser, als wir und die Freien Mutanten befürchtet hatten. Das war doch fast schon „still und heimlich“.« Wie um das Gegenteil zu beweisen, sackte ein weiteres Stockwerk tosend unter der Last zusammen, was Eric aber nur schmunzelnd zur Kenntnis nahm.
Lächelnd fasste mir Julian unter das Kinn und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen: »Wir hätten ihn nicht retten können. Körperliche Schäden können wir heilen, er war aber total verrückt. Wo hättest du ihn bei seiner Stärke einsperren wollen? Er war eine Bedrohung für alle und dazu noch völlig unberechenbar.«
Noch immer zwang er mich, ihm in die Augen zu sehen. Und das Schlimme war, ich fand auch keine andere Lösung. Er war stark gewesen, viel stärker, als ich gedacht hatte. Ich hatte den Fehler begangen, seinen Wahnsinn mit geistiger und somit auch psionischer Schwäche gleichzusetzen. Dabei war er der stärkste Telekinet, auf den wir bisher getroffen waren.
»He Mike, wir haben jetzt wirklich noch wichtigere Probleme. Frank möchte, dass wir so schnell als möglich zurück nach „Camelot“ kommen. Da braut sich etwas zusammen.«
Ich fuhr herum und sah Nico, der das gesagt hatte, in die Augen. Er schien etwas beunruhigt, aber nicht wirklich besorgt. Also so schlimm konnte es nicht sein, dachte ich mir.
So entschlossen wir uns, dann doch lieber zu Fuß zu gehen. Es war zwar noch kälter geworden, und Schnee lag in der Luft, doch ich brauchte einfach noch ein wenig Zeit, alles zu verarbeiten. Patrick hatte ein wenig Angst, auf seine ehemaligen „Opfer“ zu treffen, doch eigentlich war er ja genauso ein Opfer gewesen wie sie selbst.
Wir verständigten uns darauf, dass Tom und Lukas auf ihn aufpassen würden, falls doch einer von den Befreiten glaubte, sich „rächen“ zu müssen. Sobald Nico wieder einigermaßen fit war, konnte er ihn dann zum Campus-Occursus bringen, wo Eric dann auf ihn aufpassen sollte. Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen, aber schließlich war er ein Hypno, und einschätzen konnten wir ihn im Moment auch nicht. Ganz ohne Aufsicht wollte ich ihn nicht lassen und gegen Erics Abschirmung kam er nicht an. Kaum hatte ich das soweit durchdacht, stichelte Tom schon wieder und murmelte was von Alphamännchen. Was der bloß meinte?
In „Camelot“ erfuhren wir dann, was unser Problem war. Und für meinen Geschmack war es kein kleines. Sandro hatte sich um Thimo, den verletzten Freien Mutanten, gekümmert und dabei hatte einer der Jungs eine Bemerkung gemacht. Wir hätten es uns denken können, jedoch in der Eile vergessen. Thimo war auch Telepath, sonst hätte er Patrick nicht widerstehen können; und so sondierte Thimo, ohne groß nachzudenken, die Anwesenden und erfuhr von unserem Reiki. Da Frank sich zu der Zeit auch gerade ein wenig mit Thimo „beschäftigte“, erfuhren wir nun, dass Thimo es wusste.
Das, was wir die ganze Zeit verbergen wollten, wusste nun einer der Freien Mutanten. Er hatte natürlich auch erfahren, dass wir alles geheim halten wollten. Dementsprechend unsicher sah er uns an, als wir das Zimmer betraten. Er war müde und sah wirklich sehr mitgenommen aus. Nach Sandros Aussagen hatte er ähnliche Verletzungen wie Jan, die er mit Bioplast behandelt hatte. Doch einige Narben würden zurückbleiben, wenn sich keiner der Heiler um ihn kümmern würde.
Wir verteilten uns auf den freien Sitzgelegenheiten, wobei Julian mich als solche „missbrauchte“, indem er sich auf meinem Oberschenkel niederließ und sich an mich lehnte. Tom erging es nicht viel anders, nur dass es bei ihm Lukas war, der natürlich wieder ein fröhliches Grinsen zeigte. Eric lehnte an der Tür und Nico hatte es sich neben mir bequem gemacht. Frank war zusammen mit Leon und Robin dabei, die Hypnoblocks der Befreiten aufzulösen und hatte deswegen keine Zeit.
Nachdenklich sah ich zu Thimo: »Und jetzt? Du hast uns da in eine ziemlich blöde Lage gebracht. Es sollte noch einige Zeit unter uns bleiben.«
Müde versuchte er mich zu fixieren. »Ich wollte mich erstmal bedanken, dass ihr mich da heraus geholt habt«, lächelte er ein wenig verlegen. Nach einer kurzen Pause fragte er dann noch: »Ist es denn so schlimm?«
Wir mussten alle lachen. Das war eine Reaktion, mit der wir nicht gerechnet hatten, zumindest nicht von einem der Freien Mutanten. Aber auch Thimo schien über unsere Reaktion erstaunt zu sein.
»Nachdem, was wir bis jetzt wissen, hatten wir eher vermutet, dass du, oder eigentlich die Freien Mutanten, damit Probleme haben könntet«, antwortete Tom für uns.
»Die Mehrzahl von uns hat damit bestimmt kein Problem. Ich weiß nur nicht, wie die richtigen Heiler und der Große Rat darauf reagieren, wenn sich ihre Befürchtung bestätigt.«
»Ihr habt so was schon vermutet?«, hakte Lukas nach.
Thimo lächelte schwach und antwortete: »In der Nacht, als Nico euch bei NeckTech angegriffen hatte, wurde er angeschossen. Doch dann beruhigten sich bald darauf seine wartenden Freunde, da er „geheilt“ worden sei. Unsere „Beobachter“ hörten das alles natürlich mit, nur so richtig verstanden haben sie es nicht. Als dann auch Robin innerhalb sehr kurzer Zeit wieder gesund wurde, da begannen einige etwas in Erwägung zu ziehen, was bisher einfach als unmöglich galt.«
»Ihr habt es bisher also nur vermutetet. Und wie haben die darauf reagiert?«, wollte ich nun erfahren. Thimo machte jetzt einen sehr ruhigen Eindruck, scheinbar hatte er sich nur über unseren kleinen Aufmarsch gewundert. Doch wir treten immer gebündelt auf, daran muss man sich eben gewöhnen.
»Im Moment scheint der Große Rat relativ ratlos zu sein. Sie wissen nicht, wie sie auf euch reagieren sollen. Deshalb wurde ich auch zu „King Roy“ gesandt. Ich sollte ihn davon abbringen, sich mit euch anzulegen. Der „Große Rat“ wollte eine solche Auseinandersetzung unbedingt vermeiden. Pascal hat mit eurer faktischen Anerkennung die Sache für den Großen Rat zusätzlich verkompliziert.«
Zuletzt wurde seine Stimme immer leiser, es strengte ihn ganz offensichtlich sehr an. Doch für uns wurde es jetzt erst wirklich wichtig. Da sie sowieso Bescheid wussten, oder bald wissen würden, stand Julian auf und behandelte Thimo ein wenig mit Reiki.
»Das fühlt sich aber wirklich etwas anders an, als die Heilkräfte unserer Leute«, sagte er dann nach einer Weile mit etwas kräftigerer Stimme.
»Was ist passiert, als du bei „King Roy“ warst? Und warum konntest du nicht mehr entkommen?«, fragte Tom.
»Als ich bei ihm war, da war eigentlich überhaupt nicht mit ihm zu reden. Er brüllte nur herum, was sich der Große Rat einbilden würde, ihm Vorschriften machen zu wollen usw. Das ging dann fast eine halbe Stunde, ohne dass ich überhaupt nur dazu kam, etwas zu sagen. Als ich dann einfach gehen wollte, erwischte mich plötzlich eine Elektroschock-Ladung und ich wachte in einem Käfig auf. Immer wenn ich teleportieren wollte, sprach das Halsband an und verpasste mir eine Schock-Ladung.
Patrick hat mehrmals probiert, mir einen Block zu verpassen, doch ich bin auch Telepath, es war wirklich nicht schwer, ihn abzuwehren. Er strengte sich aber auch nicht wirklich an, er tat meist nur so. Doch dann begann „King Roy“ mich zu bearbeiten. Es war wirklich unheimlich schmerzhaft, alles brannte, und dieser Durst, ich dachte, er würde mich wirklich nach und nach dehydrieren.«
Behutsam legte ihm Julian die Hand auf die Stirn und ließ weiter Energie in Thimo strömen. Es sah für mich noch immer unheimlich aus, wie sich die Wunden schlossen und die Haut regenerierte - auch wenn ich es schon so oft gesehen und selbst gemacht hatte.
Dankbar sah Thimo ihm in die Augen und fuhr fort: »Ich bekam mit, wie er den Catchern die Nachricht zukommen ließ, dass ihr zu ihm kommen würdet und er sie nicht behindern würde. In Wirklichkeit wollte er zuschlagen, wenn die Catcher Erfolg gehabt hätten. Als dies nicht gelang und ihr nacheinander alle seine Leute ausgeschaltet hattet, wurde er wirklich völlig verrückt. Normalerweise hatte er immer mal wieder einen lichten Moment, doch nun war davon überhaupt nichts mehr zu spüren. Er war wirklich komplett durchgeknallt und niemand hätte ihn noch besänftigen können.«
Trotz der Energie konnte er die Augen kaum noch offen halten. Wir hatten erfahren, was wir wissen wollten. Wie letztlich der Große Rat entscheiden würde, das konnte Thimo auch nicht wissen. Das Letzte, was er uns noch erklärte, bevor er einschlief, war die Sache mit Pascal.
Da Pascal als einer der Letzten der „Bruderschaft“ uns zu deren „Erben“ erklärte und uns die „Telin-Anhänger“ übergab, hatte der Große Rat massive Probleme, jemanden zu finden, der gegen uns arbeiten wollte. Die Bruderschaft galt sehr viel unter allen Mutanten, und seit es die nicht mehr gab, hatten alle das Gefühl, dass es schlechter wurde. In uns sahen sie also auch die Hoffnung, dass es für alle wieder besser werden könnte.
Leise hatten wir den Raum verlassen und ließen Thimo erstmal ausschlafen. Über den Freelancer, der auch schon zuvor zwischen uns und dem Großen Rat der Freien Mutanten vermittelt hatte, ließ Frank ihnen die Nachricht zukommen, dass Thimo frei sei und wo er zurzeit zu finden wäre, falls sie ihn lieber abholen wollten. Eine Reaktion von ihnen bekamen wir nicht.
Insgesamt hatten wir 17 ehemalige „Spartaner“ hier zu versorgen: acht aus dem Thronsaal, sechs aus der 16. Etage und drei vom Eingangsbereich. Nachdem wir dann bei allen Patricks Hypnoblock entfernt hatten, er war wirklich nicht sonderlich „intensiv“, wie Leon feststellte, entschlossen sich einige von ihnen, zumindest vorerst bei uns bzw. den Hoods zu bleiben.
Ausgerechnet unsere „speziellen Freunde“ aus der 16. Etage, also Heiko, der Pseudometabolist, Danny, der unsichtbare Elektrokinet und Jens, der „Disruptor“, waren sehr an den Hoods interessiert. Wobei Jens mich anfangs mit nicht sonderlich freundlichen Blicken bedachte, zierte doch sein Kopf eine prächtige Beule. Doch er sah ein, dass auch seine „Begrüßung“ alles andere als freundlich gewesen war. Sie alle hatten sich als Freelancer durchgeschlagen, bevor sie von „King Roy“ zu „Spartanern“ gemacht wurden. Doch jetzt hatten sie sich an einander gewöhnt und wollten nach Möglichkeit zusammen bleiben.
Kim, der Teleporter, auf den wir zuerst im Eingangsbereich getroffen waren und der letztlich im Thronsaal von Erics Schockdrohne zur Strecke gebracht wurde, wollte auf jeden Fall bei den Hoods bleiben. Er war ein guter Teleporter, der zudem die seltene Fähigkeit der „Exoteleportation“ beherrschte. Er konnte andere Gegenstände „fremd“ teleportieren, also ohne dass er selbst teleportiert. Als Teleporter waren Entfernungen von 400 Kilometer für ihn kein Problem. Auch bei der Exoteleportation erreichte er solche Entfernungen.
Wenn er also wirklich böse wurde, konnte er einen mal auf die Schnelle in der Erdumlaufbahn parken - was ohne Raumanzug reichlich ungesund sein soll. Da hatten wir also noch einmal Glück gehabt - oder machte uns das Vakuum als Ghosts nichts aus? Er war auf jeden Fall eine Bereicherung für die Hoods. Auch Igor und Pedro, zwei starke Telekineten, wollten, zumindest vorerst, bei den Hoods bleiben.
Acht der Befreiten wollten wieder zu ihren alten Gruppen zurück und drei weitere waren früher Freelancer und konnten sich noch nicht so recht entscheiden. Sie würden vorerst ebenfalls bei den Hoods bleiben, wollten aber nichts versprechen. Zu viele neue Mitglieder konnte auch die Struktur der Hoods etwas durcheinander bringen.
Was aus dem Sektor von „King Roy“ werden sollte, darüber waren wir uns nicht so ganz klar. Einerseits würde er ohne „Gruppe“ destabilisiert werden und auch ein Bandenkrieg um das verwaiste Territorium wäre möglich. Andererseits wollten wir uns nicht noch mehr zumuten. Zumal auch nicht klar war, wie die Freien Mutanten auf eine Gebietserweiterung reagieren würden. Überhaupt war noch immer nicht klar, wie die Freien Mutanten reagieren würden.
Leon jedenfalls hatte als Freelancer die meisten seiner Kollegen über die Ereignisse informiert. Von denen war keiner über das „Ausscheiden“ von „King Roy“ traurig. Nach den ersten Kommentaren war uns sogar eher Hilfe zugesagt worden, falls „jemand“ Probleme machen sollte. Inwieweit diese Hilfe dann auch kommen würde, falls wir sie einforderten, wagten weder Leon noch Frank vorauszusagen. Aber allein, dass so etwas angeboten wurde, würde die Freien Mutanten oder deren Großen Rat weiter zögern lassen, gegen uns vorzugehen.
Auch Leon würde die nächsten Tage noch hier bleiben, bis sich die Situation etwas beruhigt hatte. Dann aber wollte er zusammen mit Patrick nach Australien gehen, da er dort noch etwas zu erledigen habe. Wir alle waren der Meinung, dass das auch das Beste für Patrick sei, obwohl keiner der Befreiten ihm wirklich böse war. Sie waren zwar durch seinen Hypnoseblock dazu gezwungen worden „King Roy“ zu dienen, hatten aber sonst völlig frei agieren können. So wussten sie auch wie viel Druck der „King“ auf Patrick ausgeübt hatte. Wenigstens diese Sorge waren wir also los.
Nachwort
Bei dem Titel „I Don´t Like Mondays“ hatte ich ein wenig „Bauchschmerzen“. Er passte mir einfach gut ins Konzept, nur wer die Geschichte kennt, die hinter dem Lied steht, findet ihn wahrscheinlich etwas unpassend:
Am 29. Januar 1979 läuft in San Diego, Kalifornien, die Schülerin Brenda Spencer Amok. Sie erschießt dabei einige ihrer Schulkameraden. Als Motiv gab sie an: »Ich hasse Montage (I don't like Mondays)«.
Dieses Zitat inspirierte Bob Geldof zu dem Song. Später wurde Bob Geldof noch bekannter mit seinem „Band Aid“ und „Live Aid“-Projekt.
Wie gesagt, mir ging es nur um den Titel, wie wahrscheinlich vielen anderen auch, die sich montags dieses Lied im Radio wünschen. Ob die jedoch die Geschichte des Liedes kennen?
Auch das noch...
Da sich das Feedback nach Episode 0 Teil 6 doch erheblich gebessert hat, habe ich mich dazu entschlossen, auch die restlichen Episoden die ich geschrieben habe, zu veröffentlichen.
Leider sehen nur die wenigsten Leser die Möglichkeit, die ihnen das Feedback bietet. Wie soll ein Autor wissen, was euch gefällt oder eben auch nicht gefällt, wenn ihr euch dazu kaum äußert? Natürlich freut man sich über E-Mails, die einen auffordern, weiter zu machen. Aber einige Unklarheiten sind mir eben nur deshalb aufgefallen, weil es Leser gab, die fragten, kritisierten und kommentierten. Ich persönlich halte diese Art von Kontakt für unverzichtbar und finde es schade, dass nur sehr wenige Leser davon Gebrauch machen.
Bei mir im Forum habe ich einige Auszüge aus den bisherigen Reaktionen zur Diskussion gestellt. Es geht nicht darum die Meinung eines Lesers herunter zu machen, sondern als Anregung wie ihr das seht. Nur so kann ich sehen, ob das, was ich mit der Geschichte sagen wollte, auch wirklich so ankommt.
LG
Martin (aka Mike)
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