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Shadowy - Episode 4
Teil 3
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Informationen
- Story: Shadowy - Episode 4
- Autor: Torben
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction
Vorwort zu Shadowy Episode 4 Teil 3
Hallo Leute! Dies wird nun die vorerst letzte Episode meiner Shadowy-Story. Wieder wird die Geschichte nicht nur von Mike erzählt, sondern auch von einem neutralen Beobachter. Es hat sich gezeigt, dass ihr so die anderen Charakter besser kennen lernen könnt. Außerdem ist es mir so möglich von Gegebenheiten zu berichten, die Mike eben nicht selbst erlebt hat. Mike wird weiterhin aus der „Ich“ Sicht berichten eingeleitet mit @Mike, ansonsten berichtet der „Große Bruder“ Er-Erzähler. Wie die Nummerierung schon andeutet – ist es sicherlich sehr hilfreich die vorhergehenden Episoden gelesen zu haben, um Episode 4 verstehen zu können. Nur so als Tipp. ;-) Alle Rechte an den Personen, soweit möglich, liegen bei mir. Fragen und Anregungen sind jederzeit nicht nur erlaubt sondern ausdrücklich erwünscht!. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen, existierenden und nicht mehr existierenden Organisationen, Glaubensgemeinschaften so wie Staaten und Behörden sind weder wirklich zufällig noch völlig unbeabsichtigt sondern manchmal einfach unvermeidbar. Sie stellen aber immer die subjektive Meinung des Autors über diese Personen, Organisationen, Glaubensgemeinschaften, Staaten und Behörden dar. LG Martin (aka Mike)
Us and Them
Us, and them
And after all we're only ordinary men.
Me, and you.
God only knows it's not what we would choose to do.
Forward he cried from the rear
and the front rank died.
Aus „Us and Them“on Pink Floyd
@Mike
Mensa - Campus Occursus
Freitag, 04.01.2036 gegen 7 Uhr
Würden wir heute gemeinsam nach Hause, also zurück zum Campus Occursus fahren? Schon am Morgen beim Aufstehen beschlich mich so ein seltsames Gefühl, doch das war ja nichts Neues. Ungewohnt harmonisch verlief dann das gemeinsame Frühstück. Stefan konnte von keinen wesentlichen Änderungen aus Sektor-17 berichten, und von der politischen Front, also von unserem geschätzten Senator Huber, war auch nichts Bemerkenswertes zu erfahren. Keine Nachrichten, das hieß in unserer momentanen Lage auch, keine schlechten Nachrichten. Gute Nachrichten waren schon seit längerer Zeit nicht mehr zu uns durchgedrungen. Wenn wir etwas Gutes hören wollten, dann mussten wir schon selbst dafür sorgen.
Überraschend unbeeindruckt war Geralds Mitgliedschaft von Frank zur Kenntnis genommen worden. Nur das Aufstocken von Zack, Kim und Nico war ihm eine »Musste das auch noch sein?« Äußerung wert. Aber als Lukas die Erklärung mit »Zack hat …« beginnen wollte, winkte Frank resignierend ab und murmelte nur noch »Ist schon gut«. Da erst realisierte ich, wie sehr wir ihn übergangen hatten. Er war doch auch ein Iratus Lemurum, Mitglied der Tafelrunde und vor allem ein guter Freund. Doch immer wieder ließen wir ihn weitgehend außen vor. Zugegeben er pflegte sein „einsamer Wolf Image“ schon sehr intensiv, aber auch wir unternahmen recht wenig um ihn mehr einzubinden. Julian und ich erklärten ihm dann in einem sehr ausführlichen „Telepathen-Gespräch“ die genauen Umstände, und ab da war es wirklich okay.
Dass Thimo sich nun dazu entschlossen hatte, der „Einladung zu einer Aussprache“ des Großen Rates zu folgen, nahm ich dann auch nur noch nebenbei zur Kenntnis. Franks gestrige Klarstellung, dass Thimo sich uns offiziell angeschlossen habe und somit in keiner Weise weiterhin dem Großen Rat unterstehen würde, war dort also offensichtlich angekommen. Jedenfalls war ab dem Zeitpunkt nur noch von einer „Einladung“ die Rede.
Dabei musste ich immer mal wieder daran denken, was Julian über den Konvent der Bruderschaft und die Funktion des „Primus inter pares“, also des „Ersten unter Gleichen“, erzählt hatte. Im gewissen Sinne war dies genau die Funktion, die Frank schon längere Zeit einnahm. Er war unser Repräsentant nach außen, er hielt den Kontakt zu den Freelancern und den meisten anderen Gruppen.
Aber auch dies war ein Problem auf unserer ins unendliche strebenden Aufgabenliste. Wie sollten wir das je in den Griff bekommen?
»»Wenn man nicht mehr weiter weiß, bildet man nen’ Arbeitskreis!««, meldete sich Gerald etwas holprig in meine Überlegungen.
Einige Sekunden war absolute Stille am Tisch, während Gerald langsam knallrot anlief. »Sorry, ich …, ich wollte nicht …, ich hab mich nur ein wenig mit dem Anhänger befasst, und dann bekam ich … ich meine«, hilflos stotterte sich Gerald einen ab, während wir alle ihn schweigend anstarrten.
Wenige Sekunden später brach das Gelächter los, ausgerechnet Gerald hatte sich bei mir „eingebucht“, wie das neuerdings von Benny genannt wurde. „Echte“ Telepathen „klinken“ sich bei einem anderen ein. Das konnten wir über unsere telepathische Firewall regeln und inzwischen hatte selbst ich darin einige Übung. Den Begriff „einbuchen“ entnahm Benny aus der Informatik und damit war der telepathische Kontakt unter den Mitgliedern der Bruderschaft gemeint.
Als sich meine Überlegungen um die Bruderschaft und unsere Probleme drehten, musste ich, wohl eher unbeabsichtigt, diese Überlegungen für die Bruderschaft freigegeben haben. Wir wussten inzwischen, dass dies eine Art von „großer Sitzung“ ermöglichte. Wenn man eine Nachricht an alle absenden wollte, dachte man einfach an die Bruderschaft insgesamt und dann erreichte sie jeden.
»»Aber in diesem Fall nur die am Tisch Anwesenden««, klärte mich Frank auf.
Es gab also auch hier noch einige „Feinheiten“ bezüglich der Funktion der Anhänger, die wir noch herausfinden mussten.
»»Ist doch relativ einfach, du hast zwar im Großen und Ganzen an die Bruderschaft gedacht, dabei aber nur die Anwesenden adressiert. Wenn du an eine bestimmte Gruppe denkst, dann denkst du im allgemeinen ja nicht an jedes einzelne Mitglied. Du weißt, wen du zu der Gruppe zählst und diese Gruppe ist dann ein einziges Gedankenbild. Vom Anhänger werden demnach dann auch nur diese Mitglieder angesprochen««, Frank grinste breit und fand es offensichtlich sehr amüsant, wie Gerald noch immer mit sich kämpfte. »»Gerald hingegen dachte bei seiner Antwort eigentlich nur an dich, seine Antwort hast du uns erst zugänglich gemacht.««
Julian, der sichtliches Mitleid mit dem Ärmsten hatte, griff dann auch Geralds spöttische Bemerkung wieder auf: »»Warum aber nicht wirklich einen Arbeitskreis bilden? Probleme stehen genug an und alles können wir nun wirklich nicht bis ins Letzte mit jedem diskutieren««, dabei warf er einen anzüglichen Blick zu Tom, unserem „Diskussionsfanatiker“. Der nahm den „Fehdehandschuh“ auch sogleich auf.
»»Jetzt fehlt nur noch der Vorschlag, einen Arbeitskreis zu bilden, der sich damit beschäftigt ob wir Arbeitskreise bilden sollen, die sich mit den einzelnen Problemen von Arbeitskreisen beschäftigen««, frotzelte er entsprechend begeistert.
Hatte ich schon erwähnt, dass Tom längere Diskussionen überhaupt nicht mochte? Ja? – Dann möchte ich es nur noch einmal betonen.
Süffisant lächelnd fragte Frank: »»Ist das jetzt ein Antrag zur Abstimmung?««
»»He, he verderbt mir die Harmonie nicht!««, grummelte ich. »»Also ich wäre jetzt wirklich froh, wenn sich eine kleinere Gruppe, ich denke da an Frank als Vertreter der Iratus Lemurum, Robin als Repräsentant der Hoods und Stefan als Vertreter der Normalos, sich über die Tafelrunde oder von mir aus den Konvent, Gedanken macht. Irgendjemand muss da sein, der gewisse Entscheidungen trifft und diese Institution sollte eben sowohl Normalos als auch Mutanten umfassen.««
»»Du willst nicht mitreden?««, wunderte sich Frank.
»»Ich kann ja noch immer mit abstimmen. Außerdem weißt du sowieso sehr genau, was ich mir so vorstelle und wirst es schon richtig machen««, grinste ich ihn aufmunternd an.
Zugegeben, es war nicht sehr nett, ihm diese Arbeit auch noch aufzuhalsen, aber Frank war in dieser Hinsicht auch ein Ordnungsfanatiker. Er war es damals, der die Tafelrunde initiierte, warum sollte er sich dann nicht auch um die Strukturierung der Bruderschaft kümmern. Er wusste, wie es bei den meisten Gruppen zuging und konnte so verhindern, dass wir deren Fehler wiederholten.
Da er sowieso die meiste Zeit damit beschäftigt war, uns den Rücken frei zu halten und unglaublich viele Dinge in unserem Sinne organisierte, schadete es nichts, dies auch einmal nach außen zu tragen. Die Anerkennung wäre eigentlich schon lange fällig gewesen, alleine für das, was er zusammen mit Robin alles in Camelot regelte. Genauso wie Stefan es hier auf dem Campus für uns tat. Wie üblich merkten wir nur wenn etwas nicht funktionierte, wie viel die anderen bisher im Hintergrund für uns geregelt hatten.
Ohne größere Diskussion waren wir wenig später unterwegs zur Schule, und das bedrückende Gefühl war wieder da. Stärker noch als am Morgen. Etwas lag in der Luft, das fühlte ich, aber ich konnte mich einfach nicht darauf einstimmen. Doch zu meinem Erstaunen verging der ganze Vormittag ohne jedes Problem.
Die Drachen, also eigentlich Boris, Manuel und ihr Riesenbaby Donk wussten auch nichts Neues zu berichten, wobei ich das von Donk eh nicht erwartet hätte. Bei ihm ließ auch ich mich viel zu sehr vom äußeren Eindruck täuschen. Von einem solchen Muskelberg erwartet man einfach keine intelligente Regung. Dabei konnte auch er nur aufgrund seines Verstandes ein Neckler-Stipendium erhalten haben.
Doch dann wurde es Mittag. Wir saßen alle an unserem neuen Stammtisch, nahe des „Sektor 20 Eingangs“. In der Mensa gab es nun keine zwei Klassen Gesellschaft mehr, wenigstens keine durch Absperrungen erzwungene. Genau um 12:05 Uhr flammten die Monitore über den Essensautomaten auf, und Reality-TV unterbrach das laufende Programm für eine aktuelle Sondersendung. Es wurde live aus Sektor-15 berichtet, und was ich da sah, war wohl der Grund für mein mieses Gefühl.
Hauptquartier der Freien Mutanten - Tief unter der Erde
Freitag, 04.01.2036 gegen 10 Uhr
Thimo sah sich in dem geräumigen zweigeteilten Saal um, den die Freien Mutanten als Versammlungssaal nutzen. Der 12x25 Meter große Raum wurde durch drei Rundbögen, die von schlichten Betonsäulen getragen wurden, in den Ratsbereich und den etwas größeren Versammlungsbereich unterteilt.
Im Ratsbereich stand der große sieben Meter lange ovale Tisch, an dem die zwölf Mitglieder des Großen Rates während der Sitzung saßen. Vom Haupteingang, der sich mittig an der Stirnseite des Versammlungsbereichs befand, konnte man durch den Mittelbogen direkt auf den Ratstisch sehen. Rechts vom Ratstisch befand sich der zweite Eingang zu dem Raum, der so genannte „Ratseingang“, der bevorzugt von Mareck und seinen Anhängern genutzt wurde.
Im Versammlungsbereich standen noch sechs schwere rechteckige Stahltische und genügend Stühle für mindestens 30 Personen. Sie waren von den Vorbesitzern, also dem Militär übernommen worden, während die besseren Stühle des Rates extra herbeigeschafft worden waren. Erstaunt realisierte Thimo, dass ihm dies früher nie aufgefallen war.
Zwar hatte es hier noch nie eine „Öffentliche“ Ratssitzung gegeben, denn die Letzte lag mehr als 90 Jahre zurück und da existierte der Bunker noch nicht. Doch wenn sich die Freien Mutanten versammelten um eine Kampagne zu starten, dann trafen sie sich hier im Versammlungsbereich.
Das „hier“ war einer der militärischen Tiefbunker, die noch aus der Anfangszeit von Sektor 20 stammten. Dass dieser Bunker überhaupt noch existierte, wusste niemand außer den Freien Mutanten. Einige der besten Telekineten waren tagelang damit beschäftigt gewesen, alle bekannten Zugänge in einen Zustand völliger Verwüstung zu verwandeln. Deshalb galt der Bunker auch schon seit den Novemberunruhen 2022 als zerstört. Dafür waren einige andere Mutanten mindestens ebenso lange damit beschäftigt gewesen, zwei neue Zugänge für die Nichtteleporter anzulegen. Der große Kartenraum, von dem im „Ernstfall“ die Generäle ihre letzten Befehle geben sollten, diente nun den Freien Mutanten als Versammlungsraum.
Thimo war früh gekommen, früher als „bestellt“, aber auch das gehörte zu seinem Plan. Seit seinem Gespräch mit Paul suchte er Kontakt zu allen Freien Mutanten, von denen er wusste, dass sie sich entweder für die Bruderschaft interessierten oder mit dem bisherigen System des Großen Rates nicht einverstanden waren. Erst jetzt begriff er, wie viele Unzufriedene es wirklich gab. Klar, immer wieder war er von dem einen oder anderen angesprochen worden, wieso er sich so sehr für den Großen Rat einsetzte. Doch damals hielt er es für richtig, im selben Maße wie er es jetzt für falsch hielt.
Ihm war klar, dass Mareck alles versuchen würde, seine Entscheidung für die Bruderschaft als Verrat an den Freien Mutanten darzustellen. In wieweit Marek darüber informiert war, dass die Sitzung des Großen Rates nun eine „öffentliche“ sein würde, war Thimo sich nicht sicher. Die jedenfalls, mit denen er gesprochen hatte, würden sich eher die Zunge abbeißen als Mareck einen Tipp zu geben.
Auch das war an sich eine bestürzende Erkenntnis, die Thimo lange Zeit verborgen geblieben war. Mareck galt inzwischen wohl als der meistgehasste Heiler aller Zeiten. Wobei sich alle einig waren, dass es noch nie einen Heiler gab, der gehasst wurde, zumindest nicht von den Mutanten. Je länger er sich mit den Einzelnen unterhielt, desto klarer wurde ihm, dass Mareck wohl schon seit Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, keinen Mutanten mehr in irgendeiner Form geheilt hatte. Stattdessen führte er sich auf wie ein Großinquisitor zur schlimmsten Zeit der „eiligen Inquisition“.
Bastian, ein guter Freund von Paul, der auch Heiler war und dem Großen Rat angehörte, zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Thimo war sich sicher, das der 35-Jährige, der noch immer aussah wie achtzehn, auch gut zur Bruderschaft passen würde. Doch bei ihm würde Frank sicherlich massiven Widerstand leisten, wenn nicht sogar sein Veto einlegen, wobei Thimo sich nicht sicher war, ob es so ein Vetorecht bei der Bruderschaft überhaupt gab.
Gestern noch hatte sich Thimo bemüht, mit Frank ins Gespräch zu kommen, doch beim Thema Bastian schaltete Frank auf stur. Anders als Paul war Bastian durchaus jemand, der seine Meinung auch gegen Widerstand durchsetzte. Er war der zweite Heiler gewesen, der bereit gewesen wäre, Frank zu helfen. Doch Bastian forderte damals einen Preis, den Frank nicht bereit war zu zahlen.
Bastian stand im Allgemeinen voll hinter der Großen Konvention. Deshalb hatte er von Frank verlangt, er müsse sich zu den Freien Mutanten bekennen und in Zukunft die Große Konvention einhalten. Nur unter dieser Bedingung wäre er bereit gewesen, ihm zu helfen. Für Frank war das anscheinend unannehmbar gewesen, genauso, wie er nun Bastian als Mitglied der Bruderschaft als unakzeptabel empfand.
Still in der dunkelsten Ecke des Saales, verbarg sich der „schüchterne“ Enzo, den Thimo immer wieder mit Marty verglich. Enzo war nur 1 Meter 65 groß und sehr schlank, eigentlich fast schon etwas schwächlich. Aber er war der Gatekeeper, er beherrschte das, was Fred und George immer zusammen machten, nur eben alleine. Wie sie konnte Enzo einen stabilen Durchgang erzeugen, durch den man gehen konnte. Seine Fähigkeit war, so weit Thimo wusste, unter den Freien Mutanten und auch sonst, einmalig. Ähnlich Marty war Enzo verschlossen und meist in sich gekehrt. Doch als Thimo ihn auf die Bruderschaft ansprach, war Enzo ungewöhnlich schnell bereit ihm zu helfen. Auch bei Enzo wurde Thimo das Gefühl nicht los, offene Türen einzurennen, wenn es um die Bruderschaft ging.
Nicklas oder nur einfach Nick, ein Parasurfer, war auch schon anwesend. Sein Zwillingsbruder Björn hatte bei Erics „Vergangenheitsforschung“ eine wichtige Rolle gespielt. Erst durch Björn waren sie auf Thor Bergström aufmerksam geworden und konnten so das Rätsel lösen. Leider galten Björn und Nicklas als unrettbar zerstrittenen, und wieder schien, wie bei Gerald und Leon, die Große Konvention der Auslöser des Streites gewesen zu sein. Im Übrigen war Nicklas einer derer, die für Mareck nur abgrundtiefe Verachtung empfanden. Über das Warum gab es sehr viele Gerüchte, doch von Nicklas war nie etwas gesagt worden.
Blieben noch Florian und Timy zu erwähnen, wobei letzterer zu den besten Telepathen gehörte, die Thimo kannte. Florian hingegen war Telekinet und wie Jens von der Bruderschaft ein Disruptor. Olaf versuchte einmal, diese Fähigkeit in einem Vortrag als hochfrequentes telekinetisches Wirbelfeld zu beschreiben. Alles, was in dieses meist kugelförmige Feld geriet, wurde regelrecht zermalmt und zerpulvert.
Die schwächste Anwendung der Disruptorfähigkeit fühlte sich an, als würde man zusammengequetscht und gleichzeitig auseinander gerissen. Jeder, der dies einmal erleben durfte, verzichtete gerne auf eine Wiederholung.
Insgesamt waren Disruptoren unter den Mutanten mehr gefürchtet als beliebt. Doch gerade für Florian empfand Thimo besonders viel Sympathie. Und seit Thimo nicht mehr für den Großen Rat arbeitete, schien auch Florian ihm sehr viel freundlicher zu begegnen. Jedenfalls war auch Florian sofort bereit, Thimo notfalls zur Seite zu stehen. Dass Thimo mit „seinem eigenen Freundeskreis“ eine kleine Hausmacht zur Unterstützung dabei hatte, davon ahnte Mareck mit Sicherheit nichts.
Völlig in seine Gedanken versunken sah sich Thimo um, und freute sich insgeheim, wie viele sich dazu entschließen konnten, hierher zu kommen. Aufgrund der plötzlich einsetzenden Stille erahnte Thimo wer nun, wie gewöhnlich durch den Ratseingang, den Raum betreten hatte. Mareck war angekommen und schien schon auf den ersten Blick alles andere als erfreut.
„Der Würfel“ - Campus Occursus
Freitag, 04.01.2036 gegen 10 Uhr
Zack umschloss mit der Rechten seine Waffe nun noch fester und hastete scheinbar einen langen dunklen Korridor entlang. Die Illusion war nahezu perfekt, das musste sich Zack eingestehen. Doch seine ausgeprägten Sinne verrieten ihm, dass er sich trotz des andersgearteten optischen Eindrucks eigentlich nicht wirklich vorwärts bewegte.
Der Würfel oder Kubus war noch eine Einrichtung, die aus der Zeit stammte, als der Campus eine militärische Schule war. Wobei „der Würfel“ eigentlich „die Würfel“ heißen sollte, denn er bestand aus insgesamt 27 Würfelmodulen, von denen jedes Modul eine Kantenlänge von acht Metern besaß. Somit kam der Kubus als Ganzes auf eine Kantenlänge von 24 Metern. Jedes seiner Module bestand aus unterschiedlich angeordneten Gängen, Leitern und Röhren, die zudem sehr variabel waren. Außerdem, und das war der zusätzliche Clou, konnte jedes Modul bewegt werden und im Prinzip jede Position eines der anderen Module einnehmen. Zusätzlich gab es noch etliche Spezialmodule die bei Bedarf anstatt eines der Universalmodule eingeschoben werden konnten.
Immer wenn Zack von einem Modul zum nächsten ging, spürte er an der minimalen Vibration, dass dieses sich nun zum Zentrum des Würfels bewegte. Rein theoretisch versuchte die Steuerung immer dafür zu sorgen, dass sich Zack im virtuellen Mittelpunkt der Anlage befand. So war er immer von Modulen umgeben und egal ob er seinen Weg geradeaus, rechts, links, nach oben oder untern fortsetzte, immer stieß er auf ein neues Modul und neue Überraschungen.
Natürlich hätte er Teleportieren können, doch das wäre gegen die Spielregeln gewesen. So lauschte er nun wieder den Gang entlang und nutzte die Sinne, auf die er sich schon in der Unterwelt immer verlassen konnte. Auch hier im Würfel halfen ihm das Frequenzsehen und sein ausgesprochen feines Gehör einige der Gefahren, die Sammy für ihn bereithielt, zu erkennen.
Ein leises Summen hinter ihm und ein leichter Luftzug warnte Zack, dass sich in der Decke eine Klappe geöffnet haben musste. Instinktiv warf er sich auf die Seite, riss die Waffe hoch und schoss. Martin würde sicherlich stolz sein, denn der Laser der Übungswaffe traf exakt die Markierung. Ein leiser Knall verbunden mit einem Lichtblitz signalisierte das Ende der automatischen Waffe, die sich aus der Decke geschoben hatte. Alles hier im Würfel war so gestaltet, dass man immer den Eindruck der Echtheit vermittelt bekam.
Nur das Armband an seinem Handgelenk mit dem Punktestand störte diesen Eindruck, doch Zack hatte darauf bestanden. Er wollte schließlich wissen, wie gut er inzwischen war und mit 1200 Punkten lag er nun ganz sicher vorn.
Den Kontrollraum, zu dem er sich durchschlagen sollte, würde er erst im übernächsten Modul finden und so lange musste er vorsichtig bleiben. Denn mehr als einmal schon war er von Sammy darauf hingewiesen worden, dass der Leichtsinn sein größtes Problem sei. Eine Stunde und etliche Fallen später stand er dann endlich vor der rotweiß gestrichenen Tür und legte triumphierend den Hebel um. Das Schott glitt zur Seite und er stand einem Mark-23 gegenüber auf dem ein kleiner Teufel mit einer Sprechblase „Ups!“ aufgemalt war. Noch bevor Zack reagieren konnte, feuerte der Roboter einen Farbball auf ihn ab – Game Over so zu sagen.
Wut und Enttäuschung ließen Zack Tränen in die Augen steigen. So kurz vor dem Ziel hatte er sich einfach zu leichtfertig verhalten, das wusste er nun auch. Warum passiert mir das immer wieder, fragte er sich. So langsam sollte er doch Sammys skurrilen Humor kennen und wissen, dass der zu 90 Prozent auf seine Leichtfertigkeit setzte.
Noch immer funkelte Zack den Roboter wütend an, als Kim neben ihm erschien: »He, das war doch schon verdammt gut! Du hast den Rekord von Eric locker gebrochen und das hier«, damit zeigte er auf den Roboter, »das war wirklich notwendig! Du bist die letzten Meter einfach absolut sorglos vorwärts gerannt.« Tröstend nahm Kim den noch immer sehr frustrierten Zack in den Arm. Zacks größtes Problem war der Leichtsinn – und Kims größte Angst war, dass er Zack einmal nur wegen dieser Leichtfertigkeit verlieren könnte.
Doch viel Zeit blieb ihnen nicht, aus einem der versteckten Lautsprecher erklang Sammys ernste Stimme: »Zack? Kim? – Ihr sollt sofort in Stefans Büro erscheinen, im Sektor ist etwas passiert.«
Zack sah Kim erstaunt an, doch als der etwas sagen wollte, schüttelte Zack den Kopf und lauschte. Schwach, aber dennoch eindeutig, hörte er die Alarmhupe vom Hauptgebäude herüber schallen.
@Mike
Mensa der Otto-Hahn-Schule
Freitag, 04.01.2036 um 12:05 Uhr
Brüllendes Schweigen herrschte augenblicklich in der gesamten Mensa. Schwebekameras übertrugen gestochen scharfe Bilder von Mark-13 Robotern, die einen Angriff von Morlocks zurückschlugen. Etliche gepanzerte Fahrzeuge des Staatsschutzes standen brennend in den Straßen. Die sich überschlagende Stimme eines Reporters, die immer wieder von Salven der im Kampf befindlichen Roboter überlagert wurde, erklärte den geschockten Zuhörern das Geschehen. Nach seiner Darstellung wurde eine Abteilung des Staatsschutzes bei einer Routinekontrolle plötzlich und ohne Vorwarnung von starken „Kräften“ offensichtlich gut organisierter Mutanten überfallen. Den kampferprobten Männern sei es jedoch gelungen, die Monster zurückzudrängen und ihnen empfindliche Verluste beizubringen.
Manuel sah mich ironisch lächelnd an, und mir wurde spontan klar, was ihn an dem Bericht störte. Er selbst hatte zusammen mit Lukas, Tommy, Zack und Kim in einem Haus gegen Morlocks gekämpft. Einen wirklich überraschenden Angriff solcher Morlocks hätten die Leute vom Staatsschutz sicherlich nicht abwehren können.
Und eine ganze Abteilung, das waren mindesten 150 Mann, setzte der Staatsschutz bestimmt nicht bei einer „Routinekontrolle“ ein. Da war etwas verdammt faul an dieser Geschichte.
»»Die haben auch im Normalfall keine zwanzig Kampfroboter bei einer Routinekontrolle dabei««, gab Tom zu bedenken.
Boris sah mehr als nur sehr ärgerlich aus, als er grollte: »Jetzt haben wir bald auch noch den Staatsschutz am Hals. Unseren Sektor kontrolliert die militärische Abwehr und Sektor-15 wird jetzt wohl vom Staatsschutz okkupiert. Wenn das so weiter geht, ist bald der gesamte Sektor 20 ein militärisches Sperrgebiet.«
»Und noch immer wissen wir nicht, woher diese Pseudo-Morlocks wirklich kommen«, stöhnte Manuel wütend auf. »Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Quelle zu lokalisieren. Wenigstens euren Telepathen müsste so was doch gelingen, die müssten doch diese Pseudo-Morlocks aufspüren können.« Fast schon hilflos sah Manuel mich dabei an.
Doch unseren besten Telepathen war es nicht gelungen. Im Untergrund, wo wir das Labor aufgrund von Boris Hinweisen vermuteten, gab es sehr viele „Nester“ mit denkenden Lebewesen. Doch wir wollten nicht den Fehler der Freien Mutanten begehen und einfach mal einen Teleporter hinschicken. Das Risiko war einfach zu groß, dass so eine Aktion den gleichen „Erfolg“ wie die der Freien Mutanten gegen Janus hätte.
Es wäre der denkbar schlechteste Start für die neue Bruderschaft, in so ein „Gemetzel“ hinein zu geraten. Natürlich soll das nicht heißen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt weniger schlimm sein würde. Nach allem, was wir von Ralf, Gloria, Tommy und Zack erfahren hatten, könnte eine derartige Aktion niemals gelingen. Zu viele, teils sehr bizarre Mutanten lebten dort im Untergrund.
»Ihr habt keine Ahnung, wo die herkommen?«, riss mich Carlos Frage aus meinen Gedanken. »Ihr wisst nicht, wo die Catcher und Morlocks herkommen?«
Benny schüttelte den Kopf, während auf dem Bildschirm Kampfdrohnen Luftangriffe gegen die Morlocks flogen: »Nein, wir konnten mit den Daten von Boris das Gebiet nur etwas eingrenzen, doch es ist noch immer ein riesiges Areal. Da unten existieren gigantische Anlagen noch aus der Zeit, als Europolis gebaut wurde. Und diese Brutlabors müssen nicht einmal sonderlich groß sein, haben wenigstens einige Leute von NeckTech gesagt.«
»Rund um den Sektor gibt es noch einige Tiefbunker, von denen meist nur die Haupteingänge gesprengt wurden, als während der Novemberunruhen sich einige Aufständische dorthin zurückzogen. Aber diese Bunkeranlagen wurden schon davor und erst recht danach mehrfach umgebaut«, erklärte Manuel die Lage. »Im Osten von Sektor 20, also genauer unterhalb der Industriesektoren, gibt es sogar einen Tiefbunker, in dem ein illegales Spielkasino betrieben wird. Da kommen sogar die Reichen aus Europolis hin, um sich zu vergnügen. Im Untergrund rund um Sektor 20 könnte sich eine kleine Armee verstecken, und man müsste dennoch ewig suchen.«
»Die übrigen Bereiche sind außerdem auch noch ein Rückzugsgebiet der echten Morlocks, und da geht keiner freiwillig hinunter«, ergänzte Tom, der zusammen mit Eric sich auch schon sehr intensiv mit dem Problem beschäftigt hatte.
»Aber die Catcher bewegen sich doch dort unten, oder wie kommen die in das Labor und wieder hinaus?«, untermauerte Carlo unser „Nichtwissen“.
»Wir wissen es wirklich nicht. Eric meint, sie hätten da etwas mit Schallwaffen oder ähnlichem gemacht. Morlocks sind zwar meist tierhaft, aber nicht dumm, wenn sie sich einmal eine blutige Nase geholt haben, dann machen sie denselben Fehler nicht ein zweites Mal. Die Catcher könnten zum Beispiel etwas gemacht haben, was die Morlocks davon abhält sie je wieder anzugreifen«, erklärte Julian traurig. Denn die meisten von uns konnten sich vorstellen, dass dazu ein Massaker notwendig gewesen sein musste. Und egal, wie man über Morlocks dachte, der Gedanke an sich war einfach widerlich.
Lautes Gebrüll, Schreie und Gepolter rissen mich aus meinen Gedanken. Dann stürmten auf einmal schwarz uniformierte und schwer bewaffnete Staatsschützer durch die beiden Eingänge der Mensa. Sie trieben einige Mitschüler, aber auch Lehrer und Angestellte vor sich her. Betroffen sahen wir uns an, was hatte das nun schon wieder zu bedeuten?
Hauptquartier der Freien Mutanten - Tief unter der Erde
Freitag, 04.01.2036 kurz nach 12 Uhr
Thimo stand etwas verdeckt an der rechten Säule und beobachtete Marecks Reaktion. Keiner wusste, wie alt Mareck wirklich war. Allgemein schätzte man, dass er mindestens 400 Jahre alt sei, andere vertraten jedoch die weniger freundliche Auffassung, dass er aufgrund seiner Ansichten mindestens 1000 Jahre älter sein müsste. Einig waren sich jedoch alle, dass er von Jahr zu Jahr jünger aussah. Thimo kannte Bilder, also echte Fotos aus dem 20. Jahrhundert, auf denen Mareck wirkte wie Mitte dreißig. Inzwischen sah er aber aus wie knapp zwanzig, höchstens.
Doch je jünger er nach außen wirkte, desto älter wirkte er auf die, die ihn kannten. Leider war es jedoch nicht die Altersweisheit, wie sie Takashi an den Tag legte, sondern Starrsinn und Rechthaberei, die bis zur Überheblichkeit ging. Wo immer er war oder hinkam, erachtete er es als selbstverständlich, dass sich alle seinem „Ratschlag“ unterordneten. Selbst dann, wenn ihn niemand nach seiner Meinung fragte, was immer öfter geschah und von ihm völlig ignoriert wurde.
Schweigend und mehr als irritiert stand Mareck noch immer in der Tür, durch die er den Raum betreten wollte. Fast wie in der Bewegung erstarrt musterte er den Saal und schien nicht so recht zu begreifen, was er da sah. Zufrieden konstatierte Thimo, dass dieser Teil seines Planes schon gelungen war. Offensichtlich war Mareck tatsächlich überrascht, denn er würde sich nie freiwillig die Blöße geben, dass es etwas gab, was ihn überraschen konnte.
»Liebe Freunde! Ich muss euch bitten, den Saal zu verlassen, hier wird in Kürze der Großen Rat tagen. Unsere allgemeine Versammlung ist doch erst für Morgen vorgesehen!« Fast als spräche er mit kleinen Kindern tönte Marecks Stimme durch den Raum. Milde und freundlich mit einem Hauch von Vorwurf, dass die „Kleinen“ offensichtlich den Termin verwechselt hatten.
Ganz anders hingegen klang Nicklas Entgegnung: »Ich fürchte, mein lieber Mareck, du bist es, der sich wiedereinmal täuscht. Wir sind hier, weil wir das Recht der Freien Mutanten in Anspruch nehmen werden, der Sitzung unseres „verehrten Großen Rates“ beizuwohnen.«
In jedem seiner Worte schwang die Verachtung, die er gegenüber Mareck empfand, mit. Dass er das Wort „wiedereinmal“ im Zusammenhang mit „täuschen“ und Mareck aussprach, konnte locker als Beleidigung durchgehen. Auch sagte er nicht „sie wollten das Recht in Anspruch nehmen“ sondern „sie werden es in Anspruch nehmen“, was ebenfalls als Provokation gewertet werden konnte.
Entsprechend zornig funkelten Marecks Augen: »In dieser Ratssitzung geht es um Thimo, und er ist längst kein Mitglied der freien Mutanten mehr, deshalb hat er nicht das Recht, Fürsprecher einzuladen und schon gar nicht in solch unerhörter Zahl.«
Damit war den meisten klar, in welcher Richtung sich die Anhörung entwickeln sollte, wenn es nach Marecks Willen gegangen wäre. Er schien tatsächlich eine Art Tribunal beabsichtigt zu haben. Doch diesen Plan musste er aufgrund von Franks Einspruch zu einer „Einladung zur Aussprache“ umwandeln. Dabei irrte er tatsächlich „wiedereinmal“, wie Niklas zuvor schon bemerkt hatte.
Entsprechend höhnisch war dessen Bemerkung, wobei er es offensichtlich besonders genoss, dass inzwischen der gesamte Große Rat eingetroffen war: »Ich sagte doch schon, du täuscht dich wiedereinmal, und außerdem scheinst du auch nicht verstanden zu haben, wovon ich sprach. Wir sind nicht als Thimos Fürsprecher gekommen, denn solche hat er nicht nötig. Wir sind gekommen, weil wir UNSER RECHT als Freie Mutanten EINFORDERN, der Sitzung UNSERES Großen Rates beizuwohnen.«
Zustimmendes Gemurmel und vereinzeltes Klatschen war in dem mit über 25 Personen gefüllten Versammlungsbereich zu vernehmen. Die zwölf Mitglieder des Großen Rates standen mehr oder weniger in zwei Parteien bei dem ovalen Tisch, der nun noch mehr wie eine Barriere zwischen ihnen und dem „Pöbel“ wirkte. Paul, Bastian und Samuel bildeten die kleinere Partei, während die vier Ältesten und Mareck zu der Größeren gehörten. Die restlichen vier konnten sich nicht so recht entscheiden und sahen auch sonst sehr ratlos aus.
Marecks ansonsten immer sehr ehrwürdiges Gehabe, das im allgemeinen sein Auftreten begleitete, war nun wie weggewischt. Zornbebend sah er zu Nicklas und man konnte nun wirklich ernsthafte Zweifel an dem sonst immer demonstrativ vor sich hergetragenen Pazifismus der Heiler bekommen. Im Moment erweckte Mareck jedenfalls eher den Eindruck, als wolle er sich augenblicklich auf Nicklas stürzen.
Für Mareck glich die Situation einem Erdbeben: Wollte er doch auf dieser Sitzung den Weg für ein längst überfälliges Vorgehen gegen die „neue Bruderschaft“ frei machen, so musste er jetzt realisieren, dass seine Autorität und die alte Ordnung offen in Frage gestellt wurden.
Feindselig suchte er nun den Blickkontakt mit Thimo, in dem er den Anführer dieser „Meuterei“ ausmachte. Nicht nur, dass Thimo die Freien Mutanten verraten und den Großen Rat hintergangen hatte, jetzt zettelte er auch noch eine Revolution an. Entschlossen straffte sich sein Körper, als er erkannte, dass es nun Zeit wurde, ein für alle Mal mit den Abweichlern abzurechnen. Doch bevor er überhaupt dazu kam, etwas zu tun, klangen Schreie und Lärm von außerhalb des Saales zu ihnen herein.
Bestürzt sahen sich alle an, als die Sirene erklang und eine telepathische Nachricht der Bunkerwache mitten in der Übermittlung erstarb: »»Wir werden angegriffen, Muta… ««
Stefans Büro - Campus Occursus
Freitag, 04.01.2036 kurz nach 12:30 Uhr
Vor Zorn bebend stand Zack in Stefans Büro, und Kim hatte alle Mühe seinen Freund von unbedachten Reaktionen abzuhalten. Auch Nico, der schon vor Zack und Kim eingetroffen war, sprach beruhigend auf ihn ein. Doch Zack starrte nur auf den Bildschirm auf dem, in schneller Folge, immer neue Nachrichten in Form von Videosequenzen gezeigt wurden.
Als von dem angeblichen Überfall auf die Abteilung des Staatsschutzes berichtet wurde, alarmierte Stefan schon den „Führungsstab“, also vor allem Frank, Robin, Eric und Martin. Doch wenig später wurden schwere Flugschrauber gezeigt, aus denen Mark-13 abgesetzt wurden, die wenig später durch diverse aufgesprengte Schächte in den Untergrund vorstießen.
Als Zack und Kim eintrafen, berichteten die Reporter vor Ort von schweren Kämpfen der Roboter mit den „Monstern“. Immer wieder wurde von den Berichterstattern darauf hingewiesen, dass Senator Huber einen Sondererlass aus dem Jahr 2022 heranzog, um mit dieser Säuberungsaktion „endlich“ für Ruhe und Sicherheit im Sektor zu sorgen. Dies wurde damit begründet, dass sich die Abwehr als unfähig erwiesen habe, mit dem Problem, das die Sicherheit der ganzen Republik gefährde, fertig zu werden.
Bei dem Wort „Säuberungsaktion“ war Zack fast nicht mehr zu bremsen. Jeder von ihnen konnte sich vorstellen, welchen Auftrag die Roboter hatten. An der Gefangennahme von Mutanten bestand offensichtlich kein Interesse. Dies wurde auch von unterschiedlicher Seite, mal mehr mal weniger deutlich, berichtet.
Nervös sah Stefan auf die Uhr und fragte sich zum wiederholten Mal, wo Frank und Robin blieben. Ihm war klar, dass dies eine wohldurchdachte und lange geplante Aktion war. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit bei der Abwehr kannte er sich mit solchen Dingen sehr gut aus. Diese Aktion war mit Sicherheit schon vor mehr als einer Woche geplant worden, also sogar noch vor dem ersten Morlock-Überfall vor zwei Tagen!
Obwohl oder gerade weil der Sicherheitsrat des Senats noch immer tagte, griff Senator Huber auf einen rund 14 Jahre alten Sondererlass zurück. Ganz offensichtlich wollte er Tatsachen schaffen, bevor seine Kollegen im Senat etwas beschließen konnten, was ihm nicht ins Konzept passte. Einmal mehr zeigte sich, wie ungeschickt es war, solche machtvollen Sondergesetze ohne Verfallsdatum oder Laufzeitbeschränkung zu verabschieden. Was zur damaligen Zeit vielleicht sinnvoll war, konnte nun zu einem Desaster führen.
Summend öffnete sich die Tür und Ralf gefolgt von Tommy stürmten mit voller Kampfausrüstung in das Zimmer: »Kim, Zack, Nico! – Sofort fertig machen. Die Freien Mutanten benutzen den Obelisken, um in Camelot einzudringen!«
@Mike
Mensa der Otto-Hahn-Schule
Freitag, 04.01.2036 kurz nach 12:30 Uhr
Langsam standen wir auf und sahen uns um. Beide Eingänge waren von jeweils vier Mann besetzt, etwa 15 weitere Bewaffnete des Staatsschutzes versammelten sich vor den Ausgabeautomaten und versuchten die aufkommende Unruhe durch besonders martialisches Gehabe abzuwürgen.
»»Was wollen die denn hier?««, staunte Lukas und sah sich unauffällig um.
Wir hatten unseren Tisch nahe des ehemaligen „Sektor 20 Eingangs“ gehabt und standen nun relativ dicht bei den Wachen, die diesen Eingang kontrollierten. Stumm, konzentriert, aber weitgehend regungslos musterten sie die Menge. Die anderen Bewaffneten suchten hingegen offensichtlich die Menge ab.
Plötzlich zischte Carlo: »Das sind Catcher! Die beiden dort drüben kenne ich, die haben mich, nach eurem „Sigi-Zwischenfall“, im Sektor abfangen wollen, aber dann kam eine Streife einer Bürgerwehr vorbei und sie verzogen sich.« Dabei zeigte er auf zwei der Bewaffneten, die nun aber auch zu uns sahen und augenblicklich ihre Waffen in unsere Richtung schwenkten.
Zur selben Zeit wurde Carlos Nachricht wie ein Lauffeuer lautstark weiter verbreitet. »Das sind Catcher!«, raunte es durch die Mensa und verunsicherte die Bewaffneten offensichtlich.
Ein lautes Krachen ließ mich erschreckt herumwirbeln, doch ein telekinetischer Impuls von Julian drängte mich zur Seite. Der dunkle Schatten unserer runden Tischplatte, die Donk einfach aus der Verankerung gerissen hatte, schoss wie eine Frisbee an mir vorbei und traf die Gruppe von vier Catchern, die den Eingang versperrten, mit voller Wucht.
Augenblicklich huschte Carlo auch schon über die Getroffenen hinweg, blieb aber noch einige Sekunden stehen, so als wolle er sicher sein, dass ihm niemand folgte. Doch genau das war sein Fehler. Die beiden von ihm identifizierten Catcher sahen ihn und nahmen sogleich seine Verfolgung auf, als er die Gefahr erkennend losstürmte.
»Verflucht!«, schrie ich, doch da war Lukas schon an mir vorbei gehuscht. Im Vorbeirennen verpasste er einem der Catcher, der sich gerade aufrappelte, einen fürchterlichen ForcePunch und stürmte nun seinerseits den Catchern hinterher, die Carlo verfolgten.
Als wäre dies ein eindeutiges Startsignal gewesen drängte die Masse vor, auf die nun sichtlich überforderten Catcher zu. Ihre Schusswaffen trauten sie sich angesichts der Menge nun doch nicht einzusetzen, denn ihnen war wohl klar, dass sie dennoch überrollt und danach wahrscheinlich gelyncht worden wären. Die grauenhaften Szenen aus der Zeit der Novemberunruhen waren schließlich jedem bekannt. Die einzelnen Schüsse, die trotzdem abgegeben wurden, gingen alle in die Decke und sollten wohl als Warnung gelten, brachten die Meute aber erst so richtig zum Kochen.
»»Keine, besonderen Fähigkeiten, maximal ForceFight und etwas Elektrokinese!««, mahnte ich die Freunde und stürmte nun ebenfalls auf die Catcher zu. Innerhalb weniger Augenblicke, waren die entweder entwaffnet oder geflohen – oder beides.
Denen, die sich zur Flucht entschlossen hatten hetzten wir hinterher, bis zur nächsten Gangbiegung. Gerade noch rechtzeitig erkannte oder erahnte ich den Schützen, der am Ende des Ganges auf uns lauerte und riss Boris mitten im Laufen herum. Während wir beide stürzten, schlug ein Feuerstoß von mindestens 15 Geschossen in die uns gegenüberliegende Wand.
Ein Schmerzensschrei von Manuel ließ mich herumfahren, mit bleichem Gesicht hing er in Julians Arm und Blut spritzte unter seiner Hand hervor, die er sich kraftlos an die Halsschlagader hielt. Zwar war es Julian, durch meine Reaktion gewarnt, gelungen, Manuel gerade noch rechtzeitig zurückzureißen, bevor er in das Schussfeld des Catchers gelangen konnte, jedoch ein Querschläger oder Splitter musste ihn am Hals getroffen haben.
Währen Boris wie ein gequältes Tier aufschrie und zu Manuel stürzte, nützte ich das Chaos zur Orientierung. Ein kurzer telepathischer Impuls genügte, und Tom sperrte mit Gerald den Gang ab, so dass uns niemand folgen konnte. Der nächste Impuls galt dem Heckenschützen, war aber elektrokinetischer Natur. Der schrie nur kurz unter meiner Energieladung auf, bevor er bewusstlos zusammenbrach.
Ohne auf Boris zu achten, zogen wir Manuel um die Ecke und somit aus dem Blickfeld unserer Mitschüler. Wie üblich brauchten Julian und ich keine Worte, und so setzte er schon seine Reiki-Kraft ein, als ich noch bemüht war, Boris zu beruhigen.
Gerade als ich dachte, die Lage sei soweit unter Kontrolle, stürmte erneut ein Trupp Bewaffneter den Gang entlang genau auf uns zu.
Hauptquartier der Freien Mutanten - Tief unter der Erde
Freitag, 04.01.2036 gegen 12:30 Uhr
Thimo stand wie erstarrt neben „seiner“ Säule und versuchte zu begreifen, was das nun bedeuten konnte. Wer würde es wagen die Freien Mutanten offen anzugreifen? Als er jedoch durch die schwere Tür des Haupteingangs ein leises singendes Geräusch vernahm, begann er zu ahnen, wer die Angreifer waren. Dieses Geräusch kannte er vom Schießstand auf dem Campus. Es war das Geräusch, das entstand, wenn ein metallischer Gegenstand in die Kernzone eines Schallgewehrs geriet. Also jener Art von Waffe, wie sie Eric, Dirk und Kim von den Catchern erbeutet hatten.
Entsprechend handelte er nun sofort. An der verriegelten Tür zeigten sich schon die ersten glühenden Punkte, als er rief: »Das ist ein Catcher-Überfall, sie haben Schallwaffen, wir müssen hier raus!«, dabei zeigte Thimo auf die Ratstür, durch die Mareck den Saal immer betrat.
In dem Moment, in dem sich die ersten in Bewegung setzten, reagierte auch Mareck. Mit einem irren Blick hetzte er, gefolgt von seinen vier Schatten, durch die Tür und verschloss sie von innen. Gerade, als Thimo hindurch teleportieren wollte, hörte er auch von jenseits der Tür Schreie und dann wieder dieses singende Geräusch. Jetzt saßen sie wirklich in der Falle.
Der Saal hatte nur die beiden Ausgänge, und nur die wenigsten der Anwesenden waren Teleporter. Thimo schätzte die Lage ab, wie er es bei Eric gelernt hatte: »Enzo, wir brauchen einen Ausgang! Die Teleporter bleiben hier, bis alle in Sicherheit sind, jeder muss mindestens einen hier herausbringen! Alle anderen weg von den Türen! Ich brauche je zwei Telekineten an den Türen, ihr müsst sie im Rahmen halten, die Catcher dürfen keine Möglichkeit erhalten, etwas in den Raum zu werfen!«
Hastig sah er sich um, in aller Eile wurden die Tische umgeworfen. Zum Glück handelte es sich um schwere Metallkonstruktionen. Angeblich sollte man unter ihnen sogar vor herabfallenden Trümmern sicher sein. Jetzt mussten sie jedoch ihre Stabilität gegen Schallwaffen unter Beweis stellen.
Mehrere Detonationen ließen den Raum erzittern, das Licht flackerte und Rauch zog auf. Eine der Türen war gesprengt worden, hielt sich aber noch immer, von Janosch, einem Telekineten gehalten, im Rahmen. Janosch wurde nun von Andre, der ein Scutikinet, Telekinet und Elektrokinet war, unterstützt und geschützt. Scuti war das lateinische Wort für Langschild. Den Scutikinesen war es möglich, eine Blase aus PSI-Energie um sich bilden, also einen Schutzschild, wie man ihn eigentlich nur aus SF-Filmen kannte. Nun umschloss Andres „Schild“ ihn und Janosch.
Mit Enttäuschung musste Thimo dann jedoch beobachten, wie „der weiche Kern“ des Großen Rates, also die vier unentschlossenen, sich von zwei Teleportern in Sicherheit bringen ließ. Strategisch ein Fehler, da er die Teleporter erst zum Schluss für die Flucht der Verteidiger einsetzen wollte. Offensichtlich galten für diese Ratsmitglieder andere Prioritäten.
Während Paul, Samuel und Bastian zu ihm eilten, verließen die ersten Mutanten den Raum durch Enzos Gate, das der im mittleren Torbogen zwischen Versammlungsbereich und Ratsbereich inzwischen geöffnet hatte. Thimo wunderte sich über sich selbst, dass er gerade jetzt an eine von Zacks Bemerkungen denken musste: Fred und Georges Tor war wirklich eindrucksvoller. Bei Enzo war nur graues, gestaltloses Wabern zu sehen.
»Paul, Bastian schnell durch Enzos Tor, ich muss die Telekineten und Enzo selbst in Sicherheit bringen, falls die Catcher doch durchbrechen.« Beide nickten und waren wenige Augenblicke später durch das Gate verschwunden
Hektisch sah sich Thimo um und entdeckte endlich Marcus, einen Teleporter und Exoteleporter, den er aber nicht sonderlich mochte. Doch Marcus schätzte Mareck fast so sehr wie Nicklas und war wahrscheinlich auch mit ihm zusammen hierher gekommen. Thimo griff sich in die Seitentasche und fischte zwei Thermaldetonatoren hervor. Mit der Rechten auf die Türen weisend warf er die „Hölleneier“, wie Nico sie gerne nannte, mit der Linken zu Marcus: »Je eine direkt vor die Tür, zwei Sekunden Verzögerung ist eingestellt, nur drücken und weg damit!«
Mit kaum verholener Abscheu betrachtete Marcus die Thermaldetonatoren, und Thimo wurde klar, dass Marcus auch zu den Mutanten gehörte, die Waffen als „unter ihrer Würde“ betrachteten. Doch offensichtlich war er zu Kompromissen fähig. Marcus drückte die Auslöser, und in derselben Sekunde waren die Detonatoren mittels Exoteleportation aus seiner Hand verschwunden.
Jenseits des Haupteingangs hörten sie einen überraschten Ruf, dann war auch schon die Detonation zu hören und Thimo wusste, dass sie wieder etwas Zeit gewonnen hatten. So weit es Thimo, trotz des von den halbzerstörten Türen hereinziehenden Rauches, einschätzen konnte, verließen nun auch die Letzten den Versammlungsraum durch Enzos Gate.
Gleich darauf erfolgte eine weitere Explosion, und diesmal barst die linke Wand. Trümmer und Gesteinsbrocken flogen durch die Gegend und in der Mitte der Wand entstand ein großes Loch. Genauer ein fast fünf Meter großes Loch, das schnell größer wurde, da die dicke Wand einfach in sich zusammen fiel, als hätten Jens oder Florian ihre Disruptorkraft eingesetzt. Später erfuhr er, dass es eine Zermürbungssprengung war, bei der eine Schockwelle das Gestein regelrecht zermalmte.
Durch den aufgewirbelten Staub sah Thimo zwei Morlocks und einen Mark-13, die sich jedoch im gleichen Moment zu einer grässlichen, unförmigen, Masse verwandelten. Florian, der aus einer Kopfwunde blutete, musste alle drei auf einmal erwischt haben.
»Raus jetzt! – Ich kann sie noch etwas aufhalten«, schrie Thimo, ging in Phase und zog seine Waffe. Überrascht sah ihn Florian an und ging auf Thimo zu, um ihn weiter zu unterstützen. Erst als er durch Thimo hindurchgriff, begann er zu verstehen, dass der wohl keine Hilfe benötigte. Achselzuckend packte er stattdessen einen der Telekineten, der bisher die Ratstür gehalten hatte und nun, von einem Gesteinsbrocken getroffen, bewusstlos am Boden lag. Gemeinsam verschwanden die beiden durch das Gate.
Mit ein paar hastigen Schritten eilte Thimo zu der zerstörten Wand und spähte den Gang entlang, riss aber vor Schreck sofort den Kopf zurück, als er direkt in den Lauf einer schweren Schallwaffe eines Mark-13 blickte.
Nur einen Bruchteil einer Sekunde zögerte Thimo, dann wiederholte er eine Aktion, von der ihm Lukas erst gestern berichtet hatte. Aus seiner Seitentasche zog er einen Thermaldetonator und stellte ihn auf Spontanzündung, von manchen Soldaten auch zynisch „Suizid Einstellung“ genannt, da er so innerhalb einer Sekunde nach dem Loslassen zünden würde. Thimo streckte seine Hand in den Mark-13 und ließ los. Innerhalb der gleichen Sekunde glühte das Monster auf und war nur noch Schrott.
»»Der Kampf mit Waffen verstößt aber gegen die Große Konvention, schämst du dich nicht? Und auch noch ausgerechnet in diesen fast schon heiligen Hallen?««, spottete Enzo hinter ihm, und Marcus, der in Thimos Blickfeld stand, grinste säuerlich.
»»Ich wusste nicht, dass du so zynisch sein kannst««, lächelte Thimo und sah sich im Raum um. Enzo hatte sich hinter einem der Tische verschanzt und hielt das Tor weiterhin offen. Tobias, einer der Telekineten, lag halb unter der nun doch umgestürzten Tür und war offensichtlich bewusstlos. Ein junger Telepath von dem Thimo nicht einmal den Namen kannte, lag mit gebrochenem Genick halb unter einem anderen Tisch, er war offensichtlich tot.
Noch einmal sah Thimo vorsichtig den leeren Gang entlang. Andre stand noch immer neben Janosch, der die Tür des Haupteingangs hielt, und sah Thimo erwartungsvoll an. Doch Thimo schüttelte den Kopf: »Jetzt ist keine Zeit für Rache, geht durch Enzos Tor zum Sammelpunkt, ich komme so bald wie möglich. Und du Marcus, hol bitte Tobias da raus und verschwinde auch durch das Tor, dort sind Paul und Bastian, die sich um ihn kümmern können.« Dann ging Thimo zu dem toten Telepathen, hob ihn auf und ließ ihn sanft durch Enzos Tor gleiten, hier wollte er ihn nicht zurücklassen.
Lautes Dröhnen verkündeten das Herannahen weiterer Roboter und es wurde höchste Zeit zu gehen: »Gehst du durch dein Tor, oder kommst du mit mir?«
Enzo lächelte nur und ging auf sein Tor zu: »He, du weißt doch, der Letzte macht das Tor zu.« Dann war er durch und das Gate verschwunden. Traurig sah sich Thimo noch einmal um, dieses Treffen hatte er sich völlig anders vorgestellt. Es sollte eine böse Überraschung für Mareck werden, aber doch nicht für alle. Ohne Hast holte er die restlichen fünf Thermaldetonatoren heraus, bündelte sie und stellte die Zünder auf Synchronisation. Ein letzter Druck auf den Auslöser – und Thimo verschwand, als gerade zwei Mark-13 in den Saal stapften.
Otto-Hahn-Schule
Freitag, 04.01.2036 gegen 12:30 Uhr
Hastig rannte Carlo den Gang entlang und hörte hinter sich die trampelnden Schritte der beiden Catcher in ihren schweren Stiefeln. „Ich muss unbedingt mehr Abstand gewinnen“, dachte Carlo panisch, und schnellte um die Ecke. Fast wäre er gestürzt, so schnell rannte er die Treppe hinab zu den Physiklabors. Immer wieder übersprang er dabei die letzten Stufen bis zum Treppenabsatz.
Endlich erreichte er die Tür zum Physiklabor, stürmte bis zum Experimentaltisch, kramte seinen PDA hervor und legte ihn mit einem bedauernden Blick in den Tiegel des Schmelzofens. Mit flinken Fingern legte er den Hauptschalter um, drehte die Temperatur auf 1.400 Grad und wollte gerade auf den Einschalter umlegen, als die beiden Catcher durch die Tür brachen.
Synchron rissen die ihre Waffen hoch und schrien: »Halt, keine Bewegung Kleiner!«
Als sich Carlo nicht rührte, kamen sie langsam näher und sahen, was in dem Tiegel lag. »Warum willst du den PDA vernichten«, fragte der eine misstrauisch.
»Ist kaputt«, murmelte Carlo wenig glaubhaft.
»So, so«, grinste der Zweite und holte den PDA aus dem Tiegel. »Welche Daten hast du auf dem Ding gespeichert? Was ist da drauf, dass du ihn vernichten willst?«, wollte der Erste lauernd wissen.
»Nichts, wirklich überhaupt nichts! Er ist kaputt.«
Die Waffen ruckten ein Stück höher und zielten direkt auf Carlos Stirn. Dadurch „motiviert“ murmelte Carlo resignierend: »Da sind Daten drauf – Daten über die Jungs von NeckTech.«
Triumphierend sahen sich die beiden an. Während der Zweite den PDA einsteckte, bedeutete der Erste Carlo, dass er vorgehen sollte.
Kaum waren sie im Gang, da schlitterte Lukas auch schon um die Ecke und stoppte abrupt. Zu seinem Bedauern trugen sowohl Carlo als auch die Catcher einen Blockadechip und so hatte er sie nicht einpeilen können. Nun musste er auch noch feststellen, dass die beiden Catcher diese PSI-Störsender trugen, denn er konnte weder sie noch die Waffen telekinetisch greifen.
»Halt ihn auf, ich muss die Daten in Sicherheit bringen«, rief der Zweite und stürmte durch den Notausgang am Ende des Ganges. Der Erste drückte Carlo die Waffe an die Schläfe: »Zurück du Monster, oder der Kleine ist Geschichte!«
Kurz zögerte Lukas, dann hob er beide Hände zum Zeichen, dass er nichts tun würde. Gleichzeitig konzentrierte er sich auf ein Kabel, das auf einer Kabelbrücke direkt unter der Decke lag. Doch Carlos nervöses Zappeln und sein offensichtlicher Versuch mit ihm Blickkontakt zu bekommen, machte ihn selbst unsicher. Plötzlich rumpelte es über den Beiden, als er das Kabel anheben wollte. Der Catcher sah überrascht nach oben und Carlo nutzte die Gelegenheit, um unter der Waffe abzutauchen.
Als der Catcher bemerkte, dass seine Geisel nicht mehr da war, traf ihn auch schon ein elektrokinetischer Blitz aus einer Entladungszone, die Lukas in dessen unmittelbare Nähe erzeugt hatte.
Kurz beugte sich Lukas über den sichtlich bleichen Carlo und wollte dann den zweiten Catcher verfolgen. Doch Carlo hielt ihn zurück, sodass Lukas drängen rief: »Lass mich los, der entkommt noch mit den Daten!«
»Was für Daten?«, grinste Carlo.
Überrascht stutzte Lukas: »Er sagte doch, er müsse die Daten in Sicherheit bringen!«
»Er hat nur meinen PDA«, murrte Carlo etwas betrübt.
Lukas sah noch einmal zur Tür: »Scheiße Carlo, jetzt ist er entkommen!«, fluchte Lukas und ortete dem Van hinterher. Bis zur Auffahrt auf die reguläre Straße konnte er ihn noch mit Teleortung ausmachen, aber seine Elektrokinese hätte nie so weit gereicht.
Carlos Antwort riss ihn jedoch aus seinen Gedanken: »Eben, darum ging es doch!«, grinste Carlo zufrieden und stand auf. Sichtlich genoss er Lukas ratlosen Blick während er sich imaginären Staub von der Kleidung wischte.
@Mike
Otto-Hahn-Schule
Freitag, 04.01.2036 gegen 12:30 Uhr
Die Heranstürmenden waren keine Catcher, sondern von der Abwehr. Ausgerechnet der von uns so geliebte Direktor Schmitt fand es erstaunlich, dass der Staatsschutz auch seine Lehrer verhaften wollte. Dass es immer einen Grund gab, Schüler zu verhaften, hätte er ihnen wahrscheinlich sofort abgenommen, wenn sie ihn informiert hätten. So aber war er zu dem Schluss gekommen, dass da etwas nicht stimmen könnte und hatte die Polizei informiert. Da seine Kommunikation im Zuge von Bennys Unfällen noch immer überwacht wurde, erfuhr somit auch die Abwehr von den Vorgängen.
Inzwischen standen wir draußen auf dem Parkplatz, während die Abwehr das Gebäude nach weiteren Catchern durchsuchte. Boris sah noch immer sehr mitgenommen aus, fast schon schlimmer als Manuel, der ja eigentlich verletzt worden war. Tom stupste mir in die Seite und nickte in Richtung Julian: »Ihm ging es neulich auch nicht anders. Während du mit Fred, George und Marty Rätselraten spieltest, drehte Julian schier durch vor Sorge.«
Betroffen schloss ich Julian in die Arme, ich hatte wirklich kein Recht mich über Boris lustig zu machen. Außer vielleicht, dass er noch immer nicht öffentlich zu seinen Gefühlen stand. Aber das war seine und Manuels Entscheidung und ging uns wirklich nichts an.
Während der Kämpfe war außer Manuel, von dessen Verletzung nur noch die blutverschmierte Kleidung übrig war, kein Schüler verletzt worden. Ein paar der Catcher sahen hingegen schon sehr mitgenommen aus, aber Tote hatte es anscheinend nicht gegeben.
»Wo bleiben den Lukas und Carlo?«, maulte Benny ungeduldig, zumal wir wussten, dass es auch in Camelot zu einem „kleineren“ Zwischenfall gekommen war. Mehr wollte oder konnte uns Frank nicht mitteilen – er hatte telepathisch ziemlich hektisch geklungen. Wir sollten eben nur so schnell als möglich kommen.
»Da kommen sie ja!«, rief Gerald und runzelte die Stirn, da Lukas und Carlo ausgesprochen guter Laune waren.
»Was ist denn los, und was sollte diese Flucht?«, brummte Benny, war aber froh, dass es seinem besten Freund gut ging.
Carlo versuchte eine Trauermine aufzusetzen, konnte das Grinsen aber nicht völlig verdrängen: »Sie haben meinen PDA mitgenommen.«
»Und was ist daran so komisch?«, brummte Tom völlig humorlos.
»Na, ja – sie denken, dass da wichtig Daten über euch drauf sind.«
»Toll, nur damit du sie verarschen kannst, riskierst du so eine Aktion?«, wunderte sich Gerald zu Recht.
Doch Carlo grinste noch immer, jetzt aber doch eine Spur ernster, was mir dann auch schon wieder zu denken gab.
»Für wie wichtig halten sie die Information?«, kicherte Benny plötzlich.
Carlos Grinsen wurde noch breiter: »Sie glauben, dass ich deswegen abgehauen bin, und den PDA vernichten wollte. Also wahrscheinlich halten sie die Informationen für sehr wichtig.«
»Hätte jemand mal Zeit, mir zu erklären was das alles soll?«, murmelte ich jetzt doch etwas genervt. Wir sollten zurück zum Campus und jetzt war keine Zeit für Spielchen.
Etwas enttäuscht sah Carlo zu mir und rief vorwurfsvoll: »Vorhin sagte Boris, ihr wüsstet nicht, wo die Catcher ihr Hauptquartier haben!« Gespannt sah nun auch Boris auf.
Carlo war sich der Aufmerksamkeit bewusst die auf ihm lastete: »Als Benny von Kurt und Felix auf der Toilette angegriffen wurde, habe ich euch doch etwas über Bennys und meinen PDA erzählt!«
Offensichtlich liebte Carlo Enthüllungen in Raten.
Plötzlich murmelte Julian: »Das war die Sache mit der Manipulation? Dass ihr da etwas manipuliert habt, was man eigentlich nicht darf?«
Zufrieden strahlte Carlo: »Jep, genau! Wir haben die beiden PDAs so manipuliert, dass jeder die Position des anderen abrufen kann, bis auf einen halben Meter genau. Und das funktioniert auch, wenn der PDA geklaut wurde. Wenn man es nicht weiß, dann sieht man es nicht. – Ich meine, man sieht nicht, dass der PDA sendet.«
Mit einem strahlenden Lächeln zog Benny seinen PDA hervor und wenige Augenblicke später sahen wir, dass Carlos PDA noch unterwegs war, aber sich schon innerhalb von Sektor-20 befand. So, wie es aussah, würden die Catcher von Carlos PDA sicherlich interessante Informationen erhalten – zumindest die, dass man ihn nicht stehlen sollte.
Robins Büro – Camelot
Freitag, 04.01.2036 zwischen 12 und 13 Uhr
Im „Zentrumsturm“ saß Frank mit Eric und Robin zusammen in dessen Büro und diskutierte seit Stunden über die zukünftige „Verfassung“ der Bruderschaft. Inzwischen waren sie sich einig, dass das Regelwerk nicht all zu umfassend werden, aber dennoch alles Wesentliche beinhalten sollte. Frank lag besonders viel an dem Punkt, wer Mitglied werden konnte, doch hier schien einfach keine sinnvolle Lösung in Sicht, da sie einfach nicht wussten, nach welchen Kriterien die „alte Bruderschaft“ die Anhänger verteilte.
Gerade als sie wieder über die „Alten“ und deren Einfluss sprachen, meldete sich Fred telepathisch zu Wort: »Achtung: Unerwartete Aktivierung von außen!« Das war zwar deutlich zu verstehen, aber keiner konnte damit etwas anfangen. Zumal Fred das Ganze auch noch unheimlich komisch zu finden schien.
»Wer oder was wird von wo aktiviert?«, überlegte Eric laut, kam aber zu keinem Schluss.
Plötzlich hallte eine Alarmsirene durch ganz Camelot und Metin meldete hektisch: »»Die Freien Mutanten! Achtung! Die Freien Mutanten kommen durch den Obelisken!««
Erblassend sahen sich Robin und Frank an, während Eric telepathisch Ralf, der noch im Campus war, verständigte und seine Waffe zog. Ohne weitere Verzögerung rannte Eric die Treppe hinab und mobilisierte dabei auch noch die Rufbereitschaft und die Reserve. Kampflos würde er sich sicherlich nicht von den Freien Mutanten überrennen lassen. Nebenbei grübelte er auch noch, was Fred bei der Mitteilung so erheiternd fand. Zwar wusste Eric von Ralf und Zack, dass Fred einen sehr schrägen Humor an den Tag legte, doch ein Angriff der Freien Mutanten war sicherlich kein Grund zum Lachen.
Kaum schneller als normal atmend erreichte Eric die Pforte zum Innenhof, wo Jens, Danny und Metin schon auf ihn warteten. Alls zusätzliches Indiz, dass dies kein Missverständnis sein konnte, wertete Eric die Tatsache, dass Metin anwesend war. Metin war der Unglücksrabe schlechthin, immer wenn etwas passierte, war er mit dabei. Bisher hielt Eric nicht all zu viel von solchen Theorien, doch normal war Metins Pech nun wirklich nicht mehr.
Eric schob diesen Gedanken beiseite und ging in Phase – und durch die Wand. Jetzt wollte er sehen, was die Freien Mutanten gegen sie aufboten. Doch als er sah, wer und vor allem wie die Freien Mutanten ankamen, realisierte Eric sofort, dass dies kein Angriff sein konnte. Jedenfalls keiner, der gegen Camelot gerichtet war.
Im Hof kümmerten sich Paul, Bastian und Samuel um die Verletzten, während einige der anderen Mutanten zu verstehen versuchten, warum Enzo sie ausgerechnet in Camelot herauskommen ließ. Noch immer traten Mutanten aus dem Obelisk hervor und die meisten erkannten sehr schnell den Ort, an dem sie gelandet waren. Camelot war schließlich schon seit sehr langer Zeit für alle Mutanten ein „mystischer Ort“.
Auf Erics telepathisches Signal hin traten Jens, Danny und Metin aus der Pforte, während Marc, Louis und Dirk aus dem gegenüberliegenden Eingang des West-Turms kamen. Einige der Freien Mutanten begannen sich nun ebenfalls aufzustellen und einen Kreis um ihre Verletzten zu bilden. Doch dies ignorierte Eric, als er aus der Phase ging und langsam zu Paul schritt.
»Was ist geschehen?«
Paul, der sich gerade um Florians Kopfwunde kümmerte, sah nur kurz auf, als er Eric erkannte. Zwar hatte Paul ihn am Mittwoch zum ersten Mal gesehen, aber so schnell vergaß er niemanden. »Hallo Eric, die Catcher haben die Ratsversammlung angegriffen! Wir wissen nicht, wie viele es erwischt hat, aber Mareck und die vier Ältesten fielen ihnen in die Hände, könnten aber auch tot sein.«
Völlig überrascht sah Eric sich um, und versuchte zu begreifen, was dies nun wieder bedeuten konnte. Plötzlich erschien Frank neben Eric und sah ebenfalls ungläubig auf die Versammlung: »Wo ist Thimo? Und wie, haben sie euch gefunden?«
Doch keiner der Anwesenden konnte ihm antworten, weil dies Enzo übernahm, der nun als Letzter aus dem Obelisken kam: »Thimo kommt gleich nach und gefunden haben uns nicht die Catcher, sondern die Morlocks. Wie wir wissen, machen die Catcher mit ihnen Experimente, und einige haben sie zu PSI-Spürhunden abgerichtet. Das jedenfalls haben Fred und George herausbekommen.«
»Du kennst sie?«, wunderte sich Frank. »Ich meine Fred und George?«
»Natürlich, aber ich vergaß, du warst schon einige Zeit nicht mehr auf der Ebene«, lächelte Enzo hintergründig.
Keiner der Umstehenden verstand, was Enzo damit meinte, aber für die Freien Mutanten war das nichts sonderlich Neues, denn auch in dieser Hinsicht ähnelte er Marty sehr. Eric und die anderen wussten hingegen, dass auch bei Frank ein paar kleinere Geheimnisse zu seinem „einsamer Wolf Image“ gehörten und respektierten dies. Mike hätte allerdings gewusst von was Enzo sprach, denn schließlich waren Mike und Frank sich zum ersten Mal auf der temporalen Ebene begegnet. Damals nahm Frank eine „Auszeit“, um in Ruhe nachzudenken und Mike „erlebte“ seine erste bewusste Behandlung in der Maschine.
Mehr zu sich selbst als zu den anderen murmelte Frank: »Ja, es hat sich einfach nicht mehr ergeben.«
In Wirklichkeit gestand er sich ein, empfand er inzwischen ein wenig Angst. Sein ganzes Leben war durch den Kontakt mit Mike, der anschließenden Suche nach ihm und allem was danach folgte, total durcheinander geraten. Nicht, dass er es bedauerte, aber dennoch mochte er solche radikalen Veränderungen einfach nicht. In letzter Zeit kam er sich unheimlich gehetzt vor, alles überstürzte sich, und das Erscheinen der Freien Mutanten hier in Camelot war eigentlich das beste Beispiel dafür.
Sich selbst zur Ordnung rufend sah er die reichlich verstörte Gruppe an: »Wie können wir euch helfen? Ihr könnt selbstverständlich als Gäste hier bleiben so lange ihr wollt.«
Einen Moment glaubte Eric, seine Ohren würden ihm einen Streich spielen, aber an den ungläubigen Gesichtern von Louis und Marc erkannte er, dass dem nicht so war. Zwar hätte Eric nicht erwartet, dass Frank die Jungs einfach rausschmeißen würde, aber sie als Gäste aufzunehmen erstaunte ihn doch sehr. Natürlich störte es ihn überhaupt nicht, er hatte schließlich keine offene Rechnung mit den Freien Mutanten, aber für Frank musste das ein gewaltiger Schritt gewesen sein.
Das einsetzende Schweigen wirkte geradezu erdrückend, und so riss sich Eric zusammen und sah sich um. Mit leisem Spott in der Stimme fuhr Eric dann, den sprachlos und bewegungslos dastehenden, Metin an: »Du hast doch unseren „Primus inter pares“ gehört. Wir brauchen Quartiere und Hilfe für die Verwundeten.«
»Jetzt geschieht mal trotz meiner Anwesenheit kein Unglück und dann werde ich erst recht angemotzt. Das kann doch wohl nicht war sein!«, empörte sich Metin mit in die Seite gestemmten Armen.
Lachend zog Eric den grollenden Jungen an sich: »He, ist doch gut, aber die Jungs da brauchen wirklich etwas Ruhe. Kümmerst du dich darum? Ich denke wir müssen jetzt eine Krisensitzung abhalten.«
»»Ist doch klar!««, grinste Metin, warf dann aber einen zweifelnden Blick zu den Freien Mutanten. »»Aber wollen die denn auch wirklich alle bleiben?««
»»Keine Ahnung wie lange, aber ein paar Stunden sicherlich schon, also zeig ihnen die Waschräume oder führe sie in die große Sporthalle, falls sie lieber zusammenbleiben wollen. Okay?««
Metin nickte und wollte gerade loslaufen als Ralf zusammen mit Tommy, Zack und Kim erschien. Sofort spürte Eric die ansteigende Spannung unter den Freien Mutanten und dann erklang auch schon der Ruf: »Vorsicht da ist Joe Black!«
Wütend fuhr Eric auf der Stelle herum und fauchte: »Das ist mein Freund Ralf und wer mit ihm ein Problem hat, der hat auch eines mit mir!«
Marcus sah zornig zwischen Eric und Ralf hin und her: »Er gehört zu Janus!«
»Nein, er gehört zur Bruderschaft und hat mit Janus nichts zu tun«, rief nun auch Marc und stellte sich zu Ralf, der erst noch von Louis über die neue Lage informiert werden musste.
»Wer einen von Janus Leuten schützt, den werde ich bekämpfen!«, schrie Marcus mit überschnappender Stimme.
»Dann fang bei mir an!«, rief Paul völlig ruhig und gelassen und brachte seinen Telin zum Vorschein.
Ungläubig starrte Marcus aber auch einige andere der Freien Mutanten auf das Symbol der Bruderschaft.
»Aber, aber du … du bist doch ein Heiler!«
»Ja und? Nun bin ich aber auch Mitglied in der Bruderschaft. Und falls du dich daran erinnerst, wie Mareck sich verhielt, dann sollten sogar dir langsam Zweifel kommen, ob du auf der richtigen Seite stehst.«
Langsam drehte sich Paul um und sah seine Freunde an: »Glaubt einer von euch wirklich, dass die Große Konvention in ihrer Gänze noch Sinn macht? Glaubt wirklich noch irgendjemand von euch, dass es da draußen Normalos gibt, die Mutanten für ein Gerücht halten? Fandet ihr es vorhin schön, dass sich Teile des Großen Rates in Sicherheit bringen ließen, während ihr alleine zurechtkommen solltet?«
»Gib ihnen etwas Zeit Paul, auch du hast lange gebraucht!«, erklang plötzlich Thimos müde Stimme, der sichtlich erschöpft nun auch eingetroffen war.
@Mike
Robins Büro – Camelot
Freitag, 04.01.2036 gegen 14 Uhr
Grübelnd starrte ich aus dem Fenster von Robins Büro, sah aber die großen Verwaltungsgebäude des Zentrumssektors gar nicht wirklich. Vor einer Stunde waren Julian und ich auch noch hier her gekommen, doch noch immer war die Lage mehr als unübersichtlich.
Sehr nachdenklich waren die Freien Mutanten Metin in die große Sporthalle gefolgt, die sich direkt unter dem Innenhof befand. Anschließend berichtete Thimo, was vorgefallen war. Nachdem er die Thermaldetonatoren gezündet hatte, war er noch als Ghost durch den gesamten Bunker gegangen, um nach Überlebenden oder Opfern zu suchen. Die reguläre Bunkerbesatzung war anscheinend bis auf zwei tote Mutanten entkommen oder gefangen und abtransportiert worden. Auch von Mareck und seinen vier Genossen fehlte jede Spur.
Frank hatte dann als halboffizieller „Primus inter pares“, die Mutanten-Öffentlichkeit, also die meisten Gruppen und vor allem natürlich den Informationsverteiler Nummer eins, also David, informiert. Gleichzeitig versuchte er alle zu besänftigen und dazu zu bringen, nichts gegen den Staatsschutz zu unternehmen. Inzwischen war der nämlich dabei, auch die Sektoren 14 und 16 unter seine Kontrolle zu bringen.
Tom, Lukas, Eric, Benny und Carlo waren im Campus damit beschäftigt, den endgültigen Zielpunkt von Carlos PDA zu bestimmen. Offensichtlich war es den Catchern nicht erlaubt, ihren Stützpunkt auf direktem Weg anzusteuern. Auch schien es so als benutzten sie Teile des unterirdischen Entwässerungssystems, um größere Strecken unterhalb des Sektors zurückzulegen. Noch jedenfalls war der PDA nicht zur Ruhe gekommen.
»»Egal ob es klappt oder nicht, der Kleine hatte wirklich eine geniale Idee««, schmunzelte Julian und lehnte sich an mich.
»»Schon«, gab ich zu, »aber es war auch höllisch riskant. Stell dir vor, sie hätten ihn mitgenommen. Wer weiß, ob Benny rechtzeitig auf die Idee gekommen wäre.««
»»Ich denke schon, aber riskant war es wirklich.««
Grummelnd und polternd stürmte Zack plötzlich in das Büro, lief auf und ab und rempelte alles an, was gerade in seine Nähe kam. Langsam drehte ich mich um und fragte scheinheilig: »Ist irgendwas Besonderes?«
Murrend fuhr er herum und wischte dabei mit seinem Schweif einige Becher von dem kleinen Teetisch, der dummerweise in seine Reichweite stand. Dem schnell herbeisausenden Reinigungsroboter verpasste er dann „versehentlich“ auch noch einen gezielten Tritt, so dass der sich empört pfeifend zurückzog.
Julians Mundwinkel zuckten verdächtig, wenn Zack so drauf war, dann glich er wirklich einem kleinen Dämon, es fehlte nur noch der Dreispieß.
»»Bring ihn nicht auf den Gedanken, der ist im Stande und lässt sich so was von Scotty anfertigen««, mahnte Julian, aber da war es schon zu spät. Denn für einen Sekundenbruchteil huschte ein Grinsen über Zacks Gesicht. Ich sah jetzt schon großes Ungemach auf Nico zukommen, denn wie üblich würde der als erstes Zacks neues Spielzeug zu spüren bekommen.
Nun wieder sich seinem Zorn hingebend fuchtelte Zack mit den Armen durch die Luft und fauchte: »Frank hat mir verboten in die Sporthalle zu gehen. Wie kommt er dazu, mir etwas zu verbieten, ich dachte wir wären alle gleich?«
»Wenn du so darüber denkst, warum ignorierst du es nicht einfach, wie sonst alles, was dir nicht passt?«, grinste Robin schelmisch von seinem Schreibtisch aus, sah dann aber bekümmert auf die sich ausbreitende Teepfütze. Doch offensichtlich weigerte sich der kleine Reinigungsroboter beharrlich, noch einmal in die nähere Umgebung von Zack zu kommen.
»Weil, weil …«, hilflos zappelte Zack umher und ging dabei langsam zum Fenster was von dem Robot sofort ausgenutzt wurde, um mit einem fröhlichen Pfeifen für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen.
Offensichtlich ärgerte sich Zack wirklich, so gut kannten wir ihn inzwischen schon. Deshalb vermutete ich, dass er einerseits verstand, dass Frank gewisse Bedenken hatte. Ansonst hätte er sich bestimmt einfach über Franks Anweisung hinweggesetzt, dessen war ich mir absolut sicher. Andererseits juckte es ihm wohl in den Fingern, den Freien Mutanten zu zeigen, dass er jetzt auf der stärkeren Seite war. Deshalb fand er es anscheinend ungerecht und nun machte sich Robin auch noch darüber lustig. Das war nicht nett.
Ein wenig konnte ich ihn schon verstehen, das letzte halbe Jahr nach dem Angriff der Freien Mutanten war bestimmt fürchterlich gewesen. Jetzt gehörte er zur Bruderschaft und die Freien Mutanten suchten bei uns Schutz – so sah er das wohl. Nun wollte er ihnen wahrscheinlich zeigen, dass auch Mutanten wie er zur Bruderschaft gehörten. Mutanten, die sich bisher immer vor ihnen verstecken mussten.
Zack, der das Summen und Pfeifen des Roboters natürlich gehört hatte, drehte sich um und erstarrte. Mir und Julian erging es aber genauso, denn mitten im Raum erschien plötzlich ein großer glatzköpfiger Teleporter.
Noch bevor jemand anderes etwas sagen konnte, knurrte Zack: »Hallo Fleischmütze, hast du dich verlaufen?«
Langsam, geradezu bedrohlich drehte sich der 1 Meter 98 große und sehr muskulöse Teleporter um, bedachte Zack mit einem abschätzigen Blick und zischte: »He, Streuner – lern du erst mal richtig Teleportieren, bevor du mich anmauzt. Da ist ja kaum etwas zu spüren.«
Einige Sekunden herrschte eisiges Schweigen und auf Robins Stirn erschienen erste Schweißperlen. Hatte Zack jetzt den Verstand verloren? So konnte er doch keinen unbekannten Mutanten begrüßen? Gerade als ich etwas sagen wollte, hüpfte Zack los und landete lachend in den Armen des Riesen.
»He Dicker – ich hab dir doch gesagt, „man sieht sich wieder“«, schnurrte Zack begeistert während der Teleporter ihm fröhlich durch das lange Haar wuschelte.
Nach einigen Minuten, in denen die beiden weitere „Freundlichkeiten“ austauschten, erfuhren wir, dass Ryan zum Freundeskreis gehörte und vor Monaten mal mit Zack zusammengetroffen war. Beide hatten zur gleichen Zeit dasselbe Lagerhaus besucht – natürlich außerhalb der üblichen Öffnungszeiten.
Grinsend gestand Zack, er hätte sich fast in die Hose gemacht, als Ryan so plötzlich erschien. Doch der war keiner der Freien Mutanten, wie Zack fürchtete, sondern eben ein Freelancer, der obendrein auch noch zum Freundeskreis gehörte. Während sich Zack um das Öffnen der Kisten kümmerte, besorgte Ryan den Abtransport. Denn Ryan besorgte die Kleidung nicht nur für sich, sondern auch für Straßenkids, was Zack damals besonders imponierte.
»Was führt dich hierher? Du hast doch wohl nicht vor, unser Kleiderdepot zu plündern«, grinste Zack mit einem mal etwas besorgt.
»Nein eigentlich nicht – äh, lohnt es sich denn?«, dabei lachte er völlig ungezwungen. »Nein im Ernst, David meinte, ihr bräuchtet vielleicht noch ein paar Leute zur Unterstützung?«
»Ja, schon – aber wie bist du hierher gekommen?«
»Äh – Teleportation? – Schon vergessen?«
»Ich meinte an Fred vorbei, der hat behauptet, dass kein Fremder hier nach Camelot kommen kann.«
»Ach so, für Fred bin ich kein Fremder«, grinste Ryan hintergründig und erklärte ergänzend, »Der hat mich kurz abgefangen und ich habe „Hallo“ gesagt, aber dann meinte er, ich soll einfach mal bei Frank nachfragen.«
Zack spürte wohl genau wie wir, dass da noch mehr war, aber wenn Ryan nicht darüber sprechen wollte, macht es keinen Sinn, ihn weiter auszuquetschen.
Julian und ich sahen uns an, das also war jetzt ein Mutant des Freundeskreises, dieser Tag steckte voller Überraschungen.
»»Fleischmütze!««, murmelte Julian halb belustigt halb empört und grinsend schüttelte ich den Kopf. Hoffentlich behielt Zack sein Mundwerk unter Kontrolle, wenn einmal ein unbekannter Mutant erschien, aber so richtig vorstellen konnte ich mir das nicht.
Auswertungsraum - Campus Occursus
Freitag, 04.01.2036 gegen 14 Uhr
»Jetzt ist es so weit!«, rief Carlo alarmiert und starte nervös auf das Display. Benny stieß sich vom benachbarten Tisch ab und sein bequemer Bürostuhl schoss auf Carlos Tisch zu, wo er sich geschickt abfing. Beide betrachteten argwöhnisch die eingehenden Daten. »Sieht wie ein Standardcheck aus, die wollen wohl sicher gehen, dass dein PDA sauber ist«, kicherte Benny schadenfroh.
»Was meinst du mit sauber?«, mischte sich nun Lukas ein und trat hinter die beiden. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte keinen Sinn in den über das Display huschenden Zahlenkolonnen erkennen.
»Na ja, die Jungs scheinen zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der PDA mit einem Virus oder ähnlichem verseucht ist. Also, ich meine natürlich einen Computervirus«, kicherte nun Carlo, erntete bei Lukas jedoch nur einen empörten Blick.
»Nur, weil mir der Zahlenmüll nichts sagt, heißt das nicht, dass ich überhaupt keine Ahnung von Computern habe. Aber hast du nicht gesagt, dass du so was wie einen Trojaner eingebaut hast?«
»Schon, aber der ist noch auf einige hundert Dateien verstreut, so finden die ihn nie. Die Überraschung kommt erst, wenn sie die Daten auslesen«, murmelte Carlo und betrachtete jetzt ganz konzentriert den reduzierten Datenstrom.
»Jetzt fangen sie an!«, rief Benny ganz hippelig.
Eine neue Datenflut huschte über das Display und das schadenfrohe Grinsen von Carlo wurde immer breiter. Gleichzeitig schielte er immer nervöser auf das zweite Display, das aber noch völlig dunkel blieb.
»Was geht denn jetzt?«, wollte nun auch Eric wissen, der mehr oder weniger abgeklärt an seinem Terminal saß und die Wegkoordinaten von Carlos PDA auswertete. Er wollte nicht nur den Endpunkt sondern den ganzen Weg des Catchers nachverfolgen. Besonders, da der Endpunkt eigentlich nicht stimmen konnte, darin waren er und Stefan sich absolut einig. Dennoch Carlo beharrte darauf, dass die Daten korrekt seien.
»Die lesen jetzt den Inhalt des PDAs aus, dabei setzen sie auch fragmentierte Dateien zusammen und die wiederum werden von dem Rechner vorsortiert. Dabei werden bestimmte Abschnitte dieser Dateifragmente eingelesen und an das MCP weitergeleitet, damit dieses „Master Control Program“ weiß, wie es die CPUs umkonfigurieren muss, um eine optimale Performance zu erreichen. Doch wir haben da ein paar kleine Tricks eingebaut, sodass die Hardware nicht nachkommt mit dem Umkonfigurieren. Letztlich entsteht ein vom System unabhängiger Zombi-Prozessor, der sich dann sein Tron aus Carlos Daten generiert«, erklärte Benny eifrig.
Lukas und Eric sahen sich an und zuckten nur die Schultern. Sie verstanden kein Wort.
Carlo grinste noch mehr und begann von neuem: »Also solche modernen Rechner, die wir hier aber auch die einsetzen, bestehen aus mehreren CPUs. CPU, also die zentrale Verarbeitungseinheit, ist das „Ding“ das die eigentliche Arbeit macht. Diese CPUs können zur Laufzeit umkonfiguriert werden, je nachdem, was gerade für Arbeit ansteht. Ähnlich wie ein multifunktionales Werkzeug, das du mit Zusatzteilen erweitern kannst. Nur dass dies auf dem Chip, also der CPU, zur Laufzeit passiert. Die Daten, die sie jetzt herunterladen, sorgen aber dafür, dass eine der CPUs mit der Umkonfiguration nicht nachkommt, sie meldet sich vom MCP als defekt ab, aber die Daten werden trotzdem noch von ihr verarbeitet. So was nennen wir eine Zombi-CPU, sie ist für das MCP tot, arbeitet aber dennoch weiter. Da das MCP noch über den eigentlichen Betriebssystemen steht, können die nun auch nicht mehr auf sie zugreifen. Aus den Daten meines PDAs generiert die Zombi-CPU nun ein eigenes Minibetriebssystem, das wir Tron nennen. Das ist ein von dem MCP und natürlich von den Betriebssystemen unabhängiges Programm, welches – jetzt gerade hier anruft und nach neuen Anweisungen schreit«, Carlos Triumph war offensichtlich.
Auf dem Display erschienen erste Schriftzeichen „Seid mir gegrüßt, ihr Programme!?“ Irritiert sah Lukas zu Carlo: »Programme? Ist die Kiste jetzt durchgeknallt?«
Benny und Carlo lachten: »Nein das ist nur ein Scherz, hat eigentlich keine weitere Bedeutung.« Dann fingen beide an geradezu hektisch ihre Keyboards zu bearbeiten. Resigniert drehte sich Lukas um, was auch immer die Jungs taten, sie schienen sich sicher zu sein.
»Warte Lukas, hier kommen die ersten wirklichen Informationen. Sagt dir der Begriff „Anlage Alpha“ etwas?«, murmelte Benny und suchte weitere Dateien durch.
Eric wirbelte herum: »Schick mir die Datei, das kann doch gar nicht sein. Aber dein PDA hat auch schon die Koordinaten übertragen.«
»Und was ist „Anlage Alpha“?«, grummelte Lukas, der sich etwas hilflos vorkam.
»Das ist ein großer Bunker, doch er ist aufgegeben und versiegelt worden, da er verseucht sein soll. Doch das hier sieht nun so aus, als hätten sich die Darwinianer dort eingenistet.« Nachdenklich sah Eric sich alle Daten an, die Carlo und Benny ihm über den Bunker lieferten. »Benny, such doch bitte noch nach Dateien, die etwas mit dem Begriff „Arktis“ zu tun haben«, bat Eric aus einer plötzlichen Eingebung heraus.
»Hm, da gibt es welche, aber ich komme nicht heran. Da müssten wir schon an den Rechner selbst und ein paar Sperren überbrücken«, murmelte Carlo nach einigen Minuten.
»Aber Daten über Arktis sind da?«
Benny überflog noch einmal sein Display: »Ja, mindestens 42 Dateien und auch einige Querverweise, aber alles extra abgesichert und komplex verschlüsselt.«
»Dann müssen wir eben direkt dort hin. Die Daten über Arktis sind für Ralf und Julian unglaublich wichtig.«
@Mike
Auditorium - Campus Occursus
Freitag, 04.01.2036 gegen 15 Uhr
Mit einem etwas flauen Gefühl betraten wir, also Julian und ich, das Auditorium, das sich direkt unter der großen Trainingskuppelhalle des Zentralbaus befand.
»»Sag doch einfach über dem Eingangsbereich des Zentralbaus!««, stichelte Lukas schon wieder, der zusammen mit Tom und Eric letzte Vorbereitungen im Auditorium traf.
»»Ich sagte das so, weil es unter dem Auditorium schließlich noch die Büroebene gibt, in der zum Beispiel Carlo im Moment noch vor einem Rechner sitzt, um Informationen für uns zu beschaffen««, grummelte ich zurück. Immer diese „Mitdenker“, die sich überall einmischen.
»»Hat da einer nicht vor kurzem noch gesagt, ihr seid jederzeit eingeladen oder so was?«« verteidigte Tom natürlich sofort seinen Lukas.
»»Also daran kann ich mich jetzt überhaupt nicht mehr erinnern««, log ich schmunzelnd und sah mich auf den Rängen um.
Das Auditorium war ein Raum mit einem Durchmesser von 30 Metern und einer Höhe von 7 Metern. Das Zentrum wurde von der „Arena“, die einen Durchmesser von 12 Metern besaß und in deren Mitte ein 3D-Hologrammprojektor stand, gebildet. Die Ränge waren in drei Stufen von je einem Meter Höhe angeordnet, sodass jeder eine gute Sicht auf das Geschehen in der Arena haben konnte.
»»He, das ist doch nicht der Circus Maximus!««, stichelte nun auch noch Frank.
»»Von wegen, schau dir Eric an, dann weißt du, wie sich ein Tiger in besagtem Zirkus gefühlt haben muss««, konterte ich gelassen, den Eric fühlte sich offensichtlich nicht wohl in der Rolle des Präsentators.
»»Hör mir mit Tiger, Löwen oder anderem Getier dieser Gattung auf. Ich kann es langsam nicht mehr hören««, brummte Tom und sah sich verdächtig vorsichtig nach Zack oder Lukas um.
Während nun ein „Streit“ zwischen Lukas und Tom entbrannte, wer oder was Zack war und ob Tom nun eifersüchtig war oder nicht, sahen Julian und ich uns weiter um. Paul, Bastian und sogar Samuel waren gekommen und bildeten so etwas wie den verbliebenen Rest des Großen Rates. Sie hatten versucht, auch die vier anderen zu überreden, doch die weigerten sich strikt, im Campus Occursus oder gar in Camelot zu erscheinen.
Da nach unserer Meinung die Zeit drängte, und wir uns von den vier ohnehin nicht viel Hilfe erwarteten, beschlossen wir, also die Bruderschaft, notfalls alleine das „Brutlabor“ anzugreifen. Eric war sowieso der Meinung es wäre besser, wenn nur unsere Jungs beteiligt wären, da wir uns kennten und wüssten, wie der jeweils andere reagierte.
Thimo wollte aber zumindest seine engeren Freunde einbinden oder sie zumindest fragen. Da dies auch Pauls Meinung war, entschlossen wir alle einzuladen und abzuwarten, wer noch kommen würde.
Bei einer Aktion, an der sich die Freien Mutanten beteiligten, wollten jedoch die anderen Gruppen nicht mitmachen. So waren zwar einige Abgesandte gekommen, doch auch hier war schnell klar, dass die Neugierde die treibende Kraft war. Entsprechend erstaunt waren auch einige, als sie hörten und sahen, dass mit Paul auch noch ein Heiler zu uns, also der Bruderschaft, übergelaufen war. Das wiederum hörte Thimo nicht sonderlich gerne, er war zu uns gewechselt und kein „Überläufer“. Einerseits konnte ich das verstehen, bei „Überläufer“ dachte ich auch gleich an Verrat, aber andererseits hatten wir doch wirklich wichtigere Probleme, als diese Empfindlichkeiten. Wer ihn kannte, wusste, dass er niemals einen Verrat begehen würde und alle anderen würden sowieso denken was sie wollten.
Von Davids „Freundeskreis“ war außer Ryan nur noch Jean-Pierre, von den meisten nur einfach JP genannt, erschienen. Jean-Pierre war ein unglaublich starker Telekinet, dabei sah man ihm diese ungeheure Kraft, die er entfesseln konnte, überhaupt nicht an. David wollte anscheinend nicht kommen, da er, so erklärte es jedenfalls Jean-Pierre, ein schlechtes Gewissen wegen Gerald hatte. Immerhin war Gerald von ihm geflohen, weil David seine Annäherungsversuche nicht unterlassen konnte. Damit hatte sich Gerald in Gefahr gebracht, von Janus einkassiert zu werden. Aber auch Frank schien nicht unglücklich über Davids Fernbleiben zu sein, anscheinend gab es also auch zwischen den beiden einigen Klärungsbedarf.
Eric sah sich mit ernster Mine im Auditorium um und räusperte sich. Endlich hatten sich alle möglichen Beteiligten eingefunden und er konnte beginnen: »Wie ihr inzwischen wisst, ist es Carlo, einem Normalo, gelungen«, dabei grinste er jetzt echt fies in Richtung der Freien Mutanten, »den Catchern seinen manipulierten PDA unterzujubeln. Im Glauben einen wichtigen Fang gemacht zu haben, suchten die Catcher ihr Hauptquartier auf und ermöglichten es uns so, die Position ihres Stützpunkts zu ermitteln.«
Wieder legte Eric eine Kunstpause ein und nutzte sie, um den 3D Projektionstisch in der Mitte des Saales zu aktivieren. Rasch baute sich das Modell von Sektor 20 und Umgebung auf. Langsam wich Sektor 20 zum Rand der Projektionsfläche und die südlich gelegenen Bereiche mit den Industriebrachen, den Hügeln und den Bergen wanderten ins Zentrum.
»Diejenigen, die sich mit der Geschichte auskennen, werden sicherlich erstaunt sein, wo sich Carlos PDA nun befindet. Auch wir hatten anfangs Zweifel, aber inzwischen sind wir ganz sicher, die Darwinianer haben sich in „Anlage Alpha“ eingenistet.« Eric musste einige Zeit warten, bis das aufgeregte Gemurmel verstummte. Offensichtlich gab es einige, die mit dem Namen etwas anfangen konnten und sich mit dieser Nachricht entsprechend schwer taten.
Während der Novemberunruhen 2022 war es über 400 Aufständischen gelungen, den eigentlich für die Regierung vorgesehenen Tiefbunker einzunehmen. Zu der Zeit gab es dort nur eine Stammbesatzung von 20 Mann, die hauptsächlich mit Wartung und Instandhaltung beschäftigt waren. Vermutlich gehörte mindestens einer von ihnen zu den Aufständischen, denn anscheinend gelang die Eroberung der Bunkeranlage ohne größere Probleme. Als die Unionstruppen anrückten, war der Bunker fest in der Hand der Aufständischen und völlig abgeriegelt.
Was danach genau geschah, konnte nie geklärt werden. Fakt war, dass die Unionstruppen mehrere Vorstöße unternahmen, aber nicht einmal bis zum Haupteingang kamen. Fakt ist aber auch, dass 14 Tage nach der Besetzung niemand mehr im Bunker lebte.
Zur damaligen Zeit hieß es, die Aufständischen hätten eingelagerte Munition unsachgemäß genutzt oder nutzen wollen und dabei seien Granaten mit Bio-Munition, also mit Viren oder Bakterien, beschädigt worden. Nach Gründung der Republik hieß es hingegen, die Unionstruppen hätten Bio-Waffen gegen den Bunker eingesetzt.
Beide Versionen waren aber eigentlich unrealistisch, denn der Bunker war kein Waffendepot sondern ein Führungsbunker gewesen, in dem die Regierenden und der militärische Stab unterkommen wollten. Dass es in so einem Bunker B-Waffen gegeben haben sollte, war eigentlich unsinnig.
Aber auch die Version, dass ein Angriff mit Bio-Waffen von außen erfolgt sei, machte nicht all zu viel Sinn, weil der Bunker ja genau vor solchen und ähnlichen Angriffen schützen sollte. Die Besatzer hatten schließlich bei der Abwehr der Unionstruppen bewiesen, dass sie mit der technischen Anlage im Bunker umgehen konnten. Also konnte es eigentlich auch nicht sein, dass die gesamte Anlage durch einen solchen Angriff kontaminiert worden war.
Tatsache war aber, dass es nach der Gründung der Republik Versuche gab, den Bunker zu betreten, aber die Untersuchungssonden und Detektoren meldeten noch immer eine verseuchte Atmosphäre. Seitdem besaß der Haupteingang den Spitznamen „Hellgate“ und man beschloss, den Bunker für immer zu versiegeln. Dazu wurden dann im Jahre 2028 mit viel Aufwand der Haupteingang, die Notausgänge und alle Lüftungssysteme in einem speziellen Verfahren abgedichtet und mit einem extrem widerstandsfähigen Überzug aus Panzerplast versiegelt.
Was uns und der Allgemeinheit aber bisher entgangen war, oder bisher niemand interessiert hatte, war die Tatsache, dass die Firma die den Bunker versiegelte, den Darwinianern gehörte. Fast genauso interessant war der Umstand, dass das Labor, welches die Proben der Bunkeratmosphäre untersuchte, ebenfalls zu einer den Darwinianer nahe stehenden Firma gehörte. So wie es jetzt aussah, besaßen die Darwinianer seit 2022 einen Bunker als Hauptquartier direkt vor der Haustür von Europolis.
»»Und vor unserer Nase««, grollte Tom ergänzend.
Nachdem sich die Anwesenden beruhigt hatten, begann Eric mit dem Vortrag der Bunkerdetails. Über dem Projektionstisch war nun die drei Meter hohe 3D-Abbildung der Anlage zu sehen, und Eric kommentierte die 3D-Animation: »Die „Anlage Alpha“ war der Tiefbunker der Regierung und des Führungsstabes und liegt im Süden von Europolis unter einem Berg.
Die Anlage erreicht eine Tiefe von 345 Metern und ist in insgesamt 3 Hauptebenen unterteilt. Die Hauptebene 1 besteht aus dem Eingang, der sich im Zugangsstollen des Berges befindet, einem 20 Meter durchmessenden Zentralschacht, der 150 Meter tief reicht und den vier horizontalen Bunkerröhren. Diese Röhrensektionen oder auch Segmente haben einen Durchmesser von 30 Metern und eine Länge von 90 Metern. Wie ihr hier in der Darstellung erkennen könnt, sind die Röhren kreisförmig, aber in der Höhe versetzt, um den Zentralschacht angeordnet. Das heißt, jedes Bunkersegment liegt auf einer anderen horizontalen Ebene. Röhrensektion A befindet sich „nur“ 50 Meter unter dem Normalniveau, Segment B liegt schon 25 Meter tiefer. Röhrensektion D, die unterste der Hauptebene 1, liegt schon 125 Meter unter dem Normalniveau.
Der Zentralschacht der ersten Hauptebene mündet in die Mittelstation, von da führt der Zentralschacht der zweiten Hauptebene noch einmal 170 Meter weiter in die Tiefe. Dieser mündet letztlich in die technische Ebene. Dort ist die Maschinenhalle mit den acht Energie-Bunkern untergebracht.
Im Übrigen ist die zweite Hauptebene genauso aufgebaut wie die Erste. Sie besteht auch wieder aus den vier kreisförmig angeordneten Röhrensegmenten E bis H.
Wie hier im 3D Modell gut zu erkennen ist, sind die beiden Zentralschächte auch seitlich zueinander versetzt. Um vom Bunkereingang bis zur untersten Ebene zu kommen, muss man also in der Mittelstation umsteigen. Aber so ein System kennen einige von uns auch schon von einer anderen Anlage.«
Warum hatte ich bloß das Gefühl, das Eric uns dabei angrinste? Okay, einiges der Anlage erinnerte ein wenig an Labor-23. Aber daran wollte ich bestimmt nicht mehr erinnert werden.
Doch unbeirrt meiner eigenen Überlegungen, erläuterte Eric weiter: »Bemerkenswert ist, dass die Hauptverbindung ausschließlich über den Zentralschacht erfolgt. Falls der jedoch ausfällt, gibt es für die Hauptebenen 1 und 2, jeweils einen Verbindungstunnel, der rund um die Anlage verläuft. Am Ende jedes Röhrensegments befindet sich ein Schacht, der bis zu dem Verbindungstunnel reicht. Der Verbindungstunnel der ersten Hauptebenen und der entsprechende Tunnel der zweiten Hauptebenen sind über einen weiteren Schacht mit einander verbunden. Da dies für unser Vorhaben aber keine weitere Bedeutung hat, gehe ich nicht näher darauf ein. Wir werden zu gegebener Zeit mehrere Roboter in jedem dieser Verbindungstunnel stationieren, damit dürfte für uns das Problem erledigt sein.«
Als Eric das sagte, grinste er wirklich fies.
»Unsere Angriffsziele sind, erstens – der Haupteingang, den wir vernichten wollen, damit keine weiteren „Pseudo-Morlocks“ aus der Anlage herauskommen. Nach Möglichkeit soll der gesamte Stollen, bis zum versiegelten Ausgang zum Einsturz gebracht werden. Aus den Daten, die Carlos PDA übermittelt hat, konnten wir schließen, dass die Darwinianer lediglich das Zugangstor des Stollens umgangen haben. Ob es noch andere Zugänge gibt, müssen wir leider erst vor Ort herausfinden.
Zweitens, die unterste Ebene mit der Maschinenanlage. Sie soll wenn möglich abgestellt oder aber vernichtet werden. Damit würde schon einmal der Hauptteil der Anlage stillstehen. Natürlich befinden sich in den Röhrensektionen auch Notaggregate, aber der laufende Normalbetrieb, besonders in den Brutlaboren, wäre somit gestoppt.
Drittes Ziel ist das Computerlabor in der Röhrensektion H, in dem sich zurzeit noch immer Carlos PDA befindet. Um dieses Ziel werden sich Ralf und sein Team kümmern, da wir aus dem Labor noch wichtige Informationen benötigen. Carlo konnte zwar den Zentralrechner anzapfen, aber viele der von uns benötigten Informationen sind nur über eine zusätzliche Autorisierung vor Ort abrufbar.
Als viertes Ziel können die „Brutlabors“ gelten. Soweit Carlo aus dem Zentralrechner erfahren konnte, sind diese in den Röhren B und C zu finden. Die Röhre A ist anscheinend zu einem Bereitschaftsraum umgestaltet worden, hier warten vermutlich die „Pseudo-Morlocks“ auf ihren Einsatz. In der D-Röhre befindet sich die Zentrale der Catcher für den gesamten Sektor. Auch sie wäre ein mögliches Angriffsziel. Das muss aber noch abgeklärt werden.
In den Röhren E und F befinden sich anscheinend noch weitere Labors, hier könnten auch mögliche Gefangene untergebracht sein. Leider haben wir keinen Zugang zu den entsprechenden Daten bekommen.
Die Röhre G dient anscheinend als Personalunterkunft, auch dazu war nicht viel zu erfahren.
Ich denke, wir sollten so bald wie möglich zuschlagen, insbesondere, bevor noch weitere medienwirksame Angriffe der Pseudo-Morlocks erfolgen.«
Zum Abschluss spielte Jan, einer unserer „Salir-Brüder“, eine Zusammenstellung der bisherigen Medienberichte über den heutigen Morlock-Zwischenfall ein. Wieder einmal hielt Senator Huber, abgeschirmt durch seinen Assistenten und die Leibwache, Hof und äußerte den Medien gegenüber seine Thesen zum „Versagen“ der Abwehr und zu dem „grandiosen“ Erfolg des Staatsschutzes. Auf den „Zwischenfall“ in der Otto-Hahn-Schule ging er jedoch, auch nach mehrmaligem Nachfragen, gar nicht ein.
Gespannt sah ich zu dem auf drei Mitglieder geschrumpften Großen Rat der Freien Mutanten. Wie würden sie sich nun verhalten, nachdem die übrigen Vier des „weichen Kerns“, wie Thimo sie spöttisch nannte, sich geweigert hatten überhaupt zu einem Gespräch zu erscheinen?
»»Eigentlich sind es nur noch zwei, denn Paul gehört doch nun auch offiziell zur Bruderschaft. Er hat sich schließlich im Hof vor allen Anwesenden geoutet««, gab Julian zu bedenken.
@Mike
Eingangshalle von Campus Occursus
Freitag, 04.01.2036 gegen 19 Uhr
Mit dem für sie typischen watschelnden Gang verschwand ein Mark-13 nach dem anderen in Enzos Gate. Anders als wir es von den durch Fred und George erzeugten Gates kannten, sah Enzos Tor farb- und konturlos aus. Fast wie ein schwarzgrauer Farbklecks auf einer transparenten Folie, die jemand mitten in der Halle aufgehängt hatte. Etwas nervös sah ich zu dem Kontrollmonitor, der uns die Bilder zeigte, die von den Robotern übertragen wurden. Die EMP-Bombe, die von Kim mittels Exoteleportation wenige Sekunden vor dem Aufbau des Gates in der Mittelstation abgeliefert worden war, schien ganze Arbeit geleistet zu haben. Keiner der von Dirk dort georteten Roboter rührte sich noch.
Bisher verlief der Angriff auf „Anlage Alpha“ also wie von uns geplant. Gegen 18 Uhr waren Dirk und Andre von Thimo in unmittelbarer Nähe der Anlage abgesetzt worden. Seitdem konnte uns Dirk laufend neue Daten liefern. Dabei interessierte uns insbesondere alles, was im Bunker geschah - und natürlich seinen ganzen Aufbau. Dies war auch nötig, denn die Darwinianer hatten einige bauliche Veränderungen vorgenommen, doch zu unserem Glück nichts, was unseren Plänen entgegenstand oder wirklich gefährdete.
Erstes Ziel der Phase 1 war es, die beiden Hauptebenen zu trennen. In der Hauptebene 1 befanden sich der Großteil der Catcher aber auch alle „produzierten“ Pseudo-Morlocks und die beiden „Brutlabore“ in denen die „Pseudos“ heranreiften. Die einfachste Methode der Trennung war es, die Mittelstation zu besetzen. Der erste Schlag war die EMP-Bombe, die alle elektronischen Gerätschaften in der Mittelstation ausschaltete. Als Zweites marschierten unsere schwarzlackierten Mark-13 durch Enzos Gate ein und besetzten diesen strategischen Punkt. Falls die Catcher oder wer auch immer auf den Gedanken kam, die Mittelstation über die Verbindungstunnel zu umgehen, würden sie auf einige von unseren Mark-13 stoßen, die Kim dort inzwischen abgesetzt hatte.
Die wesentlich umfangreichere Besetzung der Mittelstation war auch deshalb so wichtig, weil wir diese auch als Gefangenen-Sammelstelle nutzen wollten. Alle Personen, die uns in die Hände fielen, sollten dort untergebracht werden. Bei den Robotern würden die Gefangenen, da war sich Eric sicher, weniger auf den Gedanken von Widerstand kommen, als bei unseren Jungs, die sie vielleicht aufgrund ihrer Jugend als weniger gefährlich einschätzen mochten.
Die nahezu endlose Diskussion, ob wir als Mutanten auf Waffen und sogar Roboter zurückgreifen dürften, hatte mich fast wahnsinnig werden lassen. Entgegen meiner Gewohnheit berief ich mich auf die mir von Tom immer unterstellte Autorität und bestimmte einfach, dass wir die Roboter einsetzen würden. Wer damit Probleme hatte, dem stellte ich frei zu gehen. Das verbesserte zwar nicht das Klima zwischen uns und den wenigen „sturen“ Freien Mutanten, brachte uns dann aber sehr schnell weiter.
Als Martin, der den Robotereinsatz koordinierte, das Startsignal gab, brach das Team 1 „Eingang“, bestehend aus den beiden Disruptor-Mutanten Jens und Florian sowie Thimo, Kim und Zack, auf. Ihre Aufgabe war es, den Haupteingang anzugreifen und den Zugangsstollen endgültig zu zerstören. Damit wäre dann die erste Hauptebene, von oben und wegen der besetzten Mittelstation auch von unten, isoliert.
Als Nächstes brachen gleich darauf Tom, Lukas, Nico, Gerald, Marc und Marcus auf, um als Team 2 „Stillstand“ die Maschinenhalle auszuschalten und somit die Hauptenergiequelle der gesamten Anlage stillzulegen. Mit dieser Aktion wäre dann die Phase 1 auch schon abgeschlossen.
Phase 2 galt vorwiegend der zweiten Hauptebene. Hier war es die Aufgabe von Team 3 „Information“ bestehend aus Eric, Ralf, Louis, Benny, Tommy, Gloria, Carlo und Paul, alle Daten, die sie bekommen konnten, zu sichern, insbesondere natürlich die Daten über „Labor Arktis“, wo wir noch immer Kai und Ingo, unsere vermissten ersten Transmutanten aus Labor-23, vermuteten.
Als Letztes war Team 4 „Befreiung“ dafür vorgesehen, nach den Vermissten der Freien Mutanten zu suchen und sie zu befreien. Unsere zweite Aufgabe bestand dann in der Zerstörung der Brutlabors, aber zuerst mussten wir herausfinden, ob und vor allem wo die Darwinianer weitere Mutanten gefangen hielten. Noch waren wir in dieser Hinsicht auf keine brauchbaren Informationen gestoßen.
Ein kurzer Wink zu Ralf und er verschwand zusammen mit seinem Team, transportiert von den beiden Teleportern Louis und Paul. Dass Paul, ein Heiler, selbst an einem solchen Angriff teilnahm, war für viele der Freien Mutanten ein weiterer Schock. Auch wenn Paul vorgab, nur als Teleporter aktiv werden zu wollen, so war dies nach Ansicht einiger Dogmatiker unter den Freien einfach unerhört. Trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen hatten sich einige von ihnen bereit erklärt, mehr oder weniger aktiv, an dieser Unternehmung teilzunehmen.
Aufmunternd sah mich Julian an und wir reichten Ryan, Heiko und Jean-Pierre die Hand. In der gleichen Sekunde standen wir auch schon in dem von Dirk für uns ausgesuchten Nebenraum. Das war eben der große Vorteil, wenn man über einen derart hervorragenden Teleorter wir Dirk verfügte. Seine Aufgabe bestand natürlich nicht nur darin, die gesamte Anlage zu überwachen, sondern auch noch immer ein paar sichere Landepunkte für unsere Teleporter bereitzuhalten.
Wie schon oft erwähnt, war das „blinde“ Teleportieren eine sehr unangenehme Sache, da man eben nie wusste wo man herauskam. Dirk war es jedoch gelungen für jedes Team einen entsprechenden Landepunkt zu finden, bei uns war es ein nicht sonderlich geräumiger Lagerraum in der Röhrensektion F. Durch die geschlossene Türe hörten wir die Alarmhupe und das Zuschlagen der Sicherheitstüren. Als Telepathen spürten wir die Verwirrung, der uns umgebenden Menschen. Doch von Panik war im Moment noch nichts zu bemerken, die würde sicherlich erst in einigen Augenblicken kommen.
Team „Eingang“ - Zugangsstollen der Anlage Alpha
Freitag, 04.01.2036 kurz nach 19 Uhr
Besorgt sah sich Thimo um. Sein Team war in dem von Dirk lokalisierten Nebenstollen herausgekommen. In nur wenigen Metern Entfernung mündete dieser in den Hauptstollen, der einen halbkreisförmigen Querschnitt besaß, 15 Meter hoch war und insgesamt zwei Kilometer lang sein sollte. Aus den Unterlagen wussten sie, dass dieser Stollen aus vier Teilabschnitten bestand, die parallel versetzt zueinander lagen. Nach jeweils 500 Metern bog der Stollen rechtwinklig ab, um nach 50 Metern in den nächsten 500 Meter langen Abschnitt zu münden. Vom versiegelten Hauptportal aus gesehen ging es also zuerst 500 Meter in den Berg hinein dann 50 Meter nach links, dann wieder 500 Meter geradeaus, bevor es wieder 50 Meter nach rechts ging. Danach wieder 500 Meter geradeaus, 50 Meter nach links, geradeaus, rechts und man stand in der domartigen Halle vor dem Eingangsbunker. So sollte eine Druckwelle, die das Hauptportal vernichtete, nicht mit voller Wucht bis zum halbkugelförmigen Eingangsbunker durchschlagen können.
Der Nebenstollen, in dem sie sich aufhielten, war nur 100 Meter von der letzten Gangbiegung zum Eingangsbunker entfernt. Da der Gang selbst unbewacht war, sollten sie zuerst den Bunker ausschalten und erst danach den ganzen Stollen zum Einsturz bringen.
»»Warum eigentlich?««, wollte Zack wissen. »»Das habe ich schon die ganze Zeit nicht verstanden. Wenn die Darwinianer den Bunker bei einem Angriff sprengen, spielt es doch keine Rolle wer ihn angreift. Also hätten wir den Angriff doch auch der Abwehr oder dem Staatsschutz überlassen können.««
Thimo seufzte etwas genervt, denn diese Diskussion war schon im Auditorium geführt worden: »Erstens ist Florian kein Telepath also wäre es höflicher, die Frage Laut zu stellen. Zweitens wollen wir nicht unbedingt, dass bekannt wird, dass der Bunker noch existiert. Stefan und Eric sind der Meinung, dass wir den Bunker vielleicht noch brauchen könnten, wenn er aber in die Hände der Abwehr oder des Staatsschutzes fällt, wäre er für uns verloren. Drittens ist es nicht sicher, dass die Darwinianer den Bunker überhaupt noch sprengen können. Die Bombe, die Dirk geortet hat, befand sich in der Mittelstation und wurde durch unsere EMP-Bombe unbrauchbar gemacht. Bisher hat Dirk keinen Hinweis auf eine zweite Bombe gefunden.«
Offensichtlich gefiel Zack die Antwort nicht, doch das hatte nichts mit dem Angriff als solches zu tun. Er war der Meinung, wenn der Bunker bekannt würde, dann würde der Staatsschutz den Angriff auf die Negativen Mutanten im Untergrund stoppen. Doch außer ihm glaubte niemand an diese Theorie.
Kim legte Zack tröstend die Hand auf die Schulter: »Zack, der Angriff auf die Mutanten im Untergrund hat doch eigentlich nichts mit den Pseudo-Morlocks zu tun. Es ist eine Aktion, die Senator Huber nur für seine eigenen Zwecke durchführt. Ob hier ein Bunker ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.«
Beruhigend ergänzte Thimo: »Die intelligenten Mutanten im Untergrund haben sich doch schon längst zurückgezogen und wir werden Möglichkeiten finden ihnen zu helfen. Ralf und Tommy werden sich darum kümmern sobald sie ihre Mission erledigt haben. – Wir lassen sie nicht im Stich. Und um die Morlocks tut es dir doch nicht wirklich leid. Es ist zwar schlimm, aber ihnen kann wirklich niemand helfen. Jeder, der zu ihnen ginge würde zerfleischt, genauso wie sie sich selbst auch jetzt noch bekämpfen.«
Traurig nickte Zack, er konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass die Mutanten von den Robotern einfach abgeschlachtet wurden, denn mehr war es in seinen Augen wirklich nicht. Die Morlocks besaßen im Allgemeinen, außer ihrer enormen Körperkraft, keine Fähigkeiten. Im Prinzip waren sie den Robotern wehrlos ausgeliefert, und das machte ihn so wütend.
Ungeduldig scharrte Florian mit den Füßen und sah immer mal wieder zu Thimo. Früher gehörte Florian zu dem Teil der Freien Mutanten, die sich am meisten von den restriktiven Vorschriften des Großen Rates gegängelt fühlten. Damals verstand er nie, wie Thimo sich so sehr von dem Großen Rat einspannen lassen konnte. Inzwischen musste er aber feststellen, dass Thimo sich viel weiter von alldem entfernt hatte, was die Freien Mutanten ausmachte, als Florian sich je hätte vorstellen können. Thimo arbeitete mit Normalos zusammen, er kämpfte mit Waffen, und nun auch noch diese Freundschaft mit einem Mutanten, der eindeutig näher bei den Negativen Mutanten stand als gut für ihn sein konnte. Nicht, dass Florian etwas gegen Zack gehabt hätte, nur die Veränderung, die Thimo zeigte, erstaunte ihn doch sehr.
Unterdessen musste Thimo schmunzeln, zwar verstand es Florian, sich weitgehend abzuschirmen, aber er kannte ihn gut genug um zu ahnen, was in ihm vorging. Doch dann gab er sich einen Ruck: »Also los jetzt, es wird Zeit für unseren Beitrag zur Phase 1!«
Gemeinsam hasteten sie bis zum Hauptstollen, wandten sich dann nach links, bis der Stollen scharf nach rechts abknickte und spähten vorsichtig um die Ecke. Nach wenigen Metern mündete der Stollen in eine große domartige Halle von fast 60 Metern Durchmesser und über 40 Meter Höhe. Im Zentrum der Halle ragte die 25 Meter hohe Halbkugel des Eingangsbunkers, als einzige Erhebung der ganzen Halle, aus dem Boden. Nur zwei Mark-13 standen an der Schleuse des Bunkers. Da keine Menschen zu sehen waren, bestimmte Thimo: »Also los!«
Seine Hand auf Florians Schulter gepresst ging Thimo ohne weitere Verzögerung mit ihm in Phase. Kim tat dasselbe mit Jens, und so gingen sie als vier Geister um die Ecke auf die beiden Mark-13 zu, denen es nur noch gelang, ihre Waffen auf sie zu richteten. Innerhalb der nächsten Sekunde war von den Roboter nur noch ein zerfetzter Haufen Schrott übrig.
»Ziemlich coole Sache, daran könnte ich mich gewöhnen«, grinste Florian und fuhr probehalber mit seiner Hand durch den Beton der Stollenwand.
»Ja, ja! Macht ihr nur schön so weiter, für mich gibt es mal wieder nichts zu tun«, grummelte Zack und kickte ein paar Steinchen aus dem Weg, während er den vier Jungs missmutig folgte. Dann jedoch stockte er und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Aus Richtung des Stolleneingangs hörte er ein sich näherndes Fahrzeug. Schnell wirbelte er herum und rannte zurück zu „ihrem Nebenstollen“, wo er auf das Fahrzeug wartete.
Es war ein dreirädriger Elektrowagen, mit zwei Catchern, der zügig an Zack vorbei rauschte und erst kurz vor der Rechtskurve anhielt. Die beiden Catcher sprangen heraus und zogen ihre Waffen um Thimo auf seinem Vormarsch in den Rücken zu fallen. Doch sogleich war Zack hinter ihnen: »Hallo? – Sucht ihr mich?«
Die beiden schnellten herum und rissen ihre Waffen hoch, doch da war Zack schon zwischen ihnen. Nun zeigte es sich, dass er in seinen Kämpfen mit Lukas einiges hinzugelernt hatte. Denn innerhalb weniger Sekunden waren die beiden Catcher bewusstlos, so schnell jedenfalls, dass sie nicht einmal begriffen, wer oder was sie angegriffen hatte.
»»Und, bist du nun zufrieden?««, brummte Thimo, der sich daran störte, das Zack es unterlassen hatte ihn zu informieren.
»»Zufrieden nicht, aber etwas besänftigt««, gab Zack flapsig zurück und schleifte die beiden Catcher bis zu Thimo, der mit den anderen vor dem Bunker stand. »»War einfach eine zu leichte Beute.««
Ungeduldig sah Zack zur Bunkertür und stichelte: »Anklopfen ist wahrscheinlich sinnlos.« Ihm ging das alles viel zu langsam. »Die beiden da wussten jedenfalls, dass wir da sind.«
»Warum nicht anklopfen?«, grinste Florian und im nächsten Augenblick brach die Tür unter gewaltigem Getöse aus der Verankerung, während er rief: »Poch, Poch, Poch! Jemand zu Hause?« Florian war schließlich nicht nur Disruptor sondern auch ein sehr starker Telekinet. Diese Art des Anklopfens gefiel auch Zack, aber vermutlich nur, solange es nicht seine Tür war.
Wie ein Geschoss raste das schwere Schott in die Schleuse und traf den darin wartenden Kampfroboter voll in die Seite. Bevor der sich wieder aufrichten konnte, sah er aus wie seine Kollegen vor dem Bunker. Diesmal war Jens schneller gewesen.
»Will auch mit Robbys spielen«, quengelte Zack mit Kinderstimme.
»Halt die Klappe, oder ich sage es Martin!«, zischte Thimo. Angesichts dieser Drohung hüllte sich Zack in Schweigen und spielte den Beleidigten. Während Kim ihm einen tröstenden Kuss auf die Wange gab, erklärte Thimo das weitere Vorgehen.
»Also Jungs, hinter der nächsten Tür warten noch vier Catcher und zwei Mark-13. Wir gehen wieder in Phase durch und erledigen die Roboter. Dann kümmern wir uns um die Catcher. – Und Zack, deine beiden „Freunde“ wachen gerade auf.«
Während Zack hinauseilte, um sich um seine beiden Catcher zu kümmern, erledigten Thimo, Florian, Kim und Jens die Roboter. Ohne weiteren Widerstand ließen sich die vier verbliebenen Catcher entwaffnen und Zack führte gleich darauf seine Gefangenen herein.
»Okay Kim«, sagte Thimo zufrieden, denn bis jetzt lief alles nach Plan. »Jetzt gehören sie dir.« Dies war Kims Startsignal, die Gefangenen zur Mittelstation zu teleportieren, damit die Roboter sich um ihre Bewachung kümmern konnten.
Einige Sekunden sah sich Thimo im Bunker um, dann legte er einen roten Hebel um und im gesamten Eingangsbunker schlossen sich alle Notfallschotte. Jetzt würde hier niemand mehr, auf normalem Weg, herein- oder herauskommen. Als nächstes ging Thimo zusammen mit Florian in Phase, und sie schritten den ganzen Stollen ab, während Florian mittels Disruption alles zum Einsturz brachte. Durch diesen Stollen sollte nie wieder jemand die Anlage betreten.
Team „Stillstand“ - Technik-Bereich der Anlage Alpha
Freitag, 04.01.2036 kurz nach 19 Uhr
Als Tom seine Augen vorsichtig öffnete, stand er in dem von Dirk beschriebenen Gang, und auch hier zeugte das laute Hupen vom erfolgreichen Angriff auf die Mittelstation. Zumindest dieser Teil hat schon einmal geklappt, dachte Tom grummelnd und warf einen etwas misstrauischen Blick zu Marcus. Neben Nico war Marcus der zweite Teleporter, doch leider war er einer der Freien Mutanten, die sich sehr für die Große Konvention stark machten.
Als klar wurde, dass Nico, als „schwächlicher“ Hood auch noch der bestimmende Teleporter war, konnte Marcus seine Abneigung kaum verbergen. Aber auch er sah keine andere Möglichkeit, da er selbst kein Telepath war. Er konnte mit den von Dirk gelieferten Eindrücken nichts anfangen, genauer gesagt, er bekam sie erst gar nicht mit. So bestimmte Nico das Ziel und Marcus stellte im Prinzip lediglich seine PSI-Energie zur Verfügung, damit sie den Sprung gemeinsam schafften. Denn Nico alleine wäre es nicht möglich gewesen Tom, Lukas, Gerald und Marc gleichzeitig zu transportieren.
Entsprechend seiner Einstellung sah Marcus jetzt auch ziemlich missbilligend auf Nicos schwere X2-MiniRack. Nicht nur um Marcus zu ärgern war bei Nico die Wahl auf diese Kombiwaffe gefallen. Im Gegensatz zu den meisten Mutanten der Bruderschaft besaß er schon viel länger Erfahrung mit Waffen. Denn schon bevor er zum ersten Mal mit den Iratus Lemurum zusammengekommen war, musste er bei einigen seiner Aktionen auf Waffen zurückgreifen. Wie sonst hätte er als relativ schwacher Telepath und Teleporter gegen die Catcher bestehen sollen?
Seit er jedoch auf die Ressourcen von NeckTech zurückgreifen konnte, war er erst richtig auf den Geschmack gekommen. Plötzlich auftauchen, blitzschnell zuschlagen und sofort verschwinden war seine Strategie. Seit er nun auch noch die Larualisation beherrschte, konnte er sich als Ghost mit dem Verschwinden sogar Zeit lassen. Bei einer von Martins Standard-Gefechtssimulationen erreichte er einmal sogar 160 Prozent. Wenn die normalen Soldaten über freies Geländer rennen mussten, dann teleportierte Nico einfach. Wenn er dabei sogar hinter oder mitten in der feindlichen Stellung auftauchte, streikte anfangs sogar der Simulator.
Nico grinste und sah zu Gerald, der sich auf seinen QuickStep verließ und natürlich auf seine Elektrokinese. Marc hingegen bevorzugte die Larualisation in Verbindung mit seiner Elektrokinese, schließlich war er der stärkste Elektrokinet der Bruderschaft.
»Okay Jungs«, begann Tom, der das Team führte: »Wir sind jetzt auf der untersten Ebene dieser verdammten Anlage, in der so genannten Maschinenhalle. Rechts und links von uns befinden sich je vier Betonsilos mit einem Durchmesser von 20 Metern und einer Länge von 60 Metern. In diesen acht Silos sind die großen Isoliertanks mit flüssigem Wasserstoff eingebaut. Hier lagert ein Vorrat, der die Anlage für mehrere Jahre mit Energie versorgen kann.« Nachdenklich musterte Tom noch einmal alle der Reihe nach mit einem undefinierbaren Blick: »Also Vorsicht beim Schießen, der Elektrokinese und allem, was solche Tanks eben nicht vertragen.«
Mit einem spöttischen Seitenblick zu Marcus ergänzte er: »Wo wir dabei sind, einem Teleporter soll es auch nicht gut tun, in so einen Tank zu springen. – Habe ich mir sagen lassen.«
»Warum eigentlich Wasserstoff? Sind Necronit-Batterien nicht bessere und ungefährlichere Energiespeicher?«, warf Nico ein.
Gerald grinste und nickte: »Natürlich, nur gab es die zu der Zeit, als man die Anlage baute, noch nicht. Hier benutzen sie noch Brennstoffzellen, die erzeugen die Energie aus dem Sauerstoff der Luft und eben dem Wasserstoff. Der Wasserstoff wird flüssig gelagert, weil das zum einen eine sehr hohe Energiedichte ergibt und zweitens diffundiert er nicht so leicht aus diesen keramikbeschichteten Behältern. Durch normalen Stahl kann gasförmiger Wasserstoff „durchsickern“, was der langen Lagerzeit in so einer Anlage natürlich widersprechen würde.« Mit einem nachdenklichen Blick auf Tom ergänzte er noch: »Übrigens das Zeug wird bei –253°C, also 20 K gelagert, ein Baden in dieser „Suppe“ ist also wirklich keinem zu empfehlen.«
»Na gut!«, brummte Tom. »Nachdem wir nun auch diesen Punkt geklärt haben, können wir vielleicht mal zum Wesentlichen kommen. Laut Dirk mündet dieser Gang gleich da vorne in den Hauptkorridor, der dann auch schnurgerade zum Maschinenleitstand führt. Dort sollen sich nur drei Techniker aufhalten. Wir gehen wie besprochen vor, wenn möglich, wollen wir die Anlage nicht zerstören.«
Vorsichtig schlich er den Gang entlang, bis zur Einmündung in den Korridor, Lukas, Gerald und Nico folgten dicht auf, während Marcus sich ihnen eher gelangweilt anschloss. Noch einmal verschaffte sich Lukas mittels Teleortung einen Überblick. Zwar war er längst nicht so gut wie Dirk, der aufgrund seiner Blindheit alleine auf seine Teleortung angewiesen war, aber ansonsten zählte er zu den Besten. »»Alles klar, weiter wie besprochen?««
Tom nickte angespannt und Lukas grinste wieder, dies war eine Aktion, wie sie ihm gefiel. Gerald und Lukas gaben Nico die Hand, und schon standen sie in dem großen und mit sehr viel Monitoren und Technik vollgestopften Maschinenleitstand. Noch ehe die Techniker so richtig verstanden, dass sie nun auch Probleme bekamen, lagen zwei von ihnen schon auf dem Boden und der Dritte sah in Nicos Waffe.
Wenige Sekunden später, erschienen Marc und Tom zusammen mit Marcus in der Zentrale.
»Sieht ja ganz gut aus«, brummte Tom und konzentrierte sich kurz auf Nicos Techniker. Ein kleiner EMP-Impuls, und dessen Blockadechip war ausgefallen. »Er gehört dir, Nico.«
Mit einem bösen Funkeln in den Augen zischte Nico den überraschten Techniker an: »Ab jetzt ist Energiesparen angesagt! Fahr sofort die Anlage herunter, oder wir kümmern uns selbst darum, während du in einer dieser großen Thermoskannen Schwimmübungen machst. – Ist das klar?«
Mit bleichem Gesicht und zitternden Händen begann der Techniker zu schalten, während Lukas ihn telepathisch überwachte. Nach und nach erloschen die grünen Bereiche, des 3D-Modells der Anlage, auf dem Kontrollmonitor. Die Maschinenhalle hatte die Energieversorgung für „Anlage Alpha“ eingestellt und damit war für Tom Phase 1 beendet. Jetzt musste Nico nur noch die drei Gefangenen in der Mittelstation abliefern.
Team „Information“ Computer-Bereich – Röhrensektion H
Freitag, 04.01.2036 kurz nach 19 Uhr
Die laute Alarmhupe und das blinkende Rotlicht waren die ersten Eindrücke, die auf die acht Eindringlinge einstürmten. Eric war mit seinem Team wie geplant eine Ebene unterhalb ihres eigentlichen Zieles herausgekommen. Der Gang war lang und relativ schmal. Rechts und links führten Türen zu den Rechnerräumen, ein paar Büros und zwei Elektrolabors.
Ralf zeigte grinsend auf die Tür, mit der Aufschrift „E-LAB 2“: »Dort findet ihr Carlos PDA, wir wollen ihn doch nicht den Darwinianern überlassen. – Nicht wahr?« Die Begeisterung von „Mutant erster Klasse“- Louis hielt sich in Grenzen, aber er sah die Notwendigkeit ein, dass jemand auf Benny und vor allem Carlo aufpassen musste, bis die Lage sicher war. So führten Paul und er den „wichtigen Auftrag“ aus, Carlos PDA zurückzuerobern, während Ralf, Eric, Gloria und Tommy sich um die „Kleinigkeit“ der Kommandozentrale kümmern wollten.
Ralf und Eric grinsten sich an, natürlich wussten sie, dass es Louis nicht gefiel, aber jemand musste aufpassen. Nicht nur, dass Carlo kein Mutant war, er hatte auch im übrigen nichts mit der Bruderschaft zu tun. Seine Familie lebte lediglich in Sektor-18 und er war mit Benny befreundet. Dennoch hatte Carlo darauf bestanden die Jungs bei ihrem Einsatz zu begleiten. Er meinte, die Bewohner von Sektor-17 seien ja auch von den Pseudo-Morlocks überfallen worden, ohne dass sie etwas mit den Darwinianern am Hut hatten. Das gleiche hätte auch in seinem Sektor passieren können. Paul hingegen war sogar recht froh, da so die Wahrscheinlichkeit doch recht groß war, dass er nicht aktiv kämpfen musste. Nach seinem Geschmack musste er in seinem langen Leben schon viel zu oft zeigen, dass nicht alle Heiler ausnahmslos Pazifisten waren.
Während Louis mit seinem B-Team aufbrach, um Carlos PDA an sich zu bringen, schlich Eric mit seinem A-Team den Gang entlang bis zu den Treppen. Durch ein Sicherheitsschott erreichten sie das Treppenhaus, das mit seiner Wendeltreppe sehr an den Aufgang eines mittelalterlichen Burgturms erinnerte.
Jede Röhrensektion war in 5 Ebenen unterteilt. Die Jungs waren in der vierten Ebene angekommen und ihr Ziel, die Kommandozentrale, befand sich in der dritten Ebene. Nach den Plänen gab es in jeder Röhrensektion vier Aufgänge, jeweils zwei an jedem Ende der Röhre. Der Aufgang, den sie nun benutzten, befand sich in unmittelbarer Nähe zum Zentralschacht, in dem sich die Aufzüge der Anlage befanden.
Erstes Ziel des A-Teams war nun die Abriegelung der gesamten Röhrensektion, um zu verhindern, dass sie doch noch überraschenden Besuch bekamen. Kaum hatten sie die dritte Ebene erreicht, stieß Eric die Sicherheitstür auch schon krachend zur Seite. Nach kurzem Zögern ging er aber doch lieber in Phase. Es war eben eine antrainierte Gewohnheit, und manchmal vergaß er dabei, dass er auch so durch die Wände gehen konnte.
Rechts mündete der Gang nach 15 Metern in die Kommandozentrale, und links führte er zu der Schleuse, die diesen Teil des Bunkers vom Zentralschacht trennte. Der Gang war leer, doch in der Schleuse würden zwei Mark-13 auf sie warten, so viel wussten sie schon von Dirk.
Ralf trat neben Eric und sah ihn abenteuerlustig an, bis jetzt machte ihm die Aktion richtig Spaß. Eric musste lächeln und nickte auffordernd in Richtung Schleusentor: »Da warten zwei „Blechkameraden“ auf Erlösung.«
Zusammen gingen sie durch die Wand und die beiden Roboter kamen noch dazu ihre Waffen halbwegs auszurichten. Dabei war der Schwung der einen Maschine so groß, dass ein Teil ihres Waffenarmes unter dem auflösenden Einfluss von Ralfs Metallokinese davonflog. Der Rest des Roboters sank einfach in sich zusammen. Nur die Entladungsblitze der Necronit-Batterie zeigte, dass die Metallskulptur einmal eine Maschine gewesen sein musste.
Als Nächstes konzentrierte sich Ralf auf das äußere Schleusentor und verband es, mittels Metallokinese zu einer einzigen unbeweglichen Platte: »Dieses war der erste Streich«, grinste Ralf sichtlich gut gelaunt während Eric die Hochenergiesperre vor der Tür mit einem Elektrokinese-Impuls zerstörte.
Tommy und Gloria waren unterdessen damit beschäftigt gewesen, die Räume bis zur Kommandozentrale abzusuchen, doch sie konnten niemand finden. Offensichtlich hatte sich die gesamte Besatzung dieser Bunkersektion nach dem Alarm in der Zentrale versammelt. Schweigend schritten die vier auf die schwere Sicherheitstür der Kommandozentrale zu. Doch das rote Licht über der Tür signalisierte ihnen, dass man ihnen den Zutritt verwehren wollte, da sie von innen verriegelt war.
»Dann eben nach Art der Iratus Lemurum«, murmelte Eric und zuckte mit der Schulter. »Also los!«
Augenscheinlich wurden sie schon erwartet, denn sie sahen direkt in die schussbereiten Waffen von zwei Mark-13 und vier Catchern. Selbst die Roboter benötigten jedoch einige Sekundenbruchteile, um mit dieser Geistererscheinung klar zu kommen. So viel Zeit wollten ihnen Eric und die Jungs aber nicht zugestehen. Während Ralf die beiden Roboter wieder in abstrakte Skulpturen verwandelte, machten die Catcher Bekanntschaft mit der Elektrokinese von Tommy und Gloria.
Konzentriert, aber scheinbar unbeteiligt musterte Eric den Raum, dessen Besatzung sich überwiegend in der ihm gegenüberliegende Hälfte aufhielt. Dabei war die Kommandozentrale eigentlich ein riesiger kreisförmiger Raum von annähernd 28 Metern Durchmesser. Da sie jedoch zum größten Teil in halbdunklem rötlichem Licht lag, erschloss sich dieses Ausmaß den Besuchern nicht sofort.
Hauptsächlich erschwert wurde das Abschätzen der tatsächlichen Dimensionen durch den zylinderförmigen Sockel der Kommandobrücke. Dieser Sockel, der einen Durchmesser von 15 Metern besaß und in vier Meter Höhe in eine Plattform mündete, befand sich nämlich genau im Zentrum des Raumes. Die 20 Meter durchmessende Plattform bildete die eigentliche Kommandobrücke. Auf ihr waren die Arbeitsplätze der höherrangigen Wissenschaftler mit den Terminals und anderen technischen Einrichtungen untergebracht.
Von dieser Kommandobrücke steuerte der Bunkerkommandant die ganze Anlage - oder würde es tun, wenn nicht gerade alle Systeme dabei wären, ihre Funktionen einzustellen. Auf dem Gangniveau, also unterhalb der Kommandobrücke, arbeiteten normalerweise die einfachen Techniker und das sonstige Personal. Doch im Moment starrten diese auch nur ungläubig auf die vier Geister und die Überreste der Roboter.
Wer zur Kommandobrücke wollte, der musste durch eine Sicherheitsschleuse im Sockel des Kommandomoduls gehen oder wie Tommy einfach die fünf Meter überspringen, denn natürlich umspannte die ganze Kommandobrücke eine rund einen Meter hohe Brüstung, die es somit auch noch zu überwinden galt.
Eric war nach kurzer Analyse klar, dass die räumliche Trennung der Kommandoebene nicht nur der Hierarchie wegen erfolgt war. Die einfachen Techniker erhielten durch den Höhenunterschied erst gar keine Möglichkeit, zufällig auf die Displays der höheren Ränge zu sehen, während die von oben jederzeit Einblick in die Tätigkeit ihrer Untergebenen nehmen konnten.
Entlang der Wand, aber über den untergeordneten Arbeitsplätzen, verlief eine Galerie mit großen Displays. Nur von der Kommandobrücke aus konnten diese wirklich gut eingesehen werden. Zu der Zeit, als Ralf, Eric, Tommy und Gloria den Raum betraten, waren jedoch schon auf einigen der Displays nur noch der Hinweis „Verbindung wurde unterbrochen.“ zu sehen. Die Kontakte zum Eingangsbunker, der Mittelstation und zum Maschinenleitstand waren inzwischen abgebrochen. Auf den anderen Monitoren erschienen Daten und Bilder zu den restlichen Sektionen, und mehrere Personen versuchten, offensichtlich gleichzeitig, ihre wichtigen Informationen dem Kommandanten zu übermitteln.
Der jedoch stand, mit bleichem Gesicht, an der Brüstung der Brücke und versuchte zu begreifen, wie seine beiden Mark-13 kalt in sich zusammenschmelzen konnten. Als technisch geschulter Kommandant wusste er natürlich, dass die Roboter keinem thermischen Effekt zum Opfer gefallen waren, ansonsten hätte die Hitze jeder im Raum gespürt. Doch wie Metall kalt „schmelzen“ konnte, überstieg fast schon seinen Verstand. Dass Tommy aus dem Stand die fünf Meter übersprungen hatte, erschien dem Kommandanten da schon nicht mehr so bemerkenswert.
Ein kleiner schmaler Wissenschaftler, der neben zwei seiner Kollegen in der unmittelbaren Nähe des Kommandanten stand, fauchte plötzlich mit ätzender Stimme: »Sagten sie nicht, die Kämpfe fänden nur am Eingang und in der Mittelstation statt? Das hier – ist entschieden zu nahe!« Dabei sah er den Kommandanten an, als müsse der nur auf einen Knopf drücken, damit ein Scheibenwischer die „Belästigung“ beiseite wischt.
»Dr. Strange! Halten sie endlich mal ihre vorlaute Klappe, sie widerlicher kleiner Wicht«, zischte der fast 2 Meter große und mindestens 100 Kilogramm schwere Kommandant den wissenschaftlichen Leiter der Anlage an.
»Tag auch!«, rief Eric gespielt fröhlich und schwebte zusammen mit Ralf zur Kommandobrücke, »Wir wollen ihre kleine Unterhaltung nur ungern stören, aber ab jetzt ist die Anlage unter unserer Kontrolle. Jeder Widerstand ist zwecklos.«
Während Gloria und Tommy das Personal auf der unteren Ebene in Schach hielten, sah sich Eric in aller Ruhe auf der Brücke um: »»Ralf, kannst du ihre Blockadechips zerstören oder sollen wir Tom rufen? Ich brauche unbedingt mehr Informationen, die Anlage ist doch komplizierter als ich dachte.««
»»Zuerst sollten wir aber das Personal wegschaffen, da sind mir einfach zu viele Leute««, rief Tommy und sah besorgt auf die immer nervöser werdenden Techniker.
Mit finsterem Blick musterte Ralf den wissenschaftlichen Leiter, der selbst eine unheimliche Kälte und Arroganz ausstrahlte. Der Kommandant hingegen war unverkennbar sehr nervös und stark verunsichert.
Eric fixierend zischte Dr. Strange mit unverkennbarem Zynismus: »Ach, ich verstehe, guter Mutant und böser Mutant. Darauf falle ich aber nicht herein.« Dabei lachte er hämisch.
»Falsch!«, fauchte Tommy und zog die rechte Augenbraue spöttisch hoch, »Er ist der Böse und der daneben ist der ganz Böse«, dabei zeigte er zuerst auf Eric und dann auf Ralf, der schon reichlich ungeduldig und verstimmt aussah. Dabei verbreitete er wieder einmal seine düstere Aura, die den Kommandanten fast erstarren ließ.
»Okay, okay!«, kicherte der Zwerg hinterhältig und fragte herausfordernd, »Und was seid ihr zwei dann?«, dabei musterte er Tommy und besonders Gloria mit unverhohlener Neugier.
Die grinste nur angewidert: »Das hättest du besser nicht fragen sollen! In den Nachrichten hört man doch immer von diesen schlimmen Mutanten – Wir sind die schlimmsten von allen: Wir sind das, was ihr Negative Mutanten nennt!« Gleichzeitig entblößte Tommy seine Reißzähne und pochte kurz mit seinem Schweif auf den Boden.
Auf einen Schlag wich jegliche Farbe aus dem Gesicht des Wissenschaftlers und er taumelte zurück, während er nur noch stöhnte: »Scheiße, verdammte Scheiße!«
In diesem Moment erschienen auch schon Marcus, Nico und Tom auf der Brücke, was zu weiterer Verunsicherung unter den Technikern führte. Ohne einen Ton zu sagen ließ Marcus kalt lächelnd einen nach dem anderen des unter ihm versammelten Personals verschwinden, was bei den Betroffenen natürlich zu panischen Reaktionen führte. Sie konnten nicht wissen, dass Marcus sie mittels Exoteleportation nur in die Mittelstation teleportierte.
Doch ihm und Tom ging es um die Wirkung auf die Wenigen, die zurückbleiben sollten. Als Nico auch noch flapsig einwarf: »Wie viele von denen passen denn in einen Wasserstoff-Behälter?«, brach fast schon offene Panik aus. Und nur die fast schon greifbare drohende Aura von Ralf hinderte das Personal daran, einfach die Flucht zu versuchen, obwohl es doch eigentlich keinen Ausweg gab.
»»Nico! Du bist vielleicht ein kleines Monster!««, fluchte Eric halb belustigt halb erbost.
»»Du hast dich nie vor ihnen verstecken oder zusehen müssen, wie sie Freunde von dir verschleppt haben««, gab Nico bitter zurück.
Während Tom sich mittels EMP um die drei Wissenschaftler und den Kommandanten kümmerte, die noch auf der Brücke standen, begann Eric mit seinem verbalen Verhör. Ralf nutzte nun, ohne jeden Skrupel, die Angst der Wissenschaftler aus, um sie nun, da sie von ihren Blockadechips befreit waren, telepathisch auszuhorchen.
Schon nach wenigen Sekunden konnte Eric damit beginnen, die einzelnen Röhrensektionen vollständig abzuschotten. Während er seine Fragen stellte und meist nur falsche oder bruchstückhafte Antworten bekam, erfuhr Ralf die richtigen und vollständigen Informationen mühelos mittels Telepathie. Verbal konnten die Befragten lügen so viel sie wollten, doch dabei dachten sie natürlich auch immer an die Informationen, die sie keinesfalls weitergeben wollten. Ralf musste somit dieses Wissen nur noch aufsammeln und an Eric weitergeben. Über diesen kleinen Umweg bekam Eric letztlich alle Informationen, die er wollte, ohne das es auffiel.
Als Marcus die letzten des einfachen Personals in die Mittelstation teleportiert hatte, verschwand er wieder zusammen mit Tom und Nico zurück zu Lukas und Gerald, die im Maschinenleitstand geblieben waren.
Gleich darauf erschienen dafür Louis, Benny, Carlo und Paul auf der Brücke und das „Verhör“ wiederholte sich erneut, nur dass es jetzt Benny und Carlo waren, die die Fragen stellten. Innerhalb sehr kurzer Zeit gelangten die Beiden an die gesuchten Informationen. Ralf war dann jedoch sehr erstaunt, als er sah, wo der Stützpunkt Arktis lag. So weit nördlich hätte er ihn nie vermutet, denn bisher gingen sie alle davon aus, dass der Name im Bezug zur Kryonik stände.
@Mike
Team „Befreien“ Labor-Bereich – Röhrensektion F
Freitag, 04.01.2036 gegen 20 Uhr
»Wie konnten sie so etwas tun?«, Julians zitternde Stimme hallte ungewöhnlich laut durch die dunkle Halle. »Wie konnten sie das ihren eigenen Leuten antun?«
Geschockt standen wir vor fünf Glasbehältnissen, in denen, in einer bläulich trüben Flüssigkeit, je ein lebloser Körper schwamm. Es waren einmal Menschen gewesen, Catcher, um genauer zu sein, doch nun? Natürlich waren sie inzwischen tot. Anscheinend schalteten die hier tätigen Wissenschaftler die lebenserhaltenden Maschinen ab, als wir angriffen. Sicherlich war es für die Opfer dieser besessenen Wissenschaftler das Beste, was ihnen noch geschehen konnte, nach all dem, was man ihnen schon angetan hatte.
Geahnt hatten wir so etwas Ähnliches schon seit Tagen, da war Lukas während des Morlock-Überfalls mit dem Kopf eines ehemaligen Catchers aufgetaucht, der kaum noch als Mensch zu erkennen gewesen war. So wie Lukas berichtete, sah der Körper genauso deformiert und monströs aus wie der Kopf. Hier in den Glaszylindern schwammen ebenfalls solche entstellten Menschen. Es war also kein Unfall gewesen, sondern nur ein weiterer Schritt auf dem skrupellosen Weg der Darwinianer. Wieder einmal zeigten sie damit, wie ernst sie es mit ihrem Credo meinten: „Alles was dem Menschen möglich ist, wird er irgendwann tun! Also, warum warten?“
Wir hatten die ganze Röhrensektion F von der fünften bis zur ersten Etage durchsucht, doch dabei waren wir nur auf technisches Personal gestoßen, das wir sofort zur Mittelstation transportierten. Dann teilte uns Dirk mit, dass er etwas Ungewöhnliches entdeckt habe. An der Schnittstelle zwischen diesem „Mutantenlabor“ und der eigentlichen Röhrensektion wurde seine Ortung gestört und so machten Julian und ich uns auf, der Störung auf den Grund zu gehen.
Erst, nachdem Julian einen Teil der Wandverkleidung destruierte, fanden wir den Zugang zum Labor. Wahrscheinlich wussten selbst von den hier arbeitenden Darwinianern nur sehr wenige von diesem Geheimlabor, denn sonst hätte ein versteckter Zugang keinen Sinn gemacht. Dass die Darwinianer mit einem Angriff auf die Anlage rechneten und deshalb den Zugang verbargen, hielt ich für absurd. Eher würden sie die gesamte Anlage sprengen, als darauf zu vertrauen, dass ein Angreifer ein verborgenes Labor nicht fand.
Schaudernd sah ich mich in dem Hochsicherheitslabor um, während Julian noch immer auf die leblosen Körper starrte. Wir hatten das Labor, das sich zum Teil in der ersten Ebene der Röhrensektion F befand, nur gefunden, weil uns Dirk mitteilte, dass da etwas „Ungewöhnliches“ sei. Dabei war doch schon die gesamte „Anlage Alpha“ mehr als nur ungewöhnlich.
Das Labor selbst war psionisch abgeschirmt – wie die Pseudo-Morlocks während des Überfalls im Drachensektor. Der Raum, in dem es sich befand, war zylindrisch mehr als 10 Meter hoch und besaß einen Durchmesser von 40 Metern. Alles deutete darauf hin, dass dies alles nicht zur ursprünglichen Anlage Alpha gehörte, sondern mit viel Aufwand erst nachträglich gebaut wurde. Denn dieser Zylinder saß gewissermaßen oben auf dem liegenden Zylinder der Röhrensektion F.
Die fünf Brutbehälter, oder wie auch immer man es nennen wollte, befanden sich auf einer 1 Meter hohen Plattform im Zentrum dieser Halle und waren ringförmig angeordnet. Genau im Zentrum der Plattform ragte eine Säule hervor, aus der etliche Schläuche und Kabel zu den einzelnen Glaszylindern führten. Das alles wurde von einem matten rötlichen Licht geradezu gespenstisch in Szene gesetzt.
»»Wir müssen diese Leute finden, sie können nicht entkommen sein««, beschwor ich Julian, alleine schon deshalb um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
»»Bin ich auch einmal in so einem Inkubator herangereift?««, fragte er mit brüchiger Stimme.
»»He, Julian! Das waren Catcher, die sie mit was auch immer zu Mutanten gemacht haben, das hat überhaupt nichts mit dir zu tun.««
Plötzlich und völlig unvermittelt drehte er sich um und eine Kälte, wie ich sie noch nie bei ihm gesehen hatte, lag in seinem Blick: »Ich will diese Bestien haben!«
Mit zwei Schritten war ich bei ihm und schloss ihn in den Arm: »»Julian, lass dich von denen nicht kaputtmachen. Wir werden sie finden und dann werden wir alle gemeinsam entscheiden, was wir tun. Lass dich nicht vom Hass leiten.««
Mit Tränen in den Augen sah er mich an, und es tat höllisch weh, ihn so leiden zu sehen. Er hatte schon immer darunter gelitten, ein Invitro zu sein. Anfangs, als ich ihn kennen lernte, „nur“ deshalb, weil er zwar ein umfangreiches Wissen besaß, aber über keinerlei persönliche Erinnerungen verfügte. Später, als ich von Dr. Brunner die Wahrheit erfuhr, zweifelte Julian an seiner Menschlichkeit, dabei war er der beste Mensch, der mir je begegnet war. Sanft zog ich ihn noch stärker an mich: »Wir werden sie finden Julian. Das wird nicht ungestraft bleiben. – Ich verspreche es dir.«
Da ich zwischenzeitlich den Störsender gefunden und abgeschaltet hatte, rief ich Nico, damit er uns abholen konnte. Ryan, Jean-Pierre und Heiko waren schon damit beschäftigt, das E-Segment zu durchsuchen. Doch da fanden sie weder die gefangenen Freien Mutanten noch sonst jemand. In dem ganzen Röhrensegment gab es die unterschiedlichsten Laboratorien und etliche Büros, aber nirgends eine Spur der Wissenschaftler oder von den Gefangenen.
Für die anschließende Durchsuchung des G-Segments benötigten wir eine weitere Stunde, doch auch das brachte uns kein bisschen weiter. Die gesamte Röhrensektion war offensichtlich nur für die Unterbringung des Personals reserviert. Je nach Rang gab es unterschiedlich große Quartiere mit mehr oder weniger luxuriöser Ausstattung. Nach unserer Schätzung waren es Unterkünfte für fast 140 Personen dazu kamen noch Gemeinschaftsräume und Freizeiteinrichtungen.
»Zur Kommandozentrale und dann nach oben?«, wollte Ryan wissen.
Ich nickte stumm, alles andere machte keinen Sinn. Nach dem Ausfall der Hauptenergieversorgung waren auch einige Störquellen in den Röhrensegmenten A, B und C erloschen. Dirk schien dort auf neue, äußerst unerfreuliche, Überraschungen gestoßen zu sein. Wie ich Dirks Andeutungen verstand, erwartete uns Ähnliches wie hier. Aber nach dem „Mutantenlabor“ erwartete ich von den Darwinianern sowieso nichts Angenehmes mehr. Ein Grund mehr, weshalb ich zumindest Tom und Lukas dabei haben wollte. Doch ich hatte die Neugierde einer bestimmten Katze bei weitem unterschätzt.
Eingangsbunker - Anlage Alpha
Freitag, 04.01.2036 gegen 20 Uhr
»Mir ist langweilig!«, maulte Zack und sah flehentlich zu Kim. Polternd und scheppernd zerschellte sogleich der Bürostuhl an der Wand, mit dem Zack telekinetisch jongliert hatte. Es sollte Kim und Jens verdeutlichen, wie langweilig es ihm war, denn nun hatten nur noch Jens und Kim eine Sitzgelegenheit, alle anderen waren schon auf ähnliche Weise zu Bruch gegangen.
»Die haben ihren Spaß da draußen und machen alles kaputt, und wir sollen uns den Hintern breit sitzen.«
»Bloß nicht, wäre echt schade um deinen Knackarsch«, spottet Jens, dem das Gejammer ein wenig auf die Nerven ging. Zwar ärgerte er sich auch ein wenig über Thimos und Florians Alleingang, aber so wie er die Sache einschätzt, wollte Thimo ungestört mit Florian zusammen sein.
»»Oder ihm jedenfalls etwas näher kommen««, grinste Kim unbeeindruckt von Zacks auf und abgehen. Jetzt wo auch sein Stuhl zertrümmert an der Wand lag, konnte Jens nicht mehr sagen er solle damit aufhören und sich hinsetzen.
»»Sag ich doch, die haben ihren Spaß und wir sitzen rum.««
»Du läufst unentwegt!«, motzte Jens sah dann aber resignierend auf und murmelte »Und, was schlägst du vor?« Er kannte Zack inzwischen gut genug, um zu wissen, dass der immer eine Idee hatte, was man tun könnte. Meist war es natürlich etwas, was der „oberen Etage“ nicht sonderlich gefiel. Die „obere Etage“ war nach Zacks Definition alle, die glaubten, ihm Vorschriften machen zu können. Also überwiegend Frank, Robin, Stefan und Martin. Bei Mike, Julian und den anderen „Würdenträgern“ empfand er das nie so.
»»Na ja, ist doch eigentlich ganz klar««, grinste Zack siegessicher. »»Röhrensektion A, liegt doch sehr nah.««
Jens und Kim stöhnten angesichts des Zwangreims, konnten der Tatsache an sich jedoch nicht widersprechen. Was Zack natürlich sofort ausnutzte: »»Da soll doch nur ein Lager sein und ihr wisst doch, wie mich so was reizt. Was soll denn schon passieren? Wir teleportieren als Ghost hinein und sehen uns ein wenig um. Ist doch besser als hier nur blöde herumzusitzen.««
Fragend sah Jens zu Kim. Beiden ging es ähnlich wie Zack, nur waren sie eben nicht ganz so neugierig und wesentlich geduldiger. Zumindest Jens war in solchen Dingen kaum aus der Ruhe zu bringen, es sei denn, dass Zack an seinen Nerven sägte.
»»OK, ich mache mit!««, entschloss sich Kim. »»Aber wir sagen Dirk Bescheid!««
Das machte das ganze Abenteuer nach Zacks Meinung zwar nur noch halb so interessant, aber besser als rumsitzen war es allemal, und auch Jens nickte nun zustimmend. Da in den meisten Röhrensektionen schon alles gelaufen war, konnte auch Dirk nichts dagegen sagen und versprach ein „Auge“ auf sie zu werfen. Ausnahmsweise verkniff sich Zack auch jeden Kommentar über „sehende Blinde“, denn vor Dirk hatte er wirklich Respekt.
Wenig später standen sie, Hände haltend und in Phase, in einem dunklen nur von der Notbeleuchtung erhellten Gang. Von Dirk wussten sie, dass sie in der ersten Etage an dem Ende der Röhre herausgekommen waren, welches zum Zentralschacht wies. Der Gang, in dem sie standen, reichte von einem Ende der Röhre zum anderen, war also fast 90 Meter lang. Rechts und links gab es Türen, die teilweise sehr massiv waren, und zu Kammern, Lagerräumen und Gerätedepots führten.
»Hm, sieht ja nicht gerade spannend aus«, grummelte Zack und steckte den Kopf durch die Wand um den dahinterliegenden Raum zu inspizieren. »»Herrenoberbekleidung, Panzerwesten, Stiefel und Unterwäsche««, leierte er monoton herunter, als würde er eine Führung veranstalten.
Jens musste sich beherrschen, um nicht loszulachen. Normalerweise gehörte er, jedenfalls nach Zacks Überzeugung, zu den „ganz Ernsten“. Wobei der Eindruck nur aufkam, wenn Jens „dienstlich“ unterwegs war. In seiner Freizeit war er eigentlich auch immer zu Späßen bereit. Nur besaß Jens sehr viel Selbstdisziplin, die Zack völlig abging, und hielt diese Trennung auch konsequent ein. Training, Bereitschaft und Patrouille war für Jens „Arbeit“, und dazu passten eigentlich keine Späße.
Kichernd gingen die drei weiter. Jens in der Mitte, Kim links und Zack rechts. Die beiden steckten dann auch immer wieder kurz den Kopf durch die Wand, um die dahinter liegenden Räume in Augenschein zu nehmen. Einige der Räume waren völlig leer, in anderen gab es Regale mit Ersatzteilen der unterschiedlichsten Art. Ein System konnten die Jungs nicht entdecken, aber das störte Zack keineswegs. Er konnte mal wieder ein Lager „heimsuchen“ und würde sicherlich noch das eine oder andere Brauchbare finden.
Am Ende des Ganges angelangt, beratschlagten sie kurz. »Zurück zum Fahrstuhl oder teleportieren?«, wollte Kim wissen und sah zu dem Fahrstuhl, der sich genau in der Mitte der Röhre also fast 45 Meter von ihnen befand.
Zack sah ihn mit großen Augen an: »Also wirklich! Natürlich teleportieren!«, grübelte aber doch eine Sekunde und ließ sich dann einfach, die anderen mitziehend, durch die Decke sinken. Es war dasselbe Gefühl, wie wenn sie durch die Wand gingen, und nur ein kleiner Widerstand musste überwunden werden. Langsam schwebten sie fast fünf Meter in die Tiefe, bis sie wieder auf dem Boden standen.
»Wow, daran könnte ich mich gewöhnen«, grinste nun auch Jens.
»»Dann solltest du mal bei Onkel Mike nachfragen««, kicherte Zack und Kim ergänzte: »»Pass aber auf, dass Frank nicht in der Nähe ist. – Obwohl, inzwischen dürfte es ihm auch egal sein.««
»»Eben, jetzt wäre eigentlich eine sehr gute Gelegenheit!««, kicherte Zack weiter, »»Ich meine, wo doch der Obergruftie der Freien Mutanten mit seinen engsten Anhängern endlich verschwunden ist, wer sollte sich jetzt noch quer legen?««
»»Zack!««, Kim war nun wirklich etwas bestürzt. »»Dabei sind mindestens drei Jungs umgekommen, und ich würde niemandem wünschen in die Hände der Darwinianer zu fallen.««
»»Und ich würde niemandem wünschen, einen Angriff der Freien Mutanten erleben zu müssen!««, gab Zack etwas giftiger als beabsichtigt zurück. Immer, wenn er an den Tag erinnert wurde, als die Freien Mutanten angriffen, überkam ihn diese Wut. Zuerst erschienen ungefragt zwei Teleporter bei ihnen, die Marty aus Gewohnheit erstmal blockte. Noch bevor man aber klären konnte, was los war, kamen plötzlich 10 weitere Mutanten und griffen sie ohne Warnung an.
Sanft zog Kim seinen „Kleinen“ an sich, was einhändig relativ schlecht ging. Er wollte Jens aber nicht loslassen, denn der wäre dann prompt aus der Phase „gefallen“ also kein Ghost mehr. Noch brauchten sie den direkten Körperkontakt wie beim Teleportieren, doch Sammy war der Überzeugung, dass mit der „Phase“ ähnliches möglich sein müsste wie bei der Exoteleportation. Deshalb nervte er auch unablässig jeden Mutanten, der die Larualisation beherrschte, ob der nicht vielleicht zufällig etwas in der Richtung bemerkt …
Kim und Zack sahen sich in die Augen, und vorsichtig tastete sich Kim telepathisch immer tiefer zu Zack durch. Jetzt waren es nicht mehr die Gedanken, die Zack sozusagen gerade auf der Zunge lagen, sondern dies ging nun viel tiefer, emotionaler.
So schnell, wie sich Zack im Allgemeinen aufregt, so schnell war er aber auch wieder ruhig. Wenn Kim sich dann auch noch so sehr um ihn sorgte, dann war er fast augenblicklich friedlich.
»»Geht’s wieder?««, fragte Kim noch immer etwas besorgt.
»»Mit nem Kuss? – Bestimmt««, kam es zaghaft von Zack, der Kim jetzt wieder an ihr erstes Mal im Conventiculum erinnerte. Damals war er auch so richtig schüchtern und zurückhaltend gewesen.
»»Bin ich das etwa nicht mehr!««, empörte sich Zack gespielt und sah Kim dabei tief in die Augen.
»»Nur noch ganz selten, mein kleiner Schmusekater««, flüsterte Kim und gab Zack seinen Kuss.
»»Ich glaube Jens wird das langsam peinlich««, kicherte Zack und schielte über Kims Schulter. Jens wusste wirklich nicht, wo er hinsehen sollte, er hatte keinen festen Partner und wechselte relativ oft, da er sich bei längeren Beziehungen immer ein wenig eingeengt fühlte. Doch wenn er den beiden Freunden so zusah, dann kam schon ein wenig Neid auf.
Nur zögernd lösten sich Kim von Zack und die beiden erinnerten sich wieder an ihr Vorhaben. Voller neuer Energie stürzte sich Zack durch die nächste Wand und zuckte augenblicklich zurück. Er brauchte ein paar Sekunden, um das Gesehene zu verkraften und um zu begreifen, dass keine unmittelbare Gefahr drohte.
Kim und Jens die die Veränderung bemerkt hatten sahen ihn erschrocken an, sodass Zack sogleich abwinkte: »Robbys, jede Menge Roboter, aber keine der Üblichen.«
Da weder Jens noch Kim etwas damit anfangen konnten, sahen sie selbst nach, konnten es dann aber auch nicht genauer beschreiben. Die Roboter sahen eher wie ein Skelett als wie massive Kampfmaschinen aus. Plötzlich durchzuckte Kim jedoch ein Gedanke, und er zog beide Freunde mit in die große Halle. Aufgereiht wie an Fleischerhaken hingen die Roboter zu je 10 Maschinen in einem Transportkäfig. Bei den Ausmaßen der Halle mussten es mindestens 40 Transportkäfige sein, die in Doppelreihen und übereinander hier gelagert waren.
»Mindestens 400 neue Pseudo-Morlocks wären das wohl geworden«, stellte Kim mit brüchiger Stimme fest. Und jetzt dämmerte es auch Jens und Zack, was dies für seltsame Konstruktionen waren. Diese Roboter waren tatsächlich so etwas wie ein Skelett, das Skelett zukünftiger Pseudo-Morlocks.
@Mike
Zentrale – Röhrensektion F
Freitag, 04.01.2036 gegen 21 Uhr
»Hier geht es ja zu wie in einem Taubenschlag«, war Pauls ganzer Kommentar, als wir in der Kommandozentrale ankamen.
»Wieso? So schmutzig ist der Boden doch nun auch nicht«, brummte Heiko dumpf in seiner 2 Meter 20-Herkules Gestalt.
»Ich sagte, „es geht hier zu“ und nicht „es sieht so aus“«, grinste Paul. »Es sollte eine Anspielung auf das ständige Kommen und Gehen sein.«
»Ach so!«, tat Heiko begriffsstutzig. Was zugegebenermaßen gut zu seinem neuen Aussehen passte. – Ich meine, es bestätigte das allgemeine Vorurteil, welches man gegenüber solchen Muskelbergen pflegte.
Neugierig sah ich mich in der Zentrale um, denn von Ryan waren wir am Fuße der Kommandobrücke abgesetzt worden. Neben Paul, der sich an ein Terminal lehnte, saßen Gloria und Tommy, die sich offensichtlich sehr langweilten. Oben auf der Brücke hielt Ralf den Kommandanten, den wissenschaftlichen Leiter und zwei weitere Wissenschaftler in Schach, während Eric die Monitore und Kontrollinstrumente überwachte.
»»Wo sind Louis, Benny und Carlo?««, wollte Julian auf „allgemeiner Frequenz“ also für alle Telepathen im Raum hörbar, wissen.
»»Ich habe Carlo und Benny zurück zum Campus geschickt««, antwortete Eric, ohne aufzusehen. »»Hier haben sie alles an Daten herausgeholt, was es zu holen gab und ich wollte sie in Sicherheit haben, falls doch noch etwas Unvorhergesehenes passiert.««
Überrascht sah ich ihn an, scheinbar wurde auch er dieses merkwürdige Gefühl, dass bald etwas passieren würde, nicht los.
»»Das hat nichts mit Gefühl oder Vorahnung zu tun««, schmunzelte Eric. »»Es ist eine einfache Überlegung. Wir haben die Anlage angegriffen, die Darwinianer haben inzwischen den Kontakt zu der Anlage verloren, die Catcher sind oben in ihrer Röhre isoliert, also irgendjemand wird sehr wahrscheinlich etwas unternehmen.««
»»Ich habe aber trotzdem ein blödes Gefühl««, grummelte ich ein wenig, weil Eric zwar Recht hatte, aber meine Vorahnungen doch nicht so ernst nahm. »»Wir haben übrigens etwas gefunden, was unsere Befürchtungen bezüglich der Catcher-Morlocks voll bestätigt. Meiner Meinung nach war es definitiv kein Unfall, höchstens im Sinne eines gescheiterten Experimentes.««
Bestürzt sah Eric mich nun an. Er war die ganze Zeit der Auffassung gewesen, dass die Darwinianer niemals absichtlich ihre Leute derart „modifizieren“ würden. Sein Argument, dass die Catcher das wohl nicht mit sich machen lassen würden, erschienen mir zwar einleuchtend, aber so richtig überzeugt war ich nie gewesen. Nun hatten wir den Beweis, dass es kein Unfall war, denn das Geheimlabor sprach eindeutig dagegen.
»»Hat dieser Wicht etwas in dieser Richtung gesagt oder gedacht?««, wollte Julian von Ralf erfahren. »»Der Kerl muss doch wissen, was hier läuft««
»»Bis jetzt bin ich auf keinerlei Informationen in dieser Richtung gestoßen««, verneinte Ralf. »»Aber danach habe ich auch nie gesucht. Der gute Doktor ist sowieso etwas seltsam, ich denke er könnte sich mit etwas Training sogar abschirmen. Außerdem kennt er seinen wirklichen Namen nicht. – Kein Witz! All hier nennen ihn nur Dr. Strange. Ich habe auch telepathisch nichts finden können.««
»»Das Training werden wir diesem „Dr. Seltsam“ aber sicherlich nicht geben««, spottete Eric und sah den Wicht ziemlich finster an. »»Konfrontier ihn doch mal mit eurer Entdeckung, mal sehen ob er dann noch immer so arrogant aus der Wäsche glotzt.««
Ein kurzer Blick zu Julian genügte, und wir waren uns einig. Ohne Anstrengung übersprangen wir mittels ForceJump die fünf Meter und landeten federnd oben auf der Kommandobrücke. Während die vier anderen sichtlich beeindruckt waren, bedachte uns Dr. Strange mit einem höhnischen Blick: »Oh was haben wir den da für zwei Prachtexemplare?«, kicherte er böse und musterte uns wie zwei exotische Vögel.
Dann blieb sein Blick auf Julian haften und eine steile Falte erschien auf seiner Stirn: »Du bist aber etwas ganz Besonderes! Und dann auch noch so gut gelungen«, es war keine Frage und auch kein Spott, sondern eine klare Feststellung. »Wissen deine Freunde, dass du kein Mensch bist? Nicht einmal ein echter Mutant, sondern ein Retortenzögling. Ein kleiner hübscher Retortenzögling aus dem Prometheus-Programm, wenn ich mich nicht irre.«
Während Julian unter den Gemeinheiten wie unter Schlägen zusammenzuckte, packte mich die Wut auf diesen Kerl. Im Vergleich mit ihm schien sogar Prof. Stein aus Labor-23 ein Menschenfreund gewesen zu sein. Mit ausgestrecktem Arm packte ich ihn an seinem dürren Hals und hob ihn in die Luft. Hilflos mit den Beinen strampelnd versuchte er den Boden zu erreichen, doch da fehlte ihm mindestens ein halber Meter. Mit beiden Händen versuchte er meinen Griff um seinen Hals zu lockern doch auch das gelang ihm nicht. Kalt und distanziert sah ich zu, wie seine Bewegungen immer verzweifelter wurden und es kostete mich einige Überwindung, ihm seinen dürren Hals nicht einfach zu brechen.
»Nicht dass es mich wirklich stören würde, aber wolltet ihr den kleinen Giftzwerg nicht noch etwas fragen?«, vernahm ich wie aus weiter Ferne Ralfs nahezu emotionslose fast gelangweilte Stimme. »Ich meine, lang habt ihr dazu keine Gelegenheit mehr, wenn du so weiter machst.«
Noch einmal sah ich in die aufgerissenen Augen und jetzt lag darin wirklich die nackte Angst, da war nichts mehr übrig von seiner Überheblichkeit und seinem Spott. Alles an ihm widerte mich nur noch an und so ließ ich ihn einfach fallen; er war es nicht wert, dass ich mir wegen ihm die Hände schmutzig machte. Besorgt drehte ich mich dann zu Julian um. Bleich und zitternd stand er da und rührte sich nicht von der Stelle. Behutsam zog ich ihn an mich und ging eine tiefe telepathische Verbindung mit ihm ein. »»Lass dich von dem nicht herabziehen, er ist einfach nur eine kranke, bösartige, Kreatur!««
»»Er weiß, wer oder was ich bin, er hat es mir angesehen!««, stöhnte Julian völlig schockiert.
»»Unsinn! Niemand sieht dir irgendetwas an, außer, dass du der Bestaussehendste im ganzen Raum bist!««, versuchte ich Julian etwas aufzumuntern. »»He, komm schon, vielleicht gibt es ein paar besondere Merkmale, an denen die „Eingeweihten“ etwas erkennen. Aber überleg doch, nicht einmal die NeckTech Ärzte, die dich untersucht haben, konnten etwas Besonderes erkennen.««
»»Du vergisst die Blutprobe, an der haben sie es doch bemerkt««, kam es noch immer zögernd von Julian.
»»Er hat aber keine Blutprobe von dir, also war es etwas, das eben nur die Leute erkennen, die an dem Projekt beteiligt sind. Sonst kann dir niemand etwas ansehen. Glaub mir.««
Während ich mich um Julian kümmerte, den das Wort „Retortenzögling“ wie ein Tiefschlag getroffen hatte, kniete sich Ralf vor den am Boden windenden und nach Luft röchelnden Dr. Strange.
»Wissen sie, Doc, hier wissen alle übereinander Bescheid. Und falls ihnen Labor-23 etwas sagt, da kommen einige von uns her«, die unnatürliche Ruhe, mit der er zu Dr. Strange sprach wirkt bedrohlicher als jedes Brüllen oder Toben. »Sollten sie noch einmal Julians Menschsein in Zweifel ziehen, dann verspreche ich ihnen eine sehr lange und extrem schmerzhafte Erfahrung, wie unmenschlich ich als Mensch werden kann.«
Vorsichtig sah ich unterdessen nach unten zu Ryan, Jean-Pierre, Heiko und Paul, denn anders als Ralf behauptete, wussten die bisher nichts oder nur sehr wenig. Paul und Heiko waren bestimmt kein Problem, denn sie gehörten schließlich zur Bruderschaft. Doch, was war mit Ryan und Jean-Pierre?
»»Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um die beiden««, beruhigte mich Paul. »»Übrigens, als Heiler spürt man, dass Julian anders ist. Uns, also Bastian, Simon und mir, war nur nicht so ganz klar, was anders bei euch ist. Ja bei Euch! Du, Julian, Tom, Lukas, Ralf und Eric, ihr seid anders als andere Mutanten und Julian ist noch ein wenig „mehr anders“ als ihr. Doch so etwas gibt es ab und zu auch bei anderen Mutanten. Bei euch war nur die Häufung etwas erstaunlich.««
»»Dir macht es nichts aus?««, vergewisserte sich Julian unsicher. »»Ich meine, dass ich ein Invitro, ein „Retortenzögling“ der Darwinianer bin?««
Dieser Scheißkerl von Doktor, hatte Julian tiefer verletzt, als ich je gedacht hätte. Zuerst die fünf toten Catcher im „Mutantenlabor“ und nun auch noch dieser bösartige Gnom mit seinem „Retortenzöglings“ Gelabere.
»»Stört es dich etwa, dass ich 124 Jahre alt bin?««, wollte Paul grinsend wissen. »»Was interessiert mich deine Herkunft, du bist ein „Frater“ ein Mitglied der Bruderschaft, alles andere ist für mich nicht von Bedeutung. Es wäre nicht einmal von Bedeutung, wenn einer von uns beiden nicht in der Bruderschaft wäre. Nur damit du das nicht falsch verstehst.««
»»Ich bin immer für dich da. – Okay?«« Julian noch stärker an mich heranziehend öffnete ich mich ihm ganz. »»Egal was passiert, auf die Iratus Lemurum kannst du dich immer verlassen, und ähnlich dürfte es auch mit deinen „Mitbrüdern“ sein.
Langsam beruhigte er sich wieder und gewann seine normale, zwar selbstsichere, aber doch stille Art zurück. Normalerweise war er „der Fels in der Brandung“, er war der ruhende Pol, egal wie hektisch es wurde. Umso schlimmer empfand ich das, was dieser Dr. Strange in Julian ausgelöst hatte.
»»Apropos, wo du ihn gerade erwähnst, was war jetzt mit dem Mutantenlabor?««, versuchte Eric, mich wieder auf den Pfad der Vernunft zu bringen. »»He, beruhig dich! Ich spür doch, wie es dir in den Fingern juckt, diesen Kerl zu zerquetschen oder an die nächste Wand zu klatschen.««
Leider stimmte auch in diesem Punkt Erics Feststellung und das nicht nur im übertragenen Sinne. Jetzt, wo Julian sich wieder in den Griff bekam, kochte meine Wut gegen diesen Doktor so richtig hoch. Aber es brachte wirklich nichts, wir wollten Informationen von ihm, und die bekamen wir nur solange er lebte.
Der Kommandant und die beiden Wissenschaftler konnten den ganzen Vorgang nur bleich und völlig verstört beobachten. Ihnen war anzusehen, dass sie weder eine Ahnung von „Projekt Prometheus“ – welch bittere Ironie – hatten, noch verstanden sie meine und Julians Reaktion.
»»Was ist an dem Namen „Projekt Prometheus“ ironisch?««, wollte nun Gloria wissen. »»He ich habe keine so tolle Schulbildung wie du««, fauchte sie mich an, nur, weil ich ein wenig lächelte.
»»Prometheus war in der griechischen Mythologie der Sohn eines Titanen, er brachte unter anderem den Menschen das Feuer und ...««
»»Das passt doch wunderbar zu eurer Thermokinese!««, platzte Eric böse lächelnd dazwischen.
»»und galt als Freund der Menschen««, beendete ich nachdrücklich den Satz. »»Julian oder die Invitros an sich, waren jedoch als „Homo Sapiens Superior“ geplant, als Supermenschen, die die Menschheit im Sinne der Darwinianer unterdrücken – oder vielleicht sogar ablösen sollten. Also eine sehr eigenwillige Auslegung von „Freund der Menschen“.««
»»Ihr seht, man hatte Großes mit „meiner Art“ vor««, murmelte Julian bitter und sah zu Dr. Strange, oder wie immer er hieß. »Was wissen sie über die „Homo Sapiens Superior“ und woher wissen sie, dass ich einer bin?«
Auf einmal lag wieder diese Kälte in Julians Stimme, so dass ich ihn besorgt ansah. Aber wie so oft zeigte es sich, dass er der beste Schauspieler unter uns Mutanten war. Auch sonst konnte er den Jungs die unglaublichsten Lügenmärchen auftischen und dabei völlig ernst bleiben. Je bizarrer die Geschichte wurde, desto mehr waren die Jungs begeistert. Aber auch, wenn es um Verhandlungen mit anderen Gruppen ging, war sein „Pokerface“ einfach nicht zu durchschauen. Jetzt spielte er offensichtlich den „Eiskalten Engel“, der nach dem emotionalen Schock wieder seine Fassung gefunden hatte.
Noch immer seinen malträtierten Hals massierend lehnte Dr. Strange, am Boden sitzend, mit dem Rücken an eine Konsole. Jetzt jedoch war von seiner Arroganz nichts mehr zu spüren. Fast schon panisch streifte sein Blick zwischen Ralf und mir und dann wieder zu Julian: »Man erkennt sich eben!«, stöhnte er schließlich mit krächzender Stimme. »Mich erstaunt nur, dass du es nicht bemerkst, oder bist du schon derart entartet?«
»»Ruhig Julian, das Schwein will dich nur provozieren!««, mahnte ich, »»Das ist doch völliger Unsinn! Der hat mit dir so viel gemeinsam wie …««
»»... wie du dir nicht vorstellen kannst««, ergänzte Julian, zu meinem Erstaunen: »»Er ist wirklich einer, das war es, was Ralf spürte! Er ist auch ein „Homo Sapiens Superior“!««
»»Aber das kann doch nicht sein, schau ihn dir an!««, empörte ich mich. Da gab es überhaupt keine Gemeinsamkeiten zwischen meinem „Elbenkrieger“ und diesem gemeinen Gnom. Der Kerl hatte überhaupt nichts mit Julian gemeinsam. Weder vom Charakter noch vom Aussehen her. Und überhaupt …
»Warum sehen sie dann so aus? Das entspricht doch bestimmt nicht den Idealvorstellungen der Darwinianer«, fuhr Julian ungerührt den Doktor an.
»Vielleicht ein Unfall?«, grinste der Wicht hämisch. »Man hat mein hohes geistiges Potenzial entdeckt und mich „Ausreifen“ lassen.«
»»Das ist gelogen!««, funkte Ralf dazwischen, der ihn laufend telepathisch überwachte. »»Er weiß es selbst nicht so genau. Aber er weiß, dass man „Fehlentwicklungen“ frühzeitig tötet. Er …««
»»Er wurde extra so gezüchtet!««, murmelte Julian geschockt in plötzlicher Erkenntnis. »»Sie haben es genau so geplant. Mit seinem Äußeren eckt er in der perfekten Darwinianerwelt überall an, gleichzeitig ist er hochintelligent und verkraftet die ständigen Zurückweisungen kaum. Darum der Hass gegen alles und jeden, besonders gegen sich selbst. Er würde alles tun, jedes Experiment und jeden Versuch durchführen, wenn es ihm nur die ersehnte Anerkennung bringt.««
»»Das perfekte Werkzeug für diesen Ort««, erkannte ich nun auch mit Bestürzung. Offensichtlich „züchteten“ die Darwinianer also auch für den wissenschaftlichen Eigenbedarf und das seit längerem. Denn dieser „Doktor“ sah aus, als wäre er mindestens 40 Jahre alt. Wenn ich daran dachte, dass Julian als 18 Jähriger „geboren“ wurde, musste der Doktor schon seit über 20 Jahren für die Darwinianer tätig sein.
»Was bezwecken sie mit den Catchern in ihrem Geheimlabor?«, schoss Julian die nächste Frage ab. »Wir haben ihr Geheimlabor in der F-Sektion gefunden und auch ihre Opfer. Wo sind die übrigen Wissenschaftler und die entführten Mutanten?«
»Ihr habt das Labor gefunden?«, stöhnte Dr. Seltsam überrascht auf. »So schnell hätte ich euch das nicht zugetraut«, kicherte er anerkennend. »Doch ich muss euch enttäuschen! Von mir erfahrt ihr nichts mehr!«
»»Er blockt! Er blockt richtig ab!««, rief Ralf überrascht. »»Aber etwas stimmt nicht, ich denke, ich kann es umgehen. – Moment!«
»Was für ein Geheimlabor?«, polterte nun der Kommandant, und wie ich beim Sondieren feststellen musste, war er tatsächlich völlig ahnungslos. Er war nur der technische Betriebsleiter dieser Anlage, das eigentliche Sagen hatten der Doktor und seine Wissenschaftler.
»In der Röhrensektion F, oder genauer gesagt über ihr, befindet sich ein Forschungslabor, in dem Catcher „mutiert“ werden. Die sehen dann fast wie Pseudo-Morlocks aus«, informierte Eric den Ahnungslosen. »Wir hatten schon am 1. Januar mit solchen Catcher-Morlocks zu tun. Ich konnte mir nur nie vorstellen, dass die da freiwillig mitmachen.«
»Die Zombies werden hier im Labor „erzeugt“?«, schockiert und völlig ungläubig blickte der Kommandant zu dem Doktor. »Sie haben gesagt es sei ein mutierter Virus, den sie sich bei ihren Einsätzen im Untergrund eingefangen haben!«
»Sie glauben aber auch jeden Schwachsinn!«, kicherte Dr. Strange hämisch. »Die Impfung war doch der Schlüssel. – Sie Trottel!«
In hilflosem Zorn ballte der Kommandant seine Fäuste. Am liebsten wäre er wohl auf den am Boden sitzenden losgegangen. Unterdessen suchte ich den Blickkontakt zu Ralf, doch der schüttelte nur den Kopf: »»Ich komme nicht heran, etwas stört plötzlich. Es ist aber anders als der Blockadechip, aber auch keine Abschirmung.««
»Was ist mit den Mutanten, die ihr heute entführt habt?«, schrie ich den Kommandanten an, denn der Doktor schien sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Ununterbrochen war er am Kichern und Lachen. Schlagartig verstummte er jedoch und sah zu Ralf: »Das wird dir nicht gelingen, mein Freund«, dann sah er zum Kommandanten und zischte: »Wir sehen uns in der Hölle!«
Noch einmal kicherte er wie verrückt, dann wurde sein Blick starr und sein Kopf sank auf die Brust, bevor sein Körper schließlich zur Seite kippte. Stumm sahen wir uns an, denn jedem von uns war klar, dass der Doktor soeben gestorben war.
Plötzlich dröhnte geradezu die Stimme des Kommandanten durch den Raum: »In der Mittelstation ist eine Bombe, sie wird in wenigen Minuten detonieren. Ihr solltet sofort die Anlage verlassen. Eure Freunde werden gerade in die Anlage Arktis transportiert, da nur sie für die Unterbringung von wichtigen Mutanten geeignet ist«, stöhnend presste er die Hände an seine Schläfen. »Flieht, ihr habt nur noch wenige Minuten Zeit.«
In einem letzten Aufstöhnen brach auch er tot zusammen. Geschockt sah ich zu den beiden anderen Wissenschaftlern doch die zeigten keinerlei Auffälligkeiten. Der eine schüttelten, mit Grauen im Gesicht, nun den Kopf und erklärte: »Das muss eine Zwillingsbeziehung gewesen sein. Wenn der eine die Hochverratsschaltung aktiviert, sterben beide, und wie ihr gehört habt, nehmen sie die ganze Anlage mit.«
Röhrensektion A
Freitag, 04.01.2036 gegen 21 Uhr
»Wie viele dieser Monster wollten die denn noch produzieren?«, staunte Jens und betrachtete die aufgereihten Transportkäfige mit den Robot-Skeletten.
»Vor allem: Was hatten sie mit den ganzen Pseudos vor?«, grübelte nun auch Kim und gab ihre Entdeckung an Dirk weiter. Der war zwar etwas abgelenkt, weil er in den Röhrensektionen C und D nach etwas suchte, mahnte die Jungs jedoch vorsichtig zu sein.
»Als ob wir das nicht auch so seien«, brummte Zack, was ihm aber nur den erstaunten Blick von Jens und ein trockenes »oh ja, sicher!« einbrachte. Vorsicht und Zack konnte man nur sehr schwer in Einklang bringen, auch wenn Zack das völlig anders sah.
»He! Ich bin vorsichtig!«, regte sich Zack auf und stupste eines der Roboter-Skelette verärgert an. Dieses begann sogleich nach hinten zu schwingen prallte auf das nächste und so weiter bis das Letzte an den Rahmen stieß. Plötzlich hörten sie ein metallisches ‚klick’ und die Skelette schwangen wieder wesentlich schneller nach vorne. Das Erste schoss dabei, wie von einer Feder beschleunigt, über die Halterung und fiel krachend zu Boden.
Angenervt verdrehte Jens die Augen: »Ja sicher Zack, man sieht es. Jemand, der nicht so vorsichtig wie du wäre, hätte gleich die ganze Reihe umgestoßen.«
Mit gesenktem Kopf und leicht zerknirscht sah Zack entschuldigungsheischend zu Jens: »Sorry, aber der war wohl nicht richtig befestigt«, und verpasste dem Skelett einen Tritt, sodass der Kopf gegen ein weiteres Skelett in einem anderen Transportkäfig flog. Dort wiederholte sich dann das gleiche Spiel.
Kopfschüttelnd wurde Zack von Kim bei der Hand gepackt und zusammen mit Jens aus dem Raum gezogen. Durch die Tür hörten sie noch das Gepolter von weiteren Robot-Skeletten, die aus ihren Halterungen sprangen.
»Hm, die scheinen wirklich nicht sonderlich sicher befestigt zu sein«, grinste Kim und zog Zack an sich. »Wenn die nicht einmal einen kleinen Stoß vertragen, dann taugt das wirklich nichts.«
Jens zog es nun vor, zu diesem Thema lieber zu schweigen. Schließlich hatte er keine Lust, eines Morgens mitten im Wald aufzuwachen.
In den nächsten Räumen der zweiten Etage fanden sie Waffen und andere Ausrüstungsgegenstände der Catcher. Unter anderem waren da auch noch mehrere Kisten mit Schallgewehren, von denen Kim eine sogleich nach Camelot beförderte. Eine zweite Kiste leerte Zack einfach aus und begann sie mit allem zu füllen, was ihm gerade unter die Augen kam und interessant aussah. Dabei packte er jeweils vier Exemplare ein, falls bei den anstehenden Untersuchungen mal etwas kaputt ging. Schließlich war nicht jeder so geschickt und umsichtig wie er.
»He schau mal Kim, das ist so eine Schallmine wie sie Martin beschrieben hat«, mit einem nachdenklichen Blick auf die handtellergroße und fingerdicke Mine steckte er auch gleich noch vier in seine eigene Tasche. Etwas in diesem Lager musste doch einfach seinen Beutetrieb befriedigen.
»Hm, ich dachte Martin sagte, die Dinger seien geächtet?«, murmelte Kim und kam zu ihm. »Aber du hast Recht, hier auf dem Regal neben der Nummer steht sogar der Typ CTV-15.«
»Das heißt, der Schallkegel hat einen Durchmesser von 15 Metern?«, mischte sich nun auch Jens ein und bestaunte den kleinen Gegenstand.
»Fast richtig«, grinste Zack selbstzufrieden, der in diesem Punkt wirklich gut aufgepasst hatte. »Der Schallkegel hat einen Radius von 15 Metern, also einen Durchmesser von 30. Das hängt damit zusammen, damit der kleine dumme Soldat sofort weiß „CTV-15“, also mindestens 15 Meter Abstand«, triumphierend sah er zu Kim.
»Äh, von „kleiner dummer Soldat“ war aber bei Martins Erklärung nie die Rede«, gluckste Kim. »Aber sonst ist es richtig.«
Nur um zu unterstreichen, wie genau er Martins Unterricht verfolgt hatte, dozierte Zack weiter: »Die Schallwaffen also solches gelten als nichttödliche Waffen, aber die Schallminen sind seit 2030 wegen ihrer Undifferenziertheit in der Anwendung geächtet«. Und weil Jens bei dem Wort „Undifferenziertheit“, genauso wie er damals die Stirn runzelte, ergänzte Zack: »Das bedeutet, egal wer da hineingerät wird entweder betäubt, verletzt oder sogar getötet. Die Waffe macht keinen Unterschied zwischen Freund, Feind oder Zivilist. Außerdem hält der Schallpegel so lange an, wie er eingestellt ist. Egal ob jemand kapituliert oder nicht.«
Jetzt klopfte ihm Kim anerkennend auf die Schulter: »Hätte echt nicht gedacht, dass dich das so interessiert.«
Traurig sah Zack nun auf: »He, die Sache mit Robin, die Nico mal erzählt hat, ging mir einfach nicht aus dem Kopf.«
Robin war damals zwar in eine PSI-Falle unbekannter Bauart geraten, aber Zack ging es darum, dass Robin damals im Wirkungsbereich der Falle zusammengebrochen war und nicht heraus kam und Nico auch nicht zu ihm gelangen konnte. Ähnlich stellte Zack es sich mit so einer Schallmine vor, nur, dass die Mine so klein war, dass man sie nur schwer mit einer Waffe zerstören konnte, so wie es Nico damals mit der PSI-Falle gemacht hatte.
»Okay, dann packen wir auch noch ein paar von diesen Dingern ein«, brummte Jens und sah sich suchend um. »Sonst noch etwas Interessantes?«
»Nein, der Rest ist alles normaler Militärkram, also mir fällt da nichts Besonderes mehr auf«, stimmte Kim zu und Zack verschloss die Kiste, um zu zeigen, dass auch er nichts mehr fand. Wenige Sekunden später war auch diese Kiste in Olafs „Asservatenkammer“ und harrte der Untersuchung.
Dann zogen die drei Jungs wieder weiter auf der Suche nach neuen Überraschungen. Doch auf ihrem Weg zum Ende der zweiten Ebene entdeckten sie nichts Neues. Räume mit Ausrüstung, Waffen, Ersatzteilen und zuletzt sogar mit Mark-13 Robotern.
»Das muss ein kleines Vermögen sein!«, zischte Zack und zählte durch. »Mindestens 40 Roboter.«
Spöttisch sah Kim zu seinem Zack: »20 Millionen Euro sind für dich also nur ein kleines Vermögen?« Natürlich wusste inzwischen jeder, und Kim sowieso, dass Zack keinerlei Bezug zu Geld hatte. Denn 20 Millionen Euro waren wirklich viel mehr als ein „kleines“ Vermögen.
Während Zack mal wieder seinen Dackelblick mit seiner besten Unschuldsmine kombinierte, schüttelte Kim nur den Kopf: »Das lernst du auch noch. Aber es ist schon beunruhigend was die hier alles zusammengetragen haben. Die Dinger gibt es schließlich nicht im Laden um die Ecke.«
Stumm zuckte Jens die Schulter und sah fragend zu Boden. Lächelnd machte nun Kim den Anfang und ließ sich durch den Boden sinken, wobei er natürlich Jens und Zack mitzog.
Auf der dritten Etage angekommen steckte Zack wieder seinen Kopf durch die linke Wand: »»Morlocks! Ich meine Pseudo-Morlocks! Die scheinen zu schlafen. Sehr viele, auf Metallpritschen, die aufrecht, nur leicht nach hinten gekippt im Raum stehen. Darauf liegen diese Pseudos und haben, – das sieht vielleicht eklig aus! – Schläuche und Anschlüsse am Körper. Da sind auch Metallbänder an Kopf, Brust, Händen und Füßen, die sie festhalten. Aber alles ruhig, nichts bewegt sich.«« Mit schiefem Grinsen zog er den Kopf zurück und sah er zu Jens und Kim. »Man, sah das vielleicht gruselig aus!«
»Dann haben sie die hier also schon fertig produziert und auf Halde gelegt«, kommentierte Jens und die Abscheu war ihm ins Gesicht geschrieben.
Zack nickte heftig und von Neugier getrieben steckte er nun den Kopf durch die rechte Wand: »»Gestelle mit Syntho-Nahrung, Pseudo-Morlocks wieder in Halterungen auf Pritschen, da ein Mark-13 stehend und he, ein Mark-13 gehend und da ein Mark-13 …««, blitzartig zog Zack den Kopf zurück und rief »schießend!«
Gleichzeitig durchschlug auch schon eine Serie von fünf Projektilen die massive Stahlwand und Zacks Ghostkörper.
»Wie klug von dir, dass du in Phase geblieben bist«, stöhnte Jens mit kalkweißem Gesicht. Dann aber gab er sich einen Ruck und ging durch die Wand, natürlich ohne den sichtlich verstörten Kim dabei loszulassen. Eine Sekunde später waren die drei Mark-13 nur noch Schrott.
Im selben Moment wurde Jens aber noch bleicher, auch wenn dies nach dem Schrecken, den Zack ihm eingejagt hatte, kaum noch möglich war. Denn nacheinander fielen nun die Anschlüsse von den Pseudo-Morlocks ab und nur warzenförmige Male blieben an den Anschlussstellen zurück. Die Bänder um Kopf, Brust, Arme und Füße, die sie bisher an ihre Pritschen fesselten, wichen zurück und die Augen der ersten Pseudo-Morlock öffneten sich. Entsetzt wich Jens wieder zurück in den Gang und stöhnte: »»Sie wachen auf! Die Morlocks werden aktiv!««
@Mike
Zentrale – Röhrensektion F
Freitag, 04.01.2036 gegen 22 Uhr
»Was jetzt?«, fragte ich Eric, der wie erstarrt schien. Wie sollten wir die ganzen Leute herausbringen und wie viel Zeit blieb uns noch?
»»Niemand muss evakuiert werden««, grinste Eric zufrieden. »»Dirk hat noch einmal die ganze Mittelstation mittels Teleortung gescannt. Die Bombe der Darwinianer wurde von unserer EMP-Bombe erledigt. Tom hat sie sich noch einmal vorgenommen, als Dirk sie entdeckt hat: Diese Bombe ist definitiv erledigt.««
Während wir aufatmeten, sahen uns die Wissenschaftler verstört an. Anscheinend rechneten sie damit, dass wir sie hier zurücklassend, jeden Moment einfach verschwinden würden. Doch so schnell wollten wir die Anlage nun doch nicht verlassen.
»Das war Gift, sie haben sich vergiftet!«, murmelte Paul überrascht, der sich über Dr. Strange und den Kommandanten beugte. »Sie haben da eine Kapsel oder etwas Ähnliches über dem Herzen, und da muss das Gift herkommen.«
»»Darum wurde es auch nicht von Toms EMP-Impuls erledigt, er hat sich nur auf den Blockadechip konzentriert««, kombinierte Eric. »»Was war das für ein Gift?««
»»Es war ein Myelin-Killer««, murmelte Paul. »»Die Nerven sind von einer schützenden fetthaltigen Substanz namens Myelin umgeben, ähnlich wie elektrische Drähte von einem Kabel. Nur wegen des Myelin können die Nerven die Signale so schnell weiterleiten. Das Gift zerstört das Myelin, es führt sozusagen zu einem Kurzschluss und letztlich zum Tod, da das Gehirn auch alle wichtigen Körperfunktionen steuert. Darum bekam Ralf Probleme, die Gedanken zu lesen: Die Signale wurden schwächer und erloschen letztlich ganz.««
»»Myelin-Killer? – Ich dachte es sei ein Gift?««, wunderte sich Tommy.
»»Ich bin auch kein Arzt. Ich meine damit ein Myelin zerstörendes Gift««, korrigierte sich Paul. »»Und offensichtlich sind beide daran gestorben.««
»»Nur dass es mir um den Kommandanten ein bisschen leid tut, wenigstens in gewisser Hinsicht schien er noch ein wenig „Mensch“ zu sein««, murmelte ich vor mich hin.
»»Er war der Kommandant und koordinierte die Einsätze der Catcher, also das Mitleid kannst du dir weitgehend sparen««, klärte mich Eric sogleich auf. »»Nur weil er nicht ganz so schlimm war, wie dieser Dr. Strange, war er noch lange kein Heiliger.««
Die beiden verbliebenen Wissenschaftler sahen uns noch immer ängstlich an. Natürlich konnten sie von unserer telepathischen Unterhaltung über die Bombe nichts mitbekommen, entsprechend verstörend wirkte unser Verhalten auf sie.
»Ich denke auch, dass wir Wichtigeres zu tun haben, als einem der beiden nachzutrauern«, rief Ralf gleichmütig und wandte sich an die Wissenschaftler. »Was wisst ihr über den Transport der Mutanten und über Labor Arktis?«
Beide zuckten zusammen und versuchten Abstand zwischen sich und Ralf zu bringen, was natürlich nicht möglich war, da sie mit dem Rücken an der Brüstung standen. Außerdem brachten ein paar Meter Abstand zu Ralf kein bisschen Sicherheit, aber das konnten sie natürlich höchstens ahnen.
»Wir wissen nichts«, murmelte der eine und der andere ergänzte. »Überhaupt nichts! Wir haben mit den Mutanten nichts zu tun.«
»Natürlich! Sie wissen nichts, sie haben nichts gehört und schon gar nichts getan!«, zischte Tommy böse und schnellte die „paar Meter“ überspringend hoch auf die Brüstung der Kommandobrücke. In der Hocke auf der Brüstung sitzend, die Balance nur mit dem Schweif haltend, sah er aus wie ein sprungbereiter Panther: »Eigentlich wart ihr auch gar nicht richtig hier! – Wahrscheinlich nur zufällig zu Besuch?«
»Eigentlich sind sie sogar Opfer der Darwinianer!«, höhnte nun Ralf mit angewidertem Gesicht. »Sie hatten nie etwas mit den Experimenten im „Brutlabor“ zu tun und wurden gegen ihren Willen hier festgehalten. – Nicht wahr?«
Die beiden zitterten am ganzen Körper und jede Farbe schien aus ihrem Gesicht gewichen. Doch mein Mitleid hielt sich in Grenzen, inzwischen wussten wir, dass sie Experimente mit „echten“ Negativen Mutanten, also den tierhaften Mutanten, machten. Besonders deren schnelles Heranreifen war Gegenstand vieler Untersuchungen gewesen.
»Was – Wisst – Ihr – Über – Die – Mutanten – Die – Heute – Entführt – Wurden?«, fragte Eric, jedes Wort langsam und überdeutlich betonend.
»Die waren nur kurz hier, dann wurden sie in die Stasis-Behälter gepackt und abtransportiert«, murmelte der eine unsicher. »Es waren sechs, nur sechs und die wurden auch sofort abtransportiert. Mehr wissen wir wirklich nicht.«
»Was sind das für Stasis-Behälter?«, wollte ich nun endlich wissen.
Beide zuckten hilflos mit den Schultern: »Die Üblichen eben. Die benutzen wir auch für wichtige Leute, wenn jemand verletzt wird. Die sind absolut sicher!«, durch eifriges Nicken versuchte der Zweite die Aussage des Ersten zu bestätigen.
»»Die wissen wirklich nicht mehr««, informierte uns Ralf. »»Seltsam ist nur, dass die Stasis-Behälter anscheinend mit einer Art elektrischem Feld arbeiten. So wie sie sich erinnern, wird die Person nur in eine Art Sarkophag gelegt und dann das Feld eingeschaltet. Und schon spielst du „Dornröschen“ und liegst auf Eis. – He, das ist von denen nicht von mir««, wehrte sich Ralf, als ich ihn etwas befremdet ansah.
»»Wie auch immer, anscheinend haben sie Mareck und die vier anderen Heiler. Außerdem wohl noch einen Mutanten von der Bunkerwache««, fasste Paul nüchtern zusammen. »»Wir sollten ...««
»»Alarm von Dirk!««, unterbrach Eric. Sofort klinkten wir alle uns bei Dirk ein und erfuhren so, dass Lukas' Lieblingskatze mal wieder nicht hören wollte und nun in Schwierigkeiten steckte. Wobei, kann man lediglich von „Schwierigkeiten“ reden, wenn eine Horde wütender Pseudo-Morlocks hinter einem her ist?
Röhrensektion A
Freitag, 04.01.2036 gegen 22:30 Uhr
Krachend brach die Pranke eines Pseudo-Morlocks durch die Tür und versuchte diese aus der Verankerung zu reißen. »»Jens, bleib du dicht bei Kim, ich werde die ein wenig ablenken«, rief Zack hastig und verschwand auch schon durch die durchlöcherte Wand.
Zack bot sich das Bild, wie es von Jens schon beschrieben worden war. Überall wachten nacheinander, eigentlich fast gleichzeitig, die Morlocks auf. In fünf Reihen standen je zehn der Pritschen und überall waren die Morlocks schon aufgestanden oder gerade dabei. Mit kalten emotionslosen Augen sahen sie sich um, doch nur wenige waren wirklich aktiv. Die meisten schienen erst durch Zacks Anwesenheit munter zu werden und stapften nun auf ihn zu.
Zack wurde schnell klar, dass diese Morlocks wohl weniger Intelligenz als ein Mark-13 besaßen, denn sie reagierten im Prinzip nur auf die Umgebung. Und die einzige Reaktion, die sie kannten, war Angriff.
Seufzend griff er in die Tasche und holte eine der Schallminen heraus. Eigentlich sollten sie eher so etwas wie eine Trophäe sein, doch nun? Kurz rief er sich in Erinnerung, was Martin ihnen über den Umgang mit diesen Dingern erzählt hatte. Dann drehte er den Schallregulator auf maximale Stärke, die Zeit auf zwei Minuten bei einer Verzögerung von 10 Sekunden und drückte den Auslöser herunter, ohne jedoch loszulassen.
Es kostete Zack einige Überwindung, zu warten, bis die von ihm so gehassten Morlocks bei ihm waren. Mit einer blitzschnellen Bewegung stieß er seine Hand, die natürlich noch immer in Phase war, in den Leib des Morlocks, dann ließ er die Mine los und huschte durch die Wand.
»»Wir sollten etwas Abstand nehmen««, rief Zack den beiden anderen zu. Noch hatte keiner von ihnen ausprobiert, wie sie die Schallwirkung in Phase vertrugen. Vor den meisten Waffen waren sie sicher, doch immerhin hörten sie, wenn auch sehr gedämpft, Geräusche aus ihrer Umgebung, dementsprechend bestand die Möglichkeit, dass auch die Schallwaffen auf sie wirken konnten.
»»Was hast du jetzt schon wieder angestellt?««, stöhnte Jens entsetzt, als sie das Schreien durch die Wand hörten und sich schleunigst von dem Raum zurückzogen.
»»Ich habe einen der Morlocks zur Sirene gemacht««, grinste Zack böse. »»Nur sein „Gesang“ wirkt anscheinend nicht sonderlich verlockend.««
In Panik brachen einige der Morlocks durch die Tür, wurden aber von Jens sofort mittels Disruption in undefinierbare Haufen verwandelt.
»»He, das sieht aber überhaupt nicht appetitlich aus««, stöhnte Kim und sah auf die Überreste der Morlocks.
»»Sind sie dir lebend lieber?««, grummelte Jens, der da doch etwas empfindlich war. Er fand das Desintegrieren von Mike und Julian auch „ästhetischer“ da einfach nur Staub übrig blieb. Doch dafür gab es beim Destruieren immerhin die Möglichkeit, einen Gegner auch nur durchzuschütteln. Das Desintegrieren war hingegen eine „ganz oder gar nicht“- Lösung.
»»He Kim, wie wäre es wenn du uns zwei Schallgewehre aus der zweiten Ebene besorgen würdest?««, mischte sich nun Zack in die Debatte. »»Du weißt doch noch, wo sie liegen?««
Kim blieb stehen und konzentrierte sich ein paar Sekunden und rief dann grinsend: »Accio Schallgewehr!« In derselben Sekunde erschienen zwei dieser Waffen, die er mittels Exoteleportation herbeiteleportiert hatte und nun mittels Telekinese in der Luft hielt.
»»Oh, sind wir jetzt unter die Zauberer gegangen?««, lachte Jens, während Zack erkannte, dass er sich gewisse Bücher doch unbedingt einmal besorgen sollte. Nicht umsonst hieß es, dass Mutanten einen Hang zum Mystischen hätten.
Ohne weitere Verzögerung ging Zack aus der Phase, schnappte sich die beiden Schallgewehre und war schon wieder ein Ghost, bevor Kim auch nur etwas sagen konnte. Grinsend reichte er nun Kim das zweite Schallgewehr. Anders war so eine Aktion auch nicht möglich, gestand sich Kim ein. Die Gewehre waren eben nicht in Phase gewesen und somit für sie auch nicht greifbar. Erst nachdem Zack sie mit in Phase genommen hatte, konnten sie die Waffen auch benutzen.
Zu ihrem Glück glichen diese Modelle schon dem, dass zuvor erbeutet und von Olaf untersucht worden war. Wenig später rückten die drei Jungs wieder vor und stürmten den Lagerraum. Viele der Morlocks lagen zusammengebrochen auf dem Boden, da sie in den Wirkbereich der Mine gekommen waren. Die Restlichen hatten sich in den hintersten Winkel des Raumes verzogen, griffen nun jedoch an, als sie die Jungs sahen.
Natürlich war dies kein Kampf wie er Zack gefiel, eigentlich gefiel ihm sowieso kein „echter“ Kampf, aber dieser glich schon eher einem Gemetzel. Doch mit diesen Bio-Robotern, wie Kim sie insgeheim nannte, konnte man einfach nicht verhandeln. Waren sie einmal in Gang gesetzt, legten sie los und kämpften, so lange noch etwas da war, was sie bekämpfen konnten. Sie agierten dabei stumpfsinniger als jeder moderne Roboter, und ohne jeden Selbsterhaltungstrieb.
Kaum lagen die Letzten am Boden, als plötzlich Mike, Julian, Ralf und Tommy zusammen mit Ryan auftauchten. Gleich darauf erschienen auch noch Tom, Lukas und Marc, die von Nico „angeschleppt“ wurden. Insgesamt vier Personen waren schon sehr viel für Nico und eigentlich nur möglich, weil die Distanz so gering war.
»Was ist den hier los?«, entfuhr es Mike und sah angewidert auf die Überreste der Morlocks. »Musste das sein?«
»Nein, eigentlich nicht. Uns macht es eben Spaß, Morlocks in unförmige Haufen zu verwandeln«, grummelte Jens patzig.
»So war das nicht gemeint«, murmelte Mike und sah sich weiter um. »Was ist denn geschehen?«
Zack sah kurz zu Kim und begann dann die Geschichte zu erzählen, wie sie sich hier in der A-Sektion umgesehen hatten und dabei in dieses Schlamassel geraten waren. »Und drüben ist noch so ein Raum, die sind aber anscheinend friedlich«, erklärte Zack zum Schluss.
»Wir sollten sie auch gleich erledigen«, schlug Tommy grimmig vor. »Wenn jemand hier gewesen wäre, der sich nicht so gut verteidigen kann, dann wäre die Sache anders ausgegangen.«
Ein wenig unsicher sah Mike zu Julian, doch der lächelte nur gequält: »Keine Angst, ich habe keinerlei Sympathie mit diesen Dingern und ich finde auch, je eher wir die los sind, desto besser.«
Wenige Minuten später gab es auch in der zweiten Halle keine Pseudo-Morlocks mehr. Das Risiko, nie zu wissen, wann diese aus ihrem „Schlaf“ erwachen könnten, um dann unvermittelt anzugreifen, war jedem zu hoch.
»Okay, dann sehen wir uns nun auch noch den Rest der Labore an«, sagte Mike mit einem Seitenblick zu Julian. »Dann haben wir das Schlimmste hinter uns, hoffe ich.«
@Mike
Röhrensektion B
Freitag, 04.01.2036 gegen 23 Uhr
Kann man Hass steigern? Ich meine, gibt es ein Wort für noch mehr Hass? Schockiert, entsetzt, fassungslos, das alles traf es nur zum Teil. Es gab einfach nicht genug passende Worte um das zu beschreiben, was wir empfanden, als wir durch den langen Korridor der Hauptebene von Sektion B schritten.
»Was haben die bloß vor? – wollen die eine Armee züchten?«, auch Julians sonst so schöne Stimme klang jetzt nur noch brüchig und rau. »Das müssen mehr als 20 sein«, flüsterte er angesichts der schrecklichen Szene, die sich uns darbot. Dabei sah er nur die Hälfte, denn auch auf meiner Seite konnte ich jenseits der transparenten Wand die gleichen „bizarren“ Anlagen sehen wie er auf der linken.
Nachdem sich die Sache mit Zacks „Ausflug“ in Sektion A schnell geklärt hatte und wir die ausgebrochenen Pseudo-Morlocks mangels Alternative vernichten mussten, war der Entschluss gefallen, nun auch gleich die Sektionen B und C zu untersuchen. Übrigens sollte sich niemand an dem unmenschlichen Wort „vernichtet“ stören, denn für uns waren sie keine wirklichen Lebewesen sondern viel mehr biosynthetische Roboter, Maschinen ohne jedes Gefühl.
Jedenfalls waren wir von Ryan in den Verbindungsgang zwischen Zentralschacht und der Sektion B teleportiert worden. Als wir dann die Zugangsschleuse öffneten, sahen wir zunächst nur einen fast 35 Meter langen bläulich leuchtenden transparenten Korridor. Der bestand aus einem phosphoreszierenden Panzerplast-Kunststoff. Zögernd überschritten wir die rote Gefahrenlinie, bei der im Alarmfall ein Sicherheitsschott im Guillotine-Verfahren den Gang innerhalb von 20 Millisekunden abtrennen würde. Kaum jedoch war diese Stelle überschritten, da ging in der großen Halle, durch die der Korridor führte, die Beleuchtung an.
Wie soll ich es beschreiben? Nun vielleicht einfach mal die nüchternen Fakten. Die B-Sektion war wie alle anderen auch eine Röhre mit einem Durchmesser von 30 Metern und einer Länge von 90 Metern. Eine der Besonderheiten der B-Sektion war es, dass sie nur in vier Ebenen unterteilt war, denn schon die Hauptebene besaß eine Raumhöhe von 10 Metern. Die Hauptebene erstreckte sich über eine Fläche von 30 mal 90 Metern also rund 2700 Quadratmetern. Die anderen Ebenen der B-Sektion waren wegen der Wandrundung entsprechend kleiner.
Im Zentrum der Hauptebene befand sich die Laborzentrale, ein runder zweistöckiger Raum von 20 Metern Durchmesser. Vom Verbindungstunnel führte der Korridor genau in die Zentrale und in der Verlängerung dann zum anderen Ende der Röhre. Somit wurde die Hauptebene von dem Korridor in eine rechte und eine linke Hälfte unterteilt, sowie durch die Laborzentrale dann in eine vordere und eine hintere Hälfte. Und in diesen vier gleich ausgestatteten Quadranten befand sich nun das, was uns so schockierte.
Was einem sofort ins Auge fiel, waren die drei 8 Meter durchmessende Plattformen, die durch einen flachen Kabel- und Leitungskanal miteinander verbunden waren. Auf jeder der Pattformen standen acht Inkubator-Zylinder, ringförmig angeordnet, und in jedem dieser Inkubatoren schwamm ein halbfertiger, toter Pseudo-Morlock. Acht pro Plattform, also 24 pro Dreiergruppe und somit 96 in der ganzen Hauptebene. Mit Kleinigkeiten gaben sich die Darwinianer offensichtlich nicht ab.
Denn zu den fast 200 Pseudo-Morlocks im Arsenal, die von Zack und dem Chaosteam gefunden und beseitigt wurden, brüteten hier und wohl auch in der gleich ausgestatteten C-Sektion jeweils noch einmal rund 100 Pseudo-Morlocks. Wenn die Daten stimmten, die Ralf von den Wissenschaftlern erfahren hatte, dann produzierten die Darwinianer hier also in einem halben Jahr rund 600 Pseudo-Morlocks, denn zur Reifung benötigten die Pseudo-Morlocks circa 2 Monate.
Doch die Antwort auf Julians Frage nach dem Zweck dieser Armee konnte uns nun wohl niemand mehr geben. Nach dem Tod von Dr. Strange und dem Kommandanten gab es hier niemand mehr, der Genaueres über die Ziele wusste.
»»Ich bezweifle sogar, dass einer der beiden Genaueres wusste««, meldete sich Ralf zu Wort. »»Vom Kommandanten habe ich einiges aufgeschnappt, demnach bekam er jede Woche verschlüsselte Anweisungen, die seine Aufgaben genau festlegten. Ansonsten war auch noch dieser Dr. Strange weisungsbefugt. Er selbst wusste relativ wenig über die Hintergründe, er musste nur dafür sorgen, dass alles wie gewünscht lief.««
»»Eine vernünftige Strategie, wenn man es mit Telepathen zu tun hat««, murmelte Eric anerkennend. »»Wenn jeder nur so viel weiß, wie er zur Erfüllung seiner Aufgaben wissen muss, dann kann er auch nicht viel verraten.««
»»Trotzdem halte ich es für sinnvoll, wenn sich ein paar Telepathen um die Gefangenen kümmern««, brummte Tom und sah angewidert durch die Korridorwand. »»Es kann immer noch sein, dass der eine oder andere etwas aufgeschnappt hat, was eigentlich nicht für ihn bestimmt war. Auch Eric hätte nichts über Arktis erfahren sollen, oder?««
Da hatte Tom mal wieder Recht. Eric war auch nur mehr oder weniger zufällig an die Informationen herangekommen. Doch erst als Ralf von „Labor Arktis“ sprach, bekam Eric die Informationen in den richtigen Zusammenhang. Wie auch immer, alles weitere würden wir Morgen zusammen mit allen anderen besprechen müssen.
Inzwischen hatten wir die Zentrale erreicht, doch auch hier verstärkte sich nur das Grauen. Von der Galerie, die in fünf Metern Höhe als 3 Meter breites Band den Kern der Zentrale umrundete, konnte man das ganze Brutlabor überblicken.
Schweigend trat ich neben Julian, der vor einer der vier Schleusen, die in die Halle führten, stand. Seit wir die Anlage betreten hatten, musste er eine Horrorgeschichte nach der anderen durchleiden. Sanft lehnte ich mich an ihn und umfasste ihn an der Hüfte. »»Quäl dich nicht««, war der einzige Trost, den ich ihm noch zusprechen konnte. Was sollte ich nur noch sagen? Alles schien angesichts dieser Dimensionen einfach unangemessen und schwach.
@Mike
Campus Occursus
Sonntag, 06.01.2036 gegen 16 Uhr
Arm in Arm standen Julian und ich am Seeufer und sahen in die untergehende Sonne. Nach den ganzen Ereignissen der letzten Tage war der Entschluss, diesen Sonntag einmal nichts zu tun, dringend nötig geworden. Gerade Julian kämpfte noch sehr mit dem, was wir in der Anlage „Alpha“ sehen und erleben mussten. Die Entscheidung, dass wir den NeckTech Wissenschaftlern Zugang zu den Labor-Sektoren gewährten, war uns und besonders ihm nicht leicht gefallen. Aber Tatsache war eben auch, dass die Darwinianer in dem Bereich der Biotechnologie ungeheure Fortschritte erzielt hatten.
»»Ungeheure Fortschritte!««, Julians ganze Bitterkeit schwang in den beiden Worten mit. »»Sie haben wirklich ungeheure Fortschritte erzielt, oder sollte man sagen: Fortschritte bei Ungeheuern?«
»»Nicht das „Produkt“ sind die wahren Ungeheuer, sondern die, die sich für diese Art der „Forschung“ hergeben««, versuchte ich Julian zu besänftigen. »»Wie Dr. Klausen schon gesagt hat, die Fortschritte der Darwinianer könnten ein Segen für viele Menschen sein.««
Gestern, in der großen Diskussion, die fast den ganzen Tag dauerte, war das Thema, ob wir die Labor-Sektoren nicht doch einfach vernichten sollten, mit am Heftigsten diskutiert worden. Dr. Klausen von NeckTech hatte uns geradezu angefleht, dies nicht zu tun. Seine Argumente im Bezug auf medizinische Hilfe für viele Menschen zeigten gerade bei „unseren Heilern“ Paul und Bastian besonders große Wirkung. Als Heiler wurden sie oft mit schweren Erkrankungen konfrontiert, aber auch da war die Große Konvention eine Hilfe für sie gewesen, was wir erst jetzt begriffen. Denn so konnten sie die Große Konvention immer vorschieben und sich so von der Gewissenslast befreien, nicht jedem helfen zu können.
Wir selbst hatten das auch schon erlebt, nur zum Glück nie in dem Ausmaße. Selbst in der noch immer relativ kleinen Bruderschaft gab es immer jemanden, der unsere Reiki-Hilfe gerne in Anspruch nehmen wollte. Die Heiler waren davon noch in viel stärkerem Maße betroffen, und so war dies dann ein Grund, weshalb die Große Konvention immer strenger ausgelegt wurde. So konnte verhindert werden, dass die Heiler in Gewissenskonflikte gerieten und an der schieren Flut an Hilfsbedürftigen schlicht verzweifelten.
Eine kleine Gruppe wie die Heiler konnte einfach nicht allen und jedem helfen, das war faktisch nicht möglich. Durch immer strengere Anwendung der Großen Konvention wurde die Menge derer, denen sie helfen durften immer kleiner und war so auch wirklich zu bewältigen.
Alle anderen, denen der Zugang zu Heilern versagt war, die mussten sich auf die Medizin verlassen, und hier kam dann das Zuchtprogramm der Darwinianer und der gute Dr. Klausen ins Spiel. Obwohl die bionischen Implantate immer besser wurden, gab es viele Gründe, die für ein „echtes“ Ersatzimplantat sprachen. Dr. Klausen war davon überzeugt, dass es mit der darwinianischen Biotechnologie möglich sein würde, innerhalb weniger Wochen komplette Ersatzorgane aus körpereigenen Zellen heranzuzüchten. Auch Gliedmaßen wären in Verbindung mit einem künstlichen Skelett in sehr kurzer Zeit herzustellen.
Dass die Darwinianer es nicht geschafft hatten, Knochen innerhalb so kurzer Zeit heranzuzüchten, war einer der Gründe für das Roboter-Skelett der Pseudo-Morlocks. Die Knochen wuchsen einfach wesentlich langsamer als der Rest des Körpers, also hauptsächlich die Haut und das Muskelfleisch. Außerdem wurden sie innerhalb der wenigen Wochen, in denen ein „normaler“ Pseudo-Morlock gezüchtet wurde, einfach nicht hart oder stabil genug. Die Ersten dieser Züchtungen waren schlicht unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen und qualvoll verendet. Entsprechende Aufzeichnungen waren von den NeckTech-Leuten inzwischen auch gefunden worden.
»»Die Leute waren eben gewissenhaft gewissenlose Wissenschaftler, alles musste dokumentiert werden, auch wenn es ein Verbrechen war.«« Auf das Wasser starrend ließ Julian kleine Wasserskulpturen entstehen, die dann wieder in den See zurücksanken. »»Gewissenhaft gewissenlos! – Bei Dr. Strange konnte ich das sogar noch nachvollziehen, aber die anderen?««
»»Es hat keinen Sinn darüber nachzudenken Julian, zu jeder Zeit in der Geschichte der Menschheit gab es solche Menschen. Ich denke, wenn einmal eine gewisse Grenze überschritten wurde, dann kennen solche Leute überhaupt keine mehr.««
»»Umso dringender wird es, dass wir endlich „Arktis“ ausheben: Falls Kai und Ingo noch leben, dürfen wir sie nicht noch länger solchen „Personen“ überlassen««, eine große Welle türmte sich in der Mitte des Sees auf und stürzte mit seinen letzten Worten zusammen. »»Ich habe Angst vor dem, was die Darwinianer mit ihnen inzwischen alles unternommen haben.««
»»Julian, wir hatten doch bisher keinen vernünftigen Anhaltspunkt!««, sanft zog ich ihn an meine Seite. »»Überleg doch, wie lange Ralf nach Informationen gesucht hat, und nun haben wir dank Carlo und Benny endlich ein Ziel!««
Wir hatte wirklich ein Ziel, – ein „Angriffsziel“, wie Eric ständig betonte. Noch liefen die Vorbereitungen zu dieser Kampagne unter der sinnigen Bezeichnung „Polarlicht“, doch in wenigen Tagen würden wir uns aufmachen zur Aktion „Eiszeit“, die endlich zur Befreiung von Kai und Ingo führen sollte.
»»Falls sie noch leben!««
»»Ralf ist davon überzeugt. Er glaubt, dass zwei der von Marty zurückgelassenen Telin-Anhänger ihre Signatur tragen, und bis wir keine Gewissheit haben, dürfen wir nicht ruhen««, natürlich musste ich das Julian nicht sagen. »»Wenn wir Gewissheit haben, so oder so, dann werden wir das Ende der Darwinianer einläuten. Und diesem Scheißkerl von Senator will ich auch noch eine Lektion erteilen.««
»»Huber?««, wunderte sich Julian.
»»Ja klar!««
»»Er ist ein Senator der Republik!««
»»Einer von vielen!««, grollte ich, denn was er mit seiner Aktion den Negativen Mutanten angetan hatte, durfte auch nicht ungestraft bleiben. »»Vielleicht ist er der Eine zuviel!««
Julian schmunzelte. Natürlich konnte er den Senator auch nicht leiden, zumal wir uns noch immer nicht klar waren, wo die Verbindung zwischen Senator Huber und den Darwinianern bestand. Dass es eine Verbindung gab, davon waren wir überzeugt. Der „Angriff“ der Pseudo-Morlocks auf den Staatsschutz war arrangiert gewesen, das stand für uns außer jeden Zweifels.
Die nachfolgende Säuberungsaktion war viel zu schnell und reibungslos angelaufen, als dass sie nicht vorher sehr gründlich abgesprochen und vorbereitet worden wäre. Die Negativen Mutanten, also die Intelligenteren, hatten sich sehr schnell zurückgezogen. Dennoch waren sehr viele gestorben, teils durch die Roboter, teils durch die echten Morlocks, die einfach nicht begriffen, was da geschah.
Tommy und Ralf war es in einer sehr riskanten Aktion gelungen, zu einzelnen Gruppen im Untergrund Kontakt aufzunehmen und sie letztlich zu einer Evakuierung in die Anlage Alpha zu überreden.
Jetzt befanden sich die Gefangenen der Anlage in der Röhrensektion D, bewacht von unseren Robotern und einem unserer Teams. Die Mittelstation wurde von unseren Robotern auch noch besetzt, damit die Catcher keinesfalls auf die Mutanten trafen.
Denn die belegten nun die Röhrensektion G und bisher gab es auch keine größeren Schwierigkeiten. Zum Glück gab es zwischen den einzelnen Gruppen keine offenen Feindschaften, denn sonst wäre es wirklich sehr problematisch geworden. Die gemeinsame Bedrohung durch Roboter und Morlocks schien wenigstens in dieser Hinsicht sogar positiv gewirkt zu haben. Beim Transport hatte dann Enzo die tragende Rolle gespielt.
»»Die transportierende Rolle««, stichelte Julian. »»Er will es sich auch überlegen, oder?««
Ich musste lächeln, als ich an Marcus Gesicht dachte. Leider tat der sich noch immer recht schwer, dass wir so anders als die Freien Mutanten waren. Als Bastian erklärte, er würde die Bruderschaft unterstützen, waren Marcus fast die Gesichtszüge entgleist.
»»Jetzt bist du aber gemein««, kicherte Julian. »»Nicht nur er hatte damit Probleme, denk nur an Frank.««
»»Na ja, Frank hat aber auch wirkliche Gründe, und außerdem hat er nichts gesagt!«« Wie schon oft erwähnt, konnte Frank sehr bissig werden. Doch diesmal hüllte er sich in grummelndes Schweigen. Nun, wir konnten nicht erwarten, dass jeder in der Bruderschaft jeden liebt. Auch in echten Familien gab es schließlich ab und zu mal Streit.
»»Dafür scheint Thimo sich Florian an Land gezogen zu haben««, grinste Julian frech. »»Die beiden sind seit Freitag wirklich unzertrennlich.««
»»Wie Zack schon sagte: „Thimo und sein Schatten“««, gab ich ihm Recht. »»Wobei Zack und Kim in diesem Punkt auch ganz ruhig sein können.««
»»Wir auch, oder?««
Mich zur Seite drehend sah ich Julian in die Augen. Natürlich war es bei uns genauso. Wo er war, da war auch ich und das war gut so.
Ende von Episode 4 Teil 3
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