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Vorwort:

Falls ihr euch entschieden habt, diese Geschichte zu lesen, dann bitte ich euch darum, sie bis zum Ende zu lesen. Sie ist nicht, wie sie auf den ersten Blick wirkt, lasst euch deshalb nicht von ihrem Beginn abschrecken.

 

In gewisser Weise fühlte ich mich widerlich. Abartig, eklig. Ja, alles was in diese Richtung von sehr negativen Gefühlen ging.

Ich war neunundzwanzig Jahre alt, hatte einen ziemlich guten Job, mehr als genug Geld, da ich allein lebte und für niemanden außer mich selbst sorgen musste, und sah mit meinen fast dreißig noch immer mehr aus wie Anfang/Mitte zwanzig, jedenfalls laut einigen Frauen.

Doch anscheinend brachte mir nicht einmal relativ gutes Aussehen etwas um endlich einen Partner zu finden. Ich war seit Gott verdammten sechs Jahren allein, von einigen Wochenend- oder Urlaubsbeziehungen abgesehen. Ich konnte machen, was ich wollte. Sogar Stiländerungen oder zwei, drei Kilo weniger hatten mich nicht weiter gebracht.

Und was war ein neunundzwanzigjähriger Mann, wenn er seit etwa einem dreiviertel Jahr nicht einmal Sex gehabt hatte? Genau, sexuell frustriert und ausgehungert. Mir war das extrem peinlich und natürlich war das außerdem ein echt bescheidenes Gefühl.

Irgendwann hatte ich mich von einem Freund sogar überreden lassen es mit One-Night-Stands zu probieren, nur für eine Weile, nur solange bis ich endlich jemanden gefunden hätte. Wir waren in einem sehr berüchtigten Club gewesen und es hatte geklappt, nach etwa zwanzig Minuten hatte ich bereits mit jemandem getanzt und war mit demjenigen später in seine Wohnung verschwunden. Klar, der Sex mit ihm war Wahnsinn gewesen, aber sich jedes Mal für eine einzige Nacht zwei Wochen lang mies zu fühlen?

Nein, dieses Leben war wirklich nichts für mich. Die Entscheidung so was nie wieder zu tun hatte zwar mein Gefühl ein Mensch mit Herz zu sein gestärkt, aber trotzdem blieb ich allein und verdammt frustriert.

Vielleicht wäre all das einfacher gewesen, wenn ich nicht auch noch eine von der Masse abgehende Neigung gehabt hätte. Ich war schwul, ein kleines Detail, was ich bisher wohl nicht direkt erwähnt hatte. Schwul zu sein war aber im Grunde genommen heute kein Problem mehr, oder?

Was war nur los mit mir? Ich hatte keine abstoßenden Angewohnheiten oder Eigenschaften – außer eventuell Rauchen – und ich sah verdammt noch mal nicht so hässlich aus, wie ich mich mittlerweile fühlte!

Und was ich nun vorhatte würde sicher mein Selbstbewusstsein nicht sonderlich stärken, wahrscheinlich würde ich mich danach noch einmal um einige Nuancen schlechter fühlen, aber ich hielt dieses Gefühl nicht mehr aus! Natürlich hatte ich mich in den letzten Monaten hin und wieder mit meiner rechten Hand „beschäftigt“, aber bisher hatte ich das, was ich gerade vor hatte, in meinen neunundzwanzig Jahren nicht einmal getan.

Diese ganze Misere hatte mich mittlerweile sogar meiner sexuelle Phantasie beraubt, ich lächerlicher Schlappschwanz – wie treffend – war nicht mal mehr fähig mich selbst zu befriedigen.

Ich fühlte mich extrem angeekelt, aber Himmel, das Gefühl so dringend Befriedigung zu brauchen, beeinträchtigte sogar schon mein tägliches Leben! Als Lehrer machte es sich alles andere als gut, vor einer Klasse scharf zu werden, weil mein Hirn ganz plötzlich nur noch in sehr unpassenden Momenten gewisse Phantasien heraufbeschwören konnte.

Wenn ich es darauf anlegte klappte natürlich gar nichts mehr, also war meine letzte Rettung dies hier, eine verdammte Pornowebseite.

Dem Internet sei Dank blieb es mir wenigstens erspart in irgendeinen Sexshop zu fahren und mir einen Film zu kaufen, so musste ich mich nur vor mir selbst und nicht noch vor anderen schämen. Die Adresse hatte ich von einem Freund, der schon seit Ewigkeiten versuchte mich dazu zu bringen, mir den ein oder anderen Film herunterzuladen.

Tja, nun hatte er es wohl geschafft und ich war ihm sogar ganz dankbar, dass mir so die Suche erspart blieb. Ich wollte wirklich gar nicht wissen, was es noch für Seiten gab und die, die mir dieser Freund gegeben hatte sah wenigstens einigermaßen seriös aus, solange man das Wort „seriös“ überhaupt mit Pornos in Verbindung bringen konnte.

Die Titelseite sah relativ formell aus, prangerte allerdings trotzdem mit einem Haufen von sehr, sehr obszönen Worten die Qualität der Filme an. Ich war nervös, aber auch wenn ich mich noch immer nicht wirklich gut fühlte, in gewisser Weise war ich sogar ein wenig aufgeregt.

Die Anmeldung auf der Seite dauerte keine fünf Minuten und eine E-Mail mit einem Passwort landete in meinem Postfach. Mit einem tiefen Atemzug gab ich es auf der Seite zusammen mit dem von mir gewählten, nichtssagenden Namen ein und klickte auf den Button mit der Aufschrift „Einloggen“.

Etwas irritiert ließ ich meinen Blick über die Seite schweifen. Okay, als erstes musste ich mich also entscheiden, ob ich die „Datenbank“ nach Datum, Genre, Schauspielern oder Filmnamen geordnet haben wollte. Ich klickte auf „nach Genre sortieren“ und wartete, bis sich die nächste Seite aufbaute.

Wieder ein tiefer Atemzug. Die Titel der Genre verursachten ein ungutes Gefühl in meinem Magen. Titel wie „Bondage“, „Sado-Maso“ oder auch „BDSM“ überlas ich so gut es ging und versuchte die kleinen Bilder neben den Namen zu übersehen. Nervös klickte ich auf „Blowjobs“, in dem Genre hatte ich doch hoffentlich nichts allzu Bizarres zu erwarten.

Die Filmtitel versuchte ich überhaupt nicht in mein Bewusstsein dringen zu lassen und klickte nach kurzer Überlegung einfach wahllos auf einen der Links. Ein kleines Fenster öffnete sich und ich wurde erst einmal von meinem Virenschutz informiert, dass die Daten eventuell nicht sicher wären und gefragt, ob ich sie nicht vorher prüfen wollte, klickte allerdings sofort auf „Abbrechen“ um die Daten herunter zu laden.

Und da saß ich nun und starrte das Fenster an, auf dem immer mehr orangene Striche die kleine Säule ausfüllten. Als der Letzte erschien und das altbekannte „Pling“ mir sagte, dass der Film fertig heruntergeladen wäre, schloss ich meine Augen.

Hiermit kam wohl nun die Stunde der Wahrheit und ich musste zugeben, dass ich langsam recht positiv gespannt war und gespannt war mittlerweile auch der Stoff meiner Hose.

Als ich meine Augen wieder auf gemacht hatte, klickte ich postwendend auf den Button mit der Aufschrift „Öffnen“ und sah zu, wie sich mein Player öffnete. Auf der Wiedergabeliste zeigte sich der Name der Webseite und hinter einem Bindestrich der Titel. „Nur neugierig...“ nannte sich der von mir ausgewählte Film und diese drei Punkte deuteten die klare Ironie des Namens an.

Wenige Sekunden später war der Film fertig geladen, ich klickte erst auf das nach rechts zeigende Dreieck um ihn zu starten und dann auf die Vollbildansicht. Es war dunkel in meinem Arbeitszimmer und nun wurde der Raum von einem warmen, gelblichen Licht erhellt, als auf dem Bildschirm eine typische, amerikanische Farm erschien.

Ich lehnte mich in meinem Drehstuhl zurück und beobachtete, wie zwei Jungen, die aussahen, als wären sie sechzehn, aber natürlich trotzdem mindestens achtzehn waren, in der Scheune Heuballen stapelten und sich währenddessen über Mädchen und Sex unterhielten.

Nach einiger Zeit begann einer der beiden auf das Thema schwule Jungs abzuschweifen, während der andere anfing nervös zu werden und dann von seinem Freund spielerisch auf die Heuballen geworfen wurde. Sein Freund fing an ihn zu necken, ob er Angst vor Schwulen hätte, worauf er sich natürlich wehren musste und begann mit Heu zu werfen.

Das ganze führte zu einem kleinen Kampf im Stroh und irgendwann lagen die beiden dicht übereinander und fingen an sich zu küssen. Alleine diese Ansicht ließ meine Jeans enger werden und als die zwei sich ihre T-Shirts vom Leib rissen, öffnete ich meine Hose und schob sie hinab, sodass sie an meinen Beinen herab auf meine Füße fiel.

Gerade als der eine der beiden seine Hand über den Schritt des anderen gleiten ließ, zog dieser sich zurück und fragte erschrocken, was sie da gerade taten. Mit roten Gesichtern sahen die zwei sich einige Zeit an und begannen dann zögernd darüber zu reden, dass sie doch nur neugierig wären und das sicher okay und man deshalb ja nicht gleich schwul sei.

Wenig später hatten beide keine Hosen an und einige Sequenzen danach auch keine Boxershorts mehr. Fast gleichzeitig mit den beiden Schauspielern hatte ich meine Boxershorts ebenfalls von meinen Hüften geschoben und begann meine Hand parallel zu der von einem der beiden Jungs in meinem Schritt zu bewegen. Die Szene änderte sich für einige Augenblicke nicht, bis einer der beiden den Kuss löste und seinen Kopf zur Körpermitte des anderen bewegte.

Während er begann seinem Freund dem Genre entsprechend einen Blowjob zu geben, bewegte ich meine Hand schneller und ließ meine Augen fest an der Szene auf dem Bildschirm haften. Meine Atemfrequenz erhöhte sich stetig und meine Atemzüge wurden tiefer, während ich merkte, dass meine Beine und mein ganzer Körper zitterten.

Und nicht viel später kam ich fast parallel mit dem Passiven der beiden Schauspieler. Noch immer schwer mit geöffnetem Mund atmend, starrte ich weiterhin auf den Bildschirm und schluckte schwer. Es dauerte nicht lang und der Film war zu Ende, der Bildschirm färbte sich schwarz.

Blind suchte ich nach einer Packung Taschentücher auf dem Schreibtisch, säuberte meine Hand und meinen Bauch und warf das Tuch in den Mülleimer unter dem Tisch. Mit einem leisen Seufzen zog ich meine Jeans vollkommen aus und meine Boxershorts wieder auf meine Hüften.

Klasse, damit hatte ich, Tyler Bell, mich jetzt also das erste Mal bei einem Porno selbstbefriedigt.

Nur noch in Boxershorts vor meinem Computer sitzend schloss ich den Player wieder und warf mittlerweile aus reiner Neugierde – und nein, keiner sexuellen Neugierde – einen weiteren Blick auf die Liste der Filme in dem von mir ausgewählten Genre. Die meisten Titel waren relativ nichtssagend oder einfach nur obszön.

Allerdings fiel mir nach einem Umsehen ein Name ins Auge und ich musste unweigerlich grinsen. „Lehrerfreuden“? Na, das klang ja nun wirklich extrem passend für mich. Auch wenn ich nicht vor hatte vergangene Aktion zu wiederholen, klickte ich auf den Titel, lud mir den Film herunter und klickte dann auf „Öffnen“ um ihn abzuspielen.

Okay, ein Mann in seinen späten Dreißigern, mit kurzen braunen Haaren und einem Jackett mit Flicken an den Ellenbogen, typisch genug um der Lehrer in diesem Film zu sein. Er lehnte an einem Pult, hatte die Arme verschränkt und sprach anscheinend mit einem seiner Schüler, erklärte ihm, dass seine Noten abrutschen würden und er die Klasse nicht schaffen würde.

Erst nachdem der Mann seinen Monolog beendet hatte, änderte sich die Perspektive das erste Mal und ich starrte mit großen Augen auf den Bildschirm. Mein Mund öffnete sich unwillkürlich und ich erstarrte vollkommen. Das konnte nicht tatsächlich wahr sein, oder?

Der Junge, der den Schüler in dieser Szene spielte, war ein Schüler! Mein Schüler! Leon Pathat, ein Junge aus einem meiner Mathematikkurse! Und um Himmels Willen, Leon war sechzehn!

„Mr. Simons, bitte! Ich tue was Sie wollen, aber ich muss diese Klasse schaffen. Bitte, ich tue alles für Sie, Mr. Simons, ich muss das Jahr schaffen! Ich flehe Sie an“, bettelte Leon diesen Schauspieler an. Unverkennbar, das war Leon. Auch wenn er in diesem Film lange Haare hatte und ich ihn nur mit sehr kurzen Haaren kannte, diese Stimme gehörte definitiv ihm.

Das konnte einfach nicht wahr sein. Leon war minderjährig, mehr als nur minderjährig, er war fast noch ein Kind! Er war während der Zeit, in der ich ihn unterrichtet hatte, sechzehn geworden und ich hatte ihn nie mit langen Haaren gesehen.

Oh mein Gott. Es konnte doch nicht tatsächlich sein, dass ein verdammt noch mal Fünfzehnjähriger in einem Porno mitspielte! Mit fünfzehn Jahren sollte man noch nicht einmal wissen, was in solchen Filmen passierte, geschweige denn sie ansehen. Das durfte einfach nicht sein!

Leon war in dem Film mittlerweile von seinem „Lehrer“ auf die Knie gegangen und war gerade dabei dessen Hose zu öffnen. Ich konnte und wollte mir das eigentlich wirklich nicht ansehen, aber ich war noch immer wie gelähmt. Leon befriedigte diesen sicher mehr als doppelt so alten Mann mit dem Mund und ließ sich Beleidigungen an den Kopf werfen.

Als der Bildschirm einige Minuten später wieder schwarz wurde, erwachte ich aus meiner Starre. Geistesabwesend schloss ich den Player und öffnete die Seite wieder, warf dabei kurz einen Blick in meinen Schritt und war ehrlich gesagt erleichtert. Dieser Film hatte keinen sexuellen Effekt auf mich gehabt. Noch immer von all dem geschockt klickte ich zweimal auf den „zurück“ Button und ließ die Seite nach Schauspielern sortieren.

Leons Name als Schauspieler lautete „Tade Wolf“, ein Name der mir zwar bekannt vorkam, den ich allerdings nicht zuordnen konnte. Ich scrollte nach unten bis zu den Schauspielern mit dem Buchstaben „T“ und fand ihn bereits an erster Stelle. Unsicher klickte ich auf den Namen.

Ich wusste nicht, ob ich geschockt, verängstigt oder einfach nur weiterhin paralysiert sein sollte. Unter Leons Namen befanden sich insgesamt dreiundzwanzig Filme. Dreiundzwanzig.

In dieser Ansicht waren die Genre in Klammern hinter den Titeln geschrieben und mein Blick fiel in Schock und Panik auf einen Film namens „Halte mich“, hinter dem in Klammern vier Buchstaben standen. „BDSM“. Ich hatte so was bisher nie gesehen, aber ich war weder dumm noch weltfremd und kannte das Kürzel für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ und was sich dahinter verbarg wusste ich sehr wohl.

Einerseits wollte ich das hier wirklich nicht sehen und auch das in eckigen Klammern stehende „L“ was, wie auf der Seite davor erklärt wurde, für „Light“ stand, beruhigte mich nicht sonderlich. Andererseits musste ich wissen, was Leon da mit sich hatte machen lassen.

Der Film war schnell heruntergeladen und der Player war geöffnet und wartete nur noch darauf, dass ich den Film startete. Tief durchatmend überwand ich mich und klickte auf „Play“.

Wieder erstarrt sah ich zu, wie ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann Leon durch eine Tür in eine Art Atelier treten ließ, die Tür hinter ihm schloss und ihm bedeutete sich auf eine große Couch zu setzen. Die ersten drei Minuten des Filmes vergingen damit, dass der Mann, der sich selbst Pedro nannte, Leon erklärte, dass er jeder Zeit aufhören könne und nur die Worte „Halte mich“ sagen sollte, wenn es ihm zuviel wurde.

Leon nickte ohne zu zögern und wenig später, nachdem Leon sich bis auf Boxershorts ausgezogen hatte, führte Pedro ihn durch eine weitere Tür in einen relativ kahlen Raum, wo er ihm bedeutete sich auf eine Liege niederzulassen, an der er ihn mit silbernen Handschellen an Armen und Beinen an die im Boden verankerte Liege festschnallte.

In Horror blickte ich einige Zeit auf die Geschehnisse, wie dieser Mann Leons Boxershorts zerschnitt und ihn völlig entblößte, einige Zeit und einige Ereignisse später seine Beine befreite, um seine Hüfte schlang und in den Jungen eindrang. Leon war erregt, natürlich, er sah in diesem Film aus, als gefiel es ihm tatsächlich was dieser Mann mit ihm machte.

Aber ehrlich gesagt, wie viele Fünfzehnjährige würden sich freiwillig heißes Wachs auf Rücken und Beine tropfen lassen und daran sexuellen Gefallen finden? Und warum sah man während dieser Szene nur Leons Rückseite, nicht einmal sein Gesicht?

Der Film endete, als Pedro sich erschöpft auf Leons Oberkörper sinken ließ und der leise die Worte „Halte mich“ mit einem Lächeln auf den Lippen und geschlossenen Augen aussprach.

Ich schloss alle Programme und fuhr meinen Computer herunter, ging ohne Licht zu machen ins Nebenzimmer und legte mich auf mein Bett. Die Bilder wollten nicht mehr aus meinem Kopf und ich war mir sicher, dass sie dort auch noch einige Zeit bleiben würden.

Ein Studienkollege, den ich durch meine zwei Psychologiesemester kennen gelernt hatte, hatte seine Diplomarbeit über den psychologischen Aspekt von Sadomasochismus geschrieben und weil ich das damals ziemlich abartig gefunden hatte, hatte er mir ein paar Dinge dazu erklärt. Insbesondere die Grundregel all dieser „Spiele“: Vertrauen.

Und in diesem Film war nichts davon zu sehen gewesen, gar nichts. Leon hatte diesen Mann anscheinend kaum gekannt, weder im Film noch in Wirklichkeit, auch wenn ich letzteres nicht sicher wusste. Aber der Film übermittelte ein falsches Bild und ich persönlich war ziemlich sicher, dass kein Fünfzehnjähriger das freiwillig machte.

Doch was zur Hölle sollte ich denn tun? Ich konnte ihn doch darauf nicht ansprechen! Erstens war ich ein verdammt schüchterner Mensch, zweitens wusste ich nicht, ob er diese Filme nicht doch freiwillig machte und ich mich, weil ich drittens damit verraten müsste, dass ich mir schwule Pornos angesehen hatte, ihm gegenüber extrem verwundbar machte.

Wenn Leon das freiwillig tat, oder er nicht wollte, dass ich irgendetwas unternahm, dann konnte er mit der Tatsache, dass ich schwul war mein Leben ruinieren, oder mich zumindest damit erpressen.

Aber was war, wenn man Leon dazu zwang und er Hilfe brauchte? Wenn er all das nicht wollte und ich wem auch immer die Chance gab ihm das weiterhin anzutun, wenn ich nichts unternahm?


Es war einen Monat her, seit ich Leon auf dieser Seite entdeckt hatte. Ihm an nächsten Schultag in die Augen zu sehen war unmöglich gewesen, es hatte nicht funktioniert, auch nicht am Tag danach und auch nicht folgenden. Es hatte zwei Wochen gedauert, bis ich ihn wieder ansehen oder mehr als „gut“ oder „richtig“ hatte sagen können.

In der Woche nach meiner Entdeckung hatte ich jeden einzelnen seiner Filme angesehen. Ich hatte herausfinden müssen, ob er das noch immer tat, doch auf keinem einzigen Film hatte er kurze Haare, also waren sie alle schon einige Monate alt.

Ich hatte seit ich ihn gesehen hatte nicht einmal Hand an mich gelegt und spürte noch jetzt, vier Wochen später, jedes Mal ein Gefühl von Schuld, wenn ich ihn sah und daran denken musste, weshalb ich auf seine Aktivitäten gestoßen war. Der Gedanke, dass vielleicht auch die beiden Jungen in dem Film, den ich angesehen hatte, nicht nur aussahen als wären sie erst sechzehn, sondern sechzehn gewesen waren, löste pure Panik in mir aus.

Trotzdem klickte ich seit jener Nacht jeden Tag mindestens einmal auf den Namen „Tade Wolf“ in der Liste der Schauspieler. Ich hatte mich entschieden nichts zu unternehmen, solange es weiterhin danach aussehen würde, dass er damit aufgehört hatte. Auch heute, genau einen Monat später, öffnete ich die Seite, klickte mittlerweile schon routiniert auf die Auflistung nach Schauspielern, scrollte zum Buchstaben „T“, klickte auf den obersten Link und wartete, dass sich die mir sehr bekannte Seite aufbaute.

Mein Atem erstarb für einige Momente, als unter dem letzten Film plötzlich ein weiterer Link stand. Nicht wie die anderen, die gelb waren, war dieser rot und mit einem „#New!#“ vor dem Titel gekennzeichnet. Ich klickte wie in Trance auf den Link und sah mit schnell klopfendem Herzen dabei zu, wie der Film namens „Probefahrt“ sich herunterlud.

Ich wählte wie fast schon gewöhnt den „Öffnen“ Button aus, ließ den Player aufgehen und stellte ihn auf Vollbildmodus.

Der Film begann damit, dass man sah, wie jemand auf eine Klingel drückte, kurz später die Tür geöffnet wurde und nachdem man einen etwa vierzigjährigen Mann gesehen hatte, schwenkte die Kamera um und man sah ihn, Leon. Er hatte kurze Haare, er sah ganz genauso aus, wie ich ihn noch vor zwei Tagen in seinem Mathematikkurs gesehen hatte.

Er erklärte dem Mann, dass er wegen dem Auto da wäre, dass verkauft werden solle, da er gerade erst seinen Führerschein hatte machen können und er jetzt, wo er volljährig wäre endlich genug Geld hätte sich ein Auto zu kaufen. Beide gingen zu einem Auto, das am Gehsteig geparkt war und stiegen ein. Wenig später waren sie an einer anscheinend entlegenen Stelle an einem Wald und Leon hielt den Wagen an. Die Hand des Mannes lag bereits auf seinem Oberschenkel, fuhr dann in seinen Schritt und öffnete seine Jeans.

Das übliche Prozedere begann und nachdem der Mann Leon aus dem Auto gezogen hatte, drückte der ihn auf die Motorhaube und fickte ihn, erst auf dem Bauch und dann auf dem Rücken liegend.

Wie so oft starrte ich einfach nur auf den Bildschirm und wusste nicht, was ich denken sollte. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich sein schmerzverzerrtes Gesicht sah, als er auf die Motorhaube, die offenbar noch heiß war, gedrückt wurde und der Mann in ihn eindrang.

Neben seinem oftmals sehr unglücklichen, verängstigten oder schmerzvollem Blick war mir auch schon bei den anderen Filmen aufgefallen, dass er verdammt dünn war, zu dünn. In vielen Szenen, in denen er auf dem Rücken lag, sah man jede einzelne seiner Rippen durch seine blasse Haut scheinen. Und in diesem Film war es noch extremer, sogar schon als er nur stand sah man seine Knochen. Als der Film zu Ende war, schloss ich meine Augen.

Und in dem Moment wurde mir schmerzhaft genau bewusst, dass ich, egal ob das mein ganzes Leben kaputt machen würde oder nicht, etwas unternehmen musste. Ich musste mit ihm sprechen.


Dieses Vorhaben wahr zu machen entpuppte sich allerdings als komplizierter, als ich gedacht hatte. Als ich am nächsten Vormittag seinen Mathematikkurs unterrichtete, war meine Überzeugung zu diesem Gespräch wieder verflogen. Ich hatte bisher gut daran getan meine Sexualität zu verbergen und Leon würde wahrscheinlich nicht soweit denken, dass er mir mein Leben zerstören könnte, falls er es doch freiwillig machte und nicht wollte, dass ich ihn oder seine Partner auffliegen ließ. Ich würde mich ihm ausliefern.

Doch der Gedanke daran, wie herzzerreißend sein schmerzverzerrtes Gesicht ausgesehen hatte und die Vorstellung, dass er gezwungen wurde das zu tun, ließen mich meine Überzeugung schnell wieder zurückgewinnen. Ich musste mit ihm reden, ich musste einfach.

„Leon? Kann ich bitte noch einen Moment mit dir sprechen?“, rief ich laut, als es am Ende der Stunde geklingelt hatte und die Klasse sich daran machte das Zimmer zu verlassen. Er hob ruckartig seinen Kopf und sah mich für einen Moment vollkommen verängstigt an, bis er seinen Blick wieder senkte und wie die anderen seine Sachen zusammenpackte.

Ich räumte einige Unterrichtsmaterialien in meine Tasche, während die Schüler das Zimmer verließen und Leon hinter ihnen allen nach vorne ging und vor dem Pult stehen blieb. Ich saß noch immer hinter dem Tisch und konnte nicht aufstehen, weil meine Knie schrecklich weich waren. Aber ich musste das hier tun, ich musste herausfinden, ob er Hilfe brauchte.

Leon schien zu merken, dass etwas nicht in Ordnung war, er stand mit noch immer vollkommen verängstigtem Blick vor dem Pult und umklammerte einige Bücher vor seiner Brust. Während ich ihn wenige Momente lang beobachtete, schweifte mein Blick für einen kurzen Augenblick über das Buch, das er als vorderstes in seinem Arm hielt und ich riss meine Augen nahezu auf.

„Tade Wolf“, entfuhr es mir unabsichtlich, während ich auf den zweiten Namen der vier Autoren des Mathematikbuches starrte. Natürlich bemerkte ich dabei, dass Leon zusammenzuckte und zu zittern begann. Verdammt! Damit hatte ich mir zwar erspart Stunden lang um das Thema herum zu reden, aber es hätte sicher Wege gegeben es weniger schockierend für ihn zu machen!

„Oh Gott“, kam es leise über seine Lippen und im selben Moment fielen seine Bücher zu Boden, während er einen Schritt zurücktrat und gegen einen der Tische in der ersten Reihe stieß.

„Nein“, flüsterte er und blickte mich weiterhin mit großen Augen an. Bevor ich noch in irgendeiner Weise reagieren konnte, hatten seine Beine nachgegeben. Von dem Geräusch, als sein Körper den Boden berührte, alarmiert, sprang ich von meinem Stuhl auf und kniete mich neben ihn. Er war nicht bewusstlos, sondern saß auf dem Boden und zitterte.

„Leon, tief durchatmen, okay?“, meinte ich leise und legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte wieder zusammen und starrte auf den Boden, schüttelte immer wieder seinen Kopf ein wenig.

„Ganz ruhig, ja? Es ist alles okay, es tut dir niemand etwas“, sprach ich auf ihn ein in der Hoffnung, dass meine Worte überhaupt zu ihm durchdrangen. Erst nach bestimmt zwei Minuten hatte sich seine Atmung einigermaßen normalisiert und er aufgehört zu zittern. Mit meiner Hilfe lehnte er sich mit dem Rücken an das Pult und schloss seine Augen kurz.

„Es ist alles okay, Leon. Ich muss mit dir reden, über... Tade“, erklärte ich, als ich überzeugt war, dass er es überstehen würde, ohne dass er vollkommen zusammenbrach. Zu meiner Überraschung entfuhr ihm ein leises Schluchzen und ich konnte sehen, wie ihm eine Träne über die Wange ran, die er mit dem Handrücken wegwischte.

„Ich hab diese Filme von dir gesehen“, begann ich leise, fast flüsternd. „Du weißt, dass du mehr als nur minderjährig bist und man dich niemals auf solch einem Film sehen sollte. Warum... Warum machst du diese Filme?“

Wieder ein Schluchzen. Mittlerweile rannen ihm mehr Tränen über die Wangen, als er wegwischen konnte und Leons Augen färbten sich langsam rötlich. Er würde sicher nicht weinen, wenn er diese Filme freiwillig machte, oder? Es war richtig, dass ich mit ihm sprach, oder?

„Du musst mit mir reden, Leon. Du musst! Ich hab dich gesehen, ich hab gesehen, wie es dir wehgetan hat. Du musst mit mir sprechen“, flüsterte ich, als er weiterhin schwieg und blickte in seine Augen. Wenig später senkte er seinen Blick wieder, hob ihn allerdings postwendend wieder.

„Als... Meine... Meine Eltern haben mich vor... vor die Tür gesetzt, als sie mich...“, stotterte er und hob und senkte dabei immer wieder seinen Blick. Er fixierte den Boden, als er die letzten Worte aussprach und hob dann ruckartig seinen Kopf und sah mich an.

„Sie sind schwul, oder?“, flüsterte er und mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, doch ich nickte tapfer.

„Meine Eltern haben mich vor die Tür gesetzt, als sie mich mit... mit einem anderen Jungen erwischt haben, als wir uns geküsst haben. Steven“, vervollständigte er seinen Satz und ich zog unwillkürlich meine Stirn in Falten. Steven war der Junior Quarterback der Schule, überall beliebt und machte sich durchgehend über Leon lustig!

„Er... er macht mich seitdem fertig, weil er behauptet, ich hätte ihn gezwungen. Er ist mein einziger Freund gewesen und... und ich hatte keine Ahnung, wohin ich gehen sollte. Meine... Meine Eltern haben mich nicht mehr ins Haus gelassen, egal wie oft ich geklingelt und wie heulend ich sie angefleht habe“, erzählte er von einigen Schluchzern unterbrochen und versuchte immer wieder seine Wangen zu trocknen, doch er konnte nicht aufhören zu weinen.

„Julio hat mich auf der Straße aufgelesen. Er hat gedacht ich wäre... eine... eine männliche Hure und als... als er gesehen hat, dass ich geheult habe, hat er mich auf einen Kaffee eingeladen. Er hat gesagt, dass ich bei ihm wohnen kann, wenn ich seine Firma unterstütze. Julio hat von Anfang an gesagt, dass... dass ich mit fremden Männern schlafen würde und man mich dabei... filmen würde, aber ich habe solche... solche Angst gehabt, dass mich irgendjemand auf der Straße verprügelt, oder umbringt und... deshalb bin ich mitgegangen“, sprach er leise und fast durchgängig starrte er an die Wand am Ende des Zimmers, nur bei den letzten vier Wörtern senkte er den Blick zu Boden.

Ich konnte nur schwer begreifen, was Leon da gerade erzählt hatte. Er wurde weder gezwungen, noch machte er die Filme freiwillig. Aber was sollte ich jetzt machen? Er wollte nicht mit diesen Männern schlafen, ganz eindeutig nicht. Er tat es aus Verzweiflung.

„Julio ist der Mann aus dem BDSM Film, das Atelier ist seine Wohnung, ich hab dort ein eigenes Zimmer“, erklärte er leise, während ich seine Worte einsinken ließ und er nach dem Mathebuch auf dem Boden griff. „Er hat nach dem ersten Film gemeint, dass ich einen Nicknamen bräuchte und ich habe gerade gelernt und das Buch vor mir liegen gehabt, deshalb habe ich den Namen Tade Wolf genommen, der wahre Tade Wolf wird es sicher nicht erfahren.“

Deshalb war mir also ein Deckname so bekannt vorgekommen. Was für ein ironischer Zufall, dass er gerade sein Mathebuch vor sich liegen gehabt hatte und sein Mathelehrer ihn nun mit seinem Leben außerhalb der Schule konfrontierte. Leon musste sich sicher schrecklich fühlen bei dem Gedanken, wie ich ihn gesehen hatte. Und was von ihm. Immerhin hatte ich ihn verdammt noch mal nackt gesehen, beim Sex mit Männern, ich hatte jeden einzelnen Teil seines Körpers ohne Kleidung gesehen.

„Leon, auch wenn du nicht zu deinen Eltern kannst und es wahrscheinlich von den Filmen abgesehen bei diesem Julio ganz angenehm ist, du kannst das nicht weitermachen. Diese Leute benutzen dich und deinen Körper, weil du jung, gut und verdammt unschuldig aussiehst und du darfst das nicht weiter zulassen. Sie machen sich strafbar, sehr sogar und du zerstörst dir dein ganzes Leben, wenn zu weitermachst. Diese Männer stehlen dir dein Leben und irgendwann hängst du so tief drin, dass du egal mit wie viel Anstrengung und Willen nicht mehr herauskommst“, sprach ich leise auf ihn ein, als ich endlich wieder meine Lippen bewegen konnte und mein Gehirn die Bilder von ihm in meinem Kopf wieder zur Seite geschoben hatte.

„Aber was soll ich sonst machen?“, fragte er nach kurzer Stille und blickte hilflos in meine Augen. „Julio und seine Partner haben schon einmal einen jungen Mann ins Atelier mitgebracht und nachdem sie mich rausgeschickt hatten, haben sie ihm gedroht, dass sie jedem Menschen der ihm etwas bedeutet und jedem der ihn kennt seine Filme zeigen werden, wenn er weiter mit dem Gedanken spielt aufzuhören. Sie würden das auch bei mir machen.“

„Denkst du wirklich, dass es das wert ist?“, fragte ich zurück und wir sahen uns einige Augenblicke lang in die Augen.

„Sie würden die Filme an meine Eltern schicken und sie würden sie hier an der Schule verbreiten. Ich will lernen, glauben Sie mir das, ich will ein richtiges Leben haben, einen richten Job und dafür muss ich einen Abschluss schaffen. Wenn... Wenn Julio und seine Partner die Filme den anderen Schülern zeigen, dann werde ich keinen ruhigen Tag mehr haben, sie werden mich verprügeln und sich über mich lustig machen und ich werde es nie schaffen die High School abzuschließen. Ich will das nicht“, flüsterte er.

„Du willst so weitermachen wie bisher und dir das immer weiter antun lassen?“, meinte ich und sah ihn ungläubig an. Leon zuckte nur mit den Schultern und seufze kaum hörbar.

„Denkst du, ich kann mir einfach so mit ansehen, wie diese Männer dich missbrauchen?“, sagte ich dann in vollem Bewusstsein, dass ihm diese Formulierung wehtun würde.

„Sie werden es tun. Immerhin kenne ich Ihr Geheimnis und Sie hätten hier genauso keinen ruhigen Tag mehr wie ich. Ich will Ihnen nicht drohen und ich würde niemals jemandem davon erzählen, dass Sie schwul sind, aber wenn Sie etwas unternehmen, würden alle erfahren, dass Sie diese Filme gefunden haben. Und es würde niemand eine Ausrede glauben“, flüsterte er und stützte sich dann langsam ab um aufzustehen.

„Leon, ich bitte dich! Du kannst die Schule wechseln, du kannst so viel tun, aber es bringt dich um, wenn du dich weiter benutzen lässt! Du kannst diesen Männern nicht deinen Körper überlassen, du darfst dich nicht als so wertlos ansehen lassen“, versuchte ich verzweifelt ihn zur Vernunft zu bringen, doch es schien nicht zu helfen. Er sammelte seine Bücher auf und hielt sie wieder mit seinem Arm fest vor seiner Brust.

„Sie brauchen keine Angst haben, ich werde wirklich niemandem erzählen, dass Sie schwul sind“, meinte er und blickte mich an. Er lächelte mich entschuldigend an und ging langsam zur Tür.

„Leon?“, rief ich bevor er den Raum verlassen konnte und er drehte sich wieder zu mir um. Ich erhob mich vom Boden und dachte angestrengt nach, was ich sagen sollte, während ich ihn anblickte.

„Du solltest mehr essen, du bist viel zu dünn“, sprach ich leise das einzige, was mir eingefallen war und sah, wie er seinen Blick vor Scham senkte. Man sah ihm mit Klamotten nicht im Geringsten an, dass er so dünn war und wir waren uns dem beide sehr bewusst.


Die kommenden zwei Wochen waren extrem unangenehm gewesen, für uns beide. Vor allem in den ersten Tagen hatte Leon versucht mir aus dem Weg zu gehen wo er nur konnte. Ich hatte ihn verstanden, wahrscheinlich war ihm erst im Laufe der Zeit wirklich bewusst geworden, dass ich ihn in... Positionen gesehen hatte, in denen ein Lehrer seinen Schüler niemals sehen durfte. Er hatte mir Leid getan, weil er das auch noch durchmachen musste.

Miteinander über „Tade Wolf“ geredet hatten wir nicht mehr. Wir hatten überhaupt nicht mehr außerhalb des Unterrichts geredet. Erst nach diesen zwei Wochen hatten wir uns überhaupt wieder richtig ansehen können und mittlerweile kam es sogar hin und wieder mal vor, dass wir uns gegenseitig ein kurzes, aufmunterndes Lächeln schenkten.

Manche Tage waren schrecklich. Für mich war der schlimmste Tag der gewesen, an dem er das erste Mal seit der neuste Film auf der Seite erschienen war, wieder ein T-Shirt und keinen Pullover getragen hatte. Leon hatte breitflächige, rote Flecken an den Unterarmen, leichte Brandwunden von der zu heißen Motorhaube. Ich hätte am liebsten geheult, als ich das gesehen hatte.

Für Leon war der schlimmste Tag gewesen, als Steven angefangen hatte ihn vor einer meiner Stunden zu beleidigen. Schon vom Gang aus hatte ich gehört, wie er Leon als Schwuchtel beschimpft hatte, als Nutte, und letztendlich gerufen hatte, dass er sich sicher von irgendwelchen alten Knackern in den Arsch ficken lassen würde. Ich war dazwischen gegangen und hatte Steven zwei Wochen Nachsitzen beschert, aber Leon hatte trotzdem geweint.

Ich war hilflos, nicht nur, weil ich Angst hatte das Geheimnis um meine Sexualität würde herauskommen, sondern auch, weil ich Leons Vertrauen, dass er mir entgegengebracht hatte, als er von seinem Leben erzählt hatte, nicht missbrauchen wollte. Wie es aussah hatte er zurzeit mal wieder seine Ruhe, seit dem letzten war kein neuer Film mehr aufgetaucht.

Es war ein Freitagnachmittag, an dem er sich völlig aufgelöst in das Klassenzimmer schleppte. Während der ganzen Stunde musste ich immer wieder zu ihm sehen und spürte ein schreckliches Gefühl, wenn ich ihn anblickte, denn irgendetwas musste passiert sein, irgendetwas Grausames.

Ich war noch nie so froh gewesen, dass eine Unterrichtsstunde zu Ende war, wie in dem Moment als es klingelte und die Klasse begann aus dem Zimmer zu strömen. Wie ich mehr gehofft als erwartet hatte, blieb Leon zurück. Er bleib auf seinem Stuhl sitzen, seine Sachen vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet, beide Hände mit gesenktem Blick in seinen Haaren vergraben.

Ich schloss die Klassenzimmertür und sah, dass er aufstand und auf mich zuging. Einige Augenblicke standen wir einfach nur voreinander, bis Leon seinen Blick hob und ich vor Schreck fast zusammengezuckt wäre. Seine Augen schrieen vor Angst, ihm war pure Panik ins Gesicht geschrieben, er sah aus, als würde man ihm sagen, er würde jeden Moment sterben.

„Leon?“, fragte ich flüsternd und legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter. Doch anstatt zu antworten brach er zusammen, als würde allein das Gewicht meiner Hand ihn in die Knie zwingen. Diesmal schaffte ich es ihn aufzufangen, bevor er richtig auf den Boden aufschlug, indem ich meine Arme reflexartig um seinen dünnen Körper schlang.

„Leon?“, wiederholte ich etwas lauter seinen Namen, ließ mich auf dem Boden nieder und plötzlich legte er seine Arme um meinen Nacken und hielt sich an mir fest. Ich war geschockt und überfordert einem Schüler so nahe zu sein, aber da meine Arme noch um seinen Körper geschlungen waren, weil ich ihn ja hatte auffangen müssen, fuhr ich ihm vorsichtig über den Rücken. Er schluchzte herzzerreißend und versuchte mich immer fester zu halten.

„Sie müssen mir helfen, bitte, Sie müssen mir helfen, Mr. Bell, bitte“, wimmerte er dann leise gegen meine Brust und begann zu zittern vor lauter Weinen. Himmel, was hatten dieser Julio und seine Partner ihm angetan?

„Ganz ruhig, beruhig dich. Du musst mir sagen, was passiert ist, Leon. Ich kann dir helfen, ja? Du musst mir nur sagen, was los ist, dann kann ich dir helfen“, beteuerte ich und ließ meine Hände lose auf seinem Rücken liegen, damit er sich jederzeit lösen konnte. Ich wusste nicht, was ich von dieser physischen Situation halten sollte, ich durfte das hier eigentlich nicht, aber ich wollte Leon nicht noch mehr verängstigen, wenn ich ihn abwies.

„Sie wollen, dass ich... dass ich...“, stotterte er und wurde von einem lauten Schluchzen unterbrochen. „Haben Sie die Meldung auf der Startseite gesehen?“ Ich überlegte einige Momente lang, was er meinte. Er war sich anscheinend recht sicher, dass ich die Seite auch weiterhin beobachtet hatte und natürlich hatte ich das jeden Tag getan, aber die einzige Meldung, die mir in den letzten Tagen aufgefallen war, war die über die Eröffnung eines neuen Genres, das mir in diesem Moment das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Genre war als „Rape-Movies“ betitelt worden mit einer zwanzigzeiligen Erklärung, dass die Schauspieler nur spielten und es freiwillig taten.

„Julio findet zu wenige von seinen Leuten, die... die sich für diese Filme zur Verfügung stellen und... und bevor er die anderen erpresst, will er mich zwingen. Aber... Oh Gott, ich will nicht, dass er das tut! Ich will nicht von irgendjemandem vergewaltigt werden, Julio sagt sie würden mich schlagen und... brutal sein und ich habe solche Angst! Wenn ich nicht freiwillig mitmache will er mich dazu zwingen, sie wollen mich wirklich vergewaltigen und sie... sie werden es machen sobald sie mich das nächste Mal sehen, ich kann nicht mehr nach Hause zu Julio, weil sie mich dort finden und... und...“, schluchzte er noch immer gegen meine Brust und verlor gegen Ende hin seine Stimme.

Oh Himmel! Das konnte nicht sein! Mein Gott, ich hatte diese Leute schon verabscheut Leons Obdachlosigkeit so schamlos auszunutzen, aber das war ja tausendmal schlimmer. Wie konnten die auf die Idee kommen Leon zu vergewaltigen und das zu vermarkten?

„Sie... Sie müssen mir helfen, er wird mich suchen und dann... Ich hab keine Chance gegen ihn, Julio ist stark und groß und... groß“, heulte er und brachte das letzte Wort kaum hörbar über seine Lippen. Mir lief ein eiskalter Schauer über den gesamten Körper, als mir bewusst wurde, was er mit diesem letzten Wort hatte ausdrücken wollen.

„Ich hab so Angst vor ihm“, flüsterte Leon kraftlos und passend zu seiner Stimme schien auch sein Körper schwächer zu werden. Ich vergaß wie unangenehm diese Situation für mich werden konnte und nahm ihn fest in meine Arme. Ich konnte nicht ausdrücken, was ich in dem Moment fühlte. Ich war paralysiert von der Angst in seiner Stimme, eingeschüchtert und ratlos. Ratlos? Ich durfte nicht ratlos sein! Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihm helfen konnte und ich würde ihm helfen! Ich musste ihm helfen.

„Ruhig“, flüsterte ich ihm zu. „Du brauchst keine Angst haben. Ich werde nicht zulassen, dass sie dir das antun, Leon. Hörst du mich? Ich werde das nicht zulassen.“ Er schluchzte leise auf und in diesem Moment war er das, was ich so oft über ihn dachte, nicht mehr als ein verängstigtes, unschuldiges Kind.

„Was wollen Sie tun?“, wisperte und löste sich dann vorsichtig von mir, noch immer unsicher in seinen Bewegungen. Seine Augen waren knallrot, ebenso wie seine Wangen.

„Wir werden jetzt zusammen zur Polizei fahren, Leon. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden dafür sorgen, dass weder Julio noch einer seiner Partner je wieder in deine Nähe kommt und dass du ein neues Zuhause bekommst, in Ordnung?“, erklärte ich leise.

Leon blickte mich nur mit großen, glänzenden Augen an und wischte sich dann wie in Zeitlupe mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht bevor er noch viel langsamer nickte.

„Pack deine Sachen, ja?“, meinte ich und wartete damit meinen Blick abzuwenden, bis er das Lächeln auf meinen Lippen gesehen und registriert hatte. Mir war egal geworden, dass zu viele Leute erfahren würden, dass ich schwul war und ich mir eine Pornowebseite angesehen hatte. Es war mir egal. Diese glänzenden Augen waren es wert mein bisher ruhiges Leben in den Wind zu schießen, ich wollte, dass er nicht mehr weinen musste.

Beide suchten wir unsere Sachen zusammen und während ich meine Tasche in die Hand nahm warf er sich seinen Rucksack über eine Schulter und zusammen verließen wir das Zimmer. Zielstrebig lief ich zum Parkplatz und schloss dann meinen Wagen auf, Leon folgte mir und setzte sich etwas zögerlich auf den Beifahrersitz, nachdem ich ihm bedeutet hatte seinen Rucksack auf die Rückbank zu legen.

Wir schwiegen auf dem Weg zur Polizeistation. Leon hatte aufgehört zu weinen und zu schluchzen und schien sich insgesamt beruhigt zu haben. Die Aussicht, all diese Grausamkeiten hinter ihm zu lassen, musste ihn beruhigen, was nun wirklich kein Wunder war.

Vor dem großen Backsteingebäude angekommen, verließen wir beide meinen Wagen und ich legte Leon eine Hand auf den Rücken um ihn zur Tür zu dirigieren. Mit einem Mut machenden Lächeln öffnete ich die große Glastür und ließ ihn vor mir eintreten.

„Guten Tag, Sir. Was kann ich für Sie tun?“, sprach der weibliche Officer am Tresen mich an und lächelte Leon herzlich an.

„Hallo, der junge Herr möchte eine Anzeige erstatten“, erklärte ich und legte ihm einen Arm um die Schultern, als er mit ängstlichem Blick ein wenig näher an mich herantrat.

„Folgen Sie mir bitte“, meinte der Officer und führte uns in ein Büro einige Zimmer weiter und ließ uns beide vor einem großen Schreibtisch Platz nehmen. Wenige Minuten später tauchte ein weiterer Officer auf, der sich mit dem Namen Sinclair vorstellte und während ich uns vorstellte erst mir, dann Leon die Hand reichte. Ich sah, wie dessen Hand dabei zitterte.

„Molly sagte, Sie möchten eine Anzeige gegen jemanden erstatten. Können Sie mir bitte den Namen und ihre Gründe sagen?“, sprach Officer Sinclair in ruhigem Ton zu Leon.

„Er heißt Julio Gauthier und er hat... Ich möchte...“, erklärte Leon stotternd und blickte nervös auf seine Hände. Man sah ihm an, dass er mit sich kämpfte, es war kein Wunder, dass es ihm schwer fiel jemand so fremden zu erzählen, was passiert war. Nach einiger Zeit hob er seinen Blick und sah mich Hilfe suchend an. Ich wechselte einen Blick mit Officer Sinclair, der mir zunickte, dass ich für Leon sprechen konnte.

„Mr. Gauthier hat Leon von der Straße aufgelesen, nachdem seine Eltern ihn vor die Tür gesetzt haben und ihn bei sich aufgenommen unter der Bedingung, dass er in pornographischen Filmen seiner Internetfirma mitspielt“, fasste ich grob zusammen und der Officer wandte seinen Blick von mir zu Leon.

„Leon, wie alt bist du?“, fragte er noch immer mit sehr ruhiger und nahezu feinfühliger Stimme.

„Sechzehn, ich war fünfzehn als er angefangen hat“, antwortete er flüsternd und mit vor Scham gesenktem Blick. Der Officer nickte langsam und schien schwer nachzudenken.

„Sie sind sein Onkel, Bruder, anderer Verwandter?“, wandte er sich dann wieder an mich.

„Nein, ich bin Leons Lehrer“, erklärte ich mit fester Stimme und erwiderte seinen Blick.

„Leon hat sich also an Sie gewandt, damit Sie ihm helfen? Können Sie mir sagen, wann und unter welchen Umständen?“, fragte der Officer und ich schluckte schwer. Damit war wohl die Stunde der Wahrheit gekommen, auch wenn ich nicht ganz verstand, warum er das gerade wissen wollte, ich würde nicht lügen, ich würde die Wahrheit sagen.

„Eigentlich habe ich mich an Leon gewandt. Ich habe ihn auf der Internetseite von Mr. Gauthier gesehen und wieder erkannt und ihn damit konfrontiert“, erklärte ich und zögerte einen Moment, blickte auf den eingeschüchterten Jungen neben mir. „Mr. Gauthier hat ihm gedroht ihn zu zwingen in einer Vergewaltigungsdarstellung mitzuspielen und daraufhin hat Leon mich gebeten ihm zu helfen und wir sind direkt hierher gefahren.“

Officer Sinclair blickte mich einige Momente an und ich konnte sozusagen sehen, wie sich in seinem Kopf die Rädchen drehten und ihm bewusst wurde, warum ich Leon wohl gefunden hatte.

„Können Sie mir bitte die Adresse zu der besagten Seite aufschreiben, Mr. Bell? Bitte zusammen mit einer Beschreibung wie wir die Filme finden, in denen Leon zu sehen ist“, sagte er dann ohne jegliche Verurteilung in seiner Stimme oder seinen Augen. Ich war ihm dankbar dafür, ich würde sicher noch von genug Leuten verurteilt werden.

Ich griff nach dem Blatt Papier und dem Stift von ihm, schrieb die Adresse und eine genaue Beschreibung wie man zur Profilseite von „Tade Wolf“ kam auf. Es fühlte sich seltsam an diesen Weg auf einem Polizeirevier einem Officer aufzuschreiben, nachdem ich diese Seite so oft angesehen hatte.

„Danke, Mr. Bell. Bitte warten Sie hier gemeinsam mit Leon, bis ich mich mit einem Kollegen von den Filmen selbst überzeugt habe“, erklärte er dann und lächelte Leon an, der sich zu einer scheuen, gekünstelten Erwiderung zwang. Wenig später waren wir alleine im Büro.

„Danke“, flüsterte Leon dann nach einiger Zeit Schweigen und hob schüchtern seinen Blick. „Danke, dass Sie das für mich tun, Mr. Bell. Ich weiß, dass es Ihr Leben kompliziert machen wird und es tut mir ehrlich leid. Aber ich danke Ihnen, dass Sie mir helfen.“

Ich blickte ihn an und konnte nichts anderes als Lächeln. Und als sich auch auf Leons Lippen ein ungekünsteltes Lächeln bildete, war ich überzeugt davon, dass es das wert gewesen war.

Ende

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