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Drauß' vorm Walde
Weihnachtschallenge 2009
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Informationen
- Story: Drauß' vorm Walde
- Autor: Waldi Anders
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Weihnachten, Challenge
Vorwort
Zur Weihnachtszeit mal was schön Kitschiges, was Seichtes ohne Anspruch. Zum Wohlfühlen für alle, die das Glück haben, jetzt jemanden an ihrer Seite zu haben. Und als Ansporn für die, die keinen haben.
Frohes Fest!
"Autsch!" Mühselig rappelte sie sich wieder vom Boden auf. "Scheiß Blitzeis!"
Vor Wut schäumend schmiss sie das Regal mit den Weihnachtskeksen um.
Mich immer noch vor Lachen krümmend, half ich der Fee vom Boden auf.
"Ach, Susi. Was können denn die armen Plätzchen dafür?"
"Nick?" Auf Susis Gesicht breitete sich ein Ausdruck des Schreckens aus. "Was zum Teufel machst du hier?"
"Meinst du, ich lass es mir entgehen, wenn du dich hier total zum Affen machst?" Ich lachte wieder und deutete auf ihre wirklich urkomische Aufmachung.
"Sehr witzig", ätzte sie. "Sorry, dass nicht alle von uns Geld im Überfluss haben und sich hin und wieder was dazuverdienen müssen."
"Schön und gut, aber das geht doch etwas zu weit, oder? Hier im Kaufhaus als Fee rum-"
"ICH BIN EIN ENGEL, DU VOLLPFOSTEN!"
"Ich wusste gar nicht, dass Engel kleine Glitzerzauberstäbe und schimmernde Flügel haben."
"Das...ähm...das war eine kleine Änderung meinerseits." Sie grinste verlegen. "Du weißt doch, ich steh' auf diesen Glitzerkram."
"Was sagt dein Boss dazu?"
"Das Christkind? Du weißt doch, dass Emily und ich gute Freundinnen sind. Die wird mir das schon durchgehen lassen."
"Susi. Du kannst nicht einfach ein Stäbchen mitbringen und tun, als wärst du Prinzessin Lillyfee. Du schaust aus, als hättest du dich in der Jahreszeit geirrt. Fasching is' erst in zwei Monaten."
"Sehr lustig. Du hast nicht zufällig 'nen Clown gefrühstückt?"
"Wie schon gesagt, Fasching ist-"
"Halt die Klappe, Nick! Und jetzt entschuldige mich. Ich muss gleich auftreten."
"Uh, du bist ja wirklich ein Star!"
"Und du ein Arsch." Damit zischte sie in ihrem weißen Kleidchen mit den schimmernden Flügeln in Richtung Eingangstür des Kaufhauses davon und die goldene Perücke wippte auf ihrem Kopf bedrohlich auf und ab.
"Pass auf, dass die Kinder nicht sehen, dass das Lillyfee-Engelchen lila Haare hat", rief ich ihr hinterher. Sie reckte nur ihren Arm nach oben und streckte den Mittelfinger aus. Ich prustete erneut los.
Ja okay, sie hatte schon Recht: Ich war ein Arsch, dass ich mich darüber lustig machte, dass sie das Geld für ihre Weihnachtsgeschenke hart erarbeiten musste. Ich hatte dagegen Glück, denn meine Eltern waren so reich, dass sie vermutlich selbst nicht wussten, wie viel Geld sie eigentlich wirklich hatten.
Bei Susi sah es anders aus. Seit sie in die Punk-Szene geraten war, hatten ihre Eltern ihr den Geldhahn zugedreht und sie aus dem Haus geworfen. Susi hatte mir erzählt, dass sie das machten, um ihr zu zeigen, dass das ständige Herumlungern keine Alternative zu einem ehrenwerten Leben war. Typisch Eltern. Wenn meine Erzeuger wüssten, dass sie nur Großeltern würden, falls meine bumsfidele kleine Schwester mal die Pille vergessen würde, würden sie mich vermutlich enterben. Sie hatten immer noch die Erwartung an mich, dass ich eines Tages mit der perfekten Schwiegertochter für sie antanze.
Das wird wohl nie passieren. Auch wenn ich es selbst gerne so hätte, aber...na ja...das ist eine Geschichte. So war ich mal wieder in der bescheuerten Situation, Weihnachten alleine verbringen zu dürfen. Irgendwie konnte ich all die Trottel verstehen, die sich im Winter vor einen Zug warfen – klar, das hörte sich hart an, aber bei den ganzen verliebten Paaren, die ja ach so verliebt über die Weihnachtsmärkte schlenderten und dabei so verliebt kicherten, verliebt Händchen hielten und so weiter, da musste man als Single ja depressiv werden.
Nicht, dass ich jetzt suizidal wäre. Aber diesen ganzen Aufwand, der um das Fest der Liebe betrieben wurde, war einfach nur zum Kotzen! Da kam zum x-ten Mal "Last Christmas" aus den Lautsprechern der Geschäfte. Eng umschlungene Paare streiften zwischen den Buden am Marktplatz hindurch. Überall lag der Duft von Glühwein, Plätzchen, Spekulatius und Tannenzweigen in der Luft. Aus den Schaufenstern winkten pausbäckige Weihnachtsmänner den Passanten zu.
Und ich? Ich stand hier allein, die Hände in die Taschen meines Mantels vergraben und starrte all die glücklich lachenden Menschen finster an. Jeder, der zu mir hersah, musste sich unheimlich fürchten, dessen war ich mir sicher. Ich sah sicher aus wie ein Attentäter, der plante dieses Treiben sehr abrupt zu beenden.
Ja, ich war neidisch. Und ja, ich wollte auch zu ihnen gehören, als einer von ihnen zwischen den Buden schlendern, Glühwein schlürfen und einen geliebten Menschen mit meinem Körper wärmen. Aber leider stand ich mir da selbst im Weg - wie schon erwähnt. Und daher lief ich mal wieder alleine durch das Kaufhaus und war eigentlich nur hier, um mich davon zu überzeugen, dass Susi sich auch wirklich lächerlich machte.
Kein sonderlich löblicher Grund, das wusste ich. Aber immerhin einer, der mich davon abhielt, schnurstracks wieder aus dem Kaufhaus zu stürmen, mich zu Hause einzugraben und auf den Sommer zu warten. Oder am Besten bis zum Herbst, weil das die einzige Jahreszeit war, in der mir die Verliebten nicht andauernd mit ihrem dämlichen Geturtel auf den Wecker fielen. Im Frühling gab es Hormonausbrüche, im Sommer Fleischbeschau im Freibad und im Winter dieses verdammte Weihnachten. Neulich hatten doch echt zwei Jungs in der Vorlesung andauernd rumgeknutscht. Und das eine Reihe vor mir!
Echt vielen Dank, dämliches Schicksal! Dass ich nichts von dem Stoff über Aminosäuren und Fette mitbekommen hab', verstand sich von selbst. Die beiden waren wirklich süß und alle Mädchen in meiner Reihe hatten draufgezeigt und diesen verträumt, schwärmerischen Blick bekommen, als wollten sie mir sagen: Das ist genau das, was man in dieser Zeit braucht. Einfach toll. Am liebsten wäre ich gegangen, aber dann würde es immer gleich heißen, man wäre homophob.
Dabei wollte ich mich doch nur selbst schützen. Ich hasste mich dafür, dass ich mich an die Stelle von einem der beiden gewünscht hatte. Und zugleich genoss ich jeden einzelnen Moment, denen ich beiden zusehen konnte. Denn das, was die beiden hatten, war das, was ich am meisten wollte und zugleich vor allem anderen fürchtete. Nein, da blieb ich lieber alleine und in der Rolle des Beobachters.
"Sehr geehrte Kunden, liebe Kinder. In wenigen Minuten bekommen wir in der großen Halle hohen Besuch. Bitte halten sie die Plätze vor allem für unsere kleinen Besucher frei. Vielen Dank."
Na, das konnte ja heiter werden. Lauter kleine Kinder, die mit strahlenden Augen eine der größten Schlampen, die unsere Kleinstadt zu bieten hatte, anhimmelten, weil sie diese für etwas hielten, dass es theoretisch nicht gab. Schließlich war Jesus ja keine Frau. Und von unschuldigem Mädchen konnte bei Emily auch keine Rede sein. Seit ich unter der Woche zur Uni pendelte und nicht mehr so oft zu Hause war, hatte ich zwar nicht mehr so viel von ihren Eskapaden mitbekommen wie früher, aber der kleine Rest, von dem ich hörte, reichte vollkommen.
Es verging eigentlich keine Woche, in der sie keinen neuen Typ an der Angel hatte. Gut, sie sah wirklich gut aus - das musste sogar ich zugeben -, aber eigentlich hätte inzwischen jeder Idiot von ihr und ihrem Männerverschleiß hören müssen. Na gut, vielleicht zog das diese Idioten ja auch an, wer weiß.
"Mami, tommt jetzt das Christlind?", hörte ich da neben mir ein kleines Kind sagen. Ich drehte mich zu ihm um und sah, wie es mit blitzenden Augen zu seiner Mutter aufblickte. Ich sah auch das leicht spöttisch-wissende Lächeln der Mutter, als sie antwortete.
"Gleich, mein Schatz."
"Bringt es heute schon Geschente? Vielleicht einen Schololadenhasen?"
"Ach, Leon. Hasen gibt’s doch nur an Ostern."
"Dann einen Schololadennitilaus."
"Schokoladen-NIKOLAUS", verbesserte die Mutter mit leicht tadelndem Blick, aber trotzdem mit dem liebevollen Ausdruck in den Augen, der in etwa bedeutete: Wenn du wüsstest, wie wenig Zeit dir als Kind bleibt. Hoffentlich bleibst du lange genug jung.
Ja, oft wünschte ich mir, auch wieder Kind sein zu dürfen. Damals war vieles einfacher gewesen. Mit etwas kindlichem Glauben hatte man Monster entstehen lassen können. Tapfere Ritter, die diese besiegten, um schönen Prinzessinnen zu gefallen oder diese zu befreien. Man hatte sich selbst Superkräfte andichten können. Sich die besten Freunde vorstellen und wieder verwerfen können, wenn man ihrer überdrüssig geworden war.
Doch schöner als die kindliche Phantasie war eindeutig die Begeisterungsfähigkeit. Die Eltern hatten nur das Wort "Weihnachten" in den Mund nehmen müssen und sofort waren die Kinder Feuer und Flamme gewesen. Sie hatten ellenlange Wunschzettel geschrieben, auch wenn sie jedes Jahr erlebt hatten, dass nur der kleinste Teil der geforderten Sachen "geliefert" worden war. Als Kind war man wirklich frei gewesen. Frei von allen Konventionen, allen Erwartungen und frei von jeglichem Druck.
"Guck mal, Papi, da, da kommt es!", schallte es aus einer anderen Ecke der Einkaufshalle. Ruckartig bewegten sich die kleinen Köpfe und Körper in die angezeigte Richtung, wo gerade Emily in ihrem weiten Kostüm die Rolltreppe herabfuhr. Vom Himmel hoch, da komm ich her, einmal anders. Ich verdrehte die Augen. Wenn die alle hier wüssten, wie Emily wirklich war, hätten sie ihre Kinder an der Hand genommen und sie mit sich nach draußen geschleift. Neben dem "Christkind" stand Susi, die mit ihren Schimmerflügeln in der Gruppe der vier Rauschgoldengel reichlich deplaziert wirkte. Aber ihr schien das gar nichts auszumachen - zumindest ließ sie sich nichts anmerken.
"Wart ihr denn auch alle brav?", fragte Emily und sah gespielt argwöhnisch auf die Menge der Kinder hernieder. "Mein Freund, der Weihnachtsmann, erzählt mir nämlich alles. Ihr braucht mich also nicht anzulügen. Also, war jemand hier NICHT brav?"
Tatsächlich hoben ein paar Kinder zaghaft die Hand, starrten jedoch krampfhaft zu Boden, als würde der Blick des Christkinds sie sonst zu Stein verwandeln. Über Emilys Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln.
"Was habt ihr denn so Schlimmes angestellt? Ich denke, ich schicke euch mal meinen Elfen, der euch das fragt. Fabi." Hinter einem der Tannenbäume trat eine Gestalt mit einer langen, grünen Zipfelmütze hervor, zog ein Mikro aus seiner Seitentasche und sprang von der Bühne herunter. Ich konnte den Jungen nicht genau sehen, schätzte aber, dass er etwas jünger als ich war. Plötzlich fand ich die Veranstaltung doch wieder interessant - wenn auch ungewollt.
"Na, was hast du angestellt?", fragte der "Elf" das nächstbeste Kind, das ihn nur kurz ansah und dann wieder auf den Boden starrte. Ich fand, dass der Elf eine sehr angenehme und erstaunlich reife Stimme hatte.
"Ich...ich...hab' nich' immer auf meine Mami gehört."
"Na, das macht man aber nicht. Man muss immer auf seine Eltern hören."
"Bekomm ich jetzt keine Geschenke mehr?", fragte der kleine Junge mit weinerlicher Stimme.
"Das muss ich mit deiner Mami abklären", warf Emily ein. "Na, Mami, was meinst du?"
"Ach, manchmal ist der Jan schon recht bockig. Aber das mit den Geschenken muss in Ordnung gehen, Christkind", sagte die Mutter schmunzelnd. Der Kleine strahlte, als Emily nickte und ihren Elfen weiterschickte. Der Junge blieb jetzt vor einem kleinen Mädchen stehen, das bereits jetzt die Tränen in den Augen hatte.
"Na, du brauchst doch keine Angst haben, meine Kleine. Was hast du den Schlimmes angestellt?"
"Ich hab' meine große Schwester geärgert und ihre Sachen versteckt", schluchzte sie.
"Tststs, das ist aber nicht nett." Der Elf schüttelte den Kopf.
"Ja, ja, ja, aber dafür hab ich extra ein Gedicht gelernt, vielleicht mag mich das Christkind dann wieder." Leises Gelächter brandete durch die Reihen der Eltern. Der Elf lächelte. Er stand jetzt näher bei mir, so dass ich sein Gesicht besser erkennen konnte. Er hatte eine relativ kleine Nase, blaugrüne Augen und unter seiner grünen Mütze drängte sich der Ansatz einer dichten, dunkelblonden Mähne hervor. Um ehrlich zu sein, fand ich ihn wirklich süß. Aber ich war selten so ehrlich zu mir und daher beschloss ich, ihn nur als allgemein attraktiv zu bezeichnen - ohne jegliche Wertung.
"Na, dann lass mal hören."
Dann betete die Kleine Knecht Ruprecht von Theodor Storm herunter, dass einem schwindelig wurde. Sie vergaß keinen Vers und ließ am Ende ihres Vortrags eine Runde staunender Erwachsener zurück, einen süßen blonden Elfen eingeschlossen.
"Nun, ich denke, das dürfte reichen, dass du doch noch Geschenke bekommst", meinte Emily, die als erste ihre Fassung wiedererlangt hatte. "Das hast du wirklich sehr schön aufgesagt." Die Kleine umarmte strahlend ihre Mutter, die ebenfalls erstaunt dreinblickte. Offenbar hatte sie nicht mit so etwas gerechnet.
Das ganze wiederholte sich noch zwei oder dreimal, dann waren die Geständigen wieder besänftigt und brauchten keine Angst mehr um ihre Geschenke an Heiligabend zu haben. Zuletzt schickte Emily ihre Engel und die Susi-Fee aus, um kleine Schoko-Nikoläuse zu verteilen. Schließlich begann sich die Menge zu zerstreuen und Emily trat den Rückweg an. Susi und der Elf blieben in der Halle stehen und unterhielten sich noch. Mein Chance.
"Die Fee und der Elf, wie passend."
"Boah, Nick, ich bin...ach was soll's, ist eh bloß verschwendete Zeit bei dir. Darf ich dir meinen Cousin Fabian vorstellen? Fabi, das ist Niklas, der größte Depp den's gibt."
"Schön, den Deppen mal kennenzulernen", meinte Fabian und grinste. "Susi erzählt wirklich viel von dir."
"Ach tut sie das?"
"Nur Schlechtes, Nick", sagte Susi und lachte. Ich grinste säuerlich.
"Also, Susi, jetzt sag' mal, wo du überhaupt wohnst. Das wollt ich dich grade fragen, bevor uns der Depp unterbrochen hat." Fabian knuffte mich leicht in die Seite. Anscheinend hatte er entweder keinen Respekt vor anderen oder war sehr unsicher und wollte das durch kumpelhaftes Auftreten wettmachen. Beides würde ihn mir noch sympathischer machen. Oder wollte er mich sogar...Man Nick, lass das. Nicht jeder der dich berührt, will auch gleich was von dir. Du würdest doch eh nix von ihm wollen, oder?
"Na ja, ich penn jetzt bei mei'm Macker."
"Chris?"
"Jep. Is' ganz gechillt. Auf jeden Fall besser als zu Hause bei diesen Spießern."
"Ja, ich hab' schon gehört, wie Tante Gudrun sich bei meiner Mom ausgeheult hat, was sie denn bloß mit dir falsch gemacht hat. Aber solang du auf diesem - wie hat sie es noch mal rübergebracht? - Asso-Trip bist, will sie dich nicht in ihrem Haus haben. Was würden denn die Nachbarn denken?"
"Ja, was soll'n die schon denken? Bestimmt, dass meine Alten bei meiner Zeugung auf Drogen waren. Anders lässt sich so was wie ich ja nicht erklären."
"Warum bist du eigentlich nich' zu uns gekommen?"
"Ach, hätte deine Mutter mich SO aufgenommen?" Susi zog die Perücke ab und ihr lila-gefärbtes Haar kam zum Vorschein. Fabian hob eine Augenbraue.
"Da hast du wohl Recht." Er sah auf die Uhr. "Oh, Fuck. Ich müsste schon längst auf dem Heimweg sein. Heut hat's ja frisch geschneit und dann räumen die doofen Streuwagen immer unsere Einfahrt zu. Wenn's finster is', komm ich da nie drüber. Wird verdammt knapp."
"Hey Nick, du könntest ihn doch mitnehmen. Fabi wohnt direkt auf deinem Heimweg, in dei'm Nachbarskaff. Oberbrunn 7. Sagt schon alles, wenn man keine gescheiten Straßennamen hat"
Bist du wahnsinnig?! Ich setz' mir doch nicht die große Versuchung zu mir ins Auto.
"Klar, kein Problem."
"Echt? Hey, das wär echt super, Mann." Fabians Augen leuchteten. "Sonst hätt' ich jetz' noch mit'm Bus fahren müssen. Und dann auch noch 'n ganzes Stück laufen."
"Ja, nee. Wenn du ja auf dem Weg liegst."
"Spitze."
"Na dann lass uns mal losgeh'n. Nicht, dass du trotzdem zu spät nach Hause kommst."
"Hey, ich werd in einer Woche achtzehn, ich bin kein Baby mehr!"
"Eben", sagte Susi. "Du wirst achtzehn. Solang du's noch nicht bist, solltest du besser auf Mami und Papi hören. Sonst geht’s dir wie mir."
"Sehr witzig." Fabian verzog angesäuert das Gesicht. "Na gut, dann beeilen wir uns eben."
"Mach's gut, Nick." Susi umarmte mich. "Sehn wir uns am nächsten Wochenende?"
"Mal schaun. Eigentlich wollten wir zu Hause 'ne Familienfete schmeißen, wie jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester. Aber irgendwann später abends werd ich bestimmt noch Zeit frei schinden können. Also geh' mal davon aus, dass wir uns sehen."
"Schreckliche Vorstellung."
"Blöde Fee!"
"Hey, nichts gegen Susis Kostüm, ja!", ging Fabian dazwischen. "Das hat sie zusammen mit mir ausgesucht."
"Du hast ihr zu dem da geraten?" Mein Herz machte insgeheim einen Riesensprung. Normale Jungs würden das Glitzerteil sicher von Natur aus als enorm abstoßend bezeichnen. War das etwa ein Zeichen? Und wenn schon? Was interessiert's dich?
"Na klar! Sieht doch spitze aus." Fabian reckte mit einem triumphierenden Grinsen beide Daumen nach oben. Zuerst sah ich mich in meiner freudigen Beobachtung bestätigt, doch dann presste er fest die Lippen aufeinander, um nicht laut loslachen zu müssen.
"Boah, Fabi, du bist genauso ein Penner wie Nick!" Susi hämmerte gespielt auf ihren Cousin ein. "Ich find's schön und damit basta!"
"Ich versteh' echt nich', warum Emily dich damit auftreten lässt. Da könntest du ja fast schon deine Perücke weglassen. Hätte fast den gleichen Effekt." Er kicherte.
"Blabla." Susi schürzte die Lippen. "Ihr Männer seid doch alle gleich. Ungehobelt und unsensibel."
"Ich glaube, wir ungehobelten Eisklötze sollten uns jetzt langsam auf den Weg machen, was meinst du?", fragte ich Fabian, der zustimmend nickte. "Gut, dann bis demnächst, Susi." Ich umarmte sie zum Abschied noch mal, dann machte ich mich mit Fabian an meiner Seite auf den Weg zum Auto. Er zog seine grüne Zipfelmütze ab und schüttelte seine gewellten Haare aus, die ihm knapp über die Ohren fielen.
"Ich hasse diese Mütze. Da drunter schwitz' ich immer so." Er fuhr sich prüfend durch die Haare. "Hm, da kann ich wohl heute nichts mehr machen."
"Was machen?"
"Na, die wieder in Ordnung bringen. Ich hasse es, wenn meine Frisur scheiße aussieht. Macht doch jeder."
"Sicher."
"Was soll denn der Unterton? Heutzutage wird keinem was geschenkt, Alter. Wer sich nicht gewinnbringend vermarktet, kann gleich sterben gehen."
"Is' das nicht ein bisschen übertrieben?"
"Na guck dir die ganzen Kerle im Fernsehen und so doch mal an! Alle groß, muskulös, mit makelloser Haut und perfekt sitzender Frisur. Ich hab Pickel, bin grade mal einsneunundsechzig und von Muskeln keine Spur. Da müssen wenigstens die Haare passen! Findest du nicht auch?"
"Also ich schau mir in der Glotze weniger die Kerle an", log ich.
"Alles zu Forschungszwecken!" Ich glaubte aus den Augenwinkeln zu bemerken, dass Fabians Gesichtsausdruck für einen Moment weit weniger selbstbewusst wurde, als es sein Ton weismachen wollte.
Den Rest des Weges zum Auto legten wir schweigend zurück. Ich verfiel wieder einmal in meine mir so verhassten Gedanken, was sich schnell an einer spannenden Stelle im Schritt bemerkbar machte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, konzentrierte mich auf tiefes Ein- und Ausatmen und hoffte darauf, dass die Erregung von mir abfiel. Ein süßer Ex-Elf, der zitternd neben mir herhüpfte, machte das nicht gerade leichter.
"Sag' mal, warum hast du denn keine dickere Jacke dabei? Es ist schließlich Dezember!"
"Fang' du nicht auch damit an." Fabian verdrehte die Augen. "Du hörst dich an wie meine Mutter. Pass ja auf, dass du dich nicht erkältest; Zieh dich warm an; Bleib nicht zu lange; blablabla. Sie hält mich immer noch für ein Kleinkind. Ich kann ganz gut auf mich allein aufpassen."
"Ach ja?", meinte ich schmunzelnd. "Und deswegen hast du auch deinen Bus verpasst, stimmt's?"
Fabian zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. "Susi hatte echt Recht."
"Womit?"
"Dass du ein Depp bist!"
Wenn er mir nicht im selben Moment so unschuldig zugezwinkert hätte, dann hätte ich ihn wohl einfach stehen lassen, wäre alleine zu meinem Auto gegangen und hätte darauf geschissen, wie er die Schneeberge vor seinem Haus überwunden hätte. So schüttelte ich nur den Kopf, verdrehte die Augen und seufzte.
"Redest du eigentlich mit allen Fremden so?"
"Bist du denn ein Fremder?"
"Na ja, wir haben uns genau genommen erst vor einer halben Stunde kennengelernt. Also ja, ich bin ein Fremder."
"Aber du kennst Susi. Also bist du nicht unbekannt. Und wenn Susi so mit dir reden darf,-"
"-dann heißt das noch lange nicht, dass ihr halbwüchsiger Cousin das auch darf!"
"Du nimmst dir aber auch viel raus für einen Fremden", fauchte er. Seine Augen blitzten. "Weißt du, vielleicht sollte ich doch einfach mit dem Bus fahren. Irgendwie komm ich schon über die Schneemassen drüber. "
"Ich hab' dich nicht gezwungen mit mir zu fahren." Was für'n Film lief hier eigentlich gerade? Ich stritt mich mit einem 17-Jährigen, den ich unerhört scharf fand, darum, ihn mitzunehmen - obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte.
"Schön, dann geh' ich halt wieder, wenn du mich nicht haben willst!"
"Was geht'n bei dir eigentlich grad ab?", fragte ich leicht angesäuert - aber auch ängstlich, weil ich mich ja schon auf die Aussicht gefreut hatte, mit ihm gut zwanzig Minuten im Auto verbringen zu dürfen.
"Ja, gute Frage." Er kaute verlegen auf seiner Unterlippe herum. "Hat nichts mit dir zu tun, hmmm oder doch, aber ... ach das ist zu kompliziert, zu erklären."
"Du könntest es versuchen", sagte ich aufmunternd. "Auch wenn das abgedroschen klingt, reden hilft."
"Du hast recht", meinte er. Ich wartete auf einen Gefühlsausbruch, doch stattdessen kam nur ein: "Es klingt abgedroschen."
"Idiot", sagte ich - wohlweislich so leise, dass er es nicht hören konnte.
"Wie weit ist es eigentlich noch? So weit, wie du weg geparkt hast, hätten wir ja gleich laufen können. Ich frier mir gleich was ab."
"Selber schuld", meinte ich - und zog im selben Moment meine Jacke aus! Es war eisigkalt und ich begann augenblicklich zu zittern. Aber das Leuchten in seinen Augen entschädigte mich komplett dafür, als ich die Jacke zu ihm hinüberlangte und sagte: "Hier nimm meine."
"Hey, cool. Danke Mann."
"Keine Ursache", sagte ich, wobei ich darauf achten musste, dass meine Zähne nicht zu sehr klapperten. Schließlich wollte ich ja als der starke Beschützer dastehen - und nicht als Weichei. Ja, ich benahm mich dämlich. Und obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, wusste ich auch wieso. Ich versuchte nämlich unterschwellig bei Fabian zu landen. Bescheuert was? Ich hatte ja schließlich keinen begründeten Anlass zu der Annahme, dass dieser Versuch je Erfolg haben würde.
Zum Glück hatten wir mein Auto auch schon erreicht und ich ließ den Motor im Stand erst mal ein bisschen warm laufen, so dass es nicht allzu kalt sein sollte, wenn wir fuhren.
"Du weißt schon, dass so was eigentlich verboten ist?", fragte Fabian keck. "Also ich mein', den Motor einfach so laufen zu lassen - noch dazu in einer Wohngegend."
"Ich lass gleich jemand anderen laufen", knurrte ich, musste dabei aber grinsen, so dass Fabian gleich auffiel, dass es mir nicht ernst damit war.
"Versuchst du immer so geistreich zu sein?"
"Was heißt den hier versuchen? Ich bin es!"
"Dann war das eben aber ein Ausdruck einer SCHWACHEN Persönlichkeit", stichelte Fabian. "Wenn geistreich zu sein das ist, was deine Persönlichkeit ausmacht, heißt das." Er lachte leise in sich hinein.
"Und du hast bestimmt einen Clown gefrühstückt. Einen besonders unlustigen Clown!"
"Hey! Ich bin immer witzig!"
"Ach ja, dann sag mal was Witziges", meinte ich, während ich den Wagen langsam auf die Straße lenkte. Heute hatte es geschneit und anstatt, dass die Räumdienste den Schnee einfach auf die Seite schafften und nachher Split streuten, wurden Tonnen von Salz verteilt. Der Schnee mochte dadurch zwar schmelzen, aber sobald eine gewisse Temperatur unterschritten wurde, verwandelte sich der vermeintlich sichere Untergrund zu einer spiegelglatten Eisfläche.
"Das geht nicht auf Knopfdruck!", erwiderte Fabian gespielt empört - ich merkte das an seinem andauernden Grinsen. Er reckte gekünstelt arrogant den Kopf in den Nacken und rümpfte die Nase. "Ich bin ein Meister in spontanen Pointen, du Banause." Dann prustete er los und ich konnte nicht anders, als mit einzustimmen.
"Okay, das eben lass ich mal als halbwegs guten Witz durchgehen", sagte ich, während wir die Stadt auf der Hauptstraße verließen und ins dunkle Hinterland vorstießen.
"Boah, wie ich es hasse, in so einem Kaff festzuhängen", maulte Fabian. "Immer wenn in der Stadt was geht, brauch' ich jemanden, der mich mitnimmt - oder zumindest 'ne Unterkunft in der Nacht. Ich bin so froh, wenn ich endlich 18 bin. Dann kann ich selber fahrn."
"Ja und zwar immer", prophezeite ich. "Dann is' nix mehr los mit Saufen und so weiter. Freu dich also nicht zu früh."
"Hm, vielleicht hast du Recht. Aber lieber fahren und nichts trinken, als zu Hause zu sitzen, alleine zu trinken und nicht zu fahren."
"Hey, du machst grad das runter, was ich mir unter einem entspannten Abend vorstelle", scherzte ich.
"Langweiler", sagte Fabian und gähnte gekünstelt.
"So wirst du auch noch, bestimmt."
"Nein, niemals! Wenn, dann werde ich wie Susi."
"Ach quatsch, da fehlt dir der Mut zu", frotzelte ich. "Weil zu Hause bei Mami ist's doch viel schöner als in 'ner Pennerunterkunft."
"Pah, das sagst vielleicht du. Schließlich wohnst du ja noch bei Mami", meinte er, wobei er haargenau meinen Tonfall imitierte. "Und außerdem bin ich sehr mutig. Bestimmt tausendmal mehr als du!"
"Kann ja jeder sagen."
"Okay. Das wollen wir sehn. Ich wette, du traust dich nicht, für fünf Sekunden blind Auto zu fahren."
"Was?" Mir klappte vor Entgeisterung der Unterkiefer herunter.
"Ha, wusst' ich’s doch!" Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf Fabians Gesicht aus.
"Willst du uns umbringen?"
"Ach was, ich pass doch auf, ob was kommt."
"Ja, klar. Und wenn ich dann guck, heißt's ich hab' verloren, obwohl ich bloß unsern Arsch rette."
"Hältst du mich für so hinterhältig?", fragte er und zog einen Schmollmund. Mich durchfuhr ein warmer Schauer. Verdammt, warum brachte der mich so aus dem Konzept.
"Weiß nicht. Kenn dich ja kaum", nuschelte ich kaum vernehmlich.
"Dann wird's Zeit, dass du mich kennenlernst."
"Soll das eine Drohung sein?", scherzte ich lasch, weil ich wusste, dass ich ihm - so blöd seine Idee auch war - bald nachgeben würde.
"Hm, so war's zwar eigentlich nich' gemeint, aber wenn du's so verstehen willst: Du traust dich nix und darum wirste auch nich' die Augen zumachen!"
"Das woll'n wir ja mal sehn", zischte ich und schloss wider besseren Wissens die Augen. Neben mir begann Fabian zu zählen.
"Eins. Zwei. Dr- VORSICHT!"
Erschrocken sah ich auf die Straße und blickte direkt in die Lichter eines LKWs, dem ich gefährlich nahe gekommen war. Ruckartig riss ich das Lenkrad herum und nun wurde mir zum Verhängnis, was ich vorhin bereits bemängelt hatte. Anstatt die Straße mittels Split längere Zeit sicher zu gestalten, hatten die Streuwagen der Straßenmeisterei auf die einst geschlossene Schneedecke eine Schicht Salz geworfen. Und da es jetzt kälter geworden war, hatte sich die schöne schneefreie Straße in einen Eiskanal verwandelt. Mein Auto schlingerte also gefährlich und brach schließlich seitwärts aus.
"Scheiße!", fluchte ich, als unsere Rutschpartie von einer Schneewand gestoppt wurde, die anscheinend am Straßenrand von den Räumfahrzeugen aufgetürmt worden war. Ich trat das Gaspedal durch, doch das Auto bewegte sich keinen Zentimeter mehr. Fluchend sprang ich aus dem Wagen und begutachtete die Situation. Meine Vorderräder steckten ungefähr bis zur Hälfte in der Schneewand und hatten sich durch meinen rabiaten Befreiungsversuch nur noch tiefer hineingefressen.
"Kannst du mal aufs Gas treten?", rief ich Fabian zu, der immer noch wie angewurzelt auf dem Beifahrersitz saß und starr geradeaus blickte. "Dann kann ich versuchen...HEY, bist du festgewachsen oder was?!" Mein rabiater Ton tat mir Leid, aber aufgrund der Situation hielt sich das Mitleid natürlich auch in Grenzen. Schließlich war es ja seine Schuld gewesen.
"Sorry Nick", kam es da zaghaft aus dem Wageninneren. "Da war diese doofe Kurve und durch die Bäume...-...da hab ich wohl den Laster übersehen. Wirklich, das war keine Absicht."
"Wär ja noch schöner!", schnaubte ich. Fabian ließ den Kopf hängen.
"Würdest du jetzt vielleicht endlich mal deinen Arsch bewegen und aufs Gas treten", fauchte ich ihn an, als er immer noch keine Anstalten machte, meiner Aufforderung von zuvor nachzukommen. Dafür beeilte er sich jetzt umso mehr.
"Weißt du, was du machen musst?", fragte ich vorsichtshalber, erntete aber nur einen giftigen Blick.
"Nächste Woche 18, schon vergessen?"
Ich nickte und stiefelte vor mein Auto. Erst jetzt bemerkte ich, dass Fabian immer noch meine Jacke trug. Mir wurde plötzlich kalt. Aber mit etwas Glück war ich ja bald wieder im Warmen, also war's egal.
"Jetzt!", rief ich und drückte mit meinem ganzen Körper auf die Motorhaube, während Fabian aufs Gas trat. Ich hatte die Hoffnung gehabt, dass mit genügend Druck von oben die Reifen vielleicht wieder Grip hätten und den Wagen so aus dem Schlamassel befördert hätten. Doch meine Hoffnung wurde enttäuscht. Stattdessen hörte ich nichts mehr. Bis auf Fabians von Flüchen begleitete Versuche, den Motor wieder zu starten.
"Verdammt, mach ich denn heute alles falsch?"
"Na ja, dafür kannste ja nix. Is' halt schon ein etwas älteres Modell", beschwichtigte ich ihn. "Ich hab' eh schon lange drauf gewartet, dass der mal den Geist aufgibt."
"Aber doch nicht jetzt, verfluchte Scheiße! Ich mein, jetzt sitzen wir hier draußen vorm Wald fest, es ist arschkalt und das Auto fährt nicht mehr weiter. Und ich bin an allem schuld."
Da konnte ich ihm nicht widersprechen. Schließlich entsprach das der Wahrheit. Gerade, als ich doch wieder etwas sicher unheimlich Tröstendes sagen wollte, hellte sich sein Gesichtsausdruck auf.
"Na klar, das ist es! Ich ruf' meinen Vater an. Der hat neben seinem normalen Auto noch so 'nen kleinen Unimog. Vielleicht kann er uns damit hier rauszieh'n und zumindest bis zu uns mit abschleppen."
"Hast du nicht gesagt, ihr werdet immer zugeräumt?"
"Ja, schon, aber für so 'nen Unimog dürfte das bisschen Schnee ja wohl kein Problem sein, oder?"
Da musste ich ihm Recht geben. Also gab ich meine vergeblichen Bemühungen auf, die Reifen aus dem Schnee zu buddeln und setzte mich zurück ins Auto. Erst jetzt, als der Rest von Wärme, der hier noch vorhanden war, meine Haut berührte, fiel mir auf, wie sehr es mich fror. Ich begann heftig zu zittern und mit den Zähnen zu klappern.
"Ach Mann!", fluchte Fabian neben mir.
"Was ist denn jetzt schon wieder?"
"Ich hab ja deine Jacke und jetzt erfrierst du hier fast." Er machte tatsächlich Anstalten, die Jacke wieder auszuziehen. Und das, obwohl er auch schon mit ihr bibberte.
"Lass den Quatsch und ruf lieber deinen Vater an", wies ich ihn zurecht. Er sah mich weiterhin schuldbewusst an, dann zückte er sein Handy und folgte meiner Anweisung. Ich hörte bei dem Gespräch nicht genau hin, denn meine ganze Konzentration ging dafür flöten, dass ich versuchte, nicht zu stark zu zittern. Schließlich wollte ich Fabian ja nicht noch mehr schlechtes Gewissen machen.
"Also, mein Dad ist in gut zehn Minuten hier. Falls extrem viel Schnee vor unserer Einfahrt liegt, eventuell auch 'n bisschen später. Er hat gemeint, wir sollen versuchen uns gegenseitig warm zu halten, weil wir sonst leicht unterkühlt würden."
Auch das noch! Heute war echt nicht mein Tag. Da saß ich hier, einen Tag vor Weihnachten, mit einem wirklich unglaublich niedlichen "Elfen" in meinem Auto, versuchte meine Gedanken soweit wie möglich davon abzuhalten, ständig um ihn zu kreisen - und er schlug vor, dass wir hier kuscheln sollten!
"Nee, lass mal, das halt ich schon aus die paar Minuten."
"Ja du vielleicht", meinte er nur und schon saß er mir zugewandt auf dem Schoß, öffnete die Jacke und breitete sie über uns aus. Dann ließ er sich nach vorne sinken und schmiegte seinen Kopf an meine Brust. Mir stockte der Atem.
"Du bist ganz schön warm", stellte er verwundert fest. "Obwohl du da draußen ja fast erfroren wärst."
Das liegt daran, dass du mich so verdammt heiß machst! Natürlich sagte ich das nicht laut. Und natürlich hasste ich mich dafür, es überhaupt zu denken. Aber insgeheim fand ich es toll, Fabian an mir zu spüren, seine Wärme zu fühlen, die jedoch langsam von der Kälte verdrängt wurde. Darum war ich teils froh, teils enttäuscht, als es plötzlich an der Fensterscheibe klopfte.
"Hey, ihr beiden, alles klar?", rief Fabians Vater - ich nahm einfach an, dass der Mann das war - zu uns herein. Fabian schnellte von mir herunter und sprang aus dem Wagen.
"Super, dass du's jetzt schon geschafft hast, Paps. Nick ist fast erfroren."
"Wirklich?", fragte sein Vater und beugte sich mit besorgter Miene zu mir herab. "Sie sehen wirklich etwas unterkühlt aus. Ihre Lippen sind ganz blau. Warum haben Sie denn auch keine Jacke an?"
Ich wollte ihm nicht antworten, um Fabian nicht noch mehr zu belasten, aber das tat dieser dann schon von selbst.
"Ich hab' seine Jacke", meinte er schuldbewusst.
"Mein Gott, Fabian", sagte sein Vater und verdrehte die Augen. "Deine Mutter hat doch..."
"...gesagt, dass ich nich' ohne aus dem Haus gehen soll, jaja."
"Aus gutem Grund. Du lässt hier den armen jungen Mann fast erfrieren, nur weil du nicht auf deine Mutter hören willst."
"Das ist jetzt ja nicht so schlimm", sprang ich Fabian bei. "Am besten Sie ziehen mein nutzloses Auto aus dem Schneeberg, und dann...naja ich werd' mir ein Taxi rufen, sobald ich bei Ihnen bin."
"Das kommt ja überhaupt nicht in die Tüte! Sie sind wegen Fabian in diesem Schlamassel, da ist es doch wohl das Mindeste, dass sie die Nacht bei uns verbringen können. Keine Widerrede!", fügte er noch hinzu, als ich Einspruch erheben wollte. Das ging jetzt doch etwas zu weit. Die Kuschelnummer von eben hatte mir schon gereicht. Wie sollte ich jetzt auch noch die Nacht mit dieser Versuchung überstehen?
"Fabian, ruf deine Mutter an und sag ihr, sie soll schon mal ein warmes Bad einlassen. Sie können das bestimmt gebrauchen", meinte er dann an mich gewandt. Diesmal versuchte ich erst gar nicht zu protestieren, denn ein schönes, warmes Bad konnte ich wirklich gebrauchen.
"Ok", meinte der nur kleinlaut und verzog sich ins Innere des Unimog, der hinter meinem Auto postiert war. Sein Vater holte derweil ein Abschleppseil und verband die beiden Fahrzeuge.
"Setzen Sie sich ruhig schon mal rein", sagte er. "Ich komm' gleich nach. Das haben wir gleich."
Auch wenn mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, wieder mit Fabian einen Sitz zu teilen, weil das weiteren, engen Kontakt bedeuten würde, kam ich seiner Aufforderung nach. Denn da drinnen war es sicher wärmer als hier draußen. Und mittlerweile zitterte ich doch schon am ganzen Körper.
"Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll", meinte Fabian, als ich neben ihm saß. "Das war eine so blöde Idee von mir. Ich hätte wissen müssen, dass das nicht gutgeht."
"Schon okay."
"Nein ist es nicht! Wir hätten auch verletzt werden können. Oder sterben! Verdammt, Nick, was wär gewesen, wenn du wegen mir gestorben wärst? Das..."
"...ist ja nicht passiert, oder?"
"Nein, aber..."
"Dann mach dir deswegen doch keinen Kopf. Nur weil es sein hätte können, brauchst du dir jetzt keine Vorwürfe machen. Schließlich hätte ich ja auch einfach nein sagen können." Ich versuchte zu lächeln, doch meine Lippen zitterten mittlerweile so stark, dass es wie eine Grimasse aussehen musste.
"Du musst dringend ins Warme", stellte Fabian besorgt fest. Er öffnete kurz die Tür und rief hinaus: "Beeil dich! Nick erfriert hier gleich!"
"So schlimm ist es nicht!", brüllte ich hinterher, aber Fabians Vater war schon auf den Fahrersitz gehechtet und startete den Motor.
"'Tschuldigung", meinte er nur und trat aufs Gas. Die Reifen drehten auf der glatten Straße kurz durch und für einen Moment befürchtete ich, dass jetzt das zweite Auto liegen bleiben würde. Doch wir hatten Glück und als ich in den Rückspiegel blickte, sah ich, wie mein Auto ganz langsam hinter dem Unimog her rollte.
"Sollte ich nicht vielleicht hinten sitzen, um zu lenken?", fragte ich, obwohl mir die Vorstellung gar nicht gefiel, wieder in die Kälte zu müssen.
"Auf keinen Fall! Sonst friert Ihnen noch was ab. Das geht auch so. Wir haben jetzt eh nur noch Gerade vor uns. Wir sind bald da."
Das bald war eine halbe Stunde und die Gerade stellte sich als doch sehr kurvenreich heraus. Ich hatte mittlerweile kein Gefühl mehr in den Fingern, obwohl Fabians Vater immer wieder beteuerte, die Heizung laufe auf Hochtouren. Aber schon nach zehn Minuten hatte er eingesehen, dass das nicht ganz stimmen konnte. Schließlich war uns klar geworden, dass die Heizung ausgefallen sein musste.
"Is' auch nicht mehr das allerneuste Modell", hatte Fabians Vater nur entschuldigend gemeint. Fabian wäre seiner Miene nach am liebsten im Boden versunken. Aber zum Glück schafften wir es irgendwann doch und der Unimog hielt vor einem recht großen Einfamilienhaus, das völlig von Bäumen umgeben war. Die Tür stand offen und eine Frau rannte mit drei Decken bepackt zu uns her.
"Da seid ihr ja endlich! Ich hab' mir schon Sorgen gemacht. Wo ist er denn?" Mit er war anscheinend ich gemeint, denn als die Frau mich sah, stieß sie einen leisen Schrei aus und warf die Decken über mich.
"Um Himmels Willen! Der Junge ist ja total blaugefroren! Warum habt ihr denn so getrödelt? Und warum ist es da in dem Auto so arschkalt? Fabian, warum hast du diese komische Jacke an?" Ihr Redeschwall war zu viel für mich. Es kam mir selbst etwas übertrieben vor, aber die Kälte, gepaart mit den zwiespältigen Gefühlen für Fabian, hatte mich derart geschafft, dass ich das Bewusstsein verlor.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einer Wanne dampfenden Wassers, das einen leichten Duft nach Rosen und Honig verbreitete. Ich hatte erwartet, dass mein Körper sich über die wohlige Wärme freuen würde, doch das Gegenteil war der Fall. Das Wasser brannte auf meiner Haut, als würden tausende, kleine Nadeln hineingetrieben. Doch als ich den Kopf zur Seite drehte, vergaß ich das alles. Dort saß Fabian mit sorgenvoller Miene und schien ausgesprochen froh darüber zu sein, dass ich wieder wach war.
"Hey, Mann, na endlich", sagte er mit aufgesetzter Fröhlichkeit. "Ich dachte schon, du willst da drin überwintern." Er stand auf, drehte sich um und zog seinen Pulli über den Kopf.
"Sag mal, wär' es okay, wenn ich auch reinkomme. So 'ne warme Wanne könnte ich jetzt auch gebrauchen."
Was? Nein, nein, nein! Niemals!
"Ja, klar, kein Thema", sagte ich stattdessen und drehte vorsorglich den Kopf zur Seite, um Fabian nicht an bestimmten Stellen nackt sehen zu müssen. Ich hörte ein Plätschern und nahm an, dass er auch schon im Wasser saß. Also drehte ich mich zurück - und starrte geradewegs auf seinen Schwanz. Ich schluckte so heftig, dass ich mich an meiner Spucke verschluckte und stark zu husten begann.
"Oh Mann, hoffentlich hast du jetzt keine Lungenentzündung wegen mir", meinte Fabian nur und tauchte nun endlich ganz ins Wasser ein. Puh, zum Glück hat er nichts gemerkt.
"Nur...verschluckt", röchelte ich gequält. Fabian klopfte mir auf die Schulter. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich hatte ohnehin schon genug damit zu tun, mir meine Erregung wegen dieses Anblicks nicht anmerken zu lassen. Und jetzt berührte er mich auch noch! Längst war die Hitze des Wassers nicht mehr das Einzige, was mich wie mit glühenden Nadeln piesackte. Brennendes Verlangen, das ich all die letzten Jahre mehr oder weniger erfolgreich unterdrückt hatte, stieg in meinem Körper hoch und ich hatte wirklich die größte Mühe, es mir nicht anmerken zu lassen.
Fabian hingegen schien die Situation unverkrampft und gelassen zu sehen. Er lehnte sich zurück, nahm immer wieder etwas Schaum auf und pustete ihn durch die Gegend. Wie ein kleines Kind! Aber im Moment wollte ich nichts anderes, als der Schaum sein, der Fabians Mund ständig nahe war, nichts anderes sein, als einer der zahllosen Wassertropfen, die in seinen Haaren hingen und seinen Körper entlang rannen. Ich wollte wie der Schaum Fabians Lippen spüren und wie die Tropfen seinen Körper berühren. Ich wollte...
"Hey, sag mal träumst du?", riss er mich aus meinen Gedanken. "Ich hab' dich was gefragt!"
"Wie...echt? Sorry, aber ich war wohl in Gedanken. Was willste denn wissen?"
Fabian sah mich erst ein wenig nachdenklich an, bevor er antwortete. "Ich hab' gefragt, was du eigentlich studierst. Susi hat mir mal erzählt, dass sie dich kaum noch sieht, seit du immer pendelst. Schließlich bist du eigentlich ihr bester Freund."
"Was meinst du denn, was ich mache?"
"Hm, schwer zu sagen. Entweder was Technisches oder so'n Philosophenquatsch."
"So was traust du mir zu? Na danke." Ich zog gekünstelt einen Schmollmund. "Nein, ich studier' Medizin."
"Echt? Das find' ich cool. Wenn ich im Abi gut genug bin, will ich das auch. Kannst du mir vielleicht mal ein paar Muskeln erklären?"
"Wieso willst das wissen?" Ich war ernsthaft verwundert.
"Na, damit ich im Fitnessstudio weiß, welche Muskeln ich gerade trainiere", meinte er augenzwinkernd. Dann erhob er sich wieder aus der Wanne und kniete sich direkt vor mein Gesicht. Ich starrte zwanghaft auf seinen Bauchnabel, um ja nicht in Versuchung zu kommen, weiter unten zu forschen.
"Also, dann erklär mir mal aus was mein Sixpack besteht", forderte er mich auf, packte meine Hand und legte sie auf den oberen Ansatz seiner Bauchmuskeln. Mir wurde warm. Was machte der da? Wieso ließ er mich ihn berühren? "Wie heißt der da?"
"Das...das...", ich schluckte schwer. "Das ist...hmm...der rectus abdominis, glaub ich. Der hat hier und hier und hier Zwischensehnen." Ich deutete auf die Stellen seines Bauches, an denen die gut erkennbaren Muskelwölbungen zu kleinen Tälern wurden.
"Und hier?" Er führte meine Hand weiter an die Muskelwulst direkt über seiner Hüfte.
"Müsste der obliquus abdominis externus sein. Oder der transversus. So genau haben wir das nie besprochen. Auf jeden Fall brauchst du den zum Körperdrehen."
"Interessant. Und der hier?" Er hatte auch meine zweite Hand genommen und beide nun auf seinen Hintern gelegt. Dadurch schob er sein Becken mir näher, so dass sein Schwanz jetzt genau unter meiner Nase baumelte. Ich rutschte ein wenig nach oben, dass ich dem Bereich der Versuchung entkommen konnte und starrte dagegen konzentriert nach oben.
"Gluteus maximus. Brauchst du zum Treppensteigen."
"Und welchen Muskel brauche ich-" Er beugte seinen Oberkörper zu mir herab, sah mir tief in die Augen und drückte mir einen kurzen Kuss auf den Mund. "-hierfür?"
Ich starrte ihn weiter an. Das musste gerade doch ein Traum sein. Das konnte nicht alles in der Realität passieren. Wahrscheinlich war ich eigentlich tot und das hier war meine Version des Himmels. Genau, das musste es sein. Na, wenn es der Himmel war, dann konnte mir doch auch alles egal sein, oder?
"Viel zu viele", meinte ich nur und küsste ihn zurück. Für einen Moment zuckte er überrascht zusammen, doch dann entspannte er sich und glitt aus seiner erhöhten Stellung auf mich herab. Seine Haut rieb an meiner Haut, seine Haare kitzelten an meiner Stirn. Ich schloss die Augen. Das was ich am meisten gefürchtet hatte, stellte sich als das Schönste heraus, was man erleben konnte.
Klar, für einen Moment dachte ich daran, das alles so schnell wie möglich zu beenden. Noch hatte ich die Chance dazu. Noch war es möglich. Doch dazu war es zu schön. Ich hasste mich mal wieder dafür, überhaupt so zu empfinden - aber andrerseits genoss ich jede Millisekunde, die sich unsere Lippen und Körper berührten. Trotz des warmen Wassers begann ich zu zittern und ich spürte, dass auch Fabians Körper kaum mehr still hielt.
"Vielleicht sollten wir das woanders fortsetzen", hauchte er mir ins Ohr und zog mich etwas aus dem Wasser.
"Ich find es hier ganz okay", meinte ich und zog ihn wieder heran, um erneut für einen schier endlosen Moment meine Lippen mit den seinen verschmelzen zu lassen. Ganz zaghaft brachten wir jetzt auch unsere Zungen ins Spiel und als auch das nicht mehr reichte, unsere gegenseitige Zuneigung zueinander zu zeigen, begannen unsere Hände zu arbeiten.
Vorsichtig, beiderseits unerfahren, erforschten unsere Fingerspitzen den Körper des anderen. Angefangen vom Bereich um die Halsschlagader, der bei jeder Berührung ein wahrliches Feuerwerk an Reizen aussendete, über das Schlüsselbein abwärts zu den Brustwarzen. Zaghaft massierten wir hier den anderen. Und jeder erfreute sich über die unübersehbare Wirkung, die man damit erzielte.
"Ich hatte wirklich Angst, dass...", begann Fabian.
"Psst", machte ich nur. "Nicht jetzt." Dazu war der Moment zu schön. Ich wusste, dass ich nun einen unumkehrbaren Weg genommen hatte, gewissermaßen einen Pfad ohne Wiederkehr. Aber es war mir egal. Wenn ich ein normales Leben in Einsamkeit gegen ein Leben mit Fabian eintauschen müsste, würde ich es ohne mit der Wimper zu zucken tun. Zu schön war das Gefühl, begehrt zu werden. Die Gewissheit, dass jemand sich danach sehnte, mich zu berühren, mit mir Sachen zu tun, von denen ich immer nur geträumt hatte.
Fabian stöhnte leise, als meine Hand begann, endlich einen anderen Schwanz als meinen zu bearbeiten. Bald tasteten auch seine Finger zwischen meine Beine. Ich schluckte. Mein Körper erbebte und um ein Haar wäre ich gekommen. Doch Fabian erkannte die Gefahr und sah mich nur grinsend an.
"So schnell lass ich dich nich' aus."
"Das...ich...du bist der erste." Ich wurde rot.
"Echt? Ich hätte gedacht, dass du schon...na ja... mehr Erfahrung hast. Immerhin bist du ja schon..."
"Alt?" Ich sah ihn durchdringend an. Für einen Moment zweifelte ich das alles hier an. Was dachte ich mir eigentlich dabei? Doch dann zeigte sich auf Fabians Gesicht wieder dieses unsichere, unschuldige Lächeln.
"Nein. Nur...reif? Ach, ich weiß, das klingt scheiße!"
"Ist schon okay. Ich wollte bisher nur nicht zu mir stehen. Darum hatte ich noch nie", gestand ich.
"Keine Panik. Dann wird’s für uns beide nur noch schöner." Und er küsste mich erneut. Tief in mir brodelte es gerade. Auf der einen Seite war die Verblüffung über das, was hier gerade ablief, einfach zu groß, um großartige Einschätzungen der Situation zu liefern. Andrerseits wollte ich mir einreden, dass das hier vielleicht nur einmalig war, eine rein spontane Aktion, die weder für ihn noch für mich etwas zu bedeuten hatte.
Das änderte sich, als Fabian mit dem Kopf untertauchte und sich mündlich an mir zu schaffen machte. Ich keuchte, obwohl es ja niemand hören konnte. Mir wurde schwindlig - vor Glück und Geilheit. Ich schloss die Augen und wartete, bis Fabian wieder auftauchte, um Luft zu holen. Er hatte ganz schön viel Puste, daher dauerte das eine ganze Weile. Als es dann so weit war, zog ich ihn an mich heran und drückte ihm einen weiteren dicken Kuss auf den Mund.
"Na, wie findest du es meinen Mund zu küssen, wo grade noch dein Schwanz drin war?", sprach er genau meine Gedanken aus. Ich grinste überrumpelt und verlegen.
"Fast noch besser", murmelte ich und da mein Gesicht heiß wurde, musste ich gerade knallrot anlaufen.
"Du siehst süß aus, wenn du so rot wirst", neckte er mich und küsste mich auf die Nasenspitze, wobei seine nassen Haare mich im Gesicht kitzelten.
"Das find' ich gar nicht süß. Es ist peinlich."
"Nein, zuckersüß. Märchenhaft schön"
"Das sagt ein Elf."
"Na, dann weißt du ja, dass es stimmt"
Ich spritzte ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht und schwang mich aus der Wanne.
"Ist schon Schluss?", fragte er enttäuscht. Ich musste grinsen. So wie er da in der Wanne saß, ihm seine Haare in feuchten Strähnen seitwärts ins Gesicht hingen und er mich von unten herab mit vorgeschobener Unterlippe und einem beinahe weinerlichen Blick ansah, hätte ich ihn auf der Stelle vernaschen können. Aber ich verkniff es mir. Auch wenn man mir meine Gedanken recht deutlich ansah.
"Na, du hast doch sicherlich auch ein Bett, oder?", erwiderte ich neckisch. Er kicherte und kletterte ebenfalls aus dem Wasser heraus, schnappte sich ein Handtuch und warf es sich über die Schultern. Dann trat er zu mir heran und begann sich an mir und das Handtuch an uns beiden zu reiben. Mir schwanden beinahe die Sinne.
"Du machst mich wahnsinnig", hauchte ich bloß.
"Das will ich doch hoffen." Er grinste und ließ seine Hand wieder abwärts gleiten. Ich tat es ihm gleich. Ich fragte mich insgeheim schon, wo meine ganzen Vorsätze, meine Prinzipien und meine standhafte Weigerung gegen diese Gefühle sich hin verzogen hatten. Alles war hinweggefegt von einem blonden Elf, der Cousin eines Lilly-Fee-Engels war und den ich genau genommen gerade mal eine Stunde lang kannte. Genau das war es auch, was mich plötzlich in unserem Liebesspiel innehalten ließ - so richtig zur Sache ging es ja noch nicht, aber man konnte es wohl schon so bezeichnen.
"Mach ich was falsch?", fragte Fabian sofort.
"Nein, nein. Es liegt an mir. Weißt du, ich hab' mich eigentlich immer dagegen gewehrt...ähm...na ja...schwul zu sein. Jedesmal, wenn ich 'nen geilen Typen gesehen hab', und mal wieder nicht aufhören konnte, den die ganze Zeit über anzuglotzen, hab ich mich irgendwo gezwickt." Ich zeigte ihm eine kleine Narbe neben dem Zeigefingerknöchel. "Hier sogar mal so heftig, dass es geblutet hat. Meistens hat das Ganze nämlich nicht funktioniert", fügte ich mit einem Achselzucken hinzu.
"Du hast dich dafür geschämt, stimmt's?"
"Nein, so einfach ist das nich'", widersprach ich. "Es ist einfach so, dass ich das nie wollte. Nicht weil andere komisch von mir denken könnten. Nein, einfach weil ich es nicht will. Zumindest bis jetzt."
"Was ist jetzt anders?"
"Ich hab dich. Das hab ich doch, oder?"
"Ich bin auch ungeoutet, und hab's auch nicht vor zu ändern, falls du das meinst."
"Oh Gott, Fabian. Ich würde nie von dir verlangen, dich öffentlich mit mir zu zeigen. Das will ich ja selbst nicht...ähm...ich meine..."
"Ich weiß schon", meinte er augenzwinkernd. "Du bist echt süß, wenn du verlegen bist, weißt du das?"
"Ehrlich gesagt, will ich es gar nicht wissen", meinte ich und grinste säuerlich. "Weil ich fast vier Jahre älter bin als du, da will ich nicht hören, dass ich süß bin."
"Bist du aber." Fabian gab mir einen Klaps auf den Hintern und rannte dann, nackt wie er war aus dem Bad. Ich wickelte mir wenigstens das Handtuch um die Hüften und folgte ihm. Auf dem Gang war es zwar dunkel, doch aus der zweiten Tür rechts fiel Licht auf den Flur. Also ging ich dort hinein. Aber von Fabian war keine Spur zu sehen. Plötzlich fiel hinter mir die Tür zu und jemand sprang auf meinen Rücken, hielt mir die Augen zu und klammerte sich von hinten an mir fest.
"Fabian, was soll das?"
"Hör auf mich Fabian zu nennen. Das machen nur meine Eltern. Und du bist jetzt mein Freund, da sagt man Schatzi oder sowas."
Da blieb mir echt die Spucke weg. Hatte ich das grade richtig verstanden? Doch ehe ich nachfragen konnte, hörte ich einen dumpfen Schlag und ein gefluchtes "Scheiße", und Fabian ließ von mir ab. Da ich wieder sehen konnte, erkannte ich, dass ich so nah ans Fenster geirrt war, dass Fabian sich den Kopf an der Gardinenstange gestoßen hatte. Jetzt lag er auf dem Bett und hielt sich den Kopf.
"Hey, das tut mir Leid", murmelte ich und kam langsam auf ihn zu. "Aber ich hab' ja nix gesehen, weil..." Als ich mir gerade über ihn beugte, um mir seine eventuelle Verletzung anzusehen, schlang er plötzlich seine Arme um meine Hals und riss mich von den Füßen. Ich landete auf ihm und spürte seine Erregung, die durch seinen Körper - und bestimmte Körperstellen - pulsierte.
"Blödmann", zischte ich dennoch. "Da mach ich mir Sorgen, ob du dich irgendwie verletzt hast, und du..."
Fabian drückte mir einen langen Kuss auf den Mund.
"Halt doch endlich mal die Klappe", hauchte er. "Man muss nicht immer nur reden, weißt du." Dann ließ er seine Lippen langsam abwärts wandern, wobei er einen ausgesprochen guten Spürsinn für die Stellen hatte, die mich wirklich wahnsinnig machten.
"Sag mal...uhh...hast...ohh...du das gerade ernst gemeint?", fragte ich, wobei ich stärkeres Stöhnen mit viel Gewalt unterdrücken musste. Er hielt inne und sah mich nachdenklich an.
"Nein."
"Was? Aber warum das..."
"Weil ich finde, das Schatzi ehrlich total dämlich klingt."
"Hä?" Ich sah ihn kurz verwirrt an, bis ich verstand, dass er mich gerade auf den Arm genommen hatte. "Blödian!", fauchte ich und warf mich jetzt auf ihn. Wir wälzten eine Weile kabbelnd auf dem Bett herum, wobei wir uns immer stärker ineinander verschlangen. Ein Gefühl intensiver Zuneigung und Vertrautheit keimte in mir auf für diesen Jungen, den ich gerade ein paar Stunden lang kannte.
"Natürlich bist du mein Freund, du Dummerchen", meinte Fabian und rollte mit den Augen. "Und ich werd' dich auch so schnell nicht mehr aufgeben, klar?"
"Puh, dann muss ich mir das noch ernsthaft überlegen", meinte ich und runzelte gespielt die Stirn. Dafür erntete ich einen Klaps auf den hintern.
"Sei nicht so ungezogen."
"Hey, ich bin hier der Ältere. Wenn einer Maßregelungen verübt, dann ja wohl ich."
Fabian kicherte. "Du bist echt lustig. Du würdest es doch nie schaffen, mich anzurühren."
"Das wollen wir doch mal sehen!" Und schon rollten wir wieder durch das Bettzeug. Es war als ob wir Kinder wären, die gerade einen großen Kampf austrugen. Oder mit anderen Worten: Schön und befreiend. Denn gerade jetzt fielen alle meine Sorgen und vor allem Zweifel an dieser Sache von mir ab und ging unbeschwert damit um. Ich wusste irgendwie und irgendwoher, dass ich mich bei Fabian ganz fallen lassen konnte.
"Hey, es ist ja schon nach Mitternacht", sagte Fabian irgendwann und deutete auf die großen Leuchtziffern seines Radioweckers.
"Und? Musst du jetzt in die Heia?"
"Nein, du Blödmann. Es ist jetzt Heiligabend." Er setzte sich auf und sah mir tief in die Augen und flüsterte: "Fröhliche Weihnachten." Dann küsste er mich mit einer Intensität, die alles Vorangegangene weit übertraf. Ich weiß nicht, wie lange wir engumschlungen auf dem Bett saßen und uns einfach nur küssten. Irgendwann rückte ich ein Stück zurück und hauchte: "Frohe Weihnachten, Fabian."
"Schon okay, Schatzi", giftete er zurück, fing aber gleich darauf zu kichern an. Na ja und dann rollten wir erneut durch die Kissen. Es verging noch lange Zeit, ehe wir wirklich ans Schlafen gingen. Zuvor hatten wir uns das hohe Ziel gesteckt, den Körper des anderen an jedem Quadratzentimeter zu erforschen und die lustvollen Auswirkungen zu untersuchen. Wir trieben den jeweils anderen immer gerade an den Rand der Ekstase und ließen ihn sich wieder abregen, um dann das Ganze von vorne zu starten. So wurde diese Nacht eine Art Achterbahn der Leidenschaft für uns.
Draußen vorm Fenster färbte sich der Himmel schon etwas grau als wir erschöpft und aneinander gekuschelt einschliefen. Ich betrachtete Fabian noch kurz, da ich erst nach ihm einschlief. Ich verspürte eine unglaublich starke Zuneigung zu ihm. Ich hätte nie gedacht, dass mir sowas je passieren würde, weil ich mich ja stets gegen solche Gefühle gewehrt hatte. Aber wenn ich ihn jetzt so betrachtete, wie er dalag und sich sein Brustkorb langsam hob und senkte, dann spürte ich, dass wir zusammengehörten.
Ich genoss das Gefühl von seiner Haut auf der meinen und konnte mich an ihm gar nicht mehr satt sehen. Er sah so friedlich und sogar ein wenig - sicherlich kitschig ausgedrückt - engelsgleich aus. Das fand ich einen sehr passenden Vergleich. Ich hatte dank eines Engels, der mehr wie eine Fee aussah, einen Elfen kennengelernt, der nun mein Engel geworden war. Und natürlich dank der verschneiten Fahrbahn draußen vorm Wald.
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