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Doorway to Auroria
Kapitel Zwei - Razon blickt in einen Abgrund
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Informationen
- Story: Doorway to Auroria
- Autor: Xenotopia
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Auroria machte für Razon auf den zweiten, ausgeschlafenen Blick den Eindruck eines riesigen, filigranen und kunstvollen Gebildes, wo alles aus Eis, Schnee und Kristall gewachsen zu sein schien. Er kannte sich mit Gesteinskunde nicht aus, aber soviel Razon darüber wusste, war er sich sicher, dass Kristalle nicht wuchsen wie Bäume oder Gras: Er sah, wie sich das Kristall kunstvoll um die Beine von Straßenlaternen schlang wie Schlingpflanzen, konnte Türen und Fenster in Form von riesigen Schneeflocken oder zersplitterten Eiskristallen sehen. Beinahe überall begegnete er der Wabenform: Wände und zum Teil auch die Straßen waren aus wabenförmigen Steinen gemauert oder gefliest.
In all dieser auf den ersten Blick kühlen Umgebung, die wie aus Schnee und Eis geformt schien, spielten farbenfrohe Blumen, Sträucher und Bäume einen beinahe traumhaften Kontrast.
Und nicht nur das an ein Bild eines Künstlers erinnernde Aussehen faszinierte Razon, sondern auch das Lebendige von Auroria: Seine Bewohner, die fast ausschließlich aus Eiselfen zu bestehen schienen, machten auf Razon den Eindruck, als ständen sie permanent unter Rauschmittel. Jedenfalls sah er überall lachende und freundliche Gesichter. Sie nickten ihm zu oder riefen schon von weitem Grüße entgegen, obwohl sie ihn unmöglich kennen konnten (ganz zu schweigen, dass er hier jemanden kannte).
Das Gefühl, an einem Ort zu sein, wo ein Volk als eine einzige große Familie lebte, wurde immer stärker. Seit fast zehn Minuten spazierte Razon durch die Gassen der Stadt. In der Ferne konnte er einen riesigen Wald aus Palmengewächsen ausmachen, sowie eine anmutige Brücke, ebenfalls ein Spiel aus weißem Kristall und schwarzem Ebenholz.
Eigentlich war er auf der Suche nach Amatoris. Der Eiself kam ihm zwar sehr sonderbar vor, aber lange nicht so weibisch und peinlich wie dieser Dulcis, der ihn an diesem Tag geweckt hatte.
"Welchen Tag haben wir eigentlich?"
"Einen schönen Tag auch dir, mein Freund!"
Razon zuckte vor Schreck zusammen und es dauerte einige Herzschläge lang, bevor er begriff, dass er laut nachgedacht und eine Antwort auf seine Frage erhalten hatte: Es war jemand, der an ihm vorbeigegangen war. Er drehte sich um und konnte den Passanten nur noch von hinten ausmachen.
Razon fiel sofort auf, dass dieser Jemand genau wie er aus der Menge herausstach, weil er mit mehr als Lendenschurz und Sandalen bekleidet war: Er trug eine rote Tunika und eine Mütze, die ein wenig an die Fliegerkappen erinnerte, die Razon besaß.
Er schüttelte den Kopf und schnaubte. Freund? Warum wollten hier alle nur seine Freunde sein? An welch seltsamen Ort war er hier nur gelandet?
Noch während Razon zurück blickte und sah, wie die Gestalt mit der Fliegerkappe außer Sicht geriet, rempelte er mit jemandem zusammen.
"Oh, Verzeihung!", sagte er schnell und duckte sich, weil er die Erfahrung schon machen musste, dass ein Zusammenrempeln fast immer mit einem 'Hey, suchst du Ärger, oder was?!' und dann mit einem Veilchen endete.
Doch seine Schutzreaktion war unbegründet: Vor ihm stand ein hochgewachsener, schlanker Elf mit langen, roten Haaren und spitzem, sehr gepflegtem Bart. Er trug eine lange Hose und Stiefel, sein Oberkörper war jedoch unbekleidet.
Der Elf lächelte freundlich und sagte leise: "Och, warum entschuldigst du dich denn? Ich komme sehr gerne mit so was Hübschen wie dir in Berührung."
"HÄ?!", entfuhr es Razon und bevor er weiter etwas sagen konnte, hörte er eine raue Stimme rufen: "Lass ja die Finger von ihm! Er gehört mir, nur mir, kapiert?"
Razon sah einen kleinen, grünen Gnom um die Ecke gerannt kommen. Er trug nicht mehr als einen zerschlissenen Lendenschurz und ein Stirnband. Der Gnom sah sehr alt, abgemagert und so aus, als hätte er in seinem Leben schon sehr viel Übles mitmachen müssen. Seine großen Augen waren gelb und blutunterlaufen. Er presste sich an den rothaarigen Elfen und sah Razon giftig an.
"Such' dir gefälligst selbst einen Gefährten, Bübchen!", krächzte der Gnom.
Das machte Razon wütend, auch wenn er ein wenig verwirrt war.
"Mann, lass mich einfach in Frieden, ja?!", rief er und ging weiter, glaubte jedoch dann seinen Ohren nicht zu trauen, als er den Gnom mit seiner krächzenden Stimme hinter sich rufen hörte: "Aber wenn du mich beglücken willst, kannst du gerne mal vorbeikommen!", begleitet von einem hämischen Kichern.
Razon dachte einen Herzschlag lang darüber nach, kehrtzumachen und den Gnom mit einem gezielten Faustschlag die letzten Zähne aus dem Mund zu schießen, entschied sich jedoch dann dafür, einfach weiterzugehen.
Aber wohin sollte er gehen? Amatoris ... ja, er wollte Amatoris sprechen. Auch wenn ihm gesagt wurde, dass in Auroria niemand das "Sagen" hatte, hatte Razon trotzdem irgendwie das Gefühl, dass dieser sonderbare Elf ihm weiterhelfen könnte.
Unterwegs begegnete Razon immer wieder Eiselfen, die ihn freundlich begrüßten, Früchte zum Essen anboten oder sogar im Vorbeigehen freundschaftlich auf die Schulter klopften und sagten: "Willkommen! Fühl' dich wohl bei uns!"
Die Verwirrung machte sich zunehmend breit in seinem Kopf und Razon bekam so langsam das Gefühl, dass er in einem riesigen Irrenhaus gelandet war. Und vor allem: Er sah nur Männer, keine Frauen. Nicht wenige lachten und kicherten aber wie Weiber, stolzierten anmutig durch die Gegend wie es Mädchen oder junge Frauen taten, und immer wieder sah er auch Elfen, die Hand in Hand oder Schulter an Schulter durch die Gasse gingen und tuschelten und kicherten wie Verliebte oder Paare.
Razon kam an einer Art Marktplatz an, wo sich sämtliche Straßen und Gassen kreuzten. In der Mitte des Platzes befand sich ein riesiger Springbrunnen, und wiederrum in dessen Mitte die Statue eines ziemlich muskulösen Elfen, der nicht mehr als einen Helm und ein Schwert trug. Die Statue war aus hellgrauem Stein und schimmerte im diffusen Licht. Um den Brunnen herum lagen und saßen dutzende von Personen auf weichem Gras und lachten, aßen, fütterten sich gegenseitig mit Obst und ...
Ihm blieb das Herz stehen und er spürte auch, wie seine Hände und Beine taub wurden. In seiner Brust schienen tausend kleine Nadeln gegen sein Herz zu stechen, denn was er da sah, ließ ihn von einem auf den anderen Moment alles glasklar erscheinen: es war ein Schock, ein richtiger Schock, ein Faustschlag mitten in seine Magengegend, ein glühender Eisenstab direkt in die Rippen, ein stacheliger Igelball, der ihm in der Kehle stecken geblieben war.
Zwei Eiselfen lagen inmitten dieser Szenerie aus lachenden, essenden und fröhlichen Bewohnern von Auroria und küssten sich! Zuerst glaubte Razon sich zu irren. Vermutlich war die eine Person eine Frau. Es musste eine Frau sein, wieso sollten sich zwei Männer küssen? Und dann auch noch in der Öffentlichkeit?
Er wollte auf die beiden zugehen und genauer hinsehen, ob die eine Person doch eine Frau war, war aber wie gelähmt, denn im nächsten Augenblick sah er aus dem Wasser des Springbrunnens zwei weitere Gestalten - einen Eiselfen und einen grünhäutigen Goblin - aufsteigen, sich vor Lachen schütteln und dann liebevoll umarmen und auf die Münder küssen.
Razons Augen bewegten sich ruckartig nach links, wo er einen ziemlich muskulösen Elfen mit langen Haaren sah, der einen anderen Elfen von hinten mit seinen Armen umschlang und seine Wange gegen den Nacken des anderen Elfen drückte. Sie sahen irgendwie ... verliebt und vertraut aus. Überall, wohin Razon auch blickte, sah er männliche Wesen miteinander umgehen, als seien sie ...Verliebte, Paare, miteinander ...
"Nein ...", hauchte Razon fassungslos und stolperte rückwärts. "Das ... das ist nicht möglich ... das kann nicht sein ..."
Er hörte jemanden lachend rufen: "Hey, schaut mal, ein Neuer!"
"Ui, der sieht aber gut aus", hörte er jemand anderen rufen.
"Was ..." Razon stolperte wie ein Betrunkener immer weiter rückwärts und stieß gegen etwas oder jemanden.
"Hey, hey, Augen auf, sonst stürzt du noch." Ein ziemlich großer, unförmig aussehender Ork mit graugrüner Haut und brutal aussehenden Muskeln stand vor ihm. Doch seine Erscheinung schockierte Razon nicht so sehr wie die Tatsache, dass der Ork seine Arme um gleich zwei Elfen gelegt hatte. Die beiden lächelten und hatten helle, frohe und fein geschnittene Gesichter.
"Willst du mit uns mitkommen?", fragte der eine Elf. "Wir haben noch Platz ..."
Razon starrte einen Herzschlag die drei an, dann rannte er die Gasse entlang und brüllte: "Lasst mich bloß in Frieden! Fasst mich ja nicht an!!"
Ebura ... so nannte sich dieses Volk und mit einem Schlag fiel Razon auch wieder ein, woher er dieses Wort kannte: eburisch. Es war die Bezeichnung für eine bestimmte Art von Wesen, die dem gleichen Geschlecht zugetan waren, genauer gesagt, für männliche Wesen. Bei weiblichen Wesen nannte man das anders, aber das war Razon in diesem Augenblick egal. Ihm machte es Angst, dass er anscheinend inmitten eines Volkes gelandet war, das ausschließlich aus männlichen, eburischen Wesen bestand.
Eburisch ... Ebura ... männliche Wesen, die körperliche Sinnlichkeiten miteinander auslebten, es Liebe nannten, wenn sich Wesen gleichen Geschlechts der Paarung zuwandten, wenn sie miteinander ...Speihübel wurde es Razon, wenn er nur daran dachte. Spucken, sich übergeben, auskotzen würde er sich am liebsten bei diesem kranken Gedanken.
Er begann kopf- und ziellos loszulaufen. Er wollte nur weg, weg, weg ...
"So, so, du hast dir also gedacht, du könntest den Neuen ohne meine Erlaubnis einfach so in seinem Schlaflager überraschen, was?!"
Dulcis seufzte und nickte, ohne aufzublicken. Er war in einer höchst misslichen Lage, in der er sich kaum bewegen konnte. Seine Arme waren nach hinten im Eis eingeschlossen, seine nackten Füße schauten auf der anderen Seite jenes Gebildes, das einem geschwungenen Schlitten aus Eis glich, heraus.
Amatoris, der einen Stab aus blauem, festem Leder in der Hand hielt, ging um das Gebilde herum, strich mit dem Stab über Dulcis Brust und sagte in kühlem, beinahe gleichgültigem Ton: "Und wie kam es dazu, dass er nackt war?"
Dulcis biss sich auf die Unterlippe um ein Lachen zu unterdrücken; Amatoris verstand es wie kein anderer, ihm so über die Brust zu streichen, dass auch ja jede einzelne Nervenzelle davon etwas mitbekam. Seine Brustmuskeln zogen sich zusammen und das Gefühl war deshalb noch unerträglicher, weil er sich nicht kratzen konnte.
"Nun? Ich warte."
"Ich ... ich habe ihn entkleidet, als er im Schlaf lag", sagte Dulcis. Amatoris verharrte.
"Ach? Und wieso?"
Dulcis schnaubte. "Sage ich nicht."
Plötzlich stieß er den blauen Lederstab mit der Spitze voran unter Dulcis Achselhöhle und Dulcis durchfuhr ein Gefühl, das eine Mischung aus Qual und Lust war. Das und die Tatsache, seinem Gegenüber völlig ausgeliefert und obendrein auch noch bewegungsunfähig zu sein, steigerte mehr die Lust als die Qual. Vor allem, als Amatoris begann, die Stabspitze langsam zu bewegen und Dulcis an einer bestimmten, sehr empfindlichen Stelle unter der Achsel kitzelte.
Er lachte auf und rief: "Ja, schon gut. Ich wollte ihn verführen, zufrieden?!"
Amatoris ging in die Hocke, näherte sich langsam seinem Gesicht, so dass seine Nasenspitze beinahe Dulcis Wange berührte und hauchte ihm kaum hörbar ins Ohr: "Wusste ich es doch. Du böser Junge, du! Ich sagte dir doch, dass der Neue Zeit braucht. Und ich versprach ihm auch, dass er seine Zeit und Ruhe bekommt, die er benötigt."
"Es tut mir leid", sagte Dulcis kleinlaut. Er schloss die Augen und schwieg kurz. Dann blickte er Amatoris mit einem treuen, untergebenen Hundeblick an. "Kannst du mir noch einmal verzeihen?"
Amatoris grinste kühl, erhob sich wieder, ging um das Gebilde aus Eis, in dem Dulcis gefangen war, herum und musterte den anderen Elfen.
"Hmm ... weiß ich noch nicht. Zuerst muss ich dich dafür bestrafen, dass du mir nicht gehorcht hast, du böser, unartiger Junge, du!"
Während Amatoris sprach, schritt er langsam um den Schlitten herum und schlug den blauen Stab wie eine Reiterpeitsche in die Handfläche. Er wirkte wie ein Polizist, dem es Spaß machte, einen Verdächtigen unter Folter zu befragen und sich dabei absichtlich Zeit ließ.
Nach einigen Runden, die er um den Gefangenen gedreht hatte, blieb er schließlich wieder stehen. Er begann, mit der Spitze des Stabes über die blanken Fußsohlen zu streichen, und Dulcis lachte laut auf und rief "Gnade! Bitte, Gnade, mein Meister! Ich werde es nie mehr tun!"
"WAS wirst du nie mehr tun?", fragte Amatoris mit ruhiger, kühler Stimme, hielt aber nicht damit inne, weiter zu kitzeln.
"Ich ... ich werde nicht mehr ... hinter deinem Rücken eigenmächtig ..." Immer wieder stockten Dulcis Worte und wurden von Lachen und Prusten unterbrochen. Amatoris schien unbekümmert und kitzelte weiter, jetzt mit seinen Fingern.
"Ja? Ich warte."
"Ich ...", begann Dulcis von Neuem und prustete. "Ich werde dir gehorchen, mein Meister!"
Amatoris hielt inne und lächelte. "Na bitte, es geht doch. Und da du so artig und auch ehrlich zu mir warst, werde ich dich belohnen."Dulcis atmete erleichert auf. "Aber erst, nachdem ich dich bestraft habe!", fügte Amatoris hämisch grinsend hinzu und massierte Dulcis' Füße, diesmal sehr liebevoll, und er schloss die Augen und flüsterte: "Du böserJunge, du ..."
Dulcis seufzte leise. Sein Geliebter mit den blonden Haaren kam zu ihm, strich ihm diesmal mit der Hand über Wangen und Kinn und beugte sich zu ihm herab. "Ein braver Junge", flüsterte Amatoris.
"Und der Neue?", fragte Dulcis mit schläfriger Stimme.
"Ach, vergiss den jetzt erst mal ..."Amatoris beugte sich weiter über Dulcis' Gesicht und spitzte seine Lippen, um ihn zu küssen, als plötzlich draußen ein lautes Geschrei zu hören war.
"Was ist?", fragte Dulcis, als er bemerkte, dass Amatoris innehielt. Er schritt zum Fenster und blickte nach draußen. Von diesem Fenster aus hatte man eine hervorragende Aussicht über den großen Marktplatz und den Brunnen. Dort sah Amatoris, wie sich eine große Menge von Ebura versammelt hatten und ihre Hälse zum Westturm des Ratsaales reckten. Er folgte ihren Blicken und musste mit Entsetzen feststellen, dass jemand auf dem Mauervorsprung stand, die Arme nach hinten ausgebreitet sich gegen die Außenmauer stützend.
"Das ist doch ..."
Es war Razon, der "Neue", der auf dem Mauervorsprung des Rathauses stand und mehr als zehn Meter in die Tiefe blickte. Er stand auf sehr wackeligen Beinen und rief etwas Unverständliches in die Menge der entsetzten Ebura. Amatoris spürte, dass er keine Zeit verlieren durfte, und rannte ohne ein Wort zu sagen aus dem Raum und ließ den gefesselten Dulcis alleine zurück.
Dieser schnaubte verdrossen und sagte laut: "Na klasse, das nächste Vorspiel bestimme ich."
Razon stand auf ziemlich wackeligen Beinen auf dem schmalen Mauervorsprung eines hohen, turmartigen Gebäudes. Wie war er nur hierhergekommen? Nicht nur auf diesen Turm, sondern vor allem an diesen verrückten Ort?
Er war kopflos durch die Gasse gerannt, wusste nicht mehr, was er machen oder denken sollte, er wollte nur noch weg. Dabei begegneten ihm immer mehr Elfen, die sich Ebura nannten und andere Wesen wie Trolle, Orks oder Goblins, die sehr besorgt nachfragten, was mit ihm sei und warum er so panisch sei.
Razon nahm ihre Stimmen und Gesichter nur verschwommen wie in einem Traum wahr und irgendwann schienen seine Beine von alleine zu laufen, ihn irgendwohin zu tragen, von wo er aus ...
Ja, wohin sollte er denn gehen? Zurück in die Eiswüste? Nach Yadana, welches er immer noch als sein Zuhause betrachtete (obwohl er dort auch völlig alleine sein würde)? Wohin sollte er denn gehen? Er fand sich schließlich wie in Trance eine Wendeltreppe aus Stein hochlaufen, vorbei an kunstvollen Wandteppichen und alten Wappen, sah Licht, sah, dass da große Fenster waren, und schließlich ...
Durch seine Hände fuhr ein sonderbares Gefühl, als würde man in trockenen Staub und Sand fassen. Razon presste sich mit dem Rücken fest gegen die Mauer und schloss die Augen. Doch das machte das Schwindelgefühl nur noch schlimmer und auch die Stimmen der Leute, die unten am Fuße des Gebäudes standen, klangen deutlicher in seinen Ohren: "Was macht er denn da?"
"Hey,komm' da runter!"
"Bitte, spring' nicht!" und so weiter.
"Was soll ich nur tun ... Wohin soll ich gehen ...", murmelte er und zum ersten Mal kam ihm ein Name wieder in den Sinn, den er seit einer Ewigkeit nicht mehr gedacht, geschweige denn, ihn ausgesprochen hatte. Er hatte es sich selbst verboten und diesen Namen und das Gesicht, dem er gehörte, in einen tiefen, dunklen Kerker seiner Seele vergraben, verschlossen und den Schlüssel weggeworfen.
Doch nun, in diesem Augenblick, kam er ihm wieder über die Lippen ... "Timeon ... was mache ich hier nur ... was soll ich nur tun ..."
Razon spürte das unglaublich starke Bedürfnis in sich hochkochen, einfach zu weinen. Doch es ging nicht, er konnte nicht weinen. Er konnte noch nie weinen. Noch so etwas, was ihn von anderen seiner Art zu unterscheiden schien.
"Razon, was tust du hier?"
Er öffnete schlagartig die Augen, als er diese vertraute Stimme hörte. Er schluckte und blickte neben sich.
"Was hast du hier zu suchen, Razon?", fragte Amatoris, der sich mit dem Oberkörper über die Brüstung des Fensters, aus dem Razon gestiegen war, beugte und ihn besorgt anblickte. Zum ersten Mal fielen Razon die großen, hellblauen Augen des Eiselfen auf. Seine hellblonden Haare schimmerten in dem kalten Winterlicht von Auroria wie besonders helles Gold und fielen ihm als sauber geschnittenen Pony über die Stirn und bedeckten beinahe seine Augen.
"Hau ab!", zischte Razon keuchend; keuchend aus Angst vor der Tiefe, die vor ihm lag, aber auch aus Angst vor Amatoris, auch wenn diese Angst unbestimmt war.
"Wieso? Ich habe dir doch nichts getan."
"Ach ja?", rief Razon. "Du hast mir nicht gesagt, dass ihr hier alle ein Volk von ..." Er verharrte und biss sich auf die Unterlippe, denn er schaffte es nicht, jenes schlimme Wort über seine Lippen kommen zu lassen.
"Sprich es aus", sagte Amatoris sanft, aber bestimmt. "Los, sprich es schon aus."
Razon funkelte Amatoris wütend an. "Nein!", polterte er. "Du weißt, was ich meine!"
"Was weiß ich?"
"Sag' du es mir doch!"
"Nein, du zuerst."
Razon lachte humorlos auf und schüttelte den Kopf. "Ihr spracht davon, ob ihr mich 'behalten' dürft oder nicht."
Amatoris legte seine Stirn in Falten. "Wann ..."
"Als ich aufgewacht war, nachdem ihr mich gefunden habt. Du erwähntest einen Laxus."
Der Eiself seufzte und schüttelte den Kopf. "Razon, das ist nicht so, wie du ..."
"Und dein Freund, diese Milchsemmel mit dem weibischen Gang", fuhr Razon wütend fort, "hat mich entkleidet, während ich geschlafen habe. Erklär' mir das mal!"
"Razon, wir ..."
"Ja ja ja!", brüllte Razon. "Ich weiß schon, aber nicht mit mir, nicht mit mir!"
"Beruhige dich", sagte Amatoris sanft und setzte seinen Fuß über die Brüstung. "Niemand wird dir etwas antun. Hier wird dir niemand weh tun, oder ..."
"Ach ja?!", bellte Razon schwitzend. "Außer mir vielleicht an die Wäsche zu gehen oder mich zu verführen, damit ich in die Hölle komme?!"
"Razon", sprach Amatoris weiter sanft und behutsam auf Razon ein, "bitte, überdenke deine Worte und frage dich selbst, ob dein Zorn gerechtfertigt ist."
"Gerechtfertigt?", schnappte Razon keuchend. "Hier liegen männliche Elfen aufeinander und ... küssen ... BUAH!" Er spuckte aus und verzog das Gesicht wie jemand, der Lebertran auf der Zunge hatte. "Und Orks mit Elfen, und mit Gnomen ..."
"Ich weiß, das wirkt auf dich etwas befremdlich, aber ..."
"NEIN!", brüllte Razon Amatoris Worte nieder. "Es ist ekelhaft und krank! Ihr seid alle widerlich! Aber nicht mit mir! Meine Seele bekommt ihr nicht!"
"Niemand will deine Seele", sagte Amatoris und stieg langsam über die Brüstung auf den Mauervorsprung. "Verstehst du denn nicht, du bist freiwillig hier."
"Freiwillig? Freiwillig?!" Razon lachte wieder auf und schüttelte den Kopf. "Hier, wo alle ... alle ..."
"Ja", sagte Amatoris und nickte. "Wir sind hier alle eburisch, in Ordnung? Jetzt haben wir diese Tatsache geklärt. Und jetzt gib' mir deine Hand, und komm zurück ..."
Razon schob sich an der Mauer entlang von Amatoris weg. "Nee, fass' mich ja nicht an, du Perversling! Mich bekommt ihr nicht!"
"Razon, niemand will dir etwas tun ..."
"Ich lasse mich nicht veralbern von dir und deinem weibischen Getue!", brüllte Razon und wollte Amatoris Hand ausweichen, verlor das Gleichgewicht und stürzte schneller in die Tiefe, als er es selbst wahrnehmen konnte.
Amatoris brüllte ihm ein erschrockenes "NEIN!" in die Tiefe hinterher. Im nächsten Augenblick fand sich Razon im warmen, sprudelnden Wasser des Brunnes liegen. Er sah durch den verschwommenen Schleier des Wassern schemenhafte Gestalten, die sich über ihn beugten, spürte, wie er an den Armen gepackt und hochgehoben wurde. Jemand rief etwas, das wie "Bringt ihn zur Quelle ..." klang, dann verlor er sein Bewusstsein.
Eingehüllt in warme Felle erwachte Razon wieder, und das Erste, was er sah, war ein kunstvoller, bunter Teppich, der an der Decke irgendeines Raumes hing. Er trug das Bild von zwei halbnackten, jungen Elfenmännern, die Hand in Hand unter einem Baum standen. Der eine Elf reichte dem anderen einen roten Apfel.
Er drehte seinen Kopf zur Seite und sah Amatoris, der in einigen Schritten Abstand an ein Bücherregal gelehnt mit verschränkten Armen dastand. Er hatte den Blick zum Boden gesenkt und sah ernst und gleichzeitig nachdenklich aus. Razon atmete ein und wollte etwas sagen, da blickte Amatoris auf und sah ihn an. Jetzt war der Blick des Eiselfen nicht mehr freundlich; kein verständnisvolles, genüssliches Lächeln war mehr zu sehen. Es war eine Mischung aus Enttäuschung und Sorge, die die Züge seines Gesichts trugen.
"Wie ich sehe, bist du wohlauf", sagte Amatoris tonlos. "Keine Sorge, ich bleibe auf Abstand. Und nackt bist du auch nicht, kannst gerne nachsehen." Razon blinzelte und ihm fiel auf, dass er seine Hosen noch trug.
"Was ... was war geschehen?"
"Du bist ein Narr", sagte Amatoris. "Wolltest du deinem Leben ein Ende bereiten? Wozu?"
"Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte."
"Du bist ein Narr, so ein richtig großes Rindvieh, dem man das Gehirn herausgenommen hat, Razon", sagte Amatoris beherrscht, aber bestimmt. "Du bist schon da, wo du sein sollst."
Razon setzte sich auf. "Das glaube ich nicht."
"Lass das Glauben bitte im Tempel." Der Eiself wendete seinen Blick von Razon ab und sprach weiter. "Die wenigsten haben Schwierigkeiten, wenn sie in Auroria ankommen. Ja, sie freuen sich sogar darüber. Jene, die trotzdem Probleme damit haben, haben sie nur aus Sorge, aus Heimweh oder weil sie ihr Glück nicht fassen können. Aber einen Selbstmordversuch gab es bei uns noch nie."
"Wieso erzählen mir hier immer alle, dass ich hierher gehöre und glücklich sein sollte?", fragte Razon ernsthaft. "Ich verstehe es wirklich nicht, bitte erklär' es mir doch."
Amatoris schnaubte und blickte ihn an. "Das kannst nur du selbst wissen."
"Wieso?", drängte Razon ungeduldig. "Was soll ich wissen?"
"Jeder, der nach Auroria kommt, will nach Auroria kommen", sagte Amatoris ruhig. "Jeder ist freiwillig hier. Keiner wird in Auroria geboren, wir sind alle hierhergekommen." Das überraschte Razon. Zum ersten Mal war er neugierig darauf, etwas über diesen seltsamen Ort zu erfahren.
"Aber ... ich verstehe nicht, wie ..."
Amatoris seufzte laut und schüttelte den Kopf. "Oje, ich sehe schon, deine Seele muss tiefe Wunden und Narben haben." Er hielt inne und dachte nach. "Na gut. Auroria wirst du auf keiner Karte finden. Auch wird es außerhalb seiner Grenzen niemanden geben, der es kennt. In keinem Buch findet es Erwähnung. Und auch kein Lied oder Gedicht, ja, nicht einmal ein Gemälde erzählt von Auroria."
Razon nickte langsam. "Ja, das ist mir soweit bewusst."
"Es ist jener Ort, den wir aufsuchen, wenn wir mit unserem Leben abgeschlossen haben", sprach Amatoris weiter und ging auf Razons Bett zu. "Wenn wir glauben, dass unser Leben keinen Sinn, keinen Wert mehr für uns erfüllt. Wenn wir niemanden mehr haben, wenn wir einsam sind." Der Eiself blieb vor ihm stehen und sah ernster und vernünftiger aus, als Razon es für möglich gehalten hätte. Der weibisch wirkende Elf mit dem blonden Pony und den großen, glänzenden Augen wirkte auf ihn wie ein alter, weiser Geschichtenerzähler und Lehrer.
"Du musst wissen, dass bei uns Eiselfen Liebe zwischen männlichen Elfen eine Todsünde ist. Und damit meine ich auch den Tod. Das ist der Grund, warum hier in Auroria so viele von uns sind."
"Eiselfen?"
"Ja, genau." Amatoris nickte. "Aber auch in anderen Kulturen werden Wesen, die so lieben wie wir, ausgestoßen. Sie werden bei lebendigen Leibe verbrannt oder zu Tode geprügelt, oder Schlimmeres ..." Er hielt inne und senkte den Blick zum Boden. "Unsere Vorfahren haben diesen Ort erschaffen. Es ist ein magischer Ort, der uns vor der Außenwelt beschützt. Da er im Circus Maximus mitten in der Eiswüste liegt, würde niemand jemals auf die Idee kommen, uns hier aufzuspüren. Und selbst wenn, würde er Auroria nicht sehen, da er für Wesen, die nicht eburisch sind, unsichtbar ist."
"Das klingt verrückt", sagte Razon und schüttelte den Kopf. "Aber es macht auch Sinn."
Amatoris blickte auf. "Wie meinst du das?"
"Wer möchte schon Männer in seinem Volk haben, die ihren Samen für eine Beziehung verschwenden, die keine Frucht bringt?!"
Der Eiself starrte Rsazon erschrocken an. Im nächsten Augenblick verfinsterte sich sein Gesicht. "Wir dulden hier keine Beleidigungen", zischte er. "Und außerdem ... Du bist auch hier. Auroria hat dich ausgewählt und dir Einlass gewährt. Wieso glaubst du, ist das so?!"
Razon schnaubte. "Ich weiß es nicht, vielleicht ist Euer Auroria kaputt. Ihr solltet es mal reparieren lassen."
Amatoris packte Razon ziemlich fest und schmerzvoll an den Schultern. "Jetzt hörst du mir mal gut zu!", bellte der Eiself zornig. "Du hast nicht das Recht dazu, über uns und unsere Lebensart zu urteilen! Wir haben dir zweimal das LEBEN GERETTET und du hast dich nicht einmal dafür bedankt!"
"Oh, vielen Dank", sagte Razon sarkastisch. "Und was soll ich jetzt tun? Dir meinen Hintern hinhalten oder was?!"
Amatoris starrte ihn wieder erschrocken an. Allmählich gingen ihm die Argumente aus. Konnte das sein? Sollte sich Auroria geirrt haben? Wie sonst war dieser ignorante Stoffel hier an ihren wunderbaren Ort gelangt?
Er stieß Razon von sich, entfernte sich einige Schritte von seinem Bett und sagte: "Du bist ein armer, armer Narr. Du erkennst nicht, wo du bist oder was du bist."
"Ich teile jedenfalls nicht mit einem Mann mein Schlaflager!", zischte Razon angewidert. "Oder feiere Orgien mit Orks!"
Der Eiself schüttelte fassungslos den Kopf. "Wie du meinst. Es ist bedauerlich, dass du nicht erkennst, was passiert ist, aber für alles gibt es ein erstes Mal, und du bist der Erste, der Auroria ablehnt. Du scheinst zu der Sorte zu gehören, die glauben, ihnen sei das größte Pech und Unglück widerfahren. Du glaubst, keinem geht es schlechter als dir, weil sie dich in deiner Gemeinde schneiden und nicht mit dir sprechen -"
Razon hielt den Atem an. "Woher -"
"- oder deine Begabung Maschinen zu bauen nicht würdigen", fuhr Amatoris erbarmungslos fort. "Das nennst du Probleme? Ha, dass ich nicht lache." Er blickte ihn wieder an, und seine Augen wirkten plötzlich leer und ziellos. "Aber kennst du das Gefühl, wenn dich alle hassen, weil du du bist? Dass sie dich so sehr hassen, dass sie deine Eltern und deine Geschwister abschlachten und dein Haus niederbrennen, und dich dazu zwingen, dabei zuzusehen?"
Razon stockte der Atmen und er glaubte würgen zu müssen. Gleichzeitig spürte er ein klobiges Gefühl in seiner Kehle aufsteigen.
"Hast du je die Gräber für deine Eltern und deine Geschwister ausheben müssen, während das ganze Dorf um dich herum ein Fest feiert und dich dabei auslacht?!", kreischte Amatoris und sein Gesicht war tränenüberströmt. "Sag' mir bloß nicht, dass du das kennst! Erzähle mir bloß nicht, dass du so was hören willst, weil du und deine dämlichen Probleme ja so viel wichtiger sind!"
Mit diesen Worten, die Razon wie ein Albtraum vorkamen, stürzte Amatoris schluchzend aus dem Raum und schlug die Tür laut hinter sich wieder zu.
Razon fiel zurück in ein Meer aus Kissen und pelzigen Decken und starrte wieder den Deckenteppich mit den beiden halbnackten jungen Elfen an. Amatoris Worte, und vor allem, wie er sie ausgesprochen hatte, hatten ihn regelrecht erschlagen. Mit welcher Reaktion hatte er gerechnet? Dass der weibische Elf weiterhin freundlich, sanft und geduldig blieb?
Razon stand hinter dem, was er sagte, aber ihm wurde plötzlich auch bewusst, dass Ehrlichkeit und Offenheit ganz schön weh tun und verletzen konnten. Er richtete sich gerade wieder auf, warf die Decke zur Seite um Amatoris zu folgen, als die Tür aufflog und fröhliches Gelächter den Raum erfüllte.
Der Elf mit den langen, pinken Haaren - Dulcis - und ein Wesen, das etwa einen Kopf kleiner war als Dulcis mit grüner, gefleckter Haut, stolperte herumalbernd und lachend in den kreisrunden Raum, in dessen Mitte Razon in einem ebenfalls kreisrunden Bett hockte und Anstalten machte, sich bei Amatoris zu entschuldigen.
Das grüne Wesen hatte ein leicht reptilienartiges Gesicht, große, orangene Augen und jeweils vier Zehen und vier Finger an Händen und Füßen - ein Gremlin! Razon war schockiert, sprang auf und stolperte barfuß über den mit Teppichen und Pelzen belegten Boden und kam laut und schmerzhaft krachend am Fuße eines großen Bücherregals zum Stehen.
"Oh, äh, Verzeihung ...", sagte Dulcis und wurde rot im Gesicht. Er und der Gremlin blieben eng umschlungen abrupt stehen, als ihnen auffiel, dass sie nicht alleine waren. "Ich wusste nicht, dass du noch hier bist."
Razon starrte den Gremlin an, der ihn ebenfalls fragend und neugierig musterte. Dulcis hatte seine Arme um die grüne Kreatur gelegt, wie es ein Kind mit seinem Stofftier und oder Puppe tat. Der Elf machte Anstalten, mit dem Gremlin den Raum wieder zu verlassen, als Razon hochschnellte und ihm hinterher rief. "Warte einen Moment, bitte ..."
Dulcis drehte sich wieder um, und sah Razon fragend an. Der Gremlin kicherte mit einer rauen Stimme. "Sieh' dir den Neuen an", krächzte der Gremlin. "Ob er mitmachen will? Er kann gerne bleiben, wenn wir ..."
Dulcis seufzte und schüttelte langsam den Kopf. "Nein, Kropper, ich glaube nicht, dass Razon das möchte."
Razon ging langsam, den Gremlin nicht aus den Augen lassend, auf sie zu. "Amatoris", begann er vorsichtig, "hast du ihn gesehen?"
"Er ist in Richtung Palmengarten gelaufen."
"Hat er etwas gesagt?"
"Nein, nicht mal gegrüßt. Ich glaube ..." Dulcis dachte nach. "Ich glaube, er hat geweint." Plötzlich wurde der junge Elf ernst. "Vielleicht sollte ich nach ihm sehen, schließlich ist er mein Gefährte."
"Nein", sagte Razon entschlossen, schnaufte tief durch und begann, seine restliche Kleidung anzuziehen, welche man sorgfältig neben das Bett gelegt hatte. "Das werde ich tun. Ich habe einen Fehler gemacht."
Dulcis, der geistesabwesend Kroppers riesige Ohren streichelte, legte seine Stirn in Falten. "Warum bist du eigentlich hier? Amatoris wollte dich doch auf die Krankenstation bringen?"
Kropper zupfte an Dulcis Lendenschurz. "Ich dachte, der Neue war in der Quelle ...?!"
"Ach ja, richtig." Dulcis musterte Razon einen Herzschlag lang nachdenklich, dann nickte er, als wäre ihm etwas klar geworden. "Gut, es scheint dir ja wieder besser ..."
"Ja, ja", unterbrach Razon den Elfen ungeduldig. "Kannst du mir sagen, wo sich dieser Palmengarten befindet?"
'Was mache ich hier eigentlich?', fragte sich Razon in Gedanken, als er eine schnurgerade Gasse entlanglief. Sie war gesäumt von Gebäuden mit Fachwerk - aber auch Marmorelementen. Überhaupt wirkte jene Gasse wie ein Sammelsurium aus den verschiedensten Baustilen und Geschmäckern. So bunt und vielfältig, wie seine Bewohner. Überall begegneten Razon fröhliche Wesen, meistens Elfen, die ihn nett grüßten, fröhlich vor sich her sangen oder pfiffen, oder Arm in Arm oder Hand in Hand spazierten.
Angenehme, wundervolle Gerüche erfüllten die Luft: Es roch nach Gewürzen, Blumenduft und süßem Gebäck. All das - sogar die Tatsache, dass er zwei Elfen mitten auf der Straße eng umschlungen dastehen und sich abknutschen sah - ignorierte er und konzentrierte sich darauf, den Weg, den Dulcis ihm beschrieben hatte, zu finden.
Schließlich fand er ihn. Der Palmengarten war ein abgeschiedener Ort, wo für gewöhnlich keine Liebespaare, sondern einsame Bewohner von Auroria Zuflucht fanden, beziehungsweise jene, die mal alleine sein wollten. Es war ein paradiesischer Ort, wo die ungewöhnlichsten Pflanzen und Bäume wuchsen, die Razon je gesehen hatte. Er sah Pflanzen, die nicht nur grüne, sondern auch rote und sogar blaue Blätter hatten. Er sah Früchte, die gelb leuchteten und vernahm die Geräusche von Vögeln und anderem Getier, das er aus den Wäldern seiner Heimat nicht kannte.
Lange musste Razon nicht suchen: Er kam an einer Art Lichtung an, wo aus einem riesigen Felsen ein kleiner, kristallklarer Wasserfall in einen Fluss plätscherte. Am Ufer jenes Flusses saß Amatoris. Der blonde Ebura starrte sein eigenes Spiegelbild im Wasser an. Er weinte nicht mehr, seine Augen waren jedoch leicht gerötet.
Razon näherte sich dem Eiselfen langsam, und versuchte, die richtigen Worte zu finden, die er Amatoris sagen konnte. Doch der Eiself kam ihm zuvor.
"Was willst du?!", fragte er tonlos, ohne ihn anzublicken.
"Ich möchte dich um Entschuldigung bitten", sagte Razon leise und vorsichtig.
Amatoris blickte ihn an. "So, und warum?"
Razon schluckte. Er hatte plötzlich Herzklopfen und war nervös wie ein kleines Kind, das nicht abwarten konnte, endlich seine Geburtstagsgeschenke auszupacken.
"Ich habe dich beleidigt. Dich und dein Volk. Dazu hatte ich kein Recht."
Amatoris legte den Kopf schief und musterte Razon misstrauisch. "Das stimmt in der Tat. Und woher der Sinneswandel?"
Razon wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Sollte er sagen, dass es ihm leid tat, was mit Amatoris Familie scheinbar geschehen war? Oder dass er selbst schlichtweg Hilfe brauchte?
"Es war einfach nicht Recht von mir", bekräftigte Razon lieber seine letzten Worte und ging auf Amatoris zu. "Darf ich mich zu dir setzen?"
Der Eiself nickte. Razon nahm neben ihm Platz und beide ließen eine Weile schweigend die Beine über den Felsen, der das Flussufer säumte, baumeln und lauschten dem Rauschen des Wasserfalls.
Amatoris brach schließlich das Schweigen. "Was willst du jetzt tun?"
Razon zuckte mit den Achseln. Er wusste, wie die Frage gemeint war. Wollte er wirklich Auroria wieder verlassen? Wollte er hier bleiben?
"Komm schon", drängte Amatoris und sein Grinsen kehrte wieder über seine Gesichtszüge zurück, "das kaufe ich dir nicht ab. Sag' schon, du musst irgendeinen Wunsch haben."
Razon seufzte. "Nun ja, ich sehe ein, dass meine Chancen auf Überleben nur minimal sind, wenn ich wieder da draußen in der Eiswüste wäre. Der Circus Maximus ist gigantisch und es gibt keine Karten, die einen Weg aus ihm hinaus beschreiben. Xanadu ist zu weit weg, und mein Sonnenfalter …“
"Sonnenfalter?", fragte Amatoris verdutzt. "Was soll das denn sein?"
"Es ist ein Fluggerät, das ich gebaut habe. Es fängt die Strahlen der Sonne ein und kann dadurch fliegen."
Amatoris nickte anerkennend mit dem Kopf. "Das ist wirklich beeindruckend."
"Na ja, mein Fluggerät - der Sonnenfalter - steht irgendwo mitten im Eissturm, zusammen mit dem Pergament über meine Queste. Beides wiederzufinden ist schlichtweg aussichtslos."
Razon schwieg und blickte auf die glitzernde Wasseroberfläche. Dies und das Rauschen des Wasserfalls hatten eine hypnotische, berauschende Wirkung.
"Heißt das", begann Amatoris behutsam, "dass du hierbleibst?"
"Mir bleibt keine Wahl", sagte Razon und blickte den Eiselfen ernst an. "Dort draußen finde ich den Weg nie mehr aus der Eiswüste heraus, hier drinnen -"
"Hier drinnen hast du es wenigstens warm und was zu Essen", vollendete Amatoris den Satz und lachte leise. Es war ein sympathisches, ehrliches Lachen. Irgendwie kam sich Razon nicht mehr veralbert vor. Hier lief keine Verschwörung und verführen oder missbrauchen wollte ihn auch niemand. Dieser Gedanke kam ihm in diesem Moment lächerlich und absurd vor, wie konnte er nur so töricht gewesen sein?!
Er nickte und sagte: "Es tut mir leid, dass ich so beleidigend war, aber für mich ist es ein befremdlicher Gedanke, dass zwei Männer sich das Schlaflager teilen. Oder ..." Er machte eine kurze Pause und sprach es dann aus: "Ein Elf und ein Gremlin."
Amatoris lachte amüsiert. "Oh, du hast Kropper kennengelernt? Ja, er ist der einzige Gremlin, den wir hier haben, aber dafür auch ein ganz Lieber."
"Und vor allem für Dulcis."
"Ja, genau." Amatoris wurde wieder ernst. "Razon, hier in Auroria gibt es nichts und niemanden, das oder der jemandem ganz alleine gehört. Ich lebe mit Dulcis zusammen und er ist mein Gefährte, aber wir haben trotzdem unseren Spaß. Die Werte und Moral, die du aus deiner Heimat kennst, gibt es bei uns nicht. Freie Liebe, freies Ausleben der Lust ... all das ist der Schlüssel zur wahren Freiheit und zum wahren Glück."
Razon hob eine Braue. "Findest du? Gibt es bei euch keine Eifersucht und Streit?"
Amatoris lächelte verständnisvoll und legte eine Hand auf Razons Schulter. "Wenn du Auroria und seine Kultur richtig kennenlernst und begreifst, dann wirst du diese Frage selbst beantworten können."
"Wer sagt, dass ich das möchte?", fragte Razon und seufzte. "Ich weiß ja selbst nicht, was ich möchte."
Es trat wieder eine lange Pause des Schweigens ein. Schließlich sagte Amatoris: "Nun gut, ich denke, ich weiß jetzt, was wir mit dir anstellen."
Er stand auf und Razon folgte seinem Beispiel. "Und das wäre?"
"Du verstehst dich doch mit Technik und Maschinen?"
Razon nickte. "Ja, und weiter?"
"Komm mit, ich werde dich jemand vorstellen, der ebenfalls enthaltsam und einsam hier in Auroria lebt. Er sorgt dafür, dass uns die Wärme und das Licht nicht ausgehen. Ihr werdet euch bestimmt gut verstehen."
Und so kam es, dass Razon Laxus kennenlernte.
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