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Doorway to Auroria
Kapitel Zehn - Das ganze Bild und die Wahrheit dahinter
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Informationen
- Story: Doorway to Auroria
- Autor: Xenotopia
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
"Und jetzt?"
Razon blickte auf und sah Amatoris' fragenden Blick.
"Was meinst du?"
"Nun, was machen wir jetzt?"
"Was sollen wir denn machen?"
"Wir könnten uns doch lieben. Jetzt, wo du einer von uns bist …"
"Einer von euch …"
"Du sehnst dich doch danach, oder nicht?" Eine kurze Pause. "Du willst, dass Lateo das mit dir macht, oder?"
Razon blinzelte; er wusste einen Augenblick nicht, wo er sich befand oder was geschehen war. Es war, als erwache man aus einem Traum, den man für die absolute Realität hielt und den man im Moment des Erwachens nur noch emotional, aber nicht rational in Erinnerung hatte. Vage Erinnerungen und Bilder, bruchstückhaft, als versuche man, die Bilder eines zerbrochenen Spiegels wieder zusammenzufügen.
Timeon … Dieser Name war für ihn plötzlich nicht mehr als ein Gefühl, ein vages Bild.
Lateo … Er war real, war am Leben.
Plötzlich überkam ihn die Erinnerung: Er hatte Amatoris etwas erzählt. Etwas, was in seiner Kindheit passiert war. Er war Schuld am Tod von Timeon. Ja, das war er. Zumindest fühlte er sich so. Und dann …
Er sprang schlagartig auf und blickte verwirrt umher; sah riesige Bücherregale, staubiges Licht, einen zerfallenen Raum, der kaum das Echo einer vergangenen Zeit war.
"Was ist passiert?", rief Razon erregt, mehr zu sich selbst als zu dieser anderen Person, die anwesend war. Eine hochgewachsene, blasshäutige Gestalt mit hellblondem Haar. Es war Amatoris, so erinnerte sich Razon allmählich.
"Ähm, nichts. Wir haben nicht … du weißt schon …"
"Das meine ich nicht!", fuhr Razon ihn an. "Wo sind wir hier? Wie viel Zeit ist vergangen?"
"Wie meinst du das, wie viel Zeit vergangen ist?", fragte Amatoris ehrlich verwirrt. "Du bist weinend eingeschlafen, erinnerst du dich denn nicht mehr …"
Razon wirbelte herum und starrte Amatoris entgeistert an.
"Und dann?"
"Nichts. Vielleicht ein kurzer Schlaf, dann bist du plötzlich aufgesprungen, wie von einer Schlange gebissen. Ich habe nicht geschlafen und ich habe dich auch nicht im Schlaf befummelt, wenn du das …"
"Halt den Mund!", bellte Razon und erschrak vor seinem eigenen aggressiven Ton.
Jetzt fiel ihm alles wieder ein: Der Mordanschlag auf Lateo, die Tatsache, dass die Luft von Auroria mit elektrischer Energie aufgeladen war, und dann Laxus … nicht zu vergessen, das jemand ihn zusammen mit Amatoris in dieser alten Bibliothek eingeschlossen hatte.
Deshalb war auch das erste, was er tat, auf die große, schwere Holztür zuzustürmen.
"Ich will hier raus!", brüllte Razon. "Ich will hier RAUS!"
Mit aller Gewalt warf er sich mit der Schulter gegen die Tür und prallte hart auf dem steinernen Boden auf.
Die Tür war nicht mehr verschlossen gewesen; Razon hatte eine unverschlossene, nur angelehnte Tür aufgestoßen und war hart und schmerzhaft auf dem Steinboden haarscharf vor dem Treppenabsatz gelandet.
Amatoris kreischte erschrocken auf und beugte sich sofort über Razon, der so verblüfft und überrascht war, dass er den gemein pochenden Schmerz in seiner Schulter gar nicht zur Kenntnis nahm.
Beide blickten verwirrt umher, keiner sagte etwas, denn ihnen war beiden klar, dass in der Zwischenzeit jemand hier gewesen sein musste. Derselbe jemand, der sie auch eingesperrt hatte? Wenn ja, wieso? Zu welchem Zweck?
Razon bedeutete mit einem Finger auf den Lippen, dass Amatoris schweigen sollte. Der Ebura nickte und folgte dem anderen Elf langsam die Treppe hinaus ins Freie.
Alles war wie zuvor: Es war heller Tag. Insekten summten, überall war das zerfallende Gebäude mit Pflanzen und Sträuchern überwuchert. Bis auf das Summen der Bienen war es still.
"Was ist hier bloß los …", murmelte Razon. Der rational denkende Techniker kam in ihm wieder zum Vorschein. Das unter Tränen gewimmerte Geständnis, dass er in ein männliches Wesen verliebt war, die traurige Geschichte seiner Jugend und die heftige Umarmung von Amatoris waren schon wieder vergessen. Immerhin hatte jemand in diesem scheinbar perfekt harmonischen Paradies versucht, einen Mord zu begehen. Und vor langer, vergessener Zeit schienen hier einmal Gelehrte und Techniker das Sagen gehabt zu haben. Was es auch war, was in dieser Bibliothek bewahrt wurde, war vielleicht sehr wertvoll. Gut möglich, dass Lateo hinter ein Geheimnis gekommen war. Vielleicht hinter das Geheimnis, warum Auroria so war, wie es war, denn bekanntlich wachsen Häuser nicht einfach aus dem Nichts aus dem Boden.
(Wo bin ich? Was ist geschehen?)
Razon zuckte vor Schreck zusammen und starrte Amatoris an.
"Was ist? Was hast du?"
"Hast du eben etwas gesagt?"
Der Ebura schüttelte langsam den Kopf. "Nein … wieso? Hast du was gehört?"
Razon sagte nichts, sondern blickte Amatoris nur schweigend an. Wieso hatte er plötzlich das Gefühl, dass der Ebura sehr wohl wusste, was Razon gemeint hatte? Schließlich war er doch Empath und konnte fühlen, was andere fühlen.
"Ich muss es mir eingebildet haben. Verzeih' mir", sagte Razon langsam und sie gingen weiter.
Alles war wie immer: Durch die Straßen gingen Pärchen Hand in Hand oder Arm in Arm umher, schwatzend, essend, singend, lachend oder tanzend. Doch Razon kam dies alles plötzlich so unwirklich vor. Er erinnerte sich daran, einmal über Tränke und Säfte gelesen zu haben, die einem Bilder sehen lassen, die nicht da waren. Man nannte es auch "Mit offenen Augen träumen" - nur wusste man nicht, dass man träumte
(Ich rieche den Rauch, ich spüre die Hitze des Feuers … )
und sich diese Dinge nur einbildete.
'Dieser Ort scheint so perfekt, so harmonisch und friedlich. Doch nichts ist perfekt, es gibt keinen reinen Frieden. Überall gibt es Konflikte, Störer oder Bösewichte. Dieser Ort ist falsch, so falsch wie ein kitschiges Gemälde, und ich wäre fast darauf reingefallen.'
Er sah vorsichtig Amatoris von der Seite an, um zu prüfen, ob der Ebura vielleicht seine Gedanken gehört hatte. Wenn ja, dann ließ sich Amatoris nichts anmerken.
Sie kamen an Lateos Haus an und wurden sofort von einem lauten Schrei aufgeschreckt.
Razon stürmte wie ein Soldat in der Schlacht vor in das Gebäude und steuerte auf Lateos Schlafzimmer zu. Er rechnete mit allem - Lateo, der nun tot in seinem Bett lag. Jetzt hatte der Mörder es doch geschafft - aus welchen Gründen auch immer. Oder ein verzweifelter Kampf, bei dem der schmächtige Lateo nur verlieren konnte.
Doch mit diesem Bild, das sich ihm bot, hatte Razon nicht gerechnet:
Lateo war wieder wach und stand nackt und zitternd in einer Ecke seines Schlafzimmers, während Laxus auf dessen Bett hockte. Er hielt einen zylinderförmigen Gegenstand auf Lateo gerichtet und zitterte ebenfalls. Der Gegenstand war vollkommen transparent und schien aus Glas oder Kristall zu sein. Laxus trug schmutzige, zerfetzte Kleidung und war barfuß. Diese Szene war so grotesk und absurd, dass sowohl Razon als auch Amatoris nur starren konnten.
Laxus, der die ganze Zeit Lateo angestarrt hatte, rollte seine blutunterlaufenen Augen nach links und erblickte die beiden Ankömmlinge.
"Keinen … Schritt weiter …", flüsterte der alternde Elf mit rauer Stimme.
Razon blickte zu Lateo, der mit bleichem Gesicht zitternd dastand wie ein verängstigtes Kind. Seltsam, ihn ausgerechnet in solch einem Augenblick nackt zu sehen.
"Was hat das zu bedeuten?", fragte Razon leise und ging langsam auf Laxus zu.
"Razon …", sagte Amatoris langsam, doch er achtete nicht auf den Ebura und ging weiter.
"Laxus, was tust du hier? Was hast du mit Lateo vor?"
Laxus keuchte nervös und blickte zu Lateo, dann wieder zu Razon. "Er … er … er ist ein Killer."
Razon blieb wie angewurzelt stehen; hinter sich hörte er Amatoris immer wieder seinen Namen flüstern, und mit jedem Male wurde seine Stimme weinerlicher und würgender.
"Razon … Razon … Ra-zon … schau doch …"
Er blickte langsam zu Boden und Übelkeit kroch in ihm auf, denn er stand mitten in einer riesigen Blutlache.
"Was … was …", flüsterte Razon langsam und sah jetzt das ganze Bild des Grauens: Unter Lateos Bett lag eine entsetzlich verdrehte Leiche, die aussah wie eine Frucht, die man ausgedrückt hatte. Überall war Blut und an der Kleidung und den haarigen, nackten Füßen meinte Razon den Gnom Nunk zu erkennen. Neben dem Bett in der Ecke hockte eine zweite Leiche. Es war Araphel, der mit leeren, toten Augen die schreckliche Szenerie anstarrte. Er saß da wie eine ausgestopfte Puppe und mit einer riesigen Brandwunde auf der Brust.
Am liebsten hätte Razon sich jetzt übergeben und wäre dann wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Doch dann hätte er Lateo nicht mehr helfen können, denn der Fall schien eindeutig und Razon hatte es die ganze Zeit über gewusst:
"Nein, du bist es", sagte er mit fester Stimme und schluckte die Übelkeit herunter. Er beachtete auch nicht Amatoris Schluchzen und Wimmern im Hintergrund.
Razon verscheuchte seine Übelkeit mit Wut, Zorn und dem Wunsch, Laxus den Hals umzudrehen.
"W-w-was …?", stammelte Laxus, der weiterhin den seltsamen Gegenstand auf Lateo richtete.
"Du hast Lateo versucht umzubringen, oder?", sagte Razon mit beherrschter Stimme. "Das hat nicht geklappt, also hast du es noch mal versucht und dabei Nunk und Araphel aus den Weg geräumt, weil sie dich wahrscheinlich gestört haben."
"DAS WAR NICHT SO!", kreischte Laxus und fuchtelte mit dem Kristall-Zylinder herum. "Die waren schon tot, als ich hierherkam!"
"Du bist der einzige", fuhr Razon unbarmherzig fort, "den Auroria kein eigenes Haus gegeben hat. Warum? Bist du ein Eindringling von außen? Vielleicht jemand, der das 'Projekt Auroria' mit in die Hauptstadt bringen soll? Ein Spion der Außenwelt?"
"Es ist nicht möglich, von außen nach Auroria zu gelangen, und ebenso …"
"Du weißt mehr über die technischen und naturwissenschaftlichen Vorgänge hier Bescheid als alle anderen hier. Während die Aurorianer und Ebura ihr Wissen haben verfallen und in dieser Bibliothek verrotten lassen, hast du dir Wissen angeeignet, geforscht, gebaut …" Razon funkelte Laxus an und grinste böse. "Und du hast einen Weg gefunden, dir die elektrische Strahlung zu nutze zu machen, oder? Du kannst sie bündeln und andere damit verletzen? Nicht wahr?"
Laxus schwitzte heftig und zitterte und bebte wie ein Vulkan kurz vor seinem Ausbruch. Aber in seinen Augen waren Angst, Verzweiflung und Ohnmacht zu erkennen. Razon wusste nicht, ob Laxus wahrhaftig verzweifelt und ahnungslos war, oder nur eine Taktik verfolgte.
"Ja, jaaa!", stammelte er. "Ich gebe zu, davon gewusst zu haben. Ich habe auch eine Methode gefunden, die Strahlen einzusetzen, aber ich habe niemandem etwas angetan. Das war ER!"
Er richtete seinen Blick wieder auf Lateo.
"Dann hat Lateo sich also selbst verletzt, oder was?", rief Razon.
"Ich … ich weiß nicht, wer ihn verletzt hat, aber er hat den Gnom und Araphel getötet!", zischte Laxus. "Ich, ich dachte, er wäre ein liebes Bübchen!" Er spuckte verächtlich aus und funkelte Lateo böse an.
"Ja, klar", sagte Razon ungläubig. "Um was geht es dir? Willst du die Energie von Auroria nutzbar machen? Geht es hier um die Heilkräfte, oder …"
"Es ist wegen der Quelle", sagte Lateo leise.
Razon blickte ihn verblüfft an. "Die Quelle?"
Lateo nickte. "Wir haben dich, Razon, dort hingebracht, nachdem du vom Turm gesprungen und dich verletzt hattest. Unter normalen Umständen wärst du jetzt gelähmt, aber die Quelle hat dich geheilt."
Razon erinnerte sich - auch daran, dass jemand eine Quelle erwähnt hatte. Doch wie die vagen Bilder eines Traumes, hatte er auch dies verdrängt.
"Was ist das genau, diese Quelle?", wollte Razon wissen.
"Das ist doch jetzt nicht wichtig -"
"ICH WILL ES WISSEN!", unterbrach Razon Laxus barsch.
"Es ist Wasser in einer Kristallhöhle. Mehr wissen wir nicht darüber. Nur, dass es schwere Krankheiten heilen kann. In der Außenwelt wäre es das perfekte Heilmittel."
"Und dafür würdest du töten?", fragte Razon an Laxus gerichtet.
"Ich habe niemanden getötet!", zischte Laxus und richtete den Kristallzylinder nun auf Razon. "Aber ich werde mich verteidigen, wenn ich keine andere Wahl habe!"
Razon versuchte gelassen und ruhig zu wirken, doch innerlich bebte er vor Unsicherheit und Nervosität, denn er hatte keine Ahnung, was dieser seltsame Gegenstand war, den Laxus auf ihn richtete. War es ein Gerät, mit dem er die elektrische Strahlung bündeln konnte? Oder hatte er vor, ihm mit diesem Gegenstand den Schädel einzuschlagen?
"Wenn du nicht der Mörder bist", sagte Razon beherrscht, "dann lass dieses Ding fallen und erklär' uns, was wirklich passiert ist."
"Das glaubt ihr mir sowieso nicht", sagte Laxus und lachte verzweifelt auf.
"Ich bin aufgewacht", begann Lateo leise, "und sah Laxus, wie er dieses Ding auf mich richtete. Ich sprang aus dem Bett und sah die Leichen … und das Blut … Und Laxus brüllte herum."
"Ich fand die Leichen und zählte Eins und Eins zusammen …", sagte Laxus, jedoch mit unsicherer Stimme. Es klang so, als wüsste er nicht mehr, was er noch sagen könnte, um sich zu verteidigen.
"Hast du uns in der Bibliothek eingesperrt?", wollte Razon wissen.
Laxus blickte ihn verwirrt an. "Nein, ich …"
In diesem Augenblick - Laxus ließ den Kristall-Zylinder sinken - sprang Lateo auf und umschlang Laxus Oberkörper von hinten mit seinen Armen. Dieser erhob den Kristall-Zylinder der zu glühen begann. Razon wurde geblendet, Amatoris schrie erschrocken auf und wurde zusammen mit Razon im nächsten Augenblick wie eine Puppe durch die Luft gegen die Wand geschleudert.
Die Luft war von dem Geruch verbrannter Haut und angesengter Haare erfüllt. Razon rappelte sich benommen und halb erblindet auf. Er half Amatoris auf die Beine und sah dann zu seiner großen Überraschung Laxus, der in seiner Brust ein riesiges, rauchendes Loch hatte. Laxus starrte ungläubig und erschrocken ins Leere und fiel dann tot mit dem Gesicht voran auf den Boden. Der Kristall-Zylinder rollte über den Boden und wurde von einem Fuß in Sandalen gestoppt.
Langsam ließ die Erblindung durch das grelle Licht wieder nach und Razon und Amatoris sahen Dulcis, noch mit erhobener Hand und mit ernster, entschlossener Miene dastehen.
Lateo, der kurz bevor der Energieblitz Laxus hatte treffen und töten können, war zur Seite gesprungen und erhob sich nun ebenfalls.
"Dulcis?", flüsterte Amatoris entgeistert. "Was … was machst du hier?"
Dulcis sah zu seinem Gefährten und seufzte erleichtert auf. "Den Göttern sei dank, du bist in Ordnung."
Er bückte sich, hob den Kristall-Zylinder auf und ging dann auf Amatoris zu.
"Ich … ich dachte, ich müsste sterben", sagte Amatoris leise.
Dulcis lächelte und strich Amatoris über die Wangen, dann den Mund und schüttelte langsam den Kopf.
"Mit einem Heiler und Medizinmann als Gefährten? Nicht doch!"
Amatoris lachte leise und küsste Dulcis auf den Mund, während Razon um die Leichen und das Blut herum auf Lateo zuging.
"Bist du in Ordnung?"
Lateo nickte und blickte dann zu Boden. "Ich … ich möchte hier nur noch weg. Bitte …"
Amatoris griff nach der Bettdecke, um damit Lateo ein provisorisches Gewand zu geben, doch der Ebura lehnte ab und sagte: "Es macht mir nichts aus, nackt zu sein. Lass uns hier einfach nur … rausgehen."
Razon legte vorsichtig seinen Arm um den schmächtigen, zerbrechlich wirkenden Körper von Lateo und gemeinsam verließen sie den Raum, den Lateo wohl nie mehr als Schlafzimmer nutzen würde. Amatoris und Dulcis befanden sich bereits in der Vorhalle und lagen sich auf der Sitzgruppe aus Fellen und Kissen in den Armen. Amatoris, sonst immer der Dominante und Starke, lag nun weinend in Dulcis' Armen, der ihm tröstend über das Haar streichelte und immer wieder "Es ist vorbei" sagte.
Auch Razon und Lateo setzten sich, und Razon gab sich keinerlei Mühe mehr, seine Gefühle zu unterdrücken, und nahm Lateo in seine Arme. Sie zitterten beide, und für Razon war es eine Mischung aus Schock und Entsetzen über das eben Erlebte und auch Erleichterung darüber, dass Lateo nichts geschehen war. Für Lateo war es wahrscheinlich Erleichterung, Schock und …
"Lateo", sagte Razon leise. "Ich, ich …"
"Bitte", flüsterte der Ebura, "sag' jetzt nichts. Halte mich einfach nur fest."
Razon folgte Lateos Wunsch sehr gern.
Razon fühlte sich völlig benebelt und wie in einem Traum - alles war still. Er spürte Lateos Nähe und dessen Herzschlag. Das Heben und Senken seines Brustkorbes beim Atmen. Gleichzeitig hatte er jedoch das irreale Gefühl, ihm würde jemand in die Ohren brüllen.
("RAUS! Ich komme hier nicht mehr RAUS!")
Und ein unbestimmtes Gefühl der Angst beschlich ihn.
Diese seltsamen Gefühle wurden jedoch sogleich wieder in den Hintergrund geschoben, als ihm bewusst wurde, wo er sich befand, und sein Verstand kühl und nüchtern die Frage stellte, die Razon sogleich auch laut aussprach:
"Dulcis? Wie hast du das gemacht?"
Dulcis löste sich aus Amatoris' Umarmung und blickte Razon mit einem kühlen, beherrschten Blick an.
"Es war reiner Zufall", sagte er tonlos. "Ich fand heraus, wie Laxus die Energie von Auroria als Waffe einsetzen konnte."
Razon war nun völlig aus seiner Schock-Starre erwacht. Er schob Lateo sanft zur Seite, erhob sich und ging auf Dulcis zu.
"Wie?"
"Ich bin Arzt, Razon. Ich weiß eine Menge über Substanzen, die im Körper allerhand komische Dinge anrichten", sagte Dulcis nüchtern. "Laxus nahm Drogen, und ohne es zu wissen, nehmen wir diese Drogen auch zu uns."
Amatoris neigte den Kopf zur Seite. "Du meinst den Wein?"
Dulcis nickte. "Genau. Laxus war doch immer betrunken. Eines Tages muss ihm aufgefallen sein, was er in diesem Zustand vollbringen konnte. Der Rest ist Geschichte."
Razon blickte den Ebura mit den langen Haaren und dem grünen Stirnband nachdenklich an und versuchte, dem was er da sagte, Glauben zu schenken. Natürlich ergab dies alles einen Sinn: Laxus war ein Techniker, ein Wissenschaftler. Und Lateo hatte zu Recht Bedenken über ihn geäußert. Was wäre in der Außenwelt alles mit den Heilkräften möglich, die in Auroria herrschten? Und dann die Quelle … vermutlich die Möglichkeit auf ewiges Leben?
Aber ein anderer Teil in ihm - der rationale, technisch denkende Teil - vermisste wesentliche Teile dieses Puzzels.
"Wieso ein Mordanschlag auf Lateo? Und dann Araphel und Nunk. Oder waren die beiden nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen? War es einfach Pech?", fragte Razon laut.
Amatoris stöhnte entnervt auf. "Och Leute, mir brummt der Schädel. Vielleicht können wir das morgen …"
Razon blickte Dulcis in die Augen. Beide schenkten sie Amatoris keine Beachtung.
"Ja, es war einfach … Pech", sagte Dulcis leise. "Wie mir scheint."
"Und warum ich?", sagte Lateo. Er hatte sich ein Tuch um die Hüfte gebunden und gesellte sich zu den anderen. "Und warum behauptete Laxus, ich hätte Araphel und Nunk getötet?"
"Laxus", begann Razon nachdenklich, "war in dich verliebt, Lateo. Er konnte es nur nicht zeigen. Vielleicht, weil dann sein Plan, die Mächte von Auroria zu kontrollieren, gescheitert wäre. Und du hast mir deine Bedenken Laxus gegenüber erwähnt. Also …"
"Musste er mich aus den Weg räumen." Lateo nickte. "Ich verstehe."
"Und Araphel und Nunk waren Zeugen und mussten deshalb sterben", sagte Dulcis.
Razon runzelte verwirrt die Stirn, doch bevor er etwas sagen konnte, meldete sich Amatoris wieder zu Wort:
"Ich schlage vor, jeder geht jetzt nach Hause und ruht sich erst mal aus. Und dann müssen wir uns um die sterblichen Überreste von drei Aurorianern kümmern."
Dulcis nickte und legte einen Arm um Amatoris Schultern. "Das ist eine gute Idee."
Lateo sagte schniefend: "Und ich? Ich kann heute Nacht unmöglich hier … das ganze Blut und die Toten …"
Die beiden Ebura waren bereits halb auf der Straße, als Amatoris über seine Schulter lachend hinter sich rief:
"Bei Razon ist genug Platz für Zwei!"
Und damit waren Razon und Lateo alleine.
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