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Elfenliebe

Teil I

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Informationen

 

Seid gegrüßt! Mein Name ist Eliandar, ich bin ein Dunkelelf aus dem Volk der Morgroth, einem Dunkelelfenstamm, der für sein unterirdisches Leben und seine bergbauliche Aktivität bekannt ist. Nun, wir lassen arbeiten. Kobolde. Diese Wesen sind sehr geschickt, das muss man ihnen lassen. Wir leben in einem strengen Matriarchat. Nur den Frauen, unseren Priesterinnen, ist es vergönnt, Magie zu benutzen. Den Männern, Drohnen genannt, ist ihr Umgang streng verboten. Dafür verfügen wir über eine große Auswahl sehr starker Gifte, um unsere unterirdischen Bauten und unsere Leben vor den zahlreichen Feinden zu schützen. Ich selbst bin ein ausgebildeter Klingenwächter, diesen hohen Stand habe ich der Königin zu verdanken, angeblich eine entfernte Verwandte von mir.

Unser Leben ist nicht immer leicht, gerade jetzt nicht, wir liegen im Krieg mit den Waldelfen. Gott, wie ich diese Wesen hasse! Es sind Feiglinge, sie können nichts weiter als sich in den Bäumen zu verstecken und ihre Pfeile auf uns abzufeuern. Diese Biester sind verdammt flink und lästiger als ein Schwarm Erdwespen.

Unsere Räume liegen meist unterirdisch. Unter dem Erdboden liegen die Räume, in denen wir arbeiten, sowie die Privatgemächer der Königin. Die Schlaf- und Waschräume liegen oberhalb. Es ist schon ein interessanter Anblick, ein Dunkelelfenschloss von außen zu betrachten. Scheinbar wahllos ragen steinerne Türme wie Nadeln aus einem riesigen braunen Erdhügel.

Aber wo bleiben denn meine Manieren?! Ich habe mich ja noch gar nicht richtig vorgestellt. Meinen Namen und meinen gesellschaftlichen Stand kennt ihr ja bereits. Nun zu meinem Aussehen. Ich bin normal groß (Elfen sind in etwa so groß wie ausgewachsene Menschen) und athletisch gebaut. Nun ja, athletisch ist vielleicht übertrieben. Ich bin nicht wirklich muskulös, aber auch nicht so schmächtig wie ein untrainierter Waldelf. Meine Haare, meine Augen und meine Haut sind sehr hell, was zweifellos an dem unterirdischen Leben liegt, das wir führen. Meine Haare sind etwa schulterlang, wie eben gesagt weiß und glatt. Meine Physiognomie ist in euren Augen gesehen vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Meine Augen sind lang und schmal, genau wie meine spitzen Ohren. Mein Gesicht läuft nach unten spitz zu und mein Mund ist nicht besonders ausgeprägt. Meine Nase ist klein, wie bei allen Elfen eben. Alles in allem sehe ich aus wie jeder andere auch.

Wir liegen jetzt seit einem Jahr mit den Waldelfen im Krieg, und ich patrouilliere in unseren Gängen. Es ist alles ruhig, doch der Schein trügt. Das spüre ich… irgendetwas liegt in der Luft… Unheilvolles.

„Eliandar! Warte!” Es ist die Wachablösung. Alle paar Stunden wechseln wir uns nach eigenem Ermessen ab.

„Was rennst du denn so? Ist etwas passiert?”

„Das nicht, aber die Königin will dich sprechen. Sie sagte, es sei dringend. Ich übernehme deine Schicht. Du solltest gehen.” Was kann sie jetzt schon wieder wollen? Und dann noch dringend.

„In Ordnung. Ich mache mich gleich auf den Weg. Du kennst die Route?”

„Eliandar, ich kenne den Weg. Ich bin schließlich kein Neuling.”

„Du hast recht. Verzeih.”

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Und beeil dich, die Königin wartet nicht gern.” Ich mache auf dem Absatz kehrt und laufe mit hastigen Schritten in Richtung Königshalle.

„Ach Eliandar…” Ich drehe mich noch einmal um.

„Was ist jetzt schon wieder?”

„Viel Glück!” Viel Glück? Warum das denn.

„Ich verstehe nicht, was du meinst.”

„Das wirst du schon noch.” Zeigt der schon immer so ein merkwürdiges Verhalten? Warum viel Glück? Warum kann er es mir nicht sagen? Will die Königin mich den Elfen ausliefern? Was habe ich denn verbrochen? Grübelnd und Kopf schüttelnd mache ich mich dann doch auf den Weg. Dort angekommen, klopfe ich an die schweren Eichentüren. Wie von selbst schwingen die Flügel auf.

„Ah, Eliandar. Ich hatte dich erwartet. Tritt ein.” Ich befolge ihre Anweisung und trete vor den Thron.

„Was habt Ihr mir zu sagen?” Die Königin erhebt sich aus dem schweren Thron aus schwarzem Marmor und ruft ein paar Wachen herbei.

„Ich habe nicht viel Zeit und deshalb werde ich mich kurz fassen. Wie du wahrscheinlich nicht bemerkt haben wirst, gehen unsere Nahrungsvorräte zu Neige. Ich möchte, dass du mit ein paar anderen auf die Jagd gehst.” Ich beiße mir auf die Lippe. Jagen ist selbst in der Gruppe ein gefährliches Unterfangen. Zum einen wegen der Waldelfen, zum anderen wegen der Sonne. Durch unser unterirdisches Leben haben wir sehr helle Haut, der die Sonne gefährlich werden kann.

„Im Wald…”, fährt die Königin fort. Ein Raunen geht durch den Saal.

„Aber Königin, ich…”

„Schweig. Ich selbst weiß um die Gefahren, die in der Oberwelt auf dich lauern. Aber ich habe Vertrauen in dich. Du wurdest unter den besten Lehrmeistern ausgebildet, dein Geschick im Umgang mit dem Schwert und der Doppelklinge ist erstaunlich. Außerdem wirst du nicht allein ziehen, ich schicke meine besten Wachen mit dir.” Ich weiß nicht, wie viel ich der Königin bedeute. Anscheinend mag sie mich, doch ich weiß nicht, ob ich ihre Anforderungen erfüllen könnte. Sie ist zwar unsere Königin, aber das heißt nicht, dass ich mir alles von ihr gefallen lassen muss. Ich besitze auch meinen Stolz, er ist das einzige, was mich von der „normalen” Masse abhebt.

„Ich danke Euch für die Komplimente, aber…”

„Ich dulde kein Aber! Ich erwarte deine Rückkehr in 3 Tagen. Solltest du dann nicht wieder hier sein, werde ich dich suchen lassen. Und glaub mir, du wirst die Ehre erhalten, die dir gebührt.” Das sind nicht gerade rosige Aussichten. Wenn selbst sie nicht weiß, ob und wie ich zurückkehren würde, wer dann?

„Jawohl, meine Königin…” Widerspenstig verneige ich mich vor ihr. Eine Jagd… im Wald… 3 Tage… ihre Worte hallen in meinem Kopf wieder. Was habe ich getan? Normalerweise kennt die Königin bessere Methoden, unliebsame Gefolgsleute aus dem Weg zu räumen. Aber was bleibt mir anderes übrig, als ihr Folge zu leisten? Schweren Herzens gehe ich in mein Zimmer. Der Tag ist vorüber, die Nacht bricht herein. Der Mond taucht die Welt in ein silbernes Licht. Meine Gemächer sind eiskalt. Obwohl es Frühling ist, nimmt der Stein die Wärme nicht auf. Im Sommer hält er das Zimmer zwar schön kühl, doch im kalten Winter ist es die Hölle. Gelegentlich ziehe ich sogar in die Kerker, um es wenigstens etwas wärmer zu haben. Mein Zimmer ist spärlich eingerichtet. An einer Wand steht ein Bett, davor ein Läufer aus Schafswolle. An der anderen Seite stehen ein Tisch und ein Stuhl aus Buchenholz. Das Fenster ist spitz und auf der Fensterbank liegt eine silberne Klinge. Langsam lasse ich das Metall durch meine Finger gleiten. Es riecht nach Blut… Elfenblut. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Diese dummen Geschöpfe. Sie denken, wir sind blutrünstige Bestien, die nur darauf warten, sie zu zerreißen und ihr rohes Fleisch wie ein Rudel Wölfe zu fressen. Schwachsinn! Wir sind genau wie sie, nur scheuen wir das Sonnenlicht mehr. Wir leben einfach in verschiedenen Welten. Ich weiß noch nicht einmal, ob die Geschichten, die bei uns über sie kursieren, wahr oder gelogen sind. Eigentlich möchte ich es gar nicht wissen. Ich hasse sie. Von ganzem Herzen. Dabei haben sie mir doch nichts getan. Es tut jedoch gut, einen Sündenbock zu haben, jemanden, an dem man seine ganzen Aggressionen und seine Wut auslassen kann, die sich im Laufe eines Lebens angesammelt haben. Ich bin jetzt über 100 Lenze alt, doch noch nie habe ich mit einem Waldelfen gesprochen. Und ich habe es auch nicht vor. Warum auch, was könnten sie mir schon Großartiges sagen. Der Himmel ist sternenklar heute Nacht. Er ist wunderschön. Ab und zu huscht ein grüner Magiefetzen durch mein Sichtfeld. Unsere Fenster, sowie die meisten anderen Öffnungen nach außen, wurden von den Priesterinnen mit einem magischen Schild versehen. Er streut die einfallenden Lichtstrahlen oder lässt sie gar nicht hindurch und macht sie so unschädlich. Eine sehr praktische Einrichtung wie ich finde. Zumindest dann, wenn man das Licht so meidet wie wir. Für sämtliche Lebewesen sind diese Schilde übrigens ungefährlich. So kann man das Zimmer schnell verlassen, wenn man das Bedürfnis verspürt, eines äußerst langsamen und schmerzhaften Todes zu sterben. Wir sind vielleicht lichtscheu, das heißt aber nicht, dass wir völlig weltfremd sind. Unser Volk interessiert sich schließlich auch für die Natur und das Wetter. Die Sterne flackern hell, ich habe noch keine Lust ins Bett zu gehen. Irgendwie habe ich das Bedürfnis, mich zu bewegen. Kein Wunder, das monotone Auf und Ab in den Gängen ist nicht gerade auslastend, also muss ich mir etwas einfallen lassen. Vielleicht sollte ich mich im Umgang mit der Klinge üben. Das ist eine gute Idee!

Ein paar Dehnungsübungen später bin ich bereit. Ich hole meine Elfenstahlklinge aus der Ecke und wirble sie etwas herum. Langsam gewöhne ich mich an das Gewicht und wirble sie immer waghalsiger herum. Eine Stunde später bin ich außer Atem. Meine Haut glänzt von Schweiß und ich gehe in die Baderäume, um mich zu erfrischen. Seltsam, Regen perlt von unserer Haut ab, auch Schmutz findet keinen Halt, aber unser eigener Schweiß klebt und kribbelt unangenehm auf der Haut. Außerdem riecht es sehr streng. Es riecht zwar nur ganz leicht, aber der Geruch wird in den feinen Elfennasen sehr penetrant. Aber jetzt bin ich müde und lege mich ins Bett, schließlich soll morgen ein schwerer Tag werden.

 

Am nächsten Tag macht sich unsere kleine Gruppe auf den Weg. Die Wiesen sind noch taufeucht und das Gras wiegt sich im Wind. Ich reibe mir die Oberarme. Verdammt, ist das in meiner dünnen Lederkleidung kalt. Die Königin hat uns eine Magierin, Aliara, mitgegeben. Anscheinend friert sie nicht. Dabei ist ihre schwarze Kleidung viel dünner und weniger als unsere. Ihre Beine sind fast unbedeckt, ihr Mantel weht im Wind. Ihr Bauch ist kahl und ihr Ausschnitt reicht aufreizend weit tief. Sie sieht aus wie ein Freudenmädchen. Ich wüsste zu gern, was ihr Trick gegen die Kälte ist.

„Magie. Wir lernen schon als kleine Kinder, wie man sich mit nur einem Wort gegen körperliche Triebe wehrt.” Ich hätte es mir auch denken können. Wir sind gefeit gegen Attacken, aber gegen Kälte, Hitze, Hunger, Durst oder Müdigkeit helfen unsere vergifteten Waffen auch nicht. Etwas raschelt im Gebüsch! Ein Wolf? Ein Hirsch? Oder gar ein Bär? Ein Hirsch! Und was für einer! Makelloses Fell, gesunde Läufe und ein prächtiges Geweih. Ungeeignet… Es mag seltsam klingen, aber wir werden dieses Tier nicht schießen. So ein prächtiges Tier gehört in die Natur, als König des Waldes, nicht auf unseren Teller. Wenn wir nur die großen, starken, gesunden Tiere erlegen würden, würde das gesunde Gleichgewicht der Natur gestört werden. Deshalb jagen wir nur alte, schwache oder verletzte Tiere. Wir sind nicht darauf aus, Trophäen zu sammeln oder unsere aufgeblasene Arroganz durch das Erlegen unterlegener Lebewesen zu demonstrieren, wie wir das von anderen „intelligenten” Stämmen gewohnt sind… Wir leben davon, was die Natur uns gibt. Wir sind dankbar für den Überfluss, der uns ernährt. Verdammt… ich beginne zu reden wie einer dieser verweichlichten Waldelfen, eine Schande! Ich hoffe, niemand hat meine Gedanken zu diesem Thema mitbekommen. Bei den Priesterinnen weiß man ja nie…

 

Der dritte Tag neigt sich dem Ende. Unsere Truppe ist müde und durchnässt von der hohen Luftfeuchte. Gestern hat es die ganze Zeit geregnet. Wir sind alle hungrig und wollen nach Hause. Aber wir sind stolz, das Wild war unvorsichtig ob der anbrechenden kalten Jahreszeit und so können wir die Speisekammern wieder mit viel Fleisch und Fisch füllen.

„Was grinst du so?” Aliara stolziert voraus und strahlt über das ganze Gesicht.

„Ach, nur so. Ich bin einfach glücklich. Wir haben hervorragendes Wetter, unsere Sicht ist klar und wir kommen mit viel Nahrung zurück.” Das weiß ich auch, aber einen ganzen Staat zu ernähren, wird schwierig. Außerdem liegt mir noch etwas anderes auf dem Herzen.

„Ich traue der Stille nicht. Es ist sehr ruhig.” Zu ruhig…

„Sei nicht so pessimistisch. Wir haben einfach nur Glück. Du wirst sehen. Dort hinten ist gleich der Eingang in die Gänge. Wir sind schneller wieder zu Hause, als dir lieb ist. Genieße lieber noch ein wenig die frische Luft.”

„Wahrscheinlich hast du recht. Ich mache zu viele Gedanken. Alles wird gut.” Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Aliara hält mir hart die Hand vor die Brust.

„Sei still.” Sie rührt sich nicht, nur ihre Augäpfel rollen in ihren Höhlen.

„Hörst du das?” Ich spitze die Ohren und lausche in die Stille. Niemand rührt sich. Niemand wagt es zu atmen. Ich höre nur leise mein Herz schlagen. Poch, poch… poch, poch… poch, poch… Da ist nichts. Jedenfalls nichts zu hören. Aliaras Handfläche schwitzt. Das kann ich spüren. Das Blut rauscht in ihren Adern, ihr Herz wird unruhig. Ihre spitzen, langen Ohren zucken. Ganz leicht nur. Ganz leicht. Ich selbst versuche mich zu beruhigen.

„Konzentrier dich”, sage ich mir, „konzentrier dich.”

Die Luft schwingt im gleichen schnellen Takt wie mein Herz. Ich wage es nicht zu zwinkern. Eine falsche Bewegung könnte den Tod bedeuten. Das spüre ich. Ich vertiefe mein Körpergefühl. Ihre warme Hand liegt auf meiner Brust, als will sie mich beruhigen. Nein, sie will es nicht nur, sie TUT es. Ich kann ganz deutlich den Energiestrom spüren, der uns verbindet. Meine Pupillen drehen sich in ihre Richtung. Noch immer sagt sie nichts, atmet sie nicht, bewegt sich nicht. Ich weiß in diesem Moment noch nicht einmal, ob sie noch lebt. Sie ist unglaublich schön. Ihr schwarzes Haar, das im Wind weht, ihr schmales, symmetrisches Gesicht, die gerade Nase, die spitzen, leicht schrägen Augen. Nein, das geht nicht! Wir befinden uns in Gefahr und ich denke über ihre Schönheit nach! Aber es stimmt. Doch das ist nicht der Augenblick, um darüber nachzudenken. Ich weiß allerdings nicht, wie lange sie das noch durchhalten möchte. Ich weiß, dass wir diesen mentalen Krieg verloren haben. Was immer dort auf uns wartet, es hat uns.

Wir können hier noch lange stehen, ohne einen Mucks von uns zu geben. Wir haben es hier mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun. Plötzlich! Da! Ich spüre es! Ich spüre es mit jeder Faser meines Körpers! Da sind sie! Sie… Elfen… Waldelfen… unsere ärgsten Feinde. Wie Schatten laufen sie durch die Bäume. Ihre kleinen Körper verschmelzen mit dem grünen Blattwerk. Ich spüre ihre Blicke im Nacken. Aber einer… einer ist anders. Ich weiß es. Er drängt sich in meinen Kopf. Er saugt mich aus, wie eine Biene Blüten aussaugt.

Die Pfeile sind auf uns gerichtet. Spitze, silberne Pfeile. Selbst Streifschüsse sind gefährlich. Das Silber lässt unser Blut gerinnen. Es ist ein siechender, schmerzvoller Tod. Sie haben gewonnen. Die kleinen, flinken, scheuen Waldelfchen haben gewonnen. Sie sind in der Überzahl. Sie sind fitter und ausgeruhter. Ich weiß, dass sie feige sind, aber dass sie so feige sind, und sich nicht einmal einem unterlegenen Gegner stellen, hätte ich nicht von ihnen erwartet. Ich kann nur an diesen stechenden Blick denken. Ich habe ihn noch nie gesehen, diesen Elfen, aber ich sehe in deutlich vor meinem geistigen Auge. Kann so etwas sein? Kann so etwas wahr sein? Wirklich wahr? Kann man jemanden, den man nicht kennt, oder… glaubt, nicht zu kennen, so deutlich sehen? Aber vielleicht bilde ich mir das auch einfach bloß ein. Ich kann es jedenfalls nicht glauben. Es ist sicher nur eine Einbildung. Ich bin müde… hungrig… sehe ich schon Gespenster? Aber… andererseits… es ist so real. Nicht nur ausgedacht oder eingebildet. Ob die anderen es auch bemerkt haben? Oder zumindest Aliara. Sie ist Magierin. Priesterin. Sie vermag Dinge zu spüren, die sich uns einfachen Drohnen verschließen. Das hat sie mir in den letzten Tagen oft genug gezeigt.

Ich spüre schon wieder ihre Hand auf meiner Brust. Ihren Geist in meinem Kopf. Ich spüre sie. Ich spüre ihr Herz, ihr Blut, ihre Konzentration. Ich bilde mir sogar ein, ihre Gedanken sehen zu können! Das ist albern! Wir haben diese Fähigkeiten schon vor Jahrtausenden verloren. Glaub ich. Doch ich schweife schon wieder ab! Wir stecken vielleicht in Lebensgefahr und ich habe nichts anderes zu tun, als mich um verlorene oder behaltene Fähigkeiten zu ärgern! Mir wird dieser Gedanke schmerzlich entzogen. Aliara krallt sich in meine Brust.

„Duck dich!”, brüllt sie. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich presse mich an den feuchten Waldboden. Über mir ist das Surren von Pfeilen zu hören. Die feuchte Kälte des Mooses unter mir kriecht an mir hinauf. Meine Hand krallt sich um den Griff meiner Handklinge.

Einige Pfeile treffen. Das kann ich hören. Meine Männer schreien vor Schmerz auf. Ich bin ein Feigling! Über mir tobt ein erbitterter Kampf und liege auf dem Boden herum! Ich kann nicht anders. Ich muss ihnen helfen! Was bin ich nur für ein Anführer, der sich verkriecht vor den Pflichten wie eine verängstigte Wanderratte?! Ich versuche mich zu erheben. Im gleichen Moment werde ich wieder auf den Boden gepresst. Etwas auf meinem Rücken drückt mir die Luft aus den Lungen.

„Bleib liegen!” In diesem Moment hätte ich Aliara verfluchen können. Mich auf den Boden zu werfen, ist eine Sache… aber am Aufstehen gehindert werden, jetzt, wo ich am meisten gebraucht werde, ist eine andere. Das kratzt jetzt etwas zu viel an meiner Ehre. Und was zu viel ist, ist zu viel. Ich schmecke den bitteren Geschmack der Erde, der Sand brennt in den Augen.

„Aliara, lass mich…” Keuchend hole ich Luft. Ihre Ferse drückt sich auf meine Wirbelsäule.

„Bleib unten, sagte ich!” Diese kleine dreckige Priesterin! Kann sich nicht um ihren eigenen Dreck scheren? Behandelt mich, als wäre ich ein kleines Kind, das sich heulend am Rockzipfel der Mutter versteckt, wenn Gefahr droht. Jetzt reicht es wirklich! Das Maß ist voll. Erzürnt springe ich auf. Ein wenig überrascht bin ich schon, als ich auf beiden Beinen stehen bleibe. Aber wo bin ich denn hier gelandet?! Um mich laufen etliche Elfen! Dunkelelfen. Ich sehe Aliara, die versucht, sich mit grün schimmernden, magischen Schutzschilden vor den immer wieder neuen Pfeilhageln zu schützen. Mit einem leisen Zischen ziehe ich meine beiden Schwerter. Eins für jede Hand. So ist es schon viel besser. Meine Klingen wirbeln umher, zerfetzen Gliedmaßen und Elfenkörper. Blut spritzt mir ins Gesicht. Dampfende Körper liegen reglos am Boden. Vor mir bricht ein Elf zusammen und krümmt sich, vor Schmerzen schreiend. Es ist nicht mehr als ein ersticktes Gurgeln. Ein Pfeil steckt in seiner Brust. Wahrscheinlich hat er ihm die Lunge durchbohrt. Doch kein Tod wird ungesühnt bleiben. Ekstatisch kämpfe ich mich durch die Reihen. Ein Pfeil streift meinen Oberarm. Brennende Schmerzen durchzucken meinen Körper. Verfluchtes Elfensilber! Ich presse meine Hand auf die Wunde. Ich beiße mir auf die Unterlippe.

„Pass auf!” Ich rolle mich zur Seite. Vor mir steht ein Elf. Ein Waldelf. Sein Arm liegt noch an der Bogensehne, die vom Schuss vibriert. Einen Moment später ist er verschwunden. Ich bin wieder allein. Nein, meine Kameraden sind bei mir. Hoffe ich.

 

Etwas später ist der Kampf vorbei. Die Elfen haben sich zurückgezogen und wir sammeln unsere Verwundeten auf. Wir, das heißt im Moment Aliara, ich und ein paar nur sehr leicht Verletzte. Aliara spricht kein Wort. Nur ab und zu wirft sie mir ein paar wütende Blicke zu. Habe ich ihr etwas getan? Nicht, das ich wüsste. Trotzdem würdigt sie mich mit keinem Wort.

Die Verwundeten sind zusammengetragen und werden versorgt. Aliara greift mir hart an den Oberarm und zieht mich auf Augenhöhe.

„Komm mit. Wir müssen reden”, zischt sie. Kurz darauf finde ich mich hinter einem Baum wieder. Allein mit ihr.

„Was willst du?” Ihre Lippen sind zu einer Wellenlinie gekräuselt. Sie sieht angespannt aus. Ihr Busen wogt unter den angestrengten Atemzügen.

„Nun? Ich höre” Das hätte ich besser nicht gesagt. Aliara holt aus und schlägt mir ihre Hand mit voller Wucht ins Gesicht. Ein roter, brennender Abdruck bleibt zurück.

„WAS LOS IST? ICH GLAUBE, DAS WEISST DU AM BESTEN!” Ihre Stimme ist schrill und klingelt in den Ohren.

„Ich verstehe absolut nicht, was du meinst.”

„TREIB ES NICHT ZU WEIT! ICH SAGE DIR NOCH, DU SOLLST LIEGEN BLEIBEN UND WAS MACHST DU? STEHST AUF UND KÄMPFST, ALS WÄRE NICHTS GEWESEN!”

„Was? Und deswegen machst du so einen Aufstand?”

„EINEN AUFSTAND MACHE ICH??? ICH WERDE DIR GLEICH ZEIGEN, WIE EIN AUFSTAND BEI MIR AUSSIEHT. ICH HATTE BEFEHL, DICH ZU SCHÜTZEN. DAS HEISST NICHT, DASS DU EINFACH DURCH DIE GEGEND LAUFEN KANNST UND SORGLOS ELFEN ABSCHLACHTEST!” Ich glaube, ich habe mich verhört!

„Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber du redest nur dummes Zeug. Ich kann mir vorstellen, dass das für deinen beschränkten Priesterinnen-Verstand etwas hoch gegriffen ist, aber ein richtiger Elf kann nicht einfach nur so dasitzen und zusehen, wie seine Männer getötet werden.”

„Für einen Drohn nimmst du den Mund ganz schön voll. Wenn ich nicht für deine Gesundheit verantwortlich wäre, würde ich dir zeigen, wie beschränkt DU bist. Ich glaube, DU verstehst nicht recht. DU bist von uns beiden doch derjenige, der sich ständig in irgendwelche Gefahren bringt, die ICH oder die Königin wieder ausbaden müssen.” Also, bei dieser Torheit bleibt mir doch fast die Spucke weg. Sie ist doch nicht meine Mutter, die mich einfach so mir nichts, dir nichts bevormunden kann!

„Nun sei mal ganz still. Ich bringe mich nicht in Gefahren. Und das weißt du auch! Wenn es dir nicht recht ist, wie ich mein Leben lebe, dann halte dich aus meinen Angelegenheiten raus!” Aliara stemmt die Hände in die Hüften. Aber nicht aus Wut oder Empörung. Nein, etwas Triumphierendes liegt in ihrem Blick. Etwas, dass ich nicht so genau einordnen kann.

„Darf ich dich daran erinnern, dass ich eine Priesterin bin? Ich könnte dich mit einem einzigen Wort der Macht in die Knie zwingen.”

„Wenn du das tatsächlich könntest, hättest du es schon lange getan. Los, versuch es!” Ich glaube, ich habe den Mund etwas zu voll genommen. Aliara hebt eine Hand und richtet sie auf meine Brust. Ich höre nur noch ein einziges Wort, dann liege ich auf dem Boden. Über mir erscheint Aliaras grinsendes Gesicht.

„Überzeugt?” Ich fühle seltsamer Weise keinen Schmerz. Ich kann auch wieder aufstehen. Nichts. Keine Beschwerden. Nachdem ich mir den Schmutz abgeklopft habe, frage ich sie, was sie mit mir gemacht hat.

„Och, nur eine kleine Machtdemonstration meinerseits. Ich hoffe, es tat nicht weh.” Irritiert blicke ich mich um.

„Nein, überhaupt nicht. Ich dachte immer, eure Magie wäre vorrangig dazu da, die Gegner zu verletzen und ihnen Schmerzen zuzufügen?” Aliara lacht und schüttelt ihre Haare in den Nacken.

„Ha, wer hat dir denn das erzählt?” Anscheinend amüsiert sie sich prächtig über meine Worte. Ich hingegen bin verwirrt. Ich hatte zumindest ein Ziehen im Rücken erwartet… um nicht zu sagen erhofft. Aber nicht einmal das kommt!

„Ich möchte dir noch etwas zeigen.” Ihre Stimme wird sanfter. Sie tritt nah vor mein Gesicht.

„Gib mir deine Hand.” Ich strecke meine Hände aus. Ihre Finger streifen meine. Eine seltsame Energie zieht uns beide nach oben. Wohlige Schauer jagen mir über den Rücken. Ich verliere den Boden unter den Füßen! Wir schweben beide in der Luft!

Nicht loslassen! Nur nicht loslassen!, schießt es mir durch den Kopf.

Hoffentlich lässt sie nicht los.

„Was ist? Du wirkst so angespannt.” Kein Wunder! Es passiert mir nicht so häufig, dass mich eine Priesterin mit in luftige Höhen zieht! Ich mache sie mit festem Händedruck darauf aufmerksam. Langsam senkt sie sich wieder. Als unsere Füße wieder festen Boden berühren, lasse ich sie los.

„Das war… eigenartig… sehr eigenartig…”, stammle ich vor mich hin. Meine Stimme ist nichts weiter als ein heiseres Krächzen. Aliara streicht eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Na nu? Warum tut sie denn so etwas? Mir ist die Sache unangenehm. Ich weiß nicht, ob ich es ihr sagen sollte. Es würde ihr sicher das Herz brechen, schließlich… hat sie sich offensichtlich in mich verliebt. Vielleicht sollte ich noch damit warten. Mal sehen, wie sich das Ganze entwickelt.

 

Draußen regnet es in Strömen und ich bin mal wieder auf Patrouille. Alles ist ruhig, wie immer. Der Regen peitscht gegen die Wände des oberirdischen Festungsteils. Die Priesterinnen haben die Eingänge zu den unteren Teilen magisch versiegelt, kein Regen kann von draußen herein. Der Himmel lässt ein leuchtendes Inferno von Blitzen erscheinen und ich glaube das erste Mal in meinem Leben, das ein Job im Innendienst gar nicht so verkehrt ist.

Aliara hat mich seit unserer Begegnung vor ein paar Tagen größtenteils zufrieden gelassen. Wahrscheinlich habe ich mich in ihr getäuscht und sie ist gar nicht so interessiert an mir wie ich dachte. Jedenfalls hat sie mich noch nicht ein einziges mal anzüglich angesehen oder sich in meiner Gegenwart merkwürdig verhalten.

„Eliandar, komm schnell! Die Späher haben einen Gefangenen genommen!” Die Späher! Unsere Königin sandte einen Trupp Späher aus. Die Waldelfen hatten sich in letzter etwas zu ruhig verhalten. Sie dachte wahrscheinlich, sie führen etwas im Schilde und ließ sie ausspionieren. Nicht gerade die feinste Art, aber ehrlich gesagt, ich hätte das gleiche getan. Und jetzt waren sie zurück. Und neben Informationen haben sie einen Gefangenen mitgebracht!

Im Thronsaal herrschte aufgeregtes Geplauder. Ich höre die Stimmen im Vorbeigehen:

„Wie er wohl aussieht…”

„…was er weiß…”

„…ich traue dem Ganzen nicht…”

„Nein, du sagst nicht etwa…”

„Hat er wirklich… was dann? … ich fasse es nicht…”

Alles sind so dubiose Fragen. Ich weiß nicht, ob die Redner wirklich auf die Antwort ihrer Fragen warten, sondern die Zeit bis zur Ankunft des Gefangenen abwarten wollen.

Jemand hält mich am Arm fest. Ich drehe mich um und sehe in Aliaras aufgeregtes Gesicht.

„Ist er schon hier? Ich habe gehört, er soll hübsch sein!” Ehrlich gesagt wundere ich mich über Aliaras Neugier. Mir ist zwar bewusst, dass die Abneigung gegenüber den Waldelfen der anderen nicht so groß ist wie meine, aber von Aliara hätte ich ein etwas distanzierteres Verhalten erwartet.

„Nun warte doch erst mal. Noch ist er ja nicht hier.” Um meine Worte zu unterstreichen, hebe ich beruhigend die Hände. Aliara atmet tief ein und aus. Ihr Busen bebt vor Aufregung.

„Wahrscheinlich hast du recht. Ich mache mich zu nervös. Komm, wir suchen uns einen Platz, wo wir ihn sehen können.” Aliara greift nach meinen Händen und zieht mich hinter sich her.

Eigentlich wollte ich gar nicht kommen. Und ich weiß jetzt auch warum. Im Thronsaal ist es warm und stickig. Das ganze Schloss wurde zusammen gerufen. Die Leiber stehen dicht an dich. Körperkontakt ist hier vorbestimmt. Ich mag es nicht. Ich brauche Raum, um mich entfalten zu können, dazu lässt mir dieser enge Saal keine Möglichkeit. Obwohl… so klein ist er gar nicht; es kommt mir bloß so vor, weil alle so dicht neben einander stehen.

Der Großteil unserer Bevölkerung ist weiblich. Kein Wunder; kleine Elfinnen werden aufgezogen, über das Schicksal der kleinen jungen entscheidet die Amme oder die Königin, oder die Mutter selbst. Frauen werden zu Priesterinnen ausgebildet und da uns, den Drohnen, der Umgang mit Magie versagt ist, sind wir weniger Wert als die Priesterinnen. Wir sind nicht minderwertig, werden auch nicht gefangen gehalten oder für niedere Arbeiten missbraucht, wir besitzen bloß nicht genug Feingefühl, um die komplexen und zarten Energien, die uns umgeben zu verstehen und zu beherrschen. Das ist der Grund, warum wir als Magier unbrauchbar wären. Dafür sind wir hervorragende Alchimisten, Ärzte oder Parfumeure. Wir kennen die Welt der Pflanzen, ihrer Gifte und wie man sie gewinnen und verwenden kann.

Zwar verstehen wir nicht, was passiert, wenn wir Ragwurzsamen mit Oleanderblüten mischen, ein sehr starkes berauschendes Gift übrigens, aber das brauchen wir auch gar nicht. Wir wissen, DASS es passiert, das WIE ist uns unwichtig. Ich bin übrigens, ohne prahlen und angeben zu wollen, ein wahrer Meister im Giftmischen. Aber ich glaube, ohne das Wissen meiner Vorfahren und ohne hunderte Versuche und Rückschläge hätte ich es gar nicht so weit gebracht.

Ich blicke zum Himmel. Durch die große gläserne Kuppel, die den Thronsaal strahlenförmig überspannt, erkenne ich den dunkel verzogenen bewölkten Himmel. Auch die Thronsaal-Kuppel ist mit einem Zauber verwirkt, der Licht, aber keine Sonne hindurch lässt.

Der Regen prasselt immer noch auf die Erde und die Luft ist erfüllt von gespannter Erwartung. Es riecht nach Regen. Sehr leicht nur, aber dennoch merklich. Aliara scheint das nicht zu interessieren. Sie klammert sich fest an meinen Arm wie ein kleines Kind. Verdammt, sie tut es schon wieder. Sie nähert sich schon wieder an. Aber sie weiß ja nicht, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle.

Ich hoffe, sie macht sich keine falschen Vorstellungen. Ich würde ihr nur sehr wehtun… Und das will ich nicht. Ich mag sie. Nicht so, wie ein Mann eine Frau mag. Nicht so. Freundschaftlicher. Ich weiß, ich kann ihr vertrauen. Das habe ich neulich im Wald gemerkt. Ich kann sie nicht lieben. Dazu bin ich nicht in der Lage. Und ich kann ihr nicht das geben, was sie will. Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen. So glücklich. Nicht dass ich ihr nicht wünsche, glücklich zu sein, es ist nur, ich habe die Befürchtung, ICH und meine Nähe sind der Grund für ihr Glück.

Mein Arm schmerzt. Aliara hat ihn immer noch in ihrem eisernen Griff. Oh Gott, ich hätte nie gedacht, dass sie solche Kräfte entwickeln kann. Körperlich meine ich. Ich muss lachen. Sie dreht sich zu mir um. Ihr Gesicht strahlt. Ihre Augen leuchten vor freudigem Erwarten. Sie ist trotzdem hübsch. Ihre schwarzen, krausen Locken, die sie zu einem Knoten hochgesteckt hat, das weiße Gesicht, die blutdurchflossenen, roten Lippen. Wäre sie ein Mann, hätte ich sie wahrscheinlich geküsst.

„Es geht gleich los!” Sie wippt aufgeregt auf den Ballen und springt hoch, um besser sehen zu können.

„Komm”, sage ich und diesmal zieh ich sie hinter mir her. Ich fühle mich großartig, als wäre ich Vater, der mit ansieht, wie seine kleine Tochter auflebt. Ja, sie ist wirklich kindlich. Aber ich glaube das ist auch gut so. Kinder sind so unschuldige Geschöpfe. Irgendwo sind wir doch alle Kinder.

Auf einmal fliegt die Tür auf und ein kalter Wind weht herein. Die Banner, die an den Steinwänden hängen flattern wegen des kalten Luftzuges, der augenblicklich den Thronsaal umweht.

„Da ist er”, flüstert Aliara mir zu. Unglücklicherweise kann ich nichts erkennen. Weder die Wachen, die höchstwahrscheinlich als Geleit eingesetzt werden, noch den Gefangenen. Die Stimmung ist zum Bersten gespannt. Jeder versucht einen Blick auf den Neuling zu werfen. Unsere Königin erhebt sich.

„Führt ihn herbei!” Das Geleit, das noch im Türrahmen steht und die Waffen zwischen sich kreuzt, setzt sich in Bewegung. Wie ein lebender Käfig führt es den Gefangenen heran. Die Prozession kommt uns immer näher. Mit pompösen Schritten treten sie vor den schwarzen Marmorthron. Ich recke den Hals, um besser sehen zu können. Ich traue meinen Augen nicht! Das ist doch… Das kann doch nicht wahr sein! Das kann doch nie und nimmer Zufall sein! Inmitten dem Carré aus Soldaten steht… der kleine Waldelf höchstpersönlich! Nicht irgendein Elf. DER Elf! Der, den Pfeil auf mich geschossen hat. Der, der es wagte, sich mir gegenüber zu stellen. Der mit dem Bogen. Ich blinzle und sehe noch einmal hin. Ich traue meinen Augen immer noch nicht. Er ist es wirklich! Ich erkenne ihn an den grünen Augen. An den rostbraunen Haaren. An den spitzen Ohren. Er sieht gar nicht aus wie ein Gefangener. Er wirkt aufrecht. Fast sogar stolz! Sein Kopf hängt nicht; er blickt nicht zu Boden wie die meisten anderen Geiseln. Erhobenen Hauptes schreitet er vor den Thron. Seine Gang wirkt federnd, leicht, graziös. Und so sehr ich Waldelfen auch verabscheue, hassen… kann ich ihn nicht. Mir ist nicht ganz wohl dabei. Vielleicht bin ich krank und im Fieber spielt meine Gefühlswelt verrückt.

Habe ich vielleicht etwas getrunken? Mir wird so anders, wenn ich ansehe. Sein Anblick scheint mich zu beruhigen. Verwirrt und erschüttert schüttle ich den Kopf. Nein, das ist nur Einbildung! Das geht sicher vorüber…

Der Elf steht vor dem Thron. Unsere Königin hat sich erhoben und blickt ihn von oben herab an. Ihr verzogener Mund zeigt, dass sie sich genauso vor ihm ekelt wie ich. Beziehungsweise… wie ich eigentlich sollte. Aber bei ihm hier ist es etwas anderes…

„Nun. Waldelf… sag mir, was du in unseren Territorien verloren hast.”

Keine Reaktion. Er blickt nur zornig zu ihr herauf.

„Sprich!” Aber seine Lippen bleiben versiegelt.

„Du willst nicht? Schön! Du wirst bekommen, was du verdienst!” Sie streckt ihre Hand aus und hebt ihn magisch in die Höhe. Ich verstehe nicht, was sie damit bezwecken will, aber das wird mir bald klar. Ihre Finger verkrampfen sich. Ein Vibrieren ist in der Luft. Aliara neben mir zuckt zusammen.

„Was ist mit dir?” Ihre empfindliche Reaktion macht mir Angst. Immerhin geht es mir ja nicht so durch und durch.

„Es geht schon wieder…” Sie fächelt sich mit der Hand Luft zu und strafft wieder die Schultern. Ich blicke nach oben. Der kleine Waldelf schwebt 7 Ellen über dem Erdboden. Das Seil, das seine Hände auf dem Rücken zusammenhält, hängt in der Luft. Seine Augen sind zusammen gekniffen. Sein Mund ist zu einer schmalen Linie gekräuselt und seine langen spitzen Ohren zucken. Der Schmerz steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ich will Aliara fragen, was die Königin dort tut, aber sie scheint nicht zu hören. Gebannt starrt sie auf den schwebenden Elf. Sein kleiner Körper hat sich verkrampft. Unter der dünnen Kleidung, anscheinend ist er der Magie mächtig, spannen sich seine Muskeln. Sein schmaler Körper zieht sich zusammen.

Meinen Respekt! Er hält durch. Aus irgendeinem Grund tut er mir leid. Ich weiß, normalerweise sollte ich mich an diesem Anblick ergötzen, aber… ich kann es nicht. Irgendetwas in mir, etwas, das ich vielleicht versucht habe zu unterdrücken, empfindet Mitleid mit diesem Elf. Sein Anblick weckt etwas in mir. Emotionen, derer ich mir in dieser Weise noch nie bewusst war. Der kleine Körper, dieser unbeugsame Geist, die zierliche Gestalt, das alles weckt meine Neugier. Es ist jedoch kein Gefühl, schon gar nicht eine Wahrnehmung. Es ist mehr ein Glaube, eine leise Ahnung eines richtigen Interesses, das sich in mir regt.

Was rede ich denn da?? Nichts regt sich in mir! Dieser Waldelf ist nur einer von vielen. Unsere Königin wird wissen, wie man mit solchen Wesen umgeht, ich vertraue ihr!

Und doch… So sehr ich es auch versuche, meine Emotionen kann ich nicht unterdrücken…

 

Der Waldelf regt sich! Sein Mund beginnt zu beben. Die zu Wellenlinien verzogenen Lippen öffnen sich. Unsere Königin hält ihn nun schon mehrere Minuten in der Luft. Ich wusste es… Ihre Seelen sind schwach und zerbrechlich. Irgendwann hätte er reden müssen. Dunkelelfen sind geduldig. Wir hätten ihn Stunden, tagelang in der Luft halten können, ohne müde zu werden. Trotzdem bewundere ich den Mut dieses kleinen Geschöpfs…

„Ich rede, nur lasst mich runter” Seine Antwort war gepresst. Wenn man überhaupt von Antwort reden kann. Es war mehr ein gepresstes Keuchen. Einem unverständlichem Zischen näher als richtiger Sprache. Ein höhnisches, diabolisches Lächeln liegt auf dem Mund unserer Königin. Langsam senkt sich ihr Arm. Der Waldelf setzt auf den Boden auf und sackt sofort zusammen. Ich kann mir nicht helfen, da ist es schon wieder! Dieses grässliche Mitleidsgefühl. Was ist an diesem Elf anders als an anderen? Konnte es nicht ein anderer Elf sein! Ich hatte zwar vor, mich fest zu binden, aber doch nicht in einen kleinen mickrigen Waldelfen, der vielleicht noch nicht einmal bei starkem Wind nach draußen gehen kann, ohne von einem Windstoß fortgeweht zu werden!

Nach einigem Keuchen und Stöhnen des Waldelfen auf dem Boden, richtet er sich auf. Sein Blick liegt auf der Königin. Zornig. Vernichtend. Etwas an diesem Blick reizt mich. Es hat so etwas… Verführerisches. Seine grünen Augen funkeln. Wenn Blicke töten könnten… Ich glaube, dann bräuchten wir eine neue Königin.

„Was wollt Ihr wissen?” Die Königin setzte sich und legte die Arme gemütlich auf die Thronlehnen.

„Was du bei uns zu suchen hast” Der Waldelf sah sich um. Sein Blick ging entblößend durch die Reihen. Jeder, den er ansah, wurde rot oder drehte sich zumindest verlegen weg. Sein Blick blieb auf mir ruhen. Er durchbohrte mich, schien sich durch meine Eingeweide zu wühlen, bestimmt, das zu finden, was er suchte. Ein Gefühl der Übelkeit überkam mich. Als er sich wieder der Königin zuwandte, glaubte ich, ICH sei der Grund für sein Eindringen.

„Nun, wisst Ihr, jeder in unserer und in Eurer Welt hat ein Anliegen für das, was er tut oder tun wird. Ich weiß, warum ich hier bin. Und macht euch um mich keine Sorgen. Ich komme in friedlicher Absicht. Mein Volk verachtet den Krieg. So haben wir es geschafft, unsere Zivilisation zur Blüte zu bringen.” Unsere Königin nickt. Sie sieht nicht wirklich überzeugt aus. Ich glaube fast, sie hat gerade kein Wort verstanden…

Aliara neben mir gluckst kurz, dann ist sie wieder so zurückhaltend wie sonst. Ich schenke ihr nur einen kurzen Moment der Beachtung, dann wende ich mich wieder dem interessanten Gespräch zwischen der Königin und dem Elfen zu.

„Warum bist du allein.”

„Macht es denn einen Unterschied, ob ich allein oder mit einer Armee im Rücken ankomme?” Unsere Königin rutschte auf ihrem Thron hin und her.

„Wie heißt du?” Das war zugegeben eine sehr interessante Frage. Ich würde auch gerne wissen, wer dieser dubiose fremde in Wahrheit ist.

„Namen sind Schall und Rauch. Sie sind vergänglich wie der Morgentau, sie kommen und gehen, wann immer es ihnen gefällt.” Unsere Königin wurde langsam zornig. Der Elf will sie offensichtlich verspotten.

„Was möchtet Ihr noch wissen?”

„Nichts, danke. Ich weiß Bescheid. WACHEN! Bringt ihn in den Kerker. Und sorgt dafür, dass er dort bleibt.” Der Elf wurde abgeführt und Aufregung legte sich. Ich war beeindruckt von seiner Redegewandtheit. Er hat unsere Königin aufs Übelste beleidigt, ohne dass er auch nur ein böses Wort benutzt oder eine Frage unbeantwortet gelassen hat. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie amüsiert mich seine kesse Art. Erscheint schlau zu sein. Das gefällt mir…

 

Nachdem der Elf abgeführt wurde, kommt wieder Leben in den Thronsaal. Während der – ich nenne es der Einfachheit halber „Vorstellung”- hat niemand im Saal, außer der Königin und dem Elf, auch nur ein Wort gesagt. Jetzt herrschte reges Treiben. Alle fragen sich, was es mit diesem Elfen auf sich hat. Eigentlich hätte das klärende Gespräch zwischen Königin und Waldelf alle Fragen beantworten müssen, aber nachdem unsere Königin gemerkt hat, dass er sowieso nichts Aufklärendes sagen würde, hat sie die Unterredung schnellstmöglich beendet. Ein weiser Entschluss, muss ich anmerken. Ich will mich gerade mit Aliara wieder auf den Weg machen, als uns die Königin zurückruft.

„Was wünscht Ihr, meine Königin?” Bäh… ich merke schon selbst wie ölig meine Stimme klingt. Anscheinend findet Aliara das auch, sie verzieht den Mund und wirft mir einen bösen Blick zu.

„Du wirst ab sofort dem gefangenen Nahrung und Wasser bringen. Wenn wir ihn wirklich als Druckmittel verwenden wollen, müssen wir ihn gut behandeln, sonst erlischt unser Anspruch auf Lösegeld.” Eigentlich bekommen wir nur für besondere Gefangene Lösegeld. Und auch das nur, wenn wir sie nicht vernachlässigt haben.

„Jawohl, meine Königin.” Ich knie ehrfürchtig vor ihr nieder. Ich weiß nicht warum, aber ich freue mich für den Befehl, ihm das Essen bringen zu dürfen. Hat dieser junge Elf mir etwa schon so den Kopf verdreht?

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