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Elfenliebe

Teil II

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Einen halben Mond lang schon bringe ich dem Gefangenen sein Essen. Bisher hat er jedoch kein besonderes Interesse an mir gezeigt. Wie auch? Meine abfälligen Blicke werden ihn jedenfalls nicht dazu bringen, sich mir an den Hals zu werfen. Ich glaube, er würde eher sterben als in meiner Nähe zu sein. Obwohl… wirklich abgeneigt scheint er nicht zu sein. Seine Gesten sprechen Bände…

Wie auch immer. Jedenfalls möchte ich die Sache nicht überstürzen. Vielleicht sollte ich mich mit ihm anfreunden. Danach kann ich ihm noch immer meine Gefühle gestehen. Ich mag ihn wirklich. Das klingt jetzt vielleicht etwas oberflächlich, schließlich kenne ich ihn nur vom Aussehen. Aber irgendetwas an ihm reizt mich. Und ich spüre, dass daraus mehr werden könnte…

 

Heute werde ich es wagen. Ich werde ihn endlich ansprechen. Mein Gespräch mit ihm habe ich schon vorbereitet. Hoffentlich geht alles gut…

“Hier. Deine heutige Ration.” Ich schiebe das Tablett durch die kleine Luke am Boden der Kerkertüre. Einen Augenblick später greifen zwei Hände nach dem Essen. Der Waldelf setzt sich auf seine Pritsche und beißt vorsichtig in sein Brot.

“Keine Angst, es ist nicht vergiftet”, mache ich mich bemerkbar. Er wirft seine Haare in den Nacken und sieht mich an.

“Ach nein? Bei euch weiß man ja nie.” Seine grünen Augen funkeln mich an. Ob aus Abneigung oder Interesse weiß ich nicht einzuordnen. Ich bleibe stehen. Normalerweise gehe ich an dieser Stelle immer. Ich finde es unhöflich, jemandem beim Essen zuzusehen. Aber heute habe ich ein ernstes Anliegen. Trotzdem ist es nicht gerade appetitanregend, ihm zuzuschauen. Höflichkeitshalber drehe ich mich weg. Nicht, dass er schmatzen oder kleckern würde. Nein. Mir fällt bloß auf, dass ich heute noch fast nichts gegessen habe und sein Anblick in mir Hungergefühle hervorruft, was mir recht unangenehm ist.

“Was ist?”, fragt er schroff. Mein Herz schlägt bis zum Hals.

“Ni… Nichts…” In meinem Hals schnürt mir ein dicker Kloß die Luft ab. Ich fühle mich nicht mehr so mutig wie zuvor. Ich weiß, so ein kleiner Elf sollte mir, Eliandar, Klingenkrieger und Giftmischer, eigentlich keine Angst einjagen. Tut er auch nicht. Jedoch fürchte ich die Vorstellung, mit einem Waldelf befreundet sein, eines der Wesen, die ich am meisten verachte. Und die schroffe Art dieses Elfen ist nur bedingt hilfreich, meine eigenen Barrieren zu überwinden.

“Warum stehst du dann noch hier?” Der Waldelf wischt sich mit Handrücken den Mund ab. Mir fällt auf, dass er ein unglaublich schönes Gesicht hat. Sein rotbraunes Haar glänzt im diffusen Licht, das durch die Fensteröffnung fällt. Er zieht eine schmale Augenbraue nach oben.

“Was ist? Beantwortet man bei euch keine Fragen von ‘Gefangenen’?” Seine Stimme klingt nicht schroff oder gereizt. Trotzdem gefällt mir sein Tonfall beim Wort ‘Gefangenen’ nicht.

“Wie heißt du?”, platzt es aus mir heraus. Entschuldigung, aber irgendwann kann selbst ein Elf sich nicht mehr halten…

Allerdings ernte ich weder abfällige Blicke, noch dumme Phrasen oder Gesten. Der Elf nickt verständnisvoll und sieht mich mit seinen grünen, funkelnden Augen an. Er hat wirklich schöne Augen. Sie sind nicht nur grün. Um seine tiefschwarzen Pupillen ist seine Iris gelb. Einzelne Strahlen und Sprenkel durchsetzen seine Augen wie Sonnenstrahlen. Das Grün ist vielschichtig und differenziert. Es reicht vom Grün frischer Pflanzentriebe über das satte Grün von Moosen bis hin zum tiefen Meeresgrün. In diesen Augen könnte ich versinken… Sie sehen so unschuldig aus. So vollkommen unschuldig.

“Kalino…” Die Stimme klingt wie aus weiter Ferne. Sie reißt mich aus meinen Tagträumen. Ich schrecke hoch und merke sofort wie mir das Blut in den Kopf schießt. Der Elf schaut mich mit schief gelegtem Kopf an.

“Ääh… was?…”, frage ich ungläubig. Hat er zu mir gesprochen?

“Mein Name ist… Kalino…” Sein Worte kommen nur langsam über seine Lippen, so als würde er für jedes Wort nachdenken müssen. Ich bin noch vollkommen überrumpelt, immerhin hat er mich in meinen Tagträumen gestört.

“Uff… Schöner Name…”, stammle ich. O Gott ist das peinlich. Kalino beobachtet mich und ich versuche noch immer, meiner Gefühle Herr zu werden.

“Und wie lautet dein Name?” Er hat wirklich eine schöne Stimme. Seine Rede ist ein leichter Gesang. Irgendwie magisch und… wunderschön. Kalino zieht gelangweilt eine Augenbraue nach oben. Langsam komme ich wieder zu mir.

“Eliandar. Mein Name ist Eliandar.” Er lächelt! Dabei funkeln seine Augen so schön. Ach, in seinen Augen könnte ich versinken…

“Ein sehr schöner Name. Er passt zu dir!” Kleiner Speichellecker. Soll er ruhig! Mir soll es recht sein. Ich frage mich nur, warum er bei der Königin so abweisend war und bei mir nicht. Hat er vielleicht etwas vor?

“Danke. Dein Name ist aber auch schön. Kalino. Das hat so etwas Unschuldiges, Kindliches.” Er wirft den Kopf in den Nacken und lacht.

“Das kommt ganz darauf an. Ich kann auch anders.” Sein Gesicht strahlt. Seine langen, rostbraunen Haare schimmern im schwachen Kerkerlicht wie blankes Kupfer.

“Du hast ein hübsches Gesicht.” Kalino sieht mich an. Seine Nasenspitze wird leicht rot. Er sieht so gut aus, wenn er sich schämt.

“Danke… Erzähl ein bisschen was von dir!” Sein Gesicht sieht neugierig aus. Aber was soll ich ihm denn erzählen?

 

Auch an den folgenden Tagen tauschen wir gegenseitig Informationen aus. Kalino ist in seiner Heimat hoch angesehener Elementarmagier, das heißt er ist darauf spezialisiert, die Energien der Elemente für sich zu formen. Außerdem ist er sehr an Alchemie interessiert, wie ich schon bald herausfinde. Ich mag ihn wirklich. Ich weiß, eigentlich war meine Einstellung zu Waldelfen eine andere, aber Kalino ist etwas Besonderes. Er ist nicht so wie die Anderen. Er ist viel freundlicher und er sieht unverschämt gut aus.

Und ich weiß gar nicht wie ich es sagen soll, aber in meinem Magen fliegen riesige Schmetterlinge, wenn ich in seiner Nähe bin.

Da ist etwas zwischen uns. Ich spüre es. Etwas, was ich sonst bei keinem anderen spüre. Etwas Großes bahnt sich an. Allerdings sollte ich über Kalino nicht Aliara vergessen. Die Ärmste macht sich bestimmt Sorgen, weil ich so oft hier unten bin. Im Kerker. Obwohl unten ja auch relativ ist, schließlich liegen einige Zimmer unterirdisch.

Jedenfalls genieße ich unsere Zeit. Inzwischen bin ich fast jede freie Minute hier. Kalino hat schon gefragt, ob mich sonst keiner haben möchte. Ich mag ihn. Aber vielleicht ist da ja mehr…

 

Die Sonne geht langsam unter hinter den Bergen. Ich sitze allein in meinem Zimmer und mische Gifte. Ja, Gifte. Der Krankenflügel besitzt keine mehr. Nicht, dass sie ihren Patienten den Weg ins Licht verkürzen wollen, aber bei uns Alchemisten gibt es eine goldene Regel zum Gebrauch von Giften:

“All Ding ist Gift. Und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.”

Und momentan kann ich dem nur zustimmen. Die meisten Gifte wirken direkt auf die Organe und Gewebe, manche kommen schleichend, aber die wenigsten töten wirklich. Oft ist das “Opfer” danach nur so sterbenskrank, dass es sich wünscht, lieber tot zu sein als ein Leben als Krüppel zu führen.

Aber ich schweife ab. Jedenfalls bin ich schon bei der fünften Phiole und mir rinnt der Schweiß von der Stirn. Damit die Ingredienzien ihre Wirkung entfalten können, ist es nötig, sie bei der Herstellung kräftig zu erhitzen. Und es ist nicht gerade angenehm vor einer Flamme zu sitzen, die kaltes Eisen binnen Augenaufschlägen zu brüchigem Rost oxidieren lässt.

Und plötzlich passiert es! Aus reiner Schwäche lasse ich die Phiole fallen, mitten in die Feuerschale. Der Boden der Phiole zerplatzt wie ein Ballon und der Inhalt spritzt aus der Flamme. Irgendwie muss sich das Gemisch entzündet haben, jedenfalls schießt eine Stichflamme an die Zimmerdecke und breitet sich in einer rot glühenden Wolke aus. Mit einem Zischen verglühen die feinen Tropfen und ein heißer Aschenregen rieselt auf den Tisch. Mich hat es indessen von der Flamme weggetrieben. Mein Stuhl liegt irgendwo umgekippt auf dem Boden und ich stehe fassungslos vor meinem Arbeitstisch. Ich kann mich gar nicht rühren, so überrascht war ich bei der Explosion.

Jetzt erst merke ich, wie spät es eigentlich ist. Draußen ist es schon dunkel und noch nicht einmal die Grillen zirpen mehr. Mit noch immer zitternden Händen sammle ich die Scherben auf und kehre die Asche vom Tisch. Meine anderen Phiolen hat es nicht erwischt. Zum Glück. Denn die Zutaten für dieses Gift wachsen nur zu verschiedenen Jahreszeiten und nur bei Vollmond. Jeder Tropfen ist kostbar. Trotzdem ärgert es mich, dass ich so unachtsam war und wertvolle Tropfen verschwendet habe.

 

“Du warst übermüdet. Mach dir nichts daraus.” Sicher, Kalino will mich nur trösten, aber das macht die Sache auch nicht besser. Trotzdem… Ich bin ihm dankbar. In letzter Zeit ist mir Kalino eine große Hilfe. Ich stelle mich immer so ungeschickt an… Da ist nicht nur die Sache mit der gesprungenen Phiole, nein, vor ein paar Tagen bin ich zu spät zu meinem Wachdienst gekommen. Viel zu spät. Mein Vorgänger hat gekocht vor Wut. Aus flüchtigen Unterhaltungen weiß ich, dass er eine Familie und zwei Kinder hat, die er sonst abends immer ins Bett bringt. Nun, an diesem Abend wurde daraus leider nichts. Ich weiß, dass das nur eine kleine Lappalie ohne große Konsequenzen war, aber anscheinend war ihm dieses Ritual sehr wichtig, also tat es mir leid. Ich weiß auch nicht, aber in Kalinos Nähe fühle ich mich sicherer als woanders. Mir ist, als würde er mich beschützen, mein Schutzengel sein.

“Kalino…?” Mein Verstand hat ausgesetzt und bin nur noch ein Schatten meiner selbst. Ein schönes Gefühl, sich ganz fallen lassen zu können.

“Ja…?”

“Darf ich dir eine Frage stellen?”

“Was ist, wenn ich nein sage?”

“Dann würde ich sie trotzdem stellen…”

“Na siehst du…”

“Also heißt das ja?”

“… Raus mit der Sprache…”

“Wie findest du mich?” Oh weh, habe ich das gerade tatsächlich gefragt? Anscheinend ja, denn Kalino rückt ein Stück von mir ab und streicht sich nervös die Haare aus der Stirn.

“Wie meinst du das?” Seine Wangen laufen rot an. Er sieht so süß aus. Er schaut weg und fängt an, seine Finger zu kneten.

“Ich weiß auch nicht. Ist mir einfach so über die Lippen gekommen. Du musst meine Frage nicht beantworten, wenn du nicht willst.” Ich mache mich auf ein deutliches Nein gefasst und drehe mich schon auf dem Absatz um, als er mich zurückhält.

“Warte. Ich will deine Frage beantworten. Du bist außergewöhnlich. Aber das wahrscheinlich nur, weil ich vorher nur mit Waldelfen zusammengelebt habe. Was ich sagen will, ist: Du bist interessant. Ich mag dich. Dein Leben scheint so aufregend zu sein und du bist so erfahren im Umgang mit Giften, du kennst so viele Arzneien und ich glaube, ich noch nie jemanden getroffen, der fünfundzwanzig verschiedene Möglichkeiten kennt, jemand anderen zu vergiften.” Er lächelt verlegen, wird jedoch sofort wieder ernst.

“Weißt du, wir haben so viele gemeinsame Interessen. Und außerdem siehst du sehr gut aus. Ich meine, nicht dass du mich falsch verstehst, aber…” Weiter kommt er nicht, denn ich bringe ihn mit einem Wink zum Schweigen. Ich finde, seine Rede war überzeugend genug.

“Komm näher.” Sein Gesicht kommt auf mich zu. Ich greife durch die Gitter seiner Zelle und ziehe sein Gesicht heran. Meine Hände liegen auf seinen Wangen. Er atmet aufgeregt durch den Mund. Anscheinend weiß er, was jetzt kommen wird. Ich drücke meine Lippen auf seinen Mund und küsse ihn zärtlich. Er riecht unglaublich gut. Die Würze des Waldes geht von ihm aus. Seine Lippen sind unglaublich weich. Er macht auch keine Anstalten, sich zu wehren. Ihm scheint es genauso sehr zu gefallen wie mir. Nach einer Ewigkeit lasse ich ihn wieder los. Seine Augen sind ganz groß und geweitet, er blickt mich von unten an. Seine Züge sind angespannt, doch seine Augen sprechen eine andere Sprache. Ich würde ihn am liebsten noch einmal küssen, aber ich weiß nicht, ob er das Ganze noch einmal über sich ergehen lassen würde.

“Bis bald”, flüstere ich und lasse ihn los. Eiligen Schrittes gehe ich. Ich weiß nicht warum, aber ich hätte wahrscheinlich Angst vor seiner Reaktion, wenn er wieder zu sich käme. Zwar sah er nicht verängstigt oder wütend aus, aber sein Verhalten war auch nicht ganz eindeutig.

Aber was soll’s! Ich habe Kalino geküsst! MEINEN Kalino. Ich muss unbedingt zu Aliara. Ich sprudle über vor Glück und ich brauche nun ganz dringend jemanden, mit dem ich dieses Glück teilen kann.

 

“Aliara! ALIAAAAARAAA!!” Ich kann Aliara nicht finden! Ich dachte eigentlich, sie wäre bei den Hofmagierinnen, aber dort hat sie auch niemand gesehen. Ich denke es wäre das Beste, wenn ich sie in ihrem Schlafsaal suchen würde. Gesagt, getan. Aliara wohnt ganz am anderen Ende der Festung, aber ich habe Zeit. Die Sonne geht gerade unter und ich wollte es ihr dort sagen, wo uns nicht jeder zuhört.

“Aliara?” Ich klopfe an die dunkle Holztür zu Aliaras Gemächern.

“Aliara, bist du da? Ich bin es, Eliandar. Ich muss mit dir reden.” Von drinnen kommt keine Reaktion. Aber Aliara muss hier sein!

“Komm schon, Aliara, ich weiß, dass du da drin bist.” Wieder nichts. Ich drehe vorsichtig den Knauf der Tür um. Es ist gar nicht abgeschlossen?! Vorsichtig trete ich ein. Ein leichter Duft von Honig liegt in der Luft. Die Wände sind mit Tüchern verhangen und auf dem eleganten Tisch stehen verschiedene gläserne und silberne Geräte, sowie einige dicke Bücher. Alles ist so glatt geschliffen. Die Möbel besitzen schwungvoll gedrechselte Beine und Lehnen. Nirgendwo stört auch nur ein Fleckchen Staub die perfekte Harmonie in diesem Raum. Ich habe selten ein solch vollkommenes Flecken Erde gesehen. Wahrscheinlich liegt dies aber daran, dass mein Zimmer eine einzige Gerümpelkammer ist. Und dass meine Möbel nicht so fein gearbeitet sind.

“Suchst du etwas Bestimmtes?” Erschrocken drehe ich mich um. Hinter mir steht Aliara, nur mit einem Handtuch bekleidet, dass sie vor dem Körper festhält. Ihr Blick sieht nicht nur fragend aus. Anscheinend passt es ihr nicht wirklich, dass ich einfach so hereingeplatzt komme. Kein Wunder, wenn ich in meinem Zimmer bin, möchte ich auch nicht einfach gestört werden.

“Ja, dich. Wo warst du denn?” Sie zieht genervt eine Augenbraue hoch.

“Sieht man das denn nicht?”

“Wenn ich störe, kann ich auch später wiederkommen”, versuche ich mich entschuldigend rauszureden.

“Nein, ist schon in Ordnung. Ich hatte bloß nicht mit dir gerechnet. Was gibt es?”

“Aliara, ich muss mit dir reden.” Sie steckt sich die Haare hinter dem Kopf zusammen und blickt mich fragend an.

“Sind wieder ein paar Phiolen zu Bruch gegangen?” Na, das ist ja merkwürdig. Von den Phiolen hatte ich ihr gar nichts erzählt.

“Nein… äh, ich meine ja, aber das ist es nicht.”

“Was denn dann?” Anscheinend hat sie keine Lust auf Rätsel.

“Was anderes. Kann ich mit dir nach draußen gehen? Mich zieht es an die frische Luft.” Ich muss wieder an Kalino denken und an den Kuss und dabei kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Aliara lacht.

“Ach so, du Honigkuchenpferd. Einen Moment noch, ich ziehe mich noch schnell an.”

Nachdem Aliara sich angezogen hatte, sind wir raus gegangen. Vor der Festung fließt ein kleiner Bach, der ideal dazu geeignet ist, um an ihm nächtliche Spaziergänge zu unternehmen. Die Grillen zirpen ihre letzten Melodien im Gras und der abnehmende Halbmond taucht die Welt in sein silbern schimmerndes Licht. Aliara unterbricht die romantische Stille, die zwischen uns herrscht.

“Also, was hattest du so Wichtiges zu sagen?” Ich schlucke einmal hart und sortiere die Gedanken auf meiner Zunge.

“Also… weißt du noch… der Gefangene, von dem ich dir erzählt habe…” Aliara nickt zustimmend.

“Ja, ich weiß. Wie hieß er noch gleich… Kalino, richtig?”

“Ja, Kalino.”

“Was ist nun mit ihm?” Da gibt es wohl kein Zurück mehr. Und das Schlimmste ist: Aliara weiß nichts von meiner Vorliebe für Männer. Also, wenn ich es mir recht überlege, so hat die Sache noch Zeit. Schließlich habe ich ihn nur einmal geküsst und seitdem nie wieder. Ich weiß ja noch nicht einmal wie er es fand.

“Ach weißt du, ich glaube das hat noch Zeit. Sage mir lieber, was du auf dem Herzen hast.” Aliara hebt misstrauisch eine Braue. Anscheinend nimmt sie mir die Geschichte doch nicht so ganz ab, wie ich vermutet habe. Aber ich kann ihr doch auch nicht in einem Atemzug sagen, dass ich Männer liebe und dazu auch noch Kalino geküsst habe, einen Waldelfen. Ich, Eliandar, dessen Abneigung gegenüber diesen Wesen seinesgleichen sucht!

“Na gut. Wenn mein Anliegen nicht so wichtig wäre, würde ich dein Geheimnis schon aus dir herauspressen.” Das klingt gefährlicher als es ist. Aliara würde mir nie wehtun, nur um ihre Neugier zu stillen. Dafür ist ihr ihre Würde zu wichtig.

“Ich wollte dich fragen, ob du mit mir zum Frühlingsball gehst. Von allein kommst du ja nicht auf die Idee, mich zu fragen.”

Oh nein! Der Frühlingsball! Den hatte ich ganz vergessen. Jedes Jahr, in der ersten Vollmondnacht nach der Schneeschmelze findet ein großer Ball im Schloss statt. Der Frühlingsball ist eines der edelsten Feste des ganzen Jahres. Die ganze Nacht über wird getanzt, gelacht und ausgelassen gefeiert. Auf diesem Ball haben sich schon manche Elfen gefunden.

Und ich hatte ihn vergessen!

“Was ist? Gehst du mit mir dorthin oder nicht?” Natürlich würde ich gern! Aber zurzeit steckt mir ein Kloß im Hals, der mir das Reden untersagt.

“Ich… ähh… ich… … ja…”, japse ich verzweifelt. Ein Grinsen breitet sich auf Aliaras Gesicht aus.

“Gut, dann wäre das ja klar!” Ich hab den Ball vergessen. Das ist mir so unangenehm. Ich hatte noch nie den Ball vergessen! Wie konnte das nur passieren? Sicher ist es der Stress, den ich letzter Zeit um die Ohren habe.

“Aliara? Wann genau findet der Ball statt?”

“In zwei Wochen. Warum? Ist es dir entfallen?” Erwischt!

“Äh, ja. Ist mir entfallen.”

 

Zwei Wochen noch. Wie soll ich das nur schaffen? Es gibt so viel zu tun. Ich muss mir noch einen Anzug besorgen, dann werde ich ständig Audienzen bei der Königin haben, dann muss ich noch helfen, Früchte zu vergären, die Liste ist schier endlos. Es würde mich nicht überraschen, wenn mir das alles über den Kopf wächst. Und Kalino muss auch noch versorgt werden! Himmel hilf, ich glaub die Welt bricht zusammen…

 

Der Abend des Balles ist da. Den ganzen Tag habe ich kaum jemanden gesehen. Die Kobolde, unsere kleinen Helfer, sind eifrig damit beschäftigt, den großen Saal zu dekorieren. An den Wänden stehen edle Sofas und Tische mit elegant geschwungenen Beinen. Der Thron ist vom Podest der Königin entfernt worden, stattdessen stehen dort verschiedene Instrumente wie Geigen, Flöten oder Harfen. Der ganze Saal ist prächtig geschmückt mit Blumen und Girlanden. Der schwarze Marmorboden glänzt wie nie zuvor. Aber ich habe keine Zeit, das Kunstwerk zu bestaunen. Ich muss mich beeilen, wenn ich noch rechtzeitig fertig sein will!

 

Also, nichts wie los! Nach einer Dusche ziehe ich meinen frisch geschneiderten Anzug an. Ein dunkelbraunes Kleidungsstück mit einem blütenweißen Rüschenlatz und ebensolchen Manschetten an den Ärmeln. Meine Haare habe ich ordentlich am Hinterkopf zu einem Rattenschwanz zusammen gebunden. Noch schnell ein paar Tropfen Moschus an Hals und Händen, dann bin ich fertig, um Aliara abzuholen.

Auf dem Weg treffe ich lauter Paare, die schon auf dem Weg zum Ball sind. Sie sehen alle wundervoll aus in ihren prächtigen Kleidern. Hoffentlich komme ich nicht zu spät!

Vor Aliaras Tür komme ich endlich zum Stehen. Eine Hitzwelle überrollt mich, so schnell bin ich gegangen, ja fast schon gerannt. Nachdem ich mich kurz gesammelt habe, klopfe ich an die Tür. Ein paar Augenblicke später schwingt die Tür auf und Aliara tritt heraus. Oh mein Gott, sie sieht wundervoll aus!

Aliara trägt ein blutrotes, schulterfreies Glockenkleid, das bis zum Boden reicht. Ihr Dekolleté ist atemberaubend tief und ihr straffer Busen wölbt sich in verführerischen Hügeln. Ihre schwarzen Haare fallen ihr glatt auf die Schultern und ihr Haupt bekrönt ein silbernes Diadem. Ihre Lippen strahlen in kräftigem Karminrot, was einen sehr schönen Kontrast zu ihren tiefschwarzen Haaren und ihrem blassen Gesicht gibt. Ihre blauen Augen strahlen unter den dunkel geschminkten Lidern.

“Aliara, du siehst wunderschön aus.” Ich kann nicht anders. Aliara ist wirklich zum Niederknien schön.

“Danke, ich habe mir auch große Mühe gegeben.” Sie tritt mit federnden Schritten auf mich zu.

“Gehen wir.” Sie hakt sich bei mir unter und gemeinsam schreiten wir zum Ball.

Der Thronsaal ist schon recht voll. Dutzende von Paaren stehen in Gruppen zusammen und lachen oder reden oder bedienen sich am Büffet.

“Wir sind spät dran”, bemerkt Aliara, was jedoch offenbar kein Hindernis für sie darstellt, mich zu unseren Bekannten zu zerren.

“Eliandar, schön dich auch mal wieder zu sehen”, begrüßt mich Shaliar, ein alter Bekannter aus Alchemistenkreisen, und wedelt mit seinem Glas Wein vor mir herum. Anscheinend ist er schon etwas länger hier als wir, denn so frei habe ich ihn noch nie reden hören.

“Und Aliara hast du auch mitgebracht.” Sieht ganz danach aus. Allerdings scheint sich Shaliar weniger für Aliara als für ihren Ausschnitt zu interessieren. Shaliar ist auch sonst sehr an Aliara interessiert, allerdings hat sie seinem Werben bis jetzt nicht nachgegeben. Umso mehr wird es ihn stören, dass gerade ICH sie zum Ball geleiten darf. Aber mich stört das nicht, Shaliar ist so ein guter Schauspieler. Einen Augenblick später geht er los, um uns etwas zu Trinken zu holen. Eine gute Idee zum Warmwerden. Aliara lehrt ihren Kelch mit wenigen Zügen, mir hingegen ist der Durst vergangen, als ich mir die trübe, rote Brühe vor mir angesehen habe. Ich ziehe es vor, bis auf den Grund des Kelches Blicken zu können, aus dem ich trinke, um mich vor bösen Überraschungen zu bewahren. Offenbar hat Aliara nicht solche Sorgen, sie zieht sich genüsslich ihr Getränk rein. Na ja, wie dem auch sei. Bis jetzt lässt der Ball noch zu wünschen übrig, allerdings hat er ja auch gerade erst angefangen.

“Mensch, Eliandar, erzähl doch mal, was du in letzter Zeit so gemacht hast”, versucht Shaliar ein Gespräch anzufangen. Eine tolle Aufforderung! Was soll ich schon gemacht haben?

“Ach, weißt du, nichts besonderes. Nur das Übliche.” Shaliars Lächeln sieht etwas gequält aus. Verständlich, schließlich lädt meine Aussage nicht gerade zum Diskutieren ein.

“Sag mal, du kennst doch den Kurzen aus der ersten Wachschicht!” Natürlich kenn ich den, der hat mich doch vor ein paar Wochen abgelöst, als ich eine Audienz hatte! Aber was soll mit dem sein?

“Ja, den kenn ich, warum?”

“Seine Frau hat sich erhangen!”

“Echt?”, staune ich. Mann, ich bekomm ja rein gar nichts mehr mit, seit Kalino hier ist.

“Warum denn das?”

“Das weiß man nicht so genau. Fakt ist jedoch, dass es in der Ehe wohl nicht so gut lief. Er soll sie ständig betrogen haben.”

“Aber deswegen erhängt man sich doch nicht.”

“Da hast du vielleicht recht, doch die Ärzte sagen, sie war im vierten Monat schwanger. Seine Kinder, selbstverständlich.”

“Und sie hat keine Möglichkeit gesehen?” Shaliar zieht verwirrt die Stirn in Falten.

“Natürlich nicht! Für Abtreibung war es zu spät und mit zwei Kindern allein wäre sie überfordert gewesen.”

“Zwei Kinder?”

“Hört doch auf, euch über solche Intrigen und Ränke den Kopf zu zerbrechen”, mischt sich Aliara ein.

“Wenigstens heute solltet ihr euch etwas entspannen.” Aliara hat Recht. Warum sollte ich mir den schönsten Tag des Jahres verderben, zumal, da ich mit einer wunderschönen Frau hier bin…

“Komm Eliandar, lass uns tanzen.” Aliara nimmt meine Hand.

“Du gestattest, Shaliar?” Er kann nur verdattert den Kopf schütteln. Einen Moment später schweben Aliara und ich aufs Parkett. Ich lege meine Hand um ihre Hüfte und gebe den Takt an. Aliara lässt sich in meinen Armen fallen. Leicht wie eine Feder schwebt sie über das Parkett und lässt sich ohne Mühe von mir führen. Sie riecht unglaublich gut. Ob das ein neues Parfum ist? Es riecht ein wenig nach Rosen. Und Flieder. Ein bisschen Jasmin ist auch drin. Der Weingeist scheint hervorragend destilliert zu sein, kein unangenehmer Beigeschmack auf der Zunge.

Immer schneller dreht sie sich um mich herum. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Ihre Hände halten meine und ich schleudere sie mit ausgestreckten Armen herum. Sie lacht vor Freude wie ein kleines Kind. Auch mir macht es Spaß. Es ist so befreiend, sich einfach hängen zu lassen, ohne auf die Etikette zu achten.

Aliara lässt plötzlich meine Hand los und unsere Körper strecken sich zur Abschlusspose. Die Musiker spielen den letzten Takt und das Lied ist vorbei. Aliara, ich und die anderen Elfen klatschen und pfeifen vor Vergnügen. Aliara kommt zu mir und flüstert mir ins Ohr:

“Das hat Spaß gemacht.” Ja, das hat es wirklich. Vielleicht sollten wir das bei der nächsten Gelegenheit wieder tun. Aber nicht jetzt. Mir ist noch etwas schwindelig vom ganzen Umherwirbeln und ich setze mich auf eins der gepolsterten Sofas. Aliara gesellt sich zu mir und nimmt meine Hand.

“Hattet ihr Spaß?” Shaliar kommt mit federnden Schritten auf uns zu.

“Und wie. Es war einfach großartig”, antwortet Aliara für uns beide.

“Der nächste Tanz gehört mir”, stellt Shaliar fest. Er verneigt sich und streckt Aliara die Hand hin.

“Darf ich bitten?” Aliara greift seine Hand und lässt sich von ihm auf die Tanzfläche führen.

Diesmal ist das Lied langsamer. Und gefühlvoller. Shaliar tanzt sehr eng mit Aliara. Anscheinend versucht sie Abstand zu gewinnen, sie schaut ihm nicht direkt in die Augen. Sie bilden ein schönes Paar. Shaliar und Aliara. Wie sie so beieinander stehen. Shaliar würde gut für Aliara sorgen, das weiß ich. Leider ist SIE zu sehr auf mich fixiert, um sich ihm hinzugeben.

Ich bekomme ganz urplötzlich Sehnsucht. Sehnsucht nach Kalino. Wie gern würde ich ihn im Arm halten. So wie Shaliar Aliara im Arm hält. Ich weiß nicht, aber ich fühle mich, als würde ich Kalino hintergehen, wenn ich mit Aliara tanze. Vor allem, wenn dies so intim geschieht. Ich kann nicht anders, ich muss ihn sehen.

Noch bevor der Tanz aufhört, stehe ich auf und gehe zügig in Kalinos Richtung. Im Kerker ist es feucht und moderig und ich muss aufpassen, dass ich meine kostbare Kleidung nicht schmutzig mache. An der Zellentür angekommen greife ich sofort zwischen die Gitterstäbe.

“Kalino, komm her!” Hinten regt sich etwas, dann plötzlich steht Kalino vor mir.

“Was ist, was hast du?” Meine Hände umfassen sein Gesicht.

“Küss mich. Sofort!”, flüstere ich ihm zu. Zeit zum Antworten hat er nicht, schon drücke ich ihm meine Lippen auf den Mund. Oh, wie befreiend das ist. Langsam schiebe ich meine Zunge in Kalinos Mund und taste mit ihr seine Mundhöhle ab. Auf dem Weg stoße ich an etwas Feuchtes. Wie ein Wurm umschlängelt seine Zunge meine. Es scheint ihm zu gefallen. Mit den Lippen massiert er langsam meinen Mund. Er schmeckt so gut. Und seine Zunge ist so unglaublich weich. Ich würde ihn gern in die Arme schließen, aber zwischen uns ist immer noch die Kerkertür. Oh, es wird der Tag kommen, an dem ich dieses lästige Brett aus Holz und Eisen in Luft auflöse und dann werden wir endlich vereint sein.

Nach einer halben Ewigkeit lösen sich unsere Lippen. Kalino streicht mir zärtlich über die Wange. Seine Augen sehen müde aus, aber er strahlt. Schmerzlich fällt mir ein, dass Aliara und Shaliar bestimmt auf mich warten.

“Ich muss wieder hoch, mein kleiner Elf”, hauche ich ihm zu.

“Ich bin immer für dich da. Nun geh wieder zu deinen Freunden.” Mit einem Lächeln entlässt er mich. Traurig, aber doch erleichtert gehe ich wieder hoch.

 

“Wo warst du denn?”, schallt Aliaras Stimme schon von Weitem.

“Ach, mir war nur etwas schlecht”, lüge ich und blicke in die Runde.

“Aber jetzt geht es schon wieder”, füge ich noch schnell hinzu, als ich ihre besorgten Gesichter sehe.

“Na dann, ist ja gut.” Shaliar ist der Erste, der seine Sprache wiedererlangt.

Wir drei verbringen noch eine schöne Zeit auf dem Ball. Ich habe sogar etwas getrunken! Hicks… vielleicht etwas zu viel. Jedenfalls verschwimmt schon alles ein bisschen und die Welt scheint sich schneller zu drehen. Es ist jedoch nicht so schlimm, dass ich wild durch die Gegend torkle oder wahllos Leute anlalle. Obwohl, ein bisschen warm ist mir schon…

Zum Glück ist der Ball für uns zu Ende und ich bringe Aliara in ihr Zimmer. Eigentlich wollte ich nur zu mir und mich schlafen legen, um meinen Rausch auszuschlafen, aber sie bestand darauf. Jedenfalls sitze ich auf Aliaras Bett. Weiß auch nicht wie ich dahin gekommen bin. Ach ja, sie wollte mir noch etwas zu Trinken geben, um meinen Flüssigkeitshaushalt wieder aufzufüllen. Das Glas leere ich in wenigen Zügen, dann will ich eigentlich nach Hause gehen, aber Aliara drückt mich zurück.

“Könntest du mir bitte den Kleidverschluss aufmachen?”, säuselt sie und dreht sich um. Was soll’s, ich kann mich eh kaum noch wehren.

Einen Moment später, so kommt es mir jedenfalls vor, liegt sie auf mir. Wir sind halb nackt und ihre Hände streichen über meinen Körper. Sie fühlt sich gut an. Aber will ich das eigentlich? Schließlich liebe ich Kalino! Aber ich bin völlig willenlos und mein Kopf pocht schon etwas vor Alkohol. Aliara zieht mich ganz aus. Und sich auch. Ihr Busen liegt auf meiner Brust und sie küsst mich. Ich weiß nicht warum, aber sie erregt mich etwas. Ist das der Wein? Oder gar Aliara an sich? Ich habe kaum Gelegenheit, es herauszufinden, schon rutscht Aliara auf mir herum um drückt ihre Hüfte in meinen Schoß. Erregt lässt sie ein hohes Stöhnen los. Ich schließe die Augen und drücke den Kopf in das Kissen. Aliara beginnt langsam, sich zu bewegen. Ein Strudel von wilden Farben und Mustern bricht vor meinem geistigen Auge los. Zu sagen, es würde mir nicht gefallen, wäre falsch, aber ich habe es mir irgendwie… besser vorgestellt.

Aliara jedenfalls kommt prächtig zum Zug. Sie stöhnt und ruft meinen Namen. Ihre Knospen kitzeln meine Haut, ihre Hände tun Dinge, die ich nie von ihr vermutet hätte.

Nach einer halben Ewigkeit ergieße ich mich in ihr. Aliara krallt sich in meine Schultern und ich gleite aus ihr, als sie sich neben mich legt. dann wird alles schwarz…

 

Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich wache auf. Wo bin ich? … Aliara hat einen Arm um mich gelegt und kuschelt sich an mich. Ich selbst liege nackt neben ihr in den großen bequemen Kissen ihres Himmelbettes. Dann brechen die Erinnerungen von letzter Nacht über mich herein. Oh du meine Güte, ich habe mit Aliara geschlafen! Oh nein, wie konnte ich nur!? Ich meine… ich! Mit einer Frau! Und ausgerechnet mit Aliara! Wenn ich das Kalino erzähle… ich habe ja jetzt schon Schuldgefühle.

Nervös springe ich auf und ziehe mir etwas an. Auf dem Bett streckt sich Aliara und schlägt müde blinzelnd die Augen auf.

“Guten Morgen!”, brummt sie in meine Richtung.

“Ja, guten Morgen. Entschuldigung, ich muss weg”, keuche ich nervös. Dann bin ich auch schon aus der Tür verschwunden.

 

In meinem Zimmer angekommen lege ich die Festtagssachen ab und ziehe etwas Bequemeres an. Dann setze ich mich an den Schreibtisch. Doch lange kann nicht sitzen bleiben. Schon einige Momente später stehe ich wieder auf und laufe nervös hin und her. Es ist zum Haare raufen! Wie konnte mir das nur passieren. Ach du Schande ist das peinlich! Was ist, wenn Schlimmeres passiert? Aliara könnte schwanger werden und dann muss ich vor Kalino auspacken. Der ist ja auch noch da. Ich kann ihm doch nicht einfach meine Zunge in den Hals schieben und irgendwas davon säuseln, ich bräuchte ihn und ein paar Stunden später schlafe ich mit Aliara! Das wäre alles nicht so schlimm, wenn Kalino nicht wäre. Nicht, dass ich ihn los werden wollte, nur ist das ja wohl ein Vertrauensmissbrauch erster Güte. Ich muss zu ihm! Und zwar RICHTIG! Und wenn ich dafür die Tür aufsprengen muss…

 

Bevor ich gehe, greife ich mir ein Fläschchen starke Säure und eine dünne Glaspipette.

Im Kerker angekommen ziehe ich die Pipette mit der Säure auf und stecke sie in das Schlüsselloch. Nur kurz auf die Pipette drücken und ich bin bei ihm. Es ist zwar verboten, aber… ich schere mich jetzt nicht um Verbote. Mir ist egal, was mit mir passiert. Ich will nur zu Kalino. Mit einem Zischen entweicht weißlicher Dampf aus dem Loch und eine grünlich-gelbe Spur bleibt dort zurück, wo die Säure das Metall berührt hat.

 

Die Tür geht klackend auf und ich stürme in die Zelle. Kalino steht ganz verdattert am Fenster und sieht mich an. Ich gehe auf ihn zu und schließe ihn in die Arme. Kalinos Arme schlingen sich um meine Schultern und ich halte ihn noch fester.

“Ich liebe dich”, flüstere ich ihm ins Ohr. Ein leises Seufzen kommt als Antwort, als er seinen Kopf an meine Schulter legt. Nein, ich will ihn nie wieder loslassen. Kalino gehört mir und ich werde ihn nicht kampflos aufgeben. Nicht einmal für Aliara…

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