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Nur ein kleiner Schritt bis zum Wahnsinn

Teil 5

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Wir gingen zu Fuß, erreichten nach nicht ganz 15 Minuten einen Touristenparkplatz mit Ski-Bar. Um diese Uhrzeit, am frühen Nachmittag, noch ein durchaus erträgliche, das Partyvolk war noch auf der Piste. Die kreisrunde Bar bestand tatsächlich aus nicht viel mehr als einer Bar, die einen Mittelkreis bildete. Durchsichtige Plexiglaswände bildeten die äußere Begrenzung. Dazwischen gab es an die 30, der tagtäglichen massiven Beanspruchung entsprechend massiv gebaute Holztischchen mit entsprechenden Hockern. Hocker wie Tische waren fest mit dem Holzdielenboden verankert. Vielleicht ein Viertel der Tische war besetzt. Timon holte uns bei der lippengepiercten Servicekraft zwei Bier und wir setzten uns.

Tranken unser erstes Bier schweigend, ich holte Nachschub. Timon schien weit entfernt zu sein, tief in Gedanken versunken. Ich ließ ihn, hing meinen eigenen Gedanken nach.

Dreieinhalb turbulente Tage lagen hinter mir. Es machte mir Mühe, sie in Gän-ze zu erfassen. Mein vorausgegangenes Phlegma wirkte noch nach, Timon hatte es vollkommen richtig als Selbstmitleid erkannt.

Das mit Timon konnte etwas Großes werden, das fühlte ich jede Minute, die wir zusammen waren, mehr. Er tat mir auf eine unaufdringliche Art gut. Wäh-rend der vergangenen sechs Monate war „Sorgen“ die große Überschrift meines Lebens gewesen. Bei Rea, Casper, diversen Ärzte und Freunde, ja selbst bei meiner Mutter war es echte Sorgen um mich. Im Fall meiner Platten-firma eher die eigennützige Sorge um künftigen Gewinn. Mit Timon dagegen bestand die Chance, ein neues Kapitel meines Lebens zu beginnen. Es konnte die Überschrift „Freude“ tragen, vielleicht sogar „Glück“, wenn ich es richtig anstellte. Ich versuchte, die Konsequenzen abzuschätzen, die Timons Auftau-chen haben würde. Es fühlte sich richtig an.

Die gehäuft auftretenden Alpträume der letzten Tage fielen mir ein, ich bemerkte den zeitlichen Zusammenhang mit Timon. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als versuche etwas unterdrückt gehaltenes, an die Oberfläche zu gelangen. Das unbekannte Etwas, das mich seit dem Unfall beschäftigte? Konnte es sein, daß Timons Auftauchen da etwas in Bewegung gesetzt hatte? Ich mußte telefonieren. In der relativen Stille des Parkplatzes klappte ich mein Handy auf und wählte.

„Gregor? Ist was passiert?“

„Hallo Rea. Ich bin verliebt. Aber deshalb rufe ich nicht an. Ich muß Dir etwas beichten.“

„Dann warte kurz, ich gehe in mein Zimmer, da ist es ruhiger. Übrigens geht’s mir gut und ich genieße meinen Urlaub.“

„Entschuldige, ja, freut mich. Wie ist das Wetter?“

Sie kicherte. „Wie heißt er denn?“

„Timon. Bist Du jetzt endlich da?“

„Ja, bin da. Schieß’ los.“

„OK, hör zu. Ich hab Dir etwas verschwiegen.“

„Das ist mir klar.“

„Wie jetzt?“

„Ich weiß, daß Du es nicht glaubst, aber ich beherrsche meine Arbeit.“ Ich glaubte es ihr schon, aber das brauchte sie nicht zu wissen. „Daß da noch irgend etwas ist, das Du mir nicht sagst, ist mir schon lange klar.“

„Du hast nie danach gefragt.“

„Hättest Du es mir gesagt?“

„Nein.“

„Und was ist es?“

„Eine Ahnung, ein Gefühl. Ich kann es nicht greifen, aber es hat mit meinem Unfall zu tun. Etwas, das ich nicht weiß. Aber es ist da, das weiß ich. Und ich hab’ das Gefühl, ich komme der Sache näher.“

„Das ist gut. Inwiefern näher?“

„Auch nur ein Gefühl, nichts Greifbares.“ Ich erzählte ihr von den Alpträumen, von der zeitlichen Gemeinsamkeit mit Timon. „Kann das was miteinander zu tun haben?“

„Schon möglich, ich muß darüber nachdenken. Das ist nicht sehr viel, was Du mir da sagen kannst. - Laß uns Montagabend telefonieren, da bin ich wieder da. Bis dahin habe ich mir was überlegt. Wo bist Du überhaupt?“

„Spontanes langes Wochenende mit Timon. Skifahren in Österreich, falls das Wetter mitspielt. Wir sind gerade ein Bier trinken, ich steh’ hier auf nem Park-platz.“

„Gut, das gefällt mir. Sonst etwas Wichtiges?“

„Hartz ist genehmigt. Und wird postwendend zurückgeben, Ich habe Dich durchschaut. Du bist hinterhältig und falsch. Ab Montag gebe ich Klavierstun-den. Und danach wird mir auch irgendwas einfallen.“

„Mhm, hinterhältig, falsch und gut. Großartig, sehr schön! Dann war Casper also da?“ Ich brauchte sie nicht zu sehen, um zu wissen, daß sie über das ganze Gesicht strahlte.

„Wieso Casper? Ja, er war da. Warte, gehört der auch zu Deinem komischen Plan?“

„Ach Gregor, trau’ mir endlich etwas mehr zu! Glaubst Du wirklich, ein so ge-wissenhafter Mann wie er kümmert sich erst einen Tag vor seiner Abreise um eine Vertretung? Klar war das meine Idee. Er hat nur lange gezögert, ich dachte schon, er fragt Dich gar nicht. Laß uns jetzt Schluß machen, mein Cocktail wird warm. Und Du bist ja offenbar in guten Händen. Bis Montag.“

„Bis Montag.“ Sie legte auf und ließ mich verwirrt zurück. Hätte sie das alles nicht einfacher haben können? Nein, vermutlich nicht, wenn ich zu mir selbst ehrlich war.

Ich ging zurück zu Timon. Er schien von seiner gedanklichen Reise zurück zu sein.

„Du bist wieder da!“

Ich grinste ihn an. „Du auch! Ich war telefonieren. Und wo warst Du?“

Er grinste zurück. „Ich mußte nachdenken. Hab’ mir ein paar Worte zurecht gelegt. Komm, wir nehmen noch eins, dann gehen wir. Ich hab’ Dir was zu sagen.“

Wir tranken aus, ich holte noch eine dritte Runde. Den Heimweg legten wir schweigend zurück.

Wir setzten uns. Ich setzte mich aufs Sofa und stellte irritiert fest, daß Timon auf einem Stuhl fast am anderen Ende des Raumes saß.

„Geht es um heute Morgen?“

Er nickte bedächtig. „Auch, ja. Ich… habe… Ich war… Du hast mir jetzt viel über Dich erzählt, aber über mich weißt Du fast nichts. Und trotzdem hast Du das heut Morgen gesagt. Im Café habe ich Dich eingeladen, mich kennen zu lernen. Und das war ernst gemeint, ich war mir nur über die Konsequenzen nicht im Klaren.“ Wieder füllten Tränen seine Augen, er schaffte es diesmal, sie niederzukämpfen. Ich ahnte, daß dies wohl eine Unterhaltung der intensive-ren Art werden würde.

„Warte mal, bevor Du weiterredest, komm bitte zu mir rüber. Ich will Dich im Arm haben dabei.“

Er blieb sitzen. Sah mich an. Atmete durch. „Wenn ich Dir gesagt habe, was ich zu sagen habe, willst Du das nicht mehr. Ich war im Gefängnis.“

„Kommst Du?“

Er sah mich verständnislos an. „Hast Du verstanden, was ich gesagt habe?“

„Du warst im Gefängnis. Erzähl’s mir. Aber bitte in meinem Arm. Komm!“ End-lich setzte er sich in Bewegung, kam zu mir, setzte sich. „Näher, so lange Arme hab’ ich nicht!“ Ich zog ihn zu mir und legte meinen Arm um ihn. „So ist besser. Und jetzt erzähl!“

„Man konnte mir mehrere Einbruchsdiebstähle nachweisen, dazu ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Da hatte ich noch Glück, ich hatte so gut wie nichts bei mir, als sie mich erwischt haben. Ein paar kleinere Delikte auch noch, aber die waren unwesentlich fürs Strafmaß. Mein Anwalt hat mich überzeugt, gegen den Dealer auszusagen, das hat mir geholfen. Alles in al-lem sechs Jahre Haft. Vier davon war ich im Knast, seit letztem August bin ich draußen. Die Reststrafe ist zur Bewährung ausgesetzt.“

„Darfst Du dann jetzt überhaupt hier sein?“

„Ich hab’ meinem Bewährungshelfer Bescheid gesagt. Er meint, es sei in Ord-nung für drei Tage.“

„Soso, mein Schatz ist also ein Einbrecher.“ Ich hatte Mühe, das Gehörte mit Timons Verhalten in Einklang zu bringen. So etwas wünschte man sich zwar sicher nicht, aber es kam vor. „Wie kam’s dazu?“

„Dein Schatz.“ Er klang bitter bei dem Wort. „Nicht mehr lange. Wie kam es dazu? Erwarte jetzt keine Geschichte über ne schlimme Kindheit, die kann ich Dir nicht bieten. Im Gegenteil, meine Kindheit war problemlos. Silvester 2000 hab’ ich Peter kennengelernt, auf ner Party. Damals war mein Leben perfekt, bis auf eine Kleinigkeit: Ich wollte endlich nen Mann. 21, fast 22 und noch kei-nen Mann gehabt. Alles aus Schiß, wie das sein wird, schwul zu sein. Zum Tot-lachen, wenn ich mir das heute überlege.

Jedenfalls, Peter war, wie ich später erfahren durfte, ne wandelnde Apothe-ke. Hat uns mit Dope versorgt. Wahrscheinlich auch ein paar Pillen und Ko-kain, davon hab’ ich aber nichts mitbekommen. Mir war ein bißchen was zu Rauchen genug. Ich mochte das ganz gern, so ab und zu zur Entspannung. Machen ja alle.“

Ich griff nach meinen Zigaretten, zündete zwei an, gab eine an Timon weiter. „Vier Tage später hatte ich Geburtstag. Wieder Party. Peter war da. Und Sa-scha. Ein Traum von einem Mann, mein Traum! Auf den hatte ich schon länger ein Auge geworfen und mir sogar eingebildet, daß er mit mir flirtet. Was soll ich sagen? Die Stimmung war gut, die Gelegenheit günstig, ich hab’ ihn angesprochen. - Das Ergebnis war die kälteste Dusche meines Lebens, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt. Nicht nur, daß er mich nicht wollte, er hat mir die Abfuhr auch in so einer Lautstärke erteilt, daß es jeder hören konnte. Da spreche’ ich zum ersten Mal ‘nen Kerl an und dann das! Ich bin dann zu Peter gegangen, hab’ ihn gefragt, ob er was für mich hat. Das Arschloch hat mich zur Seite genommen und mir ne Pfeife mit Crack gegeben. Einfach so, kosten-los. Ich wußte ja nicht mal so genau, was das ist. Er hat mir erklärt, wie das geht. Gemeint, das sei schon nicht so wild. Und die Wirkung war… überwälti-gend. Sascha war mir plötzlich egal. Wer ist schon Sascha? Ich kann jeden haben. Ich bin der Größte! Und ich bin ja froh, daß Sascha mich nicht will. Das hab’ ich auch jedem erzählt, der es hören wollte oder auch nicht. Man redet da sehr gern und sehr viel, weißt Du. Mein Coming Out hatte ich auf Crack.“

Ich konnte mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen. Situationskomik. Der Welt der Drogen war ich nie sonderlich nahe gekommen, aber von Crack hatte ich auch schon gehört. Und ich wußte, daß man davon besser die Finger ließ. War das nicht eine der Drogen, die schon beim ersten Konsum Abhängigkeit erzeugten? Stumm um Entschuldigung für mein Lachen bittend streichelte ich über Timons Haar.

„So ein Rausch dauert vielleicht 15 Minuten, später weniger. Der Abend war gerettet, Sascha vergessen. Und den Leuten war sogar egal, daß ich schwul war. Der nächste Morgen war schlimm. Ich wußte damals nichts von Entzug, dachte, das sei ein ganz normaler Kater. Und ich hatte Lust, diesen Flash nochmal zu erleben. Heute weiß ich, daß das kein Wollen war, sondern bereits ein Müssen. Peter war auch nur zu gern bereit, mir was zu geben. Nicht mehr kostenlos, natürlich.

Vielleicht zwei Monate lang hab’ ich noch ein halbwegs normales Leben geführt, bin meistens zur Arbeit gegangen. Dann ging’s nicht mehr. Man ge-wöhnt sich rasend schnell an das Zeug, ganz schnell reicht ein Flash nicht mehr weit, man will sofort den nächsten. Die Abstände werden immer kürzer. Da ist kein geregeltes Leben möglich. Und das Schlimmste ist, es interessiert einen auch nicht. Klar, die erste Abmahnung, noch eine. Dann Kündigung. Arbeitslos, egal. Gibt ja auch Geld. Unglaublich, wie schnell das geht, daß das Geld dann knapp wird. Da muß man Prioritäten setzen. Und Miete hatte keine Priorität. Hauptsache, ich hatte immer ein paar Steine.

Natürlich hat sich das mein Vermieter nicht lange angeschaut und mich raus-geschmissen. Ne Zeit lang bin ich bei Freunden untergekommen, aber die wollten mich auch nicht lange bei sich haben. Zu dem Zeitpunkt konnte schon jeder sehen, was mit mir los war.

Zu meinen Eltern wollte ich nicht. So viel Stolz hatte ich noch, dort da nicht angekrochen zu kommen. Erst später dann, zum Betteln um Geld. Und ich hab’ nicht nur gebettelt. Als sie mir nix mehr geben wollten, hab’ ich’s mir ge-nommen.

Vom Amt kam dann sehr schnell kein Geld mehr. Gesperrt, weil ich nicht zu Vorsprachen erschienen bin. Erst drei Wochen, später auch länger. Die ma-chen da nicht lange rum.

Der Rest ist ganz schnell erzählt. Ab Juni hab’ ich auf der Straße gelebt. Man lernt rasch Leute kennen, wenn man sich an den richtigen Ecken aufhält. In den kurzen Rauschmomenten war das sogar irgendwie romantisch. Im Rausch sind wir auf die brillante Idee gekommen, uns das Geld einfach von anderen Leuten zu holen. Gibt ja genug Reiche. Der erste Einbruch hat funktioniert, was aber reines Glück war. Wir haben nicht mal Handschuhe getragen, überall Fingerabdrücke hinterlassen. Wir waren zu dritt und wir haben genug Geld geholt, daß jeder von uns für die nächsten zwei Monate versorgt war. Der zweite Bruch ging auch noch gut, wenn auch mit viel weniger Beute. Beim dritten Mal wurden wir auf frischer Tat gefaßt, das war im Oktober 2001. Die nächsten acht Wochen hab’ ich Entzug gemacht. Gezwungenermaßen, nicht freiwillig. So eine Scheißzeit wünsch’ ich keinem. Aber es war’s wert. Der erste Tag ohne das Verlangen nach einer Pfeife… wenn Du am Anfang hörst, daß jemand von Entzug spricht, bricht die nackte Panik aus. Du wachst morgens auf und weißt, es wird wieder ein scheiß Tag. Daß Du das, was Du willst, nicht kriegst. Aber dann bin ich eines Tages auf-gewacht und hab’ gespürt, daß ich das Zeug nicht mehr brauche. Ich hab’ erkannt, was das für eine Scheiße war und es auch gesagt. Nicht, weil es mir Vorteile gebracht hat vor Gericht. Ich hab’s gemeint. Jedes Wort. Peter ans Messer zu liefern, war ein richtig gutes Gefühl. Ich weiß schon, ich bin selbst verantwortlich für mich. Das Arschloch in der Geschichte ist trotzdem er.

Die Verhandlung war im Juli, Anfang August ging’s dann in den Bau. Die Zeit bis zur Verhandlung war ich bei meinen Eltern. Das hat mir vollends die Augen geöffnet. Kein Vorwurf, nicht ein Wort. Die haben mich einfach wieder aufgenommen. Kannst Du Dir vorstellen, wie man sich da fühlt? Ich hab’ die bestohlen, sie angelogen. Als sie mir kein Geld mehr geben wollten, hab’ ich Dinge gesagt, die… Und sie? Nehmen mich auf und behandeln mich, als sei nichts gewesen. Weißt Du, wie klein man sich fühlen kann? Wie schäbig?“

Den letzten Teil seiner Erzählung hatte er schluchzend wiedergegeben. Sein Kopf lag in meinem Schoß, ich streichelte ihn, versuchte, ihn zu beruhigen. Viel später gelang es mir, er beruhigte sich. Sollte ich sprechen? Zögernd setzte ich an. „Das… das ist… schlimm. Traurig, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Aber… wieso sollte ich Dich jetzt nicht mehr wollen?“

Er hob seinen Kopf, sah mich mit großen Augen an. „Wieso solltest Du mich wollen? So einer wie Du gibt sich doch nicht mit mir ab. Du hast doch gehört, was ich bin.“ Das meinte er völlig ernst.

„Du… blödes Arschloch!“ Er hatte es geschafft, mich wieder zum Heulen zu bringen.

„Was?“

„Arschloch!“ Wenigstens heulte er jetzt mit. „Was bin ich denn? Ein Klavierspie-ler, der sich selbst furchtbar leid tut. Und? Ich hab’ gehört, was Du warst. Und ich seh’, was Du bist. Und das will ich haben. Jetzt noch viel mehr als vorher.“

„Im Ernst?“

„Ja, Du drogensüchtiger Knastbruder.“

„Aber… warum?“

„Weil ich Dich lieb hab’, Du Kalb. Dein Geschwätz ist das Gestörteste, was ich jemals gehört habe.“

„Gestörter als Deins von wegen Depression genießen?“

„Ja.“

„Niemals!“

„Doch. Und jetzt muß ich mal.“

Ich machte Kaffee, war froh um die Ablenkung. Das Erlebte war stark genug, Timon mitzunehmen, das hatte ich gesehen. Wie sollte ich damit umgehen? Wie konnte ich ihm am überzeugendsten klarmachen, daß er sich meinetwe-gen keine Sorgen zu machen brauchte?

Er wirkte ruhig. Saß auf dem Sofa. Die Nachwirkungen der vergangenen Stunde war ihm anzusehen. Ich stellte eine Tasse Kaffee vor ihm ab.

„Mach Dir wegen mir bloß nie wieder solche Gedanken, klar?“

„Spielst Du was für mich?“ Er deutete zum Klavier, das ich seit unserer Ankunft kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Schulterzuckend ging ich zum Klavier. Ein einfaches Instrument, wie es Hobbyspieler benutzten, von Casper sicherlich perfekt gewartet. Es würde genügen. Ohne groß nachzudenken begann ich, das Stück, an dem ich vor dem Unfall gearbeitet hatte, zu spielen. Clara Schumann. Eine ihrer wenigen Arbeiten aus der Zeit nach ihrer Hochzeit mit Robert. Variationen über ein simples, etwas weinerliches Thema ihres Mannes. Ein kleines, aufwühlendes Stück Musik mit freundlichem Ausgang.

Obwohl das Stück an sich keine besondere Herausforderung darstellte, hatte ich mich bisher nicht an etwas dieses Schwierigkeitsgrade herangetraut. Ich würde mich dafür gewaltig strecken müssen. Tatsächlich spürte ich, welche Mühe die technischen Anforderungen meinen verkrüppelten Händen mach-ten. Bei mehr als einer Stelle mußte ich improvisieren, um schwierige Passagen zu meistern, befand mich dabei weit jenseits dessen, was noch als Eleganz bezeichnet werden konnte. Hier hatte ich also eine der von mir so gefürchteten Grenzen meines verbliebenen Könnens erreicht. Ich nahm es gelassener zur Kenntnis, als ich es für möglich gehalten hätte und war dankbar dafür, daß Clara Schumann relativ kleine Hände gehabt hatte.

„Für mich hat noch nie jemand Musik gemacht. Erzähl mir was darüber!“ Er war hinter mich getreten, legte seine Hände auf meine Schultern.

„Du weißt, wer Clara Schumann war?“

„Die auf dem Hunderter früher. Ne Pianistin, oder?“

„Nicht nur irgendeine. Sie war führend in ihrer Zeit, stand, auf ihre eigene Art, gleichberechtigt neben Liszt. Aber sie hat auch komponiert, soweit das da-mals möglich war. Damals, im 19. Jahrhundert, war die Vorstellung noch ziemlich in Mode, eine Frau könne niemals schöpferisch tätig sein. Reproduzierend, ja. Das spielend, was andere, Männer natürlich, geschrieben haben. Aber selbst Kunst schaffen?

Das meiste von ihr stammt aus frühen Jahren, als sie um die 20 war. Oder jün-ger. Eine Art verkaufsfördernder Maßnahme, angeregt, oder besser angeordnet von ihrem Vater. Ein Mädchen, später eine junge Frau, führt eigenen Kompositionen auf. Damit kann man Zuschauer anziehen. Und es hat funktioniert.

Dementsprechend sind ihre frühen Arbeiten auch angelegt. Kein großer künstlerischer Anspruch. Entweder plakativ-sentimentale Romänzchen oder virtuose Kunststücke, optimal an ihre persönlichen Fähigkeiten angepaßt. Da-bei hätte man erkennen können, daß sie großes Talent hatte. Aber wozu sollte man einer Frau tiefergehenden Kompositionsunterricht geben? Sie würde hei-raten und Kinder kriegen.

So kam es dann auch, sie hat Robert Schumann geheiratet und acht Kinder bekommen. Das war eine große, eine ganz große Liebesgeschichte mit allen Dramen, die man sich wünschen kann. Trotzdem war ihr Leben mit ihm sicher nicht einfach, Robert war das lebende Klischee eines im 19. Jahrhunderts le-benden Künstlers, wie wir es uns heute vorstellen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Und das innerhalb von fünf Minuten. Und im Zweifelsfall war ihm eher das Jauchzende suspekt als die Betrübnis. Ständig an sich selbst leidend, immerzu wenigstens latent schwermütig. Geisteskrankheit inklusive, auch wenn die vermutlich durch die Syphilis ausgelöst wurde. Und Kunst war für ihn nur, was unter Schweiß und Tränen und hartem Ringen mit sich selbst und den Musen entstanden ist. Während der Ehe, besonders zu Beginn, mußte Clara immer wieder auftreten, um Geld ranzuschaffen. Denk nur, wie sich ein Mann vor 150 Jahren gefühlt haben muß, der auf das Geld angewiesen war, das seine Frau verdient. Noch dazu als Interpretin, während er, der schaffende Künstler, kaum Erfolgserlebnisse hatte.

Roberts Kunstverständnis habe ich schon erwähnt. Er war Herausgeber einer Musikzeitschrift und in dieser Rolle auch zuständig für Leitartikel, jedenfalls würde man das heute so nennen. Hier konnte er seinen Neid ausleben.“

„Neid?“ Er hörte offenbar noch zu.

„Ja, Neid. Das Klavier war damals auf einem absoluten Höhepunkt der Popularität, Pianisten wurden gefeiert wie Popstars. Leute wie Herz oder Thalberg, kaum ein Mensch kennt sie heute noch. Und die meisten von ihnen haben auch komponiert, ebenso wie Clara, um ihre jeweiligen technischen Fähigkeiten optimal darzustellen. Aber nicht nur das, ihre Werke wurden auch veröffentlicht. Und fanden reißenden Absatz, während er selbst, Schumann, eher das klassische Kassengift war. Falls er überhaupt mal einen Verleger gefunden hat. Das hat ihn enorm gewurmt. ‚Dieses Pack, das leere Virtuosität zur Schau stellt, kann so viel Geld nicht ausgeben, wie es verdient und ich, der leidende Künstler von Rang muß zusehen, wie ich über die Runden komme!’ Seine Artikel sind nachlesbar, sie versprühen Gift in alle Richtungen. Er hat diese Leute samt und sonders für minderwertige Künstler gehalten, im Ver-gleich zu sich selbst zumal. Vielleicht waren sie das tatsächlich, aber der Denkansatz ist falsch. Denen ging es nicht darum, mit ihren wie am Fließband geschriebenen Stücken Kunst für die Ewigkeit zu schaffen, der momentane Erfolg war ihnen genug. Die wollten das Publikum bei Laune halten mit ihren technischen Kunststücken. Allerdings gibt es Ausnahmen. Hier und da kam der künstlerische Ehrgeiz bei ihnen durch, sind Stücke entstanden, die aus dem Einheitsbrei herausragen. Nächsten Monat erscheint meine wohl letzte CD, darauf sind Stücke vom eben erwähnten Henri Herz.

Jedenfalls, Clara wußte natürlich, was ihr Mann von zur Schau gestellter Virtu-osität als Selbstzweck gehalten hat. Dementsprechend werde ich gut daran tun, mich bei der Interpretation des Stücks etwas zurück zu halten in dieser Hinsicht.

Aber wichtiger ist etwas anderes. Man weiß, daß diese Variationen ein Ge-burtstagsgeschenk für Robert waren. Ich hab’ jetzt leider die Noten nicht da, aber hör mal! Hier, fast am Schluß zitiert sie sich selbst. Da hat sie, ganz unauf-fällig im Baß versteckt, ein paar Takte Melodie aus einer ihrer früheren Kompo-sitionen eingeflochten. Man hört das nur, wenn man’s weiß. Aber es ist für mich eine sehr deutliche Aussage.“

Ich spielte ihm die entsprechende Stelle vor.

„Hörst Du das? Sie zitiert sich selbst. Das heißt, sie nimmt sich selbst als Kompo-nistin, als Künstlerin aus eigenem Recht wahr. Und sie hält ihre frühere Arbeit bei allen vorhandenen Schwächen – eine Romanze ohne viel Tiefgang – für wertvoll genug, sie in einem Stück zu zitieren, das sie einem von ihr verehrten Komponisten schenken will. Das ist eine verklausulierte Aussage. ‚Robert, nimm mich ernst!’ Es gibt ein gemeinsam geführtes Tagebuch der beiden, das ist voll mit Einträgen, die sich so deuten lassen.

Ich hab’s Dir schon erzählt, ich möchte, wenn ich etwas spiele, verstehen, was ich da spiele. So weit möglich etwas über die Stimmung des Komponisten beim Komponieren wissen. Aus dem, was ich Dir eben erzählt habe und dem, was man über Claras Leben weiß, kann ich mir allmählich ein Bild machen. Wie gesagt, sie hat nicht kontinuierlich komponiert, das hier war ein kurzfristi-ges Aufflackern ihrer Kreativität ohne weitergehende Folgen.

Da ist also eine Frau, künstlerisch hoch begabt, die von Konventionen und Lebensumständen daran gehindert wird, ihre Begabungen voll zu entfalten. Sie erlebt hautnah mit, wie sich ihr Mann als Komponist entwickelt. Und weiß, daß sie selbst das gleiche Talent besitzt. Sie fügt sich. In einem Tagebuchein-trag relativiert sie den Wert ihrer Kompositionen, sagt so etwas wie es seien ja doch nur die Arbeiten eines Frauenzimmers. Paßt das zusammen mit dem, was ich vorhin gesagt habe? Damit, daß sie sich in einem ihrer ehrgeizigsten Stücke selbst zitiert?

Sicher konnte sie sich selbst nicht vorstellen, als Komponistin neben ihrem Mann zu stehen, das dürfte damals undenkbar gewesen sein. Aber der Wunsch war da. Und das muß ich versuchen, auszudrücken, wenn ich das hier spiele.“

Ich saß immer noch auf dem Klavierhocker, Timon hinter mir. Ich drehte mich um.

„Ich weiß nicht, ob ich auch nur die Hälfte von dem verstanden habe, was Du da sagst. Aber ich glaub’, es macht Sinn, irgendwie.“

„Der Zuhörer kriegt von solchen Gedanken normalerweise nicht viel mit. Und das war jetzt auch nur eine Kurzfassung, so ein Verstehensprozeß dauert Mo-nate. Das ist alles subjektives Empfinden, so wie ich es mir zusammenreime. Nichts in Stein gemeißeltes. Einfach mein persönlicher Zugang zu der Musik. Ein anderer Pianist erzählt Dir vielleicht was ganz anderes. Und das kann dann genau soviel Sinn machen.“

„Was machst Du da?“

„Ich mach’ Deinen Gürtel auf.“

„Wieso? Nein, laß das! - Bitte!“

Ich hörte auf. Richtig, das war auch noch ein Thema, das mich beschäftigte. Ich seufzte, es stand wohl noch ein klärendes Gespräch an.

„Liege ich falsch, wenn ich annehme, daß Du nicht nur einfach gerade keine Lust hast?“

„Was?“

„In der Sauna hast Du meine Hand weggestoßen, als ich Dich anfassen wollte. Und heut Morgen im Grunde auch, da hast auch nur Du was gemacht.“

„Und?“

„Was und? Meistens machen da beide mal was. Ich lehne mich gern mal zu-rück und genieße. Aber ich will Dich auch berühren. Dich schmecken. Und Dich fühlen.“

„Ich will ja auch, aber… ach, wenn ich Dir das sage, lachst Du mich aus.“

„Ich kann Dir versprechen, daß ich Dich nicht auslachen werde. Kann sein, daß ich lache, kommt auf die Geschichte an. Aber Auslachen? Sicher nicht.“

„OK, ich erzähl’s Dir. Geht ganz schnell. Das mit Sascha war ja dann nichts, meinen ersten Mann hatte ich zwei Monate später. Haben uns auf einer Party kennengelernt. Richard hieß er, war so etwas wie mein erster Freund. Hat auch Crack geraucht. Wir waren beide high, das Scheißzeug steigert die Lust auf Sex, wenigstens, am Anfang. Auf einmal saß der Typ halt dann auf mir, ich war in ihm. Es war ziemlich wild, er war ziemlich wild. Und dann ist es halt pas-siert.“

„Was ist passiert?“

„Naja. Er hat… er war zu wild. Und da… so ein Schwanz ist auch nur begrenzt belastbar. Reicht das?“

Ich verstand nicht.

„Mann, stell Dich nicht so an! Erinnerst Du Dich an das, was dem Bohlen vor ein paar Jahren in der Dusche passiert ist? Stand damals in allen Zeitungen.“

„Bohlen? Dusche? - Ja, da war mal was, warte.“ Ich überlegte. Richtig, Boh-ne war angeblich in der Dusche ausgerutscht und… ich prustete los, die Mitteilung war angekommen. „Penisbruch? Ernsthaft?“

„Ja, ernsthaft. Siehst Du, Du lachst.“ Das stimmte, ich konnte auch nicht auf-hören, zu lachen.

„Tut mir leid, ja. Aber ich lach’ Dich nicht aus, ehrlich. Bloß, das ist zu komisch.“ Mein Lachen muß ansteckend gewirkt haben. Sein Gesicht hellte sich auf, seine Mundwinkel zuckten, schließlich lachte er mit.

„Das ist schön, mit Dir kann man lachen.“ Wir hatten uns wieder beruhigt. „Und jetzt hast Du Angst, daß sowas nochmal passiert? Deshalb darf ich Dich nicht anfassen?“

„Das war damals nicht so toll, weißt Du? Abgesehen von der Peinlichkeit, das tut höllisch weh. War halt ein ziemlich einprägendes erstes Mal.“

„Hast Du’s denn danach gar nicht mehr probiert?“

„Wie denn? Durch die Nummer war ich erstmal außer Gefecht gesetzt. Und dann war eh nicht mehr viel mit Sex. Ab nem gewissen Stadium der Sucht hab ich ihn kaum mehr hochgekriegt. Ich hatte dann nochmal für ein paar Wo-chen sowas wie einen Freund, ja. Dem hab’ ich’s besorgt und er war zufrie-den. Für meine Bedürfnisse hatte der in seinem Drogenwahn gar keinen Sinn, dafür mußte ich selbst sorgen. Wenn es denn mal ging. Dann kam der Knast, da hat sich die Frage sowieso nicht gestellt. Und seither bist Du der erste, mit dem was gelaufen ist. Ich weiß selber, daß das Blödsinn ist.“

„OK, kann ich nachvollziehen.“

„Was tust Du?“

„Ich mach’ Deinen Gürtel auf. Keine Sorge, alles in bester Ordnung.“

„Laß das! - Bitte!“

„Ist doch nur ein Gürtel.“

„Und das jetzt?“

„Nur ein Hosenknopf. Den mach’ ich auch auf. Und noch einen. Und noch einen. Und noch einen. Und noch einen letzten.“

„Und jetzt?“

„Siehst Du doch, ich zieh’ Dir die Hose runter. Heb’ mal das Bein an… und jetzt das andere! Brav. Es ist alles OK.“

„Hörst Du jetzt auf? Was…?“

„Schwer von Begriff? Ich ziehe Dir diese komischen Shorts aus. Bein hoch!“

„Ja.“

„Schön. Gib Laut, wenn Du Dich unwohl fühlst. Bis dahin… bleib einfach so stehen.“

Fünf Minuten vergingen.

„Und was wird das jetzt?“

„Du kannst mir lang’ erzählen, daß Dir das nicht gefällt. Das Ding hier vor mei-nem Gesicht sagt mir was anderes. Was ganz anderes. Da läuft übrigens was raus. Aber es ist OK, Du darfst Dich wieder anziehen.“

„Du hörst auf? Jetzt?“ – Höre ich da Enttäuschung?

„Vorerst, ja. Aber mach’ Dir keine Hoffnungen, nachher üben wir weiter. Und dann mal mit anfassen.“

„Willst Du mich jetzt ernsthaft hier so stehen lassen?“

„Warum nicht?“

„Unsensibler Klotz. Das wirst Du noch büßen!“

Ich sah nach oben in sein Gesicht, legte mein unverschämtestes Grinsen auf. Leckte ein paar Tropfen der reichlich vorhandenen Flüssigkeit von dem Prachtschwanz, der da vor meinem Gesicht stand, ab und ging in die Küche.

Es war schon kurz vor 21 Uhr und ich merkte, wie hungrig ich inzwischen war. Timon hatte am Morgen reichlich eingekauft, das würde uns das ganze Wo-chenende über reichen. Es gab eine kleine Kochstelle mit zwei Herdplatten. Auf der einen kochte ich Teewasser, auf die andere stellte ich eine Pfanne. Für ein paar Spiegeleier mit Speck würde meine Kochlust wohl ausreichen.

Timon kam in die Küche, trug jetzt statt seiner Jeans eine graue Jogginghose. „Was gibt’s denn?“

„Spiegeleier mit Speck. Brot dazu.“

„Mhm, nicht schlecht. Du, da eben im Wohnzimmer… es hat mich ange-macht, ich geb’s zu. Aber ich weiß trotzdem nicht, ob es so einfach ist. Ich weiß nicht, ob ich meine Angst so einfach ablegen kann. Ich mein’, ich hab schon angenommen, daß Du im Zweifelsfall aufhörst. Das wollte ich Dir nur noch sagen.“

„Ist mir schon klar, keine Sorge. Mach’ Dir da keinen Kopf, das ist doch schon ganz gut gelaufen.“ Ich blickte provozierend auf seinen Schritt. „Den da krie-gen wir schon klein. Und zwar so, daß es Dir Spaß macht. Ich bin Pianist, kein Metzger. Gib mir mal nen Kuß!“

Wir aßen. „Sag mal, was hast Du vorhin gemeint mit so einer wie ich würde sich nicht mit Dir abgeben? Was für einer?“

„Ach das. Naja, ich weiß ja auch nicht. Ich kenne das ja nur aus dem Fernsehen, wenn überhaupt. Und da wirkt ihr halt ziemlich vornehm. So im Frack und so. Was Besseres eben.“ Ich mußte lachen. Daher wehte der Wind.

„Schon mal was von Arbeitskleidung gehört? Und Frack tragen eh nur noch wenige. Ich habe gar keinen. Schmink Dir das also ab, ich bin stinknormal. Ich bohre sogar in der Nase.“

„So normal muß es dann doch nicht sein. Wenigstens nicht, wenn ich zu-schaue.“

„Ich hab gesagt normal, nicht Bauer.“

Er nickte, lächelte mich an. „OK, ich glaub’s Dir.“

Wir waren fertig mit Essen. Ich schon länger, Timon seit gerade eben. „Was machen wir denn heute noch? Willst du noch ins Dorf? Da ist jetzt Mordsstim-mung.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, dafür war mir der Tag heute zu heftig. Ich würd’ lieber hier bleiben. Oder willst Du?“

„Nö, das ist mir recht.“

„Du wolltest ja eh weiterüben.“ Das mir inzwischen bekannte Grinsen strahlte mir entgegen.

„Versprich nichts, was Du nicht halten kannst!“

„Du sollst ja auch halten, nicht ich.“

„Darf ich vorher noch rauchen?“

„Du darfst. Hier, bitte.“ Er hielt mir seine Zigaretten hin, ich nahm eine. Wir rauchten am Küchentisch. Ich war unsicher, wie ich weiter vorgehen sollte. Ich wollte ihn. Das vorhin war ein Spiel gewesen. Ich hatte nie vorgehabt, es auf die Spitze zu treiben und hätte jederzeit aufgehört, wenn es nötig gewesen wäre. Ob ich diese Beherrschung jetzt noch einmal aufbringen konnte, wußte ich nicht.

„Komm!“ Er stand auf, nahm meine Hand, zog mich hinter sich her nach oben ins Schlafzimmer. Zog erst mich aus, dann sich. Ich ließ es geschehen. Seine Lippen berührten meine, seine Zunge stieß in meinen Mund vor. Spielten mit-einander. Sein Mund öffnete sich weiter, seine Zähne packten meine Unterlippe, bissen vorsichtig zu. Ich befreite mich, küßte ihn härter. Drängte seine Zunge mit meiner eigenen zurück, um sie gleich anschließend wieder in meinen Mund zu saugen.

Er löste sich von meinem Mund, zog mich aufs Bett. „Mach!“ Diese mehr gestöhnte als gesprochene Aufforderung war der letzte Tropfen, den es brauchte. Meine Vorsätze, langsam und vorsichtig vorzugehen, waren Geschichte. Mein erstes Zugreifen quittierte er mit einem nicht anders, denn als Aufforderung, weiterzumachen, zu verstehenden Aufstöhnen. Derart ermutigt schob ich meinen Mund auf ihn. Es dauerte keine zwei Minuten.

„Gregor?“

„Hm?“

„Ich hab Dich auch lieb.“

„Kalb.“

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