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Auf der Tour

Teil 7

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich ausnahmsweise während einer Story, meinen besonderen Dank an Mo aussprechen. Er hat mir mit viel Geduld und Genauigkeit geholfen, diesen Teil fertigzustellen. Ich bin sehr froh, dass er mich auf Stellen hingewiesen hat, die ich im Detail nicht mehr richtig im Kopf hatte. Es macht mir weiterhin sehr viel Spaß von ihm zu lernen.

Ganz lieben Dank für deine Hilfe, Mo.

Marc: Luc wird erwachsen

Jetzt wurde es also ernst. Lucs Geburtstagsparty stand vor der Tür und die letzten Vorbereitungen liefen. Sabine und ich hatten bereits einige Überraschungen geplant und umgesetzt. Wir hatten erneut meine Werkstatt als Location gewählt. Dort war genug Platz und vor allem konnte ich seinen Camaro dort gut in Szene setzen. Ab jetzt durfte er ihn ja auch fahren.

Eine richtige Gemeinheit hatte ich mit Mick und Lukas ausgeheckt. Wir hatten Luc und Stef erklären müssen, dass Chris mit seinen drei Jungs nicht zu seinem Geburtstag kommen könnte. Sie wären noch auf einem Turnier unterwegs.

Luc war sehr traurig über diese Entwicklung. Ich hatte ihm das so erklärt, dass sich Chris nicht alle Turniertermine aussuchen könnte. Uns war natürlich klar, dass Luc mit Fynn und Dustin telefonieren würde und nachfragte. Chris hatte ich gebeten mitzuspielen und dann hier als „Special Guest“ einzutrudeln. Dafür hatte ich mir auch ein kleines Highlight ausgedacht.

Luc hatte mir seine Gästeliste gegeben und wir kümmerten uns um die Vorbereitung. Damit Luc so wenig wie möglich mitbekam, hatte ich ihn mit Stef für ein paar Tage zu den Geigers nach München geschickt. Luc konnte dort wieder praktische Erfahrungen in der Firma von Karl machen. Hier waren ein paar freie Tage und von daher ging das.

Ich war sehr froh, dass Mick und Lukas das Thema Musik übernommen hatten. Sie kümmerten sich um die Anlage und den DJ. Sabine und ich hatten die Verpflegung und das Programm zusammengestellt. Schließlich sollte Lucs achtzehnter Geburtstag genauso unvergesslich werden, wie bei Mick und Lukas.

„Sag mal Schatz, wo stellen wir eigentlich deine ganzen Autos unter? Die können doch nicht in der Werkstatt bleiben. Wenn damit etwas passiert, wird es sehr teuer und ärgerlich.“

„Doch, das wird kein Problem. Wir werden bis auf den Camaro alle Wagen nach hinten stellen und da eine Trennwand aufbauen. Dort kommt niemand ohne meine Erlaubnis hin. Die Halle ist immer noch groß genug und außerdem soll ja eh das meiste Geschehen im Hof stattfinden.“

Sabine nickte und war damit zufrieden. Allerdings wusste ich auch, sie war Perfektionistin. Es musste alles fertig vorbereitet sein, wenn am Samstag die Party steigen würde. Chris hatte ich mit den Jungs für die Nacht von Freitag auf Samstag im Hotel untergebracht. So würde Luc nichts bemerken.

„Papa, kannst du bitte mal kommen. Wir haben hier eine kleine Sache, die uns nicht ganz klar ist.“

Mick saß mit Lukas in meinem Büro und organisierte von dort das Partyprogramm und die Unterbringung der auswärtigen Gäste.

„Was gibt es denn?“

„Das war doch richtig, dass wir für Chris und seine Truppe nur für eine Nacht das Hotel gebucht haben?“

„Ja, danach wohnen sie bei uns. Luc soll nur noch nicht wissen, dass sie doch zur Feier erscheinen werden. Auch die Geigers übernachten bei uns. Alle anderen könnt ihr im Hotel unterbringen.“

„Was ist mit Tom und seiner Familie? Dazu hast du noch gar nichts gesagt. Wo sollen die denn schlafen?“

„Oh verdammt. Richtig. Das habe ich vergessen zu sagen. Tom kommt doch schon am Donnerstag. Wir müssen da etwas improvisieren. Mika soll bei Luc und Stef im Gästezimmer schlafen. Für Tom und Frau sollten wir noch versuchen, ein Hotelzimmer zu bekommen. Sonst schlafen sie bei uns unten in meinem Büro.“

„Na toll, das fällt dir aber früh ein. Gut, wir kümmern uns darum. Warum quartieren wir sie nicht auch bei Luc und Stef ein? Die kommen eh erst am Samstag mit den Geigers. Ich hoffe mal, du hast nicht noch mehr Überraschungen für uns.“

„Nein, nein. Sorry, Jungs. Ich hatte es einfach vergessen euch zu sagen. Die Idee finde ich gut. Macht das so. Luc und Stef können dann im Keller im Gästequartier schlafen. Wie sieht das mit dem Showact aus? Klappt das?“

„Ja, das haut hin. Sie haben bereits zugesagt und werden etwa eine Stunde spielen. Länger geht nicht, weil sie noch in der Nacht wieder weiterreisen müssen.“

„Sehr schön, ich bin mal gespannt auf die Gesichter. Damit rechnet hoffentlich niemand.“

Ich verließ mein Büro und hatte einen Termin bei unserem Metzger. Er sollte das Grillgut liefern. Wir hatten uns dieses Mal für einen Grill entschieden. Es waren überwiegend junge Leute aus Lucs Freundeskreis eingeladen. Dieser Kreis war mittlerweile richtig groß geworden. Durch sein Engagement in der Schule würden auch Gäste der Mittelstufe erscheinen. Entsprechend hatten wir uns zu kümmern. Aber viele Eltern hatten auch zugesagt zu helfen und später zu erscheinen. Diese Tradition wurde auch hier fortgesetzt.

Mein Handy klingelte mal wieder. In diesen Tagen hätte ich es manchmal am liebsten ausgemacht.

„Steevens.“

„Hallo Marc, Karl hier. Ich rufe an, wegen der Anreise am Wochenende. Wir hatten die Idee, wir könnten die beiden Jungs doch gleich mitbringen. Was meinst du?“

„Gute Idee, lass mich raten, diese Idee war von deiner Frau. Hihihi.“

„Blödmann, aber ja, das stimmt.“

„Macht das so. Und wie macht sich Luc bei dir in der Firma? Tut er richtig was?“

„Auf jeden Fall. Er ist nur mehr als sehr enttäuscht, dass Chris mit seinen Jungs nicht kommen wird. Das macht ihm echt zu schaffen. Er hatte sich so sehr darauf gefreut.“

„Glaube ich, aber da muss er durch. Mir hat er auch ganz üble Streiche gespielt und jetzt muss er mal leiden.“

„Hä? Heißt das, Chris kommt doch?“

„Natürlich kommt Chris mit seinen drei Jungs. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Chris das nicht hinbekommen hätte. Das muss Luc halt nur noch nicht wissen. Es soll am Samstag eine Überraschung sein.“

„Du bist echt fies. Luc ist traurig. Er hatte sich so sehr darauf gefreut. Allerdings kann ich mich gut erinnern, wie sie dich auch auf den Arm genommen hatten.“

„Siehst du. Also tu mir bitte den Gefallen und halte noch ein paar Tage dicht. Er wird es überleben. Und er wird länger mit seinen Freunden Zeit haben, als er glaubt. Chris hat sogar extra das nächste Turnier verschoben.“

Für Chris hatte ich auch ein paar Überraschungen vorbereitet. Ich war sehr gespannt, wie er darauf reagieren würde. Ich hatte mich gerade von Karl verabschiedet und betrat unseren kleinen Fleischerladen. Dort hatte alles angefangen. Jedes Mal, wenn ich den Laden betrat, kamen die Erinnerungen wieder hoch. Wie zerbrechlich Luc vor der Ladentheke stand, kaum in der Lage, den Weg zurück nach Hause zu laufen.

„Guten Tag Herr Steevens. Wie laufen die Vorbereitungen? Ist Luc schon sehr aufgeregt?“

„Hallo, ja sehr. Deshalb haben wir ihn mit Stef nach München ausquartiert. Dort kommt er auf andere Gedanken. Ich wollte mit Ihnen die Bestellungen für Samstag und Sonntag einmal durchsprechen. Ginge das jetzt?“

Mit einem Lächeln wurde ich nach hinten in das Büro gebeten. Der Meister hatte natürlich schon alle Listen von uns erhalten. Jetzt ging es nur noch um die Details und wann sie beginnen wollten, den großen Grillwagen aufzubauen. Die Besprechung der Details dauerte doch länger als ich gedacht hatte, aber nach einer guten halben Stunde war schließlich alles geklärt.

Mir kam in den letzten Tagen oft das Gefühl, ich sei ein Manager und kein Vater. So viele Dinge hatte ich zu organisieren. Aber ich wusste ja für wen und was ich das alles tat. Also nicht lange rumgejammert, sondern schnell jetzt in die Werkstatt. Meine beiden Partner wollten sich dort um meine Autos kümmern.

Als ich in der Werkstatt eintraf, war tatsächlich schon alles umgebaut. Die Trennwände standen und die Autos waren sicherheitshalber zusätzlich abgedeckt. So würde alles gut funktionieren.

„Jungs, das sieht echt schon richtig gut aus. Braucht ihr noch Unterstützung? Was ist mit der Bühne für den Showact?“

„Die wird erst am Freitagmorgen aufgebaut. Wir brauchen bis dahin hier noch den Platz zum arbeiten.“

„Puh, das wird dann aber eng. Die müssen doch sicher auch noch die ganze Technik aufbauen.“

„Marc, du hast uns gebeten, die Werkstatt vorzubereiten. Also lass uns das bitte auch machen. Vertrau uns. Wir melden uns, sollte es Schwierigkeiten geben. Übrigens, wir haben da eine interessante Sache gefunden. Jetzt hat Luc ja sein Auto bekommen. Was ist mit Stef? Er wird ja auch bald achtzehn. Du hast dir doch sicher auch schon Gedanken dazu gemacht.“

„Woran du immer denkst, Stephan. Also, was hast du für eine Sache gefunden?“

„Naja, wir haben schon mitbekommen, dass Stef nicht ganz so autoverrückt ist wie Luc. Aber wir finden einfach, er braucht einen eigenen fahrbaren Untersatz. Du hast selbst mal gesagt, Stef soll eigenständig sein können.“

Ich schaute ihn an. Seine Augen sprachen Bände. Er hatte irgendetwas im Kopf und wusste genau, dass er mich damit sofort überzeugen würde.

„Schieß los, was hast du im Kopf.“

„Ich finde, zu Stef würde ein Elektroauto sehr gut passen. Er benötigt es ja nur für kurze Strecken zur Schule oder hier in der Umgebung. Alle weiten Strecken würden sie eh mit dem Camaro oder einem anderen von deinen Autos bewältigen.“

„Okay, das stimmt. Aber die E-Autos sind entweder sehr teuer, wenn sie gut sind, siehe Tesla, oder sie taugen noch nicht viel.“

„Es gibt da etwas ganz Witziges und Gutes. Von Renault. Den Twizy. Das solltest du dir mal anschauen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass dir das selbst gefallen könnte, um mal beim Bäcker oder so einzukaufen.“

Er gab mir einen kleinen Prospekt und das Teil sah wirklich witzig und recht pfiffig aus. Ich musste mich damit mal beschäftigen. Außerdem hatte er es geschafft, mich von der Werkstatt abzulenken.

Mittlerweile war Sabine mit meiner restlichen Familie auch eingetroffen.

Thekendienst übernahmen dieses Mal Leif, Mick und Lukas verantwortlich. Sie teilten die Leute ein und organisierten die Getränke.

„Na, Jungs. Habt ihr alles im Griff? Was habt ihr an Getränken geordert?“

„Natürlich haben wir die Theken im Griff. Das machen wir ja nicht zum ersten Mal. Auch wenn du Perfektionist bist, du wirst zufrieden sein. Wir haben uns übrigens gedacht, hier draußen gibt es nur Bier und alkoholfreie Getränke. Wer Cocktails möchte, muss sich die im Innenbereich holen. So können wir das besser unter Kontrolle halten.“

Meine Söhne hatten tatsächlich alles, aber wirklich alles super geplant und unter Kontrolle. Es war beruhigend, dass sie sogar an diese Kleinigkeiten gedacht hatten. Sabine war ebenfalls beruhigt und nickte auch diesen Plan ab.

Zwei Tage noch, dann würden die ersten Gäste eintreffen. Karl, Barbara und Luc wollten doch schon Freitagmittag aus München anreisen. Stef und Mario natürlich mit im Gepäck.

Ich war jetzt schon froh, wenn wir das überstanden hatten. Für heute hatte ich noch zwei Termine etwas außerhalb von Genf. Ich musste dort die Vorbereitungen für die Überraschung für Chris treffen.

„Sabine, kommst du jetzt ohne mich zurecht? Ich hab noch zwei Außentermine. Du weißt ja.“

Sie fing an zu lachen und nickte.

„Ja, verschwinde. Wir brauchen dich hier nicht. Ich möchte gar nicht so genau wissen, was du für Chris wieder für Bösartigkeiten ausheckst.“

Chris: Die letzten Tage vor der Fahrt in die Schweiz

Marcs Idee, dass wir Luc erst auf der Party überraschen, war bei uns auf geteilte Meinungen gestoßen. Allerdings fand ich es auch nachvollziehbar, dass Marc sich bei Luc revanchieren wollte. Meine drei Jungs waren eingeweiht und so spielten wir also mit.

Heute war in Halle auch ein besonderer Tag. Die neue Kletterwand war fertig aufgebaut und sollte eingeweiht werden. Alle Nachwuchsspieler sollten bei der Veranstaltung anwesend sein, die Trainer natürlich ebenfalls. Wir bekamen vom früheren Betreiber eine Einweisung und Thorsten hatte zwei unserer Fitnesstrainer extra dafür ausbilden lassen. Deshalb hatte ich unser Matchtraining heute abgesagt und meine fünf Jungs zur neuen Wand am Stadion beordert.

Als ich dort eintraf, kletterten bereits schon etliche der Junioren in der Wand, immer gesichert von einem Helfer am Boden.

„Hi Chris“, begrüßte mich Burghard, „deine Jungs sind schon alle in der Wand. Justin hat sich noch nicht getraut. Ich weiß aber auch nicht, wie ich ihn dazu bringen könnte mal zu versuchen, dort zu klettern.“

„Bist du schon in der Wand gewesen?“

„Ich? Nein, ganz sicher nicht. Dafür bin ich schon zu alt.“

„Tja, dann würde ich da an Justins Stelle auch skeptisch sein. Ich werde es zumindest mal versuchen, wie weit ich komme.“

Ich ging also zu Charles, der als Sicherung am Fuss der Wand stand. Ich schaute mir genau an, wie Carlo gerade einen einfachen Weg hinaufkletterte. Er gewann behände an Höhe. Das sah sehr elegant bei ihm aus.

„Kannst du auch mich sichern? Ich habe ja doch eine etwas andere Gewichtsklasse als Carlo.“

Charles grinste und sagte:

„Klar, und mit jedem Meter Höhe, wirst du ja leichter, weil du Gewicht ausschwitzt.“

Nach dieser Bemerkung fing er laut an zu lachen. Ich ließ mich also in das Klettergeschirr einklinken und dann bekam ich eine Einweisung in die Wand. Jeder gleichfarbige Griffstein galt für einen Weg. Ich beschloss den gelben Weg zu versuchen. Das war der einfachste Pfad nach oben.

Nach wenigen Minuten spürte ich bereits meine Arme und Beine. Es erforderte Konzentration und auch Kraft, sich nach oben zu arbeiten. Allerdings gelang es mir, das Ende des gelben Weges auch zu erreichen. Charles seilte mich im Anschluss daran wieder nach unten ab und Tim und Carlo erwarteten mich mit anerkennendem Applaus. Maxi und Fynn waren noch unterwegs und versuchten sich direkt am blauen Weg. Dustin war gerade dabei sich ein Geschirr anzulegen und fragte mich:

„Wie schwer war das? Und merkst du deinen Rücken jetzt?“

„Nein, Dustin. Rücken ist in Ordnung und gelb ist echt gut zu bewältigen. Auch für Anfänger wie mich.“

Dennoch spürte ich meine Arme ganz schön. Ich war jetzt restlos überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war, diese Wand hier aufzubauen. Alle Spieler würden davon profitieren, ihre Koordination und Kraft verbessern zu können.

Charles erklärte mir die Aufgaben beim Sichern der Kletterer. Auch das war kein Hexenwerk und er ließ mich das auch gleich ausprobieren. So würde ich auch allein mit meinen Jungs klettern können, ohne dass einer unserer Fitnesscoaches extra dabei sein musste.

Ich überwachte jetzt den Weg von Dustin und auch Tim und Carlo schauten den anderen weiterhin zu. Maxi stellte sich am besten an. Er schaffte sogar den orangenen Weg. Allerdings erst im dritten Versuch.

Ich bekam gar nicht mit, wie schnell die Zeit verging.

Fynns Frage: „Müssen wir heute noch auf den Platz oder können wir gleich zur Massage gehen?“, machte mir bewusst, wie spät es bereits war.

„Heute absolvieren wir kein Training zusätzlich auf dem Platz. Morgen geht es auf die Reise in die Schweiz. Das macht einfach keinen Sinn mehr.“

„Kommst du uns morgen abholen oder wo treffen wir uns eigentlich?“

Fynn stand neben mir, während ich mich mit einem Handtuch abtrocknete.

„Ich komme euch abholen. Dann fahren wir nach Paderborn zum Flughafen und fliegen von dort in die Schweiz.“

„Ah, sehr gut, sollen wir eigentlich Tennissachen mitnehmen? Vielleicht spielen wir ja mal mit Marc oder Mick und Lukas eine Runde.“

„Könnt ihr gerne machen, aber nehmt nur einen Schläger mit. Mehr braucht ihr dort nicht. Sonst müssen wir wieder mit Übergepäck einchecken.“

Meine Jungs wollten noch einen Durchgang klettern. Für mich war es genug und ich ging direkt unter die Dusche, damit mein Rücken nicht kalt wurde. In der Umkleide traf ich auf Tim und Carlo, die bereits geduscht hatten. Sie fragten mich:

„Wie findest du diese Kletterwand? Denkst du, dass wir davon profitieren?“

„Auf jeden Fall. Sonst hätten wir sie auch nicht installiert. Mir ist das viel lieber, ihr geht eine Runde klettern, als stumpf im Fitnessstudio Gewichte zu stemmen. Ich habe schon mit Charles und Kolja gesprochen, dass eure Trainingspläne angepasst werden. Wie gefällt euch das?“

„Cool. Ich hätte nicht gedacht, dass das so anstrengend ist. Vor allem muss man vorher genau überlegen, wo man hingreifen muss. Sonst muss man wieder von vorn anfangen.“

„Ja, das stimmt. Konzentration ist ganz wichtig. So, ich geh mal duschen und wir sehen uns dann erst wieder, wenn wir aus der Schweiz zurück sind. Euer Training ist ja geklärt. Bevor ich das vergesse, Thorsten hat deine Eltern zu einem Gespräch eingeladen, Tim. Das soll direkt nach unserer Rückkehr stattfinden. Mach dir deswegen also keinen Stress. Das Team möchte auf jeden Fall mit dir weiter arbeiten. Jan hat auch zugesagt, bei diesem Termin anwesend zu sein.“

Tim wurde sehr ruhig und nachdenklich. Allerdings konnte Carlo mit einem Spruch Tim schnell wieder aufheitern:

„Also wenn Jan persönlich bei diesem Termin anwesend sein will, möchte ich nicht in der Haut deines Vaters stecken. Das wird unangenehm.“

Ich musste lachen und zeigte Tim den Daumen hoch. Ich wusste, dass Jan sich sehr gut auf solche Gespräche vorbereitete und entsprechend klare Vorgaben machte. Im Sinne der Spieler.

Ich hatte noch am Abend meine Tasche gepackt und in meinen Dienstwagen gestellt. So konnte ich direkt nach dem Frühstück nach Halle aufbrechen.

Eigentlich war ich immer froh, wenn ich nicht reisen musste. Allerdings war diese Reise keine gewöhnliche Turnierreise. Deshalb freute ich mich auch besonders auf den Anlass. Luc hatte seinen achtzehnten Geburtstag und Marc hatte gemeinerweise seinem Sohn gesagt, dass wir nicht kommen würden. Der Grund war angeblich ein Turnier, welches wir nicht absagen konnten. Luc war bitter enttäuscht, aber Marc hatte sich diese Gemeinheit ausgedacht, um Luc einen Streich zu spielen.

Marc hatte uns für die erste Nacht sogar extra in einem Hotel untergebracht. Erst nach der Feier sollten wir bei ihm wohnen. Was genau auf der Feier passieren würde, war wie immer in der Familie Steevens ein gut gehütetes Geheimnis.

Am Flughafen stellte ich das Auto in die Tiefgarage und wir checkten zügig ein. Alles lief ohne große Probleme. Lediglich bei der Sicherheitskontrolle gab es bei mir ein kleines Problem. Der Metalldetektor schlug an. Das war ein mir bekanntes Problem, denn meine vielen Metallteile im Körper ließen ab und an den Alarm auslösen.

Nachdem ich nachweisen konnte, dass es medizinische Gründe hatte, durften wir ohne weitere Kontrollen den Flieger betreten.

Die Plätze waren im Flugzeug verteilt. Da ich aber kein Problem hatte, Dustin und Fynn zusammensitzen zu lassen, tauschte ich meinen Fensterplatz mit Fynn. Der Flug würde ja eh nicht so lang dauern.

Während des Fluges las ich den Artikel von Jens Mischka. Mir gefiel ziemlich gut, was er dort veröffentlichte. Er hinterfragte sehr kritisch die Konzepte vom DTB und prangerte die recht erfolglose Nachwuchsförderung an. Als Gegenbeispiele nannte er unter anderem auch unser Break-Point-Team.

Nachdem ich den Bericht gelesen hatte, reichte ich Maxi das Heft. Er interessierte sich von den Jungs am meisten für diese Dinge.

„Was ist das für ein Artikel?“, fragte Fynn, als ich das Heft an Maxi weitergab.

„Dort steht unter anderem auch euer Interview mit Jens Mischka. Also wenn es euch interessiert, lasst euch von Maxi das Heft geben, wenn er damit fertig ist.“

Ich schloss für ein paar Minuten meine Augen und versuchte mich zu entspannen. Viel Ruhe würde ich bei Marc mit Sicherheit nicht bekommen. Also versuchte ich, meinen Akku noch einmal richtig aufzuladen.

Allerdings bekam ich trotzdem mit, wie sich Dustin mit Fynn leise unterhielt. Sie sprachen über die aktuelle Situation und wenn ich es richtig verstand, hatten sie sogar ein Lob für mich über. Das fühlte sich zwar gut an, war aber auch komisch. Es kam nicht oft vor, dass ich mitbekommen konnte, wenn sich meine Jungs über mich unterhielten. Umso schöner fühlte es sich an, dass ich so positiv gesehen wurde.

Der Flug ging dem Ende zu und die Anschnallzeichen leuchteten auf. Die Landung war butterweich. Beim Aussteigen aus dem Flugzeug fragte mich Maxi:

„Wie geht es denn jetzt weiter? Da wir ja eigentlich gar nicht hier sind, wird uns wohl Luc auch nicht abholen.“

Ich musste schmunzeln.

„Du kennst Marc noch nicht wirklich. Ich bin mir ganz sicher, dass er uns abholt oder abholen lässt. Warte ab. Wir gehen jetzt erst einmal durch den Zoll und die Gepäckabfertigung, dann sehen wir weiter.“

Dustin hatte mit Fynn bereits zu uns aufgeschlossen und somit standen wir wenige Minuten später in der Ankunftshalle des Flughafens. Ich ließ meinen Blick schweifen und plötzlich konnte ich Mick am Informationsschalter erkennen.

„Kommt mit. Unser Chauffeur steht an der Information.“

„Boah, du hast wohl den Adlerblick. Ich hab noch nichts erkannt.“

Die drei folgten mir und erst wenige Meter vor dem Schalter hatte uns auch Mick gesehen. Er kam uns sofort entgegen.

„Hallo Chris, hallo Jungs. Schön, dass ihr pünktlich seid. Luc ahnt noch überhaupt nichts. Er ist ja auch noch nicht so lange aus München wieder zurück. Er denkt immer noch, dass ihr nicht kommen könnt. Deshalb bringe ich euch jetzt direkt ins Hotel. Papa wird sich bei euch später noch melden. Dann wird er euch sicher auch erklären, was er sich ausgedacht hat.“

„Selbst du weißt das nicht?“, fragte Dustin erstaunt.

„Nein, diese Dinge wissen wir auch nicht.“

Wir bewegten uns in Richtung Tiefgarage und luden dort unsere Taschen ins Auto. Mick hatte Sabines Chevy dabei. Somit war genug Platz für uns im Auto.

„Und war euer Flug angenehm oder gab es Probleme?“

„Nein, alles bestens. Allerdings geht mir diese ganze Reiserei grundsätzlich auf die Nerven. Ich bewundere da immer meinen Bruder. Der ist ja nur unterwegs und selten mal mehr als fünf Tage am Stück zu Hause.“

„Das glaube ich dir sofort. Umso mehr wird sich Luc freuen, dass ihr seinetwegen doch angereist seid. Er ist wirklich geknickt. Gerade, dass Dustin und Fynn nicht kommen würden, hat ihn sehr traurig gemacht. Selbst Stef hat ihn in dieser Hinsicht nicht trösten können.“

Dustin und Fynn schüttelten den Kopf als sie das mitbekamen.

„Findet ihr das nicht etwas heftig? Immerhin ist es Lucs Geburtstag und seine Feier.“

Mick musste lachen, als Fynn das gesagt hatte.

„Das muss er aushalten. Er hat schon so oft Papa einen Streich gespielt und dieses Mal ist er eben mal dran. Wirklich schlimm wäre es, wenn ihr tatsächlich nicht hättet kommen können. Er wird ja mit euch noch feiern können.“

Und dass wir besondere Gäste waren, konnten wir daran erkennen, in welchem Hotel uns Mick abgesetzt hatte. Wir sollten uns einrichten und auf Marc warten. Mir fiel das überhaupt nicht schwer, aber einfach warten war für meine Jungs nicht so einfach. Als ich mein Zimmer bezogen hatte und mich frisch gemacht hatte, schaute ich bei den dreien vorbei.

„Hi Chris, das ist aber echt edel hier. Wir haben sogar einen eigenen Internetanschluss und einen Kühlschrank. Marc macht wieder keine halben Sachen. Es muss ihm also wichtig sein, dass er Luc an der Nase herumführen will.“

„Es ist ihm alles wichtig, was seine Familie betrifft. Das solltet ihr doch mittlerweile wissen. Marc hat nie lange überlegt, wenn es um seine Kinder oder deren Freunde ging.“

„Da ähnelst du ihm ganz schön. Du bist für uns auch immer erreichbar. Egal wann und wo.“

„Genau, wenn es brennt bist du da und kommst löschen. Ich denke sogar manchmal, dass du so bist, wie ich mir meinen Vater gewünscht habe. So wie du hat sich noch nie jemand um mich gekümmert.“

Dustin war sichtlich bewegt und Fynn legte ihm den Arm um seine Schulter. Mir tat so ein Lob auch mal gut. Vor allem konnte ich spüren, dass es ehrlich gemeint war.

Marc: Die Feier

Mick hatte Lucs Tennisfreunde vom Flughafen abgeholt und sie ins Hotel gebracht. Den Freitagabend hatte ich mir Zeit genommen, mit unseren Gästen im Hotel essen zu gehen. So viel Zeit musste sein. Allerdings hatte das bei Sabine zu leichtem Unmut geführt. Sie war der Meinung, dass ich auf dem Partygelände mehr gebraucht würde.

Ich war am Samstagvormittag mit Sabine auf dem Festgelände und machte die letzten Abnahmen. Die Bühne war fertig aufgebaut und die ersten Soundchecks wurden durchgeführt. Ich war sehr gespannt, wie mein Showact ankommen würde. Ich hatte eine Band engagiert, die momentan die größten Stadien füllen konnte. Für Mick und Lukas hatten sie bereits einmal einen Auftritt gehabt und damals hatte ich mir ihre Kontaktdaten geben lassen. Luc mochte sie genauso gern und von Chris wusste ich auch, dass er diese Musik mochte.

Chris sollte bei diesem Auftritt als Special Guest erscheinen. Ich war sehr gespannt, wie Luc reagieren würde, wenn Chris mit seinen Jungs auf der Bühne erschien. Luc hatte auch viele andere Freunde eingeladen und somit war er mit Sicherheit gut beschäftigt bis die erste Überraschung fällig wurde.

Die Band sollte von mir in seinem Camaro auf die Bühne gefahren werden und nach dem ersten Song sollte Luc offiziell seinen Camaro überreicht bekommen. Karl und Barbara wollten die Schlüssel übergeben. Was bislang aber niemand wusste: Chris wäre zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Bühne. Genau wie seine Jungs. Nur würde das eben außer mir keiner weiter wissen. Nur Sabine hatte ich diese Sache noch verraten.

Als ich auf der Bühne stand, kamen Stef mit Sabine und Luc zu mir. Insbesondere Luc war aufgeregt und angespannt. Er staunte über diese große Bühne, die er jetzt zum ersten Mal sah.

„Was habt ihr hier geplant? Das sieht wie eine Konzertbühne aus und nicht nach einer Geburtstagsparty.“

Ich musste lachen.

„Naja, es ist ja auch keine gewöhnliche Geburtstagsparty. Mein Jüngster wird achtzehn. Außerdem habe ich Mick auch eine große Feier organisiert. Ich bin mir sicher, dass du viel Freude haben wirst mit den Gästen und dem Programm. Aber mehr verraten wir nicht.“

Sabine legte ihren Arm um mich und grinste Luc an. Sie setzte noch einen drauf:

„Dieses Mal wirst du auch von mir nicht mehr erfahren. Ich würde richtig Ärger mit Marc bekommen, also halte ich auch dicht. Aber ich kann dir versprechen, deine Gästeliste haben wir wie gewünscht abgearbeitet.“

Bei dieser Aussage zuckte ich zusammen. Sollte das eine Anspielung auf Chris sein? Luc reagierte auch sofort:

„Wenn alle Gäste wie gewünscht kommen, dann wäre Chris mit Maxi, Dustin und Fynn auch hier. Also stimmt deine Aussage schon nicht mehr.“

„Hey, Schatz“, warf Stef ein, „sei nicht so aggressiv. Was können wir denn dafür, dass Thorsten Chris nicht freigegeben hatte und sie ein wichtiges Turnier spielen müssen. Lass uns jetzt einfach die Feier genießen und mit den anderen Freunden feiern.“

„Ja, du hast ja Recht. Dennoch fehlt einfach etwas. Immerhin haben sie mir aber schon gratuliert und sich noch einmal entschuldigt, dass sie nicht hier sein können.“

In diesem Moment ertönte Musik aus den Lautsprechern. Der letzte Soundcheck vor heute Abend lief und auch sonst schaute ich mir alles noch einmal genau an. Der Grillstand war bestens vorbereitet und auch die Theken waren bestückt und liefen bereits.

„Leute, wir können jetzt zurück nach Hause fahren und uns für den Abend fertig machen. Luc und Stef, ihr werdet später vom Fahrdienst abgeholt. Sabine und ich fahren mit Leif, Mick und Lukas schon vorher wieder hierher. Schließlich sollen die Gäste ja auch empfangen werden.“

Etwas später war ich bereits wieder auf dem Weg zum Festplatz, um Chris und seine Jungs zu empfangen. Sabine war mit anderen Jungs schon zum Festplatz gefahren. Nur Luc und Stef waren noch zu Hause. Deren Fahrdienst übernahmen Karl und Barbara.

Lukas hatte mir schon Bilder geschickt von den ersten Gästen, die eingetroffen waren. So langsam füllte sich der Hof. Mick hatte Lucs Überraschungsgäste vom Training noch zum Hotel gebracht, damit sie sich umziehen konnten.

Ich erwartete sie im VIP-Bereich. Mick sollte sie dort hinbringen.

Einige Minuten später konnte ich ihre Stimmen auch schon hören. Mick kam mit ihnen herein und ich konnte ihre staunenden Gesichter erkennen.

„Wie sieht denn deine Planung jetzt aus? Werden wir Luc und Stef gleich schon treffen oder wie hast du dir das gedacht?“

„Nein, Dustin. Ich werde euch quasi hinter der Bühne versteckt halten. Alles Weitere erkläre ich euch gleich auf der Bühne. Luc wird erst während des Showacts merken, dass ihr doch gekommen seid. Bitte habt noch einen Moment Geduld.“

„Showact? Ich ahne schon, dass wird garantiert keine normale Geburtstagfeier. Also gut, dann lassen wir uns überraschen.“

Ich grinste und da wusste Chris, jede weitere Frage zum heutigen Abend wäre überflüssig und würde nicht beantwortet werden. Ich genoss es, meine Freunde noch etwas auf die Folter zu spannen.

Mittlerweile war selbst ich schon etwas aufgeregt, denn auch für Chris würde es heute etwas Besonderes geben.

Im rückwärtigen Bereich der Bühne hatten wir einen abgesperrten Bereich für die VIP Gäste und die Band aufgebaut.

Ich kümmerte mich nun auch um die Band, die heute für uns spielen würde. Ich ließ meine Freunde mit Lukas zurück.

Ihren Tourbus hatten wir hinter der Werkstatt geparkt. Dort ging ich jetzt hin, um die fünf Musiker zu begrüßen und hinter die Bühne zu bringen.

Chris: Gigantischer Aufwand

Damit wir uns am Samstagvormittag nicht langweilen würden, hatte uns Marc einen Tennisplatz organisiert. Ich war mit den Jungs zu einem lockeren Doppel auf den Platz gegangen, als plötzlich Mick bei uns auftauchte.

„Sorry, Chris. Es hat nicht ganz pünktlich geklappt. Papa hat gemeint, dass ich mit den Jungs spielen soll. Er hatte etwas Sorge um deinen Rücken. Nicht, dass du heute Abend nicht mitfeiern kannst.“

„Alles gut. Aber ich hätte auch einen Satz mitgespielt. Allerdings ist es sicher besser, wenn du mitspielst. Ich habe vor allem nicht meine eigenen Schläger mit. Von daher ist das viel besser, dass du mitspielst. Konntest du denn jetzt so einfach weg?“

„Nein, so einfach nicht, aber du kennst ja meinen Vater. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, muss das genau so ablaufen. Also habe ich Lukas alle Dinge erklärt, die noch zu machen sind und bin dann gefahren. Leider bin ich nicht ganz pünktlich vom Festplatz weg gekommen.“

Mick war für einen Freizeitspieler erstaunlich gut. Somit hatten wir viel Freude auf dem Platz. Ich machte ein paar Bilder und Notizen. Für mich war es interessant zu beobachten, wie sich meine drei Jungs in dieser Situation anstellten. Sie hatten sehr viel Spaß und lachten viel. Bei einem Seitenwechsel schaute Dustin zu mir und hatte gesehen, dass ich mir Notizen gemacht hatte.

„Leute, wir sollten vielleicht wieder etwas ernsthafter spielen. Ich glaube Chris schreibt alles mit. Der denkt doch, wir sind ein alberner Kindergarten.“

Ich schaute von meinem Block hoch und alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich musste lachen und erwiderte:

„Hey, wenn ich was zu sagen habe, melde ich mich schon. Lasst euch nicht stören. Mir gefällt das ganz gut, was ihr heute so macht. Wenn ihr ernsthaft hättet trainieren sollen, würde ich mich schon melden. Also macht einfach weiter.“

Der Vormittag wurde mit Mick sehr kurzweilig, weil er noch bis nach dem Mittagessen bei uns blieb und auch ein paar Geschichten aus früheren Zeiten zu erzählen hatte.

Nachdem wir uns im Hotel umgezogen hatten brachte uns Mick zum Festplatz. Dort nahm uns Marc in Empfang.

Marc hatte uns in den rückwärtigen VIP Bereich gebracht und wir kamen aus dem Staunen nicht heraus.

„Sag mal Chris, wo sind wir hier? Das sieht nach einem Mega Event und nicht nach einer Geburtstagsfeier aus.“

Fynn sprach aus, was ich gedacht hatte. Unglaublich war das, was hier aufgebaut worden war. Wir wurden mit Getränken versorgt und plötzlich tauchte Lukas bei uns auf.

„Ah, hier hat er euch versteckt. Herzlich willkommen. Bitte bleibt so lange hier sitzen, bis euch Marc abholt. Ihr sollt einen besonderen Auftritt bekommen und Luc soll bis zuletzt nichts davon wissen.“

„Hallo Lukas“, begrüßte ich Micks Mann, „ihr habt ja einen totalen Knall. Was wird das hier eigentlich? Ein Event oder eine Geburtstagsfeier?“

Lukas fing an zu lachen und auch Mick grinste. Lukas antwortete:

„Ähm ja, willkommen in der Feierwelt von Marc Steevens. Manchmal ist Papa da etwas sehr --- speziell. Aber ich verspreche euch, es wird richtig gut werden.“

„Wenn ich mir das ansehe, zweifel ich nicht mehr im Geringsten daran. Für wen habt ihr diese gigantische Bühne aufgebaut? Findet hier ein Konzert statt?“

„Ja, und ihr werdet ein Teil des Konzertes sein.“

In diesem Moment betrat Marc erneut den VIP-Bereich. Dieses Mal mit fünf Leuten. Ich hatte es geahnt, Marc hatte erneut die Jungs von Santiano eingeladen und für ein Konzert engagiert. Sie waren bereits bei Micks Geburtstag aufgetreten und hatten die Gäste zum Toben gebracht. Luc hatte davon berichtet.

„Wie meinst du das? Wir werden ein Teil des Konzertes sein?“, fragte Dustin sichtlich verunsichert.

Marc stellte uns die Musiker vor. Dustin und Fynn kannten sie natürlich aus dem TV, Maxi hatte sie bereits einmal live in einem Konzert erlebt. Genau wie ich auch. Ich mochte diese Musik sehr. Aber sie hier leibhaftig vor sich stehen zu haben, war dann auch für mich etwas Besonderes.

„Passt bitte einmal auf, Santiano wird gleich die Feier eröffnen. Dafür werde ich sie mit Lucs Camaro auf die Bühne fahren. Mittlerweile wird es langsam richtig voll vor der Bühne und ich habe ja die Information, dass du die Musik gut kennst, Chris.“

„Äh ja, klar. Ich kenne sie gut. Aber weshalb fragst du?“

Jetzt kam Timmsen Hinrichs auf mich zu. Er ist der Schlagzeuger der Truppe und ich ahnte Böses. Ganz Böses.

„Marc hat uns erzählt, dass du Schlagzeug spielst. Stimmt das?“

Ich schaute entsetzt zu Marc, der fies grinste.

„Ich kann etwas Schlagzeug spielen, ja. Aber ich habe es nie weiter verfolgt, obwohl ich es liebend gern machen würde. Ich hab es mir nicht zugetraut. Auch wegen meiner Schulterverletzungen durch den Unfall.“

Draußen war es mittlerweile fast dunkel geworden und die Musik war schon deutlich zu hören. Mick und Lukas hatten sich bereits nach vorn verabschiedet und wollten alles für den Auftritt vorbereiten. Pete Sage, „The Fiddler“, meinte dann:

„Wir haben dir ein zweites Schlagzeug aufgebaut und du wirst mit Timm gemeinsam das erste Lied spielen. Das kennst du sicher gut «Gott muss ein Seemann sein». Das ist einfach zu spielen. Wir möchten Luc damit überraschen, denn er weiß ja noch gar nicht, dass ihr hier seid. Er wird außerdem nicht auf die Idee kommen, euch auf der Bühne zu sehen.“

Ich dachte echt, die haben wirklich einen Knall. Ich war absoluter Laie am Schlagzeug und sollte jetzt auf einer riesigen Bühne mit Santiano ein Stück spielen. Meine Jungs hingegen fanden das total klasse und nachdem sie die erste Überraschung verkraftet hatten, waren sie natürlich sofort auf Marcs Seite und total euphorisch über diese Idee.

„Los, Chris. Das bekommst du schon hin. Ich bin mir sicher, dass die Santiano Jungs dir helfen werden. Wann soll es denn eigentlich losgehen? So langsam wird mir langweilig.“

Typisch Fynn, jetzt wo die Katze aus dem Sack war, wurde er mutig. Ich war ja derjenige, der sich blamieren würde. Da fiel mir eine kleine Gemeinheit ein.

„Sagt mal, ihr habt doch auch einen Background Chor oder? Ich wäre dafür, dass meine Jungs sich dort versuchen und beweisen müssen. Ich will nicht das einzige Opfer sein.“

Marc war sofort begeistert und auch die Santiano Jungs fanden das witzig.

Jetzt kam Sabine noch in den VIP Bereich und sagte sehr bestimmt:

„Wie weit seid ihr? Die Party nimmt Fahrt auf und es ist alles für euren Auftritt vorbereitet. Ich möchte Luc nicht noch länger warten lassen. Er ist schon sehr aufgeregt und wird auch langsam ungeduldig, dass er sich nicht hierher bewegen darf. Schließlich ist es ja seine Feier.“

Meine Jungs und ich wurden von der Bühnencrew über einen kleinen Seitenaufgang auf die dunkle Bühne geführt. Ich hatte knappe fünf Minuten, mich am Schlagzeug zurechtzufinden. Ich nahm also Platz und spielte ganz vorsichtig ein paar Schläge. Natürlich war das sofort zu hören und die Partygäste wurden aufmerksam. Da betrat Sabine mit Luc und Stef die Bühne. Sie hatte ein Mikrofon in der Hand und die Musik aus den Boxen erstarb.

„Hallo liebe Gäste, ich möchte euch im Namen der Familie Steevens begrüßen. Heute soll Luc auch seine besonderen Geschenke bekommen. Damit wir das angemessen machen können, hat sich Marc etwas ausgedacht. Wie einige ja schon wissen, hat Luc vor zwei Jahren von Karl Geiger aus München einen alten Camaro bekommen. In den letzten zwei Jahren haben Luc und die Geiger Crew dieses Auto zu einem Schmuckstück aufgebaut. Marc gefällt das Auto so gut, dass er jetzt unsere „Special Guests“ sogar damit auf die Bühne fahren wird.“

Auch der vordere Teil der Bühne wurde dunkel und ich konnte das Grollen des Achtzylinders hören. Ein greller Suchscheinwerfer ging über die Bühne und es wurde ganz still. Marc kam von der rechten hinteren Seite langsam auf die Bühne gefahren und jetzt realisierte Luc, dass die Santiano in seinem Auto auf die Bühne kamen. Auch Stef war völlig konsterniert, als sich die Türen öffneten und sie zu Sabine an den Bühnenrand kamen. Marc winkte den Gästen zu und Luc wurde von den Santiano Jungs umarmt. Erst danach nahm sich Marc das Mikro.

Ich wurde langsam richtig nervös. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie das gleich werden sollte. So aufgeregt war ich schon ganz lange nicht mehr. Was für eine Show hatte sich Marc da nur ausgedacht? Unglaublich.

Plötzlich stürmte „Timmsen“ über die Bühne nach hinten und kam bei mir vorbei. Es war komplett dunkel und er erklärte mir meine Aufgabe, den einfachen Rhythmus zu spielen. Alles andere würden sie schon machen. Das sollte ich hinbekommen. Dann nahmen alle Santianos ihre Positionen auf der Bühne ein und Marc begann die Leute zu begrüßen:

„So, lieber Luc. Jetzt ist es also soweit. Du sollst dein eigenes Auto nun auch offiziell bekommen. Hier sind die Schlüssel und ich würde sie dir gern auch überreichen, aber ich habe jemanden unter den Gästen, der das gern übernehmen möchte. Karl, kommst du bitte auf die Bühne.“

Ein heller Scheinwerfer tauchte jetzt Karl in weißes Licht und die Menge jubelte immer lauter. Rhythmisches Klatschen ließ erahnen, dass es jetzt losgehen sollte. Karl stand mit Marc und Luc vor dem Auto und winkte Luc zu sich, um ihm den Schlüssel zu überreichen. Dann nahm Luc hinter dem Steuer Platz und startete den Motor. Bevor er aber die Bühne wieder herunter fuhr, winkte er Stef zu sich. Karl nahm hinten Platz und Stef wurde mit einem Kuss im Auto begrüßt. Winkend verließen Luc, Stef und Karl die Bühne und dann ging es los.

Die ersten Akkorde von «Gott muss ein Seemann sein» ertönten und ich konzentrierte mich. Dann bekam ich den Einsatz und ich spielte den Rhythmus an. Sehr schnell war ich mitten im Spiel und es machte unglaubliche Freude, auf den Drums zu spielen.

Die Gäste sangen mit und es wurde gar nicht bemerkt, dass ich zweimal den Rhythmus verloren hatte. Als der Schlussakkord von dem Lied verstummt war, kam Marc erneut mit Luc auf die Bühne. Stef hatten sie auch dabei.

„So, mein lieber Sohn. Bevor die Santiano Jungs richtig loslegen, habe ich noch etwas aufzuklären. Du hast uns ja eine Gästeliste gegeben und wir hatten die Aufgabe, diese Gäste auch einzuladen. Bis auf eine Ausnahme ist uns das auch gut gelungen. Du warst allerdings auch sehr traurig, dass diese Ausnahme heute nicht hier sein würde. Ich muss zugeben, ich bin etwas fies und gemein gewesen, weil ich dich angelogen habe. Und alle aus der Familie haben dicht gehalten. Und damit es auch ein ganz besonderer Auftritt wird, möchte ich jetzt Chris und seine drei Jungs bitten, nach vorne zu kommen. Denn sie waren bereits mit den Santiano-Jungs schon gemeinsam in Aktion.“

So, jetzt war die Katze aus dem Sack und als wir uns nach vorne bewegten, realisierte Luc erst, dass wir mit Santiano bereits auf der Bühne waren. Mit offenem Mund stand Luc auf der Bühne und hielt sich bei Stef fest. Für einen Moment hatte ich sogar Sorge, er könnte gleich umfallen.

Plötzlich hatte er aber seine erste Schockstarre überwunden und lief auf Dustin und Fynn zu. Mit einer überschwänglichen Umarmung wurden seine Freunde begrüßt. Maxi wurde danach nicht minder heftig begrüßt. Ich hatte mittlerweile Marc und Sabine erreicht.

„Luc, kommst du bitte wieder zu uns. Wir möchten fortfahren. Santiano hat nicht unbegrenzt Zeit.“

Nur durch diese Ansage über das Mikrofon konnte Luc sich wieder beruhigen. Er strahlte über das ganze Gesicht und die Menge skandierte schon „Santiano, Santiano“.

„Wollt ihr mehr hören?“, schrie Marc ins Mikro.

Die Menge jubelte und damit war das Feld offen für eine gigantische Show. Marc gab die Bühne frei und führte uns von der Bühne in den hinteren VIP Bereich. Dort war etwas mehr Ruhe und Luc und Stef konnten uns noch einmal begrüßen, bevor es vor die Bühne ging, um abzurocken.

Eigentlich war ich eher zurückhaltend, was das Tanzen oder Feiern betraf. Bei dieser Stimmung war es allerdings unmöglich, ruhig zu bleiben. Also ging ich immer voll mit den Jungs mit und entsprechend verschwitzt war ich bereits nach wenigen Minuten.

Mick und Lukas standen hinter der Theke im VIP Bereich. Somit war meine Versorgung mit Fassbrause jederzeit gesichert. Das Konzert dauerte eine gute Stunde und es gab noch zwei Zugaben, die sehr besonders waren. Ein Lied wurde gemeinsam mit der Familie Steevens angestimmt, wobei die Gäste lautstark mitsangen und es war sehr bewegend, als Luc sich zusammen mit Stef zum Abschied bei den Santiano bedankte. Lucs Stimme klang sehr belegt und mit einer tiefen Verbeugung bedankte er sich bei ihnen und allen seinen Freunden.

Ich blieb die ganze Zeit etwas im Hintergrund, um meine Jungs im Auge behalten zu können.

Alle drei hielten sich merklich mit dem Alkohol zurück. Das gefiel mir sehr gut. Ihre professionelle Einstellung hatten sie auch hier verinnerlicht.

Irgendwann nach Mitternacht saß ich mit Sabine, Mark, Barbara und Karl im VIP Bereich. Meine Jungs waren vorne auf der Tanzbühne und rockten mit Luc und den Gästen ab.

„Wo hattet ihr eigentlich die Information her, dass ich mal versucht hatte, Schlagzeug zu spielen? Damit habt ihr mir einen großen Schrecken eingejagt.“

„Dafür, dass du es nur versucht haben willst, war es aber verdammt gut.“, grinste Marc.

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir dir unsere Quelle verraten. Das würdest du auch nicht machen.“

Sabine hatte natürlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich hätte meine Informanten auch nicht preisgegeben. Also machte ich einfach gute Miene zu diesem Spiel und ließ es auf sich beruhen. Es hatte ja kein völliges Desaster gegeben und Spaß hatte es schließlich auch gemacht.

Wie das bei den Geburtstagen der Kinder so üblich war, hatten wir Erwachsenen geplant, die Feier zu verlassen und wollten den jungen Leuten das Feld überlassen. Sabine wollte aber partout die Jungs nicht allein lassen. Es waren ihr zu viele Leute. Also zogen wir uns in den VIP-Bereich zurück. Dabei erfuhr ich auch, dass Marc geplant hatte, mit mir einmal gemeinsam die Furka-Bahn besuchen zu wollen. Er hatte sich viel damit beschäftigt und hatte mich gefragt, ob ich nicht mit ihm gemeinsam dort einmal ein paar Tage Urlaub machen würde.

Luc: Eine Überraschung und eine gigantische Party

Stef und ich waren sehr aufgeregt und die Anspannung stieg weiter an, je näher der Beginn rückte. Papa hatte sich wieder einmal selbst übertroffen. Alle aus unserer Familie und die engsten Freunde halfen beim Aufbau und bei den Theken.

Karl und Barbara waren mit uns erst einen Tag zuvor angereist. Eigentlich sollten wir erst am Samstag kommen, aber ich bestand darauf und wollte schon Freitagabend zu Hause zu sein.

Und als ich mit Stef und Papa doch schon einmal am Samstag kurz auf das Gelände durfte, wurde mir richtig bewusst, wie durchgeknallt Papa war. Er hatte eine riesige Showbühne aufbauen lassen. Mehrere Theken und ein DJ-Pult waren zu erkennen.

Stef und ich kamen aus dem Staunen überhaupt nicht mehr heraus. Selbst Karl und Barbara waren sprachlos in Anbetracht dieses Aufwandes. Stef hielt oft einfach nur stumm und staunend meine Hand. Überall wuselten unsere Freunde und Freunde von Mick, Lukas und Leif herum.

„Sag mal Schatz, wenn ich das hier so sehe, frage ich mich gerade, ob wir nicht auf einer falschen Veranstaltung sind. Willst du nicht lieber bei deinem Papa noch einmal nachfragen? Das wird hier eine mega Party.“

„Ja Stef, das sieht schwer danach aus und ich habe fast das Gefühl, dass wir noch die eine oder andere Überraschung sehen und erleben werden.“

Bevor wir aber noch weiter über das Gelände streifen konnten, fing uns Mama ab.

„Hey, ihr zwei. Marc hat doch gesagt, ihr sollt erst kurz vor Beginn hier sein. Jetzt verschwindet ihr aber ganz schnell wieder nach Hause. Ihr seid hier erst ab halb sieben wieder erwünscht.“

Damit ließ Mama auch nicht mit sich diskutieren und brachte uns eigenhändig wieder nach Hause, damit wir uns für die Party entsprechend umziehen konnten. In unserem Quartier für dieses Wochenende saßen wir wartend dennoch gefühlte hundert Stunden. Allerdings hatten wir uns umgezogen und zuvor geduscht. Jetzt war meine Aufregung aber kaum noch zu ertragen. Erst Stef erinnerte mich wieder daran, dass Fynn und Dustin nicht bei uns sein würden.

„Wir sollten ihnen viele Bilder schicken. Dann können sie sich vorstellen, was sie hier verpassen.“

„Bitte? Wem sollen wir Bilder schicken?“, fragte ich verwirrt.

„Mensch, Luc - Dustin und Fynn natürlich. Sie freuen sich bestimmt, wenn du an sie denkst.“

„Klar bekommen sie viele Bilder. Aber trotzdem ist es einfach nur schade, dass sie nicht hier sind.“

Stef gab mir zum Trost einen liebevollen Kuss und dann stand Karl mit Barbara an unserer Tür. Sie wollten uns abholen. Endlich.

„Wenn ihr uns bitte folgen würdet. Es geht los, die Party kann beginnen.“

Karl hatte schon wieder so ein fieses Grinsen im Gesicht. Da wusste ich genau, dass diese Party einiges an Überraschungen bereithalten würde.

Auf der Fahrt zu der Veranstaltung hatte Karl schon passende Musik im Auto und Stef und ich saßen hinten, der Fahrtwind pfiff uns um die Nase und als wir an der Werkstatt ankamen, staunte ich erneut nicht schlecht. Dort waren bereits einige unserer Freunde anwesend. Wir wurden lautstark begrüßt und gerade Nico, Tommy, Jens und Heiko waren die ersten, die mir noch einmal gratulierten.

Schnell hatte ich etwas zu trinken in der Hand und Tommy hatte sofort seine gute Laune ausgepackt.

„Hast du schon gesehen, dein Papa hat wohl sogar eine Band eingeladen. Schau dir nur diese Bühne an, mit all den Licht- und Showeffekten.“

Dabei zeigte er auf die große Bühne, die aber noch komplett im Dunkel lag. Sogar ein schwarzer Vorhang war noch davor. Allerdings kam aus den Lautsprechern bereits Musik vom Band.

Immer mehr Leute betraten das Gelände und ich musste ständig Hände schütteln und wurde umarmt. Es war schon gigantisch, wie viele Freunde meinetwegen gekommen waren und vor allem, wie viele Freunde auch von Mick, Lukas und Leif mit halfen. Das war beeindruckend für mich und ebenso auch für Stef.

In einer kleinen ruhigen Minute, als wir abseits der Bühne standen, sagte Stef zu mir:

„Ich freue mich so unglaublich. Diese ganzen Leute und Freunde sind für dich gekommen und eine Reihe von ihnen tun auch noch etwas für dich.“

„Nein“, schüttelte ich den Kopf, „nicht nur für mich, sie tun es für uns beide. Und genau das ist so schön. Wir haben viele Freunde hier und auch anderswo. Ich liebe dich und möchte jetzt mit dir diese Feier genießen, auch wenn ich Papa etwas verrückt finde.“

„Etwas?“

„Naja, ich gebe zu, ein wenig mehr.“

Stef schaute mich an, fing an zu lachen und küsste mich innig.

Plötzlich kam Mama um die Ecke.

„Hier seid ihr. Da kann ich ja ewig suchen. Los, ihr beiden. Wir müssen auf die Bühne. Papa möchte anfangen.“

Wir folgten ihr und ich hielt meinen Stef ganz fest im Arm, obwohl ich wahrscheinlich doch noch aufgeregter war als er. Erst auf der dunklen Bühne konnte ich über die Gästemenge schauen. Das war beeindruckend.

Allerdings hatte ich keine Zeit mehr, lange nachzudenken, denn Mama begrüßte die Gäste offiziell und dann konnte ich den Motor von meinem Camaro schon hören.

Aber es war nicht nur einfach die Übergabe. Papa fuhr mit fünf Leuten im Auto auf die Bühne und jetzt erkannte ich die Jungs von Santiano. Wie geil war das denn bitte? Papa hatte es erreicht, dass sie für mich und meine Gäste ein kleines Konzert gaben! Genau wie bei Mick und Lukas damals.

Papa winkte mich zu ihm und er begrüßte auch die Gäste und holte dann Karl mit auf die Bühne. Ich war so überwältigt, dass ich nur am Rande mitbekommen hatte, dass Santiano bereits ihre Positionen eingenommen hatten.

Stef und ich standen nun vor Papa und ich erhielt von Karl offiziell meine Autoschlüssel. Ich nahm hinter dem Steuer Platz und meine Hände zitterten vor Aufregungen. Stef saß neben mir und Karl hinten. Hoffentlich würde der Motor anspringen.

Mit einer Schlüsseldrehung erwachte der große Achtzylinder und ich legte vorsichtig den Wählhebel auf die Position D. Winkend und unter tosendem Jubel fuhr ich das Auto von der Bühne. Dann allerdings skandierten meine Gäste auch schon „Santiano, Santiano.“

Plötzlich ertönten die ersten Takte von dem Lied „Gott muss ein Seemann sein“. Ich bekam eine Gänsehaut und wir liefen schnell wieder vor die Bühne. Dort tobte die Menge und wir waren schnell mittendrin. Textsicher sang ich jede Strophe mit. Selbst Stef hopste und klatschte begeistert. Neben uns tauchte plötzlich Mama auf. Sie hatte ein Strahlen im Gesicht und als das Lied zu Ende war, begannen meine Freunde rhythmisch zu klatschen. Es war ohrenbetäubend laut.

Allerdings machte Santiano keine Anstalten weiterzuspielen. Im Gegenteil, Papa und Mama nahmen Stef und mich wieder mit auf die Bühne. Papa hatte erneut das Mikro in der Hand und schlagartig wurde es ganz still. Was würde jetzt passieren? Ich war total aufgeregt.

Er erklärte mir, dass er eine große Überraschung vorbereitet hätte und plötzlich tauchten Chris, Fynn, Dustin und Maxi aus der Dunkelheit des hinteren Bühnenteils auf. Stef hielt mich ganz fest. Im ersten Augenblick dachte ich, ich hätte mich bei Papas Worten verhört. Das konnte doch nicht wahr sein. Meine Eltern hatten mir die ganze Zeit einen Streich gespielt. Vermutlich habe ich ziemlich blöd aus der Wäsche geschaut. Aber Stef hielt mich ganz fest im Arm, als ich erkennen konnte, dass Chris sogar beim ersten Stück am Schlagzeug mitgespielt hatte. Ich war fassungslos vor Freude. Meine Freunde aus Halle kamen auf mich zu und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und lief ihnen einige Meter entgegen. Dustin und Fynn grinsten um die Wette und als wir uns umarmten, sagte Fynn mir ins Ohr:

„Die Überraschung ist uns wohl gelungen. Alles Gute noch einmal, Luc. Und jetzt können wir richtig abrocken.“

„Worauf du dich verlassen kannst. Ich bin total geflasht. Seit wann seid ihr hier?“

„Schon seit gestern. Und es scheint wohl so zu sein, dass alle tatsächlich dichtgehalten haben. Chris hat sogar bei Santiano mitspielen dürfen. Also lass dich noch einmal umarmen und jetzt geht die Party erst richtig los.“

Papa hatte mittlerweile Chris bei sich und jetzt rief Papa ins Mikro:

„Wollt ihr mehr hören?“

Meine Freunde tobten und jetzt legte Santiano richtig los. Sie spielten über eine Stunde ohne Pause und ich sang mit Stef jedes Lied mit. Unsere Hände waren immer oben und als das Konzert sich dem Ende neigte, winkte mir Pete Sage „The Fiddler“ zu. Er sprach in das Mikro:

„So Luc, jetzt kommst du bitte mit deinem Freund zu uns herauf. Das letzte Lied singen wir von hier oben gemeinsam und alle Anwesenden singen bitte auch mit.“

Ich hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut und mir standen Tränen in den Augen. Der Anblick von der Bühne herunter in die Menge der Gäste war einfach grandios. Alle hatten ein Feuerzeug in der Hand und sangen voller Inbrunst das letzte Lied mit. Stef hielt mir die Hand und stand ganz eng neben mir. Einfach unfassbar. Meine Eltern hatten sich selbst übertroffen. Dieser Beginn meiner Party war überwältigend.

Nachdem sich Santiano verabschiedet hatte, stand ich mit Dustin, Fynn, Chris und Maxi an einer der Theken und Stef brachte uns etwas zu trinken. Chris blieb wie immer bei alkoholfreien Getränken. Aber er hatte kein Problem damit, dass seine Jungs heute auch etwas Alkoholisches tranken.

Ich selbst hatte schon mit einigen Leuten angestoßen und Stef hatte mich niemals allein gelassen. Manchmal hatte ich das Gefühl, er sei mein Bodyguard. Gegen halb elf stand ich mit Stef für einen Augenblick etwas abseits des Trubels.

„Sag mal Schatz, trink nicht so viel. Du hast ständig ein neues Glas in der Hand und trinkst viel durcheinander. Das geht so nicht gut aus.“

„Meine Güte, Stef. Es ist mein achtzehnter Geburtstag und ich will heute mal nicht vernünftig sein. Lass mich heute mit meinen Freunden mal richtig abrocken. Ich passe schon auf, dass es nicht zu viel wird.“

Okay, ich wusste, dass Stef überhaupt kein Freund von Alkohol war. Aber er stellte sich heute auch extrem ängstlich an. Ich fühlte mich grandios und wollte Bäume ausreißen. Nico und Tommy kamen um die Ecke und holten mich wieder vor die Bühne zum Tanzen. Stef wollte einmal bei meinen Eltern vorbeigehen.

Chris: Ein schöner Abend

Nachdem die Party richtig Fahrt aufgenommen hatte und Luc meine Jungs begrüßt hatte, zogen wir Erwachsenen uns ein wenig aus dem Partygeschehen zurück. Ich wäre am liebsten auch schon in Marcs Haus zurückgefahren, aber Sabine wollte partout Luc nicht allein lassen. So saßen wir im VIP-Bereich, wo es etwas ruhiger zuging und ich erzählte von unseren letzten Turnieren und der Entwicklung in Halle. Wir hatten das Turnier in Genf fest in den Plan aufgenommen, so dass wir sie auf jeden Fall dann auch wieder besuchen würden.

„Wie ist das eigentlich so für dich, mit deinem Bruder als Chef zu arbeiten? Du hattest ja sehr lange Zweifel, ob das gut gehen könnte.“, fragte mich Marc.

„Die Zweifel sind auch immer noch da. Allerdings läuft es momentan sehr gut. Jan scheint akzeptiert zu haben, dass sein kleiner Bruder Dinge beherrscht, die ihm nicht so liegen und von denen er auch profitieren kann.“

„Das klingt aber nicht gerade so, als ob er dich frei arbeiten lässt?“, warf Sabine fragend ein.

„Nein, das täuscht. Ich bin wirklich sehr zufrieden. Nur die Altlasten sind halt immer noch in meinem Gedächtnis sehr präsent. Jan gibt sich große Mühe, anerkennt meine Arbeit und nimmt auch meine Ideen an. Wir sind auf einem guten Weg, uns wieder richtig anzunähern.“

„Das hört sich doch gut an. Vor allem profitieren dann die Jungs von eurer guten Zusammenarbeit. Wird dir das nicht manchmal zu viel mit der ständigen Reiserei? Du hast doch mal gesagt, dass du immer wieder Zeit zum Abschalten brauchst.“

„Das ist schon richtig. Es ist anstrengend, aber ich habe auch deutlich weniger Probleme, die ich mit nach Hause nehme. In meinem alten Beruf habe ich oft zu Hause noch an Problemlösungen gearbeitet. Mit diesen Jungs ist das nicht nötig. Dennoch freue ich mich natürlich auf meinen nächsten Urlaub.“

Marc schaute mich an und fragte:

„Hast du schon ein Ziel ausgewählt?“

„Ja, ich möchte zu Claus nach Basel fahren und dann mit ihm die Furka-Bahn erneut besuchen. Und dieses Mal etwas länger als nur zwei Tage.“

„Also hat dir die Schweizer Luft auch gefallen.“, stellte Sabine lachend fest.

„Ja, genau.“

Marc dachte einen Augenblick nach und ergänzte dann:

„Sehr schön. Dann kannst du vielleicht ja auch in Genf vorbeikommen. Hier könntest du ein oder zwei Tage Station machen und wir würden dann gemeinsam nach Realp fahren. Ich möchte mir das sehr gerne vor Ort einmal anschauen, denn ich habe schon einiges darüber gelesen.“

„Das könnte man sicher einrichten, wenn es euch nicht zu viel wird. Vielleicht könnte ich mir hier auch mal ein Motorrad leihen. Mit meiner Panigale möchte ich nicht bis hierher fahren. Das wäre mir zu anstrengend und ist auch zu weit.“

„Hahaha, das lässt sich bestimmt einrichten. Mit dem Motorrad den Furka- oder Grimselpass herauffahren. Das macht sicherlich viel Spaß. Da wäre ich auch dabei.“

Wir sprachen noch einige Zeit über die Zukunft und was wir noch in den nächsten Wochen geplant hatten. Auch Karl und Barbara kamen bald wieder zu uns und dann wurde natürlich auch über Lucs Plan gesprochen, zu studieren und gleichzeitig bei Karl eine Ausbildung zu machen. In meinen Augen war diese Doppelbelastung sehr heftig, zumal Luc ja auch aufpassen musste, seine Reserven nicht zu sehr auszureizen. Er hatte immerhin bereits eine Leukämie überstanden.

Eigentlich hatten wir geplant, zu Marc nach Hause zu fahren und die Jungs allein weiter feiern lassen. Mittlerweile war es aber bereits kurz vor Mitternacht und das würde sich einfach nicht lohnen, jetzt noch nach Hause zu fahren.

„Was meint ihr? Ich hätte wohl Lust noch mal über die Party zu schlendern und zu schauen, was da so abgeht.“

„Denkst du, dass das eine gute Idee ist? Dort wird die Stimmung bestimmt schon recht feuchtfröhlich sein.“

„Mir ist durchaus klar, dass nicht mehr alle nüchtern sein werden. Aber ich möchte einfach mal schauen, wie die Lage ist. Außerdem könnte ich mich ja mal eine Runde bewegen.“

Marc hatte sich entschlossen, mich zu begleiten und somit verließen wir den VIP Bereich und machten uns auf den Weg zur Bühne, die mittlerweile als Tanzfläche genutzt wurde.

Die Stimmung war sichtlich gut. Der DJ verstand sein Handwerk und die Tanzfläche war auch gut gefüllt. Mein Musikgeschmack war es zwar nicht unbedingt, aber es war ja auch nicht meine Party. Luc stand mit einigen Freunden an einer der Theken und hatte ein Bier in der Hand. Dustin und Fynn hatte ich gerade auf der Tanzfläche gesehen und Maxi stand bei Mick und Lukas vor der Theke. Er hatte ein Cocktailglas in der Hand.

Marc wurde ständig von den Gästen angesprochen und zu einem kurzen Smalltalk angehalten. Es war erstaunlich, wie beliebt und akzeptiert Marc bei den jungen Leuten war. Allerdings kannte er auch keinerlei Berührungsängste, war locker und gelöst. Als wir bei Mick und Lukas ankamen, strahlte mich Maxi an.

„Hi Chris, du bist ja noch da. Wir dachten, dass ihr vielleicht schon nach Hause gegangen seid.“

„Hatten wir auch vorgehabt, aber wir haben uns so gut unterhalten, dass wir etwas die Zeit vergessen haben. Wie gefällt es dir hier?“

„Mega cool. Eine richtig geile Party. Mick und Lukas können übrigens gute Cocktails mixen. Du solltest dir auch mal einen machen lassen.“

Aufgrund seiner Aussprache konnte ich doch schon erkennen, dass er nicht nur einen Cocktail getrunken hatte. Ich stellte mich mit Marc an die Theke und bestellte mir einen Ipanema. Marc wählte einen Cuba libre. Der Ipanema war ein alkoholfreier Cocktail, den ich sehr lecker fand. Sehr angenehm empfand ich, dass ich bislang keinen der Gäste betrunken erlebte. Sicher wurde Alkohol getrunken, aber es war alles noch im Rahmen und ich war sehr gespannt, wie sich meine Jungs so anstellen würden. Kaum an sie gedacht, hörte ich plötzlich Fynns Stimme hinter mir.

„Hey, Chris. Warst du schon auf der Tanzfläche? Die Musik ist echt cool und es ist eine geile Stimmung.“

„Nein, Fynn. Bei dieser Musik gehe ich nicht tanzen. Das ist überhaupt nicht mein Geschmack.“

Marc verzog ebenfalls sein Gesicht und nickte mir zu. Allerdings konnte ich noch aus den Augenwinkeln erkennen, dass Mario, Stefs Bruder, meine Äußerung wohl mitgekriegt hatte, denn er bewegte sich in die Richtung zum DJ. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sich die Musik schlagartig veränderte und plötzlich von Uriah Heep „Lady in Black“ aus den Lautsprechern tönte. Das war meine Musik und ich kannte auch den Text auswendig. Ich musste einfach mitsingen. Es war einer meiner Lieblingssongs aus den siebziger Jahren. Auch Marc kannte das Stück und das ließ ich mir nicht entgehen und schwang mich auf die Tanzfläche. Marc kam auch mit und wir rockten richtig ab.

Schnell war die Fläche richtig voll und auch die Freunde von Luc tanzten mit. Es wurde laut gesungen und die Hände gingen nach oben. Der DJ reagierte gut und spielte eine ganze Reihe von guten Liedern aus dieser Zeit. Ich kam gar nicht mehr von der Tanzfläche und war sehr schnell durchgeschwitzt.

„Komm, lass uns etwas trinken. Ich habe richtig Durst bekommen.“, rief mir Marc zu.

Ich nickte und wir wühlten uns durch die Menge in Richtung einer der Theken.

„Machst du uns zwei Cola, bitte.“, rief Marc Lukas hinter der Theke zu.

Wir standen in einer Traube von jungen Leuten und mir lief der Schweiß in Strömen vom Tanzen. Die Stimmung war grandios und die Musik fetzte jetzt richtig. Der DJ hatte sich eingeschossen und nachdem wir unsere Cola geleert hatten, ging es wieder auf die Tanzfläche zurück.

Einige Minuten später liefen mir Maxi und Dustin über den Weg.

„Chris, du bist ja richtig am Rocken. Geile Mucke, oder?“

„Hahaha, ja das stimmt. Die Party ist echt cool. Wo ist denn der Rest unserer Truppe?“

„Keinen Plan wo Fynn ist. Vermutlich mit Luc und Stef irgendwo an der Theke.“

Ich hatte es geahnt. Heute könnte es erneut passieren, dass der Alkohol auch seine negative Wirkung zeigen würde.

„Komm, Chris. Du bist hier zum Feiern und nicht zum Aufpassen. Deine Jungs sind alt genug, dass sie für sich selbst verantwortlich sind. Wir gehen noch eine Runde tanzen, danach erholen wir uns etwas.“

Marc hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, dennoch ahnte ich bereits, dass diese Party sehr speziell sein würde.

Um zwei Uhr in der Frühe saßen wir noch immer im VIP Bereich, während Sabine und Barbara bereits nach Hause gefahren waren. Ich saß mit Karl und Marc auf dem Sofa. Auch Karl hatte gut einen im Tee, aber das war alles harmlos. Er war nur sehr lustig.

Plötzlich tauchte Mick bei uns auf.

„Papa, ich glaube wir müssen Luc nach Hause bringen. Er ist ziemlich betrunken. Stef kümmert sich zwar um ihn, aber schau du dir das bitte mal an.“

„Wie sind denn meine Jungs drauf und in welchem Zustand? Muss ich die auch abschleppen lassen oder hält sich das noch in Grenzen.“

Wenn Luc schon betrunken war, wie sah das wohl bei meinen Jungs aus? Das waren spontan meine Gedanken.

Mick schmunzelte und erwiderte:

„Also, ganz nüchtern sind sie auch nicht mehr, aber in weitaus besserem Zustand als Luc. Du kannst ja mal schauen.“

Marc stand mit mir auf und wir verließen mit Mick den VIP Bereich. Marc wollte zu Luc und ich ging einmal über die Bühne und den Hof. Maxi stand bei Tommy und Nico und machte noch einen korrekten Eindruck. Allerdings schien mir Fynn schon deutlich angeschlagen. Dustin war gerade dabei, ihn davon zu überzeugen, nicht noch mehr Alkohol zu trinken. Mit geringem Erfolg. Fynn wollte sich heute nicht von seinem Freund überzeugen zu lassen.

Dustin hatte mich gesehen und kam mir entgegen.

„Chris, kannst du Fynn bitte davor schützen, dass diese Party für ihn ein böses Ende nimmt. Mir hört er schon eine Weile nicht mehr zu und ich weiß nicht, was ich noch machen soll.“

„Nein, schützen kann ich ihn nicht davor. Aber ich könnte ihn einfach zu Marc nach Hause schicken. Luc ist wohl auch angeschlagen. Es ist außerdem langsam spät genug und die Party kann jetzt auch für euch zu Ende gehen. Möchtest du Fynn das ausrichten oder soll ich das selbst machen?“

„Kannst du das bitte machen? Mir hört er ja nicht mehr zu.“

Ich drehte Dustin mit meinem Arm um und begleitete ihn an die Theke, wo Fynn mit einigen Leuten aus Stefs Klasse stand. Ich schaute mir das Elend einen Moment an und traf dann eine klare Entscheidung:

„So, Ende der Party für dich, Fynn. Du hast genug Alkohol gehabt und bevor ich noch ärgerlich werde, gehst du jetzt mit Marc und Luc nach Hause.“

„Boah, Chris. Das ist jetzt aber blöd. Wir haben noch ….“

„Es reicht, Fynn. Darüber will ich nicht mit dir diskutieren. Für dich ist die Party jetzt zu Ende. Ist das angekommen oder muss ich dich noch mit Nachdruck nach Hause befördern?“

Jetzt zuckte Fynn zusammen. Diese klaren Ansagen kannte er nur aus ganz besonderen Situationen und glücklicherweise funktionierte sein Gehirn noch so gut, dass er jetzt nur noch sein Glasauf die Theke stellte und mit mir ging.

Eine Stunde später hatte ich mit Mick und Lukas die Party beendet. Wir schlossen die Werkstatt noch ab und fuhren dann zu den Steevens nach Hause. Meine Jungs waren bereits seit einiger Zeit zu Hause. Fynn hatte deutlich zuviel getrunken und Dustin war mit Luc und Marc mitgefahren, um sich um seinen Freund kümmern zu können.

Marc: Das wird ein böses Erwachen für Luc und Fynn

Das weniger schöne Ende für Luc und Fynn würde heute mit Sicherheit noch ein Nachspiel haben. Wie gut, dass Chris heute noch nach Halle zurückreisen würde und kein Training anstand. Fynn hatte sich ziemlich abgeschossen. Allerdings war Luc kein Stück besser gewesen. Es ärgerte mich eigentlich auch nicht, dass er zum ersten Mal zuviel Alkohol getrunken hatte, sondern als Gastgeber die Party vorzeitig verlassen musste. Das war für mich absolut indiskutabel. Ausgerechnet Chris musste mit Mick und Lukas die Party zum Ende bringen.

Chris saß mit Sabine und mir auf unserer Terrasse beim Frühstück. Von meiner restlichen Familie und seinen Jungs war noch niemand wach.

„Wann bist du eigentlich im Bett gewesen?“, fragte Sabine.

„Ich weiß gar nicht so genau, aber halb vier oder so wird es wohl gewesen sein. Mick und Lukas haben mich nach dem Partyende mitgenommen. Wir hatten ja alle drei nichts getrunken.“

„Zuerst einmal möchte ich mich bei dir bedanken. Du hast als Gast die Garage abgeschlossen und das geht eigentlich nicht. Aber ich musste mit Luc und Fynn nach Hause fahren. Sonst hätte das ein böses Ende genommen.“

„Hat sich Fynn eigentlich noch über mich beschwert auf der Rückfahrt? Ich musste ja mal richtig direkt eine Ansage machen, bevor er mit dir mitgefahren ist.“

„Hihi, nein. Ich glaube, als er Luc gesehen hatte wusste er, dass du ihn im letzten Moment ausgebremst hast. Ich vermute sogar, dass er gleich ganz kleine Brötchen backen wird. Er wird wissen, dass das nächste Training in Halle kein Vergnügen sein wird.“

„Hm, das könnte sein. Momentan bin ich etwas sauer, aber ich warte erst einmal ab wie die Jungs gleich drauf sein werden. Wir müssen ja nachher noch nach Hause fliegen.“

„Ich glaube, Dustin hatte eine unruhige Nacht. Er nimmt sich diese Sache bestimmt sehr zu Herzen. Sei nicht so streng mit ihnen.“

Sabine hatte die ganze Zeit zugehört. Sie legte ihr Messer an die Seite und schaute mich an.

„Eigentlich war es doch nur eine Frage der Zeit, wann sie das austesten. Mick und Lukas haben das genau so getan und viele andere Jungs in dem Alter auch. Es ist nichts passiert, nur dass Luc eine Nacht mehr oder weniger auf dem Klo verbracht hat. Fynn hatte Glück, dass du ihn noch rechtzeitig nach Hause geschickt hast. Also haltet den Ball flach.“

Das führte zu einem Lächeln bei Chris. Eigentlich würde ich das auch so sehen, wenn es das erste Mal gewesen wäre. War es aber nicht und sie sind Leistungssportler. Da sollte man seine Grenzen kennen. Wenn Fynn gleich zum Frühstück erscheint, war ich gespannt darauf, in welchem Zustand er sich befand.

„Ich sag doch gar nichts, Sabine.“, schmunzelte Chris.

„Noch nicht, aber ich kenne dich mittlerweile.“

Darauf sagte Chris nichts mehr und goss sich noch Tee nach, schmierte sich ein Croissant und schaute in den Garten.

Zuerst tauchten Mick und Lukas bestens gelaunt auf. Sie hatten nichts getrunken und sozusagen die Aufsicht für mich auf der Party übernommen.

„Guten Morgen.“, sagte Mick und lächelte, als er sich neben Chris setzte.

„Moin“, erwiderte dieser.

„Na, etwas säuerlich heute Morgen?“

„Nein, Mick. Noch nicht. Vielleich gleich. Mal sehen, wie meine Jungs hier gleich auftauchen.“

„Hihihi. Ich glaube Dustin und Maxi waren schon im Bad und werden gleich auch heraus kommen.“

„Na, dann warten wir doch mal ab. Euch vielen Dank für die tolle Party gestern und das verantwortungsvolle Verhalten. Es freut mich sehr, dass ihr das so gut gemeistert habt.“

Dustin und Maxi erschienen gut gelaunt und mit gesundem Appetit zum Frühstück.

Allerdings dauerte es noch weitere fünfzehn Minuten, bis Fynn bei uns auftauchte. Ein wenig träge, aber er begann normal zu frühstücken. Das war ein gutes Zeichen. Chris hielt sich auch bis zu diesem Moment mit seiner Reaktion zurück.

Lediglich Luc fehlte jetzt noch mit Stef beim Frühstück.

Als wir mit dem Essen fertig waren, nahm Chris noch eine Tasse von dem frischen, grünen Tee. Fynn beobachtete uns die ganze Zeit, sagte aber nichts. Nachdem ich Chris gefragt hatte, wann ihr Flieger gehen würde, meldete sich Fynn zu Wort:

„Chris, ich möchte wissen, warum du mich heute nicht gleich zusammengefaltet hast. Immerhin habe ich gestern den Fehler gemacht, zu viel Alkohol getrunken zu haben. Du hast schließlich eine große Abneigung gegen Alkohol.“

Maxi und Dustin fixierten ihren Coach. Sie warteten auf die Reaktion. Aber Chris reagiert gar nicht. Es schien für ihn erledigt. Sabine hatte ihm wohl den richtigen Wink zur rechten Zeit gegeben.

„Meine Alkoholabhängigkeit spielt hier gar keine Rolle. Ich habe ja schließlich nichts getrunken, sondern du hast zu viel getrunken. Und was mich stört, - du bist Leistungssportler und hast beim letzten Besuch in der Schweiz bereits dein Limit ausgetestet. Du solltest wissen, wann Schluss ist. Mehr gibt es aus meiner Sicht nicht zu sagen. Mach dir mal ein paar Gedanken darüber. Wir werden in Halle noch einmal in Ruhe über das Thema sprechen. Es ist kein Weltuntergang, aber in Ordnung ist es auch nicht.“

Oha, da war doch mehr Unmut zu spüren. Wobei es eher Enttäuschung als Ärger bei ihm zu sein schien.

Sabine und ich taten so, als ob wir Fynn gar nicht wahrgenommen hatten. Maxi und Dustin waren komplett irritiert und Fynn sprachlos.

Fynn: Was war das denn?

Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich zum Frühstück. Mir war klar, heute würde Chris sicher das erste Mal richtig sauer sein und mir gehörig was erzählen. Ich fühlte mich auch so nicht besonders gut. Der Alkohol hatte mir doch mehr zugesetzt.

Komischerweise wurde ich beim Frühstück dennoch freundlich empfangen. Dustin hatte mich schon vorgewarnt, wobei mir auch so klar war, dass das Ärger geben würde.

Chris schwieg die ganze Zeit und tat so, als ob nichts passiert wäre. Das machte mich total nervös. Irgendwann hielt ich dieses Schweigen nicht mehr aus. Ich fragte ihn direkt, warum er mich nicht gleich zusammengefaltet hatte. Darauf lächelte Chris und wies mich darauf hin, dass ich mein Limit überschritten hätte, obwohl ich bereits beim letzten Besuch das ausgetestet hatte. Mehr hat er nicht gesagt, aber ich spürte seine Enttäuschung. Wir würden in Halle noch einmal darüber sprechen.

Wenige Minuten später tauchte Stef mit Luc im Schlepptau auf. Marc schaute sich seinen jüngsten Sohn an und begann zu lachen.

„Wow, Luc. Du siehst aus wie das Leiden Christi. Jetzt nimm erst einmal Platz und führe deinem Körper Flüssigkeit zu. Und wenn du dich etwas stabilisiert hast, gehst du mit Fynn eine Runde durch den Wald laufen. Danach geht es euch garantiert besser.“

Das hatte Marc doch nicht ernst gemeint. Ich würde sterben, wenn ich jetzt joggen gehen müsste. Ich schaute Chris an, der anscheinend an dieser Idee Gefallen fand. Er nickte und lächelte. Ich ahnte Böses und nahm mir schnell noch ein Croissant. Aber Chris ergänzte bereits:

„Eine gute Idee. Dann kommt euer Kreislauf wieder in Schwung und der Restalkohol kann schneller abgebaut werden.“

Luc wollte erst dagegen etwas sagen, schluckte es aber herunter und schwieg. Mick stichelte allerdings noch:

„Macht nicht so ein Gesicht. Wer hat denn den Alkohol getrunken? Ihr oder wir? Ihr habt doch nicht geglaubt, dass ihr damit einfach so durchkommen würdet. Ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit tut euch gut.“

War ja auch zu erwarten, dass sie das jetzt ausschlachten würden. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Chris äußerte sich nicht weiter und mir war klar, dass wir laufen gehen sollten, um ihn nicht doch noch richtig sauer werden zu lassen.

Nach dem Frühstück ging ich mich deshalb umziehen und Luc wartete bereits unten vor der Haustür auf mich, als ich das Haus verließ.

Ehrlich gesagt, hatte ich gedacht, dass zumindest Stef uns begleiten würde. Dustin hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass er heute nicht mitlaufen würde. Er war der Meinung, dass ich das allein machen sollte.

„Kommt Dustin nicht mit?“

„Nein, er ist etwas sauer auf mich. Er sagt, ich soll das mal gefälligst allein ausbaden.“

„Hmm, das kann ich auch verstehen. Wir haben uns schließlich nicht besonders clever verhalten, oder?“

Dabei musste er lachen. Vielleicht war das so die beste Möglichkeit, diese Situation zu überstehen. Das Beste daraus machen.

„Nein, nicht wirklich. Deshalb lass uns eine Runde laufen, denn wenn Chris jetzt doch noch sauer wird, könnte sich das sehr nachteilig auswirken. Ich sollte mir heute keine weiteren Fehler erlauben. Das nächste Training dürfte sonst sehr unangenehm werden.“

Luc begann in Richtung Wald zu laufen und ich folgte ihm.

Bereits nach fünf Minuten lief mir der Schweiß wie nach zwei Stunden Training. Allerdings hatte Luc mindestens ebenso große Probleme. Entsprechend langsam war unser Lauftempo und als wir an der Lichtung im Wald ankamen, stoppte Luc.

„Boah, ich hasse meinen Vater für diese Idee. Bei euch kann ich Chris ja noch verstehen. Er erwartet einfach mehr Disziplin von euch. Aber ich bin kein Leistungssportler und werde doch wohl auch mal etwas feiern dürfen.“

„Naja, gegen das Feiern hat er ja auch nichts gesagt. Nur gegen deinen Zustand heute früh. Außerdem wird es uns nach dem Lauf ganz sicher wieder besser gehen. Sonst hätten sie uns nicht los geschickt. Komm, wir laufen langsam weiter. Mir geht es jetzt wirklich schon ein kleines bisschen besser. Wie ist das bei dir?“

„Phh, gut ist anders. Aber dein Gedanke ist wahrscheinlich richtig. Also gut, lass uns einfach weiterlaufen.“

Das taten wir und nach jedem weiteren Kilometer kehrten meine Lebensgeister langsam zurück. Als wir wieder an Lucs Elternhaus ankamen, ging es mir um Welten besser und auch Luc sah wieder lebendig aus.

Die abschließende Dusche tat ein Übriges.

Chris schien schon in Abreisevorbereitungen zu sein, als ich den Garten erneut betrat. Marc und Sabine saßen immer noch am Tisch auf der Terrasse.

„Na Fynn, wie geht es euch jetzt? Alles wieder im Lot?“

„Auf jeden Fall, auch wenn ich dich für deine Idee vorhin gehasst habe. Jetzt bin ich aber wieder richtig fit. Luc übrigens auch. Wo sind denn die anderen hin?“

„Das freut mich, Chris hat sie alle zum Packen geschickt. Es wäre also gut, wenn du das jetzt auch machen würdest. Ich habe für Luc noch eine Überraschung. Da möchte ich, dass ihr alle dabei seid.“

Was das jetzt noch sein könnte? Ich meine, Luc hat ja gestern eine mega fette Party gehabt, seinen Camaro bekommen und jetzt sollte es noch eine Überraschung für ihn geben? Nun ja, Marc war eine besondere Persönlichkeit und er liebte seine Familie. Außerdem zählte er sicher zu den wohlhabendsten Menschen in der Schweiz.

Zehn Minuten später war ich in unserem Gästequartier, um meine Tasche zu packen. Dustin war bereits fertig und half mir. Allerdings spürte ich auch seinen Ärger. Er war sichtlich angefressen über den gestrigen Abend. Dennoch erkundigte sich mein Freund nach meinem Befinden.

„Na, wieder unter den Lebenden? Marc hatte wohl die richtige Idee, oder?“

„Ja, stimmt. Jetzt geht es mir deutlich besser. Hat Chris noch etwas gesagt?“

„Nein, aber ich bin mir ganz sicher, dass wir uns in Halle auf ein interessantes Training freuen dürfen.“

„So ein Unsinn. Warum sollte er euch da mit hineinziehen? Wenn einer Ärger bekommen sollte, dann ich. Ihr habt doch nichts falsch gemacht. Das wäre nicht Chris' Stil, euch auch zu bestrafen.“

„Hoffentlich, denn darauf habe ich absolut keine Lust. Gerade, weil er uns so viel Vertrauen gegeben hat.“

„Ey, jetzt ist es aber mal genug. Du musst nicht immer weiter machen und mir Vorwürfe reindrücken. Ich weiß auch so, dass das keine Ruhmestat war. Dennoch sehe ich das nicht als Verbrechen an, mal etwas zu viel Alkohol getrunken zu haben.“

Es ärgerte mich, dass Dustin mir versteckt weiter Vorwürfe machte und entsprechend lauter war mein Kommentar. Leider hatte Chris das vermutlich auf dem Flur mitbekommen. Es klopfte an unserer Tür.

„Herein“, sagte ich.

Die Tür öffnete sich und Chris betrat unser Zimmer.

„Was habt ihr denn für ein Problem? Streitet ihr euch?“

Dustin wurde ganz still und auch mir war das jetzt etwas unangenehm, aber ich war der Meinung, dass Chris ruhig mitbekommen sollte, was bei uns gerade los war.

„Ja, Dustin meint, ich wäre dafür verantwortlich, dass du das nächste Training sehr hart werden lässt.“

„Das stimmt nicht. Ich habe nur gesagt, dass wir uns auf ein interessantes Training freuen dürfen. Das hast du jetzt daraus gemacht.“

Dustin war immer noch geladen, wollte aber keine Verantwortung für seine geäußerten Gedanken übernehmen. Das fand ich nicht gut. Es war für mich in Ordnung, dass er sauer auf mich war, aber jetzt Chris gegenüber dazu nicht zu stehen, das störte mich. Doch bevor ich etwas sagen konnte, reagierte Chris überraschend locker:

„Leute, ihr habt sie doch nicht alle beisammen. Hört auf, euch gegenseitig anzumachen. Fynn hat etwas zu viel getrunken und das war es auch schon. Er ist nicht abgestürzt und es ist nichts passiert. Dustin, halt bitte den Ball flach. Ich werde mich schon melden, wenn ich etwas zu sagen habe. Jetzt haben wir hier aber noch eine Aufgabe zu erledigen und dafür erwarte ich euch in fünf Minuten unten vor dem Haus. Ohne Streit.“

Er schaute uns beiden in die Augen, aber blieb dabei sehr ruhig und immer noch freundlich. Ich wusste jetzt mit Sicherheit, dass Dustins Sorge und Unmut unberechtigt waren. Ich nickte und gab zur Antwort:

„Jawohl, Chris. Das bekommen wir hin.“

Chris zwinkerte mir einmal kurz zu und verlies unser Zimmer wieder.

Luc: Wie würde Papa reagieren

Nachdem wir von unserem Lauf durch den Wald zurückgekommen waren, war ich schon etwas nervös. Was würde ich noch von Papa zu hören bekommen. Schließlich hatte er bisher keine Gelegenheit gehabt, mich allein zu sprechen. Solange andere anwesend waren, würde er mich nicht zusammenfalten. Ich war in unserer Wohnung und zog mir gerade frische Sachen nach der Dusche an, als es klingelte. Meine Eltern hatten zwar eigene Schlüssel, aber sie benutzten diese eigentlich nur, wenn wir nicht da waren, um Blumen zu gießen.

Komischerweise war Stef auch nicht bei mir. Ich ahnte, was jetzt kommen würde und ging zur Tür. Ich ließ Papa herein und bereitete mich innerlich auf eine Ansage vor. Allerdings nahm er nicht im Wohnzimmer Platz. Er blieb im Flur stehen und sagte zu mir:

„Luc, ich möchte, dass du bitte in fünf Minuten vor dem Haus erscheinst. Ich habe da noch etwas vorbereitet. Chris ist gerade bei Fynn und sagt den beiden auch Bescheid. Da scheint es ein wenig Spannung zu geben.“

„Bei wem?“

„Na bei Dustin und Fynn. Ich glaube, dass Dustin nicht so begeistert war von Fynns Verhalten gestern.“

„Hm, meins war auch nicht so vorbildlich. Stef hat mir ebenso Vorwürfe gemacht. Und nicht zu Unrecht. Immerhin war ich der Gastgeber.“

„Allerdings. Und das ist der einzige Punkt, den ich kritisieren möchte. Es kann eigentlich nicht sein, dass der Gastgeber der erste ist, der wegen Trunkenheit die Party verlassen muss. Bedanke dich bei deinen beiden älteren Brüdern. Sie haben sich mit Chris um alles gekümmert.“

Ach du Scheiße. Chris hat sich kümmern müssen? Ohje, das war ein absolutes „No Go“ bei uns. Gäste waren Gäste und sollten sich um nichts kümmern müssen.

„Das werde ich gleich machen. Sorry, Papa. Ich habe das nicht gut im Griff gehabt, aber es war einfach eine geile Party und ich habe die Kontrolle verloren.“

„Passt schon. Ich weiß ja, wie diszipliniert du eigentlich bist. Und jetzt mach hin, du wirst gleich unten gebraucht.“

Danach umarmte er mich einfach und es fühlte sich großartig an, so einen Vater zu haben.

Dieses Gefühl ist immer wieder unbeschreiblich. Dazu noch eine Familie im Hintergrund zu haben, die einen bedingungslos unterstützt und da ist, wenn sie gebraucht wird. Ein Traum, auch wenn ich jetzt „erwachsen“ bin, zu wissen, dass ich immer um Rat fragen kann.

Papa verließ unsere Wohnung wieder und ging nach unten. Ich machte mir noch die Haare trocken und ging dann auch herunter. Was mich dort erwartete, war erstaunlich. Alle, auch Karl und Barbara standen vor dem Haus und unterhielten sich. Stef kam mir entgegen:

„Na endlich. Alle warten nur auf dich.“

Dann umarmte er mich und gab mir einen Kuss. Irgendetwas war hier im Busch. Anscheinend war ich der einzige, der nicht Bescheid wusste. Etwas ratlos führte mich Stef auf den Rasen zu den anderen. Chris, Maxi, Dustin und Fynn waren auch da. Plötzlich bemerkte ich aber, dass Papa fehlte. Doch bevor ich mich weiter wundern konnte, begann Karl zu sprechen:

„Schön, dass wir nun vollständig sind. Luc, bevor du jetzt fragst, was hier los ist: Dein Papa hat noch eine Überraschung für dich. Damit du auch bei den Ausflügen deiner Eltern auf zwei Rädern mitfahren kannst, hat sich dein Papa etwas überlegt. …..“

In diesem Moment hörte ich, wie in der Garage ein Motor angelassen wurde. Ohne Zweifel ein großer Zweizylinder. Ein Harley Davidson Motor. Das Garagentor öffnete sich und Papa rollte auf einem Traum von Motorrad aus der Garage. Mir blieb die Luft weg, so fasziniert war ich von diesem Anblick.

Das Bike war ganz im Stil der Motorräder von Mama und Papa gebaut. Erst, als ich genauer hinschaute, konnte ich den Schriftzug auf dem Tank erkennen. Eine Walz. Unfassbar. Papa hatte mir eine Walz bauen lassen. Alle Freunde klatschten, als Marc das Bike abstellte und auf mich zu kam.

„Na, Luc. An deinem Gesicht erkenne ich, dass mir die Überraschung gelungen ist. Du hast noch gar nichts davon gewusst.“

Er lachte befreit auf. Es freute ihn immer riesig, wenn eine Überraschung bis zuletzt geheim geblieben war.

„Nein, ich hatte echt null Ahnung, dass du jetzt noch so einen Knaller auspackst. Das ist ein wunderschönes Motorrad. Aber weißt du, was mich noch mehr überrascht? Wie hast du es geschafft, dass Mama mir das erlaubt?“

Jetzt lachte er richtig laut und die anderen hatten natürlich mitbekommen, was meine Frage war. Und was mich besonders freute, Mama kam zu mir, umarmte mich von hinten und flüsterte mir ins Ohr:

„Deine Mama hat verstanden, dass es wichtig ist, Dinge zu machen, die einem Freude bereiten. Ich mochte es früher auch sehr, mit dem Motorrad zu fahren. Wenn ich mit deinem Papa unterwegs war, habe ich mir immer gewünscht auch mit dir einmal auf dem Motorrad unterwegs sein zu können.“

Ich drehte mich um und wir umarmten uns ganz intensiv. Dieses Gefühl war unbeschreiblich und erinnerte mich sehr stark an die gemeinsame Zeit, bevor Marc in unser Leben trat. Auch viele schlimme Erinnerungen überkamen mich und ich musste mich einmal schütteln, um nicht in Tränen auszubrechen.

Plötzlich tauchte Chris bei uns auf und führte uns an das Motorrad.

„Du kannst dich ruhig drauf setzen. Es ist ja deins.“

Dabei lachte er und Papa gab mir den Schlüssel in die Hand. Ich setzte mich auf das Kunstwerk und drehte nervös den Schlüssel um. Mit einem Donnergrollen erwachte der große V-Twin Motor. Ich drehte ein paar Mal am Gasgriff und entsprechend laut wurde es im Hof.

Papa gab mir meinen Helm. Ich legte den ersten Gang ein und rollte aus der Einfahrt. Einmal die Straße herauf und wieder zurück in die Einfahrt. Ein erhebendes Gefühl, auf so einem Kunstwerk zu sitzen.

Ich stellte sie in der Einfahrt wieder ab und da fiel mir ein, Chris war doch auch ein begeisterter Motorradfahrer. Ich winkte ihn zu mir.

„Willst du auch mal eine Runde damit fahren?“

„Nein, Luc. Das mache ich später gerne mal. Jetzt solltest du sie erst einmal einfahren. Aber danke für das Angebot. Es ist ein sehr schönes Motorrad und passt sehr gut zu den anderen beiden.“

„Ja, das Teil sieht echt cool aus. Hast du das schon gewusst, dass Papa mir auch ein Motorrad geben wird?“

„Ja, beim letzten Besuch habe ich es schon gesehen.“

Chris war wie immer sehr ausgeglichen und ich hatte das Gefühl, dass er überhaupt nicht mehr an die Sache mit dem Alkohol dachte. Das imponierte mir. Er konnte es einfach abhaken und wieder zur Tagesordnung übergehen.

Leider war dieses gemeinsame Wochenende nun schon wieder vorbei. Chris musste mit seinen Jungs wieder nach Hause reisen. Morgen hatten sie alle in der Schule zu erscheinen. Deshalb hatte Papa jetzt darum gebeten, dass wir uns verabschieden sollten. Sonst würde es knapp werden mit dem Einchecken am Flughafen.

Sehr schade, dass sie uns schon wieder verlassen mussten.

Ich stieg von meiner Walz und umarmte sie zum Abschied. Chris hat uns zu einem Gegenbesuch nach Halle eingeladen. Ich war mir sicher, dass ich das mit Stef wahrnehmen würde.

Chris: In Halle gab es Neuigkeiten

Montag gegen halb zehn war ich aus meiner Wohnung Richtung Halle gestartet. Thorsten hatte mich per Mail gebeten, heute etwas früher zu kommen. Es gab etwas zu besprechen. Was, wollte er mir nicht sagen.

Wegen des durchwachsenen Wetters entschloss ich mich, das Auto zu nehmen.

Um halb elf betrat ich Thorstens Büro im Clubhaus.

„Guten Morgen Chris. Schön, dass ihr gesund wieder zurück seid. Und wie war die Feier? Leben unsere Jungs wieder?“

„Hi Thorsten. Die Feier war keine Feier, das war ein Event. Unglaublich, was Marc da gezaubert hatte. Unsere Jungs haben sich gut präsentiert. Es gab keine unerwarteten Zwischenfälle.“

Ich berichtete vom Konzert und was Marc so alles vorbereitet hatte. Thorsten staunte auch nicht schlecht und meinte:

„Also eines muss ich Marc ja lassen. Er weiß, wie man den achtzehnten Geburtstag seines Sohnes feiert. Respekt! Schön finde ich, dass unsere drei Jungs sich zurückgehalten haben, was den Alkohol betrifft. Vorbildlich, aber ich vermute mal, du hast auch ein Auge darauf gehabt.“

„Nicht nur ein Auge, aber es war alles in Ordnung. Du wolltest mit mir sprechen. Ist etwas vorgefallen? Sonst würdest du mich ja nicht so früh herbestellen.“

„Ja, es gab eine Auseinandersetzung zwischen Tim und Carlo. Darüber müssen wir sprechen.“

„Zwischen Tim und Carlo? Wie geht das denn? Die beiden sind doch dicke Freunde.“

Thorsten erzählte mir dann eine Geschichte, die ich sehr merkwürdig fand. Tim hatte sich über die Sonderbehandlung von Justin aufgeregt und beim Training provoziert. Carlo hatte dafür überhaupt kein Verständnis und hatte Tim aufgefordert, einfach mal die Klappe zu halten. Denn Carlo wollte einfach weiter trainieren. Da ist Tim ausgerastet und wollte auf Carlo los. Toto konnte das verhindern und hat Tim in die WG geschickt. Seitdem hat er Trainingsverbot.

„Krasse Geschichte. Habt ihr mit Tim gesprochen? Ich kann mir das so nicht erklären. Und wie soll das weitergehen?“

„Genau das ist unser Problem. Martina hat darum gebeten, dass du sie unterstützen sollst. Sie ist der Meinung, dass Tim ein großes Problem hat und dieser Vorfall nur die Folge davon ist. Wenn ich Tim nicht schon lange kennen würde, wäre jetzt der Zeitpunkt, ihn rauszuwerfen.“

Gewalt oder das Androhen von Gewalt war ein absolutes „No Go“ bei uns. Das war jetzt einfach ein Punkt, der sofort zu klären war. Sonst würde Tim nicht mehr bei uns bleiben können. Ich atmete tief aus und überlegte, was ich tun sollte.

„Gut, ich werde mich sofort mit Martina zusammensetzen. Tim ist kein Junge, der ohne Grund so reagiert. Ich werde das herausfinden und dann sprechen wir über das weitere Vorgehen.“

„Mach das bitte so schnell wie möglich. Durch das Trainingsverbot wird es sicher nicht einfacher werden, an ihn heranzukommen.“

„Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?“

„Ja, ich möchte dich bitten, Justin mit auf die Rasenturniere zu nehmen. Burghard ist mit einer Gruppe auf einem anderen Turnier. Ich weiß, dass das für dich eine zusätzliche Belastung ist, allein schon wegen der Sprache. Aber dort wird er richtig gefordert werden und er kann sich anschauen, wie du arbeitest. Es ist noch nicht endgültig geklärt, bei wem er weiter trainieren wird.“

Das erstaunte mich doch. Ich war davon ausgegangen, dass Burghard Justin allein trainieren sollte. Egal, mir war der Junge sympathisch und ich nahm ihn gerne mit.

„Wann brechen wir eigentlich auf zu unserer Rasentour? Und wo genau möchtet ihr die Jungs spielen lassen?“

„Du meinst wir und nicht ihr. Du bist Teil vom Break-Point-Team. Und es geht los in S'Hertogenbosch und geht dann nach England. In Brighton ist ein Challenger, auf dem Maxi und Fynn im Hauptfeld sind. Justin und Dustin müssen Qualifikation spielen.“

„Jaja, sorry. Ich muss mich da echt noch dran gewöhnen. Wieso muss Justin Quali spielen? Er hat doch schon Profiturniere gespielt.“

„Ganz einfach, er hat nicht genug Punkte, um reinzukommen. Er hat ja noch viel bei den Junioren gespielt, während ihr schon Herrenkonkurrenzen gespielt habt. Er ist gerade erst 16 geworden.“

„Fahren oder fliegen wir nach England? Nach Holland fahren wir sicher mit dem Auto.“

„Ich denke, es macht Sinn von Holland direkt mit dem Auto weiterzufahren. Du nimmst den VW-T6. Der ist genauso schnell wie ein PKW, hat aber mehr Platz für euch.“

Damit waren alle Fragen geklärt.

Bevor ich zum nachmittäglichen Training musste, hatte ich jetzt noch genug Zeit, bei Martina in der WG vorbeizuschauen. Ich wollte, dass das Problem schnell geklärt wird. Wobei mir eingefallen war, dass wir die Eltern zu einem Gespräch eingeladen hatten. War das vielleicht die Ursache für den Stress?

Eine halbe Stunde später saß ich in der WG mit Martina in der Küche bei einer Tasse Tee. Sie hatte mir die Sachlage erklärt und berichtet, dass sich Tim bei Carlo entschuldigt hatte, aber nicht erklären konnte, warum er so ausgerastet war.

„Immerhin hat er sich entschuldigt. Das ist doch eine Basis. Was glaubst du denn, was die Ursache sein könnte? Und warum hat er dir nicht erklären können, was der Grund war?“

„Ich glaube, dass er es selbst nicht genau weiß. Er war die ganze Woche schon gereizt. Es tut ihm echt leid. Dass er nicht zum Training darf und dass es jetzt vielleicht für ihn hier nicht weitergeht, das macht ihm schwer zu schaffen.“

„Hm, mir war das auch aufgefallen, aber er hätte doch mit uns sprechen können. Na gut. Vielleicht spricht er ja gleich mit uns. Ich habe ja eine Vermutung. Wann kommt er aus der Schule?“

„In einer halben Stunde und ich muss jetzt auch das Essen vorbereiten. Sonst schaffe ich das nicht mehr.“

„Ich helfe dir, dann können wir noch weiter reden und es geht schneller.“

So machten Martina und ich das Essen gemeinsam und ich hatte mich entschieden, zum Essen zu bleiben und von hier direkt zum Training zu fahren.

Wir hatten gerade alles soweit vorbereitet, als wir hörten wie die Haustür aufging. Ein fröhliches „Hallo“ wurde durch den Flur gerufen. Das konnte nur Carlo sein und es dauerte auch nur Augenblicke, bis sein Kopf durch den Türspalt schaute.

„Hi Chris, das ist ja eine Überraschung. Ihr seid wieder zurück?“

„Hi Carlo. Ja, wie du siehst, sind wir wieder im Lande. Bei dir alles gut?“

„Joar, soweit schon. Nur Tim nervt etwas. Ich nehme mal an, deswegen bist du auch hier. Tim kommt gleich. Er wurde von seinem Lehrer aufgehalten.“

„Warum nervt Tim denn? Erzähl mir doch mal, was aus deiner Sicht vorgefallen ist.“

Carlo setzte sich zu uns in die Küche und berichtete von dem Vorfall aus seiner Sicht. Er wollte einfach nur weiter trainieren, weil er schon geahnt hatte, dass sich Toto nicht länger von ihm provozieren lassen würde. Für Carlo war die Sache mit Tims Entschuldigung erledigt. Er verstand aber schon, dass wir vom Team das nicht einfach so stehen lassen konnten. Für Carlo schien auch der Temin mit Tims Eltern der Auslöser für den ganzen Stress zu sein.

„Also wenn ich dich richtig verstanden habe, ist für dich die Beziehung zu Tim nicht wirklich problematisch geworden und du kannst wieder normal mit ihm umgehen?“

„Ja, und ich würde mir wünschen, du könntest ihm helfen. Für mich braucht er Hilfe und keine Verbote. Sein Vater übt weiter ständig Druck auf ihn aus. Er kann damit nicht mehr umgehen.“

Carlo hatte deutlich ausgesprochen, was auch meine Befürchtung war. Wir sollten ihn unterstützen und nicht bestrafen. Allerdings musste Tim sofort begreifen, dass er uns um Hilfe bitten muss und nicht mit solchen Kamikaze Aktionen auffallen sollte.

„Danke, Carlo. Ich werde versuchen, Tim zu überzeugen.“

Carlo bekam jetzt ein Grinsen in sein Gesicht und lachend sagte er:

„Deine Art zu überzeugen kenne ich. So dumm ist selbst Tim nicht, dass er das ablehnt. Ich bin beruhigt, dass du gekommen bist und nicht jemand anderes.“

„Wie meinst du das?“

„Naja, wenn Thorsten gekommen wäre, dann hätte Tim vermutlich seine Sachen packen müssen. So zeigt mir das, dass ihr noch nichts entschieden habt.“

„Ah ja. Also gut, ich werde versuchen, Tim wieder auf Linie zu bringen. Hoffentlich erzählt er mir etwas mehr.“

„Er wird. Verlass dich drauf. Wenn nicht, schick ihn zu mir, dann sorge ich dafür, dass er dir was erzählt.“

„Hihi, los, zisch ab. Tim wird gleich hier sein und er muss nicht wissen, dass wir schon gesprochen haben.“

Carlo verließ die Küche, um seine Sachen in sein Zimmer zu bringen. In diesem Augenblick kam Tim nach Hause. Er war zwar nicht in bester Laune wie Carlo, aber er kam zuerst in die Küche, um Martina zu begrüßen.

„Hallo Martina, oh, hi Chris. Schön, dass sie dich geschickt haben. Ich bin gleich da, bring nur meine Tasche grad aufs Zimmer.“

Mit dieser Reaktion hatte ich am Wenigsten gerechnet. Es schien so, als ob er mich erwartet hätte. Martina schaute mich auch verwundert an. Wir einigten uns darauf, dass wir das Essen mal abwarten würden, ob Tim vielleicht von sich aus das Gespräch suchen würde.

Während des Essens hatte ich eine Grundregel. Ich würde keine ernsthaften Probleme von mir aus ansprechen. Das konnte bis nach dem Essen warten. Alle Jungs wussten das und auch Tim hielt sich heute an diese Regel. Erst, als das Essen abgeräumt war und wir wieder am Tisch saßen, fragte Carlo:

„Darf ich gehen oder braucht ihr mich zum Gespräch?“

Tim schaute seinen Freund fragend an. Ich hatte den Eindruck, dass Tim sich wünschen würde, Carlo wäre dabei. Ich wollte aber allein mit Tim sprechen. Deshalb schickte ich Carlo nach oben und fragte Tim:

„Da du mich ja erwartet hast, scheinst du ja zu wissen, was los ist. Also, ich höre.“

„Das ist falsch. Ich habe jemanden von der Teamleitung erwartet. Dass sie dich geschickt haben, freut mich allerdings. Mit dir habe ich zumindest die Chance noch einmal zu reden. Sie hätten mich auch direkt rauswerfen können. Mir ist schon klar, dass mein Verhalten total falsch war. Ich kann es aber nicht mehr rückgängig machen.“

„Gut, es freut mich, dass du das so klar siehst. Thorsten war in der Tat stinksauer und hätte dich wohl auch rausgeworfen, wenn du nicht in der letzten Zeit gute Ansätze gezeigt hättest. Allerdings ist deine Lage noch nicht wieder grün. Ich möchte von dir wissen, warum du nicht einfach gesagt hast, was dich so nervt.“

Er schwieg für einen Moment und ich konnte sehen, dass er sich nicht wohl fühlte. Er musste aber lernen, dass er so keine Probleme löste, sondern neue schuf. Wenn er das nicht begriff, würde es sehr schwer, ihn weiter in Halle zu behalten.

„Du warst unterwegs und die anderen kennen die Lage nicht. Ich wollte es so lange aushalten, bis du zurück sein würdest. Es ist mir nicht gelungen. Ich habe es nicht mehr länger geschafft und bin ausgerastet. Ich habe mich bei Carlo sofort entschuldigt und auch mit Martina gesprochen, aber klar, das rechtfertigt mein Verhalten nicht. Aber mein Vater macht mir immer mehr Druck, dass ich endlich mal ein wichtiges Turnier gewinnen soll. Dass wir gut arbeiten und ich ständig besser werde, interessiert ihn einfach nicht. Ich kann mich gegen ihn nicht wehren. Weißt du, ich bin so froh, dass bald das Gespräch mit euch und meinen Eltern stattfindet. Ich will in Ruhe arbeiten, aber mein Vater hat andere Vorstellungen. Sag du mir doch bitte, was ich noch tun kann?“

Er wirkte aufgewühlt und das war nicht gespielt. Es bewegte ihn tatsächlich. Er benötigte mehr Hilfen und Unterstützung.

„Das erste und wichtigste, rede mit uns. Egal wer hier ist. Das ist immer besser, als diese Aktion jetzt. Oder ruf mich einfach an, wenn du unbedingt mit mir sprechen möchtest. Es ist mir immer noch lieber, als im Nachhinein wieder Feuerwehrmann spielen zu müssen. Deine Situation wird dadurch im Team nicht besser.“

Er nickte, aber es gab noch mehr Redebedarf. Er wurde unruhiger auf seinem Stuhl. Ich beschloss daher, das Gespräch bei einem Spaziergang nach draußen zu verlegen.

„So, jetzt erzähl mir mal, was brennt dir auf der Seele?“

„Mein Vater. Er macht mir alles schlecht. Er hat ständig was zu meckern und sagt, dass ich endlich mal Erfolge bringen muss. Er wirft mir vor, dass ich keine richtigen Turniere spiele, sondern nur Kindergartenturniere. So nennt er das. Ich kann einfach nicht mehr. Weißt du, ich finde, dass ich mich gut verbessert habe und seit ich mit Carlo bei dir trainieren kann, macht es wieder viel Spaß. Ich schaffe aber einfach noch nicht mehr. Wenn ich versuche meinem Vater zu erklären, dass ich die Turniere gar nicht aussuche, dann will er das gar nicht hören.“

„Und das ist ein Grund für dich, Carlo tätlich anzugreifen? Das ist nicht dein Ernst. Was hat Carlo damit zu tun?“

„Nichts. Ich weiß, dass ich da großen Mist gebaut habe. Ich konnte einfach nicht mehr. Das ist keine Entschuldigung, aber es war so.“

Das musste ich erst einmal verarbeiten. Meine Wut auf den Vater wurde von Tag zu Tag größer, aber er bezahlte auch das Training für Tim. Dennoch stand in jedem Vertrag, dass die sportlichen Entscheidungen beim Team lagen.

Tim ging wortlos neben mir und wartete auf eine Reaktion von mir. Mir war klar, Tim musste sofort lernen, dass er mit Stress anders umgehen musste. Ich hatte eine Idee, vielleicht würde ihm das auch klar machen, dass wir keine derartigen Dinge mehr tolerieren würden. Ich musste das mit Thorsten besprechen.

„Wir können aber nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Wer sagt uns, dass du bei der nächsten Stresssituation nicht wieder so ausrastest?“

„Ich will nicht mehr so sein, glaub mir. Wenn ich etwas daran ändern könnte, würde ich das tun. Mir tat das sofort danach auch schon leid. Carlo ist mein bester Freund. Ich will ihn nicht auch noch verlieren.“

Dieser letzte Satz löste bei mir eine Assoziation aus. Ich hatte ähnliche Worte schon einmal von einem anderen Jungen gehört, den ich einige Jahre therapiert hatte. Vielleicht mussten wir bei Tim einmal ganz anders ansetzen. Vielleicht lag bei ihm eine andere Thematik vor, die nicht nur durch Training und normale Betreuung zu regeln war. Seine momentan schlechten schulischen Leistungen würden das eigentlich nur bestätigen.

„Kannst du mir etwas zu deinen deutlich nachlassenden Leistungen in der Schule sagen? Warum bist du da auch auf dem absteigenden Ast?“

„Nicht wirklich. Aber du musst mir glauben, dass ich viel Zeit investiere zum Lernen. Nur die Ergebnisse sind nicht so wie ich sie möchte.“

Wir unterhielten und noch eine ganze Weile. Mein Eindruck wurde deutlicher. Es war ein sehr ernstes Gespräch und ich konnte seinen deutlichen Willen spüren, dass er sich ändern möchte. Auch auf Dauer. Auf der Turnierreise war es ihm gut gelungen. Auf meine Frage, warum ihm das dann nicht sonst auch gelingen würde, gab er mir eine überraschende, aber sehr ehrliche Antwort. Er sagte, dass ich ihn ständig unter Kontrolle hatte und er so keine großen Möglichkeiten hatte, auszubrechen.

„Pass mal auf, Tim. Wir müssen das hier an dieser Stelle abbrechen. Ich muss zum Training. Ich danke dir für das offene Gespräch und ich habe dich verstanden. Allerdings kann ich nicht allein entscheiden, was jetzt passiert. Da ich aber für dein Training verantwortlich bin, möchte ich, dass du ab heute wieder zum Training gehst. Ich werde mich mit Thorsten zusammensetzen und das besprechen. Für das Gespräch mit deinen Eltern sind wir gut vorbereitet und wir werden da für dich eine klare Position beziehen. Ich kann dir allerdings heute nicht versprechen, dass dein Ausraster dort nicht zum Thema wird. Gib mir etwas Zeit.“

Tim schaute mich mit offenen Augen an und jetzt spürte ich wieder sein eigentliches Wesen. Er war dankbar und umarmte mich wortlos. Hoffentlich würden wir seine Situation in den Griff bekommen. Eine Idee hatte ich und die Punkte passten dafür zusammen. Hoffentlich konnte ich Thorsten davon überzeugen.

Nach der Rückkehr in die WG hatte ich Martina informiert, dass Tim vorläufig wieder zum Training gehen durfte. Sie war einverstanden und ich hatte sie über meine Idee in Kenntnis gesetzt. Auf diesen Gedanken war sie so noch nicht gekommen, aber sie konnte meiner Argumentation folgen. Mal sehen, ob Thorsten das auch konnte. Wenn ich richtig lag, würden wir das Problem in den Griff bekommen, weil Tim dann die richtige Förderung und Hilfe bekommen würde.

Etwas später saß ich in der Umkleide und bereitete mich auf das Training vor. Gedanklich ging ich die Einheit noch einmal durch. Beginnen würde ich mit Tim und Carlo und direkt daran anschließend dann die großen Jungs. Justin würde diese Woche auch bei mir trainieren, damit er mich besser kennenlernen konnte. Für heute hatte ich allerdings eine Ausdauereinheit vorbereitet. Das würde mit Sicherheit nicht auf Begeisterung stoßen. Vor allem in Anbetracht der Ereignisse in der Schweiz. Ich hatte das allerdings bereits vor unserer Reise schon so geplant. Mal abwarten, wie das heute laufen würde.

Die Einheit mit Tim und Carlo verlief sehr vielversprechend. Tim gab sich alle Mühe, konzentriert zu arbeiten. Erst gegen Ende der Einheit ließ seine Konzentration deutlich nach und die Fehlerquote stieg an.

Mitten in der vorletzten Übung unterbrach ich die laufenden Abläufe und hielt den Ball an.

„Tim, du machst bitte mal eine kurze Pause und versuchst dich neu zu konzentrieren. Carlo beginnt schon mal mit einer Serie Aufschläge.“

Tim feuerte verärgert einen Ball in den Zaun und ging zur Bank. Ich setzte mich neben ihn und fragte ruhig:

„Musste das jetzt noch sein, den Ball wegzuschießen? Das ist doch wieder undiszipliniert. Nur weil ich möchte, dass du eine Konzentrationspause machen sollst, gibt es für dich doch überhaupt keinen Grund, sich aufzuregen.“

„Ich kann das aber genauso gut wie Carlo. Ich ärgere mich über mich selbst. Warum bekomme ich das nicht hin, eine Übung genauso zu Ende zu spielen wie Carlo? Das kann doch nicht so schwer sein.“

„Setz dich nicht so unter Druck. Du hast momentan schon genug Druck auszuhalten. Ich finde, du hast heute ein gutes Training gezeigt und jetzt gehst du noch einmal in die Vollen und hängst dich rein. Ich bin mir ganz sicher, dass es jetzt wieder gut läuft bis zum Ende des Trainings.“

Ich schubste ihn leicht an. Tim sprang lachend von der Bank auf und stellte sich zum Return auf. Carlo schlug gut auf, aber Tim schlug nahezu jeden Ball aggressiv zurück. Ich überlegte einen Augenblick, dann kam mir eine Idee.

„Kennt ihr das Spiel Superpunkt?“

Beide schauten mich fragend an. Carlo fragte:

„Ich habe das mal vor Jahren gespielt. Ich bin mir aber nicht mehr sicher. Nur spielt man das nicht zu dritt?“

„Richtig. Eine Spielform für drei Spieler. Der Spieler, der allein auf der Seite spielt ist König und muss zehn Punkte machen. Er kann nur abgelöst werden…“

„... wenn einer der anderen beiden zwei Punkte in Serie gemacht hat. Dann ist er der neue König.“

Tim hatte den Nagel auf den Kopf getroffen und grinste mich frech an.

„Ok, Tim kennt das schon gut, also ist Tim ab sofort der Spielleiter.“

„Äh, Chris, es gibt ein Problem. Wo ist der dritte Spieler?“

Ich musste lachen, als Carlo das gefragt hatte.

„Hier, Carlo. Ich bin der dritte Mann. Ich kann auch einen Schläger halten.“

Tim begann zu lachen und Carlo wurde rot. Allerdings hatten wir ganz viel Spaß bei diesem Spiel und Tim zeigte eine hervorragende Performance. Völlig fokussiert spielte er jeden Punkt. Gerade gegen mich war er besonders motiviert.

Das Ergebnis war, dass Tim zuerst zehn Punkte erreichte und damit gewonnen hatte. Beim Abziehen strahlte er und zum ersten Mal seit Tagen hatte ich Tim ohne Anspannung erlebt. Carlo freute sich für ihn und wenn es so einfach war, beide Jungs zu entspannen, dann würde ich dieses Spiel wieder häufiger nutzen.

Für die großen Jungs musste ich jetzt den Platz wechseln, da wir ja auf Rasen trainieren wollten. Ich holte mir meine Rasenschuhe und machte mich auf den Weg zu den Plätzen. Erstaunlicherweise waren alle Plätze frei und ich konnte mir aussuchen auf welchem Platz wir trainieren konnten. Ich entschied mich für den vordersten Platz. Dort konnte ich die Kamera für Zeitlupenaufnahmen aufbauen und bessere Bilder machen.

Ich wollte vermeiden, dass die Jungs die Kamera gleich bemerkten und deshalb war ich etwas früher gekommen. Als Justin um die Ecke kam, war bereits alles aufgebaut und ich saß wartend auf der Bank. Justin kam auf den Platz und stellte seine Tasche ab. Er begrüßte mich überraschenderweise auf Deutsch.

Als die anderen drei auftauchten war Justin bereits dabei, sich mit dem Sprungseil aufzuwärmen.

Dustin und Fynn begrüßten mich und schlossen sich direkt Justin an, Maxi blieb noch einen Moment bei mir stehen.

„Chris, ich habe ein Problem. Mein Vater möchte gern, dass ich übermorgen zu meiner Oma mitfahre. Sie feiert ihren neunzigsten Geburtstag. Ist das möglich, auch wenn wir am Wochenende zum Turnier aufbrechen?“

„Wie lange bist du weg? Nur den Mittwoch oder ist das weiter weg?“

„Nein, nein, nur den Mittwochnachmittag. Ich bin auch normal in der Schule.“

„Alles klar, kein Problem. Ich wünsche euch viel Spaß. Es wäre aber schön, wenn du zumindest eine Laufeinheit machen würdest. Damit du nicht einrostest.“

„Klar, kein Problem. Danke.“

Eine Viertelstunde später ließ ich die vier sich einschlagen und an den Rasen gewöhnen. Nachdem alle gut damit klar kamen, zog ich das Tempo an und ließ sie richtig laufen. Allerdings immer mit Spielübungen auf dem Platz. Heute wollte ich austesten, wie weit sind sie tatsächlich austrainiert und wo gab es noch Schwächen. Gerade in der Ausdauer und Konzentration.

Nach zwei Stunden waren Dustin und Fynn am Ende ihrer Kräfte, während Justin und Maxi weiterhin gute Leistungen zeigten. Ich schickte Dustin und Fynn sich auslaufen und bat im Anschluss noch um ein Gespräch. Justin und Maxi sollten noch einen Satz spielen und anschließend auslaufen und zur Massage gehen.

Ich hatte Dustin und Fynn an ihre Grenzen gebracht. Das war auch mein Ziel. Jetzt hatte ich ein paar Minuten, um mir die Aufnahmen anzuschauen. Natürlich konnte ich das nicht auswerten, nur kurz ansehen ob sie zu gebrauchen waren. Mit dem Laptop war das schnell gemacht und so hatte ich endlich die Gelegenheit mir eine Fassbrause zu bestellen. Nach dem Training war mein Hals immer besonders trocken, deshalb wusste die Wirtin mittlerweile schon, was zu tun war, wenn ich die Terrasse betrat. Ich brauchte eigentlich gar nicht mehr zu bestellen, denn die Flasche stand schon auf unserem Stammtisch.

Mit geschlossenen Augen genoss ich die Sonnenstrahlen im Gesicht. So langsam kam ich zur Ruhe und die Gedanken gingen leider wieder zu dem kommenden Gespräch mit Tims Eltern.

„Na, hast du deine Jungs alle platt gemacht? Oder was ist los?“

„Hi, Thorsten. Ich hab dich gar nicht bemerkt. Ja, Fynn und Dustin sind tot und laufen sich aus. Justin und Maxi spielen noch einen Satz.“

„Lass mich raten. Dustin und Fynn haben bei Lucs Geburtstag zu tief ins Glas geschaut und heute mussten sie bluten.“

„Hihi, nicht ganz. Fynn hatte etwas zuviel getrunken, Dustin nicht. Aber Dustin ist auch körperlich noch nicht ganz da, wo Fynn und Maxi sind. Für Dustin war es ok, Fynn war nicht fit heute. Deshalb werde ich ihm auch gleich noch ein paar Takte dazu sagen.“

„Ok, was anderes. Bevor die Jungs kommen. Du hast den Termin für Tims Eltern bei dir gespeichert?“

„Klar, am Mittwoch war das, oder? Treffen wir uns eigentlich hier, in der WG oder im Sportpark?“

„Wir gehen in den Sportpark. Dort haben wir unsere Ruhe. Jan wird bereits am Mittag hier sein. Wir können das also in Ruhe vorbereiten.“

„Hm, ich habe Training. Muss ich bei euren Vorbereitungen dabei sein?“

„Ja, Jan hat darum gebeten, dass du bitte dabei bist. Deine Jungs können also Matchtraining machen. Toto wird das beaufsichtigen. Ich denke auch, dass unsere Vorbereitungen nicht so lange dauern werden. Wir könnten ja auch zusammen zu Mittag essen. Dann bist du vielleicht sogar pünktlich zum Training.“

„Die Idee gefällt mir. Wenn Jan das hinbekommt.“

Thorsten verabschiedete sich wieder ins Büro. Ich erwartete noch Dustin und Fynn zum Gespräch. Sehr pünktlich tauchten beide frisch geduscht auf der Terrasse auf.

„Schön, dass ihr pünktlich seid. Setzt euch. Möchtet ihr etwas trinken?“

„Wir sind ja nicht so blöd und kommen jetzt auch noch zu spät. Ich würde gern eine Apfelschorle trinken. Oder wäre eine Fassbrause auch in Ordnung?“

Typisch Dustin. Er war schon wieder in sein altes Verhalten zurückgefallen. Er hatte Sorge, dass er etwas falsch gemacht hatte und versuchte jetzt besonders vorsichtig zu sein.

„Was möchtest du trinken, Fynn?“

„Auch eine Fassbrause bitte. Aber Lemon.“

Ich ging ins Clubhaus, um die Getränke zu bestellen und setzte mich anschließend wieder zu meinen Jungs an den Tisch.

„Wie geht es euch jetzt?“

„Ganz ehrlich, nicht besonders gut. Du hast uns heute sehr deutlich aufgezeigt, wo unsere Grenze ist und dass Maxi und Justin uns voraus sind. Außerdem fühle ich mich schlapp.“

Dustins Enttäuschung war deutlich hörbar, während Fynn verdächtig still blieb.

„Gut, kann ich sogar verstehen. Du bist der einzige, der wirklich noch Defizite in der Ausdauer hat. Aber das ist auch nicht verwunderlich. Du musst nicht enttäuscht sein. Ich bin ganz sicher, dass du in vier Wochen die gleiche Fitness hast wie Justin und Maxi. Du musst noch etwas Geduld haben. Mach einfach so weiter mit deinem Training.“

„Dann bist du sicher mit meiner Performance nicht zufrieden. Das war doch schließlich dein Ziel, mir zu zeigen, dass zu viel Alkohol der Fitness nicht gut tut.“

„Falsch, das war ganz sicher nicht mein Ziel. Das solltest du bereits wissen. Wenn du das immer noch nicht weißt, dann machst du etwas falsch. Auch dass ich heute diese Ausdauerübung gemacht habe, war schon vorher geplant. Dein Fehlverhalten bei Marc hat damit gar nichts zu tun. Allerdings ist deine schlechte Verfassung darauf zurückzuführen. Der Körper braucht ein paar Tage, um sich von so einer Alkoholbehandlung zu erholen. Jetzt wirst du sagen, dass du dich wieder gut gefühlt hast. Klar, der Alkohol ist aus dem Körper, aber die Kondition leidet doch länger. Das Blut kann den Sauerstoff nicht schnell genug austauschen und von daher bist du eben noch schnell müde und nicht leistungsfähig. Und das ist der Punkt, den ich bei dir zu bemängeln habe. Du hast diese Erfahrung bereits einmal gemacht und ich bin enttäuscht darüber, dass du aus den damals gemachten Erfahrungen nicht genug gelernt hast. Das war absolut unprofessionell.“

Fynn hörte mir ruhig zu und ich versuchte, genauso ruhig und sachlich zu argumentieren. Ich wollte einfach deutlich machen, dass es nicht gefährlich gewesen war, sondern einfach nicht zur Situation passte.

„Ok, das habe ich begriffen. Wie lange dauert das, bis ich wieder volle Leistung bringen kann?“

„Bis zu fünf Tagen.“

Er schaute mich mit großen Augen an.

„Echt jetzt? Du machst keine Witze? Wie lang dauert es denn dann, wenn man richtig betrunken war? Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte meinen Fehler nicht schön reden, aber andere aus meiner Klasse trinken häufig viel mehr als ich und machen auch viel Sport.“

„Machen sie Leistungssport auf der Schwelle zum Profi? Und ganz ehrlich, es interessiert mich relativ wenig, wie viel andere Sportler an Alkohol trinken. Meine Spieler dürfen durchaus mal ein Bier oder ein Glas Wein trinken, aber während der Turniersaison ist ein Partyabsturz einfach ein absolutes 'No Go'.“

„Ja, ich habe dich verstanden. Das wird mir nicht wieder passieren. Ich habe auch überhaupt keine Erfahrungen mit der Wirkung von Alkohol. Vielleicht sollte ich das auf eine Zeit verschieben, wenn wir im Urlaub sind. Während der Saison trinke ich ab sofort gar keinen Alkohol mehr. Dustin hatte mich sogar vorgewarnt und ich Depp habe mich nicht beherrschen können.“

„Falsch, Fynn. Du hast dich nicht beherrschen wollen. Gekonnt hättest du es ganz sicher.“

„Ja, okay. Ich gebe mich geschlagen. Es wird nicht wieder passieren. Versprochen. Außerdem hast du mir heute sehr deutlich gezeigt, wie lange das nachwirkt. Darauf habe ich keinen Bock. Ich arbeite nicht so hart, um es dann an einem Abend wegzuwerfen.“

„Weise Worte, großer Krieger. Bitte aber nicht nur gute Worte führen, sondern Taten folgen lassen.“

„Kann ich auch mal etwas dazu fragen?“

„Klar, Dustin. Schieß los.“

„Hat die Wirkung auch etwas mit dem Alter zu tun? Also wenn Fynn jetzt älter wäre, würde es dann nicht so große Auswirkungen haben?“

„Das hat damit nur wenig zu tun. Nur wenn er deutlich jünger wäre, also so wie Tim zum Beispiel, dann hätte der Alkohol eine deutlich stärkere Wirkung und es wäre auch durchaus gefährlich.“

„Ah okay. Fynn hat jetzt gesagt, dass er in Zukunft schlauer sein wird, bist du jetzt noch sauer auf ihn?“

„Nein, ich war eigentlich nie sauer auf Fynn. Ich war enttäuscht, dass er den gleichen Fehler noch einmal gemacht hat. Mehr nicht. Und wenn es jetzt so wird wie er es versprochen hat, ist alles gut. Nur eines muss euch klar sein, ihr habt auch eine Verpflichtung Gerry Weber und Marc gegenüber. Sie unterstützen euch und dürfen eine entsprechende Arbeitshaltung erwarten.“

Dustin nickte nur und damit beendete ich dieses Thema. Ich hatte das Gefühl, dass ich das so schnell nicht mehr mit ihnen diskutieren musste. Es war angekommen.

Am Dienstag war das Training vollkommen unauffällig. Lediglich bei Tim bemerkte ich die große Anspannung vor dem Gespräch mit seinen Eltern. Als ich Carlo und Tim verabschiedete, hatte ich Carlo noch gebeten, sich etwas mehr Zeit für Tim zu nehmen. Er sollte Tim ein wenig ablenken. Carlo hatte dafür sogar einen Kinobesuch eingeplant. Das gefiel mir richtig gut.

Der Mittwoch begann für mich etwas stressig. Meine Panigale hatte einen Termin in der Werkstatt und damit ich aus der Werkstatt wieder wegkommen würde, hatte ich einen Freund gebeten, mich dort gegen zehn Uhr am Morgen abzuholen.

Meine Panigale hatte ich bereits zur Inspektion abgegeben und mir noch einen Latte Macchiato bestellt, als mich Pedro anrief und mir mitteilte, dass er sich etwa 45 Minuten verspätet. Jetzt würde es sehr knapp werden, um pünktlich im Sportpark zum Essen zu erscheinen. Ausgerechnet heute. Ich begann zu rechnen und das würde mit zwölf Uhr höchstwahrscheinlich nicht klappen. Ich musste jetzt einfach abwarten.

Glücklicherweise kam Pedro nur dreißig Minuten später. Wir machten uns direkt auf den Weg zu mir nach Hause. Ohne große Pause wechselte ich nur das Fahrzeug und nahm noch meinen Laptop mit.

Mit fünf Minuten Verspätung traf ich im Sportpark ein. Auf dem Parkplatz vermisste ich allerdings Jans Auto. Als ich den Gastraum betrat, saß Thorsten allein am Tisch.

„Hi, sorry, aber bei meinem Werkstatttermin gab es eine Verzögerung. Ist Jan noch gar nicht da?“

„Doch, aber er ist noch drüben auf der Anlage, um etwas zu erledigen. Er kommt jeden Moment.“

Wir hatten uns schon Getränke bestellt, als mein Bruder sich zu uns setzte.

„Hallo Chris, sorry, dass ich zu spät bin. Es gab noch etwas zu klären. Jetzt habe ich aber Zeit nur für das Gespräch mit Tims Eltern.“

Wir bekamen die Speisekarte und nachdem wir unser Essen gewählt hatten, wandte sich Jan an mich:

„Erzähl mir bitte mal, was alles mit den Eltern vorgefallen ist. Ich möchte das gerne aus deiner Sicht hören. Vom Vater haben wir uns ja schon einiges anhören müssen.“

Ich berichtete meine Erfahrungen und über meine Arbeit mit Tim. Als ich fertig war, wollte ich auch meine Idee vorstellen. Aber war das jetzt der richtige Zeitpunkt? Vielleicht sollten wir erst entscheiden, ob wir mit Tim weitermachen wollten. Jan hatte sich meinen Bericht wortlos angehört. Als ich geendet hatte, war ich verunsichert. Er sagte immer noch nichts, allerdings hatte er sich einige Notizen gemacht.

„Gut, danke für deinen Bericht. Ich glaube, ich habe begriffen, was hier eigentlich das Problem ist. Tim kann nicht in Ruhe trainieren, weil sich sein Vater ständig einmischt. Das führt zu Stress bei Tim, den er nicht mehr länger ausgleichen kann. Dadurch wird er manchmal unkontrolliert aggressiv. Ist das soweit korrekt?“

„Nicht ganz. Ich denke, es gibt auch noch ein weiteres Problem, welches für Tim diese Situation unerträglich werden lässt. Ich bin mir recht sicher, Tim hat ein ADHS Syndrom. Viele Dinge sprechen dafür und ich würde ihn gern einem Spezialisten vorstellen, der ihn untersuchen und testen soll. Wenn sich meine Vermutung bestätigt, könnten wir viele Dinge mit der richtigen Therapie schnell korrigieren.“

„Wow, darauf wäre ich so nie gekommen. Aber deine Erklärungen sind sehr schlüssig und gut. Was schlägst du jetzt also vor?“

„Zuerst dem Vater den Zahn ziehen, hier weiter zu versuchen, Einfluss auf unsere Entscheidungen zu nehmen, vor allem, ohne vorher mit uns zu sprechen. Das geht gar nicht. Zweitens müssen wir allerdings die Eltern überzeugen, dass sie Tim untersuchen lassen. Wenn sich das ADHS bestätigt, dann können wir anders und besser mit ihm arbeiten. Er wird sich sehr schnell wieder wohl fühlen. Ich bin davon überzeugt, dass er dann auch nicht mehr so oft ausbricht.“

„Gut. Was sollte unsere Strategie sein? Einerseits wollen wir den Vater ausbremsen, aber andererseits sollen die Eltern mit uns zusammenarbeiten. Wie stellst du dir das vor?“

„Du musst zuerst die Trennung der Sachlage erläutern. Das eine hat mit dem anderen eigentlich nichts zu tun. Allerdings glaube ich, dass beide Probleme zu lösen sein werden, wenn beide Parteien anders miteinander umgehen.“

„Du hast doch mit Tim sicher schon gesprochen. Was möchte er denn?“

„Er möchte in Ruhe trainieren können und nicht ständig genervt werden. Sein Vater hätte auch keine Ahnung vom Tennis.“

„Gut, dafür werde ich sorgen. Verlass dich drauf. Du bist überzeugt, wenn wir ihm das ermöglichen, inklusive der richtigen Therapie, wird es keine Probleme mehr geben.“

„Ja, das ist korrekt. Ich habe Tim mittlerweile verstanden und kann mit ihm arbeiten. Er vertraut mir.“

„Gut, dann weiß ich Bescheid und werde das Gespräch in die richtige Richtung bringen. Du musst dann aber die Aufgaben an die Eltern klar verteilen. Ich sorge für die Rahmenbedingungen bzw. den nötigen Freiraum.“

„Glaubst du, dass es so einfach funktioniert? Der Vater hat bislang wenig Bereitschaft gezeigt, sich von uns etwas vorschreiben zu lassen. Ich bin sehr gespannt, ob das funktioniert.“

„Ich mache das nicht zum ersten Mal. Der Vater wird gleich sehr schnell merken, wo ich bereit bin zu diskutieren und wo nicht.“

Unsere Vorbesprechung war damit gelaufen und wir konnten uns dem Essen widmen. Meine Anspannung wuchs allerdings mit jeder Minute, die wir uns dem Termin näherten.

Mein Bruder wollte, dass wir geschlossen als Team auftraten. So verlegten wir unseren Platz in einen kleinen Besprechungsraum. Dort sollte das Gespräch stattfinden. Tim würde mit seinen Eltern mitkommen.

Mir gefiel das nicht so ganz. Es bekam so einen Charakter von Break-Point-Team gegen Familie. Das sollte es eigentlich nicht werden. Also ging ich einfach unter dem Vorwand nach draußen, noch etwas frische Luft zu nehmen.

Auf diese Weise konnte ich Tim und seine Eltern auf dem Parkplatz in Empfang nehmen. Ich begrüßte sie freundlich und Tim empfing mich mit einer Umarmung. Das tat er sonst nur sehr selten. Die Mutter war sehr freundlich und lachte, als sie Tims Begrüßung sah.

„Sie können stolz sein. So begrüßt er nur sehr selten Menschen. Sie müssen für unseren Tim etwas Besonderes sein.“

Danach reichte sie mir ihre Hand und auch den Vater begrüßte ich selbstverständlich sehr freundlich. Dort fiel die Reaktion allerdings merklich kühler aus. Tim konnte sich nicht entscheiden, ob er neben mir oder bei seinen Eltern den Weg in den Besprechungsraum zurücklegen sollte. Er blieb dann aber bei seiner Mutter. Das war auch ein klares Signal für mich. Die Mutter war für ihn der wichtige Bezugspunkt und nicht der Vater. Unwillkürlich musste ich gerade auch an die Trennung der Eltern denken.

Ich ging voraus und öffnete die Tür zum Besprechungsraum. Jan und Thorsten begrüßten die Familie. Als sie Jan erblickten wurde es interessant. Wir nahmen Platz und ich setzte mich bewusst neben Tim. Seine Eltern saßen auf der anderen Seite neben ihm, Thorsten und Jan auf der anderen Seite des Tisches.

Jan übernahm die Gesprächsführung und wurde sofort konkret. Knallhart legte er dem Vater die Fakten auf den Tisch und forderte eine Erklärung für die ständige Einflussnahme. Er ließ keinen Zweifel aufkommen, dass das Break-Point-Team dies nicht akzeptieren werde. Jan las sogar den Teil aus dem Vertrag vor, der eine Beeinflussung auf sportliche Entscheidungen ausdrücklich untersagte. Sollten die Eltern einen Wunsch oder andere Vorstellungen haben, war der Weg grundsätzlich über die Teamleitung und nicht über den Spieler zu gehen.

„Ich stelle Ihnen deshalb jetzt die Frage, möchten Sie, dass Tim weiterhin bei uns gefördert wird?“

Der Vater war sichtlich verärgert über diese schroffe Art von meinem Bruder, aber mir gefiel das. Ich hätte es anders gemacht, aber Jan war auch in einer anderen Rolle als ich. Die Mutter wusste anscheinend genau, was sie wollte und bevor der Vater etwas sagen konnte, gab sie eine klare Antwort:

„Ja, Tim soll hier weiterhin von Chris betreut und trainiert werden. Das ist das Beste, was Tim je passiert ist. Wenn ich meinen Sohn reden höre, wie er von dem Training mit Chris schwärmt, dann wären wir dumm, das verändern zu wollen.“

Tim schaute seine Mutter mit großen Augen an, sagte aber nichts. Jan lächelte.

„Sehr schön. Dann möchte ich allerdings darauf bestehen, dass Sie aufhören, Druck auf Tim auszuüben, welche Turniere er spielen soll. Das obliegt der Entscheidung des Trainers. In Ihrem Fall ist das Chris. Sollten Sie Zweifel oder Wünsche haben, wenden Sie sich an ihn, aber lassen Sie ihren Sohn in Ruhe. Damit erschweren Sie Tims Entwicklung nur und helfen ihm ganz sicher nicht.“

Ich wunderte mich über das Verhalten des Vaters. Von Tims Beschreibungen her, hätte ich viel mehr Aggressivität erwartet. Aber er sagte so gut wie gar nichts mehr. Das gesamte Gespräch führte die Mutter mit uns und ich hatte den Verdacht, dass das vielleicht mit der Trennung zu erklären wäre. Allerdings passte das andere Verhalten nicht dazu. Ich war irritiert.

Jan nahm jetzt mit dem Wechsel auf Tims Schulprobleme und den Konzentrationsmangel etwas Druck aus dem Gespräch und übergab an mich.

Ich schilderte einige Situationen, berichtete von der letzten Turnierreise und brachte meine Beobachtungen ein. Tims Mutter hörte mir sehr aufmerksam zu. Für Tim war es vermutlich weniger angenehm. Er hatte Angst, dass ich vielleicht alle Details nennen könnte, was ich natürlich nicht tat, sondern erklärte vielmehr meine Wahrnehmungen und die daraus resultierenden Schlüsse.

Jetzt schien der Vater plötzlich aufzuwachen und fragte:

„Heißt das, Tims Probleme sich zu konzentrieren und mal ruhig zu arbeiten sind für ihn nicht einfach abzustellen? Er kann es einfach nicht?“

„Ja und nein. Es ist richtig, dass ich glaube, er kann sich nicht, wie andere Jungs, einfach auf den Punkt konzentrieren. Dafür braucht er Hilfe. Ich weiß, dass er seine Leistungen abliefern will, aber es nicht gelingt, obwohl er immer das Maximum bringen möchte. Es liegt nicht an seiner Einstellung.“

„Kann er dadurch auch nicht das abrufen, was er eigentlich könnte?“

„Genau. Er wird immer unter seinen Möglichkeiten bleiben und dadurch auch viel Frust haben, weil er es nicht versteht, dass es nicht geht. Im Training kann er ganz oft gute bis sehr gute Leistungen zeigen. Im Turnier dann leider nicht. Genau wie in der Schule. Er lernt viel, aber kann es nicht behalten und dann abrufen, wenn es gefragt ist. Das erzeugt ganz viel Frust und Enttäuschung. Da ist es kein Wunder, wenn auch mal ein Ausbruch kommt, der leider dann auch gewalttätig ist. Das darf aber keine Entschuldigung dafür sein. Tim, das darf nicht mehr passieren.“

Dabei schaute ich Tim ganz genau an. Er wich mir nicht aus, sondern nickte nur. Aber seine Gesichtszüge entspannten sich. Ich konnte mir vorstellen, was gerade in seinem Kopf passierte. Seine Eltern schauten sich ratlos an, bis seine Mutter mich fragte:

„Ist das also eher eine Verhaltensstörung oder eine Krankheit?“

„So genau kann ich Ihnen das noch nicht beantworten, deshalb möchte ich vorschlagen, ihn von einem guten Psychologen testen und untersuchen zu lassen. Wenn ich mit meiner Vermutung recht habe, dürfte es sich um das ADHS-Syndrom handeln. Bei ADHS handelt es sich um eine neurobiologische Erkrankung, bei der es zu einer teils veränderten Informationsübertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn kommt. Kernsymptome sind Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität. Hört sich gefährlich an, ist aber bei Jungen durchaus häufiger auftretend. Die genauen Ursachen sind vielfältig und meistens sind äußere Einflüsse maßgeblich ursächlich. Eine gewisse genetische Vererbung ist ebenfalls vorhanden. Das wäre mit einer Therapie gut in den Griff zu bekommen. Allerdings sollten Sie aufhören, immer wieder und mehr Druck aufzubauen. Er wird immer wieder scheitern und selbst enttäuscht sein. Das hält auf Dauer kein Jugendlicher aus. Deshalb wollte ich auch dieses Gespräch. Wir müssen gemeinsam an der Lösung arbeiten. Wenn Sie also Tim unterstützen wollen, überlassen Sie uns die sportlichen Entscheidungen und wir werden an einer Lösung seiner Problematik gemeinsam arbeiten.“

„Kennen Sie einen Psychologen, der damit Erfahrung hat?“, fragte mich der Vater.

„Ja, ich kenne jemanden, der auch gut mit dem Thema Leistungssport vertraut ist. Sie müssten das mit Ihrer Krankenkasse abklären. Es wäre das Einfachste, der Hausarzt würde eine Überweisung schreiben.“

„Gut, dann werden wir das veranlassen. Ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Ich habe geglaubt, Sie würden Tim nicht genug fördern. Aber ich wollte niemals meinen Sohn quälen. Ich habe es nicht besser gewusst.“

„Warum haben Sie nicht das Gespräch mit mir gesucht? Sie haben immer gegen uns gearbeitet. Das verstehe ich nicht. Jan war sogar drauf und dran Tim rauszuwerfen, weil Sie sich nicht an die Regeln halten.“

Er seufzte tief und ich dachte, jetzt würde das große Donnerwetter kommen. Aber es kam anders. Er berichtete von Gesprächen mit Thomas und wie oft er versucht hatte, Thomas zu überzeugen, dass Tim mehr Unterstützung bräuchte. Es war letztlich aus meiner Sicht sogar verständlich, dass sich der Vater schlussendlich nicht mehr mit uns unterhalten hatte. Jan hatte aufmerksam zugehört und jetzt passierte etwas, was ich bei meinem Bruder so noch nicht erlebt hatte.

„Ich möchte Sie bitten, mich in Zukunft bei solchen Dingen direkt zu kontaktieren. Ich bekomme nicht immer alle Details mit, weil ich viel unterwegs bin. Das kann und darf uns nicht wieder passieren. Deshalb haben wir auch Chris in unser Team aufgenommen. Er ist der Experte für solche Situationen. Er kann das beurteilen und entsprechend reagieren. Darum ist Tim auch zu ihm ins Training gekommen. Lassen sie uns in Zukunft mehr miteinander als übereinander reden.“

Dann reichte er dem Vater die Hand und ich hatte nicht gedacht, dass dieses Gespräch so eine erfolgreiche Wendung nehmen würde.

Als wir wieder auf den Parkplatz kamen, sagte Tim zu mir:

„Danke Chris. Du hast mich wirklich verstanden. Ich möchte wirklich so gerne Leistungen zeigen. Vielleicht wird es jetzt endlich stabil.“

Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter und antwortete:

„Wenn es so ist, wie ich vermute, dann verspreche ich dir, das bekommen wir hin. Ganz sicher.“

Tim stieg mit einem Lächeln im Gesicht ins Auto. Die Mutter blieb noch einen Moment neben mir stehen und gab mir die Information, dass Tims Vater wieder in der Familie lebt.

Danach stieg sie ebenfalls ins Auto, der Vater winkte uns noch einmal zu und dann fuhren sie davon.

Ich blieb noch einen Augenblick nachdenklich stehen, bevor ich in den Besprechungsraum zurückkehrte.

„Also deine Art Gespräche zu führen ist beeindruckend. Ich hätte nie gedacht, dass du den Vater so auf unsere Seite bekommst. Allerdings wäre ich auch nicht auf die Idee gekommen, Tim könnte ein ADHS-Syndrom haben. Großen Respekt, Chris.“

Dabei fing Jan an zu lachen und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Das hatte ich noch nicht allzu oft erlebt. Und zum ersten Mal sagte er nicht mehr 'Kleiner Bruder' zu mir sondern Chris.

Jetzt konnte ich deutlich entspannter mit den großen Jungs auf die Rasenturniere fahren.

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