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Auf der Tour

Teil 8

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Dustin: Besuch von Patrick in der WG

Für uns stand eine neue Reise an. Etwas ganz Neues erwartete uns. Eine Turnierserie auf Rasen. Mir gefiel dieser Untergrund sehr gut. Es war ein anderes Spiel, auch taktisch. Unsere letzten Trainingseinheiten hatten wir bereits auf Rasen gemacht. Aber am heutigen Freitag passierte noch etwas Besonderes nach dem Training.

Fynn hatte seinen Bruder Patrick eingeladen. Das war der erste Besuch, den Patrick allein bei uns verbrachte. Er sollte nach dem Training mit zu uns in die WG fahren und dort eine Nacht bleiben. Am Samstag würde ihn Fynns Mutter wieder mit nach Hause nehmen, wenn wir nach Holland aufbrechen würden.

Ich war sehr neugierig, ob dieser Besuch ohne Stress und Streit abgehen würde. Allerdings hatte es mich gefreut, dass Fynn ihn überhaupt eingeladen hatte. Das wäre noch vor drei Monaten ausgeschlossen gewesen.

Fynn und ich hatten das Abschlusstraining mit Maxi und Justin gerade beendet, da tauchte Patrick schon an unserem Platz auf. Chris begrüßte ihn und sie unterhielten sich. Währenddessen zogen wir den Platz ab und sammelten die Bälle ein.

Mein Freund reagierte leicht genervt über Patricks Erscheinen am Platz. Es war Fynn immer unangenehm, wenn seinetwegen irgendetwas nicht normal ablief. Dennoch begrüßte er seinen Bruder freundlich an der Bank.

„Na, hast du auch dein Training schon beendet? Dann können wir ja nach der Dusche zu uns fahren.“

„Hi Fynn. Ja, ich bin soweit fertig. Ich soll dir und Chris von Mama ausrichten, dass Papa in einer Woche aus der Klinik nach Hause kommt.“

Das war allerdings eine Überraschung für mich. Ich hatte nicht gedacht, dass die Zeit so schnell vergangen war. Vor einigen Wochen hätte diese Information bei meinem Freund noch für Panik gesorgt, heute antwortete er mit einem Lächeln:

„Oh, ist die Zeit schon vorbei? Aber ich freue mich für ihn und hoffe, dass er ohne Alkohol bleibt. Dann können wir auch wieder eine richtige Familie werden.“

Patricks Reaktion war für mich nicht wirklich zu deuten. Er schwieg nämlich. Allerdings reagierte Chris darauf:

„Du musst dich nicht äußern, Patrick. Ich weiß auch so, dass du dich sehr freust, dass euer Vater wieder nach Hause kommt. Aber du musst Fynn verstehen. Sieh es als großen Fortschritt, dass er das als positives Ereignis ansieht. Ich kann Fynn nur unterstützen. Sollte euer Vater nüchtern bleiben, habt ihr die Chance, wieder eine richtige Familie zu werden. Wie lange dieser Weg noch andauern wird, muss sich zeigen. Allerdings seid ihr schon auf einem guten Weg.“

Dabei legte er Patrick seine Hand auf die Schulter und es sah so aus, als ob Patrick jetzt verstanden hätte, was sein Bruder gemeint hatte. Patrick lächelte und nickte.

„Das ist jetzt aber blöd.“, meinte ich.

Mir fiel gerade auf, dass wir ja gar nicht da sein würden, wenn Fynns Vater aus der Klinik kommt.

Fynn schaute mich verwundert an und auch Chris sah mich fragend an.

„Na, überlegt doch einmal. Wir sind dann gar nicht da.“

„Oh ja, richtig. Dustin hat recht. Da habe ich überhaupt nicht dran gedacht. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Ich werde Papa das vorher noch sagen. Nicht, dass er denkt, es wäre mir nicht wichtig.“

„Wow, Fynn. Diese Idee gefällt mir gut. Mach das so. Ruf ihn am besten vorher an und sprecht darüber.“

Chris Begeisterung für Fynns Idee war deutlich sichtbar. Ein Lächeln war in seinem Gesicht und auch Patrick freute sich über diese Reaktion.

Einige Minuten später standen wir unter der Dusche und ich hatte meinen Freund gerade gefragt, was er eigentlich mit Patrick heute geplant hatte.

„Ich habe Martina gesagt, dass er heute bei uns isst. Sie wird uns etwas Schönes zum Essen vorbereiten und anschließend machen wir uns einen gemütlichen Abend. Lass dich überraschen.“

In diesem Augenblick war mir klar, Fynn wusste ganz genau, was wir tun würden. Es machte aber keinen Sinn, weiter zu fragen. Er würde es garantiert nicht verraten. Also begnügte ich mich damit und schon auf dem Heimweg staunte ich über Fynns Stimmung. Den ganzen Weg unterhielt er sich fröhlich mit seinem kleinen Bruder.

In der WG packten Fynn und ich zuerst unsere Taschen aus. Fynn hatte Patrick schon zu Martina in die Küche geschickt. Er sollte sich dort vorstellen. So oft hatte ihn Martina noch nicht gesehen.

Als ich als erster wieder aus dem Keller kam, staunte ich nicht schlecht. Patrick hatte ein Messer in der Hand und half beim Salat vorbereiten. Bevor ich etwas sagen konnte, drückte mir Martina das große Gemüsemesser in die Hand.

„Kannst du bitte die Gurken in dünne Scheiben schneiden.“

Als Fynn kurz darauf die Küche mit Carlo und Tim betrat, staunte auch er mit großen Augen. Er hatte wie ich genauso wenig erwartet, dass Patrick einfach helfen würde. Tim und Carlo kannten Patrick ja bereits vom Training auf der Anlage. Sie begrüßten sich freundlich und locker. Tim setzte sich neben ihn.

„Hey, schön, dass du mal hier bist.“, freute er sich.

„Ja, für mich ist das auch etwas Besonderes. Ich bin sehr neugierig, wie das hier so läuft. Bislang habe ich hier immer nur kurze Momente erlebt.“

„Stimmt das, dass du heute hier sogar übernachten darfst?“

„Ja, Fynn war damit einverstanden und hat mich eingeladen.“

„Und ich war auch einverstanden, das solltest du nicht vergessen.“

Martina blieb bei dieser Aussage todernst, als sie sich vom Herd umgedreht hatte. Für einen Augenblick war Patrick irritiert.

„Martina, erschreck ihn doch nicht so. Er kennt das hier noch nicht.“, mischte sich Carlo ein.

„Dann muss er das schnell lernen. Er wird jetzt vermutlich häufiger hier sein, dann muss er das aushalten können.“

Schnell fingen alle an zu lachen, Patrick und Fynn stutzten einen Moment, stimmten aber schnell mit ein.

Das lockerte die etwas steife Atmosphäre auf. Schnell waren die letzten Vorbereitungen für den Salat gemacht und Fynn begann die Sauce abzuschmecken. Zum Ende schob er die Schüssel seinem Bruder herüber und fragte ihn:

„Probierst du bitte mal, irgendwas fehlt mir da noch. Ich hab aber gerade keine Ahnung was.“

Patrick nahm sich einen Löffel und probierte das Dressing.

„Eine Prise Zucker, würde ich sagen.“

Fynn nickte sofort und zeigte Patrick den Daumen.

„Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Danke, Patrick. Das ist genau das, was fehlt.“

Ich staunte über diesen Umgang von Fynn. Sonst hatte er sich häufig abfällig und genervt über seinen Bruder geäußert. Umso erfreuter war ich darüber, wie sie heute miteinander umgingen.

Tim blieb während des Essens erstaunlich ruhig heute. Keine Zappeleien und vor allem keine Provokationen gegenüber Martina oder uns. Vor Maxi schien er eh mehr Angst oder Respekt zu haben, denn ihm gegenüber blieb er meist vorsichtig. Maxi war in letzter Zeit abends oft noch weg. Ich hatte ja den Verdacht, dass er sich eine Freundin zugelegt hatte. Fynn meinte aber, dass er sich mehr um seine Mutter kümmern würde.

Während des Essens unterhielten sich Tim und Patrick auffällig intensiv. Bei Tim fiel mir besonders auf, dass er wenig Aufmerksamkeit forderte. Anders als sonst.

Nach dem Essen fragte Fynn in die Runde:

„Wie sieht das bei euch aus, Tim und Carlo, habt ihr Lust zu uns zu kommen? Wir wollen ein wenig zusammen spielen. Allerdings keine Computerspiele. Ich hatte an eine Partie Risiko oder Siedler gedacht.“

„Cool“, antwortete Carlo sofort, „ich habe schon Ewigkeiten nicht mehr Siedler gespielt.“

Tim schien unsicher zu sein. Carlo schubste ihn leicht in die Seite und forderte ihn auf, mitzukommen. Tim fragte:

„Ihr habt nichts dagegen, wenn ich mitspiele?“

„Sonst hätte ich nicht gefragt, Tim.“

Fynn war etwas genervt von Tims Frage. Ich fand das übertrieben von meinem Freund und mischte mich jetzt ein.

„Sei nicht so genervt, Schatz. Ich finde seine Frage berechtigt. Wir waren in letzter Zeit nicht sonderlich freundlich zu ihm. Ja Tim, ich freue mich, wenn du mitspielen würdest. Lasst uns die Gelegenheit nutzen, wieder näher zusammenzurücken. Wir sind schließlich ein Team.“

Martina nickte mir anerkennend zu und nachdem wir alle, auch Tim, mitgeholfen hatten, die Küche aufzuräumen, verschwanden wir in unserem Appartement.

Auch hier staunte ich nicht schlecht, als wir ins Wohnzimmer kamen. Fynn hatte bereits alles vorbereitet. Getränke und Gläser standen bereit. Chips und Salzstangen hatte er ebenfalls schon bereitgelegt. Wann hatte er denn dafür Zeit gehabt?

„Wow, das sieht ja toll aus.“

Carlo war überrascht von dem Szenario und auch Patrick schien beeindruckt, denn, entgegengesetzt meiner Erwartung, stürzte er sich nicht gleich auf die Chips, sondern blieb ruhig im Raum stehen. Erst als Fynn sie aufforderte

„Sucht euch einen Platz und bedient euch.“

griff er zu einer Chipstüte. Mit einem kräftigen Zug riss er die Tüte auf und füllte den Inhalt sogar in eine der bereitstehenden Schalen. Patrick zeigte heute sein bestes Verhalten. Ich war erfreut und fand, dass es so schlimm wohl doch nicht sein konnte, wie Fynn das bislang immer erzählt hatte.

Einige Zeit später waren wir mitten in einer Partie Risiko und es lag ein wenig Spannung in der Luft, denn Tim drohte als erstem, seine Armeen zu verlieren. Er wurde leider etwas missmutig und warf uns ein Komplott gegen ihn vor. Mich regte so eine Haltung immer auf. Verlieren gehörte für mich zum Spiel dazu. Carlo entwickelte so etwas wie Mitleid mit seinem Freund und Trainingspartner. Deshalb griff er eher unsere Armeen an und nicht die von Tim, obwohl es viel einfacher gewesen wäre, Tims noch verbliebene Länder zu erobern.

Das wiederum löste bei Fynn Unmut aus. Er sah das Spiel als eine strategische Schlacht an, ohne Rücksicht auf persönliche Freundschaften. Da kannte er auch mir gegenüber kein Pardon. Was ich gut fand.

Jetzt begann Fynn sich die Armeen von Tim und Carlo vorzunehmen. Allerdings machte er das viel subtiler und unauffälliger als Tim oder Carlo. Sehr schnell waren dann beide, Tim und Carlo, aus dem Spiel. Tim war sauer und wollte eingeschnappt abhauen. Carlo stutzte ihn zurecht und ich war sehr erstaunt, dass sich Tim das gefallen ließ und doch bei uns blieb.

Es dauerte aber nicht lange, bis Tim sich zu langweilen begann. Fynn machte den Fehler, ihm zu erlauben mit der Playstation zu spielen.

Fynn: Nervensäge Tim

Der Abend mit Patrick war bislang erfreulich harmonisch. Mein kleiner Bruder erstaunte mich allerdings schon. Er benahm sich umgänglich und zuvorkommend. Auch Martina gegenüber. Mit Carlo kam er besonders gut klar. Als Tim sich vor die Playstation setzte, machten er und Carlo nicht mit. Sie blieben mit uns am Tisch und schauten bis zum Ende zu.

Tim hingegen tobte sich an meiner Playstation aus und begann sich regelrecht in einen Rauschzustand zu spielen. Als wir bereits die Siedler aufgebaut hatten, saß er immer noch vor dem Fernseher und zockte. Da stand Dustin plötzlich auf und zog einfach den Stecker. Ich erschrak. Was würde jetzt passieren? Normalerweise wäre Tim jetzt total ausgerastet. Er belegte meinen Freund mit einem bitterbösen Blick und ich war darauf vorbereitet einzugreifen.

„Spinnst du? Was soll denn der Scheiß. Ich war grade dabei, einen neuen Rekord zu machen.“

Tim keifte regelrecht, aber bevor ich etwas unternehmen konnte, stand Carlo vom Tisch auf, ging auf Tim zu, nahm ihm den Controller aus der Hand und sagte ganz ruhig zu ihm:

„Du bist hier Gast, falls du es vergessen haben solltest. Wir wollen gemeinsam die Siedler spielen und nicht daddeln. Wenn du lieber zocken willst, dann kannst du gehen und allein spielen. Ich bleibe hier, weil es viel mehr Spaß macht, gemeinsam zu spielen. Überleg dir gut, was du willst. Du hast dreißig Sekunden Zeit.“

Entgegen meiner Erwartung blieb Carlo genau vor Tim stehen und schaute ihm direkt in die Augen. Tim kniff seine Augen zusammen und für einen Moment dachte ich, er würde Carlo an den Hals springen. Gott sei Dank entschied er sich für eine andere Lösung. Tim holte einmal tief Luft, stand wortlos auf und kam zu uns an den Tisch.

Mein Freund erklärte noch einmal kurz die Regeln und dann ging es los. Die ersten Spielrunden verliefen wieder sehr harmonisch, aber irgendwann wurde Tim wieder unruhig. Es fiel ihm zusehens schwerer, sich zu konzentrieren. Dadurch kam es zu Spielverzögerungen und irgendwann war Patrick genervt. Er provozierte Tim und es kam wie es kommen musste. Tims Spielmaterial flog einmal quer durch das Wohnzimmer.

Carlo wollte Tim schon zusammenfalten, aber dieses Mal kam ich ihm zuvor.

„Sag mal, was ist dein Problem? Wenn du dich nicht so lange konzentrieren kannst, sag doch einfach Bescheid. Dann machen wir mal eine Pause. Nur weil mein Bruder sich wieder nicht im Griff hat, musst du nicht ausrasten. Patrick, hilf Tim beim Zusammensuchen der Spielsachen. Danach machen wir eine Pause.“

Mein Puls raste. Ich hatte Angst, die Situation könnte eskalieren.

Aber das Erstaunliche war, dass Patrick und auch Tim sich ohne meckern fügten und innerhalb kürzester Zeit war alles wieder auf dem Tisch.

Carlo war mit Tim nach draußen gegangen, während ich mit meinem Freund allein zurückblieb. Patrick war kurz auf der Toilette.

„Tim nervt echt. Wieso vermag er nicht einfach mal zu akzeptieren, dass man auch verlieren kann.“

Mein Freund schaute mich mit einem Lächeln an und ich erwiderte:

„Ja, er nervt, aber ich werde mich nicht aufregen. Es bringt doch gar nichts.“

„Seit wann bist du denn so verständnisvoll? Hast du irgendwelche Pillen geschluckt?“

Jetzt musste ich lachen.

„Nein, ganz sicher nicht, aber ich habe mit Chris gesprochen, als klar war, dass Patrick zu uns kommt. Chris hat mir einige Tipps gegeben. Die versuche ich umzusetzen.“

Dustin kam auf mich zu, umarmte mich und gab mir einen Kuss. Überrascht über diese Reaktion setzte ich mich auf das Sofa.

„Du machst Chris aber keine Konkurrenz?“, fragte Dustin.

„Nein, ganz sicher nicht. Allerdings möchte ich einen ruhigen Abend haben. Patrick benimmt sich doch sehr umgänglich, da werde ich Tim nicht die Bühne geben, sich immer in den Mittelpunkt zu spielen.“

Wir spielten im Anschluss noch über zwei Stunden ohne weitere Probleme. Am Ende hatte Dustin gewonnen.

Mit einem Blick auf die Uhr, wurde mir bewusst, dass wir das Zeitlimit für Tim und Carlo weit überschritten hatten. Außerdem hatten wir die Couch noch nicht für Patrick vorbereitet.

„Wir sollten Schluss machen für heute. Ihr hättet schon längst im Bett sein müssen.“

Carlo streckte mir seine Zunge heraus und erwiderte mit einem Grinsen:

„Ja, aber wenn wir Martina erklären warum, dann gibt es bestimmt keinen Ärger. Und die Couch müsst ihr gar nicht umbauen. Patrick kann doch bei Tim schlafen, er hat ein Doppelzimmer für sich allein.“

Ich schaute meinen Bruder an. Sein Gesicht sprach für sich und ich konnte mir auch vorstellen, warum er sich freute wie ein Schneekönig. Nun gut, sie mussten ja auch nicht am nächsten Morgen auf eine Turnierreise gehen. Also stimmte ich zu und Patrick verschwand mit Carlo und Tim nach oben.

„Ich möchte nicht wissen, was die jetzt noch machen werden. Jedenfalls glaube ich nicht, dass sie direkt ins Bett gehen werden.“

„Da kannst du Gift drauf nehmen. Wenn ich das Gesicht von Patrick sehe, weiß ich, dass sie genau wussten, was sie noch machen wollen.“

Da wir beide aber müde waren, machten wir uns fertig für unser Bett. Es war leider nur noch eine kurze Nacht.

Chris: Eine neue Reise

Heute ging es erneut los. Mein Team bestand aus Dustin, Fynn, Maxi und Justin. Im Gegensatz zu meinen drei Jungs war Justin bereits mit seiner Tasche am Club, als ich gegen halb acht dort eintraf.

Zur Verteidigung der anderen drei sei jedoch gesagt, Justin wohnte in einem Appartement direkt an der Anlage. Er brauchte nur über den großen Parkplatz zu laufen. Die anderen drei würde ich an der WG abholen.

Justin kam auf mich zu, als ich aus dem T6 ausgestiegen war. Ein zögerliches „Guten Morgen“ auf Deutsch kam mir entgegen.

Ich begrüßte ihn mit einem freundlich kräftigen Handschlag.

„Leg deine Tasche schon einmal in den Kofferraum. Hier ist der Autoschlüssel, ich gehe noch einmal zu Torsten ins Büro.“

Justin nickte und nahm den Schlüssel. Ich machte mich auf den Weg ins Büro.

„Guten Morgen, Thorsten. Gibt es noch etwas Neues und Wichtiges für mich?“

„Nicht wirklich, nur, dass Jan dir noch den Plan gemacht hat, wie es für euch danach weitergehen soll. Er hatte es ja schon angedeutet, dass ihr nach der Englandreise über den großen Teich in die USA fliegen sollt.“

„Ja, er hatte es mir vor einiger Zeit gesagt. Ich finde das ganz schön heftig. Erst Rasen, dann direkt Hartplatz.“

„Genau das ist der Grund. Die Jungs sollen sich daran gewöhnen. Später auf der großen Tour wird das an der Tagesordnung sein.“

„Aber wir haben eine kleine Pause zwischen den Reisen?“

„Ja, drei Tage seid ihr hier, dann geht es wieder los.“

„Gut, ich möchte, dass Fynn und Dustin auf jeden Fall diese Tage zu Hause sind. Fynns Vater wird während unserer jetzigen Reise aus der Klinik entlassen. Ich möchte, dass sie zumindest dann Zeit mit der Familie haben.“

„Klar, ich wusste das nicht. Dann gib ihnen doch einfach allen die drei Tage frei. Wenn es keine Probleme gab.“

„Genau das war mein Gedanke. Gut, dass ihr das auch so seht.“

„Chris, du entscheidest das. Wenn du es für richtig hältst, ihnen mal ganz freizugeben, dann werden wir uns da ganz sicher nicht einmischen. Auch Jan nicht.“

Da war ich mir zwar nicht so sicher, aber es war schön, das zu hören. Ich ließ mir noch kurz die genauen Adressen geben und in welchen Hotels bzw. Pensionen wir untergebracht sein würden, danach verabschiedete ich mich wieder aus Halle. Die nächsten Wochen würden sehr spannend, aber auch anstrengend für mich werden.

Am Parkplatz hatte sich Justin bereits in den VW Bus gesetzt und wartete geduldig auf mich. Ich öffnete die Fahrertür.

„Sorry, es hat etwas länger gedauert. Wir können jetzt aber starten und die Jungs abholen.“

Justin nickte mit einem Lächeln. Ich mochte diesen Jungen. Er war immer gut gelaunt und arbeitete sehr fleißig und selbständig. Manchmal dachte ich nur, dass er zu oft allein ist. Er sollte in die WG der Jungs umziehen. Wie das gehen würde, war mir allerdings noch nicht klar. Momentan gab es dort einfach nicht genug Platz.

Glücklicherweise waren die anderen drei Jungs bereits fertig und wir konnten direkt starten. Lediglich Martina gab mir noch einen Korb mit Verpflegung auf der Fahrt mit. Das liebte ich so an ihr. Sie war einfach eine gute Seele und hielt die WG zusammen. Auch in stürmischen Zeiten blieb sie ruhig und brachte alles wieder ins Lot.

Wir waren bereits zwei Stunden unterwegs und gerade über die Landesgrenze gefahren, als ich beschloss, eine kleine Pause zu machen. Ein schönes Plätzchen abseits der Autobahn war schnell gefunden.

Dustin und Fynn hatte ich gebeten den Korb mit den Sachen auf den Tisch zu stellen damit sich jeder nehmen konnte, was er mochte. Justin wartete erneut bis alle anderen sich etwas genommen hatten.

Fynn erzählte uns von ihrem gestrigen Erlebnis mit Patrick. Justin versuchte, so viel wie möglich zu verstehen, aber bei der Situation mit dem Ausraster von Tim, stieg er mit dem Verständnis aus. Ich konnte es an seinem Gesicht erkennen.

„Jungs, ihr solltet Justin das jetzt mal in Englisch erklären. Ich glaube nämlich, dass er das nicht alles verstanden hat.“

„Danke, Chris. Das war zu schnell und zu schwierig für mich in Deutsch.“

Jetzt brachte mich Fynn zum Staunen. Er übersetzte die ganze Geschichte in ein gutes Englisch und auch Justin bekam große Augen, als Fynn geendet hatte.

„Jetzt habe ich das auch verstanden, danke. Es tut gut zu wissen, dass ihr auch gut Englisch sprechen könnt. Es tut mir leid, dass mein Deutsch noch nicht so gut ist.“

Das sah ich anders. Er sprach für die kurze Zeit in Deutschland ein sehr ordentliches Deutsch. Vor allem versuchte er ständig Deutsch zu sprechen.

Nach einer kurzen Kaffeepause stiegen wir wieder in unseren Bus und legten die letzten Kilometer zur Anlage zurück. Thorsten hatte mit dem Veranstalter vereinbart, dass wir ein Quartier zugewiesen bekommen. Also musste die erste Anlaufstelle der Veranstalter des Turnieres sein.

Meine Jungs schickte ich derweil einmal über die Anlage. Sie sollten sich einen Eindruck verschaffen.

Die Begrüßung fiel sehr freundlich aus. Mir wurde der Weg zu unserem Quartier erklärt und ich bekam bereits auch einen Schlüssel. Damit konnte ich einen Punkt auf meiner Liste abhaken. Als nächstes brauchten wir einen Trainingsplatz. Das würde ich im Turnierbüro erledigen können. Auf dem Weg dorthin begegneten mir meine Jungs.

„Ihr könnt schon eure Taschen holen. Ich lasse uns einen Trainingsplatz zuweisen, damit wir direkt noch eine Gewöhnungseinheit machen können.“

Fynn gab ich den Autoschlüssel und mein Weg ging weiter Richtung Turnierbüro.

„Guten Tag allerseits“.

„Hallo, was können wir für dich tun?“

„Ich bräuchte einen Trainingsplatz für meine Jungs. Wir sind vom Break-Point-Team aus Halle. Gemeldet sind vier Spieler.“

Jetzt wurde im Computer geschaut und ich bekam vier Antrittspakete überreicht. Das waren kleine Präsente, die von den Hauptsponsoren zur Verfügung gestellt wurden. Erfreulicherweise bekam ich auch für neunzig Minuten einen Trainingsplatz zugeteilt.

Unser erstes Match sollte am Sonntagvormittag um zehn Uhr sein. Leider spielten drei meiner vier Jungs parallel. Allerdings war das im Profibereich so üblich. Ich bedankte mich für die sehr freundliche Unterstützung und verließ das Gebäude wieder.

Mit den Präsenten bepackt, ging ich zurück zum Auto. Dort lud ich alles in den Kofferraum und nahm mir meine Tasche heraus. Schließlich sollte ich auch in Tenniskleidung auf den Trainingsplatz gehen.

Es gab für den Belag Rasen spezielle Schuhe. Sie hatten viele kleine Noppen auf der Sohle. Außerdem hatte der Ball ganz besondere Sprungeigenschaften. Die Umstellung auf Rasen dauert immer einige Tage. Deshalb hatten wir gegenüber den meisten anderen Spielern einen Vorteil. Wir hatten eigene Rasenplätze zur Verfügung.

Eine Stunde später standen wir gemeinsam auf einem hervorragend hergerichteten Rasenplatz. Heute liefen auch die Qualifikationsfinale und dementsprechend war viel Betrieb auf den Plätzen. Justin kam der Rasen entgegen durch sein kraftvolles Spiel. Er servierte im Schnitt mit annähernd zweihundert Stundenkilometern. Das war für einen sechzehnjährigen Jungen schon recht außergewöhnlich.

Seine größte Schwäche war sein Mangel an Konzentration. Er konnte das Niveau noch nicht ausreichend konstant spielen.

Jetzt beim Training hatten Fynn und Maxi wenige Probleme das hohe Tempo mitzuspielen. Dustins Schwierigkeiten waren größer und deutlich sichtbar.

„Dustin, du musst früher vorbereiten. Du hast auf Rasen einfach keine Zeit zum Überlegen.“

Er nickte und gab sich Mühe, aber so wirklich klappte das noch nicht. Entsprechend groß war sein Frust. Als er erneut einen Ball zu spät getroffen hatte, schoss er einen anderen Ball aus Frust in den Zaun. Solche Disziplinlosigkeiten mochte ich gar nicht. Das wussten alle. Fynn reagierte prompt. Er schimpfte mit seinem Schatz. Das wunderte mich. Anschließend gingen beide zur Bank und machten eine kleine Pause.

Justin forderte aber meine volle Aufmerksamkeit, so konnte ich nicht auf Dustin reagieren. Allerdings nachdem ich die Übung beendet hatte, bat ich Dustin zu mir. Justin und Maxi spielten jetzt gegen Fynn einen Satz. Nach jedem Aufschlagspiel wurde gewechselt.

Dustin kam zu mir an die Bank. Er schien bereits zu ahnen, was kommen würde.

„Ich weiß, dass du das Ballwegschießen nicht magst, aber ich brauchte einfach mal ein Ventil. Es ist doch frustrierend, wenn man es einfach nicht hinbekommt.“

„Ich möchte mich nicht mehr dazu äußern. Lass es einfach. Versuch deine Kraft auf den Ball im Spiel zu lenken. Übrigens sehe ich das gar nicht so schlimm, dass es dir noch nicht gelungen ist, den Ball früher zu treffen. Es gibt Spieler, die schaffen es schnell und eben Spieler, die länger brauchen. Justin zählt zu ersteren und du eben zu letzteren. Wo ist das Problem?“

„Dass ich dann morgen nicht gut spielen werde und wohl böse verhauen werde. Das will ich aber nicht.“

„Je mehr du dich damit unter Druck setzt, desto schwieriger wird es sein, sich auf den Rasen einzustellen. Entspann dich etwas. Lach mal wieder. Du siehst aus, als ob du mich umbringen willst. Angsteinflößend.“

Da erschrak Dustin etwas. Genau diese Reaktion wollte ich erreichen. Dadurch wurde es für ihn einfacher, in Ruhe über diese Situation nachzudenken. Nach einer kurzen Gedenksekunde fing er plötzlich an zu lächeln. Erst zaghaft, dann lachte er befreiend.

„Okay, wieder hast du es geschafft, mir etwas zu erklären ohne dass ich etwas gefragt habe. Du bist also überzeugt, ich kann hier gut spielen?“

„Ja, bin ich. Du solltest das auch sein, dann wird das auch so sein. Wir wissen, was du kannst.“

Dieses Gespräch bekam Justin in Bruchstücken mit, da er zwischendurch an der Bank etwas zu trinken nahm. Er schaute immer wieder zu mir, als Dustin wieder auf den Platz kam. Natürlich ging Dustin zu Fynn auf die Seite. Dieser empfing ihn mit einer offen ausgestreckten Hand, die Dustin sofort abschlug. Danach bekam er noch einen Kuss von Fynn.

Jetzt wartete ich auf die Reaktion von Justin. Er wusste noch nichts über die Beziehung der beiden Freunde. Allerdings geschah zuerst nichts. Justin spielte ohne Reaktion einfach weiter. Hatte er es gar nicht bemerkt? Er musste es gesehen haben. Vielleicht wusste er es doch schon? Ich beschloss, darauf nicht weiter einzugehen. Sollte er Fragen haben, könnte er sich jederzeit an mich wenden.

Allerdings wurden die Fragen für mich ganz anders beantwortet. Als ich meine Jungs für eine neue Übung an die Bank holte, stellte Justin die direkte Frage an Fynn und Dustin.

„Darf ich euch fragen, ob es stimmt, was mir über euch erzählt wurde? Ihr seid wirklich ein Paar?“

„Ja, das ist korrekt. Fynn ist mein Freund und Partner. Also sind deine Quellen gut informiert.“

Dabei musste Dustin lachen. So locker hätte er vor wenigen Wochen auf gar keinen Fall auf diese Frage reagiert. Justin wurde sogar nach dieser Antwort etwas rot. Fynn reagierte cool und stellte sich zu Justin und erklärte:

„Deshalb haben wir von Chris auch das kleine Appartement in der WG zugeteilt bekommen. Wir müssen uns hier nicht verstecken. Ich würde mir wünschen, dass das für dich kein Problem ist.“

Justin fing erst an zu lächeln und seine dann folgende Reaktion war Antwort genug. Er ging auf die beiden zu und umarmte sie einfach mit einem Lächeln.

Die Trainingseinheit war bald zu Ende und ich hatte beschlossen meine Jungs heute zum gemeinsamen Essen einzuladen. In dieser Konstellation waren wir noch nie bei einem offiziellen Turnier. Justin sollte uns besser kennenlernen.

Ich hatte zwar auch ein Café in der schwulen Szene ausfindig gemacht, aber das wollte ich Justin nicht gleich zumuten. Es gab aber ein interessantes Restaurant mit internationalen Spezialitäten. Dort sollte es heute Abend hingehen.

Fynn: Wie würde Justin mit uns klarkommen?

Dustin und ich zogen uns unsere Trainingsanzüge nach dem Duschen an. Justin und Maxi waren bereits gegangen. Mir ging die Situation auf dem Platz nicht aus dem Kopf, in der sich Dustin klar gegenüber Justin geäußert hatte. Justin hatte es positiv aufgenommen, aber er hatte uns auch nicht weiter danach gefragt. Er hatte es einfach so stehen lassen. Einerseits war ich erfreut über seine Umarmung, aber wie würde er damit generell klarkommen. Dustin hatte keine Bedenken mehr, uns offen als schwul darzustellen, wenn es nötig war. Er hatte sich in den letzten drei Wochen weiterentwickelt und das war nicht zu unserem Nachteil.

Chris hatte uns gemeinsam zum Essen in ein Restaurant eingeladen. Es war ein internationales Restaurant, das verschiedenste Landesspezialitäten anbot. Ich war sehr gespannt, ob es auch eine kanadische Spezialität gab. Ich hatte bislang noch nie von einer solchen Besonderheit gehört.

Chris hatte den gleichen Gedanken, als er Justin fragte:

„Gibt es eigentlich bei euch in der Heimat auch landestypische Gerichte?“

„Oh ja, es steht sogar hier etwas davon auf der Karte. Die Clam Chowder Soup ist eine landestypische Spezialität.“

„Davon habe ich noch nie etwas gehört. Was ist das für eine Suppe?“, fragte ich.

Justin fing an zu lächeln und erklärte uns auf Deutsch:

„Das ist eine Art Kartoffelsuppe mit Krabben. Sehr leckere Vorspeise, wenn sie richtig gemacht wird.“

„Hast du sie schon einmal selbst gekocht?“

„Nein, Chris“, erwiderte Justin lachend, „ das würde vermutlich keiner essen mögen. Aber meine Mutter kann das sehr gut.“

Chris fragte nach.

„Kennst du denn die Zutaten?“

„Klar, ich weiß auch worauf man achten sollte, aber ich habe noch nie selbst gekocht.“

Da wusste ich sofort, was wir mit Justin mal machen sollten. Gemeinsam in der WG kochen. Überhaupt sollten wir Justin häufiger bei uns haben. Die Situation war unglücklich, da er nicht bei uns in der WG wohnen konnte. Immerhin war er ohne Eltern in einem fremden Land unterwegs. Ich stellte mir das als sehr schwierig vor.

„Dann sollten wir das mit dir mal ausprobieren. Zuerst testen wir das hier und dann kochen wir gemeinsam mal in der WG. Mal sehen, welches Ergebnis besser schmecken wird.“

Das war wieder so typisch für Chris. Er konnte sofort aus dieser Situation eine Idee entwickeln. Natürlich immer positiv in seiner Ausstrahlung. Justin schaute erst überrascht, aber begann dann zu lächeln.

„Ich werde diese Suppe jedenfalls probieren. Möchte noch jemand eine Vorspeise essen?“, fragte Chris in die Runde.

Mein Schatz schaute mich an und erwiderte:

„Ich möchte das auch testen. Wie ist das mit dir, Fynn?“

Ich war mir nicht sicher, aber andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass Justins Geschmack so ganz anders als unserer sein würde. Ich willigte also ein und auch Maxi wollte das testen. Also gab es fünfmal diese Clam Chowder Suppe.

Allerdings waren die Hauptgänge dann doch sehr unterschiedlich. Ich war sehr gespannt, was mich jetzt als Vorspeise erwarten würde.

Während wir auf das Essen warteten, hatte Chris uns ganz kurz etwas zur Auslosung erzählt und dass es bereits bei leichtem Nieselregen zu Spielunterbrechungen kommen würde. Das könnte also einen Spielfluss komplett unterbrechen und zerstören. Darauf stellte uns Chris hervorragend ein. Ich hatte mich damit noch nie auseinandergesetzt. Umso gespannter war ich jetzt, wie mir das gelingen würde.

Alle bekamen gleichzeitig ihre Suppe und ich musste zugeben, sie sah nicht nur lecker aus, sondern schmeckte auch ganz hervorragend.

„Das hätte ich so nicht erwartet, dass die Kanadier so eine leckere Spezialität haben und ich davon noch nie etwas gehört habe. Wirklich gut, diese Suppe.“

Chris war begeistert. Mir schmeckte sie ebenfalls sehr lecker, allerdings war sie auch gut gewürzt und beinhaltete eine gesunde Schärfe. Dustin mochte es eigentlich nicht gerne scharf. Umso erstaunter war ich, dass er mit seiner Suppe als Erster fertig war.

„Wow, das war richtig lecker. Kann man das auch mit Langusten oder Gambas machen? Oder geht das nur mit Krabben?“

Chris war überrascht und schaute Dustin fragend an. Es kam nicht oft vor, dass sich Dustin so direkt nach einem Rezept erkundigte. Chris Blick wanderte zu Justin, der etwas unzufrieden schien.

„Klar geht das auch mit Langusten, aber gute fangfrische Krabben sind durch nichts zu ersetzen. Am besten frisch vom Kutter. Diese hier sind etwas dürftig im Geschmack.“

Uii, Justin schien konkrete Vorstellungen zu haben, wie die Suppe zu schmecken hatte und auch zu wissen, wie man sie zubereitet.

„Okay, dann weiß ich ja mit wem ich das nächste Mal einkaufen fahre, um dann gemeinsam zu kochen. Ich nehme an, du hast ein Rezept für diese leckere Suppe im Kopf.“

Ich wusste es, Chris hatte sofort die Gelegenheit beim Schopf gepackt, Justin bei uns mehr zu integrieren. Justin schaute Chris mit großen Augen an und erwiderte:

„Klar, ich habe das Rezept von meiner Oma im Kopf. Wenn ihr wollt, mache ich das gerne mal für uns. Aber ihr müsst mir schon dabei helfen. Ich habe wenig Erfahrung beim Kochen.“

„Aber klar“, kam von uns fast gleichzeitig im Chor.

Chris lachte und Justin staunte über unsere Reaktion. Er fragte:

„Du hast anscheinend deine Truppe auch in der Küche gut angelernt, Chris.“

„Hihi, nein. Eigentlich habe ich sie nur dazu gebracht nicht zu verhungern, wenn Martina mal krank ist oder Urlaub hat. Allerdings haben wir immer sehr viel Spaß beim gemeinsamen Kochen.“

Wir sprachen noch einige Zeit über das Thema „Essen und Kochen“. Justin hatte noch nicht viele Gelegenheiten gehabt, die typisch deutsche Küche auszuprobieren. Da wäre sicher noch eine gute Möglichkeit, sich besser kennenzulernen.

Der Abend war sehr interessant und erst gegen zehn Uhr kamen wir zurück in unser Quartier. Chris hatte sich zwar schon zu Beginn den Schlüssel geben lassen, aber wir hatten es noch gar nicht in Augenschein genommen.

Es war eine kleine Ferienwohnung mit einer kleinen Küche, einem Wohnzimmer und drei Schlafzimmern. Einem Elternschlafzimmer und zwei Kinderschlafzimmer. Jetzt war ich sehr gespannt, wie Chris die Zimmer aufteilen würde. In dem einen Kinderzimmer gab es auch eine ausziehbare Schlafcouch.

Chris: Rasen ist sehr speziell

Justin wurde ganz langsam offener. Offensichtlich hatte er mit der Situation zwei schwule Teamkollegen zu haben keine Schwierigkeiten. Allerdings konnte ich spüren, dass Justin noch nicht richtig integriert war. Wie auch? Er lebte im Sportpark Hotel in einem kleinen Appartement. Dort war er viel allein und hatte wenige Chancen, die anderen Jungs außerhalb des Platzes kennenzulernen. Das wollte ich auf dieser Reise verändern.

Justin hatte die meiste Rasenerfahrung von allen. Daher sollte er bei den Trainingsspielen eine Führungsrolle bekommen. Auf Rasen zu spielen, ist einfach anders.

Lustig wurde es, als wir abends in unser Quartier fuhren und ich die Zimmer aufteilen sollte. Die Jungs konnten sich nicht einigen. Da kam ich mir wieder wie ein Kindergärtner vor, als die Diskussionen kamen.

„Leute, wo ist das Problem? Wir haben genug Zimmer und Schlafplätze. Warum müsst ihr jetzt darüber so heftig diskutieren?“

Wir standen im Wohnzimmer und alle Augen waren plötzlich auf mich gerichtet.

„Naja“, begann Maxi, „Dustin und Fynn sind unglücklich, weil sie nicht zusammen in einem Bett schlafen können.“

Ich dachte, das kann ja nicht ihr ernst sein.

„Warum das denn? Und selbst wenn es so wäre, darf das doch wohl kein ernsthaftes Problem sein. Ihr werdet es wohl auch mal schaffen, nicht ständig aufeinander zu hocken.“

Als ich das gesagt hatte, begann gerade mein Kopfkino. Das hatte ich ohne Anspielung gesagt, aber natürlich konnte man das auch anders interpretieren.

Ausgerechnet Justin fing plötzlich an zu lachen. Er bekam einen richtigen Lachflash.

„Welchen Witz hast du dir denn gerade erzählt?“, fragte ich.

Es dauerte noch einige Augenblicke bis er sich beruhigt hatte.

„Äh, sorry. Aber so, wie du es gesagt hast, könnte man meinen…, also naja…“.

„Jaa?“

Justin wurde knallrot als er merkte, dass er seinen Gedanken aussprechen sollte. Auch Fynn und Dustin wurden komischerweise rot. Sie wussten genau, was Justins Gedanken waren.

„Das kann ich jetzt nicht sagen, was ich gerade gedacht habe.“

Ich musste schmunzeln.

„Na gut, ausnahmsweise lasse ich das gelten. Allerdings verstehe ich nicht euer Problem. Oder könnt ihr schon nicht mehr ohne den anderen sein? Ich nehme das kleine Zimmer mit der Gartenterrasse. Ihr könnt das Elternschlafzimmer ruhig haben, aber euer Theater finde ich albern.“

Maxi fing an zu grinsen und auch Justin musste sich wegdrehen, um nicht wieder lachen zu müssen. Fynn und Dustin merkten auch, dass es jetzt klug war, nichts mehr zu sagen.

Ich hatte eine wunderbare, ruhige Nacht und war erstaunt, dass mich erst der Wecker aus dem Schlaf geholt hatte. Normalerweise schlief ich unterwegs sehr unruhig.

Das Frühstück würden wir auf der Anlage einnehmen. Meine Jungs sollten aber vorher noch einen morgendlichen Aufwärmlauf absolvieren. Ich lud also meine Truppe in den Bus und fuhr mit ihnen zur Anlage.

„So, die Taschen könnt ihr in die Umkleide bringen. Ihr geht direkt im Anschluss eine Runde laufen und dann treffen wir uns zum Frühstück im Catering-Bereich.“

Ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr extra zu erwähnen, dass sie sich nach dem Laufen frische Sachen anziehen sollen. Das müsste jetzt allen klar sein. Ich war gespannt, ob das klappen würde.

Im Bereich, der nur für Spieler und Trainer zugänglich war, saß ich am Rande und hatte einen guten Überblick über die Gesamtsituation. Natürlich gab es für mich ein paar bekannte Gesichter, aber die ganz großen Namen waren hier nicht vertreten. Dafür aber viele gute und junge Spieler. Die Konkurrenz für meine Jungs war groß. Ich war sehr gespannt auf die Reaktion, wenn es mit dem ersten Match losgehen würde.

Plötzlich meldete sich mein Handy. Um diese frühe Zeit sehr ungewöhnlich. Ich konnte an der Tonfolge erkennen, das musste jemand aus meiner Familie sein. Ich schaute auf das Display und tatsächlich meldete sich Jan bei mir.

„Hi Chris, seid ihr gut in Holland angekommen? Ich hoffe, Justin wird dir nicht zu viel zusätzliche Arbeit machen. Außerdem seid ihr dort mit Sicherheit zu den Geheimfavoriten zu zählen.“

„Danke der Nachfrage. Ja bislang ist alles bestens. Justin ist ein netter Junge und da sehe ich keine Probleme. Er muss sich noch etwas daran gewöhnen, nicht mehr allein unterwegs zu sein. Sonst ist hier alles im grünen Bereich. Das wir zu den Geheimfavoriten zählen, sehe ich nicht so, aber lassen wir uns mal überraschen.“

„Warte ab. Ich kenne das Tableau und denke, da geht was. Wie geht es Dustin?“

„Soweit gut. Ich glaube, es wird hier nicht schwierig werden. Erst, wenn er in Fynns Familie geht und dort wieder merkt, dass Familie etwas Unersetzliches ist, könnte es für ihn problematisch werden. Ich bin aber darauf vorbereitet.“

„Sehr gut. Ich habe noch eine Information für dich. Wenn ihr nach England auf die USA Turniere geht, wird euch Justins Vater unterstützen. Ich habe das gerade mit ihm so besprochen. Er wird also nicht nach Europa kommen, sondern ihr fliegt in die Staaten und spielt zum Schluss ein Turnier in Montreal. Danach habt ihr eine Pause. Du sollst dann deinen wohlverdienten Urlaub machen und die Jungs sollen sich erholen.“

„Oh man, ich hatte gedacht, nach England wäre eine Woche Training in Halle.“

„Ja, das war eigentlich so geplant, aber wir haben uns das überlegt, dass das so mehr Sinn macht. Ihr habt zwei Tage frei nach England und dann fliegt ihr über den Teich auf die Challenger US Tour. So kommst du schneller in den Urlaub.“

Danach sprachen wir noch etwas über die neuen Gegner auf der Challenger Ebene. Hier spielten nahezu nur Profis. Das war eine andere Qualität. Ich war skeptisch, aber mein Bruder war der Meinung, dass die Jungs mithalten könnten. Er machte mir Mut, das positiv zu sehen. Wenn es alles nach Plan laufen würde, hatte er sogar ein Turnier geplant, wo wir uns in den USA treffen würden, denn dort spielten auch die ATP-Profis in der Stadt.

Während des Gespräches war meine Truppe zum Frühstück erschienen und als ich das Handy wieder eingesteckt hatte, fragte mich Dustin:

„Willst du nicht auch langsam mal etwas essen? Wir haben nicht mehr so viel Zeit bis zum ersten Match. Wer war das denn? Muss ja echt wichtig gewesen sein, wenn du dich von deinem geliebten Frühstück abhalten lässt.“

Schmunzelnd antwortete ich:

„Ja, das war Jan mit neuen Informationen für uns. Außerdem war er neugierig, wie es euch geht. Für Justin habe ich auch eine Neuigkeit. Dein Vater wird nicht nach Europa kommen. Wir werden ihn aber dennoch bald treffen. Denn wir fliegen nach dem England Turnier in die USA und nach Kanada. Dort wird er uns treffen und unterstützen.“

Justin war einerseits verwundert, aber andererseits freute er sich, dass wir ihn von Beginn an zu den Turnieren in die USA begleiten würden. Er schien Freude daran zu finden, dass er nicht mehr so oft allein unterwegs sein musste und auch die Verantwortung teilen konnte.

Dennoch musste ich mich jetzt wieder ganz auf das Turnier in S´Hertogenbosch konzentrieren. Schließlich war in zwei Stunden bereits Beginn der ersten Hauptrunde.

Allerdings nahm ich mir ausreichend Zeit zum Frühstücken. Die Gegneranalyse machte ich nebenbei. So waren alle vier Jungs gut vorbereitet, als ich sie sich aufwärmen schickte. Und sie hatten genug Zeit bis es losgehen würde.

Alle vier spielten parallel, das war für mich natürlich gar nicht schön. Dennoch war das etwas, was auch meine Jungs lernen mussten. Auf den Profiturnieren war das häufig so, dass viele Spiele parallel laufen konnten, weil die Anlagen oft sehr viel größer waren. Es standen viel mehr Plätze zur Verfügung.

Ich hatte mir vorgenommen insbesondere Justin zu beobachten. Von ihm wusste ich am Wenigsten, denn ich hatte bisher nur zwei Matches als Referenz gesehen. Heute wurde er auf neuem Untergrund und in einer anderen Situation gefordert. Ich war sehr gespannt, wie er sich auch in das Team einbringen würde.

Maxi und Fynn musste ich nicht bis auf den Platz begleiten. Bei Dustin wollte ich bis nach den ersten drei Spielen bleiben. Er benötigte diese Begleitung, um Sicherheit zu bekommen. Justin war bislang immer allein unterwegs und sollte von daher zu Beginn auch allein zurechtkommen.

Dustin begann sein Match furios und sehr aggressiv. Damit hatte er seinen Gegner überrascht und übernahm mit 3:0 eine schnelle Führung. Per Blickkontakt signalisierte mir Dustin, dass er sich wohl fühlte. Wir hatten vereinbart, dass ich zu den anderen gehen würde, sobald er im Spiel war.

Maxi und Fynn hatten einen zähen Spielstart. Keiner konnte sich einen Vorteil erspielen und mir war klar, dass es für beide ein unangenehmes Spiel werden würde.

Justin hingegen hämmerte jeden Aufschlag gnadenlos ins Feld und spielte Serve and Volley. Das war früher eine verbreitete Art auf Rasen zu spielen. Da aber auf Weltklasseniveau die Returns immer besser wurden, hatte dieses Spiel etwas an Bedeutung verloren.

Justin servierte derart druckvoll, dass kaum ein Spiel zustande kam. Damit setzte er die Strategie auf seine Weise um. Ich hatte mit ihm besprochen, das Spiel seines Gegners zu zerstören. Dass er so gut servieren würde und damit dem Gegner keine Möglichkeit gab, sein Spiel aufzubauen, damit hatte ich nicht gerechnet.

Sehr selbstbewusst spielte Justin dieses Match. Ich war beeindruckt. Beim Stand von 6:2 für Justin wanderte ich weiter, um bei Maxi etwas zu verweilen.

Dort sah ich ein komplett anderes Spiel. Maxi war ständig in der Defensive. Allerdings blieb er ruhig und es entwickelten sich lange Ballwechsel. Das gab es auf Rasen nicht so häufig, aber er spielte einen guten Slice, den der Gegner immer wieder ausgraben musste. Auf Rasen rutschte der Slice über den Boden und wurde für den Gegner unangenehm.

Es stand 3:3 im ersten Satz und das zeigte auch, wie unterschiedlich die Matches waren.

Ich hatte mich jetzt zu entscheiden. Entweder bei Maxi den Satz zu Ende schauen und zu unterstützen oder bei Fynns Spiel vorbei zu gehen. Mir gefiel beides nicht. Ich war es nicht gewohnt von einem Match zum anderen zu springen. So konnte ich kaum in ein Match eintauchen und mitspielen. Darüber musste ich noch einmal nachdenken. Denn so war meine Möglichkeit der Unterstützung begrenzt. Ich entschied mich bei Maxi zu bleiben. Der erste Satz entschädigte mich für diese Entscheidung. Er kämpfte um jeden Punkt und spielte sich langsam frei. So gewann er sein Match dann im zweiten Satz recht glatt.

Als ich endlich bei Fynn ankam, staunte ich nicht schlecht. Dort stand Justin bereits und unterstützte ihn.

„Hey, schon fertig?“, fragte ich überrascht.

„Jap, 6:2; 6:1 gewonnen.“

Eine sehr knappe Antwort, allerdings mit einem Lächeln im Gesicht. Ich hatte noch meine Schwierigkeiten, Justin richtig einzuschätzen.

„Wow, das ist deutlich. Gratuliere. Aber ich habe doch eine Sache, die mir nicht passt. Du bist direkt nach dem Match zu Fynn an den Platz gekommen. Ohne duschen und auslaufen. Das sehe ich nicht gerne.“

„Ja, aber ich habe gedacht, du kannst nicht überall sein und vielleicht ist es für die anderen gut, wenn ich mich an einen Platz stelle.“

„Das ist auch sehr lobenswert, Justin. Dennoch riskierst du eine Verletzung dadurch. Bitte erst duschen und auslaufen, bevor du dich an den Platz stellst. Aber wenn du schon hier bist, gib mir bitte eine kurze Übersicht.“

„Fynn hat den ersten Satz gewonnen und ich glaube, dass er auch den zweiten Satz gewinnt. Er hält sich an die Strategie und das zahlt sich aus.“

„Danke, das höre ich gern. Weißt du vielleicht auch noch wie es bei Dustin weitergegangen ist? Bei 3:0 im ersten Satz bin ich gegangen.“

„Dustin ist auch schon fertig und hat gewonnen. Er ist aber duschen gegangen und wollte dann herkommen. Er hatte mich gebeten, so lange bei seinem Freund zu bleiben.“

Ach, das ist ja interessant. Dustin hatte Justin angestiftet, sich gegen die Grundregel an den Platz zu stellen, ohne geduscht zu haben. Ging selbst aber duschen. Darüber musste ich noch einmal mit allen sprechen. Das fand ich überhaupt nicht gut.

„Gut, Justin. Ich werde jetzt hierbleiben. Gehst du bitte auslaufen und duschen.“

Er nickte und kurze Zeit später kam Dustin wieder an den Platz. Er schien sich beeilt zu haben, denn er war außer Atem, als er mich fragte:

„Na, wie sieht es denn aus? Maxi hat auch gewonnen und wenn mein Schatz jetzt auch gewinnt, haben wir doch richtig gut eingeschlagen.“

„Es ist knapp, aber ich glaube Fynn kann auch gewinnen. Er spielt sehr diszipliniert und hält sich konsequent an die Strategie. Das gefällt mir gut.“

Es dauerte auch nicht mehr lange, als Justin und Maxi frisch geduscht bei uns standen. Das Match ging in die Endphase und wir konnten zeigen, dass wir ein Team waren. Jeder Punktgewinn wurde beklatscht und Fynn spürte den Rückenwind. Er gewann den zweiten Satz und damit das Match.

Eigentlich eine grandiose Vorstellung von den Jungs. Alle in der zweiten Runde, alle bekamen Weltranglistenpunkte und waren im Preisgeld. Wenn da nicht die Sache mit Dustin und Justin wäre. Wie sollte ich das regeln, ohne den Erfolg zu sehr zu schmälern? Nach kurzer Überlegung entschied ich mich, das mit Dustin in einer günstigen Situation zu besprechen, ohne es an die große Glocke zu hängen.

Also alle eine Runde weiter. Das war ein Einstand nach Maß. Ich schrieb Thorsten eine Nachricht und gab meinen Jungs bis zum Mittagessen frei. Hoffentlich würde der Zeitplan morgen günstiger aussehen. Ich war lediglich unzufrieden, weil ich die Matches nur bruchstückhaft sehen konnte. Ich war auch überrascht, dass mich das so stören würde, denn mir war das ja schon im Vorfeld klar.

Allerdings hatte es auch einen Vorteil. Ich konnte mich jetzt in Ruhe damit beschäftigen, mir Gegner anzusehen, die noch spielen mussten. Das war sonst nahezu unmöglich, weil ich ja immer bei meinen Jungs am Platz stand.

Einen Punkt gab es allerdings, der mir das Leben außerhalb des Platzes deutlich erleichterte. Justins Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, sich auf ein Match vorzubereiten, genauso wie nach dem Match eine Nachbereitung mit Auslaufen, Physio und regelmäßigen Mahlzeiten.

Meine Jungs wurden von ihm direkt mitgenommen. Da wollten sie nicht unselbstständig wirken. Ich hatte also die Ruhe, mir noch drei Spiele anzuschauen, ohne dass ich mich um die vier Jungs kümmern musste.

Erst gegen Nachmittag tauchten sie wieder bei mir auf und wir sprachen über den Ablauf am nächsten Tag. Die Nachbereitung der Spiele machte ich auch gleich mit jedem. Heute konnte das allerdings sehr kurz ausfallen, denn ich hatte nicht viel zu besprechen. Die Leistung war einfach wirklich gut gewesen.

Dustin und Fynn waren irritiert, als ich nach zehn Minuten mit der Kritik für alle bereits fertig war.

„Wow, Chris. Waren wir wirklich so gut oder hast du nicht viel von den Spielen gesehen? So wenig hast du ja noch nie zu sagen gehabt.“

„Ich denke beides. Wenn es einfach gut ist, dann muss man auch sagen können, dass es gut ist. Jetzt schauen wir aber nach vorne. Morgen wird wieder ein anstrengender Tag. Vielleicht haben wir ja etwas Glück mit dem Spielplan und ich kann mir die Spiele nacheinander ansehen.“

„Vor allem fänd ich es gut, wenn wir erst am Nachmittag spielen würden.“

Maxi wieder. Da kam der Langschläfer wieder durch. Fynn und Dustin mussten lachen. Justin grinste, aber war auch nicht abgeneigt, eher am Nachmittag spielen zu können.

Am Nachmittag hatte mich Thorsten informiert, dass wir wie geplant nach dem Turnier in Holland nach England aufbrechen können. Meinen Jungs hatte ich erlaubt, sich ein wenig umzusehen. Auch in der Stadt. Ich hatte für einen Augenblick darüber nachgedacht, ihnen klare Vorgaben zu machen. Ich tat es nicht, weil ich sehen wollte, ob sie verantwortlich damit umgehen konnten.

Dadurch verschaffte ich mir auch etwas Freiraum zu entspannen - ohne Jungs. Es tat mir gut, mal einen Abend für mich sein zu können. Allerdings schaffte ich es nicht, mich ins Bett zu legen, bevor die Jungs wieder zurück waren.

Luc: Selber fahren macht Spaß

Endlich konnte ich meinen Camaro auch selbst fahren und mit Stef, unabhängig von Mama und Papa, etwas unternehmen. Meine Schulzeit war so gut wie vorbei. Es gab eigentlich nur noch die Zeugnisübergabe.

In dem Jahr, in dem Stef noch in die Schule ging, hatte ich mich entschieden, mit dem Studium bereits zu beginnen. Wenn Stef dann auch fertig sein würde, wollte ich das Duale Studium in München aufnehmen und bei Karl die Ausbildung anfangen. Dafür würden wir nach München ziehen. Papa hatte das auch schon abgesegnet und Karl war sehr erfreut, dass ich mich nun endgültig entschieden hatte.

Heute war Sonntag und Stef und ich waren mit meinem Camaro unterwegs. Wir wollten uns mit unseren Freunden treffen und gemeinsam eine Runde mit dem Schiff auf dem Genfer See fahren. Wobei Schiff etwas übertrieben war. Es war eine kleine Motorjacht, die dem Vater eines unserer Freunde gehörte. Nichts Besonderes, aber für uns reichte es, um Spaß zu haben.

„Schatz, ich habe von Dustin eine Nachricht bekommen. Sie sind in Holland und haben heute alle ihre erste Runde gespielt.“

Wir standen vor einer roten Ampel und so konnte ich kurz auf sein Handy schauen. Wow, alle gewonnen. Das war doch was.

„Sag mal, wie weit ist dieses S´Hertogenbosch von uns weg? Ich habe doch diese Woche weniger Unterricht, weil die andere Klasse auf Klassenfahrt ist. Da fällt bei mir so viel aus, dass ich es mir erlauben könnte, den Donnerstag und den Freitag mal nicht in die Schule zu gehen.“

Ich hatte mich wohl verhört? Stef wollte in der Schule blaumachen?

„Hey, wir schwänzen keine Schule. Das fangen wir mal gar nicht an. Und wir wissen doch noch gar nicht, ob sie dann überhaupt noch in Holland sein werden. Wenn alle verloren haben, werden sie schon nach England aufbrechen. Außerdem sind das fast neunhundert Kilometer. Ich hatte ja auch schon mal darüber nachgedacht und geschaut wie weit das von hier überhaupt ist. Aber das ist mir eindeutig zu weit zu fahren. Ich habe aber eine andere Idee. Chris hat doch gesagt, sie spielen im Anschluss in England. Da hast du doch schon Ferien.“

Stef wollte mich überreden, unsere Freunde beim Turnier zu besuchen. Keine schlechte Idee, aber nicht in Holland, sondern nach Brighton wollte ich mit Stef fliegen. Ich hatte das auch schon mit Papa besprochen. Dieses Mal wollte ich Chris überraschen und nichts davon verraten. Brighton lag an der Küste Englands und war landschaftlich sehr interessant. Dort hinzufahren würde sich viel mehr lohnen.

„Wir werden das Turnier in Brighton besuchen und dort ein paar Tage an der Küste verbringen. Allerdings untersteh dich, unseren Freunden das zu schreiben. Es soll eine Überraschung werden.“

Ich musste mich wieder auf den Verkehr konzentrieren, aber Stef fing an zu lachen und erwiderte:

„Du bist ein Filou. Das ist doch nicht etwa eine Retourkutsche zu deinem Geburtstag?“

Darauf reagierte ich nicht. Stef hätte es mir eh nicht geglaubt. Also ließ ich es einfach so stehen.

Es dauerte nur noch wenige Minuten bis wir am Treffpunkt eintrafen. Es war ein kleiner Hafen für Freizeitboote am Genfer See. Nico und Tommy waren bereits vor uns da und empfingen uns.

„Hi, Luc. Na, selber fahren ist geil, oder?“

Ich schmunzelte und umarmte beide zur Begrüßung. Nico fragte mich:

„Könntest du uns nachher vielleicht nach Hause bringen? Dann müssen wir nicht auf den Bus achten und können länger bleiben.“

„Klar, kein Problem. Wie geht es jetzt weiter?“

„Wir warten auf Tim und Manuel. Manuels Vater gehört die kleine Jacht.“

Manuel war der Freund und Partner von Tim. Er war im Rennteam von Audi als Mechaniker unterwegs. Von daher war es immer etwas Besonderes, sich mit ihm zu treffen.

„Ach ja, ich erwarte noch zwei Freunde. Die kennt ihr auch schon.“

Nico zwinkerte mit den Augen und da wusste ich, dass wieder eine seiner verrückten Ideen auf uns wartete.

Als Manuel mit Tim bei uns war, stiegen wie alle auf die kleine Jacht. Manuel hatte einen Bootsführerschein und durfte als Kapitän fahren. Was ich mich aber fragte, Nico hatte doch gesagt, dass sie noch zwei Freunde erwarten, dennoch legten wir bereits ab.

„Wollten nicht noch zwei Freunde kommen Nico?“

„Ja, aber für sie ist es recht weit, mit dem Rad zum Hafen zu kommen. Daher fahren wir auf die andere Seite und treffen sie dort.“

Stef schaute mich an. Seine Augen leuchteten und ich wusste, dass er eine Ahnung hatte, um wen es sich handeln würde. Er kam zu mir und flüsterte mir ins Ohr:

„Wetten, dass wir Jens und Heiko abholen. Die wohnen doch auf der anderen Seite des Sees. Sonst wüsste ich auch niemanden, der von unseren Freunden dort wohnt.“

Ich nickte und stupste meinem Freund auf die Nase. Das würde mich wirklich sehr freuen, denn die beiden hatten wir schon länger nicht mehr getroffen. Jens war auch für einige Wochen in einer Hautklinik gewesen, um dort seine Narben behandeln zu lassen.

Wir schipperten recht gemächlich über den See und redeten über einige verschiedene Dinge. Tommy erkundigte sich nach Fynn und Dustin.

„Vielleicht wäre es geschickter damit zu warten, bis wir komplett sind. Dann muss ich das nicht doppelt erzählen.“

Tommy und Nico waren einverstanden und Manuel hatte auch schon gefragt. Er hatte bislang noch nicht viel mitbekommen, da er immer sehr viel unterwegs sein musste. Um so schöner fand ich, dass er sich heute für uns Zeit genommen hatte. Tim sah seinen Freund auch nicht so häufig.

Interessant wurde es noch einmal kurz bevor wir an dem Anleger ankamen. Manuel hatte etwas spät unsere Geschwindigkeit reduziert. Das Boot fuhr zu schnell auf den Anleger zu. Erkennen konnte ich das an der hektischen Reaktion von Manuel im Führerstand. Es ging aber alles gut. Das Boot konnte ohne Beschädigung am Steg anlegen.

Und genau wie wir es vermutet hatten, standen Jens und Heiko bereits dort und halfen beim Festmachen der Leine. Jens strahlte und auch Heiko begrüßte uns lachend mit einer Umarmung.

„Hi, wie schön, dass wir uns mal wieder treffen.“, begrüßte uns Jens.

„Hallo ihr beiden. Ja, die Freude ist auch bei uns groß. Ihr konntet ja noch nicht bei meiner Party dabei sein. Ihr seid noch etwas zu jung gewesen. Dafür machen wir uns heute einen tollen Tag.“

Ich wollte zwar beide zu meiner Party eingeladen haben, aber Papa war der Meinung, dass sie dafür noch zu jung seien. Das konnte ich sofort akzeptieren und im Nachhinein war das bestimmt richtig. Sehr gespannt war ich auf den Bericht von Jens aus der Hautklinik. Hoffentlich konnte ihm dort etwas Linderung verschafft werden.

Als wir wieder abgelegt hatten, machte Manuel von uns ein paar Bilder, die Stef sofort an Chris und seine Jungs schickte. Wir wünschten ihnen weiterhin viel Erfolg in Holland.

„Aber jetzt möchte ich von euch den Bericht über dieses Tennisprojekt hören.“, bat uns Manuel um einen ausführlichen Bericht.

„Au ja, wir auch. Wir haben ja schon einiges gehört, aber so richtig verstanden haben wir das noch nicht. Vor allem dieser Vorfall in Kitzbühel muss ja ganz übel gewesen sein. Das stand sogar hier in der Zeitung. Auch, als sich euer Vater auf der Pressekonferenz eingemischt hatte, haben wir gelesen. Aber was genau war da eigentlich passiert?“

Heiko war richtig aufgeregt als er das fragte. Ich ahnte schon, dass ich mit zwei Sätzen aus der Nummer nicht rauskommen würde.

„Also gut, ich berichte euch. Allerdings nur unter zwei Bedingungen. Die erste wäre, dass Manuel das Boot auf dem See so positioniert, dass wir dort stehen können und er nicht am Führerstand stehen muss. Und dass alles was ich euch erzähle auf diesem Boot bleibt. Es geht niemanden anderes etwas an und wir möchten weiterhin bestimmen können, wem wir davon etwas erzählen.“

Tim und Manuel schauten sich mit einem Lächeln an, während Heiko und Jens einen etwas eingeschüchterten Eindruck machten. Heiko fragte deshalb nach:

„Ist das so geheim? Ich meine, wir sind doch Freunde und es ist schon klar, dass wir das nicht groß weitererzählen.“

„Für Dustin und Fynn geht es halt um viel. Und noch ist es im Profitennis ziemlich unklar, ob sie als schwules Paar akzeptiert werden. Da liegt noch viel Arbeit vor Chris und den Jungs.“

Jens und Heiko spürten, dass es mir sehr ernst war und sie fragten nicht weiter nach und nickten nur.

Es dauerte doch einige Zeit, bis Stef und ich die ganze Geschichte erzählt hatten. Tim hatte zumindest einige Dinge schon von Nico erfahren, aber Manuel war sichtlich beeindruckt. Gerade von dem Vorfall in Kitzbühel. Für Heiko und Jens musste das richtig erschreckend gewesen sein, denn sie waren auffällig still, als ich geendet hatte.

„Wow, das ist echt eine ganz heftige Geschichte. Wie geht Chris damit eigentlich um? Ich kann mir vorstellen, dass das bei jedem Turnier wieder hochkommt. Es kann ja immer wieder passieren, zumal sie sich ja jetzt offen dazu bekannt haben, dass Dustin und Fynn ein Paar sind.“

„Da sagst du was, Manuel. Ich finde es manchmal beängstigend wie cool Chris damit umgeht. Äußerlich zeigt er wenige Veränderungen zu der Zeit vor dem Attentat, aber Mama hat mir erzählt, dass es in ihm anders aussehen würde.“

„Das glaube ich sofort. Ich wüsste auch nicht, ob ich das so einfach wegstecken könnte. Immerhin ist er ja auch ständig mit den dreien unterwegs.“

Jetzt schaute mich Stef fragend an und ich hatte begriffen, was mein Freund wollte. Aber ich schüttelte meinen Kopf. Es war nicht richtig, hier zu erwähnen, dass Chris auch schwul sei. Das sollte er selbst entscheiden, bei wem er das zum Thema machen würde. Mein Schatz hatte mich verstanden und lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema.

„Aber Luc, du hast schon bemerkt, dass dein Vater die Fähigkeiten von Chris hinter dem Lenkrad sehr gelobt hat? Ich habe so eine Ahnung, dass Marc seine Bemerkung mit dem 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife nicht nur so zum Spaß gesagt hatte.“

Oh ja, da hatte Stef allerdings ins Schwarze getroffen.

„Das habe ich sehr wohl bemerkt. Ich glaube allerdings, dass Chris das nicht für bare Münze genommen hatte. Ich befürchte, dass Papa schon dabei ist, sich etwas auszudenken. Wer weiß, was dabei herauskommt.“

„Na, das kann ich dir sagen.“, meldete sich Manuel zu Wort, „Es wird ein Team geben mit Marc, Chris und Luc. Schließlich ist er mit Luc und Leif noch kein Rennen gefahren. Mit allen anderen Kindern hat er das schon gemacht. Jetzt kannst du auch selbst fahren. Ich bin mir ganz sicher, dass er in diese Richtung etwas plant. So gut kenne ich ihn mittlerweile. Allerdings glaube ich auch, dass Leif dafür kein Interesse hat.“

Manuel hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Dafür war Papa bekannt, dass er solche Dinge fast zu hundert Prozent umsetzte. Da spielte auch Geld für ihn keine Rolle. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, verfolgte er das so lange, bis es Realität wurde. Das war mit Mick und Lukas so und wird mit mir vermutlich nicht anders sein. Ob ich das so gut fand? Ich war mir nicht sicher, denn Chris hatte er einfach mit einbezogen. Chris war zweifellos außergewöhnlich gut bei unserem Ausflug gefahren, aber Chris hatte Papas Äußerung vermutlich eh nicht für voll genommen. Wenn er sich da mal nicht täuschte.

Und schon waren wir mitten im Thema Motorsport. Manuel berichtete von den letzten Rennen und den neuen Projekten von Audi in der Formel E Weltmeisterschaft. Für Jens und Heiko war das ein Fest, denn da konnten sie mit ihrem Wissen glänzen.

Mich interessierten in diesem Moment allerdings mehr die nächsten Gegner von Dustin, Fynn, Maxi und Justin. Also suchte ich in meinem Smartphone im Internet nach der Auslosung und den nächsten Spielansetzungen. Bei meiner Suche spürte ich plötzlich die Hände von Stef an meinen Hüften und er legte sein Kinn auf meine Schulter.

„Na, hast du die Auslosung gefunden? Du kannst aber auch nicht abwarten, bis sie uns das schreiben.“

Er gab mir noch einen Kuss auf die Wange und schon musste ich lachen. Stef hatte mich durchschaut.

„Also, ich weiß ja nicht wie es bei euch aussieht, aber ich bekomme langsam Hunger und vor allem Durst.“

Typisch Tommy. Wenn er nicht hungrig war, würde er vermutlich krank sein. Aber ich bekam auch langsam ein Hungergefühl. Auf dem Boot gab es aber keine Möglichkeit sich zu verpflegen. Tim schlug vor, bei Salvatore zu Abend zu essen. Das würde nicht so weit zu fahren sein vom Anleger. Allerdings hatten wir nicht bedacht, dass Heiko und Jens noch mit dem Rad zurück fahren mussten. Und zwar von der anderen Seite des Sees. Allein die Fahrt mit dem Boot über den See würde etwa vierzig Minuten dauern.

„Habt ihr ein Auto dabei, Manuel?“, fragte ich.

„Ja, ich habe mein Auto am Anleger. Warum fragst du?“

„Na, ist doch klar. Jens und Heiko müssen zurück zu ihren Rädern. Das ist aber am anderen Ende des Sees. Wenn wir bei Salvatore fertig sind, wird es dunkel sein. Das finde ich nicht gut, wenn die beiden dann noch durch den Wald nach Hause fahren müssen. Ich würde daher vorschlagen, ihr nehmt Nico und Tommy mit nach Hause und ich bringe Heiko und Jens zu Jens Großeltern.“

Tim war nicht sehr begeistert, denn er wollte lieber direkt mit Manuel noch los ziehen. Sie hatten schließlich nicht so oft Gelegenheit, miteinander Zeit zu verbringen. Manuel hingegen konnte meiner Argumentation folgen und so wollten wir es dann auch machen. Ich würde zwar dann deutlich später nach Hause kommen, aber das war es mir wert.

Auf dem Weg zu Salvatore hatte ich Jens und Heiko noch erklärt, dass ich sie heute einladen würde. Ich wusste ja, dass Jens mit seinem Taschengeld haushalten musste. Mir tat das nicht weh, wenn ich die beiden einfach einlud. Und ich tat das, bevor sie sich Gedanken machen mussten. Also war die Stimmung in meinem Camaro recht lustig. Mit offenem Verdeck und guter Musik waren die beiden noch nicht mit Stef und mir unterwegs gewesen. Und dass ich hinter dem Steuer saß, war für mich auch noch recht neu. Entsprechend vorsichtig fuhr ich über die engen Landstraßen.

Bei Salvatore angekommen, überraschte mich Salvatore mal wieder. Er hatte uns einen schönen Tisch gegeben und als wir das Essen bestellt hatten, brachte er uns allen eine Vorspeise auf Kosten des Hauses. So war er halt. Aber nicht nur deshalb fühlte ich mich hier immer wohl. Unsere ganze Familie war für Salvatore so etwas wie Freunde geworden.

Es wurde ein lustiger Abend und was mich überraschte, Stef war sehr gelöst und entspannt. Immer wieder erzählte er von Karl aus München und dass wir dort viel Spaß hatten. Für Jens und Heiko war das natürlich besonders interessant, denn sie hatten großes Interesse an den schönen Autos bei Karl. Auch Papas Autos waren für sie ein Fest. Sie hatten einfach einen Faible für alles was entweder ein Cavallino rampante oder einen Stier auf der Haube hatte.

Nachdem wir bezahlt hatten, verabschiedete ich mich von Tommy, Nico, Tim und Manuel. Manuel fragte mich zum Schluss noch:

„Wollt ihr nicht mal zu einem Rennen der Formel E kommen? Das habt ihr doch noch nie vor Ort erlebt.“

„Warum nicht. Allerdings weiß ich nicht, ob wir ohne Papa fahren sollten. Das muss ich erst mit ihm besprechen. Momentan glaube ich nicht, dass er nur als Zuschauer wieder an eine Rennstrecke kommt.“

„Er könnte ja auch selbst mal ein paar Runden fahren. Formel E ist er ja noch nicht gefahren.“

Das sollte ich Papa vielleicht besser nicht vorschlagen. Ich wollte nicht, dass er wieder in einen Rennwagen steigt und versucht schnell zu sein. Wenn wir mal auf der Rennstrecke für uns fuhren, war das etwas anderes. Wie bei den 24 Stunden auf der Nordschleife. Da fuhr er Mick und Lukas zuliebe, nicht, weil er gewinnen wollte.

Manuel bemerkte mein Zögern und hakte auch nicht nach. Er ließ es so stehen.

Ich schloss das Auto auf und ließ Jens und Heiko hinten einsteigen. Als ich mich angeschnallt hatte, startete ich den Achtzylinder. Ich bekam immer noch jedes Mal eine Gänsehaut von dem Sound. Stef lächelte und wollte den Knopf für das Verdeck drücken.

„Warte, Stef. Es ist schon recht frisch draußen. Möchtet ihr offen fahren oder sollen wir das Verdeck geschlossen lassen? Nicht, dass ihr morgen krank seid.“

„Auf jeden Fall offen fahren. Das ist so cool, wenn dir der Wind um die Nase pfeift.“

„Ok, dann mach es auf, Stef.“

Mit einem Surren glitt das Verdeck nach hinten und verschwand komplett in der Abdeckung. Ich legte den Wählhebel auf D und dann rollten wir los. Stef drehte die Anlage auf und schon war erneut kalifornisches Sommerfeeling angesagt.

Wir waren auf halber Strecke um den See herum und man konnte die Sterne am Himmel sehen, als ich das Gefühl hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Lenkung begann Zicken zu machen. Manchmal war es normal und manchmal hakte sie einfach. Zuerst machte ich mir keine Gedanken, aber mit jedem weiteren Kilometer wurde sie immer schwergängiger und hakeliger. Ich wollte aber Stef und die anderen beiden nicht beunruhigen. Ich konzentrierte mich also und versuchte so normal wie möglich weiterzufahren. Allerdings hatte Stef es bald bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Er drehte die Musik leiser und beobachtete mich genau.

„Was für ein Problem hast du? Und sag nicht, dass alles normal ist. Ich sehe dir an, dass du mit dem Auto Schwierigkeiten hast.“

Allerdings hatte er es sehr leise gesagt, so dass Heiko und Jens nichts davon mitbekommen hatten. Ich traute mich nicht, den Blick von der Straße zu nehmen und antwortete angespannt:

„Mit der Lenkung stimmt etwas nicht. Sie zickt richtig rum. Mal funktioniert sie normal, aber manchmal ist es total schwergängig.“

„Warum hältst du nicht an? Es ist doch gefährlich mit einer defekten Lenkung weiterzufahren.“

Anhand seiner Stimmlage konnte ich Angst spüren. Ich sah es noch nicht so dramatisch, aber dass Stef Angst verspürte, machte mich nachdenklich. Ich beschloss bei der nächstbesten Möglichkeit anzuhalten. Einige hundert Meter später kam ein kleiner Waldparkplatz. Dort stellte ich den Camaro ab.

„Was ist los, Luc? Gibt es ein Problem?“, fragte Heiko verwundert.

„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht. Ich muss mal etwas nachschauen. Bleibt bitte im Auto sitzen.“

Ich öffnete die Motorhaube und was ich dort zu sehen bekam, sah ganz und gar nicht gut aus. Überall war Flüssigkeit im Motorraum verteilt. Das war definitiv nicht normal. Ich konnte recht schnell herausfinden, dass es sich nicht um Motoröl handelte. Aber in der Dunkelheit konnte ich sonst nichts weiter herausfinden.

Stef stand neben mir, als ich mich wieder aus dem Motorraum aufrichtete. Ich atmete tief aus und wusste was zu tun war. Weiterfahren war zu gefährlich. Ich wollte einfach nicht riskieren, dass ich einen Unfall verursachen könnte. Vor allem, weil ich die Ursache für das Problem nicht feststellen konnte.

„Wir sollten nicht weiterfahren. Vielleicht ist die Lenkung defekt. Mama würde mir in den Hintern treten, wenn deswegen ein Unfall passieren würde.“

„Nicht nur deine Mama, Marc würde auch sauer sein. Was machen wir jetzt. Zum Laufen ist es zu weit. Wir stehen mitten im Wald.“

„Nein, ich versuche Papa anzurufen. Vielleicht kann er ja herkommen und Werkzeug mitbringen.“

„Im Dunkeln willst du doch nicht versuchen zu reparieren? Das ist nicht dein Ernst.“

Mein Schatz fing an sich aufzuregen und leicht panisch zu werden. Das konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Ich ging deshalb zur Fahrerseite und erklärte Heiko und Jens die Lage. Dann nahm ich mein Handy und wählte Papas Nummer. Innerlich war ich sauer. Immerhin hatten wir den Camaro komplett neu aufgebaut. Er sollte technisch einwandfrei sein. Nicht umsonst hatte Papa eine große Summe investiert.

„Luc, was gibt es?“

„Papa. Sorry, dass ich so spät noch anrufe, aber wir haben ein Problem mit dem Auto.“

„Mit welchem Auto? Mit deinem?“

„Ja, leider mit dem Camaro. Die Lenkung spinnt und hakt manchmal. Es wird immer schlimmer und ich traue mich nicht weiterzufahren.“

Für eine Sekunde war Stille am anderen Ende. Ich konnte mir vorstellen, dass Papa auch sauer war. Aber dann kam eine klare Ansage:

„Wo seid ihr jetzt? Schon auf dem Heimweg?“

„Nein, wir haben noch Heiko und Jens im Auto und wollten die nach Hause bringen. Wir stehen mitten im Wald auf einem kleinen Parkplatz. An der Route de Grens nach Trélex.“

„Ah ok. Ich weiß glaube ich, wo das ist. Hast du schon einmal im Motorraum geschaut, ob etwas zu erkennen ist?“

„Ja, Papa. Der Motorraum ist vollkommen zugesaut mit einer Flüssigkeit. Aber es ist kein Motoröl. Aber hier ist es total dunkel und ich kann nichts genau erkennen. Was soll ich jetzt machen? Jens und Heiko kann ich doch nicht zu Fuß losschicken. Oder kann ich damit weiterfahren?“

„Auf keinen Fall fährst du mit einem Auto weiter, dass eine defekte Lenkung hat. Bis jetzt hast du alles richtig gemacht. Ich mache mich sofort auf den Weg und bringe etwas Werkzeug mit. In einer halben Stunde bin ich bei euch. Ruf du bitte bei Jens Großeltern an, dass alles in Ordnung ist und sie etwas später kommen. Ich werde sie nach Hause bringen.“

„Okay, danke Papa. Wir warten also hier.“

Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche und erklärte den anderen die Lage. Stef beruhigte sich schnell wieder, als ich gesagt hatte, dass Papa herkommen würde.

Etwa vierzig Minuten später stand Papa mit mir vor meinem Camaro und schaute mit einer großen Taschenlampe in den Motorraum. Ich hatte die Vermutung, dass es die Servolenkung sein könnte, die undicht war. Jetzt legte er sich unter den Wagen und plötzlich rief er:

„Ah, da ist das Leck. Ich hab die Ursache gefunden, Luc. Es ist die Servopumpe der Lenkung. Allerdings, warum sie undicht ist, kann ich so nicht erkennen.“

Er kam unter dem Auto wieder hervor und machte sich mit einem Handtuch die Hände sauber.

„Also, das ist hier nicht zu reparieren. Das wird nur in der Werkstatt gehen. Das Auto muss auf die Bühne und dann erst einmal gereinigt werden.“

„Scheiße, ausgerechnet mir muss das passieren. Die ganze Zeit war alles bestens und kaum fahre ich allein los, geht was kaputt.“

Ich war sauer und auch enttäuscht. Schließlich wollte ich Jens und Heiko sicher nach Hause bringen.

„Reg dich ab. Das ist mit alten Autos eben so. Sie können noch so gut restauriert sein, aber es ist immer noch alte Technik. Da geht mal etwas kaputt. Das ist kein Beinbruch. Morgen bringen wir das in Ordnung. Jetzt bringe ich zuerst einmal Jens und Heiko weg und dann kümmern wir uns um den Camaro.“

Was mich wunderte, er machte keine Anstalten uns ebenfalls mitzunehmen. Erst als Stef gefragt hatte, erklärte Papa uns seinen Plan. Er wollte den Camaro auf keinen Fall hier stehen lassen. Wie das gehen sollte, war mir allerdings noch nicht klar. Er stieg in den Cadillac von Mama und fuhr fort. Stef und ich blieben allein zurück.

„Hast du eine Ahnung wie das gehen soll? Warum hat er uns jetzt nicht auch gleich mitgenommen?“

„Ich habe eine Ahnung, Stef. Aber genau weiß ich das auch nicht. Papa möchte den Camaro auf keinen Fall hier über Nacht stehen lassen. Vielleicht will er ihn abschleppen oder er möchte noch eine Notreparatur machen. Keine Ahnung was er vorhat. Er wird es uns ja gleich erklären.“

Wir setzten uns in den Camaro und machten leise Musik an. Die Zeit nutzte Stef, um mit mir etwas zu kuscheln und den Sternenhimmel anzuschauen. Er hatte ein gutes Händchen, um mich abzulenken. So kam es mir gar nicht mehr in den Sinn, mich aufzuregen.

Als Papa zurückgekommen war, öffnete er zuerst den Kofferraum und holte eine Werkzeugkiste heraus. Ich war erstaunt, denn er hatte ja eben noch gesagt, dass hier eine Reparatur nicht möglich sei.

„Was hast du jetzt vor? Ich dachte wir können das nicht hier reparieren.“

„Ganz ruhig, Luc. Ich werde nur den Keilriemen für die Servolenkung abbauen. Dann wird zwar die Lenkung schwergängig, aber sie arbeitet wieder gleichmäßig. Du fährst dann Mamas Auto und ich werde langsam mit deinem Auto in unsere Werkstatt fahren. Ich weiß, wie ich damit umgehen muss.“

„Ist das denn auch wirklich sicher?“, fragte Stef sofort.

Papa lächelte und antwortete:

„Ja, Stef. Keine Sorge, ich würde nicht damit fahren, wenn es gefährlich wäre. Ihr könntet entweder direkt nach Hause fahren oder ihr fahrt langsam hinter mir her, falls doch noch etwas passieren sollte.“

„Ich fahre mit Sicherheit nicht nach Hause. Wir werden dir folgen, damit wir sicher sind, dass du heile ankommst und nichts weiter passiert.“

Allein auf die Idee zu kommen, dass ich mit Stef wegfahren könnte, ärgerte mich. Auf keinen Fall würde ich Papa allein mit dem kaputten Auto fahren lassen.

Papa bat mich, die Taschenlampe zu halten, während er schnell den Keilriemen von der Servopumpe abbaute. Er packte den Riemen und die Werkzeugkiste in den Kofferraum und stieg in meinen Camaro.

„Wie wollt ihr es jetzt machen? Fahrt ihr hinter mir her oder direkt nach Hause?“

„Papa, wir folgen dir und passen auf, dass du heile ankommst. Vielleicht ist es ja doch ein größeres Problem und du kannst doch nicht weiterfahren.“

„Also gut, dann bitte einsteigen und abfahren. Ich möchte gern wieder nach Hause.“

Papa startete den Motor und rollte bereits vom Parkplatz, als Stef und ich in den Cadillac stiegen.

„Dein Vater hat es wohl eilig.“

„Ich weiß auch nicht, warum er jetzt so eine Eile hat. Komm, wir fahren schnell hinterher.“

Etwa vierzig Minuten später bogen wir in unsere Einfahrt zur Werkstatt. Dort stellten wir den Camaro ab und Papa stieg zu uns in den Cadillac.

„Willst du nicht fahren?“, fragte ich.

Papa war bereits hinten eingestiegen und antwortete lachend:

„Unsinn, du sitzt doch schon hinter dem Lenkrad. Bring uns einfach nach Hause. Ich möchte so langsam ins Bett.“

Als ich das Auto wenig später in unserer Garage abgestellt hatte, bedankte ich mich für Papas Hilfe.

„Passt schon, Luc. Ich freue mich, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast und nicht einfach weitergefahren bist. Jetzt gehen wir aber ins Bett und beim Frühstück sprechen wir dann über die Reparatur.“

Immer noch etwas aufgeregt ging ich mit meinem Schatz zu uns in die Wohnung. Dort machte mir Stef noch einen Ingwertee und es dauerte auch nicht mehr lange, bis ich entspannt mit meinem Schatz ins Schlafzimmer gehen konnte.

Chris: Erstaunlicher Verlauf

Meine Jungs hatten mich nicht enttäuscht und waren pünktlich zurück gewesen, so dass wir heute mit besten Voraussetzungen in die zweite Runde starten konnten. Der Zeitplan war auch viel besser für mich. Ich konnte Justin und Fynn komplett schauen, da Dustin und Maxi parallel spielen mussten und Justin als erster und Fynn als letzter auf den Platz ging. Das würde für mich zwar ein langer Tag werden, aber ich konnte dadurch meine Jungs besser unterstützen.

Beim Frühstück waren alle gut gelaunt und ich hatte die Gegneranalyse bereits beendet, als ich mir noch eine Tasse Tee eingoss. Meine Jungs wollten so schnell wie möglich an die Anlage, während ich eher noch etwas im Quartier bleiben wollte. Wir hatten genügend Zeit und die Ruhe würde für die Jungs besser sein, als sich schon wieder in den Trubel des Turniergeschehens zu stürzen.

„Wollen wir noch nicht los?“, fragte mich Dustin sichtlich aufgeregt.

„Warum sollten wir? Schau mal auf die Uhr. Ich werde in Ruhe den Tee trinken und ihr könnt euch entspannen. Was wollt ihr so früh auf der Anlage?“

„Justin wollte noch auf einen Trainingsplatz und wir eigentlich auch.“

„Komm mal wieder runter. Du gehst jetzt los und holst mal alle hier am Tisch zusammen.“

Ich war etwas genervt, denn sie hätten eh keinen Platz bekommen. Außerdem war das ganz klar meine Aufgabe, den Tag zu strukturieren und sich um die rechtzeitige Trainingsmöglichkeit zu kümmern.

Einige Augenblicke später standen alle vier Jungs um den Tisch, während ich in Ruhe meinen Tee trank und noch etwas im Internet die Nachrichten las.

„Was gibt es denn, Chris?“, fragte Maxi.

Ich schaute über meinen Laptop hinaus und musste grinsen. Jetzt wollte ich meinen Jungs demonstrieren, dass ich einen genauen Plan hatte und sie den nicht außer Kraft hebeln könnten.

„Setzt euch.“

Sie schauten sich fragend an und für einen Moment zögerten sie, bis ich mit Nachdruck sagte:

„Setzt euch bitte hin. Was wird das jetzt? Wer gibt hier die Zeiten und Strukturen vor und warum ist das wohl so?“

Es herrschte Schweigen am Tisch. Sie schienen begriffen zu haben, dass ich heute zum ersten Mal überhaupt nicht bereit war, von meinem Plan nur einen Millimeter abzuweichen. Es rumorte aber in ihnen. Insbesondere Justin schien mit meinem Verhalten Probleme zu haben. Er war es auch, der zuerst sein Schweigen brach:

„Ich möchte aber gern vor meinem Match etwas trainieren. Warum möchtest du das nicht?“

„Sagt mal, habt ihr heute irgendwas eingenommen? Ich habe euch immer rechtzeitig einen Trainingsplatz organisiert und euch gut vorbereitet. Warum sollte ich das heute anders machen? Nur weil ihr heute alle erst später spielt, müsst ihr nicht am Rad drehen. Ich werde in Ruhe meinen Tee austrinken, meine Tasche packen und euch dann zur Anlage bringen. Falls ihr das vergessen haben solltet, ich habe den Schlüssel für den Bus und ihr keinen Führerschein. Noch bessere Argumente dürfte es kaum geben, weshalb ich den Zeitpunkt des Aufbruchs festlege.“

Vor meinem letzten Satz musste ich mir das Lachen schon verkneifen, aber als ich fertig war, konnte ich befreit auflachen. Die Gesichter meiner Jungs veränderten sich von entgeistert nach lachend.

Jetzt war allen, auch Justin klar, dass er hier über das Ziel hinausgeschossen war und alles im grünen Bereich war. Wenige Minuten später saßen wir gemeinsam im VW-Bus und ich spürte die Spannung bei den Jungs.

„Leute, was ist eigentlich los bei euch? Irgendwie seid ihr komisch drauf.“

„Hm, ja. Das könnte sogar sein.“, antwortete Maxi, „wir wollten dich vorhin nicht ärgern oder gar deine Kompetenz anzweifeln, aber Justin hatte gesagt, dass er gerne ausreichend früh auf einen Trainingsplatz wollte.“

„Gut, das ist ja auch in Ordnung. Allerdings eine Frage. Wer kann denn die Trainingsplätze ordern? Ihr oder ich?“

„Natürlich du, aber wir haben gedacht, du machst das immer erst vor Ort.“

„Richtig, ich mache das vor Ort. Aber bereits gestern. Wenn ich erst heute damit ankommen würde, sähe es schlecht für euch aus.“

Ich konnte im Rückspiegel sehen, dass sich Justin immer weiter in seinen Sitz verkroch. Er schien zu merken, dass sein Verhalten nicht so gut angekommen war. Dennoch hatte ich von den anderen noch nicht einmal Kritik an Justin gehört. Ich hatte mir vorgenommen, das Ganze jetzt auf sich beruhen zu lassen und die Jungs auf ihr Match zu fokussieren.

„Jetzt lasst uns das einfach mal so stehen und wieder auf die wesentlichen Dinge schauen. Ihr könnt, nachdem ihr euch aufgewärmt habt, direkt auf Platz zehn gehen. Der steht uns für zwei Stunden zur Verfügung. Zuerst sollte sich Justin richtig einschlagen.“

Das sollten Maxi und Dustin übernehmen. Maxi und Dustin würden parallel spielen. Sie könnten sich im Anschluss richtig aufwärmen. Wie das mit Fynn sein würde, hatte ich mir noch nicht überlegt. Das wollte ich kurzfristig entscheiden.

Nachdem ich uns im Turnierbüro angemeldet hatte, bestellte ich mir etwas zu trinken und machte einen Rundgang über die Anlage. Mir war es wichtig, einen gesamten Überblick zu haben und die Stimmung aufzunehmen.

Beruhigend zu sehen war, dass sich meine Jungs normal einschlugen und ich nicht viel am Platz sagen musste. Lediglich Fynn hatte sich Gedanken gemacht und äußerte sich, als er neben mir am Zaun stand:

„Wer wird sich anschließend mit mir einschlagen? Die anderen werden doch dann schon auf dem Platz sein.“

„Ich kann es dir noch nicht genau sagen, aber es wird jemand machen. Ganz sicher. Du hast aber noch genug Zeit, da wäre es unsinnig sich jetzt schon richtig einzuschlagen und dann wieder kalt zu werden. Könntest du für mich bei Dustin bleiben bis du dich einschlagen gehst? Ich würde dann bei Maxi bleiben, wenn Justin fertig ist.“

„Klar, kein Problem. Was denkst du eigentlich über unsere Chancen? Immerhin haben wir alle schon die erste Runde überstanden und Punkte für die Weltrangliste gemacht.“

„Fynn, diese Frage ist blöd. Ihr habt immer Chancen, weil ihr gut seid. Wenn es euch gelingt, das abzurufen was ihr könnt, kann noch die eine oder andere Überraschung kommen. Macht euch nicht diesen Druck. Ich weiß auch so, was ihr könnt.“

„Du hast doch sicher mit Thorsten schon gesprochen. Ist er zufrieden mit uns?“

„Fynn, natürlich spreche ich während unserer Reisen mit Thorsten, aber warum machst du dir jetzt so einen Kopf darüber? Du musst gleich auf den Platz und dort alle Energien einsetzen können. Wenn euch das beschäftigt, können wir gern heute Abend gemeinsam darüber reden, aber nicht vor einem Match.“

Er nickte stumm und schaute auf den Platz.

„Was ist dein Problem? Warum sagst du mir nicht einfach, was dich gerade wirklich beschäftigt.“

Er drehte sich wieder zu mir.

„Manchmal habe ich das Gefühl, ich schaffe es nicht, die Erwartungen zu erfüllen. Klar, du sagst uns zwar immer wieder, dass ihr keine Erwartungen habt, aber kannst du das nicht verstehen, dass ich trotzdem Erfolg haben möchte und gute Ergebnisse zeigen will.“

„Natürlich kann ich das verstehen und wäre sicher auch verwundert, wenn du das nicht möchtest. Meine Aufgabe besteht aber darin, euch diesen Druck abzunehmen. Ihr sollt euch auf das Tennis konzentrieren. Klar, ich weiß auch, dass das nicht ganz auszublenden ist. Dennoch solltest du dir den Spaß erhalten. Denn nur dann wirst du deine beste Leistung zeigen können.“

„Du bist also wirklich nicht enttäuscht, wenn wir jetzt alle rausfliegen würden und es direkt nach England geht?“

„Wenn ich sehe, dass ihr euch bemüht und alles für den Erfolg gebt, dann bin ich bestimmt nicht enttäuscht. Mehr als den vollen Einsatz kann ich nicht erwarten. Wenn es dann noch nicht reicht, macht mich das nicht traurig. Im Gegenteil, ich bin beruhigt, dass sich alles normal entwickelt und nicht noch schneller geht.“

„Weißt du, Chris, es ist einfach toll mit dir zusammenzuarbeiten. Ich habe noch nie so ein gutes Gefühl bei einem Turnier gehabt, wie heute. Irgendwie wird die Sicherheit immer größer und ich bin selbstbewusster als noch vor einigen Wochen. Trotz meiner Zweifel. Es hört sich vielleicht albern an, aber ich möchte einfach mal Danke sagen.“

Er kam auf mich zu und umarmte mich einfach am Platz. Eine tolle Geste, die mir eine Gänsehaut machte. Das hatte mich einfach überrascht. Ich brauchte auch nichts mehr dazu zu sagen, denn jedes Wort wäre hier fehl am Platz gewesen.

Dustin hatte es mitbekommen und lächelte als er an die Bank kam, sagte aber nichts. Dennoch konnte ich es an seinen Augen erkennen, dass er froh über die Reaktion von seinem Freund war. Mir war in dem Moment klar, dass sie darüber gesprochen hatten.

Eine Stunde später wurde es für Justin ernst. Er hatte einen Gegner, der zwar auf dem Papier deutlich höher in der Rangliste stand, aber den ich für schlagbar hielt. Mal sehen, wie sich das Spiel entwickeln würde. Justin machte wie immer einen fokussierten Eindruck. Dennoch konnte ich auch Nervosität erkennen. Er konnte das gut kaschieren, aber für mich nicht gut genug. Dustin und Maxi fanden Justin immer besonders cool und bewunderten ihn dafür. Ich hatte mittlerweile begriffen, dass das nur äußerlich gespielt war.

Der erste Satz verlief sehr spannend. Leider hatte Justin Pech mit seinem Material. Er hatte schon zwei Saiten zerlegt und nur noch einen Schläger. Hoffentlich würde ein Schläger rechtzeitig vom Saitenservice zurückkommen.

Dennoch konnte er diesen Satz für sich entscheiden. Ich holte Fynn zu mir.

„Kannst du bitte einen Schläger von dir holen. Justin hat nur noch den Schläger, den er gerade spielt. Die anderen sind beim Service.“

„Klar, aber er spielt doch ein ganz anderes Modell. Das geht doch nicht so einfach.“

„Besser einen anderen Schläger, als gar keinen mehr und aufgeben. Los, geh bitte deinen Schläger holen.“

Justin half der Satzgewinn enorm. Sein Selbstbewusstsein stieg weiter und er spielte seinen Gegner an die Wand. Bis zum 5:2 im zweiten Satz. Dann passierte genau das, was ich befürchtet hatte. Sein letzter Schläger ging kaputt und die anderen waren noch nicht fertig. Er stand ratlos an seiner Tasche und blickte zu mir. Ich hatte mich schon auf den Weg an die Bank gemacht und gab ihm Fynns Racket. Er war sichtlich erstaunt über meine sofortige Reaktion, nahm den Schläger und ging direkt wieder auf den Platz. Jetzt war ich sehr gespannt wie er damit zurechtkommen würde.

Die ersten beiden Spiele waren sehr schwierig und gingen auch beide an seinen Gegner. Es stand also 5:4. Justin blieb aber ruhig und versuchte, sich an den Schläger zu gewöhnen. Er hatte jetzt eigenen Aufschlag und ich hatte ihm beim Seitenwechsel den Rat gegeben, alle Konzentration auf seinen Aufschlag zu legen. Das befolgte er beeindruckend und machte zwei Asse und zwei Service-Winner. Damit kam kein Ballwechsel zustande und Justin hatte den ersten Satz gewonnen.

Fynn stand wieder neben mir und staunte.

„Wow, was hast du Justin beim Seitenwechsel gesagt? Das hat ja Wunder gewirkt.“

„Hihi, nein. Ganz bestimmt kein Wunder. Könntest du bitte mal zum Saitenservice gehen und schauen, ob Justins Schläger mittlerweile fertig sind.“

„Klar, mache ich. Übrigens gehen Maxi und Dustin gleich jeweils auf den nächsten freien Platz.“

„Gut, danke für die Info. Dann schau bitte beim Saitenservice vorbei und geh anschließend zu Dustin. Er möchte gern von Beginn an jemanden am Platz haben.“

„Da sag ich nicht nein. Ich glaube, dass mein Freund sich über meine Anwesenheit freut.“

„Scherzkeks. Los zisch ab und bring Justin bitte einen Schläger mit.“

Ich schubste ihn leicht und lachend verschwand Fynn in Richtung Besaitungsservice.

Auf dem Platz sah es leider nicht so positiv aus. Justin hatte doch recht große Probleme, mit dem fremden Schläger zu spielen. Dennoch bemühte er sich weiterhin und verschenkte keinen Punkt. Hoffentlich war einer seiner Schläger bald fertig.

Fynn schrieb mir eine Whatsapp Nachricht, dass der Schläger in zehn Minuten fertig wäre. Das hörte sich gut an. Dann würde ich selbst den Schläger holen, damit Fynn bei Dustin bleiben konnte.

Positiv überraschte mich Justins äußerliche Ruhe. Obwohl es ihm nicht gelang den zweiten Satz zu gewinnen und er in einen dritten Satz musste, blieb er fokussiert. Dass dieser Eindruck täuschte, kam ans Tageslicht, als ich ihm seine Schläger in der Satzpause zurückbrachte. Zwei Schläger waren fertig geworden.

„Ah, endlich. Sorry, aber mit Fynns Schläger komme ich überhaupt nicht klar. Klar, besser als gleich aufgeben, aber.....“

„Hey, alles ist gut. Ich finde es mega cool, wie du es dennoch versucht hast. Jetzt hast du deine Waffen zurück und im dritten Satz geht es wieder vorwärts. Ich glaube an dich. Taktisch hast du das im ersten Satz gut gespielt.“

Er lächelte als ich das gesagt hatte und dann schlugen wir uns noch ab und es ging in den dritten Satz.

Bei Dustin hatte ich auch einmal kurz geschaut. Dort war es ausgeglichen. Maxi war mittlerweile auch auf den Platz gegangen und schlug sich ein. Ich hatte mich entschieden, mich selbst mit Fynn einzuschlagen. Dabei konnte ich ihm am besten ein Gefühl von Sicherheit geben. Justin würde vermutlich bis dahin fertig sein und bei den anderen beiden wäre es noch nicht in der entscheidenden Spielphase.

Für mich bedeutete das allerdings wieder ziemlichen Stress. Ich hatte wenig Zeit zum Verschnaufen. Von daher war die Abwechslung mit Fynn auf den Platz zu gehen, willkommen.

Der dritte Satz bei Justin wurde eine echte Demonstration seiner Fähigkeiten. Er ließ seinen Gegner nicht einen Breakball erspielen und gewann den Satz mit 6:2. Damit hatten wir den ersten Achtelfinalteilnehmer bei einem Future Turnier auf Rasen. So könnte es weitergehen. Ich gratulierte Justin kurz zu seinem Sieg und machte mich dann auf den Weg zu Dustins Spiel. Aber ich wollte mit Fynn über das Einschlagen sprechen.

„Hi, Chris. Wie hat Justin gespielt?“, flüsterte Fynn.

„Sehr gut und gewonnen. Nach dem nächsten Seitenwechsel möchte ich mit dir sprechen. Kannst du dann bitte von der Bank zu mir kommen.“

Er nickte kurz und ich begab mich zwei Meter weg vom Platz. So hatte ich einen besseren Überblick. Wenige Minuten später kam Justin mit seiner Tasche über der Schulter zu mir.

„Wie steht es bei Dustin? Maxi führt im ersten Satz ein Break vor.“

„Es ist sehr knapp. Dustin spielt aber klug.“

„Ok, muss ich heute noch ein Spiel machen?“

„Nein, ab Future Turnieren wird nur ein Einzel pro Tag gespielt. Du kannst dich also auslaufen und in Ruhe duschen gehen.“

„Ok, und wer schlägt gleich Fynn ein?“

In diesem Moment kam Fynn von der Bank zu uns.

„Ich werde Fynn einschlagen und dann zu Maxi gehen. Wenn du mit duschen fertig bist, kümmerst du dich bitte weiter um Dustin. Ich gehe davon aus, dass Maxi früher fertig ist als Dustin. Somit kann ich dann im Anschluss bei Fynn bleiben.“

„Echt jetzt? Du gehst mit mir auf den Platz? Cool.“

Justin wunderte sich auch, aber lächelte nur. Fynn hingegen drehte richtig auf. Er freute sich wie ein Schneekönig. Das verstand ich jetzt zwar nicht, aber ließ ihm seine Freude.

Eine halbe Stunde später war ich dabei Fynn einzuschlagen und schwitzte schon ordentlich. Fynn war voll konzentriert und das gefiel mir sehr gut. Solange ich nicht viel laufen musste, konnte ich auch sein Tempo gut mithalten.

Plötzlich tauchten Dustin und Justin bei uns am Platz auf. Fynn hielt sofort den Ball an und fragte nervös:

„Schatz, was ist los? Warum bist du schon fertig?“

Ich war auch irritiert, aber blieb ruhig. Dustin grinste verdächtig. Da wusste ich, dass er zumindest gewonnen hatte.

„Ja, alles gut. Beruhig dich wieder. Bei mir ist alles in Ordnung, aber mein Gegner hat sich im zweiten Satz verletzt und musste aufgeben. Ich kann also dein Spiel komplett verfolgen. Maxi hat allerdings sehr zu kämpfen.“

Schön, dass sie sich gegenseitig unterstützten, ohne dass ich etwas sagen musste. Ich wusste jetzt, dass es gut wäre, wenn ich zu Maxi an den Platz gehen würde.

„Dustin, du hast noch nicht geduscht. Könntest du Fynn weiter einschlagen, dann kann ich Maxi coachen.“

Es war eine rhetorische Frage, denn sofort stand Dustin auf dem Platz und gab seinem Freund noch einen Kuss. Danach löste er mich ab.

Maxi: der „schwere Arm“ hat mich heimgesucht

Einfach zu ärgerlich. Ich hatte im ersten Satz mit einem Break geführt und bei 5:3 zum Satzgewinn aufgeschlagen. Bis dahin war es ein gutes Spiel und ich war sehr zufrieden mit mir. Allerdings hatte ich bei 30:0 gedanklich den Satz schon abgehakt. Ein Anfängerfehler, denn ich gab das Spiel noch ab und mein Gegner brachte seinen Aufschlag zum 5:5 durch. Das war eigentlich eine Situation, wie ich sie schon oft hatte. Jedenfalls kein Grund nervös zu werden.

Nervös war ich auch nicht, aber ich war nicht in der Lage vernünftig aufzuschlagen und gab das nächste Aufschlagspiel zu null ab. Es war frustrierend und seit langer Zeit habe ich mich allein und hilflos auf dem Platz gefühlt. Chris war bei den anderen, weil sie sich schon in der Endphase ihres Matches befanden. Ich war auf mich allein gestellt. Eigentlich auch nichts Ungewöhnliches, das hatte ich schon häufig erlebt. Dennoch fühlte ich mich nicht gut. Vor allem, als dann der Satz mit 5:7 auch noch verloren ging, war ich echt frustriert. Ich saß auf der Bank und hing meinem guten Spiel zu Beginn nach. Plötzlich tauchte Chris an meiner Bank auf. Toll, er hätte ja auch ruhig zehn Minuten früher erscheinen können. Er schien es zu ahnen, dass ich gerade ganz schlechte Laune hatte.

„Na, was hab ich dir denn getan, dass du mich mit so einem bösen Blick empfängst.“

„Hättest du nicht zehn Minuten früher kommen können? Vielleicht hättest du den Verlust des Satzes dadurch verhindert.“

„Hätte ich für dich spielen sollen? Oder wie stellst du dir das vor? Du spielst das Spiel. Ich kann dir höchstens eine Richtung aufzeigen, gehen musst du schon selbst.“

Chris fing dabei an zu schmunzeln. Natürlich hatte er recht. Ich bin zu dumm gewesen, aber es war einfacher für mich zu sagen, dass Chris nicht da gewesen ist, als ich ihn brauchte.

Chris hatte neben mir auf der Bank Platz genommen und schon fühlte ich mich wieder besser. Allein seine Anwesenheit beruhigte meinen zittrigen Arm. Mit drei präzisen Fragen erkundigte er sich nach dem Spielverlauf und nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens, gab mir Chris zwei Sätze mit auf den Weg:

„Los, geh auf den Platz und spiel. Es ist nur ein Spiel und du kannst und wirst es gewinnen.“

Danach zwinkerte er mir zu und hielt mir seine Hand hin. Für einen Augenblick hatte ich nicht begriffen was er von mir wollte. Dann schlug ich ein und wusste, es konnte nur besser werden.

Es war unglaublich, aber seit Chris an meinem Platz stand, konnte ich mich wieder ausschließlich auf mein Spiel und die Strategie konzentrieren. Schwierig wurde es beim Spielstand von 5:3 für mich. Die Gedanken an den ersten Satz kamen zurück. Chris reagierte direkt und gab mir klare Hinweise.

Nachdem ich dann einfach nur das gemacht hatte was Chris vorgab, hatte ich den Satz mit 6:3 gewonnen. Wie war das nur möglich, dass Chris mir mit wenigen Worten und seiner bloßen Anwesenheit die Angst nahm, Fehler zu machen.

Der dritte Satz verlief ähnlich wie der zweite. Ich konnte das Spiel gut zu Ende spielen und gewinnen. Chris gratulierte nur kurz und war direkt verschwunden. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit zu fragen, warum im ersten Satz der „schwere Arm“ plötzlich auftauchte.

Ich hatte schnell meine Sachen genommen und war in der Umkleide verschwunden. Auf den Hinweis erst auslaufen und duschen, bevor ich bei den anderen zuschauen würde, hatte ich keine Lust mehr. Chris würde sich schon um Fynn kümmern.

Dennoch ging mir während des Duschens einiges durch den Kopf. Nachdenklich ging ich zum Platz von Fynn. Dort waren bereits alle beisammen. Chris stand direkt in der Ecke am Platz. Dustin und Justin hatten sich etwas zurückgezogen. Das wunderte mich allerdings. Dustin blieb nicht bei seinem Freund am Platz. Chris machte einen wie immer ruhigen Eindruck. Allerdings konnte ich recht schnell erkennen, dass es für Fynn nicht so lief wie geplant. Chris schüttelte hin und wieder leicht, fast unerkennbar, seinen Kopf. Er war unzufrieden mit Fynn.

„Hi Maxi, Glückwunsch. Chris hat gesagt, du hast gut gespielt.“

Das erstaunte mich, als Justin mich mit diesem Satz begrüßte. Ich hatte nicht unbedingt das Gefühl, gut gespielt zu haben. Justin gratulierte mir und ich revanchierte mich, denn er hatte ja auch gewonnen.

Dustin war zu sehr mit dem Match seines Freundes beschäftigt und bemerkte mich gar nicht. Fynn lag zurück und spielte mit einer hohen Fehlerquote. Ich wunderte mich über Fynns Art zu spielen. Aggressiv und druckvoll, das war so nicht besprochen. Es kamen kaum Ballwechsel zustande. Ich hatte keine Ahnung ob Chris die Strategie noch verändert hatte, aber vorstellen konnte ich es mir nicht. Deshalb stellte ich mich neben Chris und fragte ihn leise:

„Was macht Fynn da auf dem Platz? Hast du diese Strategie ausgeheckt?“

Chris schaute mich mit großen Augen an und erwiderte leicht genervt:

„Nein, das solltest du aber wissen, dass ich nicht so einen Unsinn ersinne. Ich habe keine Ahnung was er da macht oder damit bezwecken möchte.“

In diesem Augenblick kam Fynn zu uns an den Zaun.

„Chris, ich habe ein Problem. Ich kann kaum noch laufen. Meine Beine wollen einfach nicht mehr. Ich habe keine Ahnung was das ist. So beschissen habe ich mich noch nie auf dem Platz gefühlt.“

Chris schien vollkommen überrascht. Typisch für ihn, ließ er sich das aber nicht anmerken und hatte sofort reagiert. Er ließ Fynn noch ein Spiel bis zum nächsten Seitenwechsel machen. Dann stand er an Fynns Bank und redete mit ihm. Ich war zurück zu Dustin und Justin gegangen, denn Dustin war jetzt natürlich sehr aufgeregt. Er wollte auch zur Bank, aber Justin hielt ihn zurück.

„Warte, Chris wird mit Sicherheit wissen was er tut. Du würdest Fynn doch nur noch nervöser machen.“

Das hätte ich mich nicht getraut. Dustin in diesem Moment zurückzuhalten, obwohl sein Freund akute Probleme hatte. Dustin holte schon tief Luft und wollte Justin zurechtweisen, überlegte aber noch einmal und blieb ruhig und vor allem blieb er bei uns stehen. Wow, damit hatte ich nicht gerechnet. Justin lächelte, als er zu Dustin sagte:

„Überleg doch mal wie du dich fühlen würdest. Wenn du da auf der Bank sitzt, dein Coach mit dir spricht und du dich nicht an die Absprachen gehalten hast. Das wird nicht angenehm sein, was Fynn jetzt zu hören bekommt. Außerdem muss Chris schnell eine Lösung finden. Dabei kann er uns nicht gebrauchen und dich schon gar nicht. Sorry, ich weiß schon, dass du dir Sorgen machst. Aber denkst du nicht, dass Chris genau weiß was er tut. Wenn er deine Hilfe braucht, wird er dir das ganz sicher sagen.“

So hatte ich das noch gar nicht betrachten können. Ich hatte einfach nur gedacht, dass Dustin seinen Freund vielleicht beruhigen könnte. Aber im Grunde hatte Justin den Nagel auf den Kopf getroffen. Und das erstaunliche passierte, Dustin blieb bei uns und entspannte sich für einen Augenblick wieder. Erst als Chris uns ein Zeichen gab, dass Dustin zu ihm kommen sollte, war Dustin sofort losgelaufen.

Was Chris Dustin gesagt hat, konnte ich nicht verstehen, aber Dustin lief direkt Richtung Clubhaus. Fynn ging nicht wieder auf den Platz, sondern Chris hockte sich vor ihn hin und begann Fynns Beine zu massieren. Da konnte ich erkennen, dass er sein Gesicht vor Schmerzen verzog. Jetzt hielt auch Justin nichts mehr zurück. Wir gingen zur Bank und ich fragte Chris:

„Was ist das Problem? Können wir etwas tun?“

Chris schaute zu uns hoch und antwortete sofort:

„Ja, legt mir bitte ein großes Handtuch auf den Rasen. Ich muss versuchen, Fynn eine Wirbelblockade zu lösen, sonst ist das Match hier zu Ende.“

Chris Stimme war selten so bestimmt. Das schien ernster zu sein als gedacht. Wir hatten schnell zwei große Badetücher auf dem Rasen ausgebreitet. Der Schiedsrichter erklärte jetzt den Beginn der „Medical Timeout“. Chris hatte also nicht viel Zeit.

Fynn legte sich auf den Bauch und Chris begann sofort ihn zu behandeln. Da tauchte Dustin mit dem Turnierphysiotherapeuten auf. Chris erklärte ihm kurz das Problem und überließ ihm Fynn.

Chris stand auf und erklärte uns:

„Ich vermute, Fynn hat sich einen Nerv eingeklemmt. Seine Beine werden taub und kraftlos. Das ist natürlich blöd beim Spielen. Kein Wunder, dass er so gespielt hatte.“

Dustin wurde sichtlich nervös. Chris blieb ruhig, legte Dustin seinen Arm auf die Schulter und erklärte trocken:

„Wenn der Physio das nicht sofort beheben kann, wird hier für Fynn das Turnier zu Ende gehen. Das Risiko einer schweren Verletzung, werde ich nicht eingehen und verantworten. Dafür ist das Turnier in England viel zu wichtig.“

Nach wenigen Augenblicken stand der Physio auf. Er half Fynn zurück auf die Bank und kam dann zu uns:

„Wenn ich das entscheiden müsste, sollte er aufhören. Die Muskulatur ist komplett unterversorgt und obwohl ich die Blockade lösen konnte, das Risiko einer Muskelverletzung ist jetzt extrem hoch. Aber das muss er selbst entscheiden.“

Chris bedankte sich für die Hilfe und da wusste ich sofort, das würde Fynn nicht entscheiden. Chris hatte in diesem Moment schon eine Entscheidung getroffen. Mich interessierte nur noch, wie er Fynn das erklären würde. Deshalb blieb ich stehen und ging nicht wie Justin ein paar Schritte zurück.

Chris ließ Dustin neben seinem Freund auf der Bank Platz nehmen. Dann stellte er sich vor Fynn, der schon geahnt hatte was jetzt kam. Chris untersagte ihm das Weiterspielen. Ohne eine Diskussion zuzulassen, ging er jetzt zu Fynns Gegner und gratulierte ihm zum Gewinn des Matches. Er ließ Dustin mit Fynn allein auf der Bank zurück und gab uns mit einem Augenkontakt zu verstehen, dass wir die beiden allein lassen sollten.

Mit einem beschissenen Gefühl ging ich hinter Chris und Justin her. Erst als wir am Clubhaus ankamen, drehte sich Chris zu mir um und sagte:

„Ich möchte, dass die beiden ein paar Minuten für sich haben. Dustin weiß, dass wir uns in fünfzehn Minuten hier treffen. Dann erkläre ich euch, was los ist. Aber macht euch nicht zu viele Gedanken. Bis Brighton ist das wieder in Ordnung.“

Dann ging Chris einfach weg. Er ließ uns ziemlich bedrückt und ratlos zurück.

„Boah, ist das mies. Aber Chris hat keine andere Wahl, als das jetzt zu beenden.“

Justin schien mehr zu wissen als ich, daher bat ich um eine Erklärung. Allerdings wusste er auch noch nicht mehr. Da fragte ich ihn:

„Warum hatte Chris keine andere Wahl? Immerhin nimmt er Fynn die Möglichkeit hier ein gutes Ergebnis zu machen.“

„Mensch, denk doch mal nach. Wenn der Physio den Rat gibt, nicht weiterzuspielen, hat Chris doch gar keine Wahl mehr. Er würde niemals bei einem von uns die Gesundheit für ein paar Ranglistenpunkte aufs Spiel setzen. Ich dachte eigentlich, dass müsstest du mittlerweile wissen.“

Okay, das stimmte natürlich und da hätte ich selbst drauf kommen müssen. Es war also eine dumme Frage. Ich entschuldigte mich bei Justin und er nickte mir wortlos zu. Was mir erst jetzt aufgefallen war, Justins Deutsch wurde von Tag zu Tag besser. Wir brauchten ihm nur noch sehr selten etwas auf Englisch zu erklären.

Einige Augenblicke später kam Chris zurück und bat mich, ihm zu folgen.

„So, Maxi. Jetzt möchte ich mich mit dir über dein Match unterhalten. Wenn Dustin und Fynn gleich bei uns sind, möchte ich das abgehakt haben. Da werden wir gleich als Seelendoktor gebraucht.“

War ja auch klar, dass ich nicht so einfach damit durchkam, nur gewonnen zu haben. Wir gingen ein paar Schritte auf der Anlage und Chris fragte mich direkt:

„Versuche mir zu beschreiben, was am Ende des ersten Satzes passiert ist. Und mach dir keinen Kopf, ich bin überhaupt nicht sauer. Ich möchte mit dir darüber reden, damit ich dir vielleicht helfen kann.“

Mein Puls ging nach oben. Ich wusste zwar, dass Chris mir nur helfen wollte, aber es war mir unangenehm gescheitert zu sein.

„Beim Stand von 5:3 habe ich nur für einen Moment gedacht, ich hätte den Satz im Sack. Als ich zum Satz aufschlug, habe ich versucht, mich nur auf den nächsten Punkt zu konzentrieren. Aber der Arm hat sich unglaublich schwer und zittrig angefühlt. Als ob Strom durch den Oberarm geht.“

„Hast du dennoch voll durchgezogen oder hast du dich nicht mehr getraut?“

„Ich habe mich nicht mehr getraut. Es war furchtbar. Obwohl ich genau wusste, dass das falsch ist, habe ich es nicht mehr kontrollieren können. Es ging nicht. Ich weiß auch, dass das scheiße ist und man so nicht gewinnen kann…“

„Stopp. Maxi, komm mal wieder runter. Das wirst du noch einige Male erleben. Das passiert sogar noch absoluten Weltklassespielern. Abgesehen davon hast du ja noch gewonnen. Also ganz ruhig bleiben und lass uns das anschauen.“

Chris: Maxi und Fynn stoßen vorerst an ihre Grenzen

Es war interessant zu sehen, wie sich Maxi selbst und was er als Problem sah. Eigentlich hatte er einen guten Ansatz gefunden, aber die Schlussfolgerung war schwierig. Es kam so etwas wie Resignation auf. Dem hatte ich gegenzusteuern.

„Dieses Phänomen des sogenannten schweren Arms kennt jeder Tennisspieler, der Turniere gespielt hat. Es hat nichts mit Können zu tun. Ganz allein mit mentaler Stärke und viel Erfahrung. Das eine kannst du lernen und das anderen wirst du mit der Zeit bekommen. Bei der mentalen Stärke kann ich dir helfen, Strategien zu entwickeln. Die Erfahrung musst du selbst machen. Dafür brauchst du Zeit.“

Maxi hatte mir aufmerksam zugehört und ich spürte seine Ungeduld. Er wollte immer besser als die anderen sein und vor allem wollte er keine Schwächen haben.

„Du bist der Meinung, dass so eine Situation immer wieder vorkommen wird und es darum geht, dass der Spieler lernt sie zu beherrschen. Verhindern kann man das nicht.“

„Genau das ist meine Ansicht dazu. Du musst lernen sie zu beherrschen und dann wird der schwere Arm keine Chance haben, Einfluss auf dein Spiel zu nehmen. Das ist aber ein langer Weg mit viel harter Arbeit.“

Maxi schaute mich an und dann kam ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Also im Grunde alles beim Alten. Die viele und harte Arbeit hast du ja nicht erst heute angekündigt.“

Mit dieser Bemerkung hatte ich nicht gerechnet und sie brachte mich zum Lachen. Er hatte es so gut ausgedrückt, dass ich nur noch lachen konnte. Er hatte verstanden und lachte ebenso mit.

Als wir uns wieder beruhigt hatten, trafen wir auf Fynn und Dustin. Fynn hatte sich etwas gefangen und dank seines Freundes war es heute auch ohne großen Frust abgelaufen. Im Gegenteil, Fynn schaute bereits nach vorn. Er fragte:

„Da seid ihr ja. Chris, was kann ich jetzt machen, damit ich für Brighton wieder voll fit bin? Oder muss ich länger pausieren?“

„Zuerst gehst du gleich noch einmal zum Physio. Der soll dich einmal richtig behandeln und dann sehen wir weiter. Wenn es ein eingeklemmter Nerv war, dann solltest du zwei Tage pausieren, damit sich das beruhigt. Danach kannst du wieder trainieren. Für Brighton sehe ich keine Probleme. Wenn alles normal läuft.“

Vor wenigen Wochen wäre für Fynn noch die Welt untergegangen. Heute blieb er ruhig und vertraute mir sofort. Sehr angenehm für mich, dass ich ihn heute nicht erst aufbauen musste. Er vertraute mir, dass es die richtige Entscheidung war, heute aufzuhören. Ich wusste auch so, dass keiner meiner Jungs freiwillig ein Match verschenken würde.

„Wisst ihr wo Justin ist?“

„Ja, Chris. Er telefoniert mit seinem Vater. Er kommt aber, sobald er fertig ist.“

„Ok, gut. Ich möchte jetzt so schnell wie möglich zurück ins Quartier. Und heute Abend ist, je nach Spielplan für morgen, Entspannung angesagt.“

„Oh“ staunte Dustin, „was hast du dir überlegt?“

„Das verrate ich euch erst beim Essen. Dann weiß ich nämlich wie der Plan für morgen aussieht.“

Ich hatte mir überlegt mit der Truppe essen zu gehen. Ich wollte etwas für das Teambuilding machen. Justin sollte besser in unsere Gruppe integriert werden. Dafür müsste er uns besser kennenlernen. Das wollte ich heute Abend mal in Angriff nehmen.

Ich hatte gerade meine Tasche auf mein Bett gelegt und begonnen sie auszupacken, als es klopfte.

„Herein“, sagte ich.

Dustin betrat mein Zimmer.

„Was gibt es?“

„Ich wollte fragen, ob du auch eine Tasse Ingwertee möchtest?“

„Ingwertee? Wo habt ihr denn jetzt Ingwertee her?“

„Hihi, den hab ich extra von zu Hause mitgenommen. Fynn und ich trinken öfter abends mal eine Tasse davon.“

„Cool, dann möchte ich gern auch eine Tasse. Ich bin gleich soweit, nur noch die Tasche auspacken und für morgen neu vorbereiten.“

Das war eine Überraschung. Meine Jungs fingen an, sich auch um das Gemeinschaftsgefühl Gedanken zu machen. Das war mir sehr wichtig, nicht nur immer Tennis im Kopf zu haben.

Wenige Minuten später saßen wir im Wohnzimmer bei Tee und Keksen. Meine Jungs hatten das gemeinsam vorbereitet und ich fand das stark. Es kam sogar so etwas wie familiäre Stimmung auf.

Dustin saß natürlich neben Fynn und sie unterhielten sich flüsternd über etwas, was ich nicht verstand. Plötzlich meldete sich Maxi zu Wort:

„Los Fynn, es ist Zeit für deinen Auftritt.“

Fynn löste sich von Dustin und stand auf. Was war denn jetzt geplant?

„Ok, dann fang ich mal an. Also Chris, es ist so, dass es an der Zeit ist, dir einmal ein paar persönliche Worte zu sagen. Du hast dich immer für uns eingesetzt. Egal in welcher Situation. Auch wenn es dir manchmal nicht gut ging. Ich denke speziell an Kitzbühel, wo du dennoch für uns da gewesen bist, obwohl du selbst schwer verletzt warst. Du denkst nicht nur an Tennis. Du hast immer unsere Entwicklung und Situation im Blick. Das hat noch kein anderer Coach so gut hinbekommen wie du. Klar, du wirst vom Team bezahlt, aber das, was du für uns auf den Reisen und in der Base tust, ist mit Sicherheit weit mehr als in deinem Vertrag stehen wird. Wir, damit ist Justin auch eingeschlossen, möchten dir heute einmal Danke sagen und möchten dich fragen, ob du mit uns Essen gehen möchtest? Und komm nicht auf die Idee, das auf Teamkosten abrechnen zu wollen. Heute wäre eine gute Gelegenheit dazu, denn wir müssen ja morgen wieder erst später spielen.“

Woher wussten sie das denn jetzt? Irgendwie hatten sie mich gerade auf dem falschen Fuß erwischt. Entsprechend sprachlos war ich für einen Moment.

„Vielen Dank für diese tollen Worte und die schöne Geste, die ich sehr zu würdigen weiß. Wenn ihr mir noch verraten würdet, woher ihr bereits wisst, dass Maxi, Dustin und Justin erst am Nachmittag spielen müssen?“

Die Jungs schauten sich an und schüttelten alle ihren Kopf.

„Betriebsgeheimnis.“ Fynn grinste nur.

Na gut, viele Möglichkeiten gab es ja auch nicht und es war schön, dass sie den gleichen Gedanken hatten, den Abend gemeinsam zu verbringen.

„Hast du einen Wunsch wo du gern essen möchtest? Wir haben da einen interessanten Italiener ausfindig gemacht.“

„Cool, Italiener ist immer gut. Gerade während eines Turnieres. Aber das Programm des Abends nach dem Essen ist meine Sache. Ok? Ihr wisst aber auch, dass ihr mich nicht einladen müsst. So viel Geld habt ihr ja schließlich auch nicht.“

„Och, das kommt drauf an. Hier haben wir doch schon wieder einige Euros gewonnen und da sollte das Essen bei über sein.“ Maxi grinste mich dabei frech an.

„Lass das Gerede. Wir müssen nicht, aber wir wollen das machen. Du sagst doch immer selbst, dass man Wünsche der Freunde erfüllen sollte.“

Das kam von Dustin und Fynn nickte seinem Freund unterstützend zu.

„Hey, ich will mich ja gar nicht wehren. Ihr habt euch das gut überlegt und ich freue mich über diese Einladung. Dann lasst uns aufbrechen. Ich habe aber eine Bitte. Wir sollten dort in Teamkleidung hingehen.“

„Klar, das war uns schon klar. Die Sponsoren wollen auch zu ihrem Recht kommen und ich finde, die neuen Anzüge sind richtig cool. Damit kann man sich überall sehen lassen.“

Ich musste zugeben, meine Jungs wurden immer selbständiger. Das beruhigte mich und gab mir vielleicht auch mal etwas mehr Freiräume für mich selbst.

Eine Stunde später stellte ich den VW Bus auf dem Parkplatz eines sehr hübschen Lokals ab. Als wir den Gastraum betraten, staunte ich nicht schlecht. Alle Tische waren elegant eingedeckt und auch das andere Ambiente stimmte. Sich wundernd über die Auswahl des Lokals fragte ich in die Runde:

„Wer von euch hat denn dieses schöne Lokal entdeckt?“

Interessanterweise meldeten sich alle vier und grinsten. Fynn war es, der voran ging und am Tresen freundlich nach unserem Tisch fragte. Sie hatten tatsächlich einen Tisch reserviert. Ich musste über meine Einschätzung der Selbständigkeit meiner Jungs noch einmal nachdenken.

Dieses Essen verlief sehr harmonisch und wir sprachen viel über Privates und auch meine Person wurde nicht ausgespart. Es gab allerdings eine Situation, die ich niedlich empfand. Es entwickelte sich das Gespräch in Richtung Motorsport und Justin wusste ja noch nicht, dass Marc Steevens einer unserer Hauptsponsoren war. Allerdings kannte sich Justin in diesem Bereich gut aus und staunte über unsere prominenten Freunde in der Schweiz. Plötzlich fragte mich Justin nach meinen Erfahrungen in der Rallyeszene. Dustin und Fynn wollten das verhindern und versuchten mehrfach das Thema zu wechseln, bis Justin sie fragte:

„Warum wollt ihr nicht, dass Chris zu diesem Thema etwas sagt? Denkt ihr, ich bin blöd und merke nicht, dass ihr mich davon ablenken wollt.“

Die beiden wurden rot wie eine Tomate und suchten den Blickkontakt zu mir. Ich musste schmunzeln und nickte ihnen zu. Sie wollten, dass ich den Zeitpunkt selbst bestimmen kann, wann ich Justin von meinem Unfall mit dem Rallye-Delta erzähle.

„Das ist schon in Ordnung, Justin. Sie kennen den Grund, warum das ein heißes Thema für mich ist. Das kannst du aber nicht wissen und von daher ist es für mich in Ordnung, dass du mich gefragt hast. Motorsport scheint dich ja zu interessieren.“

„Ja, ich mag Motorsport. Auch wenn ich Marc Steevens nicht mehr aktiv in der Formel 1 gesehen habe, weiß ich dennoch gut über seine Erfolge Bescheid.“

„Okay, also gut. Du hast mich nach meinen Erfahrungen im Rallyesport gefragt, ich werde dir etwas erzählen. Es wird eh Zeit, dass du mehr von mir erfährst.“

Ich fühlte mich erstaunlich gut bei dem Gedanken, Justin meine Geschichte mit dem Sport und dem unschönen Ende zu erzählen. Es dauerte dann doch einige Minuten bis ich fertig war und in ein ziemlich betroffenes Gesicht von Justin schaute. Mit so einer Geschichte hatte er vermutlich nicht gerechnet. Es dauerte auch einige Sekunden bis er sich gefangen hatte und sich an die Jungs wandte.

„Jetzt verstehe ich eure Bedenken. Wenn ich das vorher geahnt hätte, wäre ich mit Sicherheit nicht so aufdringlich gewesen.“

Dustin wollte schon antworten, aber das war meine Baustelle.

„Stopp, Dustin. Lass mich dazu etwas sagen. Es ist doch vollkommen in Ordnung. Du kennst uns noch nicht so lange und möchtest dich einbringen. Deine neuen Freunde haben signalisiert, dass ich auch ein Freund des Motorsports bin, haben aber nicht damit gerechnet, dass du ein Freak bist. Jetzt haben sie Bedenken bekommen, weil sie wussten was mir damals widerfahren ist. Dennoch ist es meine Entscheidung, wem ich etwas davon erzähle. Ich finde es gut, dass du jetzt etwas mehr erfahren hast, was dein Coach für ein Mensch ist. Ich bin manchmal doch etwas speziell im Umgang mit bestimmten Dingen.“

Nach diesem letzten Satz mussten die anderen drei lachen und Maxi bemerkte:

„Aber nur ein etwas speziell. Vor allem, wenn es um richtige Entscheidungen geht. Dann ist Chris besonders speziell, speziell gut.“

Das lockerte die Stimmung gleich auf und ich beschloss, das Thema an dieser Stelle zu wechseln, indem ich den weiteren Ablauf vorschlug. Ich hatte ursprünglich vorgehabt, mit den Jungs bowlen zu gehen, aber mit Fynns angeschlagenem Rücken wäre das keine gute Idee mehr. Deshalb hatte ich mich nach einem Billard- und Dartscafé erkundigt und war auch fündig geworden.

Die Truppe war sofort mit dem Vorschlag einverstanden und da sie mich ja zum Essen eingeladen hatten, kümmerte ich mich auch nicht um die Rechnung, die uns die Servicekraft mittlerweile auf den Tisch gelegt hatte. Interessanterweise legte sie den Bon direkt an meinen Platz. Allerdings schob ich diesen ungesehen an Fynn weiter. Der nahm ihn auf und ging nach vorn zum Bezahlen.

Nach einem kurzen und lustigen Spaziergang standen wir jetzt vor dem Billardcafé.

„So, bevor wir hineingehen, möchte ich kurz etwas sagen. Vielen Dank für die Einladung zum Essen. Es war bislang ein sehr schöner Abend, den ich mit euch hier ausklingen lassen möchte. Lasst uns noch etwas Spaß haben. Und ab jetzt übernehme ich das Bezahlen.“

Spaß hatten wir an diesem Abend noch sehr viel. Es zeigte mir deutlich, dass ich auf dem richtigen Weg war, aus diesen Jungs eine eingeschworene Gemeinschaft zu machen. Auf dem Rückweg in unser Quartier herrschte ausgelassene Stimmung im Bus. Zeitlich waren wir etwas später als sonst zurück. Das musste heute aber mal sein.

Es dauerte auch nicht lange bis alle in ihren Zimmern verschwunden waren. Ich hatte auf jegliche Hinweise für den nächsten Tag verzichtet und nur die Frühstückszeit mit halb neun festgelegt.

Allerdings klopfte es wenige Minuten später doch noch an meiner Tür. Fynn und Dustin hatten noch etwas Redebedarf. Ich bat sie herein und war gespannt, was sie auf dem Herzen hatten.

„Was gibt es bei euch noch so spät?“

„Eigentlich nichts so Dringendes, aber wir möchten nicht, dass Justin das mitbekommt. Es geht um die Wohnsituation. Er ist viel zu oft allein im Sportpark. Gäbe es nicht eine Möglichkeit, zu uns in die WG zu kommen? Er soll sein Deutsch verbessern und sich bei uns integrieren, aber wenn er die meiste Zeit allein ist, kann er weder das eine noch das andere richtig umsetzen.“

„Und wir finden ihn sehr nett. Er passt zu uns. Daher möchten wir fragen wie du das siehst?“

Zu niedlich, wie die beiden großen Jungs mitten in der Nacht in meinem Zimmer standen, um mich das zu fragen.

„Wenn ihr mir einen Vorschlag machen könnt, wie das gehen soll? Wo soll er wohnen? Bei Maxi im Zimmer? Wohl kaum.“

„Klar, momentan ist kein Zimmer frei, aber grundsätzlich ist es doch so, wie wir es beschrieben haben. Und wir hätten auch eine Idee. In unserem Haus gibt es im Keller doch noch einige Räume, die nicht wirklich benutzt werden. Könnte man da nicht ein Zimmer einrichten ohne zu großen Aufwand?“

„Leute, das kann ich euch heute nicht beantworten. Ich kann euch aber versprechen, dass wir zu Hause darüber noch einmal reden werden. Die Idee an sich ist ja auch gut. Ich würde es ebenfalls begrüßen, wenn Justin bei euch wohnen würde.“

Damit waren Dustin und Fynn zufrieden und mit einem „Gute Nacht“ verabschiedeten sie sich.

Der nächste Morgen gestaltete sich sehr entspannt, denn wir hatten genug Zeit bis zum ersten Spiel. Heute sollte Dustin anfangen, Maxi und Justin spielten parallel. Deshalb hatte ich mich entschieden, mit den Jungs einen ausgiebigen Brunch zu machen. Das Mittagessen würden wir ausfallen lassen und im Anschluss der Matches zu Abend essen.

Damit es ein Sportlertauglicher Brunch werden konnte, hatte ich Müslizutaten besorgt und genug Eier. Brötchen und Aufschnitt waren eh Standard. Allerdings hatte ich eine kleine Überraschung von zu Hause mitgenommen. Wir hatten in Herford eine edle Schokolademanufaktur. Dort gab es eine echte heiße Schokolade, die man mit heißer Milch anrühren konnte. Da Dustin und Fynn große Freunde von heißer Schokolade waren, wollte ich uns das heute vorbereiten.

Den Tisch hatte ich bereits gedeckt. Jetzt stand ich in der Küche und bereitete die heiße Schokolade vor. Ich rührte fleißig am Herd in der Milch, als Justin die offene Küche betrat.

„Guten Morgen, Chris. Wow, das sieht ja schon klasse aus. Ist heute etwas Besonderes?“

„Hi, Justin. Nein, nur, dass wir heute genug Zeit haben. Das ist während eines Turnieres leider nicht oft der Fall. Sind die anderen mittlerweile auch schon wach?“

„Ja, sogar Maxi ist schon im Bad gewesen. Allerdings hat Fynn wohl wieder Probleme mit seinem Rücken. Vielleicht schaust du dir das gleich mal an. Aber ich habe nichts gesagt, sonst ist er sauer auf mich.“

„Okay, also ist er mal wieder auf dem Trip, nichts sagen zu wollen, damit er auf jeden Fall in Brighton spielen kann. Danke, ich werde mich darum kümmern.“

Dieser Brunch hatte mir außerordentlich gut gefallen. Wir waren bestens gelaunt in unseren VW-Bus gestiegen und auch auf der Anlage war selbst Fynn guter Stimmung. Obwohl er nicht mehr im Turnier war. Das freute mich. Das Thema Rücken von Justin hatte ich aber im Hinterkopf abgespeichert.

Es bedurfte auch keiner Anweisung mehr, sich aufzuwärmen. Dustin war der erste und Fynn hatte ich untersagt, seinen Freund zu begleiten. Er sollte spüren, dass er seinen Rücken zu schonen hatte. Maxi und Justin machten sich warm, als Dustin bereits mit seinem Gegner auf dem Platz stand.

Der erste Satz verlief sehr eng und spannend. Fynn lief nach jedem Ballwechsel wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und ab. So angespannt und aufgeregt hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Für seinen Freund war das aber keine Hilfe, denn er sah ständig Fynn. Ich beorderte Fynn daher zu mir.

„Pass auf, du setzt dich jetzt bitte auf irgendeine Bank am Platz und bleibst da auch sitzen. Das macht Dustin tierisch unruhig. Und genau das kann der gerade gar nicht gebrauchen.“

Fynn schaute mich an, machte ein Gesicht wie eine beleidigte Leberwurst, trollte sich aber ohne Widerrede und setzte sich. Hoffentlich blieb er dort auch sitzen.

Dustin spielte sehr stark und gab alles. Den ersten Satz konnte er gewinnen, aber je länger das Match dauerte, desto besser kam sein Gegner ins Spiel. Dustin hatte dann auch keine reale Chance mehr, das Spiel für sich zu entscheiden. Den dritten Satz verlor er glatt mit 2:6. Dennoch war ich hoch zufrieden mit seinem Spiel. Er hatte nicht aufgegeben und seine Möglichkeiten ausgeschöpft. Aber heute reichte das einfach noch nicht. Sein Gegner hatte verdient mit einer besseren Leistung gewonnen.

Aber was noch viel besser war, Dustin konnte das anerkennen ohne enttäuscht zu sein. Er war heute auf einen stärkeren Gegner getroffen und sah das in der Nachbesprechung ganz realistisch. Wir standen bei Justin am Platz als wir die Nachbesprechung gemacht hatten. Fynn war erstaunlich still geblieben. Es arbeitete in ihm, das konnte ich spüren.

„Was bewegt dich gerade? Du bist verdächtig still.“

„Ja, das stimmt. Ich denke gerade darüber nach, dass du wieder einmal recht gehabt hast. Es wird immer Gegner geben, die stärker als wir sind. Und wir dürfen uns auf unseren Erfolgen nicht ausruhen. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Aber werden wir das Ziel überhaupt erreichen?“

Bevor ich antworten konnte, gab Dustin eine sehr schöne Antwort.

„Wir werden das Ziel erreichen. Nur wo und was das Ziel ist, das wissen wir noch nicht. Wenn wir immer das Maximum geben und hart arbeiten, werden wir irgendwann an unserem Limit ankommen. Nur wann und wo das sein wird, das weiß heute noch niemand.“

„Wow, wo hast du das denn her? In welchem Buch stand das denn?“

„Das steht in keinem Buch. Dafür brauche ich kein Buch, wenn ich einen Coach habe, dem ich nur gut zuhören muss.“

„Da hat er allerdings den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich sollte wirklich mehr darauf vertrauen, was du uns als Coach und Freund mitteilst. Aber es ist nicht immer leicht, dem zu vertrauen, wenn du gerade verloren hast oder mal gar nichts läuft.“

„Stimmt, Fynn. Das ist nicht leicht. Aber wenn es immer leicht wäre, würde es jeder können und wir hätten viel mehr richtig gute Tennisspieler. Aber ihr seid auf einem guten Weg, weil ihr anfangt, euch den schwierigen Aufgaben zu stellen. So, und jetzt sehen wir zu, dass wir vielleicht noch ein gutes Match sehen. Dustin, du gehst bitte auslaufen und duschen. Danach gehst du bei der Turnierleitung vorbei und holst dir deinen Scheck ab. Fynn und ich schauen uns Justin und Maxi an.“

Er verschwand in Richtung Clubhaus und ich hatte jetzt endlich Zeit und Ruhe mit Fynn über seine Rückenprobleme zu sprechen.

Er versuchte zuerst, seine Schwierigkeiten herunterzuspielen. Aber als ich seinen Rücken abtasten wollte, gab er die Probleme zu.

„Warum willst du mir etwas vormachen? Wie soll ich dir maximal helfen können, wenn du mir nicht ehrlich sagst, was los ist? Wie oft sollen wir das noch besprechen? Bis ich dich mal vor die Wand laufen lasse und du mit noch mehr Schmerzen aufgeben musst?“

Er amtete tief aus, aber versuchte erst gar nicht mehr sich herauszureden. Er antwortete ehrlich:

„Weil ich Angst habe, in Brighton nicht spielen zu dürfen. Wenn du nicht überzeugt bist, dass ich fit bin, würdest du mich nicht spielen lassen.“

„Das ist korrekt. Und es wäre die einzig richtige Entscheidung. Dafür wäre das Risiko einer noch schwereren Verletzung viel zu hoch. Ich dachte eigentlich, du würdest mir vertrauen. Warum tust du das jetzt nicht?“

Fynn wurde sehr nachdenklich und im Gegensatz zu früher, begann er mir von seinen Ängsten und Gedanken zu erzählen. Er berichtete davon, dass er manchmal Angst hätte, sein Körper würde der Belastung nicht standhalten und er würde deshalb sein Ziel nicht weiter verfolgen können. Sachlich betrachtet war dieser Gedanke zwar Unsinn, aber subjektiv war es seine Wahrnehmung und die war für mich wichtig. Ich nahm ihn ernst und holte ihn dort ab, wo er momentan stand.

„Schau mal, deine Ängste sind normal und auch berechtigt. Aber Angst ist besonders gefährlich, wenn man sie allein aushalten muss. Teilst du die Angst jemandem mit, bist du nicht mehr allein damit. Meine Aufgabe ist es doch, euch voran zu bringen. Da sind Niederlagen und Rückschläge normal. Nur, wenn man mal hingefallen ist, kann man wirklich wissen, wie weh es tatsächlich tut. Also müssen wir uns immer vertrauen und genau das macht uns als Team so stark. Wir unterstützen uns gegenseitig. Ihr habt mir auch geholfen, als es mir in Kitzbühel richtig schlecht ging. Das tat mir gut. Sonst wäre ich nicht so schnell darüber hinweggekommen und wäre vermutlich nach Hause gefahren. Ihr habt mir die Sicherheit gegeben, nicht allein zu sein. Genauso wie ich für euch da bin, wenn ihr mich braucht.“

Das war angekommen. Sein Gesicht sprach Bände und er war sprachlos, was bei Fynn nicht allzu oft vorkam. Erst nach einigen Sekunden, antwortete er darauf:

„Danke. Es tut gut zu wissen, dass du immer für uns da bist. Auch wenn ich manchmal etwas schwierig bin. Ich vertraue dir und das weißt du hoffentlich. Und es tut mir leid, wenn ich immer noch nicht alles richtig machen kann, aber ich will dazu lernen und mich verbessern.“

„Sehr schön, dann sind wir uns ja einig. Und mach am besten gleich damit weiter. Geh zum Turnierphysio und lass dich noch einmal richtig behandeln. Ich habe Torsten bereits gebeten, in Brighton beim Physio Termine für dich zu buchen. Also halte dich bitte an meine Ansagen und alles wird gut werden.“

Ich hielt ihm meine Hand hin und er schlug sie ab. Das war für mich ein wichtiges Symbol. Damit waren diese Dinge abgearbeitet und abgehakt. Jetzt konnte ich wieder nach vorn schauen.

Was sich allerdings auf dem Platz zeigte, war nicht so schön. Aber ich hatte es erwartet. Die Gegner hatten viel mehr Erfahrung auf Rasen und spielten sehr clever. Maxi war viel zu ungeduldig und wollte es erneut zwingen. Es war kein großer Unterschied, aber der reichte um das Match nicht gewinnen zu können. Justin hingegen war deutlich konsequenter in der Umsetzung der Strategie. Er ließ sich auch nicht durch den Verlust des ersten Satzes verunsichern. Das imponierte mir. Er sollte dafür auch belohnt werden, denn im zweiten Satz verlor sein Gegner etwas die Linie. Das nutzte Justin sofort für ein Break aus. Bei seinem guten Aufschlag war es für seinen Gegner nicht möglich, ein Rebreak zu machen. Justin ging in den dritten Satz.

Dieser dritte Satz machte das Match zu einem hochklassigen und sehenswerten Spiel. Justin feuerte gewaltige Grundschläge ab, die seinen Gegner immer wieder in Schwierigkeiten brachte. Am Ende fehlte ein wenig das Glück, dieses Spiel gewinnen zu können. Dennoch war ich beeindruckt von dem Potenzial, das in Justin steckte. Es war schade, dass er in Brighton in die Qualifikation musste. Aber so waren die Regeln und damit mussten wir uns arrangieren.

Das Turnier in den Niederlanden war für uns damit zu Ende. Ich war bis auf wenige Kleinigkeiten zufrieden und optimistisch, dass meine Jungs mit vielen neuen Erfahrungen nach England kommen würden.

Ich hatte die Idee, den Jungs einen freien Abend zu geben und erst am nächsten Morgen abzureisen. Thorsten hatte ich noch am Abend einen ausführlichen Bericht geschrieben und per Mail geschickt.

Überraschenderweise hatte ich eine Mail von Tim bekommen. Er hatte seine ersten Untersuchungen hinter sich und es freute mich zu lesen, dass er ein positives Gefühl hatte. Er wollte sich auf diese Möglichkeit einlassen und mitmachen. Das ist die Voraussetzung für eine derartige Diagnostik.

Gut gelaunt und erholt, stiegen wir am nächsten Morgen in den VW Bus und machten uns auf den Weg nach Brighton.

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