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Auf der Tour

Teil 17

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Leipziger Bimmel

Unglaublich, aber wahr: Unser IC 2444 rollte pünktlich in den Bahnhof von Leipzig. Der Zug hatte etwa fünfzehn Minuten Aufenthalt und wir ließen die anderen Passagiere zuerst aussteigen, da wir mit unseren Taschen sonst allen im Weg gewesen wären.

Von unterwegs hatte ich bereits mit Jörg Kontakt aufgenommen, damit er nicht unnötig am Bahnsteig warten musste. Jörg und mich verband mittlerweile eine tiefe Freundschaft. Auch wir hatten uns über meine Geschichten bei Nickstories kennengelernt. Er war ebenfalls einer der Autoren und so hatten wir uns gegenseitig Feedbacks geschrieben. Das erste Mal persönlich waren wir uns auf dem ersten Workshop von Nickstories in Neuss begegnet.

Sofort hatten wir einen guten Draht zueinander gefunden. Die Gespräche hatten stets viel Tiefgang und wir entdeckten ähnliche Ansichten. Kinder lagen uns beiden sehr am Herzen.

Wir standen mit unseren Taschen gerade auf dem Bahnsteig und bevor ich mich umschauen konnte, hörte ich:

„Da isser ja, unser Drache mit seinem Gefolge.“

Jörg hatte sich von der anderen Seite genähert und als ich mich umdrehte, stand er direkt mit einem Lachen im Gesicht vor mir. Die Begrüßung fiel sehr herzlich mit einer festen Umarmung aus. Auch meine Jungs wurden genauso herzlich von ihm begrüßt:

„Endlich kann ich euch mal persönlich kennenlernen. Chris hat schon so viel über euch erzählt. Herzlich willkommen in Leipzig.“

Meine Jungs freuten sich über diese Begrüßung und schnell entspannten sich ihre Gesichter.

Unser Hotel war vom Bahnhof fußläufig zu erreichen. In der Pfaffenhoferstraße hatte Thorsten für uns ein Appartement gebucht. Dort waren wir autark, konnten aber auch das Angebot des Restaurants nebenan nutzen. Unser Appartement war dem Hotel Central Leipzig angegliedert.

Nach etwa zehn Minuten Fußweg standen wir an der Anmeldung. Jörg hatte uns natürlich den kürzesten Weg gezeigt. Durch sein Engagement bei der LVB, die Leipziger Verkehrsbetriebe, kannte er sich exzellent in der Stadt aus.

Allerdings war sein Hauptberuf selbständiger Vermögensberater bei einem großen Konzern. Dieser Konzern war interessanterweise in der Vergangenheit auch ein Sponsor von Marc Steevens gewesen. So schloss sich erneut ein Kreis. Mit dem Erwerb der Straßenbahnlizenz hatte er sich einen Traum erfüllt und fuhr in seiner Freizeit Tram in Leipzig. Er nannte seine Züge immer liebevoll Bimmel.

Er war unseretwegen in seiner Pause zum Bahnhof gekommen. Jetzt musste er aber weiter bis zum späten Nachmittag fahren. Wir verabredeten uns am Abend auf der Tennisanlage.

Unser Appartement war nett und gemütlich. Nicht sehr geräumig, aber wir brauchten auch keinen üppigen Platz. Unsere Aufgabe war es, beim Challenger Turnier ein gutes Ergebnis zu erzielen. Das Appartement war außerdem deutlich günstiger als mehrere Hotelzimmer. Außerdem lag es nicht weit von der Turnieranlage im Sportpark Leipzig unweit des RB Leipzig Stadions.

Besonders vorteilhaft war die komplett eingerichtete Küche, die uns zur Verfügung stand. Gerade zum Frühstück war das sehr angenehm. Allerdings bedeutete das aber auch, dass wir noch einkaufen gehen mussten. Ich erstellte mit meinen Jungs eine Einkaufsliste und schickte sie dann einkaufen.

Währenddessen wollte ich auf die Anlage und dort unsere Anmeldung abgeben und gleichzeitig Trainingsplätze reservieren. Jörg hatte mir die Straßenbahn erklärt und somit wusste ich, welche Linien ich benutzen musste. Es waren auch nur zwei Stationen zu fahren.

Der Sportpark war ein riesiges Gelände, aber der Weg zum Tennisplatz war sehr gut ausgeschildert. Auch auf der Anlage war alles hervorragend organisiert und meine Anmeldung im Turnierbüro vollzog sich ohne Probleme. Für Maxi bekam ich gleich die Auslosung für die Qualifikation. Das Hauptfeld würde erst später ausgelost werden.

Ab jetzt waren wir wieder im Turniermodus und sofort begann ich auch, mich mit dem kommenden Gegner zu beschäftigen. Maxi hatte noch einiges an Trainingsrückstand aufzuholen, aber er hatte gut gearbeitet. Deshalb sollte er auch schon in Leipzig spielen. Es war unbedeutend, falls er bei diesem Turnier bereits in der Qualifikation scheitern sollte.

Besonders gespannt war ich aber auf Fynn und Dustin. Sie hatten sich toll entwickelt und viel Selbstbewusstsein aufgebaut. Hoffentlich würden sie das auch auf dem Platz einsetzen können. Dann wäre die eine oder andere Überraschung auch in einem Challenger möglich.

Auf der Rückfahrt in der Tram, bekam ich von Dustin eine Whatsapp Nachricht. Darin fragte er, was sie an Getränken mitbringen sollten. Die würden nicht auf der Liste stehen. Ich gab ihnen zur Antwort, dass sie das selbst entscheiden sollten. Schließlich wäre es ihr Turnier und sie sollten wissen, was sie trinken und vor allem was sie nicht trinken durften. Es kam keine weitere Antwort. So war ich gespannt, was mich gleich erwarten würde.

Als ich die Wohnungstür öffnete, konnte ich bereits eine lebhafte Diskussion meiner Jungs vernehmen. Justins Kopf tauchte durch den Türrahmen auf und er grinste mich an.

„Ah, Chris ist auch wieder da. Jetzt sagt er uns bestimmt, gegen wen wir spielen müssen. Da brauchen wir nicht weiter zu spekulieren.“

„Äh, nein. Ich kann euch noch nicht sagen, gegen wen ihr spielen müsst. Nur Maxi kann ich sagen, wer sein Gegner sein wird. Das Hauptfeld wird erst morgen Abend ausgelost, wenn die Qualifikation beendet ist.“

Der Einkauf stand teilweise noch auf dem Küchentisch, während ein Teil bereits im Kühlschrank verstaut worden war. Also hatten die Jungs mitgedacht und selbständig Verantwortung übernommen. Beruhigend.

„Schau mal Chris, wir haben dir auch Fassbrause mitgebracht. Da wir aber nicht genau wussten, ob das die richtige Marke ist, haben wir vorsichtshalber nur einen Sixpack mitgenommen.“

„Super, Jungs, das ist genau die richtige. Da kann ja nun nichts mehr schiefgehen.“

Ich nahm einen Blick in den Kühlschrank und war zufrieden mit ihrem Einkauf. So würden wir die ersten Tage gut versorgt sein.

„Verstaut die restlichen Sachen und dann treffen wir uns im Wohnzimmer zur Lagebesprechung.“

Ich verließ die Küche und nahm im großen Ledersessel im Wohnzimmer Platz. Nach und nach kamen alle hinzu und irgendwie war doch eine leichte Anspannung bei ihnen spürbar.

„Wie ist euer Befinden? Habt ihr euch bereits ordentlich eingerichtet?“

„Ja“, erwiderte Dustin, „unser Bett ist schön groß. Da sollte es nicht zu Problemen kommen.“

Maxi und Justin schauten ihn mit großen Augen an und begannen zu lachen. Herzhaft.

„Hahaha, Grund für das Nichtantreten wäre dann nur eine Verletzung im Bett. Oder wie soll man das verstehen?“

„Blödmann, wir wollen euch doch nicht stören, wenn wir uns vergnügen. In einem kleinen Bett könnte das aber schnell passieren.“

Fynn hatte das gekontert, ohne eine Miene zu verziehen. Ich fand seine Antwort grandios und musste auch lachen.

„Ihr habt ja richtigen Humor bekommen. Geile Antwort. Wie gut, dass mein Schlafzimmer unten im Keller liegt. Da habe ich meine Ruhe.“

„Können wir jetzt über das Turnier sprechen. Ich würde gern wissen, wer mein Gegner ist.“

Auch das war für Maxi typisch. Er hatte schon den Turniermodus aktiviert und es fiel ihm schwer, dann auch einmal Spaß oder sogar nur Blödsinn im Kopf zu haben.

„In Ordnung, dann lasst uns mal schauen. Wir gehen gleich noch etwas trainieren, um uns an den Platz zu gewöhnen. Kein Stress. Danach essen wir gemeinsam mit Jörg zu Abend. Was genau er vorhat, kann ich noch nicht sagen. Maxi, du spielst gegen einen Chilenen, der um die dreihundert in der Rangliste notiert ist. Er ist hier in der Qualifikation an drei gesetzt. Es werden morgen zwei Runden gespielt. Abends folgt dann die Auslosung des Hauptfeldes.“

„Wie kommen wir denn immer zur Anlage? Mit den Taschen ist das nicht so einfach in der Straßenbahn.“

„Keine Sorge, Justin. Der Veranstalter hat dafür einen Shuttle Dienst. Deshalb bin ich ja eben allein und mit der Bimmel dorthin gefahren. Ab jetzt kann ich den Shuttle buchen wie wir ihn brauchen. Allerdings nur einmal hin und wieder zurück pro Tag.“

„Also auch gleich einmal hin und später wieder zurück?“

„Hey, du bist heute unser Blitzmerker, Dustin.“

Diesen Spruch konnte ich mir nicht verkneifen.

Dustin verdrehte leicht seine Augen, aber schmunzelte dabei. Geht doch! Früher hätte ich das nicht tun dürfen, so einen Spruch zu machen.

„So, Leute. Taschen gepackt für eine Trainingseinheit und dann auf zur Anlage. Nicht, dass ihr einrostet. Ab Morgen sind wir wieder im Turniermodus und alles wird auf die optimale Leistungsausbeute getrimmt.“

„Hahaha, der letzte Satz hätte auch von Karl kommen können. Der will doch auch immer die optimale Leistungsausbeute aus seinen Autos herausholen.“

Diese Lockerheit bei meinen Jungs vor einem großen Turnier war mir neu. Aber mir gefiel das außerordentlich gut. Mal schauen, ob sie den Fokus nur auf die Matches legen konnten.

Als wir etwa eine Stunde später auf der Anlage standen, spürte ich doch ein wenig Aufregung in mir. Dieses Turnier flößte mir schon Respekt ein. Es war ein 25 000 Dollar Turnier. Da konnte es schon passieren, dass auch richtig gute Leute dort antraten. Mal schauen was uns erwarten würde.

Der erste Eindruck war gut. Die Veranstalter hatten sich große Mühe gegeben und wir bekamen einen direkten Ansprechpartner zugeteilt. Wenn wir ein Problem oder eine Frage haben sollten, konnte ich diese Person ansprechen und mir würde geholfen.

Die Plätze allerdings waren in keinem guten Zustand. Aus meiner Sicht war zu viel rote Asche auf den Courts. Dadurch wurde der Platz zu einem Sandkasten und die Bälle würden deutlich langsamer werden und vor allem die Gefahr von Platzfehlern war deutlich erhöht. Ändern konnte man das allerdings nicht so schnell. Also mussten wir uns darauf einstellen. Umso wichtiger war es also, heute noch auf den Platz zu gehen.

Da wir nur einen Platz hatten, stand Maxi heute im Vordergrund. Er musste morgen früh sein erstes Match spielen. Die anderen drei sollten für ihn zur Verfügung stehen und sich abwechselnd auf die Gegebenheiten einstellen.

Die ersten Bälle waren gespielt und auch Justin hatte einige Bälle gespielt. Allerdings spürte er bei der Vorhand noch Schmerzen.

„Justin, schone dich heute komplett und lass der Verletzung noch einen ganzen Tag länger Zeit zum Abheilen. Du kannst dich mit etwas Laufen fit halten. Aber auch da, achte darauf, dass es nicht schmerzt.“

Er antwortete darauf nicht, aber sein Gesicht sprach Bände. Er war nicht ärgerlich, er war besorgt. Dennoch ging er vom Platz und eine Runde laufen.

Maxi war gut drauf und nach etwas über einer Stunde lockeren Trainings ließ ich es gut sein.

„Bist du schon zufrieden?“, fragte Maxi skeptisch.

„Ja, das sah gut aus und für ein Gewöhnungstraining war es sogar sehr gut. Geht bitte alle auslaufen und duschen. Wir treffen uns auf der Terrasse vom Clubhaus.“

In Leipzig gab es auch Fassbrause. Schließlich ist die ursprüngliche Fassbrause schon in der ehemaligen DDR ein Brausegetränk gewesen. Dennoch waren meine Jungs recht erstaunt, mich mit einer Flasche davon am Tisch sitzen zu sehen.

„Hey, cool. Unser Coach ist bestens versorgt. Wir haben nicht zu befürchten, dass er schlechte Laune bekommt. Wenn wir schlecht gespielt haben, stellen wir Chris nur genug Fassbrause hin.“

Zur Freude der Jungs hatte Fynn auf meine Kosten einen Scherz gemacht. Aber damit konnte ich gut umgehen und kontern.

„Das wird bei einem schlechten Spiel von euch aber viel Fassbrause sein und könnte für euch sehr teuer werden. Einfacher wäre es, ihr spielt gut, einer gewinnt das Tunier und wir können gemeinsam Party machen.“

Damit hatten sie nicht gerechnet.

„Chris hat wie immer das letzte Wort. Aber der Plan gefällt mir. Wir nehmen dich beim Wort. Wenn einer das Turnier gewinnt, machst du mit uns Party. Vom Preisgeld können wir uns das dann ja locker leisten, hihi.“

„Bestellt euch bitte etwas zu trinken und lasst es auf die Teamrechnung schreiben. Ich habe das mit dem Turnierservice so besprochen. Am Ende erhalte ich die Rechnung und ihr müsst nicht alles einzeln bezahlen.“

„Cool, danke. Das vereinfacht vieles. Wie ist das mit den Getränken auf dem Platz? Muss das Team das auch bezahlen?“

Dustin dachte schon einen Schritt weiter. Es war ihm immer noch etwas unangenehm, wenn das Team etwas übernahm, was ausschließlich ihm zugute kam.

„Nein, die Getränke auf dem Platz übernimmt einer der Sponsoren des Turnieres. Lediglich die von euch angerührten speziellen Elektrolytgetränke müssen wir selbst tragen. Aber das ist auch kein Problem. Die haben wir ja auch ausreichend zum Anmischen dabei.“

Was mir überhaupt nicht mehr auffiel, Fynn und Dustin saßen nebeneinander am Tisch und zeigten offen ihre Zuneigung zueinander. Nicht übermäßig oder gar provokativ. Einfach normal. Auch ein Kuss war dabei. Allerdings sorgte das hier doch für etwas Irritation. Etliche Zuschauer und Gäste schauten dadurch doch stärker auf uns als zu anderen Gruppen.

Das Besondere war aber, dass sich keiner von uns auch nur ansatzweise beeinflussen ließ. Wir machten alles wie immer.

Ich bekam eine Nachricht auf mein Handy. Jörg stand vorn auf dem Parkplatz und wollte nun wissen, wo wir uns aufhielten. Ich schrieb ihm zurück, dass er bitte einen Moment warten möge. Ich würde ihn dort abholen kommen.

Schnell hatte ich ihn gefunden und mit zu unserem Platz auf der Terrasse genommen. Unterwegs sprachen wir schon über die aktuelle Situation. Er war sehr interessiert wie es meiner Truppe geht.

„Hallo zusammen“, begrüßte er die Jungs.

Ein fröhlicher Gruß von der Truppe folgte. Jörg setzte sich mit an den Tisch und bestellte sich ein frisches Pils.

„Du hast es gut“, frotzelte Fynn, „und kannst ein kaltes Bier trinken.“

„Dürft ihr kein Bier trinken?“, fragte Jörg überrascht.

„Nein, Chris hat uns diese Dinge verboten.“

Jetzt staunte ich aber nicht schlecht. Fynns Aussage war eigentlich absoluter Schwachsinn. Ich wollte gerade schon darauf reagieren, als Dustin dazwischen ging:

„Sag mal, Schatz, spinnst du komplett? Chris hat uns das überhaupt nicht verboten. Es ist aber doch wohl selbstverständlich, dass wir vor einem Turniermatch keinen Alkohol trinken. Wie steht Chris denn jetzt da. Jörg muss doch denken, dass wir zu blöd sind und nicht eigenverantwortlich handeln können. Also Chris hat uns überhaupt nicht verboten, auch mal ein Bier zu trinken. Nur würde ich es hier mit Sicherheit nicht machen. Ich will schließlich gewinnen.“

Dustin wirkte ernsthaft sauer auf seinen Freund. Auch die anderen beiden war leicht konsterniert über Fynns Aktion.

Jörg blickte etwas irritiert in die Runde. Doch plötzlich schlug Fynn mit der Hand auf den Tisch und erklärte lachend:

„Mann, Leute. Das war ein Scherz. Ich habe gedacht, dass ihr das niemals für ernst nehmen würdet.“

Fynn spürte, dass er mit dieser Aktion daneben gelegen hatte und was jetzt kam, zeichnete ihn wiederum aus.

„Ähm, Chris. Es tut mir leid, ich glaube, diesen Spruch hätte ich besser gelassen.“

„Gut, Fynn. Mir gefällt das, dass du deinen Fauxpas einsiehst und damit streichen wir das einfach aus dem Gedächtnis. Jörg, für dich als Erklärung der Sachlage: Auch wenn ich selbst mit Alkohol nicht mehr umgehen kann, verbiete ich den Jungs natürlich nicht den Konsum. Sie dürfen der Situation entsprechend etwas trinken. Allerdings während eines Turnieres nur bei der Siegerehrung den Siegersekt. Das muss ich ihnen aber auch nicht vorher sagen, das ist bei allen zur Selbstverständlichkeit geworden.“

Jörg hatte die letzten beiden Aussagen bereits mit einem Grinsen zur Kenntnis genommen.

„Dann bin ja beruhigt. Ich konnte mir das auch nicht vorstellen, dass Chris so ein Verbot bei euch noch brauchen würde. Nach all dem was ich von euch gehört habe.“

„So, nachdem wir das geklärt haben, meine Frage in die Runde. Wie sieht das mit Nahrungsaufnahme aus?“

„Auf jeden Fall, aber sagst du mir noch etwas zu meinem morgigen Gegner?“

„Natürlich, was soll die Frage? Das mache ich doch immer, Maxi. Jörg, wo willst du mit uns hin heute Abend?“

„Wir fahren ins Kartoffelhaus und im Anschluss daran können wir in meinen Garten fahren. Aber den Garten können wir auch morgen machen. Ich weiß ja nicht, wie lange deine Jungs heute aufbleiben dürfen.“

„Naja, nur Maxi muss morgen spielen. Ich schaue mal auf die angesetzte Zeit im Spielplan. Aber ich glaube wir sollten das später entscheiden. Lasst uns erst einmal etwas essen gehen.“

Fynn: Leipzig scheint eine interessante Stadt zu sein

Das Kartoffelhaus zu erreichen war für uns spannend, denn es lag mitten in der Innenstadt und Jörg führte uns auf dem Weg dorthin an etlichen Orten vorbei, zu denen er einiges erzählen konnte.

Als wir das Lokal betraten hatten wir schon ganz viel über Leipzig gehört. Dieser Aufenthalt versprach spannend zu werden. Auch empfand ich Jörg als lustigen Typ, der mir sofort sympathisch war.

Er hatte sogar für uns extra einen großen Tisch reserviert. Die Einrichtung bestand aus ganz viel altem Holz. Es sah urig aus und war sehr gemütlich. Ich konnte mir sofort vorstellen, dass Chris mit Jörg auch schon hier war. Das entsprach genau Chris Geschmack.

Dustin und ich hatten es uns in der Ecke gemütlich gemacht, während wir auf unser Essen warteten. Wir hatten uns eine vielseitige Platte für zwei Personen bestellt. Chris und Jörg hatten sich das gleiche bestellt, während Justin und Maxi sich etwas anderes ausgesucht hatten.

Leider gab es für Chris keine Fassbrause in dem Lokal. Wir konnten uns deshalb den einen oder anderen Scherz dazu nicht verkneifen. Chris nahm es mit Humor und konnte gut über sich selbst lachen. Allerdings teilte er auch ganz gut aus. Er erzählte Jörg zum Beispiel von Maxis Tick, immer Stunden im Bad mit seinen Haaren verbringen zu müssen.

Wir lachten viel und Jörg erzählte auch immer mal wieder eine nette Geschichte. Meistens über seine Fahrten als Straßenbahnfahrer. Es war schon spannend, worauf er als Fahrer alles achten musste.

Die erste Runde Getränke war schnell geleert und eine weitere bestellt, als Justin Chris fragte:

„Wie hast du Jörg eigentlich kennengelernt? Immerhin ist Leipzig doch eine ganze Ecke weg von Halle.“

„Warum wusste ich eigentlich, dass diese Frage kommen würde?“, lachte Jörg.

„Vermutlich, weil du meine Truppe schon ganz gut kennst.“

„Aber wie habt ihr euch denn nun kennengelernt? Ich weiß bislang nur, dass es auch über Nickstories war. Schreibst du auch Geschichten wie Chris?“

„Bevor ihr euch weiter unterhaltet, habt ihr Jörg eigentlich gefragt ob ihr ihn duzen dürft?“, fuhr Chris dazwischen.

„Ja, Chris“, schaltete sich Jörg ein, „ich habe es ihnen vorgeschlagen. Das ist vollkommen in Ordnung.“

„Na, dann ist es ja gut. Und JA, Dustin. Jörg schreibt auch Geschichten. Er hat genau wie ich an einer der Challenges teilgenommen.“

„Aber du bist eigentlich derjenige, der mich dazu animiert hatte. Weil ich deine Geschichten gut gefunden und dir ein Feedback im Chat geschrieben hatte. Darauf haben wir begonnen zu diskutieren.“

So langsam wurde es spannend. Und ich bekam sehr schnell mit, dass Jörg ein lustiger Vogel war. Immer einen lockeren Spruch auf Lager und auch mit Chris ging er sehr direkt um. Für mich war dieser Umgang mit Chris erstaunlich, denn auch die persönlichen Themen blieben nicht außen vor. Ich glaube nicht, dass ich Chris in dieser Situation im Restaurant so offen über einige Dinge angesprochen hätte. Jörg hatte immer einen positiven Gedanken im Kopf, egal wie schwierig die Situation gerade war.

Auch für Maxi hatte er einen Blick nach vorn parat. Gerade nach dem Verlust seines Vaters. Jörg freute sich ehrlich, dass Maxi wieder mit uns auf der Tour sein konnte. Jörg war bestens informiert und interessierte sich für uns und unsere Entwicklung.

Nur während des Essens hatten wir eine Pause eingelegt. Dustin und ich staunten über die riesige Platte, die wir serviert bekamen. Allerdings stellte uns das nicht vor ein ernsthaftes Problem. Schnell hatten wir uns eingearbeitet und das exzellent gute Essen war recht bald vernichtet. Als mein Schatz mir nach dem letzten Bissen einen Kuss gab, hatten Chris und Jörg noch einiges zu essen. Wir wollten sie nicht stören, aber einige Dinge waren noch offen und hätte ich gern noch geklärt. Wobei uns Chris schon gesagt hatte, dass wir Jörg nicht nur heute treffen würden. Also hatten wir noch mehr Zeit, uns mit ihm zu unterhalten.

„Kannst du morgen beim Spiel von Maxi dabei sein?“, fragte Chris Jörg.

„Kommt auf die Zeit an. Ich habe zwei Termine morgen. Und ich muss dazu sagen, ich habe überhaupt keine Ahnung vom Tennis. Du hast ja schon mehrfach versucht, es mir zu erklären. Aber so wirklich habe ich das immer noch nicht begriffen.“

Chris lachte und erwiderte:

„Genau deshalb frage ich. Da könnten es ja die Jungs mal versuchen dir Tennis zu erklären. Ich habe das nicht geschafft. Da die anderen drei morgen noch nicht zu spielen brauchen, könnten sie es dir erklären, denn ich bin mit dem Spiel von Maxi voll beschäftigt.“

„Ey, komm. So schwer ist das doch wirklich nicht. Ich kann das nicht glauben, dass Chris es nicht geschafft hat, dir das zu erklären.“

Mein Schatz lehnte sich gerade mal wieder weit aus dem Fenster und man könnte diese Aussage auch auf die Auffassungsgabe von Jörg beziehen. Ich empfand das etwas unpassend.

Chris hatte es wohl auch so empfunden, denn er reagiert zuerst.

„Das lag vermutlich an meiner schlechten Erklärung. Ihr seid damit jetzt verpflichtet, es Jörg beizubringen. Und keine Widerrede, hihi.“

Tja, damit hatten wir das geklärt. Chris würde mit Sicherheit noch mit Dustin darüber sprechen. Das konnte ich an Chris Gesicht erkennen, dass er von Dustins Aussage nicht so begeistert war.

Nichtsdestotrotz ging das Essen mit einem leckeren Eis als Nachtisch zu Ende. Chris ließ sich die Rechnung geben und als ich die Summe zufällig gesehen hatte, staunte ich. Das war eine stattliche Summe, die Chris mit Karte bezahlte.

Als wir das Lokal verlassen hatten, musste ich Chris dazu etwas fragen:

„Legst du diese ganzen Kosten erst von deinem Konto aus? Ich meine, das wird dann ja richtig viel Geld, wenn so eine Woche vorbei ist.“

Er schaute mich an, fing an zu lachen und antwortete mir:

„Hey, gute Frage. Nein, das ist eine Kreditkarte vom Team. Ich muss nichts von den offiziellen Dingen verauslagen. Lediglich einen Wetteinsatz bezahle ich dann natürlich selbst.“

Wir standen jetzt auf der Straße vor dem Lokal und irgendwie fühlte ich mich müde. Auch bei einem Blick auf die Uhr, war mir klar, heute würden wir nirgendwo mehr hingehen. Ich wollte auch nur noch ins Bett.

„Jörg, für heute machen wir Schluss. Ich muss mal runterfahren. Aber lass uns den morgigen Abend in deinem Garten ausklingen. Vermutlich sind wir am späten Nachmittag fertig mit Spielen. Kommst du uns abholen oder sollen wir mit der Bimmel zu dir fahren?“

Boah, mit der Straßenbahn in einer fremden Stadt? Das war mir gar nicht geheuer. Ich war noch nie richtig mit einer Straßenbahn gefahren.

„Wenn ihr etwas zusammenrückt, hole ich euch ab. Aber die Taschen bekommen wir dann nicht mehr mit. Also wäre es gut, wenn ihr zumindest in der Unterkunft seid.“

„Klar“, erwiderte Chris, „wir haben doch den Shuttle, der uns zurück bringt. Also wenn wir uns nicht am Platz sehen, schreibe ich dich an, ab wann wir in der Unterkunft sind.“

Das hörte sich besser an. Es war einfach nicht mein Ding in einer fremden Großstadt auf Abenteuerfahrt mit der Straßenbahn zu gehen.

Komisch für mich wurde es, als wir zurück in unserem kleinen Appartement waren. Ich spürte eine enorme Müdigkeit und hatte das Bedürfnis direkt ins Bett zu gehen. Selbst Dustin wunderte sich. Natürlich hatten die anderen einen anderen Gedanken verfolgt, weshalb ich ins Bett gehen wollte.

Aber auch Chris verabschiedete sich direkt in die Nachtruhe und saß nicht mehr bei uns im Wohnzimmer.

Wir hatten uns aber noch ein wenig zusammengesetzt. Dustin saß neben mir und wir kuschelten ein bisschen.

„Wir sollten uns morgen gut präsentieren. Das ist doch eine tolle Gelegenheit auf dieser Ebene zu zeigen, dass wir gemeinsam stark sind. Auch morgen sollten wir alle bereits Teamkleidung tragen, insbesondere Maxi anfeuern und vor allem Chris unterstützen.“

„Du hörst dich schon fast wie Chris an, Justin. Allerdings hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Und Maxi, mach dir keinen Stress. Chris weiß genau, dass du noch Trainingsrückstand hast.“

Für diesen Satz bekam ich von meinem Schatz einen Kuss. Maxi nickte und schmunzelte. Es war in der letzten Zeit selten geworden, dass Maxi lachte.

„Ich danke euch. Wisst ihr, das ist im Moment noch nicht so einfach für mich. Einerseits finde ich das mega cool, dass ich wieder mit auf die Turniere kommen darf, aber der Druck mit euch mithalten zu wollen und müssen ist enorm groß für mich.“

„Musst du doch gar nicht. Noch nicht. Spiel einfach und arbeite weiter. Das wirst du schaffen. Andere Spieler kommen auch nach Verletzungspausen wieder zurück. Du musst nur geduldig arbeiten und nicht erwarten gleich wieder Turniere zu gewinnen.“

Diese Runde ohne Chris war etwas ganz Neues. Wir waren vor einem großen Turnier in einer fremden Stadt und mir gab das ein tolles Teamgefühl. Alle waren füreinander da, ohne dass Chris etwas dazu sagen musste.

Gegen Mitternacht gingen wir endlich ins Bett. Ich war einfach todmüde. Dustin war etwas enttäuscht, dass ich nicht mehr mit ihm kuscheln wollte. Aber ich war innerhalb weniger Augenblicke bereits fest eingeschlafen.

Irgendetwas nervte mich in meinem Schlaf. So langsam dämmerte es mir, dass es bereits hell war und mich etwas kitzelte. Ich versuchte mich zu wehren, aber immer wieder störte mich etwas in meinem Schlaf. Ich wollte noch nicht aufwachen.

Erst nach einem leisen: „Schatz, aufwachen“ öffnete ich die Augen und schaute in das Gesicht meines Freundes. Dustins Lippen legten sich auf meinen Mund und dann war ich wach.

„Boah, so möchte ich immer geweckt werden. Diesen blöden Wecker sollten wir abschaffen und ich nehme dich als Wecker.“

„Hmm, warum nicht. Aber ich übernehme keine Ver….“

Ich hatte Dustin einfach auf mich gezogen und wir küssten uns innig. Ein herrliches Gefühl. Auch in unseren Lenden bewegte sich etwas. Die Folge war, wir verschoben das Aufstehen noch um einige Minuten. Aber das Ergebnis war es wert.

„Das war schön. Ich habe es schon vermisst. Wir sollten mehr Zeit für diese schönen Dinge haben.“

„Das stimmt, Dustin. Allerdings sollten wir jetzt schnell unter die Dusche springen. Sonst könnte der Tag keinen guten Anfang nehmen, sollten wir zu spät zum Frühstück erscheinen. Chris würde uns gleich einen Kopf kürzer machen.“

Das Duschen verkürzten wir ein wenig und kamen noch pünktlich zum Frühstück.

Chris: Maxi kämpft

Der erste Spieltag hatte begonnen und hier zeigte sich unser Teamgeist. Alle Jungs standen wie eine Wand hinter Maxi. Jeder Punkt wurde bejubelt und sie feuerten Maxi lautstark an. Auch als es im ersten Satz bei 3:5 gar nicht gut aussah, pushten sie ihn bei jedem Punkt. Maxi kämpfte um jeden Ball. Plötzlich hatte er eine Breakchance aus dem Nichts. Und das faszinierende war, sein Gegner bekam einen zittrigen Arm. Jetzt zeigte es sich als positiv, dass ich immer viel Wert auf die mentale Stärke gelegt hatte. Maxi konzentrierte sich sehr lange bevor er sich zum Return stellte. Der erste Aufschlag landete im Netz und Maxi ging sogar noch zwei Schritte nach vorn ins Feld. Das irritierte seinen Gegner für einen Augenblick und er produzierte einen Doppelfehler. Break!

Damit war Maxi wieder im Satz und konnte mit eigenem Aufschlag zum 5:5 ausgleichen. Er suchte immer wieder den Blickkontakt zu mir. Heute agierte ich deutlich offensiver und sichtbarer als sonst. Ich war emotionaler dabei. Allerdings ganz bewusst. Maxi sollte spüren, dass er mich mit diesem Spiel begeisterte. Ich wollte ihn zusätzlich pushen, denn dieses Niveau war mit Sicherheit sehr anstrengend für ihn und je mehr Adrenalin sein Körper ausstoßen konnte, desto länger würde er das durchhalten.

Meine Jungs feuerten ihn bei jedem Punkt an. Maxi machte das 6:5 und beim Seitenwechsel riefen Dustin und Fynn immer wieder auf den Platz und pushten ihn. Und dann passierte etwas fast unfassbares, Maxi lächelte auf dem Weg zum Return. Das hatte ich noch nie bei ihm während eines Matches erlebt.

Das Returnspiel entwickelte sich zu einem dramatischen Krimi. Immer wieder gab es Breakbälle für Maxi und sein Gegner wehrte sie ab. Dann hatte der Aufschläger Spielbälle zum 6:6, aber nach zehn Minuten gewann Maxi den Satz durch einen erneuten Doppelfehler seines Gegners. Danach flog der Schläger in den Zaun und sofort hagelte es eine Verwarnung für den Chilenen. Alles Dinge, die für Maxi nicht von Nachteil sein sollten.

In dieser Aufregung hatte ich Jörg nicht bemerkt. Er hatte sich zu uns gesellt, ohne uns zu begrüßen. Als sich der Trubel etwas gelegt hatte, sagte er trocken:

„Hi, hier ist ja richtig was los. Ich komme wohl genau richtig wenn es spannend ist.“

„Boah, Jörg. Wie kannst du dich so anschleichen? Ich bin dem Herztod nahe und dann kommst du auch noch so angeschlichen. Schön, dass du da bist.“

Dann umarmte ich ihn und wir mussten alle lachen.

„Fynn“ lachte Jörg, „geh mal bitte ins Clubhaus und hole eine Rutsche Fassbrause. Euer Coach braucht seine Medizin.“

Das war auch für Fynn zu viel. Er musste herzlich lachen, machte sich aber sofort mit einem Geldschein von Jörg auf den Weg und kam innerhalb von fünf Minuten mit fünf Flaschen Fassbrause zurück.

„So, Prost. Auf den kommenden Erfolg. Ich prophezeie ein großes Turnier und darauf stoßen wir jetzt an.“

Maxis Spiel lief natürlich weiter und somit musste ich mich schnell wieder dem Match zuwenden. Allerdings konnte ich mich schnell etwas entspannen, denn der Chilene hatte nach dem Satzverlust vollkommen den Faden verloren. Entgegen früherer Schwäche, solche Situationen leichtfertig zu verspielen, setzte Maxi jetzt nach und spielte seinen Gegner an die Wand. Ein klarer 6:2 Erfolg war die Folge. Maxi freute sich riesig über diesen überraschenden Sieg, den er sich aber redlich verdient hatte. Auch wenn dieses Spiel viel Kraft gekostet hatte, wollte er um jeden Preis seine Chance nutzen und auch noch das zweite Match bestreiten. Ob das richtig war? Ich war mir nicht sicher, ob es nicht ein hohes Risiko war. Schließlich hatte er bei weitem noch nicht wieder seine volle Fitness erreicht.

Zuerst sollte er aber seinen Erfolg genießen können und ich empfing ihn mit entsprechender Begeisterung für die gezeigte Leistung.

„Sehr cool, Maxi. Das war stark. Grandios gespielt und ich habe nur ganz wenige Dinge im ersten Satz zu kritisieren.“

Maxi schlug meine hingehaltene Hand ab und strahlte über das ganze Gesicht. Auch die anderen Jungs umarmten ihn und klopften ihm auf die Schulter. Jeder freute sich ehrlich für Maxi. Endlich gab es wieder etwas Erfreuliches für ihn zu vermelden. Hoffentlich war die harte Zeit ab heute endgültig vorbei.

Die Jungs waren aufgedreht, denn der erste Erfolg war da. Jörg und ich machten zwei oder drei Schritte abseits.

„Na, Chris. Das sieht doch gut aus. Ich habe es ja gesagt, dass das Turnier ein großer Erfolg wird. Nun entspann dich mal wieder etwas.“

„Jaja, ist schon gut. Aber so leicht ist das für mich nicht. Ich kann nicht einfach einen Schalter umlegen und sofort in den Freizeitmodus wechseln. Außerdem ist nach dem Spiel vor dem Spiel. Maxi muss heute noch das zweite Spiel bestreiten. Das gilt es gleich vorzubereiten.“

„Gut, aber bis dahin kannst du doch mal etwas entspannen. Die Jungs können doch auf sich selbst aufpassen. Lass uns mal ein Stück Kuchen essen und einen Othello trinken gehen.“

„Das ist eine überzeugende Idee. Da lass ich mich nicht zweimal bitten.“

Ich gab meiner Truppe Bescheid und erinnerte Maxi ans Auslaufen. Danach gingen wir in den Players Bereich und hatten unsere Ruhe. Dort hatten Zuschauer keinen Zutritt.

„Eines muss man euch Tennisleuten aber lassen, das catering ist erste Klasse hier. Da gibt es nichts zu meckern. Ist das immer so edel?“

„Ich achte eigentlich nicht auf diese Dinge. Für mich ist die gute Ernährung wichtig. Das Drumherum interessiert mich eher weniger. Die gute Organisation des Turnieres ist für uns viel wichtiger, allerdings muss ich dir zustimmen. Hier in Leipzig hat man sich große Mühe gegeben. Vor allem befinden wir uns ja noch in der Qualifikation. Das richtige Turnier beginnt erst morgen.“

„Und die anderen sind bereits für das Hauptturnier qualifiziert?“

„Genau, sie haben bereits genügend Punkte gesammelt, dass sie aufgrund ihrer Ranglistenposition im Hauptfeld sind. Das ist für uns bereits ein richtiger Erfolg in so kurzer Zeit bereits so weit gekommen zu sein. Allerdings ist dieses Turnier ein Challengerturnier und hier hängen die Trauben noch ein Stück höher als sonst. Also erwarte nicht zu viel. Es könnte sein, dass bereits nach der ersten Runde für uns das Turnier beendet ist. Das wäre aber für mich kein Problem.“

„Du bist sehr negativ eingestellt. Deine Jungs strahlen Motivation und Ehrgeiz mit viel Freude aus. Warum bist du als Trainer dann so negativ?“

„Ich bin nicht negativ eingestellt. Ich bin Realist und weiß wie schwer Erfolg zu erarbeiten ist. Jeden Sieg nehme ich natürlich mit großer Freude mit. Schauen wir doch einmal, wer von uns beiden näher an der Realität liegt.“

„Genau. Und ich sage dir, dass dieses Turnier ein großer Erfolg sein wird. So ein Team macht unglaublich stark. Warte es ab. Auch Maxi hat dich doch schon überrascht mit dieser Leistung. Warum nicht auch die anderen?“

Eine berechtigte Frage. Jörg hatte mir schon mehrfach aufgezeigt, dass ich manchmal mit mehr positiver Energie durchs Leben gehen sollte. Wie sagte er immer so schön, Augen auf und Blick nach vorn.

Es tat mir gut mit Jörg in Ruhe am Tisch sitzen zu können und für wenige Minuten einmal nicht an Tennis zu denken. Allerdings schwirrte mir auch das nächste Spiel von Maxi im Hinterkopf herum. Jörg hatte ein gutes Gespür.

„Wann musst du mit Maxi die Vorbereitung für das nächste Spiel beginnen?“

„Wenn ich weiß, wer sein Gegner sein wird. Vorher macht das wenig Sinn. Diese Partie kommt erst noch. Also werde ich mir das auch anschauen, um mir ein Bild machen zu können.“

„Wird Maxi sich das auch anschauen oder musst du ihm das noch extra ansagen?“

„Nein, das wird er ganz bestimmt auch machen. Darum muss ich mich nicht mehr kümmern. Das klappt gut bei meinen Jungs. Aber manchmal haben sie keine Möglichkeit, sich ihren Gegner anzuschauen, weil sie parallel spielen oder bei der Physio sind.“

„Woran ihr alles denken müsst. Das empfinde ich als anstrengend für dich als Trainer. Wann kannst du mal richtig abschalten?“

„Ehrliche Antwort? Wenn wir wieder zu Hause sind und ich auf dem Motorrad sitze. In den Spielpausen erhole ich mich zwar auch, aber richtig abschalten kann ich eigentlich nicht während eines Turnieres. Auch weil wir mit vier Spielern unterwegs sind, die manchmal alle zeitgleich oder versetzt an einem Tag zu betreuen sind.“

„Beeindruckend wie locker und gelassen du damit umgehen kannst. Wie lange wird das noch mit vier Spielern möglich sein? Dein Bruder ist ja nur mit einem Spieler unterwegs.“

„Das wird man sehen. Sicherlich nicht bis auf die große ATP Tour. Dort wird der Druck so hoch, dass du nur mit einem Spieler arbeiten kannst. Allerdings steht das noch nicht zur Diskussion. Davon sind meine Jungs schon noch ein wenig entfernt. Mal sehen ob und wann einer auf der Challengerebene richtig erfolgreich wird. Dann schauen wir uns das erneut an.“

Mein Handy meldete sich und gab mir den Hinweis, dass mich meine Jungs suchten. Maxi hatte nach mir gefragt und ich schickte ihnen die Information, dass ich mit Jörg im Playersbereich saß. Wenige Augenblicke später tauchte Maxi bei uns auf.

„Sorry, ich wollte dich eigentlich nicht stören, aber mein nächster Gegner spielt auf Platz fünf und ich möchte dich fragen, ob wir uns das gemeinsam anschauen wollen? Da könntest du mir schon einiges zur Strategie sagen.“

Das war eine neue Idee, die er mitbrachte. Mir gefiel das gut und so bat ich ihn, den anderen Bescheid zu geben. Wir würden uns dann am Platz fünf treffen.

„Du hast Maxi gut eingeschätzt. Er hat eigenverantwortlich gehandelt und sich Gedanken gemacht. Aber er möchte dich auch dabeihaben. Ist das für dich in Ordnung, wenn er sich das einfordert?“

„Absolut. Ich bin ziemlich begeistert über diese Idee, die er sich ausgedacht hat. Außerdem hat er das nicht eingefordert. Er hat es als Frage oder Bitte formuliert. Dass ich das nicht ablehnen würde, hat er zwar einkalkuliert, aber er hat das gut gemacht. Lass uns aufbrechen. Platz fünf ist eine ganze Ecke weg.“

Ich nahm meinen Rucksack mit und füllte meine Trinkflasche noch auf. Dann schlenderte ich mit Jörg über die Anlage zu Platz fünf. Interessant war die Sitzverteilung meiner Jungs. Dustin und Fynn saßen hinter Maxi und Justin, die wiederum einen Platz zwischen sich freigelassen hatten.

Ich stand mit Jörg vor ihnen und wollte gerade darum bitten, dass Maxi noch einen Platz weiterrutscht, als er bereits aufstand und für Jörg seinen Platz räumte. Sehr aufmerksam.

„Dann wollen wir doch einmal schauen ob wir Maxi ein paar gute Hinweise geben können. Hat einer schon den Spielstand herausgefunden?“

„Klar, es steht 3:1 im zweiten Satz für Jeffrey von der Schulenburg. Den ersten Satz hat allerdings Obert gewonnen.“

Ich schaute in meinem Laptop welche Informationen ich zu diesen beiden Spielern abrufen konnte. Der junge Schweizer stand erst auf Position 2023 währen der Deutsche schon gut auf vierhundert zu finden war.

Was ich allerdings über den jungen Schweizer las, war schon beachtlich. Er war erst fünfzehn und hatte noch einen großen Bruder, der bereits in den USA im Collegetennis erfolgreich war. Also eine Tennisfamilie.

Während Maxi intensiv das Spiel beobachtete, nutzte ich die Zeit mich einmal umzuschauen. Ich suchte nach den Eltern von dem jungen Schweizer. Konnte aber keinen ausmachen, der dazu gehören könnte.

Der Junge spielte hervorragendes Tennis und ließ sich nicht von seinem Gegner einschüchtern. Fynn und Dustin hatten schnell geklärt, dass sie zum jungen Schweizer hielten. Entsprechend eindeutig feuerten sie ihn auch an. Maxi hielt sich zurück. Ich bastelte innerlich schon an der Strategie gegen beide Spieler.

Der zweite Satz war an den Schweizer gegangen und Justin fragte mich:

„Der Junge ist cool. Spielen kann er und auch seine Strategie ist genial. Er muss einen guten Coach haben, der das vorbereitet hat. Ich weiß nicht ob ich so viel Geduld hätte.“

„Hättest du. Ganz sicher. Dafür willst du viel zu sehr gewinnen. Das macht dir sicher wenig Freude, aber wenn du gewinnen willst, wirst du das machen.“

Dabei klopfte ich ihm auf die Schulter und lachte. Justin nickte und lachte ebenfalls. Jörg schaute immer wieder zwischen uns hin und her.

Plötzlich gab es auf dem Platz etwas Unruhe. Der deutsche Spieler hatte eine Diskussion mit dem Schiedsrichter. Er hatte dem Spieler eine Verwarnung wegen unerlaubten Coachings gegeben. Darüber regte sich der Deutsche jetzt heftig auf. Es kam zu einem Wortgefecht auf dem Platz. Der junge Schweizer hingegen setzte sich entspannt auf seine Bank und wartete, bis sich alles geklärt hatte. Ziemlich cool der Junge.

Dustin und Fynn nutzten die Spielpause, um sich mit Küssen zu beschäftigen.

„Hey, ihr könnt aber auch keine Stunde mehr ohne Knutschen auskommen, oder?“

Justin frotzelte häufiger mal gegen die beiden, aber mittlerweile konterten sie gekonnt und blieben lustig dabei. Es gab also keinen Grund zum eingreifen. Dustin streckte Justin die Zunge heraus und grinste dabei.

Mittlerweile hatte das Match wieder begonnen und die Zuschauer wurden um Ruhe gebeten. Also setzte ich mich wieder hin und schaute zu, wie sich der Schweizer souverän im zweiten Satz durchsetzte. Auch im dritten Satz blieb er ruhig und verfolgte strikt seine Strategie. Dem Deutschen fiel nichts dagegen ein und somit gewann der Schweizer verdient im dritten Satz. Das würde für Maxi eine schwierige Aufgabe werden, denn auch er hatte es nicht gern, gegen einen Defensivkünstler zu spielen.

„Also Maxi, du hast gesehen was dich erwartet.“

„Oh ja, leider. Das wird kein schönes Spiel. Aber wer gewinnen will, braucht keine Schönheitspreise.“

„Hahaha, sehr guter Spruch. So kannte ich ihn noch nicht. Kreativ umgewandelt. Das gefällt mir gut“, lachte Jörg.

„Ja, sehr guter Text. Das gefällt mir auch gut. Aber damit wir noch etwas genauer in die Strategie gehen können, möchte ich dich in zehn Minuten zur Strategieplanung sehen. Bis dahin kannst du dir schon etwas Gedanken machen. Justin, was macht dein Arm? Kannst du heute mit Dustin und Fynn etwas trainieren? Oder geht das noch nicht so gut?“

Sofort ärgerte ich mich über die letzte Frage. Justin würde jetzt niemals zugeben, dass er noch Schmerzen hatte. Entsprechend fiel seine Antwort aus:

„Doch, trainieren geht sicherlich. Ich habe nur noch Probleme beim Aufschlag gehabt. Aber vielleicht ist das heute auch schon wieder besser.“

„Gut, dann solltet ihr in einer Stunde auf Platz dreizehn sein und dort eine Trainingseinheit machen. Ich werde bei Maxi bleiben und sein zweites Match begleiten. Aber trainieren könnt ihr auch allein. Wenn es Probleme geben sollte, wisst ihr ja wo ich sitze.“

Dass Dustin und Fynn das überhaupt nicht gefallen würde, war mir schon vorher klar. Sie wollten mich immer dabei haben. Erst recht vor einem großen Turniermatch. Heute würde es einfach nicht gehen, denn der Zeitplan war vom Veranstalter festgelegt.

„Müssen wir denn unbedingt parallel trainieren? Wir können doch später noch trainieren, wenn das Match vorbei ist. Irgendwie finde ich das blöd.“

„Ja, heute ist das so. Der Veranstalter hat uns diese Trainingszeit zugewiesen und Maxi wurde parallel angesetzt. Und jetzt macht mal einen Punkt. Ihr seid keine dreizehn mehr und wisst wie so ein Training aufgebaut sein sollte. Also macht euch nicht ins Hemd und zeigt mir, dass ihr selbständig geworden seid.“

Damit hatte ich den Tonfall etwas verschärft. Früher wäre das in einem Desaster bei Dustin geendet. Heute kniff er nur kurz die Augen zusammen und erwiderte:

„Also, du bist davon überzeugt, dass wir das auch ohne dich hinbekommen und morgen gut vorbereitet sein werden. Dann machen wir das auch so.“

„Ja, genau so wollte ich das hören. Sehr gut. Weitermachen. Ich bin dabei total entspannt. Erst heute Abend gehen wir in die konkrete Vorbereitung für morgen. Heute steht Maxi im Vordergrund. Er ist schließlich bereits im Turnier gefordert.“

Truppe rückte ab und Jörg schaute mich fragend an.

„Ist das immer so bei euch? Ich meine, du arbeitest doch schon lange mit ihnen. Warum ist das für Dustin so ein Problem, mal ein Training ohne dich zu machen?“

„Weil er es so gewohnt ist. Dustin hat mit Veränderungen immer schon Schwierigkeiten gehabt. Allerdings ist er heute um einiges entspannter geworden. Er weiß auch, dass ich immer in der Nähe bin. Dennoch stört es ihn, wenn sich irgendetwas bei den gewohnten Abläufen ändert.“

Maxi: Die Kraft wird entscheiden

Unfassbar, was ein Turniermatch an Kraft kosten kann. Obwohl ich in den letzten Wochen wieder hart trainiert hatte, war mein Akku noch längst nicht voll. Das spürte ich heute insbesondere im zweiten Satz des zweiten Matches. Der junge Schweizer spielte wie eine Ballwand. Er brachte einfach alles zurück und machte nicht den Eindruck, dass er müde werden könnte. Er hatte sich auch nicht von meinem Gewinn des ersten Satzes beeindrucken lassen. Im Gegenteil, er fightete noch härter um jeden Ball. Die Ballwechsel waren lang und kosteten mich viel Kraft. Beim Seitenwechsel im zweiten Satz beim Stand von 3:4 blickte ich zu Chris. Meine Lunge brannte und so würde ich das Match auf dem Niveau noch nicht durchhalten.

Chris saß vollkommen ruhig auf seinem Platz und unterhielt sich mit Jörg. Allerdings hatte er stets Blickkontakt zu mir. Plötzlich signalisierte er mit einer Handbewegung, dass ich aggressiver spielen sollte. Er hatte mich verstanden und akzeptierte meine aufkommende Müdigkeit.

Ich probierte die Ballwechsel zu verkürzen und mehr Druck aufzubauen. Dadurch stieg natürlich das Risiko Fehler zu machen. Aber in dieser Intensität hätte es keinen Sinn gemacht weiterzuspielen. Es reichte dafür noch nicht.

Leider ging der zweite Satz im Tie-break unglücklich verloren. Ich ärgerte mich über zwei einfache Punktverluste, die den Satz entschieden hatten. Chris hingegen stand von seinem Platz auf und applaudierte mir offen zu.

Eigentlich war ich komplett leer. Ich hatte meine ganze Energie in den zweiten Satz gelegt und hatte gehofft, das Match dann entschieden zu haben. Das war nicht gelungen. Ich legte mir das Handtuch über den Kopf, um die letzten Kraftreserven zu bündeln.

Plötzlich hörte ich Chris Stimme in meiner Nähe. Wo kam er jetzt so schnell her?

„Ich habe mich entschieden, Maxi. Du solltest aufhören und deinen Körper nicht überlasten. Für dich ist das kommende Turnier viel wichtiger. Du brauchst viele Matches, aber kein Match, welches dich körperlich zerstört. Was denkst du?“

„Es wäre wirklich für dich in Ordnung, wenn ich nicht weiterspiele? Ich fühle mich wie ausgekotzt und wollte es in zwei Sätzen gewinnen. Aber mein Gegner ist nicht eingebrochen und jetzt ist mein Akku einfach leer.“

Chris nickte nur kurz und drehte sich zum Schiedsrichterstuhl. Dann sprach er kurz mit dem Schiedsrichter und der beendete das Match. Ich ging meinem Gegner gratulieren und ganz ehrlich, ich war heilfroh, dass es vorbei war. So platt fühlte ich mich schon lange nicht mehr.

Mit Verwunderung nahm Jeffrey meinen Glückwunsch an.

„Das tut mir aber leid. Warum kannst du nicht weiterspielen?“

„Ich bin einfach noch nicht wieder richtig fit. Ich hatte eine längere Pause und habe keine Turniere gespielt. Dies heute ist sozusagen meine Premiere wieder.“

„Ah okay, warst du verletzt?“, fragte er freundlich nach.

Wir hatten bereits unsere Taschen geschultert und den Platz verlassen. Ich hatte ein gutes Gefühl bei ihm und gab eine ehrliche Antwort:

„Nein, aber mein Vater war sehr krank. Ich wollte meine Mutter unterstützen und habe daher nicht mehr ausreichend trainieren können.“

„Und jetzt ist er wieder gesund und du kannst wieder trainieren? Das ist doch cool, aber klar, das braucht Zeit.“

„Nein, er ist vor einigen Wochen gestorben.“

Mehr konnte ich nicht mehr sagen. Meine Stimme versagte plötzlich und ich fühlte mich ganz schlecht. Jeffrey spürte es sofort, ließ mich aber nicht allein. Es sagte nichts und blieb einfach bei mir stehen. Erst als ich mich etwas gefangen hatte, sprach er mir sein Beileid aus. Eine tolle Geste. Was ich gar nicht bemerkt hatte, Chris war mittlerweile bei uns und hatte wohl mitbekommen, über was wir geredet hatten.

„Geht es wieder etwas besser, Maxi?“

Ich nickte nur und Chris meinte:

„Dann nimm dir genug Zeit, dich zu beruhigen. Es ist alles in Ordnung. Und dir, Jeffrey, sei gesagt, dass du keinen Fehler gemacht hast. Bei Maxi ist der Schmerz noch nicht überwunden. Es braucht noch mehr Zeit. Ich gratuliere dir aber zum Sieg und hoffe, wir sehen uns hier noch einmal am morgigen Tag. Du hast mich beeindruckt mit deiner Leistung. Vor allem auch im Kopf.“

Jeffrey freute sich über das Lob und verabschiedete sich von mir. Allerdings mit einem freundlichen und aufmunternden Wink. Es tat mir gut, dass mein Gegner sich nicht freute, dass er so gewonnen hatte. Er war ehrlich bedrückt über die Situation.

„Hoffentlich habe ich ihm jetzt nicht ein schlechtes Gewissen gemacht. Er muss morgen ja weiterspielen.“

„Keine Sorge, Maxi. Ich werde da ein Auge drauf haben. Auch weil er schon extrem weit entwickelt ist. Mich hat er schwer beeindruckt mit seiner Leistung und seinem Auftreten.“

„Gut, das stimmt sicher. Ich gehe jetzt besser gleich auslaufen und zur Physio. Kann ich schon etwas essen? Oder essen wir nachher gemeinsam? Du gehst doch bestimmt jetzt zu den anderen auf den Trainingsplatz.“

„Nein, da gehe ich nicht hin. Das müssen sie heute allein machen. Jörg und ich werden uns auf die Terrasse setzen und auf euch warten. Nebenbei hole ich mir die Auslosung und den Zeitplan für morgen. Wir essen gemeinsam mit Jörg.“

Als ich mich auf den Weg zum Auslaufen machte, bekam ich ein Gespräch mit. Zwei Schiedsrichter unterhielten sich. Sie sprachen mit Sicherheit über Dustin und Fynn. Es ging um Homosexualität und dass sie es als skandalös empfanden, wie hier Spieler ihre Zuneigung offen zeigten. Was mich beunruhigte, es waren Schiedsrichter, die in diesem Turnier eingesetzt wurden. Der eine wurde sogar noch deutlicher, indem er ankündigte, dass keiner der beiden ein Spiel gewinnen würde, sollte er bei diesem Spiel auf dem Stuhl sitzen. Das löste bei mir Wut, aber auch Angst und Unverständnis aus. Wie konnten Schiedsrichter eingesetzt werden, die so eine Haltung hatten? Was hatte das mit Sport zu tun?

Als ich beim Physio auf der Massagebank lag, kamen wir ins Gespräch über das Turnier. Ich erzählte von dem Gehörten und Lukas, so hieß mein Physio, reagierte empört.

„Wenn das stimmt was du gerade erzählt hast, dann musst du sofort zur Turnierleitung gehen und das berichten. Oder sag deinem Trainer Bescheid, dass er mit dir dort vorstellig wird. Das geht echt gar nicht. Solche Leute haben als Schiedsrichter nichts bei einem Turnier zu suchen.“

Ich entschied mich aber zuerst mit Chris und meinen Freunden zu sprechen. Das wollte ich nicht allein entscheiden.

Mir gingen einige wirre Gedanken durch den Kopf, als ich mich zu Jörg und Chris an den Tisch setzte. Dustin und Justin waren noch nicht bei uns, nur Fynn saß bereits neben Chris.

„Na, wie geht es dir jetzt nach der Massage?“, fragte Chris.

„Es geht so. Ich bin gerade einfach nur verwirrt und sauer.“

„Nanu, warum das denn?“, wunderte sich Jörg.

„Verstehe ich auch gerade nicht. Du hast dir nichts vorzuwerfen und eine gute Leistung gezeigt. Warum bist du sauer?“

„Können wir bitte warten bis Dustin und Justin auch hier sind. Dann erkläre ich das gerne.“

„Oha, jetzt wird es interessant. Dann bestell dir bitte etwas zu trinken. Du hast mich richtig neugierig gemacht. So wie du aussiehst, hast du irgendetwas mitbekommen.“

Chris: Es wird wieder unangenehm, aber keine Kompromisse

In mir fing es an zu kribbeln. Mein Kopf stellte sich bereits auf Probleme ein. So wie Maxi reagierte, musste irgendetwas vorgefallen sein. Und das war garantiert nichts Positives.

Und er wurde immer unruhiger als Dustin sich zu Fynn setzte. Es dämmerte mir langsam. Mal schauen, was genau vorgefallen war.

Jörg und ich saßen uns gegenüber und dann stieß Justin auch zu uns. Das war das Startsignal. Es brodelte bereits bei Maxi. Er versuchte ruhig zu bleiben, aber je mehr er erzählte, desto erregter und aggressiver wurde er. Dennoch ließ ich ihn gewähren. Er sollte es aus seiner Perspektive und aus seinen Gefühlen heraus schildern. Als er geendet hatte, schaute er mich wütend, aber auch fragend an.

Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, reagierte Dustin und sprang vom Tisch auf. Aggressiv wollte er in das Turnierleiterbüro stürmen und dort ein großes Fass aufmachen.

„Stopp! Du gehst nirgendwo hin. Hinsetzen und beruhig dich wieder.“

Dustin, aber auch die anderen am Tisch zuckten zusammen. Diese Tonlage kannten sie von mir überhaupt nicht. Entsprechend verwirrt schauten sie mich an. Ich blieb äußerlich ruhig, aber in mir sah es auch anders aus.

„Leute, kommt mal klar. Wenn wir uns jetzt wie die aufgescheuchten Hornissen aufregen, geben wir ihnen doch genau das was sie wollen. Wir machen uns angreifbar. Nein, wir regeln das auf unsere Art. Mit Kopf und Plan. Bevor irgendjemand denkt, ich würde nichts gegen diese Schiedsrichter unternehmen, der irrt. Aber ich werde das auf meine Art machen und zwar so, dass sie für lange Zeit darüber nachdenken müssen.“

„Wie können solche Leute Schiedsrichter werden? Das ist ja so ähnlich wie beim Bestechungsskandal in der Fußballbundesliga. Unglaublich. Man kann sich kaum vorstellen, dass so etwas möglich ist.“

Jörg schüttelte den Kopf und wirkte traurig. Ich musste jetzt schnell reagieren, damit meine Truppe nicht den Fokus verlor.

Ich traf eine Entscheidung.

„Jörg, ich möchte dich bitten bei den Jungs zu bleiben, während ich im Turnierbüro die Spielzeiten für morgen hole. Dabei werde ich mit der Turnierleitung auch dieses Thema anschneiden. Und ich möchte, dass ihr mit niemandem darüber redet. Noch nicht.“

Mein Plan stand und das spürten meine Jungs sofort. Selbst Dustin nickte mir nur noch zu und es fühlte sich gut an, wie sehr sie mir vertrauten. Ihnen war klar, dass ich mich maximal für sie einsetzen würde.

Ich gab Maxi einen Wink, dass er mir gleich mit etwas zeitlichem Abstand folgen sollte. Ich brauchte ihn als Zeugen bei der Turnierleitung.

Deshalb betrat ich zuerst allein das Turnierbüro. Der Empfang war freundlich und gelöst. Man fragte mich für welche Spieler ich zuständig sei und gab mir für jeden eine Tasche mit Sponsorengeschenken. Man erklärte mir die Trainingsplatzbuchung und gab mir die Auslosung mit dem Zeitplan für den morgigen Tag. Soweit so gut, dann betrat Maxi den Raum und stellte sich zu mir. Auch er begrüßte das Team hinter dem Tisch.

„Ich habe da noch ein Anliegen. Ich müsste den ATP-Supervisor bitte umgehend einmal sprechen.“

Danach wurde ich schon etwas argwöhnisch angeschaut und beobachtet, aber man kam meiner Bitte nach und ließ den Supervisor rufen. Wir sollten im Presseraum auf ihn warten, damit das Turnierbüro nicht blockiert würde.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte mich Maxi sichtlich nervös.

„Warte es ab und mach dir keinen Kopf. Ich kenne den Mann gut vom Turnier in Halle. Er war bei den „Gerry Weber Open“ auch Supervisor der ATP.“

Cedric Mourier war einer der anerkanntesten Supervisor der ATP. Ich kannte ich schon einige Jahre, denn er war jedes Jahr in Halle der Chef der Schiedsrichter. Jemand, der für seine Fairness und Neutralität bekannt war.

Als er den Raum betrat und mich erkannte, musste er lachen.

„Hallo, herzlich willkommen in Leipzig. Eine Haller Abordnung spielt hier, das ist schön. Was hast du für ein Problem?“

Wir gaben uns die Hand und ich stellte ihm Maxi vor und bat Maxi dann seine Beobachtungen zu schildern.

„Das ist aber ganz übel. Würdest du diese beiden Personen wiedererkennen?“

„Ja, absolut. Diese Typen werde ich ganz sicher sofort wiedererkennen. Diese Gesichter habe ich mir gemerkt.“

Cedric nickte, sagte aber auch:

„Ich kann jetzt noch nichts machen, aber ich werde auf die Spiele von euch ein ganz besonderes Auge haben. Sollte es zu komischen Dingen kommen, werde ich umgehend hart reagieren. Maxi, wenn du diese beiden Schiedsrichter morgen auf der Anlage siehst, möchte ich dich bitten, mich zu informieren. Ich möchte wissen um wen es sich handelt. Dann kann ich noch genauer darauf achten, wie sie sich verhalten. Ich nehme diese Sache sehr ernst. Sollte sich das bestätigen, werde ich diese Schiedsrichter für alle weiteren ATP Turniere sperren lassen. Das verspreche ich euch.“

„Gut, das hört sich vernünftig an. Du wirst sicher verstehen, dass Fynn und Dustin durch ihre bisherigen Erfahrungen sehr sensibel reagieren.“

„Das glaube ich sofort. Gerade nach der Aktion in Kitzbühel. Ich habe den Bericht gelesen und war erschüttert. Es ist bitter, dass es immer noch Leute gibt, die Homosexualität nicht akzeptieren wollen. Umso wichtiger ist es für uns als ATP dagegen vorzugehen und diesen Spielern Schutz zu gewähren. Du kannst dich auf mich verlassen und wenn die beiden es möchten, dürfen sie mich gerne auch persönlich aufsuchen. Ich stehe dafür gerne zur Verfügung. Sag ihnen das bitte.“

„Danke, dann habe ich genau das erreicht, was ich wollte. Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt mit Panik zu reagieren. Wir sollten das ernst nehmen, aber erst reagieren wenn es notwendig wird.“

„Richtig, aber dann auch mit der vollen Härte. Da bin ich ganz deiner Meinung. Sollte sich hier noch mehr in dieser Richtung entwickeln, möchte ich bitte umgehend informiert werden.“

Letzteres hatte er in Richtung Maxi gesagt. Dieser nickte nur und wirkte beeindruckt von der Reaktion Cedrics. Zum Abschied reichte er uns seine Hand und ich konnte etwas beruhigter zu den anderen Jungs zurückgehen.

Auf dem Weg dorthin fragte mich Maxi:

„Denkst du, dass wir hier sicher spielen können und auch du vor Übergriffen geschützt bist?“

„Ja, Maxi. Davon bin ich jetzt überzeugt. Ich kenne Cedric lange genug, um zu wissen, dass er keine Kompromisse in dieser Sache machen wird. Wir müssen nur die Informationen rechtzeitig liefern, damit er handeln kann.“

Der Zeitplan für den morgigen Tag versprach viel Arbeit für mich. Alle drei Spiele waren zeitversetzt geplant. Das bedeutete für mich wenig Pause und viel Stress.

Daher ließ ich uns schnell in unser Appartement bringen. Ich hatte Jörg gebeten zu uns zum Essen zu kommen. Der Abend sollte in entspannter Atmosphäre verlaufen.

Ich hatte geplant eine Lasagne zu machen. Justin wollte mir bei der Essenszubereitung helfen und Jörg die Vorspeise machen. So konnte ich mich auf die Lasagne konzentrieren während Justin sich um das Dessert kümmerte.

Also kümmerte sich Jörg um eine Tomatensuppe mit frischen Tomaten aus seinem Kleingarten.

Nach etwa einer Stunde hatten wir alles vorbereitet und der Tisch konnte gedeckt werden.

„Deine Lasagne hat wirklich fast Legendenstatus, Chris. Sowohl Fiete als auch Joachim und ich waren und sind davon begeistert. Damit ist es dir sogar gelungen, Ben zum Kochen zu animieren. Anja ist dir dafür heute noch dankbar, hihi.“

„Du übertreibst maßlos, Jörg. Ich arbeite nur kreativ in der Küche. Immer auch mal etwas ausprobieren. Aber zugegeben, die Lasagne ist lecker.“

„Wer sind Fiete, Ben und Anja?“, fragte Dustin.

„Das sind auch Freunde aus der NiSt-Familie. Sie leben im Ruhrgebiet und ich habe sie auch bereits mehrfach besucht. Auch Fiete habe ich durch das Schreiben und Austauschen von Feedbacks kennengelernt.“

Der Abend wurde noch sehr lustig. Außerdem konnte ich sogar etwas entspannen. Jörg hatte uns noch einige Dinge über Leipzig erzählt und eine Sache hatte eine besondere Wirkung auf meine Truppe. Die LVB, die Leipziger Verkehrsbetriebe, hatten mit einem großen Truck für den CSD von Leipzig geworben. Das Motto war „Bunte Leipziger“.

Dieser Umzug würde am Samstag vor dem Finale stattfinden. Normalerweise wären wir dann leider schon auf dem Weg nach Lübeck.

Es war erstaunlich, aber es blieb kein Rest von unserem Essen übrig. Alle hatten ordentlich zugelangt und keiner hatte gemeckert. Also waren unsere Künste wohl nicht so schlecht.

Meine Jungs zogen sich kurz vor Mitternacht zurück und ich blieb mit Jörg noch etwas auf dem Balkon in der lauen Luft.

„Bist du mit den Jungs zufrieden? Ich finde, dass sie sich heute toll präsentiert haben. Du hast mit deinen Schilderungen ein wenig untertrieben. Ich mag sie wirklich und bin überzeugt, dass sie bald den richtigen Durchbruch schaffen können.“

„Danke. Das freut mich, dass du sie positiv empfindest. Geht mir genauso, auch wenn ich weiß, wie schwer es wird. Es reicht nicht aus, nur Talent und Willen zu haben. Aber wir haben keinen direkten Erfolgsdruck. Wir schauen einfach, wie weit wir kommen.“

„Mit deiner Unterstützung können sie ganz weit kommen. Du weißt das auch, aber du lässt es nicht zu, dass mal etwas davon herauskommt. Immer nach außen zurückhaltend und reserviert. Ich spüre den Willen und die Fähigkeiten deiner Jungs. Du hast sie optimal vorbereitet und sie werden dieses Mal die Ernte einfahren. Wart es ab.“

Es war nicht meine Art, nach außen so offensiv aufzutreten. Jörg hatte das positive Denken im Blut. Immer nach vorn schauen und davon ausgehen, dass es klappt. Erst wenn Plan A gescheitert ist, kommt Plan B in Betracht. Ich hatte von vornherein schon einen Plan B und Plan C im Kopf, weil ich nicht davon ausgehen kann, dass Plan A funktioniert und erfolgreich sein wird.

Jörg fuhr gegen ein Uhr in der Frühe nach Hause und ich ging ins Bett. Erstaunlicherweise fühlte ich mich am nächsten Morgen dennoch richtig gut. Obwohl die Nacht recht kurz war, hatte ich gut und tief geschlafen.

Heute sollte der erste Tag des Turnieres sein und ich war sehr gespannt, wie sich unser Team präsentieren würde. Ergebnisse waren zwar offiziell noch nicht erwartet worden, aber ich würde es persönlich beruhigend finden, sollte einer der Jungs heute eine Runde überstehen. Wenn sie hier aber alle ganz böse verhauen würden, müsste ich mir allerdings die Frage stellen, ob es nicht doch noch eine Überforderung der Jungs wäre.

Entsprechend angespannt saß ich später am Platz von Fynn und wartete darauf, dass die Spieler den Court betreten würden. Es war alles besprochen und die Strategie klar. Mal schauen wie sich das Match entwickeln würde.

Dass Justin und Maxi recht bald zu mir in die Box kommen würden, war mir klar, aber dass Dustin auch schon vor Spielbeginn zu uns kam, das war schon ungewöhnlich.

„Hey, was machst du denn schon hier? Ich dachte, Fynn braucht dich bis zuletzt in seiner Nähe.“

„Ja, war ich auch. Allerdings musste ich dann gehen, als der Aufruf kam. Außerdem wollte ich rechtzeitig hier am Platz sein. Aber ich kann dich beruhigen, Fynn ist gut drauf. Ich glaube, er wird heute so richtig einen raushauen.“

„Na, das hört sich gut an. Wir wollen mal hoffen, dass das auch passiert. Es würde Chris sicher beruhigen, sollte Fynn heute gleich mit einem guten Match starten.“

Überrascht drehte ich mich um. Die Stimme kam von Jörg, der sich zu uns gesellt hatte.

„Hi Jörg, schön, dass du schon da bist. Es geht jeden Moment los. Hattest du nicht gesagt, dass du erst am Nachmittag Zeit hast?“

„Ja, eigentlich schon. Allerdings war ich so neugierig, dass ich meine Termine kurzerhand verlegt habe. Dafür muss ich heute Abend dann früher in den Garten, um dort die Termine wahrzunehmen.“

Jörg stellte eine Kühltasche neben meinen Stuhl und öffnete sie.

„Hier, nimm erst einmal eine Fassbrause für die Nerven. Möchte noch jemand eine Flasche?“

Schnell gingen die Hände der Jungs nach oben. Jörg und ich mussten lachen.

„Oh, oh. Ich glaube, ich muss etwas sparsamer werden mit meinen Angeboten. Aber keine Sorge, ich habe im Auto noch Nachschub. Also greift zu.“

Mit einem lauten „Pling“ stießen wir an. Die Spieler hatten mittlerweile den Platz betreten und schlugen sich ein. Auf dem Schiedsrichterstuhl saß eine junge Frau. Das beruhigte mich. Es konnte also keiner der homophoben Idioten sein.

Als das „Time“ der Schiedsrichterin zu hören war, folgten die üblichen Erklärungen, wer die Wahl gewonnen hatte und mit dem Aufschlag beginnen würde. Dann hörte ich das „Play“ und das Match begann.

Innerhalb weniger Minuten war mein Erstaunen groß. Fynn begann entgegen seiner sonstigen Strategie sehr offensiv. Er ging auf jeden Ball aggressiv drauf und scheuchte seinen Gegner über den Platz. Dieser war anscheinend komplett überrascht und auch nicht vorbereitet auf dieses Feuerwerk. Schnell hatte Fynn ein Break geschafft und führte mit 3:0. Ich war begeistert, aber auch skeptisch. Wie lange würde das anhalten? Dieses Spiel auf diesem Niveau kostete viel Kraft. Irgendwann würde sein Gegner darauf reagieren und keine einfachen Punkte mehr verschenken.

Tatsächlich spielte Fynn bis zum 5:2 dominant gegen den um einhundert Plätze besser stehenden Österreicher. Aber wie ich es erwartet hatte, begann dieser dann seine Taktik zu ändern und das Spiel sehr langsam zu machen. Viele Slice machten es Fynn sehr schwer, sein druckvolles Spiel fortzusetzen. Allerdings überraschte er mich erneut positiv. Im Gegensatz zu früher wurde er nicht ungeduldig. Er wartete ab bis er eine Möglichkeit zum Angriff bekam. Dann allerdings griff er konsequent an und machte auch häufig den Punkt. Ich war begeistert über diese Entwicklung. Wie lange er das kräftemäßig durchhalten würde, blieb abzuwarten.

Nach dem gewonnenen ersten Satz, musste Justin auf den Platz gehen. Er war bereits beim 5:3 gegangen. Maxi hatte ihn begleitet, ohne dass ich ihn bitten musste. Hier spürte ich die große, gegenseitige Unterstützung der Jungs und das starke Teamgefühl. Die viele, zeitaufwändige Arbeit zahlte sich aus. Sie hatten meine Dinge begriffen und entlasteten mich damit enorm. So konnte ich mich ganz auf das Spiel von Fynn konzentrieren.

Jörg hatte die ganze Zeit sehr aufmerksam das Spiel verfolgt. Plötzlich sagte er:

„Kann es sein, dass Fynn dir etwas mitteilen möchte? Irgendwie macht er komische Zeichen.“

„Hahaha, sehr gut beobachtet. Ja, das macht er schon seit dem 5:3 im ersten Satz. Er glaubt, dass er das nicht durchhält und weiß nicht ob er so weiterspielen soll.“

„Krass, dass kannst du aus seinen Zeichen herauslesen?“

„Nein, natürlich nicht. Aber ich kenne ihn sehr gut und weiß wie anstrengend dieser erste Satz war. Jetzt muss er beißen und das auch zu Ende spielen. Erst dann wird er spüren, zu was er bereits im Stande ist zu spielen. Er muss sich quälen und an die Grenzen gehen.“

„So gelassen wie du hier sitzt, gehe ich davon aus, dass du an ihn glaubst.“

„Gelassen? Nein, ganz sicher nicht. Ich darf ihm das aber nicht zeigen. Er hat begriffen, um was es geht. Und ja, ich glaube an ihn. Er kann das.“

Jörg nickte und ging weg. Er sagte nicht was er vorhatte. Aber ich wusste genau, dass er einen Plan hatte.

Wenige Minuten später kam er mit zwei großen Bechern Eis zurück. Fynn führte im zweiten Satz erneut mit einem Break. Es war beeindruckend wie sehr er sich quälte, aber nicht nachließ. Spannend würde es, sollte er noch ein Rebreak kassieren.

„Hier, damit du deine Nerven etwas kühlen kannst. Du musst doch auch mal entspannen. So wirst du nicht mehr viel älter.“

Dabei mussten wir beide lachen und mir tat diese kurze Ablenkung in der Tat gut. Ich nahm den Becher, verfolgte weiter das Spiel und genoss mit Jörg gemeinsam diesen Eisbecher.

Fynn spielte es exzellent zu Ende und gewann das Match in zwei Sätzen. Sehr stark. Damit hatte er einen großen Erfolg erreicht. Zu den Ranglistenpunkten gab es noch Bonuspunkte für den Gegner, der erheblich höher in der Rangliste geführt wurde.

Natürlich gab es dafür auch schon ein ordentliches Preisgeld. Das Erreichen einer dritten Runde würde genauso viel einbringen wie zwei Turniersiege bei einem Future Turnier. Unsere Reisekosten waren allein damit jetzt bereits gedeckt.

Jörg und ich standen immer noch klatschend in unserer Box und Fynn reckte uns die Faust entgegen. Anschließend führte mich mein Weg direkt zu Justin. Dustin konnte ich nicht mehr finden, daher ging ich davon aus, dass auch er bereits in den Vorbereitungen für sein Match war.

Fynn würde ich vermutlich auch erst bei Dustin am Platz wiederfinden. Also galt nun meine ganze Konzentration Justin und ob sein verletzter Arm halten würde.

Bevor ich weiter über dieses Problem nachdenken konnte, schaute ich auf den Spielstand und war vollkommen verblüfft. Justin führte 4:1 im ersten Satz mit einem Break. Die ersten Ballwechsel waren typisch für Justin. Es wurden keine Gefangenen gemacht. Er schoss von der Grundlinie mit seiner Vorhand, als ob es kein morgen gäbe. Allerdings spielte er die Rückhand nur mit gemäßigtem Tempo ins Feld. Da verteilte er nur und wartete auf die Chance, den Vorhand Winner einzusetzen. Da wurde mir sofort klar, sein Ellenbogen schränkte ihn auf der Rückhand noch stark ein.

Schnell hatte ich mit ihm Blickkontakt aufgenommen und seine Reaktionen beruhigten mich. Er schien gut mit der Einschränkung zurechtzukommen.

Jörg hatte einen Umweg über das Clubhaus genommen und kam zu mir.

„Ich kann dir ausrichten, dass Dustin mittlerweile sich aufwärmt und Fynn möchte bei Dustin bleiben.“

„Danke, das ist genau das was ich erwartet habe. Trotzdem gut, dass sie dir das mitgeteilt haben. Justin hat ebenfalls sehr gut begonnen. Der Arm schränkt ihn ein, aber es scheint so, als ob sein Gegner noch kein Mittel gefunden hat, das besser nutzen zu können. Mal schauen wie lange Justin das durchhalten kann.“

„Du rechnest immer mit dem worst case, oder? Warum sagst du dir nicht, super, Justin wird weiter gut spielen und gewinnen?“

„Weil das unrealistisch ist und ich im Tennis viel Erfahrungen gesammelt habe, wo das definitiv nicht vorkommt wie du das sagst.“

„Aber für dich ist die Realität immer maßgeblich. Dir fällt es schwer auch mal nur zu träumen oder ein wenig positiv 'herumzuspinnen'?“

„Ja, ich bin Realist und versuche keine unschönen Überraschungen zu erleben. Die mag ich überhaupt nicht. Ich plane so gut es geht voraus und brauche Struktur.“

Eigentlich hatte ich gerade gar keine Zeit, um solche Gespräche mit Jörg zu führen. Aber ich wusste, dass er an dieser Stelle aus seiner Sicht bei mir eine Schwäche gefunden hatte. Mit den Augen war ich aber ständig bei Justin auf dem Platz. Dort lief es weiterhin erstaunlich gut. Den ersten Satz hatte Justin sogar gewonnen und auch den zweiten Satz begann er sehr gut. Allerdings war ihm kein Break mehr gelungen und sein Gegner forderte von ihm vollen Einsatz. Dieses Spiel würde sehr viel Kraft kosten. Vor allem wenn es einen dritten Satz geben würde. Der zweite Satz ging in den Tie-break. Mein Herz schlug deutlich schneller und ich fokussierte mich nur noch auf den nächsten Ball.

Jörg hatte allerdings ein gutes Gespür für meine Situation und hatte mich seit dem 4:4 im zweiten Satz in Ruhe gelassen.

Bei 2:3 gab es eine glatte Fehlentscheidung der Schiedsrichterin zu ungunsten von Justin. Er regte sich tierisch auf und wollte sich nicht beruhigen. Er begann eine unsinnige Diskussion mit der Schiedsrichterin. Jetzt war ich gefragt, aber wie? Es gab nur eine Möglichkeit, die allerdings eine Verwarnung nach sich ziehen könnte.

Ich rief sehr laut quer über den Platz:

„Spiel weiter und lass das Lamentieren mit dem Schiedsrichter.“

Justin hatte sofort meine Stimme erkannt und drehte sich zu mir um. Er kniff die Augen zusammen und ich gab ihm mit einer eindeutigen Geste zu verstehen, dass er sich konzentrieren solle und nicht eine sinnlose Diskussion führen.

Grummelnd beendete er den Disput und wechselte die Seite. Sein Gegner wartete bereits, um wieder aufschlagen zu können. Ich war sehr angespannt, weil ich genau wusste, wie sehr es jetzt in Justin brodelte. Es war alles möglich, von totalem Untergang bis hin zu Weltklasse aus Frust.

Er stellte sich zum Return und sein Gegner schlug gut auf. Justin holte nur ganz kurz aus und schoss aus der Hüfte eine Vorhand longline. Der Ball ging unerreichbar ins Feld. Damit war wieder alles in der Reihe. Justin schlug nun auf und brachte beide Aufschläge durch. Damit stand es 5:4 für ihn. Mein Puls wurde immer schneller.

Justin verzog keine Miene mehr und spielte wie im Rausch. Er prügelte den Ball ins Feld des Gegners, der manchmal nur kopfschüttelnd hinterher schaute. Es kamen im Prinzip keine Ballwechsel mehr zustande. Allerdings mit dem besseren Ende für Justin. Mit einem As beendete er das Match. Danach ballte er kurz die Faust und mit einem lauten „Yes“ tippte er mit dem Finger an seinen Kopf. Dabei schaute er zu mir und grinste wieder. Unglaublich, wie cool Justin sein konnte. Ich war sehr gespannt auf die Nachbesprechung. Aber es war ein großer Erfolg schon zwei Spieler in der zweiten Runde zu haben.

Für einen Moment musste ich mich setzen und die Augen schließen. Tief durchatmen und mich beruhigen. Solche Situationen ließen mich immer um Jahre altern. Aber andererseits war es auch beruhigend, dass Justin sofort auf meine Ansage reagiert hatte. Das hätte auch anders ausgehen können.

Als ich die Augen wieder öffnete, hielt mir Jörg eine Fassbrause mit einem Lächeln hin.

„Oh ja, das ist eine gute Idee. Die brauche ich jetzt.“

„Hab ich mir doch gedacht. Ich bin beeindruckt wie gut du deine Jungs im Griff hast. Als Justin vorhin so ausgerastet war, hatte ich Bedenken. Aber ich habe gedacht, du darfst gar nicht von außen eingreifen.“

„Darf ich auch nicht. Das hätte auch eine Verwarnung nach sich ziehen können. Allerdings war Justins Verhalten bereits auch nahe einer Verwarnung. Da wäre es besser, er bekommt die Verwarnung wegen unerlaubten Coachings als für schlechtes Benehmen.“

„Ah ja. Machst du mit mir jetzt Essenspause?“

„Nein, das geht auf keinen Fall. Jetzt geht es direkt zu Dustin an den Platz. Außerdem stehen noch alle Nachbesprechungen an. Danach können wir gerne gemeinsam etwas essen.“

Jörg schüttelte leicht den Kopf, aber sagte nichts dazu.

Mein Weg ging direkt zu einem der äußeren Plätze. Dort spielte Dustin und ich vermutete Fynn sicher auch dort. Also hätte Dustin nicht allein gespielt.

Aber als ich um eine Hecke kam und Fynn auf der Bank neben dem Platz sah, wusste ich ohne den Spielstand zu kennen, dass es nicht gut lief. Fynn hockte zusammengekauert auf der Bank. Jörg war neben mir als ich sagte:

„Das sieht nicht gut aus. Ich glaube, da werden wir erst einmal Aufbauarbeit leisten müssen. Fynn hockt da wie ein Kaninchen vor dem Wolf.“

Wir gingen zu ihm und ich setzte mich entspannt auf die Bank. Jörg blieb noch einen Moment stehen.

„Wie schaut es aus?“

„Schlecht, Dustin spielt eigentlich gut, aber nicht klug. Sein Gegner kann gut kontern und spielt mit Dustins Druck.“

„Okay, wie steht es gerade?“

„2:5 im ersten Satz. Ich habe mehrfach versucht ihn zu beruhigen und zur Geduld zu bringen, aber spätestens nach zwei Punkten geht alles wieder von vorne los.“

„Danke für deine Einweisung. Jetzt entspann dich etwas. Du bist nicht für sein Spiel verantwortlich. Du hast ein grandioses Match gespielt. Wie geht es dir?“

„Danke, es geht so. Wie gut, dass ich heute kein zweites Spiel machen muss. Meine Beine sind schon schwer. Aber ich habe auch alles gegeben. Das war sehr hart.“

„Das glaube ich sofort. Warst du schon zur Massage?“

„Ja, natürlich. Nach dem Auslaufen bin ich gleich zur Physio gegangen, so wie du es uns immer gepredigt hast. Ich will dich ja nicht sauer werden lassen.“

„Braver Junge. Es ist schön zu hören, dass ihr doch auf den alten Drachen hört.“

Dabei nahm ich Fynn kurz mal in den Arm und schon entspannte er sich ein wenig. Das kurze Herumalbern hatte seinen Zweck erfüllt. Jörg hatte uns mit einem Lächeln im Gesicht zugesehen.

Jetzt konnte ich mich in Ruhe um Dustins Spiel kümmern. Allerdings war Fynns Analyse leider korrekt. Dustin würde so kein Bein an die Erde bekommen. Dafür war sein Gegner zu gut und zu clever.

Ich bemühte mich mit ihm Kontakt aufzunehmen. Das gelang auch recht schnell und ich konnte erkennen, dass er sich freute, dass ich jetzt an seinem Platz saß. Der erste Satz ging schnell verloren, aber ich konnte ihm genug Sicherheit vermitteln, dass er seine Strategie änderte. Es war anders besprochen, aber notwendig. Sein Gegner war zu clever und nicht mit unserem Plan A zu bezwingen. Also musste Plan B her. Auch dieser Fall war bereits vorher besprochen und entsprechend einfach konnte ich Dustin das beibringen.

Begeisterung sah allerdings anders aus. Bekanntlich mochte er defensiv spielen nicht besonders. Aber erfreulicherweise hatte auch er sich weiterentwickelt und verinnerlicht, dass nicht immer Spaß möglich war, um zu gewinnen.

Dustin kämpfte wie ein Löwe und um jeden Ball. Ewig lange Ballwechsel machten das Spiel zäh und wenig ansehnlich. Ich war es gewohnt, aber Fynn litt neben mir mit seinem Freund.

Der zweite Satz ging in den Tie-break. Jörg hatte mir schon zwei Flaschen der Fassbrause gereicht. Das war meine Nervennahrung. Allerdings hatte ich kein gutes Gefühl. Beim Stand von 5:5 fabrizierte Dustin einen Doppelfehler. Das war klar der Anspannung geschuldet. Da fehlte ihm die Routine, in dieser Situation cool zu bleiben. Also Matchball für den Gegner, den dieser auch mit einem guten Ball für sich entschied.

Fynn sprang wütend vom Stuhl auf und fluchte laut. Er war enttäuscht. Ich hatte einen toll kämpfenden Dustin gesehen, der im entscheidenden Augenblick seine Nerven noch nicht im Griff hatte. Aber das lag eindeutig an der fehlenden Matchpraxis auf diesem Niveau. Trotzdem war ich sehr zufrieden mit meinen Jungs. Dustin hatte alles gegeben und heute nicht gewonnen. Kein Problem für mich. Für Fynn schien das aber doch ein größeres Problem zu sein. Er war niedergeschlagen und enttäuscht.

„Hey, du wirst gleich als Aufbauhelfer gebraucht. Dustin hat ein gutes Match abgeliefert. Heute hat es noch nicht gereicht, aber ich sehe gerade auf der mentalen Seite große Fortschritte und auch strategisch hat er sich kämpferisch gezeigt. Also bin ich absolut zufrieden mit seiner Leistung. Und jetzt geh zu ihm. Ich denke, er wird dich mehr benötigen als mich. Wir machen heute Abend in Jörgs Garten die Nachbesprechung.“

So langsam fiel auch bei mir die Anspannung und ich atmete einige Male tief durch. Der erste Turniertag war ein großer Erfolg. Zwei in der zweiten Runde und morgen noch dabei.

Jörg und ich gingen den Weg zum Clubhaus wortlos nebeneinander her. Jörg ließ mich zur Ruhe kommen und hatte ein gutes Gespür für meine Situation. Erst als wir auf der Terrasse ankamen, fragte er mich:

„Trinken wir einen Othello? Ich finde, das haben wir uns verdient.“

Wieder hatte er ein Lächeln im Gesicht.

„Guter Plan. Da bin ich dabei. Es war doch richtig, dass wir gleich in deinen Garten fahren werden?“

„Auf jeden Fall, der Kühlschrank ist bereits gut gefüllt und der Grill vorbereitet. Das Wetter ist schön und der Abend noch jung. Wann müssen deine Jungs morgen wieder ran? Weißt du das schon?“

„Ja, das weiß ich auch schon. Wir müssen erst um zehn auf der Anlage sein. Auf zwölf Uhr ist das erste Match angesetzt. Also morgen könnte es spät werden. Denn Justin spielt erst um 15 Uhr. Hat aber den Vorteil, dass ich zwischen den Spielen etwas Zeit habe.“

„Okay, und wann kann ich euch etwas von Leipzig zeigen? Vielleicht morgen Abend? Dann würde ich da etwas versuchen zu organisieren.“

„Ja, das finde ich gut. Mit einem gemeinsamen Abendessen in der Stadt vielleicht?“

Jörg war einverstanden und wir genossen ein paar ruhige Minuten ohne Störung. Bald tauchte Justin bei uns auf. Auch Maxi ließ nicht lange auf sich warten. Dustin und Fynn würden mit Sicherheit noch etwas Zeit brauchen.

„Wie geht es deinem Arm, Justin?“

„Erstaunlich gut. Nur bei der Rückhand schränkt es mich etwas ein. Ich kann nicht volldurchziehen. Aber es ging ganz gut. Jetzt tut es etwas weh, aber nicht die Wunde. Es ist mehr der Arm selbst.“

„Nun, vielleicht stimmt die Bewegung nicht mehr ganz und durch die Schonhaltung entsteht eine Fehlbelastung. Warst du beim Physio?“

„Nein, ich habe Angst, dass der die Borke aufbricht. Das wäre schlecht.“

„Unsinn, der wird das doch sehen. Los, geh hin und lass dich behandeln. Dafür haben sie hier doch den Physio.“

„Ihr wartet hier so lange?“

„Klar, entweder hier oder wir schreiben dir wo wir sind.“

Fynn: Schwierige Aufbauarbeit

Nach dem Spiel war ich direkt zu meinem Schatz gelaufen. Leider hatte ich ihn am Platz verpasst. Erst in der Umkleide hatte ich ihn gefunden. Dustin saß niedergeschlagen auf der Bank. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Ich setzte mich einfach neben ihn ohne ein Gespräch anzufangen. Ich wusste, dass er von sich aus reden würde, wenn er dazu bereit war.

Einige Minuten saßen wir wortlos nebeneinander, dann fragte er mich:

„Wie hast du das Spiel gesehen? Ich finde, dass ich nicht so schlecht gespielt habe. Aber ich hasse diese Geduldsspiele. Trotzdem ist das frustrierend so zu verlieren.“

„Das glaube ich dir sofort. Aber ich habe echt ein gutes Spiel von dir gesehen. Du hast dir nichts vorzuwerfen. Für die fehlende Routine kannst du ja nichts. Die bekommen wir erst durch solche Matches. Ich habe heute einfach etwas mehr Glück gehabt, also musst du nicht so niedergeschlagen sein.“

Ich legte meinen Arm um meinen Freund und gab ihm einen Kuss. Bis zu diesem Moment waren wir allein in dem Raum. Dann betraten zwei Spieler mit ihren Taschen die Umkleide. Natürlich hatten sie gesehen wie eng Dustin und ich zusammen saßen, sagten aber nichts.

„Chris hat gesagt, dass er total zufrieden mit deinem Spiel ist. Also Kopf hoch und weiterarbeiten. Jedes Match bringt uns weiter und beim nächsten Mal kann es wieder anders sein. Am besten gehst du jetzt auslaufen und duschen, danach zur Physio und wir treffen uns dann mit Chris und Jörg. Heute Abend fahren wir zu Jörg in den Garten, um dort zu grillen. Das haben wir uns verdient, meinte Chris. Also kann unsere Leistung dann so schlecht ja nicht gewesen sein.“

Ich gab ihm noch einen Kuss auf die Wange und wollte hinausgehen. Aber Dustin hielt mich zurück. Er umarmte mich ganz fest und flüsterte mir zu:

„Danke, es ist schön, dich als Freund zu haben.“

Ich bekam eine Gänsehaut. Solche Momente waren leider sehr selten. Aber ich freute mich über Dustins Selbstbewusstsein, dass er das tat obwohl die anderen beiden noch im Raum waren.

Ich ließ Dustin allein zurück und schaute, wo ich die anderen finden konnte. Auf dem Weg zu Chris begegneten mir einige Spieler, die mich etwas seltsam anschauten. Das war ich mittlerweile schon gewohnt. Erst, als mich jemand ansprach, schaute ich mich um. Vor mir stand ein junger Mann, Anfang zwanzig etwa, der mich auf Englisch angesprochen hatte. Unser Gespräch gebe ich zur einfacheren Verständlichkeit aber hier in Deutsch wieder.

„Hi, Du bist Fynn aus Halle, richtig?“

„Äh, ja. Das stimmt. Kennen wir uns?“

„Hihi, du mich vermutlich nicht. Allerdings habe ich von dir und deinem Freund schon viel gehört. Ihr seid so etwas wie Legenden in der Welt der schwulen Spieler. Es freut mich sehr, dich mal persönlich kennenzulernen. Schade, dass Dustin verloren hat. Aber du bist noch im Wettbewerb.“

„Ja, aber sagst du mir noch wie du heißt? Ich kenne dich überhaupt noch nicht.“

„Sorry, ich heiße Mika Niemo und komme aus Finnland. Und wie du dir sicher denken kannst bin ich auch schwul. Allerdings habe ich mich nicht geoutet. Das Risiko meine Sponsoren zu verlieren ist nicht kalkulierbar. Und davon bin ich leider noch abhängig.“

„Das Problem habe ich schon häufiger gehört. Vielleicht müssen wir uns einfach mehr zusammentun und gemeinsam an dieser Sache arbeiten. Wir haben das große Glück, dass wir in Halle volle Unterstützung haben und auch die Sponsoren unsere Arbeit unterstützen.“

„Sehr schön für euch. Aber ihr habt für euer Outing auch schon teuer bezahlt. Auch hier gibt es Ablehnung gegen euch. Ich hoffe, es bleibt friedlich und fair.“

„Ja, wir wissen das. Das begegnet uns mehr oder weniger überall. Aber je mehr sich zusammentun desto schwerer wird das für die homophoben Deppen, sich eine Bühne zu machen. Wir werden versuchen, es ihnen mit guter Leistung so schwer wie möglich zu machen. Außerdem haben wir mittlerweile auch viele Freunde gewonnen, die hinter uns stehen.“

„Cool, das würde ich mir auch wünschen. Mein Freund in Finnland hat immer Angst wenn ich allein unterwegs bin.“

„Allein ist immer schwieriger. Aber wenn wir mal wieder gemeinsam an einem Turnier teilnehmen, kannst du mit uns rechnen. Wir können uns morgen gemeinsam einschlagen, falls du möchtest.“

„Oh ja, sehr gern. Wann müsst ihr spielen?“

„So genau weiß ich das noch gar nicht. Chris hat mir noch keine Zeiten gegeben. Aber wenn du magst, komm einfach mit. Ich bin auf dem Weg zu ihm und wir können das gleich klären.“

Er war einverstanden und so gingen wir gemeinsam zurück zu den anderen. Chris saß mit Jörg auf der Terrasse und sie unterhielten sich. Erst als ich mit Mika am Tisch stand, hatten sie uns bemerkt.

„Ah, da bist du ja wieder. Wie geht es Dustin? Konntest du ihn etwas aufbauen?“

„Ja, es geht. Er ist schon enttäuscht. Aber nicht mehr so wie früher. Er kann es ganz gut einordnen. Ich denke aber, du musst später dazu noch etwas sagen.“

„Na klar, Nachbesprechung machen wir bei Jörg im Garten. So, wen hast du mitgebracht?“

Chris hatte seine Aufmerksamkeit sofort auf Mika gerichtet.

„Das ist Mika Niemo. Er hat mich eben auf dem Weg angesprochen. Wir wollten uns morgen gemeinsam einschlagen. Können wir das machen? Ich weiß ja noch nicht, wann wir hier sein müssen.“

„Wir sind um zehn auf der Anlage. Du spielst frühestens um zwölf. Also vorher könnt ihr das gerne machen.“

Chris stellte keine weiteren Fragen an Mika. Das kannte ich bereits. Er überließ es uns, die Person vorzustellen oder eben den Leuten selbst. Mika gab Chris die Hand.

„Hallo, ich möchte mich kurz vorstellen. Ich bin zwanzig und habe eure Geschichte genau verfolgt. Leider hatte ich bisher nicht den Mut mit meiner Homosexualität so offen umzugehen. Ich bin noch zu abhängig von meinen Sponsoren. Aber vielleicht ändert sich noch etwas in der Welt der Profisportler.“

Chris nickte anerkennend. Seine Antwort war auch typisch.

„Dann lass es uns gemeinsam versuchen. Nur gemeinsam werden Schwule in der Gesellschaft Veränderungen erreichen. Du bist bei unserem Training willkommen. Für morgen, sei bitte um zehn hier. Wir gehen dann gemeinsam auf den Platz. Aber dir muss klar sein, wenn du mit uns trainierst, wird mit Sicherheit irgendwann die Frage aufkommen, ob du weißt mit wem du trainierst und wie du zu dem Thema stehst. Gerade hier im Osten Deutschlands ist die Ablehnung gegenüber Schwulen besonders groß.“

„Ja, das ist mir absolut bewusst. Dennoch freue ich mich auf diese Zeit hier mit euch. Vielleicht kann ich dadurch mehr Selbstbewusstsein bekommen. Schade, dass mein Freund nicht hier sein kann.“

Mika verließ uns danach, aber nicht ohne sich mit einer Umarmung von mir zu verabschieden.

„Netter Kerl. Irgendwie ist es immer wieder das gleiche Problem. Spieler trauen sich nicht, weil sie Angst haben, ihre Geldgeber zu verlieren. Das ist doch beschissen.“

Ich war richtig wütend über diese Situation. Allerdings empfand ich es als riesiges Glück, dass wir in Halle diese Unterstützung genossen.

Chris schaute mich an und nickte.

„Ja, das ist traurig. Es ist aber die reale Situation. Was wir in Halle machen, ist leider noch die Ausnahme. Das heißt aber nicht, dass wir das so kommentarlos hinnehmen müssen. Denk an die Schiedsrichter hier. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Opfer unserer offenen Umgangsweise werden.“

Bevor ich etwas dazu erwidern konnte, tauchte Justin bei uns auf. Er sah etwas mitgenommen aus. Chris spürte sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

„Hey, wie siehst du denn aus? Hat dich der Physio so gequält? Oder gibt es ein anderes Problem?“

„Boah, hör bloß auf. Da gehe ich keinesfalls wieder hin. Unser Physio in Halle ist da um Lichtjahre besser. Der Typ hat einfach über die Borke massiert und meinte, das würde die Verkrustungen lockern. Kannst du dir vorstellen wie weh das tat.“

„Oh ja, das kann ich mir gut vorstellen. Lass mal sehen, wie sieht es denn jetzt aus.“

Justin zeigte seinen Ellenbogen und Chris schüttelte seinen Kopf.

„Okay, das war also keine gute Idee, dich dahin zu schicken. Pack dir einen Kühlakku auf die Borke, damit sich das Gewebe etwas beruhigt. Dann sehen wir weiter. Hast du Dustin oder Maxi gesehen?“

„Ja, die beiden haben sich gerade noch ein Eis geholt und wollten gleich herkommen.“

Justin hatte meinen vollen Respekt. Ich war mir nicht sicher, ob ich mit dieser Wunde spielen würde. Plötzlich nahm Chris sein Handy aus der Tasche und ging einige Schritte zur Seite.

Justin ging sich einen Kühlakku aus Chris Thermotasche holen und ich erwartete meinen Schatz zurück. Irgendwie war es einfach schöner, wenn wir zusammen sein konnten.

Je länger ich in der Sonne bei Chris auf der Bank saß, desto müder wurde ich leider. Mein Spiel zeigte doch Wirkung.

„Fynn, geh doch bitte einmal nach den beiden schauen. Ich möchte hier schnell weg und zu Jörg in den Garten. Dort ist es viel angenehmer als hier.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. So kam ich schneller zu meinem Schatz. Aber ich brauchte auch nicht lange zu suchen, denn Dustin kam mir mit Maxi entgegen und sie hatten nicht nur für sich ein Eis dabei. Sie hatten gleich für alle Eis mitgebracht. Sehr schön. Eis konnte ich immer essen.

Schnell nahm ich Dustin zwei Eis ab mit einem Kuss.

„Ihr seid super Freunde, denkt auch an die anderen. Chris wird sich bestimmt freuen.“

„Vor allem du freust dich. Als Eisvernichter. Hhihi. Dafür mag ich dich auch so.“

Dustin umarmte mich und gab mir einen heftigen Kuss. Sofort bekam ich eine Gänsehaut und natürlich auch eine ganz harte Latte in der Hose. Maxi blieb das nicht verborgen und grinste fies. Sagte aber nichts. Unweigerlich wurde ich rot.

„Wir sollten das Eis lieber schnell abliefern, bevor es durch eure heißen Spielchen noch schneller schmilzt“, lachte Maxi.

„Spielverderber“, erwiderte Dustin und gab mir noch einen schnellen Kuss.

Aber der Einwand war ja berechtigt, also brachten wir schnell das Eis zu den anderen.

So saßen wir bald alle mit einem Eis in der Hand auf einer Rasenfläche.

„Gibt es von euch noch einen Grund hier länger zu verweilen?“

Chris schien wirklich schnell von der Anlage zu wollen. Das kam mir entgegen. Wenn wir unter uns waren, konnte ich meinen Freund noch mehr genießen.

Chris: Ein schöner Abend

Jörgs Garten war für mich immer eine Quelle der Entschleunigung. Hier konnte ich mich erholen und runterfahren. Das war bei meinen Besuchen so. Hier hatten wir schon sehr viele gute Gespräche geführt. Außerdem war alles vorhanden. Eine kleine Küche mit Kühlschrank und sogar eine eigene kleine Toilette. Natürlich gab es einen Grill und auch eine Feuerstelle.

Auch die Leute drumherum waren durchweg freundlich und die Stimmung dort gut.

Wir saßen draußen am Tisch in der Sitzecke vor der Hütte. Jörg hatte auch ein Radio und einen Sender, der überwiegend Musik aus den sechziger bis achtziger Jahren spielte. Also genau mein Geschmack. Für die Jungs vermutlich eher uninteressant. Meine Stimmung stieg von Minute zu Minute, weil ich hier nicht mehr an Tennis denken musste.

Leider stand noch die Nachbesprechung an. Ich entschied mich, dies gleich zu Beginn abzuhandeln, um anschließend die Zeit nur noch für andere Dinge zu nutzen.

Insbesondere bei Dustin hatte ich etwas mehr aufzuarbeiten. Er haderte mit sich und seinem Spiel. Das hatte ich anders wahrgenommen und vermittelte ihm das auch sehr deutlich.

„Bevor wir zum Grillen übergehen, möchte ich noch etwas zu dem morgigen Tag sagen. Justin hat vermutlich einen der beiden Schiedsrichter, die uns nicht gerade mögen. Bevor ihr euch aufregt, noch ist nichts passiert. Cedric hat uns zugesagt, genau hinzuschauen. Also geht in die Spiele wie immer. Ihr habt hier nichts, aber auch gar nichts mehr zu verlieren.“

„Ich habe noch eine Frage zur Strategie. Mein Gegner ist ein Sandplatzspezialist und wird auf lange Ballwechsel aus sein. Du hast eben gesagt, dass ich aggressiv spielen soll. Darf ich auch häufiger ans Netz vorrücken?“

Das war wieder eine typische Fynn Frage. Da fehlte es ihm noch an dem nötigen Selbstvertrauen, um so eine Entscheidung eigenständig zu treffen.

„Natürlich, das ist sogar zwingend erforderlich bei diesem Gegner. Du wirst auf dem Platz merken, ob es sinnvoll ist oder nicht. Mach einfach.“

In diesem Augenblick meldete sich mein Handy.

„Ja?“

„Einen schönen guten Abend. Hier ist Stefanie Hampe von der Leipziger Sportzeitung. Wir berichten über das Challengerturnier in Leipzig und ich möchte Sie fragen, ob Sie zu einem Interview bereit wären?“

„Ja, aber frühestens erst Morgen nach den Matches.“

„Das ist nett, danke. Wie wäre es mit 17 Uhr?“

„Ja, das ist in Ordnung. Wo?“

„Wir könnten uns im Presseraum treffen.“

„In Ordnung.“

„Würde es möglich sein, auch einen ihrer jungen Spieler mitzubringen?“

„Das kann ich nicht versprechen, aber ich werde sie fragen.“

„Vielen Dank. Dann bis morgen.“

Als ich das Telefon wieder auf den Tisch gelegt hatte, schauten mich fünf Augenpaare neugierig an.

„Was war das denn?“, fragte Justin.

„Das war eine Journalistin hier aus Leipzig. Sie hat um ein Interview gebeten.“

„Eine Interviewanfrage? Jetzt schon? Kaum zu glauben.“, stutzte Fynn.

„Und sie fragt, ob einer von euch morgen dabei sein könnte.“

Jetzt schauten sich die Jungs mit großen Augen an. Jörg musste lachen.

„Das ist doch toll. Ein Beweis für die gute Arbeit. Man fängt an, sich für euch zu interessieren.“

„Ich würde das wohl machen.“, meldete sich Fynn.

„Danke. Das finde ich gut. Seid ihr einverstanden?“

Es gab keinen Widerspruch, bis auf einen Einwand von Dustin.

„Wäre es nicht vielleicht besser, wenn ich mitkommen würde. Vielleicht können wir zum Thema „schwul im Sport“ einen Beitrag leisten und etwas Aufklärung betreiben.“

Ich musste wohl sehr überrascht geschaut haben, denn damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ausgerechnet Dustin wollte in der Öffentlichkeit Stellung beziehen.

„Wenn du das möchtest, dann komm gerne mit.“

Damit war das auch geklärt.

Jörg hatte nebenbei bereits den Grill angefeuert und fragte:

„Möchte jemand vielleicht den Salat vorbereiten oder mich am Grill ablösen, dann mache ich den Salat.“

„Klar, ich löse dich am Grill ab.“, meldete ich mich.

„Nix da, du hast jetzt mal Feierabend. Wir übernehmen den Grill und Jörg macht mit Maxi den Salat. Justin kann seinen Arm schonen und du bleibst sitzen mit einer kalten Fassbrause.“

Das machte mich sprachlos, aber ich musste auch lachen. Denn Fynn hatte das so bestimmt geäußert, dass es schon fast niedlich wirkte. Sie wollten mich entlasten. Ein gutes Gefühl breitete sich bei mir aus.

Ich bezog also eine „Beobachterposition“ auf meinem Stuhl und genoss die kalte Fassbrause, die mir Jörg bereits gereicht hatte.

Sehr routiniert grillten Dustin und Fynn das Fleisch und die Würstchen. Es gab natürlich Thüringer und ein paar Spezialwürstchen. Jörg hatte uns mehr als gut versorgt.

Justin saß etwas unruhig neben mir.

„Entspann dich etwas. Du sollst doch nicht helfen.“

Justin nickte zwar, aber seine Unzufriedenheit war deutlich erkennbar.

„Warum soll ich nicht beim Grillen helfen? Mein Arm tut mir dabei bestimmt nicht weh.“

„Das vielleicht nicht, aber deine Borke würde durch die große Hitze des Feuers aufbrechen und Ruß und Asche könnte in die Wunde eindringen. Was das für Folgen hätte, muss ich nicht weiter erklären, oder?“

Kleinlaut und überrascht stimmte er mir zu. Allerdings lehnte er sich danach deutlich entspannter im Stuhl zurück und trank mit mir eine Fassbrause.

„Kann ich dir eine Frage stellen? Ich habe seit einigen Tagen immer wieder eine Frage im Kopf.“

„Natürlich, schieß los. Was beschäftigt dich?“

Justin zögerte einen Augenblick, aber seine Frage war dann auch überraschend:

„Ist es eigentlich unmöglich, dass einer von uns hier in Leipzig das Turnier gewinnt? Ich meine, wir sind nicht mehr so weit weg von den guten Leuten. Warum können wir nicht eine Überraschung schaffen?“

„Was ist das für eine Frage? Unmöglich ist im Tennis nahezu gar nichts. Es ist allerdings eher unwahrscheinlich. Für mich ist das auch noch gar nicht wichtig. Ich weiß ja gar nicht wo euer Ende der Entwicklung sein wird. Jetzt möchte ich einfach nur das Maximum sehen, was ihr gerade zu leisten im Stande seid. Wieweit das bei diesem Turnier geht, sehen wir dann. Jede weitere Runde ist ein großer Erfolg. Auch das Spiel von Dustin war gut. Es waren Kleinigkeiten, die es ausgemacht haben.“

„Das heißt aber auch im Umkehrschluss, dass diese Kleinigkeiten auch mal für uns sprechen können. Wir auch mal dadurch ein Spiel mehr gewinnen.“

„Ja, das ist korrekt. Warum ist das für dich jetzt so wichtig?“

„Weil ich wissen möchte, ob du immer noch an uns glaubst und ob wir noch besser werden können.“

„Falls es dich beruhigt, ja ich glaube natürlich an euch und weiß, dass ihr noch besser werden könnt. Allerdings werden die Schritte immer kleiner werden. Also Geduld ist gefragt. An dieser Stelle musst insbesondere du noch viel lernen.“

Justin wurde jetzt sogar etwas rot und das brachte mich zum Lachen. Er sah niedlich dabei aus und schwieg nach meiner Antwort.

Jörg trug gerade zwei große Schüsseln mit Salat nach draußen und stellte sie zu uns auf den Tisch.

„Deine Jungs machen sich gut. Sie können sich auch gut in der Küche und am Grill präsentieren. Hihi. Maxi hat das Dressing selbst gemacht. Ich finde es gut gelungen. Für seinen ersten Versuch alleine.“

„Oh ja, das können sie schon ganz gut. Wir haben auch schon gemeinsam gekocht. Auch da haben sie sich gut angestellt.“

Das Essen wurde für mich wieder ein Fest. Mit Jörg an einem Tisch zu sitzen ist immer spannend und erheiternd. Er hat einfach immer eine gute Geschichte parat. Eine Anekdote aus seiner Jugend in der DDR oder auch als „Bimmelfahrer“.

Die Jungs hatten natürlich Hunger nach dem anstrengenden Tag, aber waren unsicher ob sie auch alles essen sollten.

„Leute, macht mal einen Punkt. Heute darf und soll jeder essen worauf er Lust verspürt. Vielleicht nicht gerade fünf oder sechs Steaks und Bratwürstchen, aber alles ist erlaubt. Das wird euch morgen nicht behindern.“

Während des Essens wurde immer wieder gelacht, wenn Jörg eine nette Geschichte erzählt hatte.

„Morgen werden wir dann zum Abend hin einen Ausflug in die Stadt machen. Ich werde euch noch genau sagen wo wir uns dann treffen. Aber ich denke in der Nähe von eurem Appartement.“

„Du willst uns also noch nicht sagen, was du geplant hast.“, merkte Maxi an.

„Richtig. Sehr scharfsinnig. Ihr sollt morgen erst einmal ein gutes Turnier spielen. Beschäftigt euch nur damit. Ich würde sonst mit Chris richtig Ärger bekommen, wenn ich dafür verantwortlich wäre, dass ihr euch nicht mehr konzentrieren könnt.“

Das führte zu leichten Irritationen bei den Jungs. Sie schauten mich an und ich musste lachen.

„Leute, ihr solltet Jörg soweit schon kennen, dass er immer einen netten Spaß auf den Lippen hat. Aber im Ernst, konzentriert euch auf die Spiele und überlasst uns das Rahmenprogramm. Jörg weiß ganz sicher was er tut und auch was er besser lassen sollte. Wir stimmen uns schon ab, was ansteht. Keine Sorge.“

„Hat jemand von euch Lust, schon einmal den Feuerkorb zu füllen und das Feuer zu entfachen? Chris hat schon bewiesen, dass er auch Feuer anmachen kann. Hihi.“

„Das mache ich wohl“, meldete sich Justin.

„Aber nur bestücken und noch nicht anmachen. Erst wenn wir fertig sind mit Aufräumen und Abwaschen. Wir wollen schließlich gemeinsam am Feuer sitzen.“

„Seht ihr, Chris passt auf, dass keiner zu kurz kommt.“, frotzelte Jörg mit einem Grinsen im Gesicht.

Eine halbe Stunde später saßen wir in einer Runde um das Feuer, jeder hatte ein kaltes Getränk in der Hand und hing seinen Gedanken nach. Schon seit einigen Minuten war nur das Knistern des Feuers zu hören.

Plötzlich durchbrach Fynn das Schweigen.

„Dustin und ich haben einige Zeit bereits darüber diskutiert, aber wir haben noch keine gute Lösung für unser Problem gefunden. Vielleicht könnt ihr uns einen Rat geben. Dustin und ich möchten einen HIV-Test machen. Bislang haben wir das noch nicht gemacht. Es wäre auch kein Problem, das unseren Eltern zu erklären, aber wir haben ein Problem mit Patrick. Er soll das auch machen. Er will das auch, aber wenn wir damit zu meinen Eltern gehen, werden sie fragen, warum auch Patrick?“

Ich staunte über die offene Frage zu diesem heiklen Thema. Entsprechend überrascht, reagierte Justin als erster.

„Das ist auch eine berechtigte Frage, warum auch Patrick? Er ist doch erst vierzehn.“

Dustin pumpte sich bereits auf und wollte giftig auf diese Frage reagieren.

„Stopp, Dustin. Entspann dich wieder. Fynn hat die Frage an alle gestellt. Damit muss euch doch klar sein, dass die anderen so reagieren. Woher sollen sie das Problem kennen?“

„Ich wollte es auch nicht hier diskutieren. Es ist mir unangenehm was Patrick gemacht hat und ich habe gehofft, wir können das geschickt lösen.“

„Können wir sicher immer noch. Ganz ehrlich, ich finde es klasse, dass Fynn uns alle einbezogen hat. HIV ist ein Thema das alle angeht, nicht nur Schwule und Lesben. Habt ihr schon einmal einen Test gemacht?“

Ich schaute in die Runde und nur Maxi nickte.

„Ja, ich habe das gemacht. Als mein Vater eine Bluttransfusion benötigte, bin ich darauf auch getestet worden. Ich bin der Meinung, dass man das machen sollte. Vielleicht nicht unbedingt mit vierzehn, aber mit sechzehn wäre das schon sinnvoll. Mit vierzehn hatte ich noch keinen Plan was Sex betrifft. Aber auch das ist ja heute nicht mehr überall so.“

„Bei uns in Kanada ist das an allen College Schulen Pflicht. Bevor man aufgenommen wird, muss man einen Test vorlegen. Das heißt nicht, dass Positive nicht aufgenommen werden, aber man kann dann entsprechend damit umgehen. Ich finde das gut.“

„Also du müsstest einen Test machen, solltest du zurück nach Kanada gehen wollen?“

„Richtig, ich würde also auch einen Test machen. Dann könnte man das den Eltern von Fynn vielleicht auch so erklären, dass das Breakpoint-Team das für die Jugendlichen fordert. Vor allem für die Spieler, die viel gemeinsam reisen.“

„Nein, das machen wir ganz bestimmt nicht“, erwiderte ich bestimmt.

„Das Team darf das nicht und wird das auch nicht fordern. Aber das Team würde es mit Sicherheit unterstützen, sollte es jemand freiwillig tun wollen.“

„Immerhin gibt es auch tausend andere Möglichkeiten, sich anzustecken. Nicht nur bei sexuellen Dingen“, ergänzte Jörg.

„Genau, daher sollte auch genau dies das Argument für eure Eltern sein. Patrick ist in der Pubertät und da würde es Sinn machen, dass er mit euch mitgeht. Das ist vielleicht längst nicht so unangenehm, als wenn er mit den Eltern hingehen würde. So würde ich auch argumentieren.“

„Wir könnten doch alle aus unserer Gruppe gemeinsam gehen und Patrick nehmen wir dann einfach mit. Da müssen die Eltern doch gar nicht zustimmen, oder? Aber was hat Patrick denn angestellt, dass er einen HIV-Test freiwillig machen will? Hat er mit einem Mädchen gepoppt?“

Dustin und Fynn wurden beide rot. Dann gab es für Justin kein Halten mehr. Er fing laut an zu lachen.

„Was denn? Der Kleine geht mal ne Runde poppen. Ist nicht wahr. Wie geil ist das denn?“

Dann erschrak er über seine spontane Reaktion und wurde still.

„Sorry, ich wollte mich nicht lustig machen. Das war blöd von mir.“

Er blickte zu Dustin und Fynn. Beide schauten nicht besonders erbaut, akzeptierten Justins Entschuldigung aber kommentarlos.

Justin hatte allerdings mit dieser Frage etwas in den Raum gestellt, das zwar richtig war, aber ich wollte die Eltern dabei nicht übergehen.

„Rechtlich hat Justin recht. Ihr braucht keine Zustimmung eurer Eltern für einen HIV-Test, aber gerade bei Fynn würde ich das als falsches Signal sehen. Fynns Vater hat sich wieder an die Familie angenähert und Vertrauen aufgebaut. Ihr solltet das nutzen und ein offenes Gespräch führen. Was Patrick betrifft, sollte er bei diesem Gespräch dabei sein und seine Situation schildern. Ich finde das Argument mit der Pubertät vollkommen ausreichend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eltern dagegen etwas sagen werden. Im schlimmsten Falle werden sie Patrick fragen, ob es bereits einen aktuellen Grund gäbe, also, ob er schon eine Freundin hat.“

„Darf ich dich fragen, Chris, ob du auch schon einen Test gemacht hast?“, fragte Maxi.

„Natürlich darfst du fragen. Ich mache regelmäßig einen Test, da die Feuerwehr das bei den Untersuchungen gleich mitmachen lässt. Von daher bin ich abgesichert.“

„Könnte Christoph diesen Test bei uns in der Base machen? Er ist doch Arzt.“

„Natürlich, Fynn. Blut abnehmen kann Christoph machen. Es muss dann eh in ein Labor geschickt werden. Also das wäre kein Problem. Das können wir also organisieren. Vielleicht wollen das ja auch noch andere Spieler machen.“

„Warum verbindet ihr das nicht gleich mit einer Typisierung für die DKMS? Dann könnte man das richtig groß aufziehen und vielleicht unterstützt einer der Sponsoren das auch und ihr tut noch ein gutes, wichtiges Werk für andere Menschen.“

„Geniale Idee, Jörg. Das werde ich mit Thorsten bei einer der nächsten Teamsitzungen besprechen. Damit würden wir alle Probleme auf einmal lösen. Würdet ihr denn dabei mitmachen?“

Ich schaute in die Runde und erntete durch schlichtes Kopfnicken Zustimmung. Ein neues Projekt war geboren und mal schauen wie das umzusetzen war.

„Und bevor hier jemand auf komische Ideen kommt, es bleibt unter uns was Patrick gemacht hat. Er hat mittlerweile genug dafür eingesteckt. Von der Angst ganz zu schweigen. Aber es bleibt seine Sache, es zu erzählen oder nicht. Bitte respektiert das im Sinne von Dustin und Fynn.“

Justin hatte es sofort begriffen, stand auf und ging zu den beiden Freunden. Er hielt ihnen seine Hand hin und sagte:

„Sorry, ich habe das nicht böse gemeint und verspreche euch, dass ich nichts davon erzählen werde.“

Die beiden schauten sich an und nahmen die Hand. Fynn erwiderte noch:

„Danke Justin. Ich kann dich ja schon verstehen. Es ist so dumm, dass man sich eigentlich nur über Patrick lustig machen kann. Aber die Lage ist dadurch leider nicht besser. Ich finde es aber toll, wie du jetzt reagiert hast. Damit ist das für uns erledigt. Lasst uns nach vorn schauen. Chris hat ja schon gesagt, dass wir da einen Weg finden werden.“

„Der Weg ist gefunden, Fynn. Wir müssen nur noch schauen wie schnell wir das umgesetzt bekommen.“

„Dann lasst uns anstoßen auf dieses neue Projekt.“, sagte Jörg und reichte allen eine kalte Fassbrause.

„Was trinkst du denn, Jörg?“

Maxi hatte entdeckt, dass Jörg für sich eine andere Flasche in der Hand hielt.

„Das ist Krostitzer, ein sehr leckeres Bier hier aus der Gegend.“

Maxi überlegte, ob er davon eins probieren sollte. Er traute sich allerdings nicht zu fragen. Eine komische Situation bei der ich ihm jetzt aber nicht helfen wollte. Jörg schaute mich an und wollte wohl ein Zeichen von mir, aber ich ignorierte das.

Diese Dinge mussten die Jungs mittlerweile selbst verantworten. Grundsätzlich hätte ich in dieser Situation damit kein Problem, sollte Maxi ein Bier trinken wollen. Er war nicht mehr im Turnier. Ob das clever wäre, ist eine andere Frage. Die anderen würden das wohl nicht sonderlich kollegial finden.

„Ich werde es nach dem Turnier probieren. Meine Freunde würde das bestimmt gemein finden, sollte ich jetzt ein Bier trinken und sie müssten zuschauen.“

Jörg stand auf, nickte und holte noch eine Runde Getränke für alle. Es wurde dunkel und ein wunderschöner Sternenhimmel entwickelte sich.

Dass Dustin und Fynn händchenhaltend auf der Bank am Feuer saßen, war mir zuerst nicht aufgefallen. Erst, als ich von der Toilette zurückkam und mich Jörg darauf aufmerksam gemacht hatte, musste ich zufrieden schmunzeln.

Wir standen in der Küche der Hütte.

„Ja, das ist niedlich. Zwei große Jungs ganz verträumt. Aber es ist schön, dass sie ihre Gefühle mittlerweile frei zeigen. Die beiden ergänzen sich gegenseitig sehr gut. Auch die anderen profitieren davon. Sie wissen alle wie wichtig das Wohlbefinden ist. Nur dann ist eine Topleistung möglich.“

„Es wäre allen jungen Sportlern zu wünschen, dass sie so eine gute Unterstützung hätten. Das, was ihr in Halle macht, ist ziemlich einzigartig. Umso schöner, dass es euch gibt.“

„Danke. Was anderes, was hast du dir morgen Abend überlegt? Du wolltest vorhin darüber nicht sprechen.“

„Ich werde auch jetzt nicht darüber sprechen. Das wird eine Überraschung, aber wir werden uns einiges von Leipzig anschauen. Das kann ich verraten.“

Damit musste ich mich zufrieden geben. Der Abend war herrlich und die letzte Stunde hatten wir uns mit dem Sternenhimmel beschäftigt. Sogar einige Sternschnuppen konnten wir sehen.

Der nächste Tag versprach spannend zu werden. Leider musste ich auch mit Stress rechnen. Justin hatte einen von den homophoben Schiedsrichtern zugeteilt bekommen. Damit beschäftigte er sich mehr als mit seinem Gegner. Das missfiel mir.

Fynn war bereits im Tunnel als wir nach dem späten Frühstück auf der Anlage eintrafen. Wie verabredet nahm uns Mika in Empfang. Er freute sich richtig als er Dustin und Fynn begrüßen konnte.

„Guten Morgen zusammen. Seid ihr gut drauf?“

„Danke.“ Dustin strahlte regelrecht. „Fynn ist in Bestform heute.“

„Woher weißt du das?“, fragte ich erstaunt.

„Weil ich mich fürsorglich um ihn gekümmert habe.“ Dabei lächelte Dustin.

Fynns Gesicht bekam eine deutliche Rotfärbung und Justin und Maxi grinsten um die Wette.

„Na, ich möchte gar nicht wissen, wie diese Fürsorge ausgesehen hat. Vermutlich hast du den Schlaf der anderen damit verkürzt, so wie Justin und Maxi aussehen.“

Mika schien auch zu wissen, was gemeint war. Einerseits fand er das amüsant, andererseits war es ihm auch sichtlich unangenehm, wie offen ich damit umgegangen war.

„Wenn du nicht auch vermöbelt werden willst, solltest du dich von diesen Schwuchteln fernhalten!“, tönte es plötzlich.

Alle Augen waren nun auf zwei Typen gerichtet, die nicht ungefährlich aussahen. Allerdings beeindruckten mich ihre Pöbeleien überhaupt nicht. Hoffentlich blieben meine Jungs auch ruhig. Schien zumindest so, denn keiner zeigte eine Reaktion. Sogar Mika ließ sich nicht beeindrucken und blieb einfach bei uns. Das provozierte die beiden Proleten noch mehr und sie machten zwei Schritte auf uns zu und begannen, uns zu drohen. Jetzt musste ich schnell entscheiden und wollte meine Jungs wegschicken, bevor hier etwas aus dem Ruder laufen konnte, aber es kam anders.

Wie aus dem Nichts tauchten drei Sicherheitsleute auf, die die beiden direkt in die Mitte nahmen und von der Anlage beförderten. Ein Mann in einem grauen Anzug erschien dann bei uns.

„Ist alles in Ordnung bei euch?“, fragte er freundlich und besorgt.

„Danke, es war ja noch nichts passiert. Allerdings bin ich sehr froh, dass die Sicherheitsleute so schnell da waren. Woher haben die das gewusst? Und darf ich fragen wer Sie sind?“

Der Mann begann zu lächeln und stellte sich als stellvertretender Turnierdirektor vor.

„Wir haben diese Leute schon seit gestern im Auge gehabt. Uns ist bekannt, dass ihr schlimme Erfahrungen gemacht habt. Über die Vorfälle in Kitzbühel sind wir gut informiert. Ich habe daher die Security darauf aufmerksam gemacht, auf euch ein Auge zu halten. Ich möchte, dass ihr euch hier wohlfühlt und im nächsten Jahr wiederkommt. Euer Projekt wirbelt in der Szene mächtig Staub auf und wir in Leipzig finden das sehr gut, was in Halle sehr fortschrittlich geschieht.“

Wow, das war eine positive Überraschung. Ein Turnierdirektor, der ganz offen für uns und die homosexuellen Spieler Partei ergriff. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

Ich gab dem Mann, der sich als Dr. Reuschel vorgestellt hatte, erfreut und auch dankbar die Hand.

„Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Ich wollte meine Jungs gerade aus der Gefahrenzone schicken. Aber so ist es mir viel lieber und auch für die weiteren Tage macht es mir ein gutes Gefühl.“

Dustin und Fynn wirkten erleichtert, Maxi und Justin redeten leise miteinander, als Herr Dr. Reuschel ergänzte:

„Sehr gern. Cedric Mourier hatte mir schon berichtet über die Vorfälle mit den Schiedsrichtern. Wir werden das ganz genau beobachten und sofort einschreiten, sollte es zu Problemen kommen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die beiden Herren jetzt noch ein Fehlverhalten an den Tag legen werden. Aber warten wir es ab. Falls es zu erneuten Übergriffen kommt, bitte ich um eine umgehende Information an die Turnierleitung. Wir werden uns dann sofort darum kümmern und dem nachgehen.“

Mika war noch beeindruckt von der Szene. Meine Jungs nahmen ihn einfach in die Mitte und machten einen Rundgang über die Anlage. Allerdings wollte ich mit Justin vor seinem Match noch einmal sprechen. Daher hatte ich ihn gebeten bei mir zu bleiben.

„Wie geht es deinem Arm? Ist es mit den Schmerzen besser geworden?“

„Dem Arm geht es soweit gut. Momentan bin ich aber noch mit dem Vorfall von eben stark beansprucht. Denkst du, dass Fynn jetzt noch unbeschwert auf den Platz gehen kann? Wenn es selbst mich noch im Kopf dermaßen beschäftigt?“

„Was beschäftigt dich?“

„Ganz ehrlich, die Sicherheit. Was ist, wenn du erneut angegriffen wirst? Hast du keine Angst vor weiteren Übergriffen?“

„Doch habe ich, aber es bringt mich nicht weiter, wenn Angst meine Entscheidungen beeinflusst. Ich will mich nicht von unserem Weg abbringen lassen, nur weil ein paar Verrückte uns das Leben schwer machen wollen. Ich wünsche mir, dass ihr auf den Platz geht und den Leuten mit guten Leistungen zeigt was ihr könnt. Damit nehmen wir den meisten den Wind aus den Segeln. Je mehr Leute wir überzeugen, desto einfacher wird es in Zukunft werden. Hier hat der Veranstalter bereits begriffen, dass wir ein wichtiger Bestandteil des Turnieres geworden sind. Das sind ganz wichtige Schritte in die Zukunft.“

Justin schaute mich an und plötzlich ging ein Lächeln über sein Gesicht. Es hatte irgendwie „klick“ bei ihm gemacht, denn er erwiderte:

„Jap, also soll ich einfach mein bestmöglichstes Tennis spielen und würde dir dadurch am besten helfen, mit dieser Situation umzugehen.“

„Bingo, du hast es begriffen. Außerdem wird das auch dir helfen, damit besser umzugehen. Es wird nicht mehr im Kopf sein, wenn du dich nur noch auf dein Spiel fokussierst.“

Es folgte eine stumme Umarmung. Eine seltene Geste von Justin. Umso größer war die Wirkung bei mir. Es berührte mich emotional. Und als Justin sich von mir trennte, um sich mit Mika und Fynn einzuschlagen, schaute ich ihm nachdenklich hinterher.

Erneut hatte ich eine schwierige Entscheidung allein treffen müssen. Aber für mich gab es nur den Weg nach vorn, um das Turnier weiterspielen zu können. Auch langfristig würde es nur möglich sein weiterzuspielen, wenn wir immer wieder weitere Mitstreiter gewannen.

Zehn Minuten später stand ich auf dem Platz, auf dem sich meine Jungs mit Mika einschlugen. Interessanterweise standen auffällig viele Zuschauer um diesen Platz. Vor allem jugendliche Zuschauer.

Es bedurfte nur weniger Hinweise beim Einschlagen, insofern hatte ich ein paar entspannende Minuten dort. Der Tag würde für mich wieder einiges an Stress bedeuten und es fiel mir schwer, die zweite Runde nur zu genießen. Ich wollte, genau wie meine Jungs, jetzt mehr haben. Vielleicht ein Viertelfinale bei einem großen Challenger? Das wäre ein riesiger Erfolg in der kurzen Zeit.

„Na, wo bist du gerade mit deinen Gedanken, Chris?“

Ich zuckte zusammen, denn ich hatte nicht bemerkt, dass sich Maxi neben mich gestellt hatte.

„Boah, Maxi. Du kannst mich doch nicht so erschrecken. Was hast du gefragt?“

Maxi fing an zu lachen und wiederholte seine Frage.

„Ach, passt schon. Ich habe nur ein wenig nachgedacht über unseren zurückgelegten Weg und was wir schon alles erlebt und erreicht haben. Es ist einfach toll zu sehen, wie ihr euch positiv entwickelt. Aber es ist auch schade, dass es immer noch Menschen gibt, die euch das Leben schwer machen wollen.“

„Ich stimme dir zu, aber in einem Punkt muss ich widersprechen. Es sind ein paar Deppen, die uns das Leben schwer machen wollen. Du bist ein ganz wichtiger Teil unseres Teams. Und genau jetzt brauchen Justin und Fynn dich ganz besonders. Wir wollen hier das Turnier und die Szene weiter aufmischen. Wir schauen nach vorn. Also nicht zurückschauen, es geht vorwärts.“

Bei diesen Sätzen musste ich schmunzeln.

„Jaja, du hast gut zugehört, was ich mal gesagt habe. Dann lass uns vorwärts gehen. Heute ist ein guter Tag, die Deppen zu ärgern.“

Ich stupste Maxi meine Faust auf seine Schulter und er zwinkerte mir zu. Das Einschlagen machte einen guten Eindruck auf mich. Auch Mika wirkte entspannter und lockerer als gestern. Mal schauen was uns der Tag heute an Überraschungen bieten würde.

Jörg hatte heute Vormittag einige Termine und würde erst zu uns stoßen, wenn Justin bereits auf dem Platz stehen würde.

Je näher die Uhr auf zwölf Uhr schritt, desto mehr ließ ich Fynn mit Dustin allein. Er sollte sich nur in Begleitung seines Freundes vorbereiten. Wenn ich gefragt wäre, würde Dustin sicher zu mir kommen. Auch für mich war dies eine sich verändernde Situation, die mir mehr als gut gefiel. Fynn wurde immer eigenständiger und suchte seinen eigenen Rhythmus in der Spielvorbereitung.

Meinen Platz hatte ich bereits vor dem Betreten der Spieler eingenommen. Ich wusste, dass der Gegner deutlich höher in der Rangliste notierte und Fynn als klarer Außenseiter galt. Für die Tageszeit an einem Wochentag war eine ansehnliche Anzahl von Zuschauern da. Der Veranstalter hatte Fynn auf dem Court 1 angesetzt. Das war der zweite Platz mit richtigen Tribünen.

So hatte ich noch etwas Zeit, mir einen Überblick zu verschaffen. Es gab auch eine Fangruppe des Gegners. Sie hatten ihre spanischen Fahnen über die Lehnen vor ihnen gehängt. Fynn betrat mit seinem Gegner den Platz und freundlicher Applaus kam auf. Fynn stellte seine Tasche neben seine Bank und schaute sich um. Schnell hatte er mich ausgemacht und ich nahm Blickkontakt mit ihm auf.

Ein ungewohntes Lächeln auf seinem Gesicht erstaunte mich. Fynn auf dem Platz vor dem Match mit einem Lächeln? Was war denn heute los?

Und dann war plötzlich um mich herum Unruhe. Meine Jungs tauchten auf und nahmen neben mir Platz. Insbesondere Dustin wirkte locker und lachte als er sich gesetzt hatte.

„Na, welchen Witz hast du dir denn gerade erzählt? Vor dem Match machst du Scherze. Habe ich etwas verpasst?“

„Hihi, ja. Du hast echt etwas verpasst. In der Umkleide waren noch andere Spieler und Dustin hat Fynn zum Abschied einen Kuss gegeben. Da gab es großen Jubel in der Kabine und sein Gegner meinte ganz locker, dass das unlauterer Wettbewerb wäre. Danach lachten sie beide und gingen gemeinsam auf den Platz.“

Maxi war ganz aus dem Häuschen, als er das berichtet hatte. Dustin schaute mich dabei an und zuckte mit den Schultern.

„Das mache ich doch immer so.“

„Klar, aber dass sein Gegner das so locker nimmt, ist nicht alltäglich. Von den anderen in der Umkleide ganz zu schweigen.“

„Es geht sogar noch weiter“, ergänzte Justin, „einer meinte sogar, dass Fynn im Vorteil wäre. Die Freundinnen der anderen Spieler dürften ja nicht mit in die Umkleide. Es war richtig lustig gerade.“

„Sehr gut. Das freut mich. Je mehr solche Situationen entstehen, desto weniger haben die homophoben Deppen Chancen, sich zu profilieren.“

Schon beim Einschlagen konnte ich die entspannte Stimmung zwischen den beiden Spielern erkennen. Entsprechend locker bewegte sich Fynn über den Platz. Das gefiel mir. Allerdings tauchte Dustin nun immer weiter in einen Tunnel ein. Er reagierte auf jeden Schlag von Fynn, der nicht perfekt klang. Sehr angespannt verfolgte er die Einschlagzeit. Als der Schiedsrichter das berühmte „Time“ verlauten ließ, ballte Dustin beide Fäuste und lauerte auf seinem Platz wie eine Raubkatze.

Fynn hatte sich entgegen seiner Gewohnheit für Aufschlag entschieden. Er hob seinen Arm, um dem Gegner zu signalisieren, dass es losgehen kann.

Das erste Spiel holte sich Fynn glatt und das war für mich ein gutes Signal. Er fühlte sich wohl auf dem Platz.

Die ersten vier Spiele verliefen unspektakulär und entsprechend stand es 2:2 als Fynn erneut aufschlug.

Dann passierte eine kuriose Situation. Fynns Aufschlag berührte ganz klar die Netzkante. Sein Gegner reagierte entsprechend nicht und ging von einer Wiederholung des Aufschlages aus. Allerdings hatte der Schiedsrichter offenbar kein Signal vom Netzsensor gehört und dem entsprechend entschied er auf 15:0 für den Aufschläger. Das führte beim Gegner zu Ärger und Unverständnis. Zu recht, aus meiner Sicht. Der Schiedsrichter ließ sich allerdings auf keine weitere Diskussion ein.

Was jetzt kam, war großes Kino. Fynn ging nach vorn ans Netz zu seinem Kontrahenten, der noch vor dem Schiedsrichterstuhl stand. Sie unterhielten sich nur sehr kurz, aber ich ahnte was kommen würde.

Fynn stellte sich bei 15:0 zum Aufschlag und spielte beide Aufschläge demonstrativ aus der Hand ins Netz. Damit stand es 15:15. Sein Gegner spendete Beifall und bedankte sich für diese Geste. Das Publikum klatschte ebenfalls. Fynn hatte verstanden, dass mit dem Schiedsrichter keine faire Lösung zu erreichen war und löste das Problem auf seine Weise. Dem Spiel tat das sehr gut, denn die Atmosphäre zwischen den Spielern wurde dadurch noch positiver. Für Fynn sogar ein größerer Vorteil als für seinen Gegner, denn Fynn wurde immer lockerer und mutiger. Er folgte unserem Plan sehr konsequent und baute viel Druck auf, rückte immer häufiger auch ans Netz vor und machte einige sehr schöne Punkte.

Sein Gegner schien auf diese Leistung nicht vorbereitet gewesen zu sein. Als Fynn den ersten Satz mit 6:4 gewann, flog der Schläger unter die Bank und ein lauter Fluch folgte.

Dustin stand nach dem Satzball von seinem Platz auf und streckte sich. Ich konnte ebenfalls mal kurz durchatmen und klatschte Beifall. Hier bahnte sich eine weitere Überraschung an. Auch Maxi schien beeindruckt. Er fragte:

„Wie kann es sein, dass Fynn heute viel aggressiver spielt als sonst. Er zeigt kaum noch Angst Fehler zu machen. So kann er das Match auch wirklich gewinnen, oder?“

„Ja, das hast du gut beobachtet. Ich stimme dir zu, so kann er gewinnen. Ob er das aber auch durchhält, sehen wir dann.“

Der zweite Satz begann erneut mit Fynns Aufschlag. Heute schien es ein Vorteil zu sein, vorlegen zu können. Sein Gegner setzte sich selbst immer mehr unter Druck und wollte es zwingen. Fynn blieb äußerlich sehr ruhig und folgte weiterhin konsequent der Marschroute. Auch von wenigen einfachen Fehlern ließ er sich heute nicht mehr beeindrucken und spielte das Match von vorne zu Ende. Das war beeindruckend.

Vor dem möglicherweise letzten Aufschlagspiel stieg bei mir die Anspannung noch einmal stark an. Auch Dustin hielt es nicht mehr auf der Bank. Er sprang nach jedem Punkt auf und pushte seinen Freund lautstark.

Ich musste mir eingestehen, dass ich längst nicht mehr so ruhig war wie es den äußeren Anschein hatte. Mein Puls war deutlich erhöht und ich hatte schweißnasse Hände. Fynn hingegen wirkte voll fokussiert und der befürchtete schwere Arm war nicht sichtbar.

Bei 40:15 gab es die ersten zwei Matchbälle. Im Gegensatz zu sonst nahm sich Fynn viel Zeit vor dem Aufschlag und ließ sich noch einmal zwei Bälle zuwerfen. Er schaute sie sich genau an, wählte die beiden für ihn besten aus und stellte sich zum Aufschlag.

Fynn stand vor dem größten Erfolg unseres Projektes. Ein Viertelfinale bei einem Challengerturnier. Aber es musste erst noch ein Punkt gewonnen werden.

Ich hatte kurz die Augen geschlossen, als Fynn aufschlug und konnte deshalb den letzen Punkt nicht sehen. Er hatte ein Ass geschlagen.

Dustin war nicht mehr zu halten und war sofort Richtung Bank gestürmt und auch Maxi jubelte laut. Ich brauchte einen Moment, um das richtig zu realisieren. Aber dann musste ich mit einem lauten „Yes“ und geballten Fäusten meine Anspannung herauslassen. Justin stand noch neben mir und ich konnte nicht anders als ihn zu umarmen. Dieser Sieg war unbeschreiblich schön. Es war zwar 'nur' das Erreichen eines Viertelfinales, aber genau das war für unser Team ein riesiger Erfolg. Viele Ranglistenpunkte gab es für ihn und auch das Preisgeld war jetzt schon sehr üppig.

„Na, was habe ich dir gesagt?“, stand Justin grinsend vor mir.

„Wie meinst du das?“, fragte ich etwas ratlos.

„Na, ich hatte doch gefragt, ob es tatsächlich unmöglich wäre, hier zu gewinnen. Ich glaube mittlerweile daran, dass es möglich ist.“

Und dann hüpfte er flugs die Treppe hinunter zu Fynn an die Bank. Dort klatschten sie sich ab und sogar eine Umarmung auf dem Platz folgte noch.

Mein Kopf war für einen Augenblick leer. Die Gefühle spielten mir einen Streich. Es fühlte sich einfach unglaublich gut an, mit so einem Ergebnis auch die Bestätigung zu bekommen, nicht viel falsch gemacht zu haben.

Erst nach etwa zehn Minuten hatte ich mich emotional soweit beruhigt, dass mein Fokus nun zu dem anstehenden Match von Justin wandern konnte. Alles was nun noch kommen würde, wäre ein Extrabonus obendrauf.

Maxi und Dustin waren verschwunden und ich saß für einen Othello auf der Terrasse. Diese Pause gönnte ich mir. Plötzlich tauchte einer der Offiziellen bei mir auf. Man konnte sie an ihrem Outfit sofort erkennen.

Ich bekam einen Zettel gereicht. Auf diesem stand bereits der Zeitplan für das morgige Viertelfinale. Ich steckte ihn ein, wollte mich aber erst nach dem Match von Justin damit beschäftigen.

„Chris, kommst du zum Platz? Justin hat bereits begonnen. Ich glaube, dass er dich sucht.“

Maxi stand an meinem Tisch und ich zuckte ein wenig zusammen.

„Oh, danke Maxi. Ich komme mit. Dachte, sie würden sich noch einschlagen.“

Maxi ging zügig vorweg und ich folgte ihm zu unserem Platz. Sofort hatte mich Justin erspäht. Er atmete tief durch. Das hatte ich nicht gedacht, dass mich Justin sofort am Platz erwarten würde.

Dustin war auch noch nicht am Platz, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Er war mit Sicherheit bei seinem Freund geblieben und sie würden gemeinsam zu uns stoßen.

Fynn: Mega Gefühl im Viertelfinale zu stehen

Unfassbar, was ich gerade auf dem Platz erlebt hatte. Nach dem Matchball herrschte für einen Augenblick bei mir ungläubiges Staunen, danach musste ich mit einem lauten Freudenschrei den Druck herauslassen. Erst dann konnte ich bewusst spüren, dass ich gewonnen hatte.

Ich schaute mich um und suchte den Blick zu meinen Freunden auf der Tribüne. Ich konnte nur Chris erkennen. Allerdings spürte ich schon bald die Hände meines Schatzes um meinen Hals. Ein inniger Belohnungskuss folgte. Einfach nur geil, Viertelfinale in einem Challengerturnier!

In der Umkleide stellte ich meine Tasche ab. Ich überlegte einen Moment, aber es war Auslaufen angesagt. Zu meiner Überraschung wartete Dustin vor dem Ausgang auf mich. Er wollte mich begleiten.

„Das ist aber echt schön, dass du mit mir laufen willst. Hast du Chris Bescheid gesagt?“

„Diesen Moment lasse ich mir nicht entgehen und ich kenne auch schon einen kleinen Weg wo wir wenige Leute treffen werden. Chris wird sich denken können, dass ich bei dir bin.“

Sein schelmisches Lächeln verriet mir sofort, was er im Kopf hatte. Meine Gefühle spielten aber im Moment Achterbahn und ich freute mich einfach, dass mein Schatz bei mir war. So konnte ich mit ihm teilen.

Wir trabten wortlos nebeneinander her und kamen am großen Stadion der Bundesligafußballer vorbei. Dort blieb Dustin plötzlich einfach stehen.

„Hey, was ist los?“, fragte ich überrascht.

„Ich stelle mir gerade vor, wie geil das sein muss, vor so vielen Leuten zu spielen. Einmal bei einem Grand Slam dabei sein und im großen Stadion spielen.“

„Momentan würde ich mir vermutlich vor Angst in die Hose machen. Aber du hast Recht. Das wäre geil. Aber dafür müssen wir noch hart arbeiten und vielleicht reicht es auch gar nicht für die ganz großen Turniere.“

„Du machst mir aber auch gleich alle Träume wieder madig. Warum nicht einfach mal sagen, wir schaffen das.“

Dustin machte einen Schritt auf mich zu, umarmte mich ganz fest und küsste mich leidenschaftlich.

Damit hatte ich in diesem Moment nicht gerechnet und als er mir noch demonstrativ an die Hose griff, musste ich lachen.

„Du willst es aber wissen heute. Hihihi. Aber lass uns hier lieber verschwinden. Ich möchte das auf später verschieben. Jetzt müssen wir Justin unterstützen.“

„Aber vorher gehst du duschen und zur Massage. Ich werde dich bei Chris vertreten und Justin unterstützen. Und schreib mal nach Hause, damit die nicht denken wir sind verloren gegangen.“

Dustins Laune erstaunte mich. So locker und offen hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Vor allem ohne unsere Freunde.

Die Idee mit dem nach Hause schreiben verwarf ich, denn ich rief einfach an.

„Ja?“, meldete sich meine Mutter.

„Hi Mama, hier ist Fynn.“

„Fynn? Das ist ja eine Überraschung. Wie geht es euch in Leipzig? Ist alles in Ordnung?“

„Es ist alles bestens. Ich habe gerade mein Match in Leipzig gewonnen und stehe jetzt im Viertelfinale. Das ist so genial. Justin spielt noch um den Einzug dorthin. Dustin ist schon an den Platz gegangen, ich muss noch Auslaufen und werde danach auch zu Justin gehen.“

„Wie schön. Das ist ja sehr erfreulich. Da lohnt sich eure harte Arbeit ja langsam. Wie geht es Dustin? War er sehr traurig, dass er gestern verloren hat?“

„Nein, das ging eigentlich. Er konnte es gut einordnen, aber Chris findet dabei auch immer die passenden Worte, so dass Dustin es akzeptieren konnte.“

„Sehr schön. Hier ist auch alles soweit in Ordnung. Ich soll dich schön von deinem Vater grüßen. Auch Patrick hatte schon nach euch gefragt.“

„Dankeschön. Grüße bitte herzlich zurück und ich werde es Dustin ausrichten. Ich muss jetzt nur wieder Schluss machen, sonst krieg ich mit Chris Ärger, wenn ich zu spät zu Justin komme.“

„Macht es gut und lasst wieder von euch hören. Wir drücken die Daumen und wenn ihr zurück seid, möchte ich euch hier gern mal wieder sehen.“

Ich verabschiedete mich von meiner Mutter, ging mit einem guten Gefühl unter die Dusche und anschließend zur Massage.

Auf dem Weg zu Justins Platz begegnete mir Mika. Er strahlte.

„Na, du siehst auch happy aus. Ich gehe mal davon aus, dass du gewonnen hast.“

„Ja, geiles Match gewesen. Habe richtig gut gespielt. Bei dir war es auch gut, oder?“

„Jap, auch gewonnen. Mal schauen, wie weit es noch gehen kann. Hast du Lust mit zu Justin zu kommen?“

Also marschierten wir gemeinsam an Justins Platz. Schon aus einiger Entfernung konnte ich erkennen, dass dort recht viele Zuschauer am Platz standen. Das war meistens ein Zeichen dafür, dass es ein spannendes und gutes Match sein würde.

Es fiel mir sogar schwer Chris zwischen den Zuschauern auszumachen. Aber als ich auf den Spielstand schaute, war mir klar warum hier so viele Zuschauer standen. Justin führte mit einem Break gegen den deutlich favorisierten Lokalmatador aus Leipzig.

Wir schlängelten uns zu Chris und hatten sogar noch Platz, uns auf den Hang zu setzen. Chris saß nun zwischen Dustin und mir. Maxi saß neben Dustin. Beim nächsten Seitenwechsel stand es 5:4 und Justin konnte jetzt zum Satzgewinn aufschlagen.

Chris war aufgestanden und kommunizierte mit Justin. Natürlich ohne mit ihm zu sprechen.

Plötzlich drehte er sich um und stand direkt vor mir. Ich schaute zu ihm hoch, Chris machte eine Handbewegung nach rechts und grinste.

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und rutschte zu Dustin rüber und Chris nahm meinen Platz ein. Eine coole Geste. Damit hatte ich ehrlicherweise gar nicht gerechnet. Klar, Chris hätte mich sicherlich dahin gelassen, wenn ich gefragt hätte. Aber einfach so, das war Klasse.

Chris sprach leise mit Mika während auf dem Platz Justin um den Satzgewinn fightete. Dennoch hatte Chris jeden Ballwechsel im Blick. Als Justin sich nach einem verlorenen Punkt lautstark aufregte, ging Chris Kopf nach oben. Mit einem lauten „Shut up“ hatte er sofort Justins Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Chris machte mit einer Handbewegung sehr deutlich, was er von Justins Ausraster gehalten hatte.

Das war erneut faszinierend wie direkt Chris in seiner Reaktion war, wenn es ihm gegen den Strich ging. Auch Justin hatte es sofort begriffen und ging sich direkt zwei Bälle holen, um sich auf den nächsten Aufschlag zu konzentrieren.

Chris hatte sein Gespräch mit Mika unterbrochen und widmete seine Aufmerksamkeit nun ausschließlich dem Spiel. Als ob Justin das spüren würde, ließ er sich viel Zeit vor dem folgenden Aufschlag.

Er warf den Ball hoch und schlug diesen unerreichbar hart ins Feld. Ein lautes „Come on“ und die geballte Faust zeigten mir, wie angespannt Justin jetzt war. Chris applaudierte deutlich hörbar für Justin und ballte dann ebenfalls die Faust, als Justin zu uns blickte. Satzball!

Dieser Punkt entwickelte sich zu einem echten Fight. Ewig lange ging der Ball hin und her und keiner konnte sich einen Vorteil erspielen. Allerdings mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Härte wurde der Ball regelrecht geprügelt. Ein toller Ballwechsel, den Justin mit einem dreisten und genialen Stoppball beendete. Satzgewinn.

Jetzt geschah etwas Ungewöhnliches. Justin baute sich zu einer Superheldenpose auf und reckte die rechte Hand in die Höhe. Solche Dinge störten Chris eigentlich immer. Aber auch Chris war aufgesprungen und reckte als Unterstützung seine linke Hand in die Höhe und klatschte anschließend Beifall. Die Zuschauer anerkannten Justins Leistung mit freundlichem Applaus. Immerhin spielte er gegen den Lokalmatador.

Justin nutzte die Satzpause, um den Platz kurz zu verlassen. Chris reagierte sofort und verschwand in Richtung Clubhaus. Mika schaute ihm verwundert hinterher.

„Da zeigt sich auch der große Vorteil, wenn der Coach immer dabei ist. Ich könnte jetzt nicht mit meinem Coach in der Satzpause sprechen.“

„Ja, das stimmt. Aber wir haben das auch erst lernen müssen, dass wir diese Option haben. Chris hat uns das erklärt und von da an haben wir diesen Vorteil verinnerlicht.“

„Ist das eigentlich überhaupt erlaubt?“, fragte Mika nach.

Ich musste schmunzeln.

„Nein, natürlich nicht. Aber wie willst du das verhindern? Chris muss zufälligerweise in der Satzpause ebenfalls auf die Toilette wie Justin.“

Danach mussten wir alle lachen. Mika schüttelte den Kopf und meinte:

„Ja, das ist ein überzeugendes Argument.“

Mir tat es gut, dass ich in der Pause etwas von der Anspannung abbauen konnte. Für Justin würde es noch schwieriger sein. Hoffentlich machte sein Arm jetzt keine Schwierigkeiten.

Wenige Minuten später hatte Justin seinem Gegner direkt den Aufschlag abgenommen und seinen eigenen Aufschlag zu Null durchgebracht. Das war beeindruckend.

Chris kam erst beim Stand von 2:1 zurück an seinen Platz.

„Es schaut gut aus. Scheint also angekommen zu sein, was du ihm gesagt hast.“

Dustin schaute mich an, gab mir einen Kuss und grinste.

„Was glaubst du, warum unser Chris sich wohl dorthin begeben hat?“

„Naja, ob es auch ankommt was Chris sagt, ist dann immer noch eine andere Frage.“, erwiderte ich.

„Genau“, antwortete Chris, „umso schöner natürlich, wenn Justin es auch noch umsetzen kann. Hoffentlich hält sein Arm. Er hat eben über leichte Schmerzen geklagt. Die Belastung ist sehr hoch in diesem Match.“

„Er würde eh nicht freiwillig aufhören. Das wäre dann wohl eher deine Aufgabe.“

„Ja, Maxi. Das stimmt. Aber genau deswegen sitze ich ja auch hier. Um euch vor falschem Ehrgeiz zu schützen. Noch.“

„Wieso noch?“, fragte Maxi sofort nach.

„Weil ihr das bald selbst entscheiden müsst. Wenn ihr volljährig seid, kann ich das nicht mehr anordnen. Ich kann dann nur noch beraten bei solchen Entscheidungen.“

Das war für Dustin eine Steilvorlage.

„Ich werde bestimmt nicht den Fehler machen, dir dann zu widersprechen. Ich kenne dich lange genug um zu wissen, dass ich dann besser aufhören sollte. Egal wie alt ich dann bin.“

Das kam so trocken rüber, dass ich lachen musste und meinem Freund einen Kuss dafür gab. Chris zwinkerte uns zu und erwiderte:

„Gute Entscheidung, aber ich kann es dann halt nicht mehr anordnen. Aber ich bin davon überzeugt, dass ihr es bis dahin begriffen habt. So, und jetzt widmen wir uns wieder ganz dem Spiel. Ich möchte, dass Justin auch ins Viertelfinale einzieht. Die Möglichkeiten dazu hat er jedenfalls.“

Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell Chris einen Schalter umlegen konnte und komplett in das Spiel eintauchte. Jetzt durften wir ihn auch nicht mehr stören. Er verfolgte jeden Spielzug, jede Reaktion von Justin.

Hin und wieder gab er mit der Hand ein Zeichen oder nickte einfach mit dem Kopf. Genau diese einfachen Gesten gaben mir auf dem Platz unglaublich viel Sicherheit. So würde es Justin jetzt auch gehen. Hoffentlich konnte er dieses Match so gut zu Ende spielen.

Beim Spielstand von 5:4 für Justin kam es zu einer schwierigen Situation. Justin war mit einer Schiedsrichterentscheidung nicht einverstanden und begann mit diesem zu diskutieren. Aus meiner Sicht hatte der Schiedsrichter eine falsche Entscheidung getroffen.

„Warum hat er wohl diese Entscheidung so getroffen? Er will ja wohl dem Lokalmatadoren eine Chance geben doch noch zu gewinnen. Außerdem ist das einer der Schiedsrichter, die uns so beleidigt hatten.“

Dustin sprach das aus, was ich gerade in meinem Kopf hatte. Chris drehte abrupt seinen Kopf zu Dustin und kniff die Augen zusammen. Dann stand Chris wortlos von seinem Platz auf und ging davon. Ohne ein Wort zu sagen. Das war ungewöhnlich.

Justins Disput mit dem Schiedsrichter wurde immer heftiger und plötzlich konnte ich Chris direkt am Platz hinter dem Schiedsrichterstuhl erkennen. Er schickte Justin zurück auf den Platz. Warum gab er jetzt dem Schiedsrichter auch noch Recht?

Justin baute sich an der Grundlinie zum Aufschlag auf. Chris blieb hinter dem Schiedsrichterstuhl stehen obwohl das eigentlich nicht erlaubt war. Justin schlug auf und fabrizierte einen Doppelfehler. Damit stand es 30:30 und Justin drehte sich um, atmete tief durch. Chris hingegen pushte ihn ganz offen und klatschte rhythmisch. Das war für uns das Signal sofort mit einzusteigen und Justin so zu unterstützen. Der Schiedsrichter musste sogar zur Ruhe ermahnen.

Was dann folgte war unglaublich. Justin servierte schlicht zwei unerreichbare Aufschläge und beendete damit das Match. Wir schauten uns für einen Augenblick ungläubig an, bevor wir in lauten Jubel ausbrachen und uns umarmten. Justin hatte ebenfalls das Viertelfinale erreicht.

Chris: Ruhe bewahren und mit Jörg einen tollen Abend verbringen

Nach dem Matchball wollte Justin den Handschlag mit dem Schiedsrichter verweigern. Das war für mich ein absolutes No go. Unmissverständlich habe ich ihm klargemacht, dass er das zu tun hat. Mürrisch folgte er dieser Anweisung und danach musste ich ihn einfach für diese grandiose Leistung umarmen.

Justin schaute irritiert.

„Was ist? Ich finde das mega geil. Du hast ein ganz starkes Match abgeliefert.“

„Ja, ich bin auch total happy. Aber bist du jetzt nicht sauer auf mich?“

„Nur weil du in deinem ersten Zorn auf den Schiedsrichter einen Fehler machen wolltest? Unsinn, ich habe dir gesagt, was ich erwarte und damit ist das erledigt. Ich kann dich ja verstehen, aber es schafft nur neue Probleme und kostet viel Geld. Das machen wir anders viel besser. So, genug davon. Jetzt ist Freude pur angesagt.“

Ich konnte die anderen Jungs mittlerweile alle am Platz erkennen, die jetzt darauf warteten, Justin auch zu gratulieren. Ich zog mich also etwas zurück und überließ den Jungs das Feld.

Mit einem Gefühl von ein wenig Stolz in der Brust, wollte ich mir eine kalte Apfelschorle gönnen. Dazu kam es aber gar nicht, weil mir Maxi eine Flasche Fassbrause gebracht hatte. Das steigerte mein Gefühl noch mehr, denn es zeigte mir erneut wie gut wir mittlerweile gemeinsam an diesem Projekt arbeiteten. Jeder war für den anderen da. Obwohl ich noch sehr aufgewühlt war, konnte ich dieses jetzt genießen.

Mit den Spielen vom nächsten Tag wollte ich heute keine Gedanken mehr verbringen. Ich freute mich auf den Abend mit Jörg und den Jungs in Leipzig. Ohne irgendeinen Gedanken an Tennis.

Leider holte mich Dustin wenig später in die Realität zurück.

„Wo treffen wir uns eigentlich für den Pressetermin?“

„Du bist gemein. Ich hatte das gerade verdrängt. Aber nein, Spaß. Um kurz vor fünf im Pressebereich. Wir gehen aber nach draußen und machen das Interview vielleicht während eines Spazierganges.“

„Gut, sollen wir unsere Teamanzüge anziehen?“

„Ja, das ist eine gute Idee. Aber das Oberteil oder T-shirt reichen bei den Temperaturen. Wir wollen ja nicht zerfließen.“

Dustin zeigte mir erleichtert den Daumen nach oben und war wieder verschwunden.

Einige Zeit später hatten sich alle wieder beruhigt und ich war dabei die Nachbesprechung mit Justin zu machen. Er hatte darauf bestanden es heute noch zu tun. Bei dem Gespräch wurde auch klar warum. Es bewegte ihn immer noch, dass er sich zu dieser Diskussion mit dem Schiedsrichter hatte hinreißen lassen.

„Warum kann ich in der Situation nicht einfach meinen Mund halten und weiterspielen? Diese Fehlentscheidung konnte ich einfach nicht akzeptieren. Auch wenn du uns immer wieder sagst, dass das nur negative Folgen hat. Und es führt ja auch nicht zu einer Veränderung der Entscheidung. Das regt mich tierisch auf.“

Auch jetzt noch konnte ich seine Anspannung spüren. Er hatte sofort wieder diese Wut im Körper.

„Hey, komm wieder runter. Ich kann es nachvollziehen. Du bist voller Adrenalin während des Matches. Aber es zerstört deine Konzentration auf die weiteren Punkte. Was ist genau nach dieser Aktion passiert?“

Jetzt schaute er mich an und musste kopfschüttelnd lachen.

„Jaja, ich habe einen Doppelfehler fabriziert. Aber danach habe ich zwei Asse geschlagen und gewonnen. Das war dann auch nicht so schlecht, oder?“

„Hihi, allerdings. Das war ziemlich cool. Ich denke, damit schließen wir das Thema einfach ab. Du solltest weiterhin daran arbeiten, dich nicht mehr so leicht zu diesen Ablenkungen hinreißen zu lassen. Dann wirst du noch schwerer zu schlagen sein.“

Justin nickte stumm. In diesem Moment kamen die anderen Jungs mit Jörg um die Ecke. Ihre Laune war genauso gelöst wie bei mir. Es versprach noch ein toller Abend zu werden.

„Hallo Jörg, hast du jetzt keine Termine mehr?“

Mit einer Umarmung begrüßten wir uns und Jörg antwortete lachend:

„Doch, Termine schon, aber ab jetzt nur noch zum Vergnügen. Wir haben noch einiges vor heute. Wie lange braucht ihr hier noch?“

„Uiii, also wir müssen noch einen Pressetermin wahrnehmen, aber danach sollten wir hier fertig sein.“

Jörg nickte einverstanden und ich schaute zur Uhr. Es wurde langsam Zeit für uns zum vereinbarten Treffpunkt zu gehen.

Auf dem Weg dorthin entwickelte sich eine interessante Diskussion mit Dustin und Fynn.

„Hast du eine Ahnung, um was es bei diesem Interview gehen soll?“, fragte Fynn.

„Nein, nicht konkret. Allerdings sind diese lokalen Anfragen immer sehr ähnlich. Ihr könnt euch vielleicht vorher überlegen was ihr von euch erzählen möchtet und was nicht. Falls eine Frage dazu kommt, solltet ihr vorbereitet sein.“

„Schon klar, ich werde ihr nichts über unser Liebesleben erzählen. Hihi.“

„Nicht?“, antwortete ich mit einem Grinsen, „schade aber auch. Das würde bestimmt viele andere junge Schwule interessieren.“

„Sehr witzig, Chris. Ich würde ihr aber erzählen, wie gut wir in Halle unterstützt werden und dass es wichtig wäre, wenn sich mehr schwule Sportler bekennen könnten und keine Angst mehr haben müssten, ihre Sponsoren zu verlieren.“

„Genau das halte ich für eine ganz wichtige Aussage, Dustin.“

„Außerdem würde es auch für uns dann einfacher sein, Verbündete zu finden. Ich glaube nämlich, dass es viel mehr schwule Tennisspieler gibt, als gemeinhin geglaubt wird.“

Diese offene Diskussion mit den beiden machte mir Freude. Hoffentlich könnten sie das ansatzweise im kommenden Interview auch äußern. Ich hielt diesen Gedanken für sehr wichtig, sowohl für den Sport an sich, aber auch für die beiden selbst. Es würde ihr Selbstwertgefühl deutlich steigern und sie auch auf dem Platz stärker machen.

Im Presseraum wurden wir bereits von Frau Hampe erwartet.

„Hallo und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen für dieses Gespräch. Sollen wir auf die Terrasse gehen und einen Kaffee dabei trinken?“, fragte sie uns freundlich.

Ich schaute meine Jungs an, die einverstanden nickten.

Nachdem wir uns an einen Tisch gesetzt hatten, fragte Frau Hampe die Jungs was sie trinken möchten. Erstaunlicherweise bestellten sie sich auch einen Latte Macchiato wie ich.

Frau Hampe verstand es sehr gut, die Jungs in das Gespräch einzubinden, um so ein paar Dinge zu ihrer Person zu erfahren. Außerdem war die junge Frau exzellent vorbereitet. Sie kannte unsere Geschichte sehr gut und nahm auch immer wieder Bezug dazu. Bei der Frage:

„Wie ist das für Sie als Trainer mit einem schwulen Paar unterwegs zu sein? Macht es Ihre Arbeit mit den anderen beiden Spielern schwieriger? Immerhin dürfen Dustin und Fynn gemeinsam auf einem Zimmer sein. Kommt da so etwas wie Neid bei den anderen auf?“

Da musste ich doch herzlich lachen. Darauf war ich nicht wirklich vorbereitet, aber mir gefiel diese ungewöhnliche Frage.

„Mir ist nichts dergleichen bekannt, aber ich kann da ja gleich mal die anderen beiden fragen. Hihi. Oder ist euch dazu etwas bekannt?“

Dabei schaute ich zu Dustin und Fynn, die belustigt die Köpfe schüttelten.

„Nun, lassen wir das Thema und kommen zurück zum Tennis. Du bist hier im Viertelfinale, wie ist das für dich, bei einem Challengerturnier jetzt gegen die absolute Weltspitze zu spielen?“

„Naja, also die absolute Weltspitze ist wohl noch etwas übertrieben. Allerdings ist das Niveau schon deutlich höher als wir es bislang gewohnt waren. Von daher ist das Erreichen des Viertelfinales ein sehr gutes Ergebnis.“

„Chris, Sie haben die Jungs schon eine längere Zeit begleitet. Glauben Sie, dass einer von ihnen das Potenzial hat, in die Weltspitze vorzustoßen?“

„Sie haben alle ein Potenzial, was noch lange nicht ausgereizt ist. Ob das für die Weltspitze reicht, müssen wir dann schauen. Für mich und unser Team spielt das zur Zeit aber gar keine Rolle. Sie sollen das Maximum aus sich herausholen und dann schauen wir, wo wir stehen. Allerdings wäre es für den Tennissport sehr schön, sollte mal ein schwuler Spieler ein größeres Turnier gewinnen.“

„Warum denken Sie so? Was würde sich verändern?“

„Die Akzeptanz in der Tennisszene. Insbesondere bei den Sponsoren und Funktionären. Wir haben bereits häufiger Spieler kennengelernt, die sich uns gegenüber als „schwul“ geoutet haben, aber auch klar sagten, dass sie sich nicht erlauben können es öffentlich zu machen, da sie Angst haben, dann ihre Sponsoren zu verlieren.“

„Das heißt also, es gibt viel mehr homosexuelle Spieler. Sie sind nicht allein?“

„Natürlich gibt es viel mehr Spieler als Dustin und Fynn, die homosexuell sind. Es wäre schon sehr seltsam, wenn die beiden sozusagen einzigartig wären.“

„Gut, das kann ich nachvollziehen. Sie haben ja auch bereits viele negative Erlebnisse gehabt. Wie erleben Sie ihre Situation momentan?“

„Ich persönlich kann gut mit der Situation umgehen. Allerdings möchte ich Dustin und Fynn bitten, selbst über ihre Lage zu sprechen. Sie haben den weitaus größeren Stress mit dieser Situation.“

Frau Hampe wendete sich den Jungs zu. Fynn reagierte zuerst:

„Es gibt durch unseren offenen Umgang immer Unterstützung. Zumindest moralisch. Anfeindungen kommen aber auch immer wieder vor, auch hier haben wir das bereits erlebt. Allerdings habe ich durch Chris und das „breakpoint-team“ die Unterstützung im Rücken, mich von unserem Weg nicht abbringen zu lassen. Nur wenn es uns gelingt Homosexualität als normal anzusehen und zu respektieren, werden die Vorurteile langsam abgebaut. Viele der anderen Spieler sehen uns als normale Kollegen an. Selbst in der Schule sind wir weitgehend akzeptiert. Die Schulleitung unterstützt uns jedenfalls sehr gut.“

„Das ist doch sehr erfreulich. Chris hat eben gesagt, dass ihr auch hier Spieler getroffen habt, die schwul sind und sich bislang nicht geoutet haben, weil sie Angst vor dem Verlust ihrer Sponsoren haben. Wie groß ist die Zahl der Spieler?“

„Darüber möchte ich keine Auskunft geben. Es sollen keine Spekulationen angestellt werden. Dafür ist uns das Thema viel zu sensibel und brisant. Auch wollen wir das uns gegebene Vertrauen nicht aufs Spiel setzen.“

Das war eine supergute Reaktion von Fynn auf diese Frage. Die beiden hatten bereits sehr viel gelernt und gingen souverän mit dieser Situation um. Frau Hampe hatte aber auch ein gutes Gespür für die Situation und fragte nicht nach.

„Was denkt ihr, wie weit könnt ihr hier noch kommen? Im Viertelfinale seid ihr ja schon mit zwei Spielern.“

„Ganz ehrlich“, erwiderte ich, „ich weiß es nicht, aber jedes weitere Match ist als ein Bonus zu bewerten. Spielerisch ist hier noch einiges möglich, aber ob das auch reicht, werden wir abwarten müssen.“

„Wenn euer Coach so vorsichtig ist, möchte ich mich etwas weiter aus dem Fenster lehnen. Ich habe Justin eben spielen sehen und glaube, da geht noch mehr. Auf jeden Fall sage ich vielen Dank für das Interview , wünsche euch weiterhin viel Erfolg und heute noch einen schönen Abend.“

Danach verabschiedete sie uns und unsere Wege trennten sich. Ich war froh, dass dieses Gespräch zu Ende war, denn ich mochte solche Termine nicht sonderlich, wohl wissend, dass sie aber wichtig und hilfreich sein konnten, gerade dann, wenn es eine gute Journalistin führte.

Endlich konnte der Teil des Tages beginnen, bei dem ich nicht mehr die Führung übernehmen musste. Jetzt war Jörg an der Reihe, uns einen interessanten Abend zu bereiten.

Allerdings gönnte ich mir in unserem Appartement eine ausgiebige Dusche. Entspannt und gut gelaunt betrat ich das Wohnzimmer. Dort saßen bereits die Jungs und warteten auf mich.

Das Klingeln meines Handys erregte meine Aufmerksamkeit und anhand der Melodie wusste ich, dass musste jemand aus meiner Familie sein. Auf dem Display stand „Jan“.

„Hi Jan, was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?“

„Hihi, moin Chris. Ich habe von Thorsten gehört, dass ihr in Leipzig richtig gut im Rennen seid. Außerdem habe ich noch eine gute Neuigkeit für die Jungs.“

„Ja, das stimmt. Justin und Fynn sind heute ins Viertelfinale gekommen. Mit einer ganz starken Leistung. Überhaupt ist Leipzig bislang ein gutes Turnier. Heute musste ich sogar ein Interview geben. Eine lokale Zeitung wollte etwas über uns berichten. Eine gut vorbereitete Journalistin hatte sich entsprechend Zeit genommen. Das war gut.“

„Sehr interessant. Gefällt mir, dass wir dadurch auch in den neuen Bundesländern bekannter werden. Wenn ihr aus Lübeck zurück seid, werden wir eine gemeinsame Trainingswoche machen. Danach geht es wieder über den großen Teich für uns und ihr habt ja auch eine Wild Card bekommen für die US Open Qualifikation. Also werden wir das gemeinsam vorbereiten.

Aber jetzt zu den aktuellen Neuigkeiten. Wir haben für euch mit Solinco neu verhandelt. Sie werden euch für die nächsten zwei Jahre ausrüsten und euch finanziell besser unterstützen. Das heißt also, eure Tourkarte ist so gut wie gesichert und ihr könnt in Ruhe weiterarbeiten. Das kannst du auch schon an die Jungs weitergeben. Die Details erkläre ich euch dann in Halle. Und da die Jungs sicher fragen werden, das Engagement von Marc bleibt bestehen. Ich habe ihn über die neue Situation informiert, aber er möchte euch auch weiterhin unterstützen. Allerdings könnte er jetzt etwas weniger zahlen. Will er aber nicht, daher wird sein Geld dann in die Nachwuchsförderung gehen. Also deine Arbeit schlägt hier Wellen und wird beachtet. Du machst das exzellent und hast den Kindergarten gut im Griff.“

„Cool, das hört sich doch klasse an. Wie machen sich Tim und Carlo bei Marco?“

„Das läuft gut. Tim hat endlich begriffen, dass Tennis mit Arbeit verbunden ist und hängt sich rein. Ich denke, ihr werdet das bei der nächsten Trainingswoche dann auch sehen. Sie sollen, wie besprochen, dann bei euch trainieren.“

„Sehr gut, schöne Grüße an die beiden und das restliche Team.“

„Richte ich gerne aus. Was machst du mit den Jungs heute noch?“

„Wir werden gleich mit Jörg eine Runde durch Leipzig machen. Er hat irgendetwas vorbereitet.“

„Okay, dann viel Spaß und wir sehen uns dann ja bald.“

„Danke, und euch auch viel Erfolg.“

Als ich das Handy eingesteckt hatte, schauten mich acht Augen fragend an.

„Das war Jan und er lässt euch schön grüßen.“

Meine Jungs freuten sich über die Grüße und als ich berichtet hatte, auch über die Anerkennung von Jan für ihre Leistung.

Es klingelte an der Tür unseres Appartements. Das musste Jörg sein, der uns abholen wollte. Justin ging zur Tür und kam mit Jörg zurück.

„Hallo zusammen. Alle gut gelaunt und startbereit?“

„Ja“, kam von den Jungs zurück.

„Na, das hört sich gut an. Also los, auf geht's in die Stadt. Wir haben zuerst einen kleinen Weg zu Fuß zu machen und dann geht es mit der Bimmel weiter.“

Der kleine Weg war wirklich nicht der Rede wert. Wir stiegen in die Linie 4 und Jörg erklärte uns kurz wohin es gehen würde. Das erste Ziel war das historische Straßenbahndepot. Dort standen viele alte Bimmelzüge. Teilweise waren sie restauriert und konnten auch für Sonderfahrten gebucht werden.

Dazu mussten wir am Hauptbahnhof umsteigen in die Linie 9, um zum historischen Depot zu kommen. Allerdings nutzte Jörg das Umsteigen am Hauptbahnhof, um uns einige Dinge zu Leipzig zu erzählen und vor allem den Knotenpunkt der Straßenbahn etwas zu erklären. Ich hatte bereits bei meinen früheren Besuchen immer größten Respekt vor den Fahrern. Auf was die alles achten müssen war schon sehr beeindruckend.

„Und was ihr vielleicht noch nicht wisst, an diesem Wochenende findet der Christopher Street Day in Leipzig statt. Das ist ein großes, buntes Fest. Viele tolle Live Acts und lauter nette Leute in der Stadt. Das sollten wir am Samstagabend noch auf jeden Fall mitnehmen. Hier am Hauptbahnhof wird dann richtig etwas los sein.“

„Das ist ja cool. Hoffentlich können wir das einmal miterleben. Wenn wir morgen beide aus dem Turnier raus sind, dürfte das schwierig werden. Aber wir geben alles, damit wir uns das einmal anschauen können.“

Jörg schaute mich fragend an. Ich wollte momentan dazu noch nichts sagen, aber mir war jetzt schon klar, diese Gelegenheit konnte ich den Jungs nicht abschlagen. Egal wie das morgen auf dem Platz ausgehen würde. Entsprechend gab ich Jörg mit einer unauffälligen Kopfbewegung die Zustimmung.

Die Fahrt zum historischen Depot der Leipziger Verkehrsbetriebe dauerte vom Bahnhof nur wenige Minuten. Als wir dort vor dem großen Eisentor standen war es verschlossen. Eigentlich war es für Besucher nur an jedem dritten Sonntag geöffnet. Aber Jörg griff zu seinem Telefon und bald kam eine freundliche Dame ans Tor und ließ uns hinein. Anscheinend kannte Jörg hier nahezu jede wichtige Persönlichkeit. Beeindruckend.

Und natürlich mussten wir uns zuerst alle alten Wagen anschauen. Jörg hatte ein enormes Wissen über die Geschichte sowohl der Bahnen als auch die der Leipziger Verkehrsbetriebe. Meine Jungs zeigten großes Interesse an der alten Technik und der Historie. So dauerte es ein paar Minuten bis wir vor einem nicht ganz so alten Tramzug standen. Dennoch schaute er schon nach einem Oldtimer aus. Das Besondere an dieser Bahn war, dass sie ein gläsernes Dach hatte. Jörg öffnete vorn die Tür und stieg hinein. Wir sollten ihm folgen.

Er machte mit uns einen kleinen Rundgang durch den Triebwagen und dann setzte sich Jörg in den Fahrstand. Die nette Dame von zuvor öffnete diesmal das große Tor und Jörg legte einen Hebel um und mit einem Bimmeln setzte sich der Wagen in Bewegung.

„Boah cool, Jörg kann auch dieses Teil bewegen.“, freute sich Fynn.

„Herzlich willkommen an Bord des gläsernen Leipzigers. Ich begrüße Sie zur historischen Stadtrundfahrt und möchte Sie bitten, Platz zu nehmen. Die Fahrt beginnt.“

Diese Ansage von Jörg führte zu großer Belustigung und spontanem Applaus unsererseits. Mit einem Lächeln im Gesicht lenkte Jörg den Zug aus dem Betriebshof und fuhr in das öffentliche Gleisbett. Jetzt war ich aber neugierig auf das was uns erwarten würde. Jörg als Privatchauffeur in einer besonderen Tram. Auf jeden Fall sollte es sehr lustig werden. Immer wieder machte er uns auf Gebäude und Kirchen aufmerksam. Insbesondere zwei Dinge stellte er heraus. Zum einen das große Völkerschlachtdenkmal und zum anderen zwei Kirchen: Die Nikolaikirche, die bei der Deutschen Wiedervereinigung eine große Rolle gespielt hatte und die Thomaskirche. Sie war sozusagen die Heimat des weltberühmten Thomanerchores. Jörg bot uns an, alle drei Dinge zu besichtigen. Die Rundfahrt endete wieder im Betriebshof und ich stieg beeindruckt mit den Jungs aus dem wunderschönen Tramwagen.

„Mann, Jörg. Das war echt toll. Was du alles über diese Stadt weißt und dann noch in diesem Schmuckstück mit uns durch Leipzig zu fahren, mega cool. Vielen Dank.“

Justins Aussage bestätigte meinen Eindruck. Den Jungs hatte es genauso gut gefallen wie mir. Jörg hatte uns noch angeboten am nächsten Tag das Volkerschlachtdenkmal zu besteigen, um von oben einen Überblick über Leipzig zu erhalten. Abgesehen von den Statuen und Reliefarbeiten im Inneren des berühmten Bauwerkes.

Bei den Jungs meldete sich nun der Hunger. Allen voran forderte der Magen von Fynn mit sehr deutlichen Geräuschen den Bedarf nach Nahrungsaufnahme, was zu Heiterkeit bei der gesamten Truppe führte. Aber auch dies hatte Jörg in seiner Planung bereits berücksichtigt. Innerhalb weniger Minuten mit der Tram waren wir wieder mitten in der Stadt. Jörg hatte schon im Vorwege einen Tisch bei einem Italiener in der Passage mitten in Leipzig bestellt.

Nachdem alle satt und zufrieden sich vom Tisch zurückgelehnt hatten, beobachtete ich, dass Fynn und Justin nach wenigen Minuten verstohlen zu gähnen begannen. Heute würden wir also sicher nicht noch lange in der Stadt sitzen können. Schließlich stand morgen das Viertelfinale an.

„Wer spielt morgen eigentlich noch im Viertelfinale?“, fragte Maxi.

„Genau, gute Frage. Ist Mika noch im Rennen oder Maxis Gegner aus der Qualifikation? Ist der ins Hauptfeld gekommen?“

Da ich diese Fragen geahnt hatte, zog ich aus der Hemdtasche zwei Tableaus mit dem aktuellen Stand. So konnte sich jeder anschauen, wer gegen wen spielen musste und ich musste nicht alles erklären.

„Oh, sehr schön. Mika hat auch das Viertelfinale erreicht und Justin würde im Halbfinale gegen ihn spielen. Das wäre klasse.“

Als Bestätigung für diese Bemerkung erhielt Fynn von Dustin einen Kuss. Jörg lachte über diese Reaktion und auch Justin grinste. Aber Justin wiegelte auch im gleichen Atemzuge ab:

„Das ist doch noch gar nicht wichtig. Erst einmal morgen spielen, dann sehen wir weiter.“

„Sehr gute Ansicht, Justin. Lasst uns von Spiel zu Spiel schauen und damit ihr morgen auch fit seid, sollten wir jetzt besprechen wie es heute weitergeht. Jörg, hast du jetzt noch etwas geplant?“

„Geplant? Nein. Aber wir könnten uns natürlich noch das ein oder andere anschauen. Das Völkerschlachtdenkmal steht fest für morgen auf der Agenda. Ob es für die beiden Kirchen zeitlich reicht, sehen wir dann. Da kommt es drauf an, wann ihr mit Spielen fertig seid.“

„Gut, dann lasst uns zurück in unser Quartier fahren. So wie Fynn aussieht, sollte er heute früh ins Bett kommen. Was denkt ihr?“

Fynn gab mir sofort zu verstehen, dass er mir zustimmte. Da Justin auch nicht mehr durch die Stadt wollte, ging es in unser Appartement. Jörg und ich nutzten die Zeit, in unserer Unterkunft noch auf der Terrasse zu sitzen. Er hatte sogar einige Flaschen Fassbrause mitgebracht.

Zu Beginn saßen wir mit Maxi zusammen in der lauen Abendluft. Justin, Fynn und Dustin hatten sich recht schnell ins Bett zurückgezogen.

„Hast du mittlerweile das Spiel einigermaßen verstanden?“, fragte Maxi Jörg.

Der fing an zu lachen und erwiderte:

„Ja, die komische Zählweise habe ich jetzt begriffen. Auch, wie so ein Match abläuft, aber die strategischen Feinheiten und technischen Tricks sind mir immer noch vollkommen fremd.“

„Naja. Letzteres ist auch nicht so ganz einfach zu verstehen. Obwohl ich eigentlich recht ordentlich spielen kann, ist mir Chris bei taktischen Fragen um Lichtjahre voraus. Also von daher musst du dir da keine Gedanken oder gar Sorgen machen.“

Nach dieser Aussage von Maxi mussten Jörg und ich lachen.

Es war schön, dass Maxi so langsam auch zu seinem Humor zurückfand. Er hatte schwere Wochen hinter sich, aber er konnte wieder häufiger mit uns lachen. Jörg trug auch dazu bei, denn er hatte auch immer einen guten Spruch auf Lager, der zu Heiterkeit führte. Gegen 23 Uhr verließ uns dann auch Maxi in Richtung Bett. Obwohl er sich nicht mehr im Turnier befand, war er müde und wollte etwas Schlaf nachholen. Jörg und ich wünschten ihm eine gute Nacht und saßen für Minuten dann schweigend am Tisch.

„Deine Jungs sind außerordentlich diszipliniert. Viele Jugendliche in diesem Alter würden abends auf die Piste gehen wollen oder am Wochenende auf Parties feiern. Ich habe großen Respekt vor ihrer Einstellung. Allerdings bewundere ich auch deine Gelassenheit im Umgang mit ihnen. Dadurch hast du wohl genau die richtige Ansprache gefunden und gibst ihnen ausreichend Freiräume.“

„Danke, aber ich glaube, ihr Wille, das Beste aus sich selbst herausholen zu wollen, ist die größte Motivation. Sie trainieren ja freiwillig so viel und so intensiv. Sie sehen die Möglichkeit, noch mehr Erfolg haben zu können und sich weiterzuentwickeln. Wie weit es noch geht, kann niemand vorhersagen. Wobei ich heute für mich denke, Justin und Fynn haben noch etwas mehr Potenzial als die anderen beiden. Vor allem Justin fällt es am leichtesten, hart zu arbeiten. Er ist von seinem Charakter her auch am weitesten entwickelt. Das soll aber keineswegs heißen, dass ich es Dustin und Maxi nicht mehr zutraue.“

„Aber ob es für eine Karriere bis in die Weltspitze reicht, kannst auch du noch nicht sagen. Habe ich das richtig verstanden?“

„Absolut, da müssen so viele Faktoren zusammentreffen und etwas Glück gehört ebenso dazu. Wobei wir uns über mangelndes Glück, was handelnde und unterstützende Personen betrifft, nun wahrlich nicht beschweren können. Also, ich lass mich mal dir gegenüber zu einer gewagten Aussage hinreißen: Sollte es spielerisch reichen, werden sie den Weg in die Spitze finden. Aber das sehen wir später.“

„Und könntest du sie auch auf der großen Tour begleiten? Oder würde dein Bruder dann die Betreuung übernehmen?“

„Schwierige Frage. Aber ich bin mir sicher, wir würden für die Jungs die beste Lösung finden. Wie auch immer die aussehen mag.“

„Nach all dem, was ich mitbekommen habe, glaube ich an deine Fähigkeiten. Für Dustin und Fynn gibt es keinen besseren Coach als dich. Du kennst die Schwierigkeiten und Macken der beiden Jungs am besten. Außerdem kannst du die Schwierigkeiten mit ihrer Homosexualität am ehesten verstehen. Wobei, ich korrigiere, die beiden haben keine Schwierigkeit mehr mit ihrer Homosexualität, aber die anderen Menschen, denen sie begegnen.“

„Sehr richtig, doch die Probleme anderer Menschen damit interessiert mich nur sehr wenig. Mir geht es darum, dass alle Jungs bei uns die gleichen Möglichkeiten bekommen, sich zu entwickeln. Das Ergebnis werden wir dann sehen.“

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, auch über persönliche Dinge und ich hatte erneut ein gutes Gefühl mit Jörg so sprechen zu können. Wir hatten in vielen Punkten eine ähnliche Weltanschauung. Lediglich im positiven Denken war er mir voraus. Aber da wollte ich mir von ihm einiges abschauen und aneignen.

Der Nachteil dieses tollen Abends war der mir fehlende Schlaf am nächsten Morgen. Jörg wollte sich die Viertelfinals anschauen und entsprechend hatte ich für ihn einen Turnierpass bestellt. Damit konnte er kommen und gehen wie es seine Zeit erlaubte.

Meine Jungs haben bestens gelaunt mit mir gefrühstückt und mit Justin und Fynn habe ich noch einmal kurz die anstehenden Matches besprochen.

Mittlerweile waren wir auf der Anlage und Fynn und Justin schlugen sich auf Platz zehn ein. Interessanterweise hatten wir einige Zuschauer bei uns am Platz. Mika kam auch zu uns. Allerdings hatte er ein kleines Problem.

„Hi, Mika. Wie läuft es bei dir?“, fragte ich ihn vom Platz aus.

„Guten Morgen zusammen. Eigentlich ganz gut, aber mir fehlt ein Trainingspartner zum Einschlagen. Der Hitting Partner vom Veranstalter hat heute Morgen krank abgesagt.“

Da überlegte ich nicht lange. Sowohl Dustin als auch Maxi konnten ihm da helfen. Auch wenn sie keine Schläger dabei hatten, dafür reichte auch anderes Material. Dustin wollte allerdings bei seinem Freund bleiben, aber Maxi stellte sich gerne dafür zur Verfügung. Bevor die beiden auf einen Nebenplatz gingen, fragte mich Mika noch:

„Hast du schon den Artikel über euch in der Zeitung gelesen? Dort wurde auch ein Interview von euch abgedruckt. Mir gefällt das richtig gut was dort steht.“

„Nein“, schüttelte ich den Kopf, „gelesen habe ich es noch nicht. Aber es ist schön, dass es schon heute veröffentlicht wurde. Ich werde es mir nach dem Aufwärmen anschauen.“

Bevor ich dazu kommen sollte, füllte sich unser Trainingsplatz mit immer mehr Zuschauern. Bald standen gut fünfzig Leute bei uns am Zaun und schauten unserem Spiel zu. Vor allem jungendliche Zuschauer, die sogar mit Programmheften und Tennisbällen hinter der Bank warteten.

Eine völlig neue Situation entwickelte sich für uns als ich das Aufwärmen beendete und Justin und Fynn ihre Schläger einpackten. Wir mussten nicht einmal mehr den Platz abziehen. Das übernahm die Service Crew des Veranstalters. Allerdings kamen wir dafür nicht ungestört vom Platz. Autogramme schreiben war plötzlich angesagt. Auch ich musste auf T-Shirts und Bällen unterschreiben.

So dauerte es doch einige Minuten bis wir wieder im Spielerbereich angekommen waren.

„Schon krass, wir müssen Autogramme schreiben. Nur weil heute in der Zeitung unser Interview steht und unser Bekenntnis bei vielen Jugendlichen auf Anerkennung stößt.“

Fynn schüttelte dabei den Kopf und schaute mich fragend an.

„Falsch, du hast einen wichtigen Punkt vergessen. Ihr spielt erfolgreiches Tennis und habt hier bereits für Überraschungen gesorgt. Sonst wäre das Interview auch gar nicht zustande gekommen.“

Darauf erntete ich fragende Blicke. Allerdings brachte Dustin es auf den Punkt.

„Und genau deshalb sind wir auch hier. Erfolgreiches Tennis zu spielen. Autogramme können wir dann immer noch schreiben. Wir sollten uns zuerst auf die Arbeit konzentrieren.“

Dafür musste ich ihm einfach auf die Schulter klopfen. Sein Freund machte eine nicht ganz ernstgemeinte Bemerkung:

„Schleimer und Spielverderber. Was hat dir Chris für diesen Text gezahlt?“

„Blödmann“, antwortete Dustin lachend und umarmte seinen Freund. Der obligatorische Kuss folgte. Es war vollkommen unwichtig geworden, in welcher Situation sie sich gerade befanden. Genau diese Situation führte aber dann doch noch zu etwas Unruhe in unserem Umfeld.

Komischerweise führte diese Unruhe eher bei Justin zu einer leichten Nervosität. Ich musste schmunzeln, denn mir gefiel die Offenheit der beiden Jungs.

Ich bat Fynn und Justin sich weiter vorzubereiten und verließ den Playerbereich. Dustin blieb bei seinem Freund.

Draußen begegneten mir Mika und Maxi. Sie hatten auch gerade ihr Programm beendet. Maxi war ganz aufgeregt.

„Hey Chris, wir wurden eben sogar nach einem Autogramm gefragt. Der Junge meinte zu mir, dass er das Interview cool fand und er sich darüber freut, dass wir endlich im Sport offen zur Homosexualität stehen. Wie krass ist das denn? Das sollte überall Schule machen.“

„Warte ab, das wird vermutlich nicht so bleiben. Aber ich gebe dir recht. Es ist ein gutes Gefühl, wenn zumindest die jungen Menschen uns nicht mehr generell ablehnen.“

Jetzt musste ich mich aber mit dem kommenden Viertelfinale von Fynn beschäftigen. Sein Spiel wurde auf dem Centre Court angesetzt. Anscheinend hatte unsere Teilnahme hier ein wenig Aufmerksamkeit ausgelöst.

Dustin und Fynn ließ ich in den letzten Minuten vor dem Spiel in Ruhe. So konnte ich bereits vor Fynn am Platz sein. Auf dem Centre Court gab es für die Trainer eine eigene Box. Dort hatten auch Maxi, Justin und Jörg Platz. Justin konnte zu Beginn noch bei uns sein. Jörg war noch nicht da.

Die Tribünen waren bereits mit etwa hundert Menschen besetzt. Das war für die Uhrzeit am Morgen mehr als erstaunlich. Und es kamen ständig noch weitere Zuschauer hinzu. Sogar eine ganze Schulklasse nahm gegenüber unserer Box auf der Tribüne Platz.

Der Platzsprecher kündigte die Spieler an und als Fynns Name genannt wurde, kam bereits leiser Applaus auf, der richtig laut wurde als Fynn mit seinem Gegner den Platz betrat. Erstaunlich. Gerade die Schulklasse sollte während des Spieles noch eine Rolle spielen.

Während des Einschlagens suchte Fynn den Blickkontakt zu mir und erneut lächelte er immer wieder bei seinem Blick zu mir. Plötzlich bekam ich eine Nachricht von Jörg, dass die Security ihn nicht zu uns in den Trainerbereich lassen wollte. Ich nahm mein Handy und rief ihn an. Er gab sein Handy an die Sicherheitsleute und innerhalb weniger Worte war geklärt, dass für Jörg hier ein Coaching Pass lag.

Leise setzte er sich nach dem ersten Aufschlagspiel neben mich. Mit einem kurzen Augenkontakt begrüßten wir uns. Fynn hatte sich schon zum Aufschlag gestellt und schlug zum ersten Mal in diesem Match auf.

Das tat er souverän und glich zum 1:1 aus. Der Satz blieb erstaunlich ausgeglichen. Fynn spielte hervorragend mit und ließ sich überhaupt nicht von der deutlich höheren Position seines Gegners beeindrucken.

„Jetzt noch einmal den Aufschlag gewinnen und dann Tie-Break spielen.“

Maxi hatte ausgesprochen was ich gedacht hatte. Entsprechend schaute ich zu ihm und nickte nur. Jörg beobachtete mich ständig.

„Und? Was fällt dir auf?“, fragte ich ihn als die Spieler sich wieder auf den Platz begaben.

„Dass du extrem angespannt bist und bei jedem Ball mitspielst.“

„Das muss auch so sein. Sonst kann ich nicht sofort eingreifen, sollte es erforderlich sein. Was meinst du wohl, warum ich abends genauso platt bin als ob ich selbst gespielt hätte.“

„Ja, so langsam kann ich diese Dinge nachvollziehen. Deshalb habe ich für uns etwas Nervennahrung mitgebracht. Schau mal hier.“

Er zeigte auf die Tasche, die er dabei hatte. Es stellte sich als eine Kühltasche heraus, in der sechs Flaschen Fassbrause lagen.

„Oh, das ist aber toll. Genau das brauche ich jetzt. Dann lässt sich der Stress gleich viel besser aushalten.“

Wir lachten und das störte natürlich das Match auf dem Platz. Wir erhielten gleich reihenweise böse Blicke, wurden auch sofort leise und folgten wieder dem Spiel. Die Flaschen blieben verschlossen bis zum nächsten Seitenwechsel. Allerdings ließ ich mir dann mein Lieblingsgetränk munden.

Wundern musste ich mich über Fynn. Seine Fähigkeit, sich auf den Punkt genau zu konzentrieren und damit den Gegner immer wieder zu ärgern, erstaunte mich sehr. Das sah bereits nach einem erfahrenen Spieler aus. Sein Gegner fand kein adäquates Mittel, um Fynn ernsthaft gefährlich zu werden. Beide hielten ihre Aufschläge und es kam erneut zum Tie-Break.

Was mir erst jetzt auffiel war die Stimmung am Platz. Die Schüler, die gegenüber auf der Tribüne saßen, feuerten Fynn sehr lautstark an. Das verunsicherte den Gegner zusätzlich und plötzlich servierte er einen Doppelfehler und Fynn brachte seine beiden Aufschläge zum Satzgewinn durch. Jetzt wurde es noch lauter, denn die Zuschauer spürten, dass hier eine kleine Sensation in der Luft lag.

Leider hatte ich nun das Problem, dass auch Justin auf den Platz gehen musste. Maxi ging mit ihm, während Dustin bei uns blieb. Maxi hatte ich gebeten, mich auf dem Laufenden zu halten und mir per Whatsapp den Spielverlauf zu schreiben. Sollte es notwendig sein, würde ich dann den Platz wechseln. Aber jetzt wollte ich Fynn nur sehr ungern verlassen. Hier könnte für uns das größte Ergebnis bislang möglich werden.

Beim Spielstand von 4:3 für Fynn geschah eine unschöne Situation. Sein Gegner unterbrach den Ballwechsel, weil er den Ball im Aus gesehen hatte. Der Stuhlschiedsrichter überstimmte ihn allerdings sofort und gab Fynn den Punkt. Daraufhin begann der Gegner heftig zu protestieren und beschimpfte auch Fynn. Mein Puls schoss nach oben, obwohl ich äußerlich ruhig bleiben musste. Erst als der Gegner sich beleidigend über Fynn zu äußern begann, wurde ich richtig sauer. Ich war schon drauf und dran mich mit dem Typen auseinanderzusetzen.

„Lass das. Fynn wird das alleine regeln. Warte ab.“

Verblüfft schaute ich Jörg an, der das ganz ruhig gesagt hatte.

„Wie bitte? Der Typ beleidigt Fynn. Auch wegen seiner Homosexualität und ich soll hier ruhig sitzen bleiben?“

„Ja, richtig. Genau das sollst du machen.“

Plötzlich wurde es auch auf den Tribünen unruhig und lauter. Die Schulklasse rief immer wieder Fynns Namen und klatschten rhythmisch. Das provozierte Fynns Gegner noch mehr und er flippte vollkommen aus, legte sich richtig mit dem Schiedsrichter an und plötzlich gab der Stuhlschiedsrichter die Disqualifikation von Fynns Gegner bekannt. Damit war das Spiel beendet. Wutentbrannt verließ der Gegner den Platz und verweigerte auch das Shakehands. Das würde mit Sicherheit eine sehr empfindliche Strafe nach sich ziehen.

Was allerdings jetzt folgte, übertraf meine kühnsten Träume. Fynn wurde wie ein Held gefeiert. Gerade das junge Publikum forderte noch Autogramme beim Verlassen des Platzes. Eine kuriose Situation. Ich hatte vorsichtshalber Dustin schon einmal zu seinem Freund geschickt. Vielleicht bräuchte er dort Unterstützung. Aber auch Dustin wurde schnell von den Schülern umringt und schrieb ebenfalls Autogramme.

„Na, was habe ich dir gesagt? Der Typ war so blöd, da lohnte es sich für dich gar nicht, dir die Hände schmutzig zu machen. Außerdem scheinen die beiden hier sowas wie die Local Heroes zu werden. Ich finde das mega gut. Lass sie einfach mal machen. Wir können ruhig zu Justin wechseln. Die kommen gerade auch ohne dich klar.“

Jörg schob mich, dezent mit einem Lächeln im Gesicht, in Richtung Justins Platz. Was passierte hier gerade?

Justins Platz war ein Außenplatz mit nur wenig Zuschauerplätzen. Entsprechend weniger Stimmung herrschte dort. Allerdings konnte man die Geräusche vom Centre Court dort noch deutlich hören.

Als uns Justin entdeckt hatte gab er mir merkwürdige Zeichen, die ich nicht wirklich deuten konnte. Allerdings half mir Maxi mit seiner Frage:

„Wie hat Fynn gespielt? Von der Lautstärke her würde ich vermuten, dass er gewonnen hat.“

„Jap, er hat gewonnen. Und die Zuschauer waren deutlich stärker auf unserer Seite. Jetzt müssen die beiden sogar noch Autogramme geben.“

„Wie geil ist das denn? Justin hat auch schon ungeduldig gefragt wie Fynn gespielt hat.“

Mit einem einfachen Daumen hoch und Kopfnicken signalisierte ich Justin den Sieg von Fynn. Sofort ballte Justin seine Faust und pushte sich richtig nach vorn. Das war auch nötig, denn er lag mit einem Break zurück.

Schnell konnte ich anhand des Spielverlaufes erkennen, dass unsere Strategie nicht zutreffend war. Allerdings spürte Justin auch recht bald, dass er aktiver sein musste. Er schlug auch deutlich aggressiver auf und ebenso wurden seine Returns offensiver. So konnte sein Gegner nicht mehr stur darauf warten, dass Justin irgendwann einen Konzentrationsfehler beging.

Leider blieb Justin eine Breakchance bis zum Spielstand von 4:5 verwehrt. Jetzt musste er also versuchen dieses Break zu machen. Sonst wäre der Satz weg. Ich ermutigte ihn beim Seitenwechsel, noch offensiver zu spielen. Mehr als das Spiel abzugeben, hätte ja nicht passieren können.

Und dann zeigte sich wieder der Justin, den ich beim ersten Kontakt schon so faszinierend empfand: Er schlug jeden Return mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit ins Feld. Dreimal schlug der Ball unerreichbar im gegnerischen Feld ein. Das war unfassbar, damit gab es drei Breakchancen und die Zweite nutzte Justin mit einem guten Return und dem folgenden Netzangriff. Er ließ seinen Gegner richtig anfängerhaft aussehen.

Fynn: Der Traum geht weiter

Was geschah hier eigentlich? Nach den Beleidigungen meines Gegners fühlte ich mich total schlecht und hilflos. Aber als der Schiedsrichter rigoros durchgriff brach das Chaos aus. Viele der jungen Zuschauer warteten nach dem Ende auf mich, um ein Autogramm zu bekommen. Ich wurde wie ein Lokalheld gefeiert. Wie gut, dass Dustin bald bei mir war und ich mich dadurch gleich sicherer fühlte. Allerdings wurde er ebenso bejubelt und musste wie ich Autogramme geben. Erst einige Minuten später konnten wir in Ruhe den Platz verlassen.

„Was war das denn eben? Sind wir hier jetzt die neuen Lokalhelden?“, fragte mich Dustin.

„Ich habe keine Ahnung, aber ich könnte mich dran gewöhnen. Endlich mal akzeptiert sein und vor allem das Gefühl zu haben, wir gehören dazu. Es ist einfach schön, das mit dir zusammen erleben zu können.“

Dustin umarmte mich daraufhin und wir küssten uns ganz frei. Keine negativen Gedanken hielten mich davon ab. Als ich allerdings vor der Umkleide stand, wurde mir doch schon etwas mulmig. Was wäre, wenn mein Gegner dort auf mich warten würde?

Egal, ich wäre nicht mehr allein und deshalb ging ich ohne lange zu zögern hinein. Dort herrschte ein reges Treiben und von meinem Gegner war keine Spur. Er schien sich direkt vom Acker gemacht zu haben. Im Gegenteil, zwei Spieler kamen zu mir und erkundigten sich freundlich nach meinem Befinden. Ein tolles Gefühl nicht mehr nur noch Angst haben zu müssen.

Sie freuten sich über die rigorose Entscheidung des Schiedsrichters und wünschten mir weiterhin viel Glück.

Unter der Dusche fiel die Anspannung dann von mir ab und ich spürte die Erschöpfung. Jeden Tag ein hartes Match am Limit war einfach mega anstrengend. Und in der nächsten Woche ging es gleich weiter. Aber im Moment spielte das keine Rolle. Heute war das Glücksgefühl einfach zu geil. Halbfinale in einem Challengerturnier, das hätte ich mir noch nicht träumen lassen.

Chris hatte uns immer wieder eingetrichtert, dass alles möglich sei. Man muss nur an sich glauben und mittlerweile verstand ich viele Dinge, die vor einigen Wochen noch vollkommen unvorstellbar waren. Nach der Dusche ging ich zwar mit viel Freude, aber auch nachdenklich zu meinem Freund. Dustin hatte vor der Umkleide gewartet und empfing mich mit einem tollen Kuss.

„Hmm, dafür lohnt sich die Arbeit auf dem Platz. Wie hast du das Spiel gesehen?“

„Geil, einfach geil. Du hast dem Arschloch keinen Zentimeter auf dem Platz geschenkt. Aber weißt du was noch viel geiler ist? Dass wir hier so toll aufgenommen werden. Ich fühle mich gerade richtig gut. Nur müssen wir jetzt Justin unterstützen. Also los, komm!“

Dustin zog mich hinter sich her, als ob ich nicht auch freiwillig mitgekommen wäre.

„Hey, mach langsam. Ich komme ja schon. So schnell wird Justin nicht fertig werden.“

Es fühlte sich großartig an, mit Dustin über die Anlage zu gehen. Einfach nur, weil er bei mir war. Wir konnten gemeinsam diese genialen Erlebnisse haben.

Auf dem Weg zu Justins Platz konnten wir einen schnellen Blick auch auf Mikas Spiel werfen. Das war ein enges Match, aber noch im ersten Satz. Justin würde vermutlich schon weiter sein. Daher wollten wir dort zuerst schauen.

Der kleine Platz hatte kaum Zuschauerkapazitäten und entsprechend einfach konnten wir Chris finden. Jörg saß neben ihm und Maxi war auch dort.

Als wir uns zu ihnen begeben wollten, stellten sich uns plötzlich zwei der Ballkinder in den Weg. Sie waren geschätzt um die vierzehn.

„Hi, sorry, aber könnt ihr mir und meinem Freund ein Autogramm geben? Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr uns als Vorbilder auf dem T-Shirt unterschreibt.“

„Vorbilder? Wir?“, fragte Dustin erstaunt.

„Ja, ihr seid Vorbilder für alle jungen schwulen Sportler. Ihr zeigt uns, dass es geht, erfolgreich und schwul zu sein.“

Ich wunderte mich schon etwas über diesen Satz. Aber ich fand es nett wie sie uns gefragt hatten, nahm den Edding, unterschrieb auf beiden T-Shirts und gab den Stift dann an Dustin weiter, der genau neben mir unterschrieb und sogar eine kleine Zeichnung dazu machte. Das Datum setzte er auch hinzu.

Die Jungs strahlten uns danach richtig an, bedanktenn sich und wünschten uns weiter viel Erfolg. Als wir endlich bei Chris ankamen, hörten wir gleich einen Spruch dazu:

„Na, ihr neuen Superhelden des schwulen Tennis. Wieder zwei neue Fans dazu bekommen?“

Früher hätte ich jetzt darüber nachgedacht, wie Chris das gemeint haben könnte. Heute streckte ich ihm einfach meine Zunge raus und wir lachten beide. Mein Blick ging anschließend auf die Spielstandanzeige. Justin hatte den ersten Satz gewonnen. Lag jetzt aber mit 2:3 zurück. Schlug aber nun selbst auf.

Justin schlug weiterhin extrem hart auf. Generell spielte er volles Risiko und hatte heute einfach einen Sahnetag. Der Frustlevel seines Gegners wuchs mit jedem Ball, der in seinem Feld einschlug. Aber das kostete Justin natürlich auch enorm viel Kraft. Er musste dieses Match in zwei Sätzen gewinnen, denn sollte der zweite Satz verloren gehen, würde es vermutlich mit seiner Kraft nicht reichen.

Das Spiel wurde immer enger und Justin musste immer häufiger richtig durchpumpen. Die Luft wurde dünn und auch Chris schaute sehr genau hin. Es kam zum 5:5 und Justin hatte Ansätze von Krämpfen.

Ob das gut gehen würde? Eines wusste ich genau, aufgeben wäre für Justin keine Option. Da wäre Chris gefragt. Hoffentlich würde es in zwei Sätzen entschieden sein.

Chris wurde noch stiller als sonst. Er sprach mit uns überhaupt nicht mehr, sondern schaute nur noch auf jede Bewegung von Justin. Der Tie-Break musste die Entscheidung bringen. Aber bereits jetzt wurde deutlich, dass Justins Akku leer war. Er konnte nicht mehr so druckvoll aufschlagen und kassierte zwei Mini-breaks. Damit stand es 1:4 und sein Gegner schlug auf. Bei 1:5 wurden die Seiten gewechselt und ich schaute Chris an.

„Was machst du, wenn er den Satz verliert?“, fragte Maxi und nahm mir die Frage ab.

Chris sagte nichts, aber seine Geste war nicht besonders positiv. Das würde auch eine interessante Situation werden. Und jetzt war es soweit. Justin verlor den Tie-Break mit 1:7 und damit den zweiten Satz. Es ging in den dritten Durchgang. Chris war bereits aufgestanden und Justin hatte den Platz verlassen, um sich frisch zu machen. Würde das Match noch weiter gehen?

Ich war genauso angespannt wie meine Freunde. Wir diskutierten die Optionen. Jörg saß die ganze Zeit bei uns, hielt sich aber aus unserer Diskussion heraus. Er beobachtete uns.

„Was wird Chris tun?“, fragte ihn plötzlich Maxi.

Jörg lächelte und erwiderte:

„Das Richtige. Er wird sich Justin genau anschauen und eine Entscheidung für Justin treffen.“

Ich mochte diese vielsagenden Antworten nicht. Auch bei Chris hatte ich so meine Schwierigkeiten mit derartigen Aussagen. Aber ich musste lernen, dass Chris sich nie gegen uns entscheiden würde, auch wenn ich das in der Situation vielleicht anders sah. Im Nachhinein musste ich zugeben, dass Chris immer eine richtige Entscheidung getroffen hatte. Und zwar für unsere Gesundheit.

Erstaunlicherweise kam Justin mit einem frischen Outfit zurück auf den Platz. Chris war weder bei uns noch unten am Platz zu sehen.

Der dritte Satz begann und von Chris war immer noch nichts zu sehen. Das allerdings war mehr als außergewöhnlich.

Leider hatte sich Justins Zustand nur kurzzeitig gebessert. Sein Akku war einfach leer und die Krämpfe kehrten bei 1:0 für Justin wieder zurück. Und dann war Chris plötzlich am Schiedsrichterstuhl. Wo auch immer er herkam, er sprach mit dem Schiedsrichter und seine Geste war eindeutig. Das Spiel war zu Ende. Justin protestierte nicht einmal mehr. Im Gegenteil, er nickte nur als Chris neben ihm auf der Bank saß und mit ihm sprach.

Irgendwie tat mir Justin leid. Sein Spiel hatte ihm ein weiteres Mal diese Probleme bereitet. Das war unglaublich kraftraubend und dafür waren wir noch nicht austrainiert genug. Chris hatte es kommen sehen und entsprechend entschieden. Justin würde in so einer Situation sehr wahrscheinlich nicht freiwillig aufgeben und damit eine schwere Verletzung riskieren.

Also fand das Halbfinale ohne Justin statt, aber ich spielte dort am morgigen Tag. Das war schon ein unglaubliches Gefühl, in diesem Moment zu wissen, ich gehörte zu den vier besten Spielern dieses Challengers.

Chris winkte uns zu und wollte uns etwas mitteilen. Er winkte uns heran. Also machten Maxi, Dustin und ich uns auf den Weg hinunter zur Bank.

„Jungs, ich möchte euch bitten, dass ihr euch jetzt ein wenig um Justin kümmert. Er soll bitte direkt zur Physio gehen und anschließend treffen wir uns zusammen an Platz zwei. Dort spielt Fynns nächster Gegner. Vermutlich wird er gegen einen Italiener spielen, aber ich wollte das beobachten.“

Im anderen Halbfinale stand Mika. Da Justin ausgeschieden war, würde ich frühestens im Finale gegen ihn spielen müssen. Mein Wunschfinale wäre das schon, aber ein Turnier war eben kein Wunschkonzert.

Chris: Ungläubiges Staunen über die Entwicklung

Jörg und ich saßen bereits zwanzig Minuten bei dem letzten Viertelfinale und wir hatten bereits über das Abendprogramm gesprochen. Heute stand eine Besteigung des Völkerschlachtdenkmals auf dem Programm. Das würde nicht so spät werden und es würde uns eine grandiose Aussicht über die Stadt geben.

Zum weiteren Teambuilding hatte uns Jörg vorgeschlagen, gemeinsam das Abendessen zuzubereiten. Mir gefiel das sehr gut und als wir alle beisammen waren, der Halbfinalgegner feststand, gab ich unseren Plan bekannt. Lediglich Fynn hatte einen Einwand. Für ihn war nicht klar geworden, wann ich mit ihm die Spielvorbereitung für das Halbfinale machen sollte.

„Das machen wir ganz sicher rechtzeitig. Vermutlich morgen nach dem Frühstück. Oder möchtest du das unbedingt noch heute machen?“

„Nein, nein. Morgen früh ist gut. Irgendwie bin ich jetzt schon ein wenig aufgeregt.“

„Das ist auch in Ordnung. Deshalb machen wir heute noch etwas gemeinsam, damit du nicht ständig an morgen denken musst.“

Der Rückweg in unser Appartement wurde etwas verzögert. Immer wieder mussten wir noch das ein oder andere Autogramm geben, bevor wir endlich die Anlage verlassen konnten.

Unterwegs entstand etwas Unruhe bei meinen Jungs. Ich konnte allerdings noch nicht herausfinden was genau der Grund dafür war. Aber als wir gemeinsam in der Küche werkelten teilte es mir Dustin mit:

„Chris, wir haben eine Nachricht aus der Schweiz bekommen. Luc und Stef freuen sich ganz doll, dass Fynn im Halbfinale steht. Und Marc und Sabine lassen auch schön grüßen und wünschen uns allen weiter viel Erfolg.“

„Hey, cool. Das freut mich, dass sie an euch gedacht haben. Hatte sie jemand von euch darüber informiert? Oder woher wussten sie das?“

„Chris“, schimpfte Justin umgehend mit mir, „sie haben an uns alle gedacht. Du bist ein nicht unwichtiger Teil von unserem Erfolg. Und die Grüße sind selbstverständlich auch an dich gerichtet.“

Wie wichtig dieses Detail für die Jungs war, zeigte sich an der Reaktion der anderen Jungs. Sie stellten für einen Moment ihre Kochaktivitäten ein und zeigten alle ihren Daumen hoch.

„Ja, ja. Ich geb mich ja schon geschlagen. Es ist unser Erfolg. Gemeinsam sind wir stark. Ich werde in Zukunft mehr darauf achten.“

„Und ich werde dir sonst in den Allerwertesten treten. Du musst für dich viel mehr positiv denken. Wenn du dir das so wünschst, wird es auch so kommen. Merk dir das einfach.“

Ein typischer Satz von Jörg. Ich hatte mittlerweile gelernt, ihm da nicht mehr zu widersprechen. Doch hatte ich damit meine Schwierigkeiten. Ich war einfach zu sehr Realist und musste erst noch mehr lernen, auch diese Gedanken zu akzeptieren.

Wir lagen im Endspurt beim Kochen, als ich plötzlich ein leichtes Kribbeln im Kiefer spürte. Das Kribbeln breitete sich aber rasch immer weiter im Gesicht aus. Es fühlte sich an wie nach einer Narkose beim Zahnarzt. Ich kannte das bereits. Allerdings hieß das nichts Gutes, denn die Ursache lag in der Wirbelsäule und ich wusste, dass ich jetzt sofort ein paar Dinge tun musste, um den Nerv wieder frei zu bekommen.

Ich legte deshalb mein Messer aus der Hand und ging in mein Zimmer. Dort legte ich mich auf den Boden und begann einige Übungen zu machen. Es dauerte natürlich ein paar Minuten bis sich eine Wirkung zeigte. Zuerst erntete ich zwar noch mehr Kribbeln und ein hinzukommendes Schwindelgefühl, aber danach wurde es spürbar besser und ich konnte wieder aufstehen.

Als ich zurück in die Küche kam, schauten mich fünf Augenpaare fragend an.

„Geht es wieder?“, fragte Fynn besorgt.

„Ja, jetzt geht es wieder. Aber wie habt ihr das denn mitbekommen?“

„Mann, Chris. Wir kennen dich lange genug, dass du nie einfach rausgehst. Es sei denn, etwas ganz Akutes ist passiert. Außerdem ist dir Justin gefolgt als du nicht sofort zurückkamst. Er hat dich auf dem Boden in deinem Zimmer liegen sehen.“

„Na gut. Ja, es stimmt. Ich hatte Probleme bekommen und musste sofort ein paar Übungen machen, damit das Taubheitsgefühl nicht schlimmer wurde. Aber jetzt ist wieder alles im Lot.“

„Okay, aber du setzt dich jetzt bitte hin und ruhst dich ein wenig aus. Wir brauchen dich noch und zwar gesund und fit.“

Dustin hatte mir demonstrativ einen Stuhl zurecht gestellt. Mir missfiel zutiefst, wie ein alter Mann behandelt zu werden. Allerdings sollte ich jetzt schon auf meinen Rücken achten. Das war ein deutliches Warnsignal, welches ich nicht ignorieren durfte.

Also setzte ich mich brav auf den Stuhl. Die anderen Jungs hatten mittlerweile mit Jörg das Essen fertig zubereitet und in den Ofen geschoben. Mir gefiel das gar nicht, dass sie meine Lasagne zu Ende gemacht hatten. Eigentlich sollte das meine Spezialität bleiben.

„Können wir auf der Terrasse essen?“

Justin schaute mich fragend an.

„Klar, warum denn nicht? Bis dahin schaffe ich es schon noch. Auch wenn der alte Drache gerade etwas angeschlagen ist.“

Es war fast lustig wie meine Jungs sich um mich sorgten. Sie trugen mir den Stuhl nach draußen und bestanden darauf, dass ich heute nichts mehr machen sollte. Bevor ich mich mit ihnen streiten würde, gab ich nach und ließ mich ein wenig verwöhnen.

Während des ausgesprochen leckeren Essens wurde nicht über Tennis gesprochen. Jörg erzählte uns etwas über den bevorstehenden Ausflug auf das Völkerschlachtdenkmal. Ich kannte ja bereits die Informationen, da ich mit Jörg schon einmal hinauf und wieder hinuntergelaufen war. Ein sehr imposantes Denkmal mit tollen Figuren und interessanten Erklärungen im Inneren.

Nach dem Essen half ich dann aber doch beim Abräumen des Tisches und Einstellen des Geschirrs in die Spülmaschine. Mein Rücken fühlte sich deutlich besser an und ich wollte so schnell wie möglich den Vorfall vergessen machen. Insbesondere Fynn sollte sich nur auf das morgige Halbfinale freuen und nicht an meine Probleme denken.

Interessant war allerdings, dass Jörg bald mit mir allein in der Küche stand.

„Na“, fragte ich, „haben die Jungs dich vorgeschickt?“

„So ungefähr. Sie machen sich Sorgen und möchten eigentlich nicht, dass du noch mit auf das Denkmal kommst. Wie ist denn die Lage mit deinem Rücken? Ist das ein ernstes Problem?“

„Es ist sicher nicht zu unterschätzen und zeigt mir deutlich, dass ich zu wenig auf den Rücken geachtet habe. Es ist aber kein akutes Problem mehr. Also alles wieder im grünen Bereich. Wir fahren gemeinsam auf das Völkerschlachtdenkmal.“

„Sehr schön. Du wirst sicher am besten wissen was geht und was nicht geht. Vielleicht nimmst du heute ausnahmsweise den Fahrstuhl im Denkmal. Es würde deine Jungs zumindest beruhigen. Hihi.“

Jörg zwinkerte mit den Augen, denn er hatte genau verstanden wie meine Jungs tickten. Also würde ich mitkommen, aber mich ein wenig zurückhalten, damit meine Jungs sich nicht aufregen mussten.

Eine Stunde später standen wir oben auf dem Denkmal und ließen unsere Blicke in die Runde schweifen. Wir hatten einen herrlichen Ausblick über die ganze Stadt. Erst von hier konnte man die enorme Ausdehnung der Stadt erkennen. Jörg konnte selbstverständlich zu jedem Bereich etwas sagen und uns auch mit Detailinformationen füttern, die normalerweise nicht in einem Reiseführer zu finden waren. So wurde für uns nicht nur das Denkmal selbst zu einem Highlight sondern auch die Unterrichtsstunde von Jörg über Leipzig. Er war fast ein wandelndes Lexikon. So viel Wissen über seine Heimatstadt war beeindruckend und er wusste das Wissen auch immer noch mit netten Anekdoten zu würzen.

Besonders gefiel mir allerdings, dass sich Dustin und Fynn auch hier in der Öffentlichkeit als Paar zeigten. Hin und wieder ernteten wir ein paar irritierte Blicke, aber ansonsten gab es keine Zwischenfälle oder Probleme. Im Gegenteil, als wir wieder nach unten gehen wollten, wurden wir von dem Jungen einer Familie angesprochen. Er bat um ein Foto mit Dustin und Fynn. Das war eine lustige Situation, insbesondere als er seinen Eltern hinterher zu erklären versuchte, mit wem er sich hatte fotografieren lassen.

„So - , haben die Herrschaften noch Lust auf einen kleinen Besuch im Café Apart?“

Oha, Jörg hatte wohl noch immer Energie und ehrlich gesagt, gefiel mir der Gedanke. Wir hatten uns noch eine kleine Belohnung verdient. Das Halbfinale war erst für 12 Uhr angesetzt. Daher durfte es heute ruhig noch etwas später werden, wobei Fynn allerdings deutliche Anzeichen von Ermüdung zeigte.

„Wer möchte noch ein Eis?“

Vier Finger schnellten in die Höhe und grinsten mich an.

„Also Jörg, du hast die Idee gehabt, dann führe uns in dieses geheiligte Café. Hihi.“

Das Apart war natürlich kein reines Eiscafé, es war eher eine Bar und Treffpunkt für Schwule und Lesben. Es hatte eine angenehme Atmosphäre. Dort konnte ich mit den Jungs ohne Probleme hingehen. Jörg hatte ich im Vorfeld gebeten, so eine Location zu suchen.

Der Weg dorthin wurde interessant. Insbesondere Fynn beobachtete jede von meinen Reaktionen sehr genau. Selbst Jörg hatte das irgendwann bemerkt und ließ sich geschickt ein wenig zurückfallen, um darüber ein paar Worte mit mir wechseln zu können.

„Fynn beäugt jede deiner Bewegungen. Warum macht er das? Hast du eine Idee dazu?“

„Ja, ich weiß. Das steckt so in ihm drin. Er hat Angst, es könnte mir etwas zustoßen und er müsste mit einem anderen Trainer weiter arbeiten. Das ist natürlich Unsinn, aber diese Angst ist ganz tief in ihm verankert. Allerdings fällt das normalerweise kaum noch auf. Er hat sich gut stabilisiert und Dustin ist ihm dabei eine wichtige Stütze. Allerdings hat der Zwischenfall vorhin seine Angst wieder nach oben kommen lassen.“

„Behindert ihn das nicht auf dem Platz?“

„Natürlich, deshalb muss ich schnellstens zur Normalität zurück finden und das geht am Besten, indem ich alles so mache wie immer. Dann wird er spüren, dass alles in Ordnung ist. Ich werde ihn nicht darauf ansprechen. Vermutlich wird er nachher vor dem ins-Bett-gehen noch mit mir sprechen wollen. Das kenne ich bereits.“

„Und wie geht es dir wirklich? Wie schlimm war dieser Vorfall vorhin?“

„Momentan geht es mir gut. Ich hatte meinen Rücken etwas vernachlässigt und das zeigt er mir dann so. Ich muss mehr darauf achten, dann sollte es kein Problem mehr geben. Sollte es allerdings schlimmer werden, müsste ich doch einmal einen Arzt zu Rate ziehen. Vielleicht hat sich doch ein Wirbel verschoben. Aber ich denke nicht. Heute werde ich mich etwas schonen und nachher noch ein paar Übungen machen. Morgen sollte dann wieder alles bestens sein.“

Mittlerweile standen wir vor dem Apart und die Jungs staunten über den Laden. Bevor sie weiter nachdenken konnten, schob ich sie einfach hinein und Jörg und ich bildeten den Schluss unserer Gruppe.

Dieser Abend wurde spannend und sehr lustig. Keine Sekunde wurde an Tennis gedacht und selbst Justin und Maxi hatten ihren Spaß. Maxi kam als Partylöwe voll auf seine Kosten und groovte über die Tanzfläche. Es gab sogar Situationen wo er mit Fynn gemeinsam über die Tanzfläche tobte.

In dem Club hingen auch einige Plakate mit dem Hinweis auf den CSD am morgigen Samstag hier in Leipzig. Etliche Events wurden dort erwähnt und beschrieben. Je mehr ich darüber las, desto klarer wurde mir, da mussten wir einfach hin und uns das ansehen.

Gegen halb zwölf ging es wieder hinaus an die frische Luft. Für Maxi zwar viel zu früh, aber dennoch ging er ohne zu murren mit zurück in unsere Wohnung.

Dass es an diesem Abend keinen Alkohol für die Jungs gab, tat dem Spaß überhaupt keinen Abbruch. Im Gegenteil, auf der Rückfahrt in unser Appartement waren zwar alle erschöpft, aber bester Laune. Als wir in unserer Unterkunft ankamen und Jörg sich verabschiedet hatte, fielen Fynn und Dustin allerdings sogleich todmüde ins Bett.

Ich musste schmunzeln, denn Fynn lag nur halb ausgezogen in seinem Bett, als ich sie am nächsten Morgen weckte.

Heute war mit Sicherheit einer der wichtigsten Tage in der noch jungen Tenniskarriere von Fynn. Ein Halbfinale in einem Challengerturnier war etwas sehr Besonderes, vom Preisgeld ganz zu schweigen. Und durch die vielen Punkte würde Fynn einen enormen Sprung nach oben machen und in Zukunft viel häufiger in die Hauptfelder solcher Turniere kommen. Das würde deutlich an Kraft sparen.

Dieser Morgen wurde spannend. Als wir die Anlage betraten und ich Fynn bei der Turnierleitung anmeldete, bekam ich eine Information, dass heute bereits auch das Finale gespielt werden müsste. Die Polizei und das Ordnungsamt der Stadt Leipzig hatte für den morgigen Sonntag eine Bombenentschärfung angeordnet. Dafür musste das Gelände geräumt werden und es konnte unmöglich ein Finale gespielt werden.

In einer großen Stadt wie Leipzig wurden immer wieder Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg gefunden. Gerade bei Bauarbeiten kam das häufiger vor.

Ich wollte mich aber noch gar nicht mit dem Finale beschäftigen, denn zuerst stand ein Halbfinale an, bei dem Fynn mit Sicherheit nicht der Favorit war.

Allerdings wirkte Fynn auch heute wieder erstaunlich entspannt und gut gelaunt als wir gemeinsam über die Anlage liefen. Jörg würde erst zum Spiel dazu kommen.

„Wie geht es dir heute?“

„Bestens, Chris. Irgendwie freue ich mich gerade sehr über diesen Tag. Ich habe meine Freunde dabei und darf ein Halbfinale bei einem Challengerturnier spielen. Nicht falsch verstehen, aber momentan ist es mir gerade vollkommen egal wie das Match ausgeht. Wir haben schon ein tolles Turnier gespielt. Heute will ich in erster Linie genießen, aber dennoch gerne auch gewinnen.“

Dabei lachte er und Dustin gab ihm zur Belohnung einen Kuss.

Wow, dachte ich. Wenn das jetzt bei Fynn immer so sein könnte, würde es viel einfacher für ihn und auch für mich als Coach werden. Allerdings wusste ich auch, so weit war er noch nicht. Aber heute freute ich mich über diese Aussage.

Ich hatte mir vorgenommen, mit Fynn nur kurz nach dem Frühstück über die Strategie zu sprechen. Danach sollte er sich eigenständig vorbereiten. Ich wollte keinen zusätzlichen Druck aufbauen. Dieses Match war sicher etwas ganz außerordentlich Besonderes für ihn und ich wollte diesen Umstand nicht noch verstärken. Im Gegenteil, ich wollte Druck von ihm nehmen.

Als wir beim Frühstück saßen, kam sogar Mika zu uns an den Tisch. Damit wurde es richtig lustig, denn meine Jungs versuchten, ihm einige deutsche Wörter beizubringen und mit seinem Akzent hörte sich das einfach unglaublich witzig an. Noch besser wurde es, als Mika versuchte, ihnen ein paar Dinge auf Finnisch beizubringen.

Mir wurde das zu unruhig und deshalb brachte ich mein Geschirr weg und setzte mich draußen in die bereits angenehme Morgensonne.

Plötzlich stand Mika an meiner Bank.

„Setz dich doch. Was gibt es?“

„Ich habe eine Frage an dich. Kennst du eigentlich Jarkko Nieminen?“

„Jarkko? Ja klar, sogar recht gut. Warum fragst du?“

„Weil mir eingefallen ist, dass Jarkko einen Trainer hatte, der hieß genauso wie du.“

„Hahaha, ja das stimmt. Das war mein Bruder.“

„Ach, das ist ja interessant. Und ihr kommt also aus derselben Akademie in Halle?“

„Ja, genau. Jan ist dort immer noch Headcoach und auch für die Jungs hier verantwortlich.“

„Habt ihr zu Jarkko noch Kontakt?“

„Ja, recht häufig sogar. Er macht jedes Jahr noch die Vorbereitung im Frühjahr mit. Ein absolut netter Typ. Ich verstehe mich sehr gut mit ihm.“

Im Anschluss sprachen wir noch über die Halbfinals und er wünschte sich ein Finale gegen Fynn. Mal schauen.

Danach verabschiedete sich Mika, um sich mit Fynn vorzubereiten. Sie wollten sich erneut gemeinsam einschlagen. Das gefiel mir gut.

Auf dem Weg zum Platz sprach mich noch Cedric Mourier an. Er wollte sich erkundigen, ob bei uns alles in Ordnung sei und dass für das Halbfinale von Fynn ein junger Nachwuchsschiedsrichter angesetzt sei. Allerdings unter seiner Beobachtung.

„Kein Problem, ich finde das gut, wenn junge Schiedsrichter nachrücken. Sie müssen auch Erfahrungen machen und da sind diese Turniere ganz wichtig. Du wirst dir schon gut überlegt haben, warum du ihn bei Fynn einsetzen möchtest.“

Er durfte mir natürlich nicht mehr dazu sagen, aber sein Lächeln sagte mehr als jedes Wort. Ich wusste, es würde keine Probleme geben. Jedenfalls nicht mit dem Schiedsrichter.

Auf dem Aufwärmplatz herrschte eine lebhafte Atmosphäre. Ich konnte die Stimmen von Justin und Dustin bereits hören bevor ich die Jungs auf dem Platz sah. Aber Fynn spielte sich konzentriert mit Mika ein. Nur die anderen Jungs hatten auch ihren Spaß. Jeder Ball wurde kommentiert und irgendwann wurde es Fynn zu bunt. Er ging zur Bank, nahm sich einen weiteren Schläger aus der Tasche und reichte den an Maxi weiter. Ohne nachzugeben bestand Fynn darauf, dass jetzt Maxi ein paar Bälle mit Mika spielen musste. Und Fynn übernahm natürlich nun die Kommentatorenrolle von Maxi und machte sich entsprechend lustig über seinen Kumpel.

Diese Aktion zeigte mir sehr deutlich die fortgeschrittene die Entwicklung von Fynn. Es gefiel mir außerordentlich wie entspannt er vor diesem Halbfinale wirkte. Das müsste entsprechend später auch auf dem Platz von Vorteil sein. Jedenfalls hielt ich mich komplett aus dieser Aktion heraus.

Was ich eine knappe Stunde später erlebte, war bestes Tenniskino. Fynn spielte wie gedopt. Und das Publikum stand geschlossen hinter ihm. Er war sozusagen zum Local Hero avanciert. Das beflügelte natürlich sein Spiel und seinen Mut, einfach drauf los zu spielen. Sein italienischer Gegner hatte den ersten Satz bereits verloren, bevor er realisiert hatte, was auf dem Platz geschah.

Ich saß überrascht und fassungslos auf der Tribüne. So eine Reaktion hatte ich nicht erwartet, weder von Fynn noch von den Zuschauern. Fynn war auf dem besten Wege sein erstes Challenger Finale zu erreichen. Dustin hatte enorme Schwierigkeiten ruhig neben mir sitzen zu bleiben. Maxi und Justin staunten genauso wie ich.

Als Fynn auch im zweiten Satz einen Breakball hatte, tobten die überwiegend jugendlichen Zuschauer und Dustin hielt es nicht mehr aus. Er sprang aus dem Sitz hoch und klatschte mit den Zuschauern mit.

„Was macht Fynn da auf dem Platz? Das ist so geiles Tennis. Ich kann es nicht glauben.“

Justin sprach aus, was bereits die ganze Zeit schon in meinem Kopf herumschwirrte. Obwohl Fynn ganz offensichtlich in einem Spielrausch war, hielt er sich an unsere Strategie und nach jedem Punkt schaute er zu mir mit einem Lächeln im Gesicht.

Hier wurde gerade überdeutlich, wie wichtig es ist, sich auf dem Platz wohl zu fühlen. Fynn hatte einfach großen Spaß an diesem Spiel. Er spielte es einfach wie im Training. Der Gegner verzweifelte immer wieder an den unglaublichen Returns, die Fynn seinem Gegner um die Ohren schlug. Der zweite Satz geriet zu einer Demonstration von Fynns Fähigkeiten.

Obwohl der Italiener richtig gefrustet war, gratulierte er Fynn sehr fair und freundlich. Mir wurde erst nach dem Matchball bewusst, dass Fynn damit das Finale erreicht hatte.

Dustin, Maxi und Justin waren sofort an die Bank gelaufen, während ich etwas ratlos auf der Tribüne sitzen blieb. Jörg saß neben mir und lachte.

„Was habe ich dir gesagt? Fynn kann auch dich noch überraschen, obwohl du so nah an den Jungs dran bist. Ich finde das so gut, dass Fynn einfach gespielt hat und ohne nachzudenken das gemacht hat was ihr besprochen hattet. Einfach nur toll.“

Dabei schlug er mir auf die Schulter und ich musste auch lachen.

Die Jungs winkten bereits wild zu uns herauf. Sie wollten, dass wir endlich zu ihnen hinunter gingen. Also nahm ich meinen Rucksack und stieg Jörg folgend die Treppe hinab. Es hatte sich mittlerweile eine richtige 'Fantraube' um Fynn und Dustin gebildet. Nahezu alle Jugendlichen wollten ein Autogramm von den beiden. Nicht zu fassen.

Ich mochte diese Anstürme nicht besonders und wollte mich deshalb auch im Hintergrund halten. Irgendwann würde sich der 'Fanverein' ja auflösen. Aber Fynn bestand darauf, dass ich zu ihm an die Bank kam. Ich versuchte ihm mit Zeichen klarzumachen, dass ich mich nicht durch die Leute durchkämpfen wollte.

Fynn sprach Dustin etwas ins Ohr und dann hoben beide ihren Arm. Sofort wurde es ruhiger und Fynn sagte den Jugendlichen etwas. Ich konnte nicht verstehen was er gesagt hatte, aber plötzlich bildete sich eine Gasse und Dustin marschierte auf mich zu.

„So, jetzt kannst du ohne Gefahr zu Fynn gehen. Und keine Widerrede.“

Er nahm meinen Arm und zog mich einfach hinter sich her. Fynn umarmte mich stürmisch und sehr schnell war ich mittendrin und musste auch Autogramme geben. Was für eine Situation war das bitte? Fynn hatte sein erstes Finale bei einem Challengerturnier erreicht und hier tobte der Bär. Aber andererseits fühlte es sich toll an, wie gut die Stimmung bei den Fans war.

Fynn: Finale und geile Stimmung

Meine Emotionen überwältigten mich gerade. Dustin stand neben mir und wir beide in einer Traube von jungen Leuten, die mich feierten. Nur weil ich das Halbfinale gewonnen hatte. Selbst Chris kam nicht zu uns ohne dass wir die Fans bitten mussten, Platz zu machen.

Eine komische, aber richtig geile Stimmung breitete sich bei mir und Dustin aus. Angst, unsere Beziehung zu zeigen, hatte ich gerade überhaupt keine mehr. Im Gegenteil, ich genoss jede Sekunde, Dustin neben mir zu spüren.

Chris hatte ich zu mir geholt und wollte damit deutlich machen, wie wichtig er für mich war. Es war mir in diesem Moment einmal völlig egal, dass es ihm eigentlich gar nicht recht war, derart im Mittelpunkt zu stehen.

Wir wollten aber unseren Freund und Trainer einmal richtig hochleben lassen.

Einige Minuten hatten wir bereits in dieser Traube von jungen Leuten gestanden und selbst Chris musste einige Autogrammwünsche erfüllen. Total verrückt. Die Leute verhielten sich, als ob wir bereits berühmte Spieler wären.

In meinem Kopf herrschte gerade positives Chaos. Deshalb war ich Chris wiederum auch dankbar, dass er Dustin und mich bald aus dieser Traube von Fans herausführte.

„Leute, es reicht jetzt mit dem Star-Dasein. Fynn muss noch ein Finale spielen und ich möchte das genauso fokussiert angehen, wie jedes andere Match bisher auch. Du gehst also auslaufen, duschen und zur Physio. Dustin kommt mit mir mit und wenn du fertig bist, machen wir die Nachbesprechung.“

Chris sagte das sehr bestimmt. Fast hatte ich das Gefühl, dass er etwas ärgerlich über unsere überschwängliche Freude war. Nachdenklich, aber dennoch sehr glücklich joggte ich durch den Park an der Anlage. Was für ein Turnier war das für uns? Unglaublich und jetzt wollte ich natürlich noch mehr. Mein Herz begann sofort zu rasen, als meine Gedanken zu einem möglichen Turniersieg gingen. Ich erschrak, denn der Gedanke hier zu gewinnen, wäre noch vor einem Tag völlig undenkbar für mich gewesen.

Chris Anweisungen wären eigentlich nicht mehr notwendig gewesen. Ich wusste, was ich nach einem Match zu tun hatte.

Der Weg zur Physio fiel mir heute besonders leicht und die Massage machte meine Beine noch leichter. Ich hatte das Gefühl, ich würde schweben. Entsprechend gut gelaunt kam ich zu den anderen, die bereits auf mich warteten. Chris beobachtete mich genau und auch mein Schatz schien bereits sehr auf das kommende Match zu schauen. Alle waren sehr ruhig, aber irgendwie auch angespannt.

„Komm zu uns, Fynn. Setz dich. Als erstes solltest du dir etwas zu essen bestellen.“

Verdammt, das hätte ich jetzt wirklich fast vergessen. Das wäre ein fataler Anfängerfehler geworden. Also orderte ich sofort ein paar Nudeln mit einer leichten Tomatensoße. Allerdings war das für mich auch so etwas wie ein Weckruf. Chris wusste genau, dass ich gerade dabei war, mich im Erfolg zu sonnen und dadurch das Finale aus dem Fokus zu verlieren.

„So Fynn, jetzt erzähl mal wie du das Spiel gesehen hast?“

Auf meinem Platz stand bereits eine Apfelschorle für mich und Chris hatte schon in den Finalmodus geschaltet. Er wusste ganz genau, dass ich mich nicht zu lange über das letzte gewonnene Spiel freuen durfte. Erst nach dem Turnier wäre dafür Zeit.

„Irgendwie fühlte sich das Match gar nicht so schwer an. Obwohl ich momentan einfach müde Beine habe. Es war unglaublich, wie die Zuschauer mich durch das Spiel gebracht haben. Dennoch habe ich, glaube ich zumindest, nie den Fokus auf das Match aus den Augen verloren. Nur im letzten Spiel hatte ich begonnen darüber nachzudenken, was hier gerade passiert. Das ärgert mich jetzt. Aber auf dem Platz habe ich das viel zu spät bemerkt.“

„Sehr interessant. Und wie geht es dir jetzt? Kannst du es genießen oder sorgst du dich um das Finale?“

„Genießen? Ja, auf jeden Fall. Egal wie das Finale ausgeht. Ich freue mich wie Bolle. Das soll aber nicht heißen, ich würde mich im Finale nicht voll reinhängen. Allerdings bin ich gerade ganz schön platt.“

„Das glaube ich dir sofort. Dennoch musst du jetzt versuchen, deine ganze Kraft auf das kommende Match zu bündeln. Deinem Gegner wird es sehr ähnlich gehen. Eher noch schlechter, denn er musste drei hart umkämpfte Sätze spielen. Mika wird also auch nicht in der frischesten Verfassung sein.“

„Mika? Spiele ich im Finale gegen Mika? Das ist ja unfassbar. Darauf freue ich mich jetzt aber tierisch und es wird mir zumindest richtig viel Spaß machen.“

Chris hatte mich nach dem Essen gefragt, ob ich mit Dustin irgendwohin gehen wollte oder bei ihnen bleiben möchte. Ich wusste es nicht. An dieser Stelle spürte ich, wie wenig Erfahrung ich mit derartigen Situationen hatte und Chris merkte das natürlich auch. Deshalb schickte er mich mit Dustin von der Anlage, um runterzukommen und sich neu zu sammeln. Wie sich herausstellte, war das die richtige Entscheidung. Dustin lenkte mich von dem Spiel ab. Wir redeten nur über andere Dinge. Vor allem telefonierte ich noch mit Luc und Stef. Sie wünschten mir ganz viel Spaß und natürlich auch Erfolg. Als ich das Gespräch beendet hatte, schaute ich ein grinsendes Gesicht meines Freundes.

„Hey, du hast das doch gewusst, dass sie anrufen werden. Gib es zu.“

„Ja, ich wusste es, weil ich es ihnen vorgeschlagen hatte. Hihihi.“

„Okay, und vermutlich hast du auch mit Chris besprochen, was du mit mir bis zum Finale machen sollst?“

„Wieder richtig. Du bist ein helles Köpfchen. Dafür muss ich dich belohnen.“

Dustin umarmte mich fest und gab mir einen Kuss. Ein Schauer durchfloss meinen Körper. Plötzlich sahen wir Mika etwa vierzig Meter von uns entfernt auf einer Bank sitzen.

„Schau mal, Schatz. Da hinten sitzt Mika. Wollen wir mal zu ihm gehen? Er sitzt da ganz allein.“

„Klar, aber wir sollten fragen, ob ihm das überhaupt recht ist, dass wir kurz vor dem Finale noch zusammensitzen.“

Er saß auf der Bank und hatte seine Augen geschlossen, als wir vor ihm standen und ihn leise ansprachen. Er öffnete seine Augen und zuckte einen Moment zusammen.

„Ah, ihr seid es. Mit euch habe ich jetzt gar nicht gerechnet. Wollt ihr euch setzen?“

„Wenn es dich nicht in deiner Vorbereitung stört, dass dein kommender Gegner neben dir sitzt.“

„Quatsch, ich denke nur gerade über meine Situation nach. Ihr seid schon so viel weiter als ich mit eurer Position und der offenen Beziehung. Ich sehe dadurch aber auch, dass es viele Dinge einfacher macht und ihr glücklich seid. Ich würde auch gerne offen zu meiner Homosexualität stehen können und weiterhin gutes Tennis spielen.“

„Nicht nur weiterhin gutes Tennis, sonder sehr wahrscheinlich noch besseres Tennis spielen. Mich hat es unglaublich befreit. Wir haben aber auch volle Rückendeckung vom Team, den Sponsoren und Fynns Familie.“

Dustin hatte ein feines Empfinden für die Situation. Bei Mika arbeitete etwas. Vielleicht würde das heutige Finale ein Wendepunkt für ihn werden. Er kannte zuvor ja noch keinen schwulen Tennisspieler. Und jetzt kannte er sogar gleich mit uns ein schwules Paar, das offen damit umging und erfolgreich war.

„Ja, darum beneide ich euch echt. Es ist einfach toll zu sehen wie gut ihr integriert und akzeptiert seid. Euer Coach ist auch ein toller Mensch. Er kümmert sich sehr um euch. So eine Person habe ich mir immer gewünscht.“

„Wir haben mit Chris einfach die ideale Besetzung als Coach und als Freund. Es ist so toll, mit ihm zu arbeiten und von ihm zu lernen. Und dieses Finale heute ist sozusagen ein ganz ganz großer Bonus für die gemeinsam geleistete Arbeit. Es ist mir vollkommen egal wie es ausgeht, Hauptsache, es wird ein gutes Match. Ich freue mich jedenfalls, gegen dich spielen zu dürfen. Auch, wenn du klarer Favorit bist. Hihihi.“

Mika fing an zu lachen und erwiderte nur:

„Schleimer! Coole Taktik, erst den Gegner einschläfern und dann zuschlagen. Aber ich bin gewarnt. Ich weiß, Du bist richtig gut und hast einen sehr guten Coach hinter dir. Außerdem mit Dustin noch deinen Partner dabei. Das kann ich alles nicht bieten. Dennoch geht es mir auch so, ich freue mich auf die Partie. Mehr als auf jede andere bisher und dich als Gegner zu haben, ist auch für mich echt etwas Besonderes.“

So langsam stieg aber dennoch bei mir die Anspannung und die letzten Minuten vor dem Spiel verbrachte ich mit meinem Schatz allein. Am Rand der Anlage, wo uns niemand stören konnte. Dustin wirkte noch angespannter als ich selbst. Das war schon etwas lustig. Je näher die Startzeit rückte, desto nervöser wurde ich allerdings. Wir beschlossen deshalb, zu Chris und unseren Freunden zurück zu gehen. Dort fühlte ich mich geborgen und sicher. Mir wurde doch etwas mulmig, als die Ansage für das Spiel vom Veranstalter kam. Das Finale sollte beginnen. Ich nahm also meine Tasche, bekam von Dustin noch einen Kuss und ging mit Mika auf den Platz.

Es war für mich eine neue Situation, denn wir durften nicht einfach so auf den Platz gehen, sondern wir wurden wie bei den ganz großen Turnieren vom Veranstalter angekündigt und vorgestellt. Mika stand besser in der Rangliste und daher musste ich als erster den Platz betreten. Als ich meinen Namen vernommen hatte, ließ mich der Oberschiedsrichter auf den Platz gehen.

Jubel und Applaus brandete in meinen Ohren auf. Das machte mir eine Gänsehaut und der Puls stieg rasant.

Chris hatte mir ganz eindringlich geraten, alle Dinge vor dem Match so zu machen, wie ich das immer tun würde. Alle Abläufe genau gleich, als ob es ein Erstrundenspiel wäre. Und genau das tat ich jetzt auch. Meine Tasche auf die Bank, mir noch einmal die Schuhe binden und dann den richtigen Schläger aus der Tasche genommen.

Mittlerweile war auch Mika an seiner Bank angekommen und der Stuhlschiedsrichter gab die Bälle heraus. Dabei erklärte er uns noch einmal die Regeln, also dass es in jedem Satz bei 6:6 einen Tie-break geben würde. Und wie ich erst jetzt bemerkte, hatten wir für das Finale sogar Linienrichter und Ballkinder. Das hatte ich bisher auch noch nicht als Spieler erlebt. Ballkinder in der Bundesliga, ja, aber dort gab es keine Linienrichter.

Chris: Entspannung ist anders

Nachdem ein sehr entspanntes Einschlagen zu Ende gegangen war, startete das Match direkt mit hochklassigem Tennis. Kein Abtasten mehr, direkt in die Vollen. Sofort war mein Puls nach oben geschnellt. Fynn hielt voll dagegen und zeigte keinerlei Angst vor seinem viel besser eingestuften Gegner. Dass sie sich vorher kennengelernt hatten, war für Fynn sicher ein Vorteil.

Die Ballwechsel waren nicht nur lang, sie waren auch sehr schnell im Grundtempo. Beide schlugen extrem hart auf den Ball und die Zuschauer kamen voll auf ihre Kosten. Entsprechend wurde auch nicht mit Applaus gespart.

Und als es in die Endphase des ersten Satzes ging, wurde es noch lauter. Wieder hatte sich eine Gruppe mit jugendlichen Zuschauern gebildet, die Fynn deutlich mehr unterstützten.

Jörg hatte schon die ganze Zeit diese Gruppe beobachtet. Plötzlich sagte er:

„Ich glaube, das ist eine Gruppe schwuler Jungs hier aus dem Jugendtreff. Dort gibt es auch einen Gay-Treff.“

„Wie kommst du denn darauf?“, erwiderte ich erstaunt.

„Na, schau doch mal ihr Outfit an. Viele haben ein Regenbogenshirt an und es sind nur Jungs in der Gruppe.“

Darauf hatte ich nun wirklich nicht geachtet. Aber jetzt, nach dem Seitenwechsel und beim Stand von 5:4, schaute ich auf die andere Tribüne. Jörg hatte Recht. Ich drehte mich um zu Dustin, Justin und Maxi. Dustin grinste schon sehr breit und schien die gleiche Idee gehabt zu haben wie ich.

„Was meinst du, Chris? Soll ich mal auf die andere Seite gehen und mich unter die Fans mischen?“

„Ja, eine gute Idee. Allerdings würde ich es noch besser finden, wenn du nicht allein gehst. Würde einer von euch mitgehen?“

„Nein!“, kam von Justin und Maxi sofort.

Das führte natürlich dazu, dass ich die ersten beiden Punkte in diesem Aufschlagspiel verpasst hatte. Und dass Fynn mit 0:30 beim Aufschlag des Gegners führte. Sofort ging deshalb meine Aufmerksamkeit wieder nur auf das Match. Ein guter Return von Fynn ermöglichte einen Netzangriff und damit 0:40 und drei Satzbälle. Da bahnte sich eine weitere Riesenüberraschung an. Ich hatte somit gerade überhaupt keine Zeit, mich mit den Antworten von Maxi und Justin zu beschäftigen, die mich allerdings schon etwas irritiert hatte.

Mika wehrte sich weiterhin gegen den Satzverlust. Und so stand es bald 30:40, nur noch ein Satzball verblieb. Jetzt entwickelte sich ein ewig langer Ballwechsel und jeder Muskel in meinem Körper war angespannt. Dann landete der Ball von Mika knapp im Aus. So entschied es jedenfalls der Linienrichter. Mika zweifelte diese Entscheidung an und ließ vom Stuhlschiedsrichter den Abdruck checken.

Der Ball musste wiederholt werden, denn der Schiedsrichter überstimmte den Linienrichter. Hoffentlich würde Fynn jetzt nicht wieder in sein altes Verhalten fallen und anfangen zu lamentieren. Aber seine Reaktion war erstaunlich. Er fragte noch einmal nach und dann akzeptierte er die Entscheidung und stellte sich erneut zum Return.

Und er nahm sich genug Zeit, um sich zu fokussieren. Mika schlug auf und Fynn haute ihm einen Returnwinner um die Ohren. Was war das denn bitte? Woher nahm Fynn dieses Selbstbewusstsein? Egal, der Satz war gewonnen.

In der Satzpause ging ich an die Bank. Auch hier war im Finale das Coachen in der Satzpause erlaubt. Die ATP probierte das immer wieder mal aus. Hoffentlich würde sich das bei allen Turnieren durchsetzen.

Heute hatten wir vielleicht dadurch einen kleinen Vorteil. Mika war ohne Coach unterwegs und daher saß er alleine auf seiner Bank.

Stimmungstechnisch gingen unsere Fans auf der anderen Seite jetzt erst richtig ab. Die „La Ola“ Welle wurde gestartet und erstaunlich viele Zuschauer machten mit. Ich hatte eine Gänsehaut als ich neben Fynn auf der Bank saß.

Es gab nicht viel zu besprechen, lediglich ein paar Hinweise zur Konzentration gleich zu Beginn des zweiten Satzes.

„Ein absolut geiles Match ist das. Was du hier zeigst ist großes Kino. Denk aber daran, gleich zu Beginn weiter fokussiert zu sein. Gib dem Gegner keinen Vorteil, sondern leg gleich nach.“

Fynn nickte nur noch und damit war alles gesagt. Das „Time“ des Schiedsrichters bedeutete für mich, die Bank wieder verlassen zu müssen.

Zurück an meinem Platz, erwartete mich Jörg gleich mit einer frischen Flasche Fassbrause.

„Wow, das ist wirklich exzellenter Service. Danke. Das ist gut für meine Nerven.“

Allerdings wunderte ich mich. Jörg saß allein in der Box. Wo waren die Jungs hin? Vielleicht waren sie zur Toilette. Allerdings beim Stand von 1:0 für Mika war immer noch keiner der Jungs zurück. Dass Dustin ein Aufschlagspiel seines Freundes verpasste, das war schon sehr ungewöhnlich.

„Haben die Jungs etwas gesagt? Oder weshalb sind sie noch nicht wieder zurück?“

„Na, du hattest doch gefragt ob jemand Dustin begleiten würde.“

„Äh ja, aber sie haben doch alle „Nein“ gesagt. Habe ich etwas verpasst?“

„Hihihi, ja. Du hattest gefragt ob einer bereit wäre, Dustin zu begleiten. Einer nicht, aber alle. Schau mal rüber.“

Auf der anderen Platzseite sah ich meine Truppe. Sie winkten mir fröhlich zu und die Stimmung stieg mit jedem weiteren Spiel an.

Der zweite Satz entwickelte sich erneut hochklassig, aber dieses Mal hatte Mika ein wenig mehr das Glück auf seiner Seite. Der Satz ging im Tie-break an ihn. Erneute Satzpause. Durch diesen spannenden Verlauf war auch mein Nervenkostüm angegriffen. Ich hatte gehofft, dass mir ein dritter Satz erspart bleiben würde. Auch Fynn war etwas niedergeschlagen, als ich an der Bank ankam.

„Hey, Kopf hoch und weiterspielen. Du spielst richtig gut. Es geht eben wieder alles auf Anfang. Aber nicht so viel denken. Spiel einfach so weiter. Ich bin schwer beeindruckt von deinem Spiel. Da geht noch mehr.“

„Meinst du? Ich fühle mich schon ganz schön platt. Das ist mega anstrengend.“

Nach einer kurzen Gedenksekunde kam:

„Aber auch mega geil. Dafür lohnt sich das harte Arbeiten. Ich will jetzt noch mehr haben.“

„Dann fokussiere dich nur noch auf den nächsten Punkt. Alles andere ausblenden. Nur wir beide sind in diesem Spiel.“

Fynn schaute mich an, nickte und begann dann aber laut zu lachen. Das hatte ich während eines Matches noch nicht erlebt. Schon gar nicht in einem Finale.

„Was ist denn jetzt los?“

„Hihihi, du hast gesagt, nur wir beide sind in diesem Spiel, aber hast du nicht vielleicht etwas vergessen? Was ist mit dem Gegner? Spielt der nicht mehr mit?“

„Hahaha, sehr guter Scherz. Aber den Gegner kannst du nicht beeinflussen. Dich selbst aber schon.“

Fynn hielt mir seine Hand hin und ich schlug ab. Das „Time“ des Schiedsrichters war das Zeichen für mich, den Platz wieder zu verlassen.

Jetzt war Fynn gefragt. Er konnte zeigen ob er schon bereit war, ein Challengerturnier zu gewinnen.

Nachdenklich und sehr angespannt ging ich zurück zu meinem Platz. Jörg hatte mir eine neue Flasche Fassbrause aufgemacht und hielt sie mir lachend entgegen.

„Hey, lach mal. Es läuft doch gut. Fynn wird sich teuer verkaufen und kann gewinnen. Also zeig ihm, dass du an ihn glaubst.“

„Ich muss ihm das nicht zeigen, weil ich tatsächlich an Fynn glaube. Dennoch bin ich froh wenn das hier vorbei ist. Es ist einfach anstrengend für mich draußen zu sitzen und sich das anschauen zu müssen. Manchmal würde ich gerne auf dem Platz stehen und helfen.“

„Hihi, glaube ich sofort. Allerdings ist deine Unterstützung hier draußen gerade jetzt mehr denn je gefragt. Also komm runter und unser Fanclub wird auch helfen. Hör dir das einfach an und dann weißt du, dass es klappen wird.“

Damit hatte er etwas gesagt, denn die Truppe auf der anderen Seite war absolut phänomenal. Nach jedem Punkt wurde es ohrenbetäubend laut. Fynn pumpte sich immer häufiger auf. Mika konnte einem fast etwas leid tun, denn er war ja auch von unserem Ufer. Nur wusste das bislang niemand.

Beim Stand von 4:3 für Fynn brach Mika ein. Er war dem mentalen Druck nicht mehr gewachsen und traf keinen Ball mehr. Viele leichte Fehler machten es Fynn einfach auf 5:3 zu erhöhen. Eigentlich war das Spiel damit durch, aber Fynn tat mir leider nicht den Gefallen, denn jetzt meldete sich bei ihm der „schwere Arm“. Er spielte plötzlich zögerlich und begann sichtbar darüber nachzudenken, dass er kurz vor seinem ersten Challenger Titel stand.

Mein Puls stieg nochmal höher, aber ich konnte mir sehr gut vorstellen was in Fynn gerade vorging. Plötzlich stand es 5:5 und Mika hatte sich gefangen. Das Ganze also wieder von vorn und alles schien wieder möglich. Jetzt halfen die Fans von der Tribüne. Bei jedem Punkt pushten sie Fynn. Die Reaktion verblüffte mich, denn er pumpte sich noch mehr auf und mobilisierte seine Reserven.

Es kam zum Tie-break und damit zum absoluten Showdown.

Sein Blick vor der Entscheidung war eindeutig. Er wollte gewinnen und schien entschlossen zu sein, alles dafür zu tun. Ich versuchte ihm nur Sicherheit zu geben, dass ich ihm alles zutrauen würde.

Entsprechend stark begann er den Tie-break. Bevor Mika realisiert hatte was passierte, stand es 5:0 für Fynn. Unglaublich!

Jörg flüsterte vor dem nächsten Aufschlag:

„Das muss jetzt doch reichen. Das kann man nicht mehr verlieren.“

Eine typische Aussage von jemandem, der keine Erfahrung im Tennis hatte. Ich wusste genau, dass das Spiel erst nach dem Matchball beendet und gewonnen sein würde. Entsprechend schüttelte ich mit dem Kopf. Blieb aber mit der Konzentration auf dem Platz. Mika brachte beide Aufschläge zum 5:2 durch. Jetzt galt es also.

Fynn ließ sich die Bälle geben, schloss für einen kurzen Moment seine Augen und blickte dann hoch zu mir. Dieser Blick sagte mir viel. Jetzt würde ihn nichts mehr ablenken und entsprechend gut servierte er zum 6:2. Wieder ließ er sich vier Bälle geben und nahm sich viel Zeit vor dem möglicherweise letzten Punkt. Gespannte Stille herrschte auf dem ganzen Platz.

Er warf den Ball hoch und dann klingelte doch tatsächlich ein Handy. Unglaublich!

Fynn reagierte dieses Mal sehr cool. Er ließ den Ball fallen und ging von der Linie weg. Er verhielt sich wie ein ausgebuffter Profi und baute sich dann neu zum Aufschlag auf, warf den Ball hoch und brachte den Aufschlag ins Feld. Tief durchatmen. Es folgte ein langer Ballwechsel und die Luft brannte. Eine ungeheure Spannung lag in der Luft und alle Zuschauer blieben ruhig.

Dann erhöhte Mika den Druck und Fynn geriet in die Defensive. Ich hatte kein gutes Gefühl in diesem Moment. Mika rückte ans Netz vor und spielte einen sehr guten ersten Volley. Fynn musste den Ball aus vollem Lauf spielen und ging volles Risiko. Ein „Do or Die“ Ball. Obwohl es nur Sekunden dauerte, empfand ich es als Zeitlupe, als ich den Ball mit den Augen verfolgte. Der Ball flog am Netzpfosten vorbei und landete für Mika unerreichbar im Feld. Vorbei! Das Spiel war zu Ende und Fynn hatte seinen ersten Titel auf der Challenger Tour gewonnen.

Ich musste meine Augen schließen und tief ausatmen. Den ohrenbetäubenden Lärm der Zuschauer nahm ich nur aus weiter Entfernung wahr.

Als ich meine Augen wieder geöffnet hatte, standen Mika und Fynn gemeinsam an einer Bank und unterhielten sich fröhlich. Eine tolle Situation. Mika akzeptierte diese grandiose Leistung und gönnte sie Fynn auch. Fynns Augen kreisten über die Zuschauer und blieben dann bei mir hängen. Jetzt erkannte ich seine Erleichterung und Freude. Plötzlich tauchte Dustin hinter der Bank auf und eine lange und intensive Umarmung folgte. Kein Kuss, nur diese Umarmung. Sehr emotional und bevor ich etwas tun konnte, schubste mich Jörg in Richtung Platz.

„Los, du wirst da unten gebraucht. Sieh doch, Dustin, Maxi und Justin sind bereits bei Fynn.“

Ich hätte einmal um den ganzen Platz gehen müssen, um an die Bank zu gelangen. Aber es kam anders. Dustin flüsterte Fynn irgendetwas ins Ohr. Fynn nickte und lief quer über den Platz, sprang über die Werbebande. Lief durch die Zuschauer die Tribüne hoch und stand plötzlich vor mir.

Eine ganz heftige emotionale Umarmung folgte.

„Danke.“

Mehr ging für Fynn in diesem Augenblick nicht. Seine Augen sprachen für sich und am liebsten hätte er mich mit hinunter genommen. Das war aber bei den großen Turnieren nicht mehr erwünscht. Deshalb blieb ich wo ich war und schaute von oben zu.

Als Fynn wieder an der Bank ankam, war bereits alles für die Siegerehrung vorbereitet. Der Turnierdirektor unterhielt sich bereits mit Mika. Dann hörte man ein Knacken in den Lautsprechern. Der Turnierdirektor begann. Das übliche Gerede und dann bekam Mika seinen Scheck und den Pokal für den Zweitplatzierten.

Mika bedankte sich freundlich bei den Sponsoren, den Zuschauern und, das war außergewöhnlich, bei Fynn für die schöne Woche in Leipzig. Er wünschte uns alles Gute und war sich sicher, dass die Tenniswelt von unseren Youngstern noch einiges zu sehen bekommen würde.

Jetzt war Fynn dran, geehrt zu werden. Mein Herz pochte und es berührte mich mehr als ich erwartet hatte.

Er bekam den großen Scheck mit der für alle sichtbaren Summe und dann den Pokal, den er jubelnd in die Höhe reckte. Natürlich musste er auch eine Ansprache halten. Was ich allerdings dann zu hören bekam, überraschte mich gewaltig.

„Liebe Zuschauer und liebe Fans, heute ist für mich ein ganz besonderer Tag. Ich habe meinen ersten Titel auf der Challenger Tour gewonnen und damit ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Viel schneller als ich das erwartet habe. Den Sponsoren möchte ich danken, dass sie dieses Turnier möglich gemacht haben, dem Veranstalter, der hier ein sehenswertes Event aufgestellt hat und meinem Coach Chris. Ohne Chris wäre keiner aus unserem Team heute hier. Er hat uns insbesondere in den letzten Monaten derart vorangebracht, dass ich mich manchmal gefragt habe, wann ich aus diesem Traum aufwache.“

Er machte eine kleine Pause und lauter Jubel und Applaus kam auf.

Es dauerte einen Moment bis wieder Ruhe herrschte.

„Ich bin gerade sehr glücklich und möchte deshalb an dieser Stelle Chris und unserem „Breakpoint Team“ in Halle ganz großen Dank aussprechen. Ohne meine Freunde dort wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen. Es ist für uns schwule Sportler nach wie vor nicht einfach und erst recht noch nicht selbstverständlich, überall akzeptiert zu sein. Heute haben wir unter Beweis gestellt, dass wir genauso gut Tennis spielen können wie jeder andere Tennisprofi.“

Jetzt schaute er sehr deutlich zu Mika, der ihm zunickte.

„Und ein Finale auf der Challengertour mit zwei schwulen Sportlern ist ein klares Signal. Wir arbeiten genauso hart und versuchen, den gleichen Erfolg zu erringen wie jeder andere Spieler. Wir würden uns wünschen, dass die Zuschauer, die Medien und vor allem die Sponsoren keinen Unterschied wegen der sexuellen Orientierung machen. Allein die Leistung und der Charakter sollten zählen. Vielen Dank für die besondere Unterstützung hier in Leipzig durch unsere neue kleine „Fangemeinde“. Genug geredet, jetzt wird gefeiert. Vielen Dank.“

Auch das jetzt war für mich eine riesengroße Überraschung. Fynn hatte mit seinen Worten deutlich gemacht, dass auch Mika schwul ist und die zwei hier die Konkurrenz beherrscht haben. Sie mussten vorher darüber gesprochen haben und Mika hatte ganz sicher Fynn sein Einverständnis gegeben, dass er ihn outen durfte. Das hätte Fynn sonst niemals gemacht. Mir kamen natürlich sofort Gedanken in den Kopf, was am nächsten Tag hier wohl in der Presse dazu stehen würde. Ich hatte aber keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn jetzt forderten meine Jungs meine Anwesenheit. Auch Jörg wurde nicht vergessen und dieser Nachmittag wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Erst am Abend würde ich über den nächsten Schritt nachdenken können. Ich musste unsere Weiterreise nach Lübeck vorbereiten. Momentan allerdings füllte sich mein Herz mit Stolz. Meine Jungs hatten sich vorbildlich präsentiert, sichtbar weiter entwickelt und vor allem viel schneller als ich es erwarten konnte.

Der Siegerscheck hatte eine Zahl, die wir als Preisgeld noch nie in den Händen gehalten hatten. Auch wenn es momentan nicht zwingend erforderlich war, aber das Geld konnte wieder in die Nachwuchsförderung gesteckt werden. Thorsten freute sich genauso über unseren Erfolg. Er deutete aber bereits eine Idee an, wozu ein Teil des Geldes verwendet werden sollte.

Aus Halle bekamen wir viele Glückwunschnachrichten. Insbesondere Tim und Carlo hatten nicht nur den Jungs sondern auch mir geschrieben. Darüber freute ich mich ganz besonders.

Stark empfand ich Mikas Entscheidung, mit uns gemeinsam über den Leipziger Christopher Street Day zu ziehen. Die Stimmung dort auf der Festmeile war in keinster Weise schlechter als in unserer Truppe. Entsprechend lustig ging es zu und selbst Justin und Maxi hatten keinerlei Berührungsängste mit den teilweise bunt verkleideten Leuten.

Meine Entscheidung, den Jungs für den Abend keinerlei Beschränkungen mitzugeben, löste bei mir zwar ein wenig Bauchschmerzen aus, aber ich wurde nicht enttäuscht. Auch wenn sie erst in den frühen Morgenstunden zurück waren, keiner war aus dem Rahmen gefallen. Das war ein gutes Gefühl für mich.

Jörg und ich waren gegen Mitternacht, zum Ausklang unseres Leipzig Abenteuers, in seinen Garten gegangen. Dort genoss ich die Ruhe und konnte langsam entspannen.

Am nächsten Morgen saß ich allein mit Jörg beim Frühstück. Die Jungs konnten länger schlafen, da unser Flug nach Hamburg erst um vierzehn Uhr ging. Meine Gedanken kreisten bereits über dem nächsten Turnier in Lübeck, als mein Handy klingelte.

„Guten Morgen, Jan. Was verschafft mir die Ehre?“

„Hi Chris. Na, was wohl? Ihr seid ja beängstigend gut drauf. Ich bin mächtig stolz auf euch. Ihr habt nicht nur ein unfassbar gutes Ergebnis gebracht, sondern auch das Team sensationell nach außen dargestellt. Das macht Freude, euch zu beobachten. Aber ich finde es langsam beunruhigend, wie schnell die Fortschritte sind.“

„Danke. Ja, es fühlt sich wirklich gut an. Die Jungs arbeiten selbständig hart an ihrer Entwicklung und ich spüre auch die Freude bei ihnen. So macht das Spaß. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nicht zum Nachdenken gekommen bin. Irgendwann werden die Rückschläge kommen und mir ist vollkommen klar, dass die Entwicklung bald langsamer gehen wird. Die Weltspitze ist ein sehr kleiner Kreis und da kommst du nicht mal so eben hin.“

„Davon rede ich auch gar nicht. Genießt bitte diesen Erfolg und nehmt das gute Gefühl mit nach Lübeck. Dann schauen wir, wie es weitergeht. Ich möchte dir zum Abschluss noch sagen, dass ich mächtig froh bin, dass mich Thorsten damals fast gezwungen hat, dich in unser Team zu holen. Haha! Es ist toll mit dir zu arbeiten, vielen Dank für dein Engagement und die vielen neuen Impulse für das ganze Team.“

Das waren ja ganz neue Töne und mein Herzschlag beschleunigte sich nach diesem Lob.

„Vielen Dank, es macht mir auch viel Freude mit den Jungs. Bis die Tage und viel Erfolg.“

Marc und Sabine hatten sich auch gemeldet und Luc und Stef bei Fynn und Dustin.

Ich war noch sehr gespannt über die Reaktion in der Presse am Montag, wenn wir bereits in Lübeck sein würden. Mal schauen wohin uns unser gemeinsamer Weg noch führen wird. Diese Tage in Leipzig würden mir jedenfalls unvergesslich in Erinnerung bleiben.

Am Nachmittag verabschiedete uns dann Jörg in Richtung Lübeck.

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