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Auf der Tour

Teil 22

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Eine neue Aktion wird angeschoben und Männerurlaub in der Schweiz

Es hatte sich nach dem Event auf dem Nürburgring in Halle eine Sache entwickelt, die ich für so wichtig erachtet hatte, dass ich meine Abreise in die Schweiz noch um einen Tag verschoben hatte.

Es ging um die Sache mit dem HIV-Test für Patrick, Dustin und Fynn und einer möglichen Aktion der Deutschen Knochen Mark Spenderdatei. Bei einer Tasse Tee im Garten hatte ich mich mit Maltes Mutter über unsere Idee unterhalten. Für die Mitglieder des Tennisvereines und allen Spielern des Breakpoint-Teams sowohl einen HIV-Test als auch eine Typisierung der DKMS für Leukämieerkrankungen anzubieten. Mein Gedanke war auch, damit würde die Situation insbesondere für Patrick entschärft werden.

Um das schnellstmöglich anzuschieben und abklären zu können, ob das überhaupt möglich ist, hatte ich heute noch einen Termin mit Thorsten im Büro. Danach würde ich meine Koffer packen und mich auf die Reise in die Schweiz machen.

Ich betrat Thorstens Büro.

„Hallo Chris, hast du dich schon erholt von dem Wochenende? Wie geht es deinem Rücken?“

„Hallo Thorsten. Ich bin noch etwas müde und bei einigen Bewegungen spüre ich noch Muskelkater. Ich bin aber recht zufrieden. Heikki hat mir sehr geholfen. Vielleicht können wir ihn ja auch einmal für unsere medizinische Abteilung einladen zu einem Seminar. Ich glaube, dass uns das helfen könnte, uns auch auf diesem Gebiet noch zu verbessern.“

„Ja, das ist ein interessanter Gedanke. Darauf bin ich noch nicht gekommen, aber mir gefällt das gut. Du fährst doch jetzt für eine Woche in die Schweiz. Vielleicht kannst du dort ja mal anfragen, ob Heikki das überhaupt machen und was uns das kosten würde.“

„Kann ich gern machen. Aber lass uns jetzt über diese Aktion sprechen. Du hast dir schon Gedanken gemacht, sagtest du mir.“

„Ja, allerdings. Ich hatte ja schon ein paar Tage mehr Zeit mich damit zu beschäftigen, hihi. Du musstest ja wie ein kleiner Junge mit Autos spielen.“

„Hahaha, Thorsten, der Spruch war echt gut. Aber erzähl mal, was hast du dir ausgedacht?“

„Ich habe mit der DKMS Kontakt aufgenommen und gefragt wie man so etwas auf die Beine stellen könnte. Sie haben eine eigene Abteilung nur für Sportvereine und Aktionen. Dort habe ich mit Christian Werheid Kontakt aufgenommen und schon mal vorab ein paar Dinge abgeklärt.“

„Das hört sich gut an. Könnten wir so eine Aktion machen? Beides miteinander verbinden?“

„Ja, das geht. Er findet es sogar gut, dass wir beides verbinden möchten. Wir haben uns entschieden, dass mit dem Sparkassen-Cup zu verbinden. Da werden viele Menschen bei uns auf der Anlage sein, auch externe Spieler und Betreuer und jeder darf mitmachen. Außerdem sind dort auch unsere Sponsoren vertreten und daher dürfte es recht einfach werden, sie für diese Aktion zu gewinnen. Wir müssen die Registrierung und Typisierung finanziert bekommen. Das Knowhow gibt uns die DKMS und die AIDS Stiftung von Michael Stich. Sie stellen jeweils Personen zur Verfügung, die das überwachen und die Tests auch korrekt durchführen.“

Wow, dachte ich, das ist schon weit fortgeschritten. Das war komplett an mir vorbeigegangen. Ich nickte anerkennend, aber Thorsten hatte mein Staunen bemerkt.

„Hey, mach dir keinen Kopf. Du hast die Idee eingebracht, sie umzusetzen ist nicht dein Job. Dafür haben wir unsere Leute in der Event Agentur. Du musst dich darum nicht kümmern. Du fährst jetzt eine Woche in die Schweiz und erholst dich. Aber ich habe eine Bitte, sprich mal mit Heikki wegen eines Seminars für unsere medizinische Abteilung.“

„Das mache ich gern, aber ich habe da noch eine Idee im Kopf. Wie du weißt, ist Luc damals auch an Leukämie erkrankt gewesen und dank einer solchen Knochenmarkspende wieder gesund geworden. Ich würde Marc und Sabine fragen wollen, ob sie sich an unserer Aktion beteiligen möchten. Wenn sie bei dieser Aktion dabei wären, würden das viele Zuschauer als zusätzlichen Anreiz sehen, herzukommen. Marc ist immer noch eine Legende des Motorsports.“

„Das wäre super, vor allem weil sie einen direkten Bezug zu dieser Sache haben. Du kannst ja fragen. Aber nur, wenn Luc und Sabine es nicht als Belastung empfinden. Da werden mit Sicherheit auch Erinnerungen geweckt.“

Wir redeten noch über die nächsten Dinge auf der Anlage und über eine Spielersichtung, die in den nächsten Wochen stattfinden sollte. Das war ein jährliches Event im Rahmen eines Jugendturnieres. Dort würden wir uns talentierte, junge Spieler einladen, die wir bereits im Blick hatten und uns das genauer anschauen. Manchmal entwickelten sich dort richtige Talente, die wir in unser Team aufnehmen könnten und auch wollten.

„So, Chris. Jetzt haben wir aber genug gearbeitet, du hast ja eigentlich schon Urlaub. Wann fährst du in die Schweiz?“

„Heute Abend fahre ich nach Paderborn und steige in den Flieger. Marc holt mich in Genf vom Flughafen ab. Dann bleiben wir eine Nacht bei Marc und fahren morgen nach Realp zur Furka Dampfbahn.“

„Das hört sich interessant an. Du hast doch einen Freund bei der Furka, richtig?“

„Genau, den Claus. Wir sind mittlerweile sehr gute Freunde.“

„Ich wünsche dir ganz viel Spaß und erhol dich richtig. Marc wird bestimmt wieder viel Programm haben. Macht auch mal was Ruhiges“, lachte Thorsten.

„Ach, das Schöne dort ist, dass Claus da die Fäden in der Hand hat. Und Claus ist die Ruhe selbst. Einzige Ausnahme könnte sein, wenn Marc auf die Idee gekommen ist, die Mopeds mitzunehmen.“

„Na, da bin ich aber auf deinen Bericht im Anschluss gespannt. Aber jetzt sieh zu, dass du hier vom Hof kommst. Ich wünsche dir eine tolle Woche und genieße es.“

Zum Abschied umarmte mich Thorsten einmal ganz fest. Das war noch nicht oft vorgekommen, aber es fühlte sich gut an. Ich empfand mich immer mehr als einen Teil des ganzen Teams.

Zu Hause holte ich direkt meine beiden großen Tennistaschen aus dem Schrank und begann die nötigen Dinge einzupacken. Es war in den Alpen auch im Sommer mit allen Wetterlagen zu rechnen. Daher war das Equipment auch für eine Woche ziemlich umfangreich. Entsprechend schwer waren die Taschen am Ende.

Ich lag gut in der Zeit und daher nutzte ich die auch, um noch einmal in Ruhe auf der Terrasse Platz zu nehmen. Eine kalte Fassbrause und schon kehrte Ruhe ein.

Aber nicht lange.

„Hallo Chris, stören wir oder dürfen wir reinkommen?“

Ich drehte mich zum Gartentor. Dort standen Malte und Marvin. Sie hatten ihre Hand zum Gruß gehoben.

„Klar, kommt rein. Stimmt, ihr wolltet ja noch etwas fragen.“

„Ja, aber nur, wenn es wirklich nicht stört. Mama sagte, dass du heute für eine Woche in die Schweiz fährst.“

„Richtig. Ich werde eine Woche Männerurlaub mit Marc auf der Furka machen“, antwortete ich lachend.

Die Jungs setzten sich zu mir an den Tisch. Ich wollte mir noch eine frische Fassbrause holen und fragte sie:

„Möchtet ihr auch eine Fassbrause?“

Ihr Lächeln und Nicken war eine klare Antwort. Ich ging ins Haus und holte drei Flaschen.

„Bitte“, sagte ich und stellte ihnen die Flaschen auf den Tisch.

„Danke, Chris. Hast du dich mittlerweile von dem Rennen erholt? Das war ein mega geiles Wochenende“, lachte Malte.

„Ja, mir hat es auch verdammt gut gefallen. Aber weshalb möchtet ihr noch einmal ein Gespräch haben?“

Interessant war jetzt die Reaktion. Sie schauten sich beide an und ihre Selbstsicherheit wich in Unbehagen und Unsicherheit. Beide hatten plötzlich eine große Spannung im Körper. Ich ließ ihnen Zeit und blieb ruhig.

Malte hatte sich zuerst gesammelt.

„Du hast uns beim letzten Mal geraten, lieber früher um Rat zu fragen bevor etwas falsch läuft. Und wir möchten aus unserem Fehler etwas lernen.“

„Entschuldigt, so war meine Bemerkung gar nicht gemeint. Aber schießt einfach mal los. Ich höre zu.“

„Wie hast du damals gemerkt, dass Fynn und Dustin sich näher gekommen sind? Woran kann man merken, dass sich zwei Jungs mehr mögen als nur gute Freunde?“

„Das ist eine ganz schwere Frage. Da gibt es keine bestimmte Antwort. Ich schaue bei den Menschen, die mir wichtig sind immer ganz genau hin. Und wenn man sich nahe steht, so wie damals Fynn und Dustin, dann entwickelt sich das einfach. Und ja, es stimmt, ich habe es bemerkt, bevor sie das Vertrauen hatten, es mir zu sagen. Wobei sie es auch ganz lange selbst nicht wahrhaben wollten. Was auch absolut nichts Ungewöhnliches darstellt.“

„Hast du sie dann darauf angesprochen?“, fragte Marvin nach.

Irgendwie fand ich diese Situation merkwürdig, aber auch interessant. Die beiden Jungs führten zum ersten Mal gemeinsam bewusst ein ernstes Gespräch, ohne einmal albern zu sein.

„Nein, das halte ich für keine gute Idee. Jeder muss für sich bereit sein, sich zu öffnen. Und logischerweise auch zuerst zu den Personen, zu denen sie das größte Vertrauen haben.“

Dann trat eine kleine Pause ein. Ich spürte ihre Aufregung, aber auch ihre Unsicherheit. Malte war dieses Gespräch weit weniger angenehm als Marvin. Als niedlich empfand ich, dass Marvin die Hand von Malte ergriff. Ganz offen sichtbar. Ich blieb ruhig sitzen und ließ ihnen jede Zeit, die sie jetzt brauchten.

„Warum sind nicht alle Erwachsenen so cool wie du? In der Schule werden Schwule oft gehänselt oder man macht Witze über Schwule. Das finden wir total blöd. Dustin hat uns gesagt, kein Junge sucht sich aus, dass er schwul ist. Man ist eben schwul.“

„Ja, da hast du ganz sicher recht. Niemand wird sich freiwillig aussuchen, schwul zu sein. Aber wenn man das für sich erkannt hat, sollte man sich Freunde suchen, mit denen man reden kann. Gerade wenn man noch sehr jung ist. Vielleicht so wie ihr beide.“

Jetzt geschah etwas Besonderes. Marvin drückte Maltes Hand ganz fest. Es schien so, als ob Malte fast seine Fassung verlieren könnte. Er war sehr aufgewühlt. Ich entschied mich, den Jungs eine kleine Auszeit zu geben.

„Entschuldigt bitte, ich muss mal zur Toilette. Ich bin gleich wieder zurück.“

Auf dem Weg ins Haus gingen mir doch einige Gedanken durch den Kopf. Meine Bilder vom Nürburgring kehrten zurück und dann hatte ich ein Lächeln auf den Lippen. Mir wurde bewusst, was wir in Halle für eine Tür geöffnet hatten. Und dass es viel mehr schwule Jungs geben würde, als wir alle gedacht hatten. Mal sehen, was mich hier noch erwarten würde. Allerdings war ich mir jetzt schon sehr sicher, dass sich Malte am wenigsten Sorgen machen musste. Seine Mutter hätte er zu einhundert Prozent hinter sich. Seinen Vater konnte ich noch nicht so gut einschätzen, aber auch dort erwartete ich keine größeren Probleme.

Marvin schien generell viel offener damit umgehen zu können. Als ich zurückkam, hatte er sich mit Malte wohl besprochen.

„Wir haben Dustin und Fynn schon einige Fragen gestellt. Wir sind einfach sehr unsicher. Manchmal sitzen wir nur zusammen am PC und zocken, aber plötzlich passiert etwas und ich habe Lust, mit Malte mehr zu machen. Nicht nur zocken. Wir vertrauen uns total, haben auch schon oft übers Wichsen gesprochen. Da wollte ich es mal mit Malte zusammen ausprobieren. Ganz ehrlich, für mich war das das Geilste was ich bisher erlebt hatte. Dennoch hatten wir beide ein schlechtes Gewissen. Eigentlich wissen wir, dass Homosexualität etwas Normales ist. Dennoch bekommen wir ein schlechtes Gewissen, wenn wir unseren Gefühlen nachgehen. Das ist total doof.“

„Ja, das ist allerdings schade. Ihr beide seid euch sehr nahe gekommen, versteht euch, vertraut euch und erlebt euren ersten gemeinsamen Sex. Das soll ein bleibendes, schönes Erlebnis sein. Und nichts anderes. Und eure Unsicherheit ist vollkommen normal. Ihr seid noch so jung, da kann sich noch viel entwickeln, aber im Moment empfindet ihr es so. Also genießt es jetzt und schaut, was es mit euch macht.“

Sie hatten mir gut zugehört und dieses Mal war es Malte, der fragte:

„Du denkst also, ich sollte keine Angst haben wenn ich mit Marvin kuscheln möchte und wir uns einen runterholen?“

„Nein, du solltest dich darauf freuen und deine Gefühle dabei genießen. Alles andere wird sich entwickeln. Und denkt bitte nur daran, …“

Weiter kam ich nicht, Marvin unterbrach mich lachend.

„Jajaja, genau wie meine Mutter, wenn ihr mehr wollt, nehmt Kondome. So blöd sind wir auch nicht. Aber noch möchte ich das gar nicht. Ich finde es gerade total schön mit Malte zusammen zu sein und Zeit zu verbringen.“

Der Junge überraschte mich immer mehr mit seiner Lockerheit und Offenheit. Malte zuckte zusammen und erwiderte etwas panisch:

„Deine Eltern wissen schon Bescheid über uns? Scheiße, was ist wenn die mit meinen Eltern sprechen?“

Was jetzt kam war richtig niedlich. Marvin nahm seinen Freund in den Arm und zog ihn an sich heran.

„Hey, keine Panik. Meine Eltern haben mir versprochen, erst mit deinen Eltern darüber zu reden, wenn du mit deinen Eltern gesprochen hast.“

Malte beruhigte sich schnell und für mich war damit für heute alles gesagt.

„Hört mal ihr beiden, ich habe ein gutes Gefühl bei euch. Bislang habt ihr alles richtig gemacht. Macht einfach so weiter. Folgt euren gemeinsamen Gefühlen. Alles andere wird sich ergeben. Wenn ihr merken solltet, dass ihr doch lieber ein Mädchen mögt, dann wäre das auch kein Beinbruch oder gar noch Schlimmeres. Wenn ihr jetzt glücklich seid, dann lebt es jetzt und heute. Und ich gebe euch den Rat, geht zu Dustin und Fynn wenn ihr Fragen dazu habt. Sie werdenganz sicher immer Zeit für euch haben. Ich freue mich für euch und bin dankbar für euer Vertrauen.“

Dann entschied ich mich, beide zu umarmen und sie wieder nach oben zu schicken. Außerdem musste ich mich auch auf den Weg zum Flughafen machen.

„Vielen Dank für deine Zeit, Chris. Mit dir ist es einfach, über solche Dinge zu sprechen. Bei meinen Eltern war das viel schwieriger.“

Marvin nahm seinen Freund und Arm in Arm, wie eben zwei beste Freunde, verließen sie den Garten.

Mal abwarten wie sich das weiterhin entwickeln würde. Es war ein guter Anfang.

Fynn: Familienurlaub

Die ersten beiden Tage haben Dustin und ich mit unserer Familie nur zum Ausspannen am Wasser genutzt. Einfach nichts tun. Allerdings spürte ich mittlerweile so etwas wie Bewegungsdrang. Meine Eltern hatten eine Ferienwohnung gemietet und kein Hotel. Eine gute Entscheidung. Dustin und ich hatten unser Zimmer direkt unter dem Dach und dort unsere Ruhe. Durch die hochführende Treppe konnten wir immer mitbekommen, wenn jemand zu uns wollte. Das hatte in ganz bestimmten Situationen große Vorteile.

Die Sonne schien bereits in unser Zimmer und mit einem Blick auf die Uhr konnte ich erkennen, der Tag hatte schon längst begonnen.

Zärtlich weckte ich meinen Schatz und nach einer gemeinsamen Dusche gingen wir hinunter in die Küche.

„Guten Morgen ihr beiden“, begrüßte uns Mama, „schon so früh unterwegs?“

„Hallo Mama, ja, irgendwie wird es Zeit, dass wir uns wieder mehr bewegen. Was ist heute geplant?“

„Das hört sich gut an. Wenn Patrick gleich vom Bäcker zurück ist, können wir gemeinsam frühstücken. Heute könnten wir alle einen Ausflug zur Minigolfanlage machen. Am Nachmittag wollte ich mit eurem Vater zu den Kreidefelsen. Dort gibt es auch ein sehr interessantes Museum.“

Eigentlich waren mir Museen immer ein Graus. Aber hier auf Rügen hatte ich das Bedürfnis, so viel Zeit wie nur irgend möglich mit meinen Eltern zu verbringen.

„Was macht Patrick? Kommt er auch mit dorthin oder geht er allein an den Strand?“, fragte Dustin.

Meine Mama schaute Dustin lächelnd an und erwiderte:

„Das hängt von euch ab. Wenn ihr mit uns kommt, dann wird Patrick nicht an den Strand gehen. Allein wird er nicht den ganzen Tag bleiben. Das würde nicht gut gehen.“

„Hahaha, allerdings“, lachte ich, „ich würde gern mit euch kommen. Dustin? Wie sieht das mit dir aus? Erst zu den Kreidefelsen und dann eine Partie Minigolf?“

„Wenn du freiwillig mit mir eine Runde Minigolf spielen würdest, müsste ich ja bescheuert sein, da nicht mitzukommen.“

Dafür bekam mein Freund einen dicken Kuss. Natürlich musste in diesem Moment Patrick vom Bäcker zurückkommen. Er hatte schon Luft geholt, um sich über uns lustig zu machen, aber Mama war schneller.

„Du legst bitte die Brötchen in den Korb, gehst deinen Vater aus dem Garten holen und vor allem sagst du jetzt keinen Ton.“

Patrick schaute vollkommen irritiert zu Mama. Dann kam aber überraschenderweise kein Wutausbruch, sondern nur eine lustige Grimasse und:

„Ok, ok, da habt ihr aber Glück gehabt. Ich habe Hunger und daher mache ich das mal so.“

Was war denn hier los? Mein kleiner Bruder hatte sogar so etwas wie Humor entwickelt. Entsprechend staunend schauten Dustin und ich hinter ihm her.

„Wow, Mama. Das war großes Kino. So schlagfertig habe ich dich schon lange nicht mehr erlebt“, grinste Dustin.

Hatte er „Mama“ gesagt? Hatte er wirklich „Mama“ gesagt?

Erstaunt blickte ich meinen Freund an und wusste nicht was ich jetzt machen sollte. Aber meine Mama war schneller.

„Hahaha, mein Sohn, das wirst du in Zukunft häufiger erleben. Ich habe schon länger begriffen, dass ich bei Patrick anders reagieren muss als bei euch. Jetzt lasst uns aber an den Tisch gehen. Wir haben noch einiges vor heute. Da ist ein ausgiebiges, ruhiges Frühstück wichtig.“

Sie hatte einfach Dustin mit „Sohn“ geantwortet. Mein Herz machte gerade Luftsprünge vor Freude. Am liebsten hätte ich meinem Schatz einen Kuss dafür gegeben. Aber Patrick kam gerade mit Papa zurück und ich wollte meinem kleinen Bruder keine Angriffsfläche bieten. Ich nahm aber Dustins Hand unter dem Tisch und drückte sie ganz fest.

Papa hatte sich den Korb mit den Brötchen genommen und fragte gut gelaunt:

„Habt ihr schon überlegt, ob ihr mit uns zu den Kreidefelsen kommen möchtet? Dustin haben wir ja schon mit einer Runde Minigolf gelockt, hihihi.“

„Genau“, erwiderte mein Schatz, „ so ein Angebot muss ich annehmen. So oft spielt Fynn ja nicht mit mir mein Lieblingsspiel nach dem Tennis. Und einen gemeinsamen Ausflug mit meinen Eltern habe ich bislang ja auch noch nicht gemacht.“

Jetzt hatte es auch Patrick bemerkt und schaute Dustin mit großen Augen an.

„Mama, Dustin hat das erste Mal zu euch Eltern gesagt. Ich habe jetzt einen zweiten großen Bruder. Das ist cool.“

Dustin wurde richtig rot nachdem Patrick das gesagt hatte. Papa hatte die passende Reaktion parat. Er reichte Dustin den Korb mit den Brötchen weiter und erwiderte:

„Patrick, du bist ein Schnellmerker. Dustin gehört schon länger zu unserer Familie, aber jetzt kann er es selbst auch annehmen. Dieser Urlaub wird uns in besonderer Erinnerung bleiben.“

Damit wurde dieses Thema nicht weiter behandelt. Papa hatte ein gutes Gespür für Dustin entwickelt. Jetzt drehte sich das Gespräch aber nur noch um den Ablauf des Tages.

Eine Stunde später spazierten wir durch einen lichtdurchfluteten Wald auf dem Weg zu den berühmten Kreidefelsen von Rügen. Dustin ging neben mir als er mich fragte:

„Hast du von Chris oder den anderen etwas gehört? Ich habe Maxi gestern geschrieben. Er ist bei seiner Mutter. Es geht ihm soweit gut.“

„Nein, von Chris weiß ich nur, dass er gut in Genf gelandet ist. Marc hat ihn vom Flughafen abgeholt und sie sind eine Nacht bei den Steevens geblieben. Mehr weiß ich nicht. Luc ist mit Stef wieder in München und hat gerade viel zu tun.“

Meine Eltern gingen vor uns und hinter uns kam noch Patrick. Er hatte heute die Aufgabe bekommen, für die Fotos zu sorgen. Entsprechend aktiv tobte er mit der kleinen Kamera durch die Gegend.

Nach etwa fünfundvierzig Minuten öffnete sich der Wald und wir kamen an eine offene Fläche. In hundert Metern Entfernung tauchte ein großes Gebäude mit einem großen Mammutbaum davor auf.

Papa hatte für uns eine Familienführung vorbestellt. Daher konnten wir direkt in den Eingang für Führungen gehen und mussten uns nicht in der Schlange vor dem Eingang anstellen.

Nachdem wir uns angemeldet hatten, dauerte es nur wenige Minuten und eine junge Frau begrüßte uns freundlich. Sie würde uns durch das Museum führen und uns die spektakulärsten Dinge von Rügen näher bringen.

Aber so interessant diese Führung auch war, der Höhepunkt war der Weg an die Klippen. Ein phänomenaler Ausblick auf die Ostsee mit wunderschönen Lichtreflexen auf den weißen Kreidefelsen.

Ich nutzte die Gelegenheit mich mit meinem Schatz für einige Minuten abzusetzen und unsere Zweisamkeit mit diesem Ausblick zu genießen.

Dass wir wirklich auch von Patricks Kamera nicht gestört wurden, verdankten wir meiner Mutter. Sie hatte meinen kleinen Bruder schlicht woanders hin zum Fotografieren geschickt. Diese Momente der Nähe und Zweisamkeit waren auf unseren Turnierreisen immer sehr selten und umso mehr konnten wir das jetzt genießen und schätzen.

„Ich vermisse diese Momente so oft wenn wir unterwegs sind. Immer sind wir in den letzten Monaten nur von Turnier zu Turnier gehetzt. Unsere Schule hat uns nur selten gesehen und ob wir den Abschluss schaffen ist auch noch vollkommen unsicher. Hast du dich mal gefragt ob es das wert ist?“

Dustin nahm mich zärtlich in den Arm als er auf meine Antwort wartete.

„Ich habe mich nicht nur einmal gefragt, aber ich bin immer wieder zur gleichen Antwort gekommen“, erwiderte ich, „ich würde es jederzeit wieder genau so tun. Wir haben uns doch genau dafür so angestrengt. Jetzt sind wir an einer Stelle, an der wir mit Leuten trainieren, die schon in der Weltspitze spielen. Wir haben mit Rafa Nadal trainiert, wir spielen schon ständig auf der Challenger Tour im Hauptfeld. Dazu sind wir noch zusammen unterwegs und haben mit Chris einen unfassbar guten Coach und Freund bekommen. Und was die Schule betrifft, Chris wird dafür sorgen, dass wir genug Zeit bekommen für die Prüfungen. Wobei du ja noch ein Jahr mehr Zeit hast.“

„Was lässt dich so sicher sein? Hat Chris vor dem Urlaub noch etwas gesagt?“

Ich gab meinem Schatz einen Kuss und antwortete:

„Ja, mit dem Zeitplan für die nächsten Wochen ist doch klar, dass wir in Halle sind. Dort trainieren und zur Schule gehen werden. Dann kommen unsere spanischen Freunde und wir spielen in Halle den „Sparkassen Cup“. Damit dürfte klar sein, dass wir jetzt erst einmal keine Reisen mehr machen. Bis ich die Prüfungen geschafft habe.“

So ein Gespräch hatte ich schon lange nicht mehr mit Dustin. Aber als wir wieder zu unseren Eltern gingen, wirkte er wieder gelöst und freute sich auf die nächsten Wochen mit mir in Halle. Seine Selbstzweifel hatte er in die Flucht geschlagen. Vor einem halben Jahr wäre das ohne Chris Hilfe schwierig geworden.

Die folgende Partie Minigolf wurde sehr lustig. Unsere Eltern spielten gegen Dustin und mich. Patrick spielte bei unseren Eltern und es gab nicht einmal Streit zwischen meinem Bruder und mir.

Die nächsten Tage auf Rügen zeigten uns, wie lohnenswert der Kampf meines Vaters gegen den Alkohol war. Wir hatten noch viele Augenblicke, die ich mir jahrelang gewünscht hatte. Wir waren auf dem besten Wege wieder eine Familie zu werden. Das war einfach nur schön.

Und wir hatten endlich mal ausreichend Gelegenheiten, unsere Beziehung zu pflegen. Ohne den ganzen Turnierstress entwickelte sich zwischen Dustin und mir eine intensive Lust auch auf Sex.

Leider musste es dabei auch passieren, dass Patrick irgendwann einmal mehr mitbekam als uns lieb war. Das nutzte er natürlich aus, um uns immer wieder aufzuziehen. Dustin wurde dies bald zu viel und als es wieder einmal soweit und er genervt war, konterte er Patrick:

„Du solltest einfach mal deinen Kopf benutzen. Immerhin sind wir nicht so dumm und poppen mit der erstbesten Tussi wie du.“

Das empfand ich nicht ganz angemessen. Zumal Patrick sich jetzt nicht wehren konnte, da er sonst Gefahr laufen würde, dass unsere Eltern etwas mitbekämen. Dustin war geladen und ich fand Patrick einfach nur nervig. Allerdings hatte dieser Spruch von Dustin doch auch eine gute Seite. In diesem Moment zog sich Patrick kleinlaut zurück.

Fünf Minuten später war ich mit Dustin wieder allein in unserem Zimmer.

„Das war eben aber gegen unsere Absprache. Wir hatten Patrick versprochen, dass Thema von uns aus niemals offen anzusprechen. Es sei denn, er würde es tun und uns erlauben darüber zu sprechen. Wenn Mama und Papa dadurch jetzt davon erfahren, dann wäre das echt blöd.“

„Ja, das stimmt. Aber es geht mir total auf den Sack, dass er sich über uns lustig macht. Ist es denn so ungewöhnlich, dass wir in unserer Beziehung auch Sex haben? Warum kann er das nicht einfach akzeptieren. Wir sollen auf ihn Rücksicht nehmen, aber er darf uns ständig nerven? Das musste jetzt einfach mal sein.“

Dazu konnte ich meinem Freund nicht mehr viel erwidern.

Bevor es hier zu Spekulationen kommt, wir haben mit Patrick noch am selben Tag über das Ganze gesprochen und das aus der Welt geschafft. Es war ein erstaunlich gutes Gespräch übrigens. Seitdem haben Dustin und ich bis zum Ende des Urlaubs ungestört unseren Spaß genießen können.

Patrick blieb die verbleibende Zeit immer sehr umgänglich. Ich hatte sogar das Gefühl, dass er sein Verhalten bedauerte. Jedenfalls konnten wir seitdem wieder richtig gute Gespräche führen und auch abends mal ein paar Stunden zusammensitzen.

Chris: Furka ist einfach nur schön

Marc hatte gerade den Motor des SF90 auf dem Parkplatz abgestellt.

„So, Chris. Du hast vermutlich von deinem Freund die Reservierung übernehmen lassen, oder?“

„Ja, Claus hat uns angemeldet und für den Abend bei Mark und Tobias für ein üppiges Dinner gesorgt. Heute können wir uns nur umsehen und einchecken. Claus wird spätestens zum Essen bei uns sein. Dann besprechen wir auch unser Programm mit ihm.“

„In Ordnung, dann lass uns die Taschen nehmen und einchecken. Ich habe Lust auf einen Kaffee. Gibt es das Selbstbedienungsrestaurant noch?“

„Ja, Claus hat gesagt, dass es sich immer noch großer Beliebtheit erfreut. Die Lokführer der DFB nutzen es auch immer fleißig in den Pausen.“

„Es ist mir auch in bester Erinnerung geblieben.“

Mittlerweile hatten wir die Taschen ausgeladen und waren auf dem Weg zum Empfang. Wie zu erwarten war, dort hing ein Zettel.

„Sind im Café! Gäste bitte dort melden.“

Also auf zum Café. Die Taschen hatten wir im Foyer abgestellt und gingen durch den großen Speisesaal ins Café. Dort war nicht mehr so viel los. Der Nachmittag-Kaffee war eigentlich schon durch. Mark stand hinter der Kasse und füllte dort einige Listen aus. Ich ging zu ihm.

„Grüezi Mark. Wir möchten uns bei euch anmelden und einchecken.“

Mark schaute zu mir und bekam sofort ein Lächeln in sein Gesicht.

„Ja. Hallo, unser Gast vom Claus aus Deutschland ist wieder im Land. Hallo Chris, wo hast du denn deinen Freund gelassen? Claus hatte zwei Zimmer reserviert.“

„Ha, der hat sich schon nach draußen gesetzt. Er hatte Durst auf einen Kaffee, hihihi.“

„Ah so, das ist ja schön. Dann schlage ich vor, ihr nehmt euch erst einmal einen Kaffee und in der Zeit mache ich die Anmeldung fertig. Werdet ihr heute Abend bei uns zum Essen sein?“

„Auf jeden Fall, du kannst davon ausgehen, dass wir immer zu Abend essen werden. Wenn wir mal nicht hier sein sollten, würden wir euch vorher informieren. Sonst darfst du immer mit uns rechnen. Ich gehe davon aus, dass Claus auch zum Essen hier sein wird.“

„Das freut uns natürlich zu hören. Wenn ihr euch von der Anreise beim Kaffee gestärkt habt, könnt ihr zu mir kommen und dann bekommt ihr die Schlüssel. Du kennst dich ja hier schon aus. Oder soll ich euch begleiten?“

„Danke, Mark. Aber ich finde mich hier noch zurecht. Wir melden uns dann gleich bei dir. Wir haben unsere Taschen im Foyer abgestellt. Ist das in Ordnung? Nicht dass sie dort im Weg stehen.“

„Das ist genau richtig gewesen. Lasst sie dort stehen. Ihr könnt sie dann später mit hoch nehmen. Ihr braucht für das Café kein Geld, ich gebe jedem gleich eine Karte. Damit wird alles jeweils auf euer Zimmer gebucht.“

Ich bedankte mich und nahm meinen Latte Macchiato mit nach draußen. Marc saß bereits an einem Tisch unter einem Sonnenschirm.

„Hast du mit Mark gesprochen? Wie geht es weiter?“

Als ich mich gesetzt hatte, erwiderte ich:

„Ja, alles geregelt. Wir können uns nach dem Kaffee unsere Schlüssel und die Karten abholen. Dann brauchen wir hier im Hotel kein Geld mehr. Es wird alles jeweils auf unsere Zimmer gebucht.“

„Das ist praktisch. Die beiden Jungs sind mir sehr sympathisch. Sie versuchen pragmatisch zu sein. Aber jetzt schau dir bloß dieses Panorama an.“

Dabei zeigte er auf die Berge und den Furka Pass, der sich den Berg hinauf wand.

„Ja, genau deshalb komme ich so gern her. Einfach grandios hier. Und mit Claus habe ich natürlich auch einen echten Freund hier vor Ort. Was die Leute bei der DFB auf die Beine stellen, ist schon unglaublich.“

„Das ist ein gutes Stichwort. Hast du Claus schon mitgeteilt, dass wir angekommen sind? Nicht, dass er sich Sorgen macht.“

„Ja, klar. Und wie ich Claus kenne, taucht er gleich irgendwie aus dem Nichts auf und überrascht uns.“

Und wie auf Bestellung vibrierte mein Handy. Claus hatte uns eine Nachricht geschrieben:

Hallo ihr beiden. Schön, dass ihr gut hergekommen seid. Können wir uns in einer Stunde am Bahnhof in Gletsch treffen?“

Ich zeigte Marc die Nachricht und er musste lachen.

„Hahaha, du scheinst ihn aber gut zu kennen. Klar, das bekommen wir hin. Dann können wir vorher noch eine Dusche nehmen.“

Ich schrieb Claus zurück und dann genossen wir unseren Kaffee in Ruhe und ich konnte mich entspannen.

Marc holte uns noch zwei neue Latte Macchiato, dann fragte er mich:

„Hast du eigentlich von Dustin und Fynn etwas aus ihrem Familienurlaub gehört?“

„Ja“, antwortete ich, „ sie haben mir ein paar Bilder geschickt und mein Eindruck ist, dass sie es wirklich genießen können“, dann zeigte ich Marc die Bilder.

„Fynn hat mir geschrieben, dass Dustin zum ersten Mal zu Fynns Eltern Mama und Papa gesagt hätte. Das ist doch einfach nur schön. Dustin scheint langsam richtig in der Familie angekommen zu sein.“

Marc schaute sich die Bilder aus Rügen an.

„Wow, das ist doch toll. Wenn ich an die Schilderungen denke, die du mir vom Kennenlernen gemacht hast, dann ist das eine phantastische Entwicklung. Da kannst du stolz drauf sein.“

„Warum ich? Das ist doch in erster Linie der Verdienst von Fynns Eltern. Sie haben Dustin doch aufgenommen.“

Marc schaute mich ernst an, zögerte einen Moment um dann laut zu lachen. Er brauchte einige Augenblicke um sich zu sammeln.

„Entschuldige, aber das meinst du nicht ernst. Du bist derjenige, der Dustin damals zu sich ins Team genommen hat und wo alles seinen Anfang nahm. Ohne dich wären Fynn und Dustin vermutlich nie wieder zusammengekommen. Weißt du, manchmal machst du mir Angst mit deiner Bescheidenheit. Auch dein Bruder weiß noch gar nicht wirklich, was für ein Gewinn er mit dir im Team gemacht hat. Aber das wirst du noch lernen, je häufiger wir zusammen sein werden. Und in diesem Urlaub setzen wir das fort. Komm, wir bringen zuerst mal unsere Sachen aufs Zimmer. Eine Dusche wird uns neue Lebensgeister geben und dann werden wir uns um Claus kümmern.“

Marc stand einfach auf und ließ mich für einen Moment ziemlich verdutzt schauend zurück. Ich stand also auf und folgte ihm, um von Mark oder Tobias unsere Schlüssel zu bekommen. Allerdings hatte Marc das Problem, dass er von einigen Touristen im Café erkannt wurde bevor er mit mir den Raum wieder verlassen konnte. Also musste er noch einige Autogramme geben, während ich bereits mit Tobias über unsere Zimmerschlüssel sprach.

„Hier, das ist dein Schlüssel und möchtest du den anderen auch mitnehmen? Dann muss Herr Steevens nicht mehr extra herkommen. Und hier sind eure Karten für das Hotelcafé. Abendessen ist ab sieben Uhr am Abend. Ich habe euch einen Tisch für drei Personen reserviert, war das richtig?“

„Danke, ja, ich nehme alles an mich. Und richtig, drei Personen passt. Claus kommt auf jeden Fall zum Essen. Wie ist das eigentlich, hat sich Claus für heute hier ein Zimmer genommen?“

„Ja, er hat sich bis Sonntag hier einquartiert und dann wieder ab Donnerstag bis Sonntag.“

Ahja, dann hatte sich Claus also das Wochenende bei der DFB ausgeklinkt.

Mittlerweile war Marc auch bei uns angekommen.

„Na, musstest du erst wieder die Touristen zufriedenstellen?“, grinste ich ihn an.

Marc verdrehte die Augen und stöhnte nur. Insoweit hatte ich es bedeutend einfacher.

Fünf Minuten später waren meine Taschen auf mein Bett gestellt und ich staunte. Mark und Tobias meinten es wieder gut mit uns. Ein tolles Zimmer, sogar mit kleinem Balkon. Und wie ich es in Erinnerung hatte, lag auf dem kleinen Tisch ein Willkommenspräsent. Aus Schokolade. Das liebte ich so in diesem Hotel. Die persönliche Betreuung und das Ambiente aus früheren Zeiten. Absolut stilecht auch im Mobiliar.

Nach der erfrischenden Dusche hatte ich mir bequeme, sportliche Kleidung angezogen und wartete in der Lobby auf Marc. Nur wenige Minutenspäter kam er bestens gelaunt die Treppe herunter.

„Also eines muss man den beiden lassen. Sie haben einen tollen Stil und exzellenten Service. Sehr aufmerksames Personal. Hier kann ich einfach Mensch sein.“

„Allerdings, das stimmt. Und eine weltklasse Küche. Das wirst du später wieder erleben. Da wird uns Tobias wie zuvor verwöhnen. Aber jetzt müssen wir los. Ich möchte pünktlich am Bahnhof sein. Vor allem weil ich mir sicher bin, dass sich Claus wieder etwas ausgedacht hat. Sonst würde er ja zu uns ins Hotel kommen.“

„Hihi, du hast immer noch den Planungsmodus eingeschaltet. Du kannst aber auch nicht mal im Urlaub auf den Plan verzichten. Lass dich doch einfach mal überraschen was uns erwartet. Ich habe dich eingeladen und ich habe die Führung. Also du hast ab jetzt mal für eine Woche Pause.“

Oha, ich ahnte jetzt schon, was mich erwarten würde. Wenn Marc solche Ansagen machte, hatte er ganz sicher einen exakten Plan. Ob er Claus in seine Pläne einbezogen hatte? Claus mochte es überhaupt nicht, wenn ihm irgendjemand bei der DFB seine Pläne durchkreuzte.

„Und bevor du dir wegen Claus Gedanken machst, ich habe das bereits mit ihm abgestimmt. In den Tagen wo er mit uns in Gletsch ist, hat er die Planung und die anderen Tage habe ich unser Programm ausgewählt. Du darfst dich einfach mal entspannen und genießen.“

„Ja, ja, ich bin ja schon still. Aber wenn du dich mit Claus abgesprochen hast, kann ich auch wirklich mal abschalten. Zumindest werde ich es versuchen, mich nur noch bespaßen zu lassen. Hihihi.“

„Sehr gut, dann lass uns zum Bahnhof gehen. Claus ist da ähnlich wie du, Unpünktlichkeit geht gar nicht.“

So locker hatte ich Marc noch nicht häufig erlebt. Umso schöner, denn es bestand die Hoffnung, eine Woche zu haben, ohne irgendwelche Probleme lösen zu müssen.

Auf dem Weg zum Bahnhof drehte ich meinen Kopf immer wieder, um das faszinierende Panorama zu genießen. Die klare Luft auf 1600 Meter war auch ein Gewinn. Schon hier war ein deutlicher Unterschied zu Genf oder auch Basel zu spüren.

„Es ist einfach herrlich hier“, freute ich mich, „irgendwann werde ich einmal mit meinem Motorrad herkommen. Dann werde ich die Pässe auf eine andere Art genießen als bisher.“

„Warum hast du das denn noch nicht getan? Du fährst doch so gern Motorrad?“

„Ganz einfach, es ist sehr aufwändig mit dem Moped herzukommen. Entweder du fährst auf eigener Achse her, das ist extrem anstrengend, weil halt sehr weit oder du lässt es mit dem Zug herbringen, was eigentlich nur bis München geht. Von dort müsstest du auch wieder selbst bis hierher fahren.“

„Hm, das ist allerdings blöd. Hast du Claus mal gefragt ob es hier in der Nähe einen guten Mopedverleih gibt?“

„Nein, weil ich bislang nicht hergekommen bin, um Moped zu fahren, sondern mit Claus oder mit euch hier Zeit zu verbringen.“

Marc nickte verständnisvoll und schon betraten wir das Bahnhofsgelände. Mit einem Blick auf die Abfahrtsuhr konnte ich erkennen, dass innerhalb der nächsten Minuten ein Dieselzug aus Realp in Richtung Oberwald einfahren würde. Es warteten auch bereits etliche Fahrgäste auf den Zug.

Das war der letzte Zug des Tages. Er fuhr bis Oberwald und dort endete der Fahrtag für die DFB.

Die Sonne legte den Bahnhof in ein beeindruckendes Licht und die angenehme Wärme strahlte in meinen Körper. Aufgrund der Höhe hatte ich meinen Sonnenschutz entsprechend verstärkt und trug zusätzlich ein Cappi.

Dann konnte man aus einiger Entfernung ein Signalhorn hören. Der Zug näherte sich dem Bahnübergang vor dem Bahnhof. Der Verkehr war bereits zum Halten gekommen. Viele der Touristen hatten ihre Handys bereits in der Hand und filmten oder machten Fotos vom einfahrenden Zug. Obwohl es der Dieselzug und kein Dampfzug war.

Die rote Diesellok brummte langsam vorweg und der Zug kam mit einem lauten Zischen der Luftbremsen zum stehen.

Jetzt wurde der große Unterschied zu einem modernen Bahnhof deutlich. Es gab keinen Bahnsteig der auf Höhe der Ausstiege war. Die Passagiere stiegen eine eiserne Treppe hinab auf den Boden. Allerdings kam hier auch keinerlei Hektik auf. Zuerst stiegen die Gäste aus, bevor die neuen Fahrgäste einstiegen.

Ich schaute mich um. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Claus aus einem der Waggons aussteigen würde. Aber kein Claus in Sicht. Marc und ich schauten uns an.

„Wollte Claus uns nicht am Bahnhof treffen?“, fragte mich Marc.

Bevor ich antworten konnte hörte ich hinter uns eine bekannte Stimme:

„Grüezi miteinand. Willkommen auf der Furka bei der DFB.“

Wir drehten uns um und Claus stand lachend vor uns. Mit einer herzlichen Umarmung begrüßten wir uns. Auch Marc wurde mit einer freundlichen Umarmung begrüßt.

„Wo kommst du denn jetzt so plötzlich her? Wir haben dich nicht aussteigen sehen“, staunte ich.

„Tja, ich habe noch das ein oder andere Versteck im Zug. Hihihi. Aber wir können hier nicht lange quatschen. Der Zug fährt in fünfzehn Minuten weiter nach Oberwald. Ich würde euch gern mitnehmen und wir schauen uns mal in Oberwald den Löschzug an. Da bräuchte ich mal die Expertise vom Feuerwehrdrachen.“

„Alles klar, dann machen wir das. Wo sollen wir einsteigen? Wir haben keine Tickets.“

„Ich weiß, Chris. Da wo wir jetzt hingehen brauchen wir keine Tickets. Weil ohne mich fährt der Zug keinen Meter weiter.“

Claus zeigte auf die große Diesellok und da machte es bei mir „Klick“. Claus hatte im letzten Jahr seinen Lokführerschein auch für die große Diesellok gemacht und durfte jetzt auch den Personenzug fahren.

„Kannst du denn die Lok einfach allein stehen lassen?“, fragte Marc.

„Nein, natürlich nicht. Sie steht aber auch nicht verlassen. Kommt mit, dann erklärt sich das.“

Claus zeigte auf die große Diesellok und da machte es bei mir „Klick“. Claus hatte im letzten Jahr seinen Lokführerschein auch für die große Diesellok gemacht und durfte jetzt auch den Personenzug fahren.

„Kannst du denn die Lok einfach allein stehen lassen?“, fragte Marc.

„Nein, natürlich nicht. Sie steht aber auch nicht verlassen. Kommt mit, dann erklärt sich das.“

Claus ging voran und natürlich wurde er von allen Mitarbeitern freundlich gegrüßt. Das hatte einen großen Vorteil, Marc wurde nicht von Autogrammjägern belästigt. Hier war Claus als Lokführer der wichtige Mann.

Als wir vorn ankamen wusste ich was Claus gemeint hatte. Aus dem Führerstand schaute ein mir bekanntes Gesicht. Ein Kollege, den ich bereits beim letzten Besuch kennengelernt hatte.

„Hallo Chris, das ist aber schön, dass du uns wieder besuchen kommst. Claus hat immer berichtet, dass du dich auf dem Laufenden hältst.“

Claus übernahm die Führung.

„Los, einsteigen. Es wird etwas eng im Führerstand, aber bis Oberwald geht das mal.“

„Claus, ich kann dann wieder aussteigen. Du übernimmst wieder die Lok?“, fragte der Kollege.

„Ja, danke dir für die Bewachung der Lok. Wir sehen uns dann im Depot.“

Claus drehte sich zum Fahrstand und startete die Lok wieder. Mit einem tiefen Brummen und Vibrationen erwachte die Lok zu neuem Leben. Claus lehnte sich aus dem Fenster, um auf das Abfahrsignal des Zugchefs zu warten. Ich konnte einen lauten Pfiff hören und dann gab Claus Gas, um abfahren zu können. Das Brummen wurde lauter und der Zug setzte sich ruckfrei in Bewegung.

Claus hatte viel Gefühl für den Zug und es fiel überhaupt nicht auf, dass er erst seit einigen Monaten auch die große Lok mit Personenzug fahren durfte. Etwa fünfundzwanzig Minuten später kam der Zug ohne Zwischenfälle in Oberwald an. Claus sicherte den Zug und stellte die Lok ab. Danach musste er noch die Leitungen für die Motorvorwärmung und Batterieladung anschließen. Es folgten noch einige Handgriffe bis er den Hauptschalter umlegte und das Licht erlosch.

„Wir dürfen aussteigen. Feierabend für heute. Wir sollten uns einen Kaffee gönnen.“

„Das ist ein guter Vorschlag, da bin ich sofort dabei“, stimmte ich lachend zu.

In Oberwald gab es allerdings kein richtiges Bahnhofsgebäude. Dort wurden die Mitarbeiter im sogenannten „Gnagi“-Wagen versorgt. Man konnte sich mit Brötchen und Getränken versorgen. Vor dem Wagen standen einige Bierzeltgarnituren an denen man sitzen konnte. Claus schickte Marc direkt an einen der Tische. Ich begleitete Claus, um die Bestellungen anzunehmen und nach draußen zu tragen.

Wir bekamen unseren Kaffee und ein Stück Kuchen und setzten uns zu Marc in den Schatten unter einem großen Sonnenschirm.

„Es ist unfassbar schön hier“, begann Marc, „ ich glaube, dass viele Menschen gar nicht wissen was für eine traumhafte Umwelt sie umgibt. Und weißt du, Claus, was mir heute erneut aufgefallen ist, eure Leute bei der DFB sind immer freundlich und nett. Es herrscht einfach eine angenehme Stimmung in den Zügen und am Bahnhof. Was ihr hier auf die Beine stellt ist gewaltig und beeindruckend. Ich komme immer gern hierher.“

Fynn: Ein wenig Tennis muss sein

Unser Familienurlaub entwickelte sich zu einem Highlight. Meine Erinnerungen an frühere Ferien gingen weit zurück. Zu Grundschulzeiten musste das gewesen sein.

Auch die Nächte waren durchweg erholsam. Meine Zweifel an der Ehrlichkeit meines Vaters wurden von Woche zu Woche weniger.

Allerdings gab es noch Erinnerungen an schlimme Zeiten und dann spürte ich auch die Angst und die Wut in mir.

Dustin und ich waren gerade auf dem Weg in die Küche zum Frühstück als mich mein Schatz fragte:

„Weißt du zufällig ob es hier einen Tennisverein gibt? Ich hätte Lust ein paar Bälle zu spielen. Einfach so, ohne ernsthaftes Training.“

„Willst du das wirklich? Da haben wir mal richtig Urlaub und dann willst du auf den Tennisplatz? Aber eigentlich keine schlechte Idee. Lust habe ich auch. Aber kein ernsthaftes Training, nur einfach einen Satz spielen oder sowas.“

Dustin gab mir zur Bestätigung einen Kuss. Wieder ging dieses tolle Gefühl durch meinen Körper wie am ersten Tag. Sehr schön.

„Hallo ihr beiden. Habt ihr schon ausgeschlafen? So früh habe ich noch gar nicht mit euch gerechnet. Papa ist schon auf der Terrasse. Würdet ihr bitte das Tablett mit nach draußen nehmen. Ich lege noch ein paar Brötchen für euch in den Ofen und bringe dann den Kaffee mit.“

Natürlich nahm ich das Tablett mit nach draußen und stellte es auf dem Tisch ab. Papa half sofort die Sachen zu verteilen. Er pfiff sogar leise eine Melodie vor sich hin. Bei mir kamen Erinnerungen an meine Kindheit hoch. Bevor das Drama begann. Ich bekam eine Gänsehaut.

Leider hatte mein Vater meinen staunenden Blick bemerkt und für einen Augenblick unterbrach er das Pfeifen, schaute mich an und setzte es dann aber mit einem Lächeln fort.

Einige Minuten später, als wir alle bereits am Tisch saßen, fragte er mich:

„Wie geht es dir hier im Urlaub? Kannst du die Gemeinsamkeit etwas genießen oder sind deine Erinnerungen noch zu präsent?“

Das Besondere an dieser Frage war die Art und Weise wie mein Vater sie gestellt hatte. Ich fühlte mich ernst genommen und er wirkte besorgt.

„Es geht mir gut. Und ich kann mich mittlerweile auch darüber freuen, dass du schon viele Schritte in die richtige Richtung machst. Aber manchmal kommen halt auch noch Bilder, die ich nicht möchte. Aber ich weiß von Chris, dass es lange dauern wird bis das aufhört. Deshalb kann ich gut damit leben, wenn wir uns weiter so entwickeln wie zurzeit.“

Mein Vater schaute mich und dann Dustin an. Er legte alles aus der Hand und nahm mich und auch Dustin ganz fest in den Arm. Das war ein großer Moment für mich.

Beim Frühstück saßen wir wieder entspannt am Tisch und Dustin fragte in die Runde:

„Wäre es möglich, dass Fynn und ich ein wenig Tennis spielen können? Irgendwie haben wir Lust ein paar Bälle zu schlagen. Oder habt ihr schon etwas geplant?“

Meine Mutter schüttelte den Kopf und auch Papa konnte es kaum glauben. Aber er erwiderte:

„Nein, wenn es euer Wunsch ist, dann macht das. Ich glaube, in Bergen gibt es einen kleinen Club. Vielleicht ruft ihr da erst an und fragt, ob es für Urlauber eine Möglichkeit gibt, dort zu spielen. Wenn das geht, dann bringe ich euch gern dorthin.“

Das Telefonat war sehr freundlich und erfolgreich. Es gab für Urlaubsgäste unterschiedliche Angebote. Wir entschieden uns für ein Wochenticket.

Papa hatte uns dorthin gefahren und wir sollten ihn anrufen, wenn er uns abholen sollte. Jetzt saßen Dustin und ich in der Umkleide und ich wickelte noch ein neues Overgrip auf meinen Schläger.

Es war eine kleine, aber sehr schöne und gut gepflegte Anlage mit fünf Plätzen und einem Clubhaus. Die vorderen drei Plätze lagen etwas tiefer und wurden von kleinen Rasentribünen umgeben. Dadurch lagen sie auch deutlich windgeschützter als die anderen beiden Plätze. Man hatte uns den Platz drei zugewiesen. Auf Platz fünf machte ein Trainer mit einigen Kindern Training.

Dustin und ich wässerten den Platz bevor wir uns im T-Feld einschlugen. Obwohl wir nur eine Woche keinen Schläger angefasst hatten, fühlte ich mich als ob ich lange verletzt gewesen wäre.

Das war natürlich Unsinn. Umso schöner, dass das gute Gefühl schnell wieder zurückkehrte und wir viel Spaß auf dem Platz hatten. Obwohl wir kein Training absolvierten, schlugen wir uns die Bälle ziemlich heftig um die Ohren. Dieses wilde „Rumgeballer“ machte einfach Spaß. Natürlich flogen auch mal ein paar Bälle direkt in den Zaun. Wir hatten einfach Freude auf dem Platz.

Als wir nach etwa einer halben Stunde auf der Bank eine Getränkepause machten, fragte mich Dustin:

„Was meinst du? Spielen wir einen Satz? Wir müssen ja etwas sinnvoller auf dem Platz werden.“

„Och, ich fand das spaßig auch mal nur auf die Kirsche zu hauen. Aber wenn du mich so lieb fragst, kann ich natürlich nicht nein sagen.“

Als Dank für meine Zustimmung bekam ich einen Kuss. Danach spielten wir einen richtigen Satz und schon nach zwei Spielen war unser Ehrgeiz geweckt. Keiner wollte verlieren und so schlugen wir uns die Bälle in langen Ballwechseln um die Ohren.

Natürlich hatten wir uns nicht darum gekümmert was um uns herum so passierte. Wir kannten hier schließlich niemanden. Aber als wir beim Seitenwechsel wieder zusammen auf der Bank saßen, kamen zwei etwa vierzehn-, fünfzehnjährige Jungs an unsere Bank.

„Hi, sorry, dass wir euch stören. Aber unsere Anlage ist ziemlich belegt und die anderen sind alles Erwachsene, die uns nicht mitspielen lassen möchten. Ihr seid Gäste und habt auf diesem Platz das Vorrecht. Aber würdet ihr uns vielleicht etwas mitspielen lassen? Oder können wir sogar ein Doppel spielen? Was wir gesehen haben, sah mega gut aus. Wir spielen zwar schon ein paar Jahre, aber so gut sind wir ganz sicher nicht.“

Ich schaute Dustin an. Mir gefiel diese freundliche Art des Jungen. Und wir wollten ja auch nur Spaß haben und kein richtiges Training machen. Dustin erwiderte den Jungen mit einer Gegenfrage:

„Wie heißt ihr denn? Man sollte doch wissen mit wem man auf dem Platz steht. Hihihi.“

„Ja, klar. Sorry, ich bin Mattes und das ist Simon. Wir spielen hier im Verein in der U15 Mannschaft.“

„Klasse, dann macht euch mal fertig und kommt her. Übrigens, Ich bin Fynn und das ist mein Freund Dustin. Wir machen hier mit unseren Eltern Urlaub.“

Die beiden Jungs gingen ihre Sachen holen und in der Zeit spielten wir noch ein paar Punkte aus.

Als Mattes und Simon zurück waren, bildeten wir zwei Teams um Doppel spielen zu können. Ich bekam Simon an meine Seite und dann ging es auch schon los. Bei den ersten Bällen des Einschlagens spürte ich die Aufregung von Simon. Aber bald kamen gute Ballwechsel zustande und die beiden wollten gern einen Satz spielen. Damit waren Dustin und ich einverstanden. Beide Jungs hatten bei weitem nicht unser Niveau, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Dennoch konnten wir gute Punkte spielen und zwischendurch zauberte Dustin sogar ein wenig mit Trickshots. Da wollte ich natürlich nicht hinten anstehen und packte auch ein paar spektakuläre Bälle aus.

Nach fünf gespielten Spielen saßen wir zu einer Trinkpause auf der Bank. Mattes fragte uns:

„Ihr seid schon richtig gut. Wo kommt ihr her? So gute Spieler sind hier selten auf der Anlage.“

„Wir kommen aus Halle in Westfalen. Dort trainieren und leben wir. Vielleicht sagt euch das 'Breakpoint-Team' etwas“, antwortete Dustin.

„Halle kenne ich. Da findet das große Rasenturnier statt. Dort trainiert ihr? Wow. Das ist cool. Ich glaube, da kommt auch Jan de Witt her. Er hat mit Nikolosz Basilashvili einen Top Spieler auf der ATP.“

„Genau“, sagte ich, „dort trainieren wir. Mit Niko haben wir auch schon häufiger trainiert. Chris, das ist Jans Bruder, ist unser Trainer dort.“

„Aber bei dem Turnier habt ihr noch nicht mitgespielt, oder?“, fragte Simon.

Dustin und ich schauten uns an. Sollten wir in dieser Situation unser Leistungslevel preisgeben?

„Doch, wir haben mit einer Wild Card dort in der Qualifikation gespielt“, nahm mir Dustin meine Gedanken ab.

Für einen Augenblick wirkten die beiden jetzt eingeschüchtert. Aber Mattes fand zuerst zurück in die Realität.

„Cool, dann sollten wir jede Minute nutzen, um mit euch spielen zu dürfen. Lasst uns weitermachen. Aber wenn euch das zu langweilig ist, sagt es ruhig. Wir haben nicht gewusst, dass ihr schon so gut seid.“

„Sehr gern“, erwiderte ich, „lasst uns spielen. Und macht euch keine Gedanken, wir sind im Urlaub hier. Wir möchten heute nur ein wenig Spaß auf dem Platz haben und nicht ernsthaft trainieren.“

Und genau das hatten wir die nächste Stunde noch. Dabei hatten wir nicht einmal bemerkt, dass Mama, Papa und Patrick zu uns gekommen waren und zuschauten.

Wir spielten den zweiten Satz noch zu Ende und dann gaben wir uns am Netz die Hand. Mattes und Simon freuten sich, dass sie mit uns spielen konnten. Mir hatte es auch viel Spaß gemacht und daher fragte ich die beiden:

„Was meint ihr? Wollen wir nochmal zusammen spielen?“

Mattes antwortete aufgeregt:

„Ernsthaft jetzt? Na klar, das war richtig geil mit euch. Wann habt ihr denn wieder Zeit?“

Ich fragte meine Eltern wie unsere Planungen für die nächsten Tage sei und dann verabredeten wir uns für übermorgen erneut. Danach gingen mein Schatz und ich Richtung Umkleide. Die beiden kamen sogar mit in die Umkleide.

Natürlich gingen Dustin und ich sofort unter die Dusche. Da kam bei Mattes dann offenbar Unsicherheit auf. Simon hingegen hatte deutlich weniger Hemmungen und tauchte bald auch in der Dusche auf.

„Sorry, Mattes traut sich nicht zu duschen. Aber hier achtet auch niemand darauf, dass wir nach dem Training duschen gehen. Schade eigentlich.“

„Du hast es doch für dich begriffen wie wichtig das nach dem Sport ist. Also schau nicht auf die anderen. Vielleicht kann sich Mattes ja auch bald überwinden. Schließlich sehen wir doch alle mehr oder weniger gleich aus.“

Simon nickte und lachte. Plötzlich hatte Dustin mir unter der Dusche einen Kuss gegeben. Simon stutzte für eine Sekunde, dann fing er an zu lachen.

„Ach, das ist ja cool. Ihr seid nicht nur Freunde, ihr seid richtig zusammen. Da habt ihr auf euren Reisen einen Vorteil. Ihr könnt immer auf ein Zimmer“, grinste er

Über diesen lockeren Umgang bei dem Thema waren wir überrascht, aber auch sehr erfreut. Als wir dann gemeinsam aus der Dusche in die Umkleide kamen, saß Mattes immer noch in seinen verschwitzten Klamotten und wartete auf Simon.

Dustin und ich beeilten uns etwas, da ja Mama und Papa draußen auf uns warteten.

„Seid uns bitte nicht böse, aber können wir beim nächsten Mal noch etwas zusammen trinken und quatschen? Unsere Eltern warten auf uns.“

„Kein Problem. Vielen Dank nochmal, dass wir mit euch spielen durften. Bis übermorgen dann.“

Auf dem Weg zum Auto fragte mich Dustin:

„Der Simon ist ja 'n lustiger Vogel. Der hat das total locker genommen als er gemerkt hat, dass wir zusammen sind. Aber Mattes ist dagegen noch etwas verklemmt, oder?“

„Ja, ist er wohl, aber denk doch mal an uns zurück. Da hat uns Chris auch immer wieder zum Duschen anhalten müssen. Lass sie uns einfach so nehmen und dann kommt das bestimmt noch. Auf jeden Fall hat mir das viel Spaß gemacht mit den beiden. Wir sollten uns aber übermorgen mehr Zeit nehmen und hinterher mit ihnen im Clubhaus noch was trinken.“

Mein Vater hatte bereits den Kofferraum für unsere Taschen geöffnet als ich Dustin noch schnell einen Kuss gab.

„Na, ihr scheint ja euren Spaß gehabt zu haben“, lachte mein Vater als wir ins Auto stiegen.

„Oh ja, Papa“, antwortete Dustin, „das war richtig lustig heute. Wir haben sogar zwei Jungs aus dem Verein hier kennengelernt und mit denen dann Doppel gespielt. Die beiden waren echt cool. Simon hat auch total locker reagiert als ich Fynn einen Kuss gegeben habe. Übermorgen wollen wir das wiederholen.“

Papa schaute Dustin erstaunt an als er fragte:

„Ok, das hört sich toll an. Aber sind die denn für euch gut genug? Ist das für euch noch interessant?“

Ich antwortete darauf mir einem eindeutigen „Nein. Die sind natürlich nicht so gut wie wir. Trotzdem hatten wir viel Spaß. Wir wollten doch auch gar nicht trainieren, sondern nur zum Spaß ein paar Bälle spielen und genau das hat geklappt. Vielleicht sollten wir so etwas zu Hause auch ab und an mal machen und ein paar von den jüngeren zum Spielen einladen. Einfach mal so.“

Dustin schaute mich an und ich wusste genau, was jetzt für ein Spruch kommen würde.

„Du bist vielleicht gut. Wir sind hier im Urlaub. Zuhause haben normalerweise kaum Zeit für uns selbst. Wo willst du diese denn hernehmen? Die Idee gefällt mir schon. Vielleicht haben wir ja mal wirklich für so etwas Zeit, dann könnten wir das gerne machen.“

Zurück in der Ferienwohnung hatte ich zum ersten Mal keine Ahnung was heute noch anstand. Mama gab uns nach einem kleinen Imbiss Freizeit bis zum Abendessen. Bis dahin konnten wir uns also frei fühlen. Das Wetter war super und ich beschloss, mit Dustin ans Wasser zu gehen. Wir nahmen noch einen Volleyball und eine Frisbeescheibe mit, dann ging es auch schon los.

Chris: Die Ruhe und Freundlichkeit gibt neue Energie

Nachdem wir uns mit Claus in Oberwald ein wenig die Beine vertreten und den Ort angeschaut hatten, gingen wir zurück zum Bahnhof. Claus Auto stand dort und wir wollten damit gemeinsam nach Gletsch zurückfahren.

Im Ort blieb Marc unerkannt und so konnten wir in Ruhe zum Auto laufen.

„Und wer holt die Diesellok für morgen aus Oberwald?“, fragte ich.

„Das macht der Fahrdienst morgen früh. Er übernimmt die Lok in Oberwald und fährt von dort den Frühzug in Richtung Realp.“

Diese Organisation war hervorragend. Ein Rad griff ins Andere und das alles nahezu nur mit Ehrenamtlichen. Das war immer wieder faszinierend festzustellen.

Ich hatte zwischendurch meinen Jungs ein paar Bilder von der einmaligen Landschaft geschickt und auch bereits kleine Berichte erhalten. Das freute mich. Vor allem die Bilder von Dustin und Fynn mit ihrer Familie. Dort bewegte sich gerade Einiges und gab mir ein gutes Gefühl. Nach all der schweren Zeit war jetzt die Zuversicht zu erkennen, dass es wieder in Richtung normale Familie ging.

„Bevor wir nach Gletsch fahren, möchte ich euch bitten, mich zum Löschzug zu begleiten. Chris kennt das Problem und ich brauch mal seine Expertise.“

Nach einem kurzen Fußweg erreichten wir den Abstellort des Löschwagens. Das war ein Wagen, den die DFBler in Eigenregie aufgebaut hatten. Dort war ein kleiner eintausend Liter fassender Tank und eine kleine Pumpe verbaut. Claus erklärte Marc die Funktionsweise und mir das Problem mit dem Personal und den Fahrten des Löschzuges.

Da die DFB entlang des Abschnitts von Oberwald nach Gletsch sowohl eine Beregnungsanlage aufgebaut hatte und unterirdische Hydranten in einem regelmäßigen Abstand vorhanden waren, konnte ich nicht ganz verstehen, warum jetzt noch ein größerer Tank aufgebaut werden sollte. Genug Wasser war an der Strecke vorhanden. Es gab zwei große Wasserreservoire, die vom Gebirgswasser gespeist wurden. Dadurch lag auch genügend Druck an den Leitungen an. Eigentlich gehörte nur mehr Schlauchmaterial auf den Löschwagen und unten an den Hydranten jeweils ein bereits angeschlossener Schlauch, der nur herausgezogen und mit weiteren Schläuchen und einem Strahlrohr zusammengekuppelt werden müsste. Die Leute auf dem Löschzug sollten entsprechend geschult und bei jedem Wechsel des Personals wäre eine praktische Übung durchzuführen. Das würde das Problem deutlich besser lösen und gleichzeitig noch viel mehr Löschwirkung haben. Genug Wasserdruck war aufgrund der Topographie vorhanden.

Nach meinem kurzen Exkurs in die Löschtechnik, stimmte mir Claus zu und er wollte das in einem der nächsten Meetings auch so vorschlagen. Ob sich das umsetzen ließ, blieb abzuwarten.

„So, nachdem wir das auch noch geklärt haben, lasst uns zu Mark und Tobias fahren. Ich bekomme langsam Hunger.“

Das kam mir sehr gelegen. Mein Magen meldete auch bereits ein klares Hungergefühl.

„Eine gute Idee, Claus. Ich bin schon sehr gespannt, was uns Tobias mit seinem Küchenteam heute auftischen wird.“

Eine Stunde später saßen wir im Restaurant und hatten gerade die Speisekarte erhalten. Claus hatte bereits eine Runde Getränke geordert und so langsam war ich auch angekommen. Entspannung machte sich bei mir breit.

„Wie geht es dir jetzt? Bist du schon richtig im Urlaub angekommen?“, fragte mich Marc.

„Es geht mir gut, aber so richtig angekommen bin ich noch nicht. Das dauert immer ein wenig, aber wenn ich hier bin geht es meist schneller als an anderen Orten. Ich bin gespannt auf die nächsten Tage und freue mich einfach auf schöne Tage und grandiose Landschaften.“

„Das bekommen wir hin. Du wirst wenig Gelegenheit bekommen, hier an Tennis zu denken. Morgen machen wir eine schöne Dampfzugfahrt und eine Depotführung mit der neuen Wagenremise.“

Claus wirkte entspannt und in diesem Moment kam Tobias an unseren Tisch. Der Chef de cuisine persönlich. Er hatte eine kleine Aufmerksamkeit aus der Küche mitgebracht und stellte jedem von uns ein kleines Gefäß mit etwas Inhalt hin. Nur vor mich kam etwas anderes auf den Tisch. Ich war irritiert. Aber Tobias klärte es umgehend auf:

„Für dich, Chris, habe ich etwas anderes vorbereitet. Bei den anderen ist Champagner verwendet worden. Da du keinen Alkohol verträgst, habe ich dir etwas anderes fruchtiges gefertigt. Ich wünsche euch einen guten Appetit und viel Spaß bei uns. Ich freue mich, dass du aus Deutschland wieder zu Besuch bist.“

Wow, eine persönliche Begrüßung. Als ob ich hier schon oft Gast gewesen wäre. Er konnte sich sogar an meine Alkoholproblematik erinnern. Das beeindruckte mich.

Genauso beeindruckend war die Kleinigkeit aus der Küche. Da konnte man bereits erahnen was uns heute noch erwarten würde.

Ich hatte mich für ein Menü aus der Karte entschieden. Claus hatte es mir empfohlen, da er es bereits kannte. Für mich gab es dabei aber noch eine Frage zu klären. Das tat ich als ein junger Kellner zu uns an den Tisch kam und uns freundlich auf Deutsch nach unserer Wahl fragte. Das überraschte mich doch etwas. Zum einen war er noch sehr jung, vielleicht neunzehn und zum anderen sprach er ein hervorragendes Deutsch.

Marc hatte sich für ein anderes Menu entschieden, während Claus auch mein Menu favorisierte. Ich fragte den jungen Kellner:

„Können Sie mir sagen ob in der Zubereitung Alkohol verwendet wird? Ich bin Alkoholiker und möchte keinen Alkohol in meinem Essen.“

Der Junge lächelte und seine Antwort verblüffte mich noch mehr.

„In diesen drei heute zur Auswahl stehenden Menus wird kein Alkohol benutzt. Herr Winkelmann hat mich bereits informiert und ich kann auch jetzt schon sagen, dass in Ihrem Dessert ebenfalls kein Alkohol sein wird.“

Das wurde immer besser, Mark und Tobias hatten es immer noch im Kopf, dass ich keinen Alkohol mehr konsumierte. Wirklich sehr aufmerksam.

„Wie geht es deiner Familie, Marc?“, fragte Claus als der Kellner wieder gegangen war.

„Sehr gut, danke der Nachfrage. Lukas und Mick haben sich in Deutschland angesiedelt und sind mit dem Studium fertig. Luc ist mit Stef in München und arbeitet fleißig bei Karl Geiger und hat seine duale Ausbildung begonnen. Stef ist im Begriff seine Schule gut zu beenden und Sabine und ich genießen unsere Zeit und widmen sich unseren Hobbys.“

„Eins deiner Hobbys ist doch auch, die Jungs von Chris zu unterstützen? Oder wie kommt der erneute gemeinsame Besuch hier zustande?“

„Hahaha, der war gut. Ja, kann man so sagen. Es ist mir ein Bedürfnis das Projekt weiter zu begleiten und zu fördern, weil es gut ist. Bislang gibt es kein vergleichbares Team mit diesem Konzept. Genau wie euer Projekt der DFB. Auch hier gibt es nicht viel Vergleichbares. Es ist schön zu sehen wie eine Tradition aufrecht erhalten wird.“

„Ich habe da noch eine Kleinigkeit für euch“, meinte Claus, „ Marc hat ja vor einiger Zeit eine großzügige Spende an die DFB gemacht, daher bekommt Marc für ein Jahr freie Zugfahrt in allen DFB Zügen. Das heißt, nur Chris braucht ein Zugticket für morgen.“

Das war eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit, denn die Spende war eine sechsstellige Summe für den Bau der Wagenremise in Realp.

„Kannst du die Tickets dann morgen mit mir besorgen? Gibt es immer noch den Hotelpass? Da gab es doch einige Vergünstigungen?“, fragte ich Claus.

„Ja, ich glaube schon, dass es diesen Hotelpass noch gibt. Wir fragen Mark dazu. Ansonsten besorgen wir beide dann die Tickets für morgen.“

Es kam die Vorspeise und allein optisch war das ein Highlight. Diese Art des Gaumenschmauses ging bis zum Dessert weiter. Nach einem abschließenden Othello gingen wir noch ein wenig auf die Terrasse des Hotelcafés. Die Luft war noch sehr mild. Für diese Höhe nicht so häufig, auch noch bis Mitternacht draußen sitzen zu können.

Nach einem ausgiebigen Frühstück in frischer Bergluft, meinte Claus:

„Wir haben noch etwa eine halbe Stunde Zeit bis wir am Bahnhof sein müssen.“

Marc dachte wieder pragmatisch.

„Dann lasst uns gemeinsam aufbrechen. Es macht keinen Sinn, dass ihr vorher die Tickets besorgt. Wir bekommen die doch sicher auch am Bahnhof, oder?“

„Natürlich, aber du könntest hier noch in Ruhe einen Kaffee trinken und musst nicht unnötig Autogramme schreiben.“

Marc lachte darauf und erwiderte:

„Das ist doch kein Grund. Lasst uns lieber gemeinsam noch einen Kaffee trinken und dann zusammen aufbrechen. Claus, kannst du vielleicht noch einmal nach diesem Hotelpass fragen?“

Claus verneinte, weil Mark ihm bereits zugesagt hatte, den Pass für uns vorzubereiten und wir uns den vor dem Verlassen des Hotels abholen könnten. Damit war ich einverstanden. Es gab für uns noch einen Kaffee. Die Sonne hatte bereits genug Kraft, um die Jacken ausziehen zu können.

Und natürlich kam Mark an unseren Tisch und brachte uns die Hotelpässe mit denen wir bei vielen Dingen eine Vergünstigung erhielten. Mark wünschte uns viel Spaß und Claus bestätigte unseren Tisch für das Abendessen.

Auf dem Weg zum Bahnhof fragte uns Claus:

„Seid ihr eigentlich mit dem Zug oder mit dem Auto angereist?“

Eigentlich eine überflüssige Frage. Wenn Marc in der Schweiz mit dem Zug reisen würde, müsste er sich vermutlich in seinem Abteil einschließen.

„Mit dem Auto. Das mit dem Zug wäre für mich keine kluge Entscheidung. Ich würde ständig von Menschen nach einem Autogramm befragt werden. Das muss ich nicht haben. Erst recht nicht im Urlaub.“

„Klar, da hätte ich auch drauf kommen können. Das war keine gute Frage. Aber jetzt gehen Chris und ich Tickets kaufen.“

Ich gab Claus meinen Hotelpass und wir wollten schon in den Bahnhof gehen, um dort für mich die Tickets zu kaufen, als Marc uns unterbrach.

„Warte Claus. Ich komme mit. Ich habe Chris schließlich eingeladen, da kann es nicht sein, dass er als mein Gast für die Bahntickets etwas bezahlt.“

Das war wieder typisch Marc Steevens. Dieses Prinzip hatte also immer noch Gültigkeit. Es war jetzt auch klug, nicht mit ihm darüber zu diskutieren. Eines war mir aber auch klar, beim nächsten Besuch in Halle war ich Gastgeber und würde mich um ihn kümmern.

Schnell hatte Claus das passende Ticket besorgt und dann ging es an das Bahngleis. In Gletsch begegneten sich zwei Züge. Der eine kam aus Realp und fuhr weiter Richtung Oberwald und der andere, mit dem wir fahren wollten, kam aus Oberwald und fuhr Richtung Realp. In Gletsch war eine gute Möglichkeit wo sich die Züge auf der eingleisigen Strecke begegnen konnten. Dort gab es zwei Personenzuggleise und noch ein paar Rangiergleise.

Ein lautes Zugsignal und eine Dampfsäule aus Richtung Oberwald kündigten unseren Zug an. Eine akustische Augenweide das Schnaufen, Zischen und Schlagen der Dampflokomotive. Ich genoss jeden Augenblick dieser faszinierenden Technik aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Auch Marc schien sich für die alte Technik zu begeistern. Er stand vor dem Antriebsrad der Lok und machte Bilder.

Claus und ich standen am Bahnsteig und beobachteten die zahlreichen Touristen, die recht hektisch ein und ausstiegen. Claus blieb ruhig und wartete bis Marc seine Bilder gemacht hatte und dann bestiegen wir drei unseren Waggon. Es war der erste hinter der Lok. Von dort konnten wir das Arbeiten des Lokführergespanns genau beobachten. Es war immer ein Zusammenspiel zwischen Heizer und Lokführer. Je besser sie harmonierten, desto besser fuhr der Zug.

Und als sich der Zug mit beeindruckender Geräuschkulisse in Bewegung setzte, konnte man dieses Zusammenspiel bewundern.

Obwohl ich die Strecke bereits einige Male gefahren war und wusste, welch unglaubliche Ausblicke mich erwarteten, erfreute es mein Herz immer wieder aufs Neue. Einfach nur umwerfend. Für mich war dieses Mal ebenfalls überraschend, dass recht viele Jugendliche an Bord waren. Meist sind es Kinder im Grundschulalter oder eben erst wieder jenseits der zwanzig.

Marc machte jetzt sogar ein paar Videoaufnahmen. Claus und ich standen am offenen Fenster und genossen die Aussicht.

„Macht ihr im Sommer auch noch Instandhaltungsarbeiten wie im Winter oder beschränkt ihr eure Arbeiten jetzt auf den laufenden Betrieb?“, fragte ich ihn.

„Der Fahrbetrieb hat Priorität. Er erfordert so viel Aufwand, dass es wenig Sinn macht, größere Projekte parallel zu betreiben. Das wirst du noch bei der späteren Führung sehen, was momentan alles in der Werkstatt liegt und gemacht werden muss.“

„Ich denke, gerade für Marc ist das interessant. Er hat euch für die Remise mit einer großzügigen Spende geholfen. Da kann er sehen, wofür das Geld auch sonst noch gebraucht wird.“

„Ja, Geld wird leider immer gebraucht. Auch der Unterhalt der Loks und Züge kostet Geld. Für die DFB sind diese Menschen, die uns Geld spenden sehr wichtig. So große Zuwendungen wie von Marc sind von Privatpersonen aber eher selten. Meist sind das Firmen, die sich engagieren wollen.“

Marc beobachtete fasziniert die Arbeit des Lokpersonals. Claus stellte sich neben Marc und ich folgte etwas versetzt hinter den beiden. Claus erklärte die Abläufe und nach einiger Fahrzeit wies mich Claus darauf hin, dass wir die Fenster schließen sollten, da der Scheiteltunnel vor uns lag. Dort würde der Rauch und Dampf der Lok sonst in den Zug ziehen. Das war sicherlich nicht besonders gesund.

Schnell wurden alle Fenster geschlossen und dann wurde es dunkel. Wir fuhren durch den Scheiteltunnel. Das war der höchste Punkt der Strecke, von da an ging es wieder bergab.

Als es wieder hell wurde konnte man trotz der geschlossenen Fenster den Rauch in der Luft schmecken und riechen. Allerdings war das kein großes Problem, da unmittelbar nach dem Scheiteltunnel die Station Furka kam. Dort hatte der Zug einen längeren Aufenthalt. Die Fahrgäste konnten aussteigen und sich an dem imposanten Ausblick erfreuen, aber auch einen Imbiss und/oder Getränke erwerben.

Letzteres taten wir auch, eine kalte Erfrischung in Form einer Cola. Wir standen mit unseren Flaschen auf der anderen Seite der Gleise und schauten uns das Panorama an. Es war einfach atemberaubend schön. Allerdings spürte ich auch die Sonne deutlich stärker auf der Haut. Ich war Claus für seinen Hinweis, einen hohen Sonnenschutzfaktor zu verwenden, dankbar. Dennoch brannte meine Nase bereits. Also legte ich noch etwas Sonnencreme nach.

Marc schaute in die Ferne als er mich fragte:

„Eigentlich müsste man viel häufiger solche Dinge anschauen und genießen. Es ist so schön hier.“

„Allerdings“, reagierte ich, „ aber es wäre für mich auch sehr weit weg. Und die Schweiz ist für einen Deutschen recht kostspielig. Ich könnte mir hier keinen regulären Urlaub leisten. Ohne Claus und der Möglichkeit in Basel zu nächtigen und dann ein paar Tage im Depot sein zu dürfen, wäre es nicht zu bezahlen. Sonst würde ich gerne jedes Jahr auch für eine längere Zeit herkommen.“

„Aber du musst doch im Depot sicher auch für die Unterkunft bezahlen. Ihr werdet doch auch dort verpflegt.“

„Klar, aber das ist doch um einiges günstiger als im Hotel zu sein. Wobei Mark und Tobias im Glacier du Rhône noch recht umgängliche Preise haben. Und ich glaube, dass Claus dort auch einen anderen Preis bekommt als normale Gäste.“

„Nein“, widersprach Claus sofort, „ das stimmt so nicht. Aber Mark und Tobias sind der DFB sehr zugetan. Sie profitieren ja auch durch uns, da wir einige Touristen nach Gletsch bringen. Aber es stimmt natürlich schon, Mark und Tobias machen für gute Freunde gerne auch etwas. Sei es ein Essen umsonst oder eben auch mal ein paar Prozente auf die Abschlussrechnung. Das ist aber kein festes Abkommen. Sie machen es so wie es ihnen richtig erscheint. Ich kann mich jedenfalls nicht beklagen über ihre Art das Hotel zu führen und komme immer sehr gerne für ein paar Tage im Jahr her, um hier meine Ruhe zu haben.“

„Allerdings“, ergänzte ich, „Ich komme auch sehr gern ins Glacier. Dort fühle ich mich wie zu Hause. Ich werde behandelt wie ein guter Freund. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Wie in einer Familie. Das ist übrigens bei der DFB auch deutlich spürbar. Ich wurde hier sehr freundlich aufgenommen. Auch wenn ich ja wenig beitragen kann zur Arbeit. Ich werde respektiert.“

„Das liegt aber auch an dir. Du bist offen und neugierig auf die Leute zugegangen und hast dich interessiert für die DFB. Hier spüren die Leute, ob jemand das nur ausnutzen oder sich auch wirklich einbringen will. Du hast viele Fragen gestellt, die kaum ein Tourist stellen würde. Das hat Eindruck hinterlassen. Meine Dieselcrew hat mir vermittelt, dass du immer gern wiederkommen darfst. Und wer weiß, vielleicht kommst du ja auch noch einmal im Winter zum Arbeiten in der Werkstatt.“

Bevor ich Claus antworten konnte, ertönte ein lauter Pfiff. Ich schaute Claus erstaunt an.

„Das ist der Hinweis, dass der Zug in zehn Minuten wieder weiterfährt. Damit die Menschen ihr Essen beenden und sich auf die Weiterfahrt vorbereiten. Der Zug muss ja pünktlich abfahren.“

„Geht es jetzt bis Realp durch oder gibt es noch einen Halt?“, fragte Marc.

„Wir machen noch einen längeren Halt zum Wasser tanken. Da kannst du auch noch einmal Bilder machen“, erklärte Claus.

Nachdem die Lok später Wasser aufgenommen hatte und wir wohlbehalten nach einer erneut beeindruckenden Dampfzugfahrt in Realp angekommen waren, wurde Claus noch am Bahnsteig zum Fahrdienstleiter gebeten. Meistens hieß das für ihn Arbeit.

Marc und ich blieben vor dem Eingang für die Mitarbeiter stehen und beobachteten die Menschen, die permanent und eilig über den Bahnhof wuselten. Marc schüttelte nach kurzer Zeit seinen Kopf und meinte:

„Ich werde es nie verstehen. Warum hetzen die Menschen hier so? Sie sind doch im Urlaub. Da könnte es doch viel gemächlicher sein.“

„Eine gute Frage, aber ich erlebe bei mir selbst immer wieder, dass ich stets erst ein paar Tage brauche, bis ich wirklich im Urlaub angekommen bin. Dann kann ich auch auf mehr Gelassenheit achten.“

Marc schaute mich zweifelnd an und als ob Claus es gehört hätte:

„Dann solltest du aber noch genauer darauf achten, Chris. Ich finde, du bist selbst im Urlaub zu oft mit deiner Arbeit im Kopf beschäftigt.“

Ich zuckte mit den Schultern und Claus und Marc fingen an zu lachen.

„Okay, verschonen wir unseren Chris mit weiteren Spitzen.- Ich bin gerade gefragt worden, ob ich wohl eine Rangierfahrt übernehmen kann. Das dauert etwa zwanzig Minuten. Könnt ihr euch so lange beschäftigen. Es würde hier für den Ablauf einiges vereinfachen, wenn ich das mache.“

„Klar, kein Problem. Wir werden uns so lange an einem Getränk festhalten. Ich glaube, dort hinten gibt es Kaltgetränke und Kaffee.“

Marc zeigte auf einige Bierzeltgarnituren unter einem großen Sonnenschirm.

Mir war jetzt nach einem Latte Macchiato und Marc stimmte zu. Wir setzten uns an einen Tisch, nachdem Marc die Bestellung abgegeben hatte.

„Gibt es eigentlich keine anderen Lokführer, die das jetzt machen könnten?“, fragte mich Marc.

„Doch natürlich, aber es würde länger dauern und den Betrieb hier verlangsamen. Wenn Claus hier ist, springt er eben auf eine Rangierlok und fährt das. Dann kann der Bauzug oder was auch immer sofort weiterarbeiten. Und Claus ist da sehr hilfsbereit.“

„Ich verstehe. Das ist für mich faszinierend wie gut das alles organisiert ist. Ich kann keinen Unterschied zu einer normalen Bahngesellschaft erkennen. Auch der Bereich Sicherheit wird hier groß geschrieben. Der Fahrplan wird genauestens eingehalten. Ich bin beeindruckt.“

„Oh ja, der Fahrplan ist wichtig. Die Fahrgäste planen ja auch ihre Zeiten. Und da es eine eingleisige Strecke ist, müssen die Kreuzungspunkte genau abgestimmt sein. Sonst muss ein Zug auf den anderen länger warten. Das würde enorme Verzögerungen verursachen. Auch eine Rangierfahrt, so wie jetzt von Claus, muss mit dem Fahrdienstleiter abgesprochen sein.“

In diesem Augenblick hörten wir ein lautes, näher kommendes Brummen. Ich schaute nach rechts. Dort kam eine kleine Lok in den Bahnhof gerollt mit Claus im Führerstand. Er winkte uns zu und fuhr langsam an die Wagen auf einem Abstellgleis. Kaum hörbar dockte er an und ein Kollege koppelte die Wagen an. Dann gab es ein Handzeichen und Claus fuhr mit zwei Wagen im Schlepp aus dem Bahnhof in Richtung Depot. Dort würden die Wagen dann vermutlich beladen und dann später an den Arbeitsort gebracht werden.

Marc hörte mir aufmerksam zu, schaute aber immer wieder umher und sog diese Stimmung auf.

Genau das fiel mir noch schwer. Einfach runterfahren und den Kopf frei bekommen. Aber ich konnte es mittlerweile spüren. Daher hörte ich auf zu reden und atmete tief ein und aus.

Ein Vibrieren meine Handys machte mich aufmerksam. Ich schaute nach und wurde von einigen Bildern meiner Jungs überrascht. Sie waren sogar in Rügen auf dem Tennisplatz und hatten dort zwei Jungs kennengelernt. Ich zeigte Marc die Bilder und er schmunzelte.

„Das ist doch komisch. Da haben sie mal Urlaub und dann gehen sie trotzdem auf einen Tennisplatz. Aber so wie das aussieht, haben sie wohl Spaß gehabt.“

„Das sieht sehr danach aus, ja. Ich habe mal eine Frage. Wie ist das damals bei Luc gelaufen als er an Leukämie erkrankt war, habt ihr euch bei der DKMS registrieren lassen? Wobei du ja da noch gar nicht im Spiel warst.“

„Das ist eine gute Frage. Soweit ich weiß, wurde Sabine ja als Mutter zuerst auf die Möglichkeit einer Spende getestet. Dadurch ist sie bereits registriert. Ich habe mich mittlerweile noch nicht registrieren lassen. Das wollte ich aber immer noch tun. Mick und Lukas sind schon registriert. Leif durfte damals noch nicht, weil er gerade stark erkältet war.“

„Luc darf vermutlich nicht mehr als Spenderempfänger, oder?“

„Ganz ehrlich, das weiß ich gar nicht so genau. Das könnte aber so sein.“

Marc nahm einen Schluck und dann kam die von mir schon erwartete Frage:

„Warum fällt dir das Thema gerade hier ein? Ich hoffe, es gibt keinen akuten Anlass dafür.“

„Doch, genau deshalb. Aber sei beruhigt. Es ist kein Krankheitsanlass, aber wir möchten im Rahmen des Sparkassen Cups eine Typisierungsaktion machen und auch gleich mit einer AIDS Aktion mit der Michael Stich Stiftung verbinden. Ich denke, dass unsere jungen Spieler sich damit auseinandersetzen sollten. Es ist immer noch ein wichtiges Thema.“

„Absolut, das ist eine grandiose Idee. Ich werde das mit Luc und Sabine besprechen. Wann soll das stattfinden?“

„In etwa drei Wochen bei uns auf der Anlage. Der Sparkassen Cup ist ein großes Nachwuchsturnier. Das nutzen wir auch zur Sichtung von neuen, jungen Spielern.“

Marc nickte und ich konnte spüren, dass er sich damit auseinandersetzte.

„Das wäre doch eine gute Gelegenheit für mich, endlich die Registrierung nachzuholen. Mick und Lukas haben sich bereits registrieren lassen. Ich werde das mit meiner Familie besprechen. Aber ich werde diese Aktion auf jeden Fall unterstützen. Wie genau, das besprechen wir später noch einmal.“

Es dauerte nicht mehr lange, dann kam Claus wieder zu uns. Er nahm uns mit ins Depot und auf dem Weg dorthin kamen wir an der neuen Wagenremise vorbei. Marc wirkte beeindruckt von der Größe der Halle.

„So, ihr Lieben. Das ist unser letztes großes Projekt was mittlerweile fertig geworden ist. Auch dank Marcs großzügiger Spende konnte es in recht kurzer Zeit realisiert werden.“

Claus öffnete eine Nebeneingangstür und wir traten in die riesige Halle. Dort war es angenehm temperiert und längst nicht so warm wie draußen.

Claus führte uns einmal quer durch die Halle und erklärte dabei die Funktionsweise und warum das für die DFB so ein großer Gewinn war. Es ging in erster Linie um die Winterzeit. Hier konnten insbesondere die Wagen, die eine Holzrahmenkonstruktion hatten vor den Witterungseinflüssen geschützt werden. Damit sollte die Lebensdauer eines Wagens um ein Vielfaches verlängert werden können.

Im Anschluss marschierten wir die schmale Straße zum Depot hoch. Auf der rechten Seite lag ein moderner Golfplatz. Für mich ein totaler Anachronismus. Aber nun gut, der Ort profitierte von den reichen Touristen, die dort Golf spielten.

Im Depot wurde Claus von zwei jungen DFBlern begrüßt. Sie unterhielten sich auf Schwyzerdytsch und da verließ mich meine Sprachkenntnis. Ich konnte zwar einige Brocken verstehen, aber mehr auch nicht. Marc war da natürlich deutlich im Vorteil. Es ging um einen Defekt an einer Lok und sie hatten Claus darum gebeten, dass er die Lok bitte in die Werkstatt fahren möge.

Claus wirkte leicht gereizt, denn der vorige Lokführer hatte sie einfach auf dem Hof abgestellt und war gegangen.

Die beiden Jungs durften sie nicht bewegen ohne Lokführer. Also stand die Lok bereits den halben Tag herum und konnte nicht repariert werden.

Claus meinte zu uns:

„Sorry, aber ich muss die Lok eben in die Halle fahren. Dann können die beiden bereits mit der Reparatur beginnen. Dauert nicht lange. Wenn ihr möchtet, könnt ihr in der Kantine einen Kaffee trinken gehen. Chris kennt ja den Weg und weiß auch wie das mit der Kaffeemaschine funktioniert. Ich komme dann dort hin.“

Dustin: Ein lustiger Tag mit Simon und Mattes

Wir hatten gerade unsere Taschen aus dem Auto genommen und mit Papa vereinbart, dass wir anrufen würden, wenn er uns wieder abholen sollte. Die Sonne schien und es waren kaum Wolken am Himmel. Dadurch war es aber auch bereits recht warm.

Ich konnte weder Simon noch Mattes auf den ersten Blick erkennen. Daher machten wir uns auf den Weg in die Umkleide. Als wir das Clubhaus betraten, konnte ich sofort Mattes anhand seiner Stimme wahrnehmen.

Beim Betreten der Umkleide wurden wir von den beiden begrüßt. Sie waren schon fast umgezogen. Nur Mattes hatte seine kurze Hose noch nicht angezogen. Er stand also in Unterhose und drehte sich sofort weg als er die Hose anzog. Naja, ich fand es albern, aber jetzt wollte ich das nicht ansprechen. Es lohnte einfach nicht.

Simon war bereits fertig und ich konnte sehen, dass seine Griffbänder der Schläger schon ziemlich abgenutzt waren.

„Meinst du nicht, du solltest mal deine Griffbänder wechseln? Das kostet doch unnötig Kraft den Schläger damit festzuhalten.“

Er schaute mich an und erwiderte:

„Ja, könnte ich mal machen, aber ich habe keine Overgrips dabei.“

Fynn musste lachen.

„Hahaha, da kannst du froh sein, dass du nicht bei uns trainierst. Chris würde uns dermaßen in den Hintern treten, sollte einer von keine Overgrips in der Tasche haben. Das ist Standard, aber wir haben das auch erst lernen müssen.“

Fynn stellte seine Tasche wieder auf die Bank und öffnete einen Reißverschluss an der Seite. Dann griff er hinein und gab Simon und auch Mattes jeweils ein Griffband.

„Hier, wechselt schnell eure Griffbänder. Bis dahin sind wir auch fertig mit Umziehen und können direkt auf den Platz gehen.“

Sie bedankten sich und wenige Minuten später spielten wir uns bereits im T-Feld ein. Dieses Mal hatten sie sogar auch ihre Sprungseile dabei und hatten sich mit uns aufgewärmt.

Den ersten Satz spielte ich mit Simon und Fynn mit Mattes. Den konnten Fynn und Mattes gewinnen. Jetzt saßen wir auf der Bank und tranken aus unseren Trinkflaschen. Plötzlich meinte Simon:

„Scheiße, da kommt unsere Nummer eins der Herrenmannschaft. Hoffentlich lässt der euch in Ruhe. Der Typ ist echt ein bisschen Panne im Kopf.“

„Oh“, meinte Fynn, „warum ist das so? Hält er sich für den besten Spieler der Welt oder wie?“

„Ja, so ungefähr. Hier ist er auch sicher der beste Spieler, den wir haben. Allerdings hat er es nicht nötig auch mal mit uns zu spielen. Er meint halt, das wäre unter seinem Niveau.“

Krass, dachte ich. Das wäre ein Kandidat für Chris.

„Ihr habt ihn aber schon einmal gefragt ob er mit euch mal spielt?“, hakte Fynn jetzt nach.

„Natürlich, aber wenn du so abgewiesen wirst, fragst du kein zweites Mal.“

„Was macht der beruflich?“, wollte ich wissen.

„Er studiert wohl Jura und hat auch reiche Eltern. Sein Vater hat hier in der Nähe eine Kanzlei“, erklärte uns Mattes.

„Kommt, lasst uns noch etwas spielen. Solche Leute sind mir schon immer unsympathisch gewesen. Ich brauche so etwas ganz sicher nicht.“

Fynn nickte nur und gab mir einen Kuss zur Bestätigung. Anschließend gingen wir wieder auf den Platz und spielten weiter.

Leider blieb unser Spiel nicht ungestört, denn dieser Typ kam an unseren Platz und machte sowohl Mattes als auch Simon dafür dumm an, dass sie mit uns Schwuchteln spielen würden. Da könnten sie auch nichts lernen. Und es wäre ja kein Wunder, dass sie nicht besser werden.

Ich musste tief durchatmen, weil ich Fynn kannte und er sich das garantiert nicht gefallen lassen würde. Mattes und Simon war das furchtbar unangenehm und sie entschuldigten sich mehrfach bei uns. Plötzlich ging Fynn zu diesem Typen an den Zaun und machte ihm eine Ansage:

„Pass auf, wenn du schon so homophobe Ansichten kundtust, und dich wohl für unschlagbar hältst, dann komm auf den Platz und zeig mir ob du wirklich so gut bist. Ich will ein Match gegen dich spielen und zwar sofort. Dann werden wir ja sehen ob du Tennis spielen kannst oder nur eine dicke Fresse hast.“

Das war eine offene Kriegserklärung und ich wusste genau, sollte sich der Typ auf den Platz begeben und diese Herausforderung annehmen, würde Fynn alles dafür machen, um ihm sein Unvermögen zu zeigen. Mattes und Simon wollten Fynn eigentlich noch warnen, aber das interessierte meinen Freund überhaupt nicht mehr.

Was allerdings danach passierte war besser als jeder große Kinofilm. Fynn führte den Typen einfach vor. Er ließ ihn erst von links nach rechts über den Platz laufen und machte dann einfach den Punkt. Oder er holte ihn nach vorn ans Netz und passierte ihn dann, ohne dass er eine Chance bekam an den Ball zu kommen. Beim Spielstand von 4:0 für meinen Schatz hatten wir bereits zwanzig Zuschauer am Platz und die interessanterweise fast alle für Fynn waren. Fynn schlug nun zum 5:0 auf und fabrizierte vier Asse in Folge. Die Bälle schlugen mit enormer Wucht hinter seinem Gegner im Zaun ein.

Mattes und Simon saßen immer noch neben mir auf der Bank und realisierten so langsam, was da gerade auf dem Platz passierte. Mattes fragte mich dann leise:

„Wie gut seid ihr eigentlich? Das ist ja unfassbar. Ihr habt doch bislang völlig untertrieben mit euren Fähigkeiten.“

Ich zuckte nur mit den Schultern und dann war der Satz auch schon mit 6:0 vorbei. Und der Gipfel der Unsportlichkeit kam erst noch. Der Typ ging nach dem Satz einfach wortlos vom Platz. Kein zweiter Satz, erst recht kein Handshake. Das war absolut unsportlich. Führte aber dazu, dass Fynn von allen Anwesenden lauten Applaus bekam als wir den Platz abzogen.

Mattes und Simon blieben auf der Bank sitzen und sprachen miteinander. Ich konnte nicht hören was sie besprachen, da ich ja den Platz abzog.

Als ich damit fertig war, ging ich zur Bank und wollte meine Tasche nehmen. Mattes fragte mich:

„Wo steht ihr wirklich in der Rangliste? Ihr seid doch noch viel besser als ihr uns bislang gesagt und gezeigt habt. Was Fynn hier gerade abgeliefert hat, war mega geiles Tennis. Das sah schon eher nach Weltklasse aus als alles was ich bislang gesehen habe.“

Mein Schatz hatte mittlerweile auch die Bank erreicht und die Frage wohl noch mitbekommen. Spontan reagierte er darauf.

„Sorry, ich wollte das eigentlich nicht, aber der Typ ist so Panne im Kopf. Dustin steht knapp unter 200 und ich bei 180 in der Rangliste. Aber das soll für euch unwichtig sein. Wir haben viel Spaß mit euch und wenn es zeitlich passt, spielen wir übermorgen noch einmal hier. Ich wollte dem Arschloch nur zeigen, was für ein kleines Licht er im Tennis ist. Ich mag diese geistigen U-Boote einfach nicht. Daher habe ich eben richtig gespielt. Ich hoffe, das wird ihm im Gedächtnis bleiben.“

„Ob das hilft weiß ich nicht“, meinte Simon, „aber jetzt begreifen wir wie gut ihr wirklich seid. Das war beeindruckend. Und ich kann mir vorstellen, dass ihr bald auch auf den großen Turnieren spielen werdet. Ihr seid doch noch nicht mal achtzehn.“

„Aber nicht, dass ihr jetzt nicht mehr mit uns spielt“, lachte ich, „ich fand das nämlich bislang total cool mit euch.“

„Genau“, ergänzte Fynn, „und wir haben noch etwas Zeit. Also gehen wir nach dem Duschen im Clubhaus noch etwas trinken, einverstanden?“

Simon und Mattes staunten etwas, aber wir gaben ihnen „high five“ und dann verließen wir gemeinsam den Platz.

Ich war doch schon etwas kalt geworden und so war ich schnell aus meinen Sachen und lief unter die heiße Dusche. Fynn kam bald hinterher und besonders cool fand ich es, dass Mattes heute auch mit zum Duschen kam. Ich konnte jetzt auch verstehen, warum es ihm vielleicht etwas unangenehm sein würde. Er hatte noch keine Schambehaarung und auch noch einen recht kindlichen Penis.

Auch Simon achtete überhaupt nicht auf diese Dinge und wir sowieso nicht. Also ein ganz normales Duschen. Mattes zögerte noch etwas, aber nach einigen Augenblicken standen wir zu viert unter der Dusche.

Fynn und ich hatten es nicht so eilig wie Mattes. Er war schon nach wenigen Augenblicken wieder in der Umkleide. Aber er hatte sich mit uns unter die Dusche gestellt. Ein klarer Fortschritt.

Simon war das sichtlich unangenehm. Er wollte sich für Mattes entschuldigen.

„Hey, warum willst du dich für Mattes entschuldigen? Er hat doch einen großen Schritt nach vorn gemacht. Lass ihm Zeit und bald wird das kein Problem mehr sein. Wenn er spürt, dass es dich überhaupt nicht stört, dass er noch nicht so entwickelt ist. Sprecht ihr eigentlich über so etwas miteinander? Oder seid ihr nicht so eng befreundet?“, fragte Fynn ihn.

Simon musste lachen.

„Doch, ich denke schon, dass ich sein bester Freund bin. Und ja, es stimmt schon. Wir sprechen auch über das Thema. Aber, naja, also ich weiß nicht, ob ich jetzt dazu etwas sagen sollte, wenn er nicht dabei ist.“

„Nein, musst du nicht“, warf ich ein, „ das solltest du nur tun, wenn er wieder dabei und damit einverstanden ist. Ich finde es gut, dass du so damit umgehst.“

Damit war das erledigt und als ich mit dem Handtuch aus der Dusche kam, war Mattes bereits gegangen. Ich zog mich an und Fynn und Simon kamen auch recht bald hinterher.

Eine überraschende Geste erwartete uns dann im Clubhaus. Mattes hatte bereits eine Runde Getränke bestellt und die wartete bereits auf dem Tisch auf uns.

„Ich habe jetzt eine Runde Cola bestellt. Ich hoffe, ihr dürft überhaupt so etwas trinken.“

Ich musste lachen. Fynn fand das auch sehr lustig und erwiderte:

„Ja, wir sind ja im Urlaub und Chris ist nicht da. Aber Spaß beiseite, natürlich dürfen wir auch Cola trinken. Wir wissen selbst, was wir wieviel trinken oder essen dürfen. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.“

Fynn und ich setzten uns nebeneinander an den Tisch. Sie erzählten uns, dass sie auch örtliche Turniere spielten und hier bereits in ihrem Jahrgang Kreismeister waren.

„Wie oft trainiert ihr denn?“, fragte ich.

„Ein oder zweimal in der Woche. In jeder zweiten Woche trainieren wir zweimal in der Woche. Ich würde schon gern häufiger trainieren, aber das ist einfach zu teuer.“

Simon wirkte dabei etwas enttäuscht. Mattes ergänzte:

„Das Training macht schon Spaß. Nur hier im Nord-Osten sind nicht viele Turniere. Vielleicht spielen wir in diesem Jahr auch ein paar Herrenturniere. Bislang haben wir nur Jugendkonkurrenzen gespielt.“

Ich überlegte einen Moment und bekam eine Idee.

„Bis wann habt ihr hier noch Ferien?“

„Noch knapp zwei Wochen. Warum?“, fragte Mattes.

Jetzt schaute mich Fynn an und ich wusste sofort an seinem Blick, dass er begriffen hatte worauf ich hinaus wollte. Er gab mir mit einem Blinzeln seine Zustimmung.

„Vielleicht könnt ihr in drei Wochen bei uns im Sparkassen Cup mitspielen. Das ist ein offenes Jugend- und Nachwuchsturnier. Ich denke, dass könnte für euch sehr interessant werden. Außerdem würdet ihr Chris mal kennenlernen und wie bei uns trainiert wird.“

Damit hatte ich die beiden komplett überrascht.

„Dafür sind wir bestimmt nicht gut genug. Außerdem ist das weiter weg von hier. Wie sollen wir dahin kommen? Meine Eltern müssen dann beide wieder arbeiten.“

Simon hingegen fragte nach:

„Was sind denn die Anmeldevoraussetzungen? Welche LK muss man haben?“

„Das kann ich dir aus dem Stegreif gar nicht sagen, aber ich kann das mal eben nachschauen. Bei „My bigpoint“ kann man das ja einsehen.“

Ich nahm mein Handy und hatte mich schnell dort eingeloggt. Dann konnte ich das Turnier aufrufen.

„So wie ich das sehe, gibt es keine Begrenzung. Nur das Hauptfeld ist auf ein 64 er Feld begrenzt. Wer nicht ins Hauptfeld kommt, kann aber eine Qualifikation spielen. Also von daher könntet ihr euch auf jeden Fall anmelden. Und ich denke, um die Unterbringung kümmern wir uns. Chris wird bestimmt nichts dagegen haben. Aber wir sollten Chris fragen. Ich schreibe ihm mal eine WhatsApp in die Schweiz.“

Dann erzählten wir noch ein wenig von uns und wie unsere Geschichte gelaufen war. Mattes und Simon hörten uns aufmerksam zu und ich hatte gar nicht bemerkt, dass Papa schon hinter uns stand.

„Na, ihr beiden. Habt ihr wieder Spaß gehabt?“, fragte er uns als ich gerade eine kleine Pause gemacht hatte.

Ich drehte mich überrascht um.

„Hallo Papa, möchtest du dich noch etwas zu uns setzen. Oder haben wir keine Zeit mehr?“

Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu uns an den Tisch. Allerdings bat er uns, nicht mehr zu lange hier zu verweilen, da Mama und Patrick aus der Stadt noch abgeholt werden mussten.

Von Chris hatte ich noch keine Antwort erhalten. Aber wir konnten uns mit Simon und Mattes noch einmal verabreden bevor wir wieder nach Hause fuhren. Bis dahin sollte sich Chris bestimmt gemeldet haben.

Wir hatten uns für übermorgen wieder verabredet. Und damit verabschiedeten wir uns wieder von den beiden neuen Freunden.

Als wir im Auto saßen, fragte mich Fynn:

„Sollten wir versuchen, dass sie zum Sparkassen Cup zu uns kommen? Ich finde beide sehr nett und ich könnte mir vorstellen, dass Chris sie auch mag.“

„Ich mag sie auch beide. Allerdings wird das aufwendig wenn die in Halle mitspielen würden. Aber da finden wir bestimmt eine Lösung. Wir warten mal ab, was Chris meint und vor allem was ihre Eltern dazu sagen. Übermorgen werden wir sicher schon mehr wissen.“

Papa drehte sich um und sagte für uns überraschend:

„Es werden doch bestimmt einige Spieler von weiter entfernt kommen. Die müssen doch auch untergebracht werden. Oder wie läuft das ab?“

„Ja Papa, aber die meisten kommen entweder mit einem Wohnmobil oder zelten auf der großen Wiese vor Platz dreizehn. Ich weiß nicht ob sie das allein einfach so dürfen. Also von ihren Eltern her.“

Papa nickte und fuhr mittlerweile vom Parkplatz.

„Aber ihr scheint euch ja gut zu verstehen. Da findet sich bestimmt eine gute Lösung wenn sie denn wirklich mitspielen wollen. Was anderes, kommt ihr heute mit uns mit? Wir wollen gleich nach Prora. Dort gibt es einiges an spannenden Dingen zu entdecken. Unter anderem auch ein beachtenswertes Fahrzeugmuseum.“

Ich schaute meinen Freund an. Das hörte sich interessant an. Wir stimmten sofort zu und ich freute mich, wieder mit der ganzen Familie unterwegs zu sein.

Marc: Eine Überraschung für Chris

Mittlerweile hatten wir mit Claus die komplette Führung durch das Depot gemacht und es gab vor der Werkstatt ein Gefährt, dass unsere Aufmerksamkeit geweckt hatte. Ich war schlichtweg beeindruckt von der Größe. Dort standen wir und ich musste Claus fragen:

„Was für ein gewaltiges Teil ist das hier? Sieht aus wie eine riesige Schneeschleuder oder ein Windrad.“

„Ja, richtig. Das ist eine der letzten funktionierenden Dampfschleudern der Welt. Sie wurde in jahrelanger Arbeit restauriert und wieder betriebsbereit gemacht. Wir sind jetzt im Testbetrieb und führen noch Feinarbeiten durch. Ob sie bei der Schneeräumung tatsächlich eingesetzt werden kann, muss man noch abwarten. Ihre Leistung ist natürlich nicht mit einer modernen Schneefräse zu vergleichen. Aber sie hat einen großen historischen Wert für die DFB.“

Claus öffnete uns die Tür zum Führerstand und erklärte uns die Funktionsweise. Das war beeindruckend was die Ingenieure damals im Jahr 1913 gebaut hatten.

Faszinierend mit welchen technischen Mitteln solche Kunstwerke gebaut wurden. Und sie funktionierten vor allem auch.

Claus schaute zwischendurch immer wieder zur Uhr. Was mir überhaupt nicht klar war, wir mussten ja noch wieder zurück nach Gletsch und ich hatte natürlich das Auto in Gletsch stehen, da wir ja mit dem Dampfzug gefahren waren.

Chris schien einen ähnlichen Gedanken gehabt zu haben, denn er fragte Claus:

„Wie kommen wir eigentlich zurück nach Gletsch? Wir sind ja mit dem Zug hierher gefahren. Gibt es noch einen Zug zurück nach Gletsch?“

„Ja genau“, antwortete Claus, „ wir hätten noch etwa zwanzig Minuten, dann müssten wir wieder zum Bahnhof. Es fährt noch ein Dieselzug bis Gletsch. Den brauchen wir aber nicht zu nehmen. Ich habe mein Auto hier stehen. Wir fahren mit dem Auto über den Furkapass zurück. Heute ist tolles Wetter, da können wir auch noch an einigen Stellen eine Pause machen und uns den Ausblick in die Berge gönnen. Bis zum Abendessen bei Mark und Tobias haben wir noch genug Zeit.“

„Sehr schön. Dann können wir uns ja hier noch in Ruhe umsehen.“

Ich war einfach beeindruckt von den ganzen Dingen hier bei der DFB.

„Genau das machen wir auch noch“, meinte Claus und nahm uns mit in die Dampflokhalle.

Puh, das war mächtig was dort stand. Eine Lok stand mit offener Front vom Kessel. Man konnte dort viele Löcher in einer massiven Stahlwand erkennen.

Claus erklärte uns die Arbeiten und wir konnten förmlich in das Innenleben der Lok schauen. Jetzt musste ich für meine Jungs ein paar Bilder machen und bat auch Claus und Chris sich auf einigen Bildern zu positionieren.

Auch die ganzen Triebstangen und Kolbenstangen mit den polierten Lagern waren beeindruckend. Und alles war blitzblank und sah nahezu neuwertig aus.

Auch die Mechaniker wuselten fleißig umher und in der Lok herum. Immer wieder wurden Kommandos gerufen und es herrschte reges Treiben.

Claus zeigte uns noch seinen Bereich mit der Lackiererei in der Dieselwerkstatt und dann wurde es noch einmal spannend. Er führte uns zu dem Bereich, in dem die Dampfloks mit Kohlen und Wasser befüllt wurden. Es war spannend zu sehen, welcher Aufwand getrieben werden musste, bevor eine Dampflok nur einen Meter fahren konnte. Und immer wieder musste ich daran denken, dass nahezu alle Menschen hier ehrenamtliche Mitarbeiter waren, die dafür ihren Urlaub gaben.

Die Zeit raste nur so dahin, aber ich genoss jede Minute dort und auch Chris wurde mit jeder weiteren Stunde in Realp entspannter und lockerer. Jetzt hatte ich aber noch ein Anliegen an Claus. Da musste ich noch eine günstige Gelegenheit finden.

„Sag mal, Claus. Ihr habt doch eine eigene Küche bei euch mit einem eigenen Koch. Werden dort alle gleichzeitig zum Essen kommen?“

Chris schaute mich fragend an, sagte aber nichts. Während Claus sich umdrehte und erwiderte:

„Normalerweise gibt es um zwölf Uhr Mittagessen für alle Mitarbeiter, die sich angemeldet haben. Das hat bei uns Tradition.“

„Das finde ich gut. Werden wir an einem der Tage mal mit der Belegschaft gemeinsam essen?“, fragte ich.

„Ja, ich habe uns für morgen ausnahmsweise zum Mittagessen angemeldet. Ich hoffe, dass dir das recht ist. Es ist natürlich nicht so ausgefallen wie bei Mark und Tobias. Aber es ist gut. Wir haben eine gute Kochin in der Mensa.“

„Sehr gut. Das gefällt mir. Auch der Imbiss auf der Furka heute war sehr gut. Dann also morgen Mittagessen im Depot.“

Chris wirkte irritiert. Er meinte:

„Also bislang habe ich hier immer hervorragend gegessen. Und es gab auch immer reichlich. Also verhungern muss hier niemand“, lachte er.

Wir hatten alle unseren Spaß dabei. Claus zeigte uns dann noch das Fahrdienstleiterbüro und dann wurde es auch schon wieder Zeit Richtung Gletsch aufzubrechen. Es stand die Fahrt über den Furkapass an. Das wollte ich mir genau anschauen, denn es hatte einige Arbeiten an der Straße gegeben. Das könnte für später noch wichtig sein.

Claus kannte wirklich tolle Stellen, an denen wir angehalten hatten.Dort gab er uns interessante Informationen zur Aussicht. Ich war beeindruckt von der Ortskundigkeit von Claus.

Allerdings spürte ich bei Chris bald eine gewisse Müdigkeit. Ich fragte ihn als wir eine wunderbare Aussicht genossen:

"Ist bei dir alles in Ordnung?"

"Hm, ja, geht so. Ich habe ziemliche Kopfschmerzen. Das kommt sehr selten in dieser Intensität vor. Ich habe mich vermutlich noch nicht auf die Höhe eingestellt. Und ich muss zugeben, dass ich heute recht wenig getrunken habe.“

Claus zog eine Augenbraue hoch als er das vernommen hatte und meinte:

„Du bist doch nicht das erste Mal hier. Langsam solltest du wissen, dass hier das ausreichende Trinken sehr wichtig ist. Möchtest du eine Flasche Wasser? Ich habe dafür immer ausreichend Wasser im Auto. Außerdem ist es auch nicht mehr weit nach Gletsch. Bei Mark und Tobias bekommen wir sicher genug Flüssigkeit.“

Dabei schmunzelte Claus und auch Chris musste lachen.

Chris bedankte sich für das Wasser und innerhalb weniger Augenblicke war die kleine Plastikflasche leer. Das sah nach Durst aus. Kein gutes Zeichen. Ich musste da verstärkt drauf achten, damit Chris gerade im Gebirge mehr Flüssigkeit zu sich nehmen würde. Auch im Hinblick auf das, was ich noch mit ihm geplant hatte.

Kurze Zeit später stellte Claus sein Auto auf dem Parkplatz des Glacier du Rhône ab. Die Sonne schien wieder und eine angenehm kühle Brise schlug uns entgegen. Das war mir schon aufgefallen, dass in Gletsch häufiger mehr Wind herrschte als in Realp.

Zufälligerweise hatte Claus direkt neben meinem SF90 geparkt und er schaute sich das Kunstwerk an.

„Das ist doch bestimmt dein UFO, Marc. Oder? So viele Ferraris mit diesem Kennzeichen dürfte es hier nicht geben.“

„Ja, das stimmt. Das ist meiner. Ich konnte nicht widerstehen. Gerade wegen der Passstraßen mit dem SF90 herzukommen. Chris soll ja auch etwas Spaß haben.“

Claus fing an zu lachen und meinte dann:

„Was haltet ihr von einer kühlen Erfrischung auf der Sonnenterrasse nach einer Dusche?“

Chris drehte sich um und stimmte zu:

„Ja, das ist eine gute Idee. Genug Zeit haben wir doch noch. Außerdem hat mir Jan eine Mail geschickt. Die würde ich auch erst beantworten.“

„Das muss aber sehr wichtig sein. Er weiß doch, dass du im Urlaub bist.“

Ich fand das nicht gut, dass Chris im Urlaub mit der Arbeit belästigt wurde. Auch Claus wunderte sich. Chris reagierte auch recht besorgt:

„Ja, deshalb möchte ich sie auch direkt lesen. Eigentlich schreibt keiner vom Team im Urlaub etwas Dienstliches. Das muss also schon wichtig sein.“

Da ich schnell geduscht hatte, konnte ich die Zeit nutzen um mit Mark und Tobias etwas zu besprechen. Ich traf Mark im Empfangsbüro an und fragte:

„Hast du Zeit für mich? Ich möchte dich um etwas bitten.“

Er schaute von seinem Schreibtisch hoch und kam zu mir an den Tresen.

„Was können wir für euch tun?“

„Ich habe geplant, mit Chris ein paar Tage mit den Motorrädern über die Pässe zu fahren. Er soll davon aber noch nichts wissen. Das soll eine Überraschung werden wenn Claus ab Montag wieder im Fahrdienst bei der DFB ist.“

Mark lächelte und meinte:

„Das halte ich für eine tolle Idee. Womit können wir dir dabei helfen?“

„Ich habe dafür geplant, zwei meiner Motorräder herbringen zu lassen. Die kennt Chris aber bereits. Wir können sie also nicht einfach auf den Parkplatz stellen. Hast du eine Idee wo wir die sicher unterbringen können?“

„Aber sicher doch. Für Töffs haben wir eine extra Garage. Die ist auch abschließbar. Wann kommen die beiden Motorräder denn an?“

„Das hört sich super an. Sie sollen am Montagmittag gebracht werden. Das Problem ist nur, dass ich zu der Zeit mit Chris unterwegs bin. Könnt ihr vielleicht die Bikes in Empfang nehmen und dort unterstellen?“

„Natürlich, das ist überhaupt kein Problem. Schlüssel dürften vermutlich bei den Maschinen sein. Oder?“

„Ja, genau. Und damit es keine Probleme gibt, werde ich den Spediteur informieren, dass er sich bei euch im Hotel melden soll. Damit würdet ihr mir sehr helfen.“

„Sehr gerne. Eine andere Frage, werdet ihr am Montagabend zum Essen zurück sein?“

„Ja, natürlich. Wir werden wieder hier gemeinsam essen. Claus wird abends auch mit uns essen. Er hat Dienstschluss in Oberwald und Chris wird ihn dort abholen.“

„Sehr schön, das freut uns natürlich. Also braucht ihr weiterhin einen Tisch für drei Personen?“

Ich bestätigte ihm das und anschließend suchte ich mir einen schönen Platz auf der Sonnenterrasse. Eigentlich gab es hier nur Dinge aus dem Selbstbedienungsbereich, aber da der eigentlich schon geschlossen hatte, kam ein junger Angestellter zu mir an den Platz und fragte mich nach meinen Wünschen.

„Können Sie uns bitte drei Cocktails bringen? Sie sollten nicht zu süß sein und vor allem alle ohne Alkohol. Meine beiden Freunde werden sicher auch gleich hier sein.“

Er fragte mich nach meinen Ideen und Geschmackswünschen und wir einigten uns erst einmal auf drei Ipanema.

Bevor Claus und Chris bei mir waren, brachte der Kellner uns die drei Cocktails. Entsprechend erstaunt schauten Claus und Chris, als sie gut gelaunt zu mir an den Tisch kamen.

Claus fragte lachend:

„Wow, jetzt kommen hier die harten Sachen auf den Tisch, oder wie? Aber Chris trinkt doch überhaupt keinen Alkohol.“

Chris schien sofort begriffen zu haben, dass ich natürlich für ihn keinen Cocktail mit Alkohol bestellen würde.

„Ich glaube, Marc würde für mich niemals ein Getränk bestellen in dem Alkohol ist. Das dürfte ein Ipanema sein. Da Marc auch kaum Alkohol trinkt, sollten es wohl drei Ipanemas sein und keine Caipirinhas.“

„Sehr gut kombiniert, Chris. Also setzt euch und ran an die leckeren Sachen“, lachte ich.

Wir prosteten uns zu und dabei fiel mir auf, dass ich hier im Hotel noch nicht um Autogramme gebeten wurde. Allerdings wurden wir von einigen Gästen beobachtet. Claus hatte das auch bemerkt und ihn schien es etwas zu stören. Er schaute sich immer wieder um, während Chris und ich eher die Landschaft und den Ausblick genossen.

„Was hat dir eigentlich Jan für eine Email geschrieben?“, fragte Claus.

Chris stellte sein Glas auf den Tisch und erwiderte:

„Nichts Gravierendes. Er hat mich darüber informiert, dass mein Vater im Garten gestürzt ist und sich schmerzhafte Prellungen zugezogen hat. Es ist aber nichts gebrochen und meine Mutter hat sich wohl sehr erschrocken. Aber jetzt scheint alles unter Kontrolle zu sein.“

„Ist Jan denn zu Hause?“, fragte ich.

„Nein“, meinte Chris, „ aber meine Schwägerin und die wird sich auch kümmern.“

„Sehr gut, also du kannst hier bleiben“, fragte Claus.

„Ja, meine Mutter würde mich vermutlich vierteilen, wenn ich deswegen meinen Urlaub abbrechen würde.“

„Ich übrigens auch“, grinste ich, „Deine Mutter hat die Situation gut erkannt. Aber natürlich ist es wichtig, dass du Bescheid weißt. Falls sich die Lage verschlechtert, kannst du jederzeit reagieren.“

„Vor allem weil mein Vater wieder einmal gemeint hat, dass er noch dreißig ist. Er ist manchmal einfach nur stur und beratungsresistent. Aber vielleicht hilft das jetzt etwas, wenn es weh tut.“

Claus seufzte, als ich das gesagt hatte. Ich wusste von ihm, dass es mit seinem Vater auch nicht so einfach war. Er konnte mich also gut verstehen.

Wir saßen noch eine Weile in der Abendsonne, aber die Zeit schritt voran und es wurde Zeit, für das Abendessen in den Speisesaal zu gehen. Wir bekamen unseren gewohnten Tisch und als wir Platz nahmen, bekamen wir auch gleich die Ledergefassten Abendkarten.

Unsere Getränkewünsche wurden aufgenommen und ich hatte für das Essen eine Idee.

„Was meint ihr? Ich hätte wohl Lust mit euch das vier Gänge Menu zu probieren. Das klingt richtig interessant.“

Claus schien genauso angetan zu sein. Chris zögerte.

„Was ist denn ein Walliser Teller? Das liest sich komisch mit dem Trockenfleisch. Darunter kann ich mir gar nichts vorstellen.“

Claus schmunzelte und erwiderte vielsagend.

„Genau deshalb wird es Marc vorgeschlagen haben. Ich finde es genial. Und auch den Hauptgang solltest du wirklich probieren. Die Suppe sollte jeder so wählen wir er möchte. Beim Dessert musst du wahrscheinlich fragen was du davon essen kannst. Da wird mit Sicherheit auch Alkohol dabei sein.“

Chris überlegte einen Moment und fragte nach einem Begriff.

„Was ist denn „Hamme“? Das habe ich noch nie gehört?“

„Das ist eine Schweizer Spezialität. Ein von Hand gemachter, über Buchenholz geräucherter Schinken. Er ist mild gesalzen und fein würzig. Sehr zart und geschmackvoll. Er reift mindestens über sechs Monate in Bergluft“, erklärte Claus.

Mittlerweile war der junge Hotelmitarbeiter wieder an unseren Tisch gekommen, um unsere Bestellung aufzunehmen.

Wir hatten uns für den „Walliser Teller“ als Vorspeise entschieden. Das war eine große Platte in unserem Fall für drei Personen.

Chris hatte sich dann für die Karotten-Vanille Suppe entschieden, Claus und ich wählten die Kartoffel-Lauch Suppe.

Als Hauptgang bekamen wir wieder für alle den Hackbraten „Glacier du Rhône“ mit Kartoffelstock und Gemüse.

Das Dessert wollten wir erst nach dem Hauptgang auswählen. Chris hatte den Kellner noch gebeten, sich zu erkundigen in welchen Desserts Alkohol verwendet wurde. Bevor der Kellner wegging, hatte er Chris seine Frage aus dem Stegreif beantworten können. Chris bedankte sich und wir waren wieder unter uns am Tisch.

Es folgte noch ein gemütlicher Abend im Kaminzimmer vor dem brennenden Kamin.

Fynn: Aufpassen auch bei Süßigkeiten

Nachdem wir gemeinsam eine Kleinigkeit gegessen hatten, brachen wir nach Prora auf. Das war eine gewaltige Gebäudeanlage mit historischer Vergangenheit. Sie wurde von den Nationalsozialisten des dritten Reiches erbaut und lag direkt am Ostseestrand. Nur eine Düne schützte das Areal vor dem Wasser. Es waren mehrere große, langgezogene, aus Beton gegossene Gebäude. Der größte Teil wurde von den Nazis nicht mehr fertiggestellt und stand viele Jahrzehnte als Ruine dort herum.

Nach der Wende wurde ein Teil nach dem anderen zu sehr teuren und edlen Eigentumappartements umgebaut. Es gab dazu auch einiges an Informationen, aber für mich wirklich interessant war der Ostseestrand. Dort konnte ich mit Dustin und Patrick mal so richtig durch den Sand toben und auch wieder ins Wasser laufen.

Unsere Eltern blieben doch lieber im Sand, schauten uns aber zu und als wir zurückkamen, mussten beide lachen. Wir waren natürlich nicht mehr ganz trocken und auch ordentlich mit Sand eingestaubt.

Meine Mutter meinte lachend:

„So könnt ihr unmöglich ins Auto einsteigen. Klopft euch mal den Sand ab und dann geht’s zum Auto. Ich habe in weiser Voraussicht für unsere kleinen Kinder Wechselsachen eingepackt. So könnt ihr ja nicht mit uns in das große Fahrzeug- und Technikmuseum gehen.“

Ich schaute Mama an und auch Dustin war sichtlich irritiert. Patrick ging direkt in die Protesthaltung. Er wollte sich am Auto nicht umziehen. Das wäre doch peinlich und überhaupt. Da blieb mein Schatz total cool und gab ihm die passende Antwort.

„Kein Problem, Patrick. Du gehst dann zu Fuß nach Hause. Gefällt mir, dann haben Fynn und ich hinten viel mehr Platz zum Kuscheln.“

Das kam so ernsthaft rüber, dass ich für einen Moment gedacht hatte, Dustin meinte das ernst. Patrick war beleidigt und meckerte weiter rum.

„Sag mal, was ist dein Problem“, fragte ich ihn, nachdem ich bereits meine Hose ausgezogen hatte und mir die trockenen Sachen anzog, „seit wann stellst du dich an wie ein Mädchen beim Umziehen? Hast du Schiss, irgendjemand schaut dir was weg?“

Auch Dustin war bereits komplett umgezogen und wir warteten nun nur noch auf Patrick. Für mich erstaunlich war mein Vater. Er hatte die ganze Zeit geduldig neben Mama gestanden und kein Wort gesagt. Aber sein Grinsen im Gesicht verriet mir, dass er uns das Feld überlassen hatte.

Patrick kriegte sich auch wieder ein, nachdem er bemerkt hatte, dass wir alle nicht bereit waren auch nur einen Millimeter nachzugeben.

Im Auto erhielt ich von Chris eine Nachricht. Er schickte uns Bilder von einem Ausflug auf einen Gletscher. Das waren beeindruckende Bilder mit phänomenalen Lichteffekten in einer Gletschergrotte.

Ich reichte mein Handy an alle einmal weiter. Papa schaute sich die Bilder erst an als wir auf dem Parkplatz des Museums ausgestiegen waren.

„Das wirkt richtig cool, oder Papa? Dieses Blau sieht aus, als ob man das Eis eingefärbt hätte.“

„Wie?“, fragte Patrick dazwischen, „ist das keine Farbe im Eis?“

„Nein, das ist die natürliche Wirkung des Lichtes durch das Eis“, erklärte Papa.

„Krass, das sieht total heftig aus“, meinte mein kleiner Bruder.

Meine Mutter wollte noch wissen:

„Wie kalt ist das denn dort? Das muss auch jetzt noch unter null Grad sein.“

„So ganz genau weiß ich das nicht. Aber draußen in der Sonne ist es wohl deutlich über Null. Sonst könnte ja der Gletscher nicht schmelzen, so wie Chris das geschrieben hat.“

Mittlerweile standen wir vor dem Eingang und Papa war zum Kassenhäuschen gegangen um nach einem Familienticket zu fragen.

Bei mir machten sich leider die Gedanken erneut selbstständig. Diese Situation mit dem gemeinsamen Ausflug voller Harmonie ohne Streit, löste einerseits große Freude in meinem Herzen aus, aber auch Skepsis und Unverständnis über die vergangenen Jahre des Terrors und der Demütigungen.

Mein kleiner Bruder konnte es schon wieder nicht abwarten und quengelte vor einem großen Tor der Halle. Es ging ihm wieder nicht schnell genug, endlich in die Ausstellung zu kommen. Das nervte mich zunehmend.

Allerdings hatte mein Schatz wieder genau hingeschaut und ging zu Patrick an das Garagentor und schaute durch die kleinen Lichtfenster in die Halle. Das lenkte Patricks Aufmerksamkeit auf die Fahrzeuge. Mama stand neben mir und fragte:

„Was geht dir gerade durch den Kopf, mein Sohn? Außer dass dich Patrick wieder nervt.“

Ich muss wohl ziemlich blöd geschaut haben, denn Mama fing an zu lachen. Aber ich konnte nicht begreifen, wie sie das so bemerken konnte. Manchmal war mir das richtig unheimlich, dass es so schien als ob sie meine Gedanken lesen könnte.

„Ich stelle mir die Frage, wie kann es sein dass Alkohol so einen großen Einfluss auf das Wesen eines Menschen bekommt? Ich freue mich unheimlich über diesen gemeinsamen Urlaub und kann es auch genießen mit euch gemeinsam Zeit zu verbringen. Allerdings tauchen auch Erinnerungen an weniger schöne Dinge mit Papa auf. Das macht mich unruhig.“

„Warum wundert dich das? Ich empfinde es als normal. Du hast schon so viel erreicht und ich bin so glücklich, dass du dich mit Dustin auf die Annäherung zu deinem Vater einlassen kannst. Chris hat es doch auch gesagt, ihr braucht noch viel Zeit und Ruhe. Du solltest mit deinem Vater über deine Empfindungen reden. Nur so werdet ihr beide einen guten Weg finden.“

„Das ist so einfach gesagt, Mama. Mein Kopf sagt mir das auch, aber manchmal überkommen mich diese Erinnerung wie eine Flutwelle und ich fühle mich dem hilflos ausgeliefert.“

„Ja, das kann ich heute gut verstehen. Seit wir regelmäßig in die Selbsthilfegruppe gehen, habe ich viel gelernt. Aber du musst lernen gerade in diesen Situationen mit deinem Vater zu sprechen. Vielleicht nicht hier, aber später wenn wir zurück sind. Nehmt euch Zeit zum Reden.“

Papa kam mit den Tickets zurück und das war für Patrick das Zeichen. Er stürmte sofort auf den Eingang zu und wäre am liebsten gleich durchgelaufen.

Mama blieb aber ruhig bei mir stehen und ließ Patrick bewusst noch etwas warten. Auch Papa musste über Patricks Shownummer nur den Kopf schütteln. Allerdings überließ er Mama den Kommentar.

„Ich glaube, wir sollten für Patrick wieder eine Leine einführen. Kleinkinder müssen von ihren Eltern immer unter Kontrolle bleiben.“

Das gab Patrick den Rest. Er verdrehte die Augen, hatte aber verstanden, dass er nur hineinkommen würde, wenn er sich mehr zurücknehmen würde.

Es war spannend in diesem Museum. Das war kein gewöhnliches Fahrzeugmuseum, sondern es stellte den Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland in den Vordergrund. In den unterschiedlichen Jahrzehnten und auch in den unterschiedlichen Fahrzeugklassen und Größen.

Besonders interessant waren auch die unterschiedlichen Lokomotiven und Sonderfahrzeuge der Feuerwehr und Polizei. Vor jedem Fahrzeug stand eine kleine Schautafel mit Erklärungen zur Entwicklung oder einer Besonderheit des Fahrzeuges.

Es gab sogar eine Limousine des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honnecker. Eine verlängerte Version eines Volvos 240.

Leider fand Patrick diese Ausstellung doch nicht so spannend. Ihm fehlten die Ferraris und Lamborghinis.

Dustin und ich nutzten aber die weitläufigen Hallen um auch mal ungestört vor einem Fahrzeug zu stehen und sich in den Arm zu nehmen.

Mein Handy signalisierte mir einen Nachrichteneingang. Ich schaute nach und Chris hatte mir eine Antwort auf unsere Frage bezüglich Simon und Mattes geschrieben.

Ich zeigte sie meinem Freund und das Lächeln in Dustins Gesicht sprach für sich. Chris hatte uns darin bestärkt, dass sie mitspielen sollten. Die Unterkunft würden wir dann bei Bedarf sicher klären können.

„Was habe ich dir gesagt? Chris wird sich bestimmt noch vor unserem nächsten Spiel mit den beiden melden. Und was ist passiert? Chris hat sich gemeldet.“

„Jaja, wie so oft hast du Recht behalten. Aber wenn die beiden ohne Eltern kommen, dann müssen sie ja irgendwie betreut werden und auch irgendwo übernachten. Chris scheint damit ja kein Problem zu haben.“

„Richtig, weil es bestimmt eine Lösung geben wird. Chris hat bestimmt eine Idee, sollte es soweit kommen. Vielleicht spielen sie auch gar nicht mit, dann würden wir uns jetzt Gedanken um ungefangene Fische machen.“

Dustin überlegte, aber schwieg daraufhin. Ich nahm ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss.

„Schau mal, wenn sie auf der Anlage nicht zelten dürfen, fragen wir Martina ob sie nicht bei uns in der WG übernachten können. Einer kann bei uns auf der Couch schlafen und bei Tim oder Carlo kann auch einer auf einer Matratze schlafen. Für ein paar Tage geht das doch.“

Dustin nickte und einige Zeit später waren wir wieder alle zusammen auf dem Weg zum Ausgang.

Im Auto fragte mein Vater in die Runde:

„Wie hat es euch gefallen? Ich fand es spannend immer ein West-Auto gegenüber einem Ostfahrzeug zu haben. Da konnte man gut vergleichen. Auch die Entwicklung von verschiedenen technischen Epochen im Automobilbau zu sehen war klasse.“

„Aber es gab keine geilen Supercars. Das war doch langweilig. Nur die großen Lokomotiven fand ich cool.“

Patrick wieder. Gut, es interessierten ihn eben nur die hochmotorisierten und spektakulären Autos. Aber mir ging seine Art schon wieder auf die Nerven.

Meine Eltern hielten auf dem Rückweg noch bei einem Bäcker. Mama wollte noch Brötchen für den nächsten Tag einkaufen. Patrick wollte unbedingt mit in den Laden. Er hatte wohl gehofft, dass Mama ihm ein Stück Gebäck kauft. Und tatsächlich kam Patrick mit einer Tüte in der Hand wieder nach draußen.

Unterwegs traute er sich aber nicht etwas davon zu essen. Papa mochte es überhaupt nicht, dass im Auto gegessen wurde. Patrick hatte das anscheinend noch nicht vergessen und wollte es auch nicht ausprobieren.

In unserem Appartement haute er sich allerdings gleich drei von diesen Nougatkugeln rein. Wir waren mit Mama und Papa in der Küche und hatten begonnen das Abendessen vorzubereiten. Heute hatten wir nur einen kleinen Imbiss zu Mittag gehabt. Also waren Dustin und ich richtig hungrig und wollten daher eine große Pfanne Bratkartoffeln machen. Papa hatte die Idee dazu etwas zu grillen. Ein paar Würstchen und Steaks. Das würde also ein richtiges Festessen. Dustin half Mama den Salat zu machen. Patrick hatte sich ins Wohnzimmer verdrückt und somit hatten wir mit Mama viel Spaß in der Küche.

Mama regte sich nur ein bisschen über Patrick auf. Sie fand das nicht gut, dass er sich noch vor dem Essen seine süßen Kugeln eindrehte.

Beim Essen war die Stimmung allerdings wieder entspannt und auch Patrick hatte ordentlich reingehauen. Papa fragte Patrick:

„Hast du noch welche von den Nougatkugeln? Ich finde, du könntest allen eine als Nachtisch geben.“

Entgegen des sonstigen Theaters, stand Patrick auf und holte seine Tüte aus dem Wohnzimmer. Er reichte sie herum und jeder nahm sich eine Kugel. Allerdings legte Papa seine zuerst noch auf den Tisch, während ich meine sofort in den Mund steckte. Genau wie Dustin. Patrick hatte sich gleich zwei in den Mund gesteckt.

Ich erschrak als ich das Nougat schmeckte. Sicher, es war sehr lecker, aber ich hatte auch ein anderes Aroma noch im Gaumen gespürt.

„Papa, ich weiß nicht, aber das schmeckt nach Alkohol. Dustin, was sagst du? Mama?“

Meine Mutter war richtig ein wenig geschockt. Reagierte dann aber besonnen.

„Ja, Fynn. Ich schmecke es auch. Das sollte uns allen eine Lehre sein.“

Patrick verschluckte sich förmlich als er das vernommen hatte. Er schaute mich ungläubig an.

„Warum darf ich das dann kaufen? Ich darf noch keinen Alkohol trinken und dennoch wird es in der Bäckerei verkauft. Und da stand auch nichts auf dem Schild, dass da Alkohol drin ist.“

Er hatte die Brisanz der Situation noch gar nicht vollständig erfasst. Dustin hingegen wurde fast panisch und regte sich auf.

„Boah, wie fies ist das denn? Das muss nicht einmal draufstehen, dass das mit Alkohol gemacht wurde? Was wäre denn wenn Papa das jetzt gegessen hätte. Seine Kugel liegt ja noch auf dem Tisch.“

Dabei zeigte er auf die kleine Schokoladenkugel.

Papa blieb ruhig und was jetzt folgte, hatte ich nicht erwartet. Papa erklärte uns die Situation:

„Das ist genau das Problem für Alkoholkranke. Jeder muss auf sich aufpassen und achtgeben was er essen sollte und was nicht. Ich denke, Chris hat euch das schon erklärt. Aber ich möchte es für Patrick auch noch einmal tun. Zuerst freue ich mich natürlich sehr, dass mein Sohn mich sofort darauf hingewiesen hat. Dennoch ist es ganz allein meine Verantwortung, was ich zu mir nehme und wo ich vorsichtig sein muss.“

Patrick legte seine Tüte wieder auf den Tisch und hörte ganz gespannt zu. Er wagte es nicht einmal mehr, seine Kugeln weiter zu essen.

„In der Klinik habe ich gelernt, bei welchen Lebensmitteln ich aufpassen und im Zweifel nachfragen sollte. Jegliche Art von Pralinen oder Konfekt aus einer Bäckerei sollte für mich mit Vorsicht belegt sein. Daher habe ich es auch nicht sofort gegessen. Jetzt ist für mich klar, ich sollte sie nicht essen.“

Dann gab er Patrick seine Kugel zurück und nickte ihm beruhigend zu. Dustin war immer noch aufgeregt. Aber auch da hatte Papa ein neues Gespür entwickelt. Er legte meinem Freund seine Hand auf die Schulter:

„Du musst dich nicht aufregen, Dustin. Es wäre nicht deine Verantwortung wenn ich das gegessen hätte. Es ist ganz allein meine Entscheidung wie ich mit diesen Dingen umgehen muss. Aber für mich ist es natürlich ein wunderschönes Gefühl, dass ich mich auf meine Kinder verlassen kann und dort unterstützt werde, meine Alkoholkrankheit zu bearbeiten. Dafür danke ich euch sehr. Es sollte aber auch für Patrick kein Drama sein. Er kann das noch nicht wissen und lernt etwas daraus. Es gibt Dinge in denen Alkohol verarbeitet wird, die für alle normalen Menschen kein Problem darstellen. Für mich könnten sie aber verheerende Folgen haben. Deshalb bin ich auch ganz allein dafür verantwortlich.“

„Ich finde das total bescheuert, dass es nicht einmal einen Hinweis dafür gibt“, polterte Patrick los, „das ist doch gefährlich, auch für kleine Kinder. Die essen doch auch gerne Schokolade.“

Papa nickte und erwiderte dann:

„Ja, grundsätzlich muss ich dir zustimmen. Es ist aber so, dass es in Deutschland Gesetze gibt, die genau vorschreiben, ab welcher Menge Alkohol es draufstehen muss. Für dich oder für die beiden großen Jungs ist diese geringe Menge völlig ungefährlich und wird keinerlei Wirkung haben. Für mich ist aber allein schon der Geschmack des Alkohols gefährlich.“

In diesem Moment konnte ich mich an ein Gespräch mit Chris erinnern. Damals hatte er uns das auch so eindringlich erklärt. Ich war da genauso geschockt wie heute. Obwohl ich es eigentlich gewusst hatte, habe ich erst gegessen und dann reagiert. Für Papa oder auch für Chris wäre das möglicherweise zu spät. Eine bittere Erfahrung.

Allerdings hatte mich Papa damit heute bestärkt, dass wir mehr miteinander reden müssen. Auch bei anderen schwierigen Dingen. Nur so wäre eine Überwindung der Ängste und Enttäuschungen möglich. Chris hatte uns das schon vor Wochen immer wieder gesagt. Heute wurde es auch mir begreif- und fühlbar.

Im weiteren Verlauf des Abends hatte dieses Erlebnis zwar noch nachgewirkt, aber meine Eltern versuchten, uns mit einer Runde Doppelkopf schnell auf andere Gedanken zu bringen. Bei diesem Spiel musste sich Patrick konzentrieren wenn er nicht hoch verlieren wollte. Und er hasst es zu verlieren. Also konzentrierte er sich und spielte auch über eine Stunde sehr gut mit. Erst danach wurde er nachlässig. Papa hatte ein gutes Gespür und meinte:

„Wollen wir eine Pause machen und gleich noch eine Runde spielen oder ist es für euch genug?“

Patrick wollte, wie meistens, noch nicht aufhören, daher einigten wir uns auf eine kleine Pause im kleinen Garten vom Haus.

Ich nutzte die Gelegenheit mit Dustin ein wenig Zärtlichkeit zu tauschen. Mittlerweile hatten wir auch keine Angst mehr im Beisein unserer Eltern. Dennoch war ich etwas erschrocken als sich meine Mutter neben uns bemerkbar machte.

„Wollen wir weiterspielen oder möchtet ihr doch lieber noch für euch etwas Zeit haben?“

„Nein, nein. Das passt schon. Lasst uns noch etwas spielen. Es ist einfach schön heute.“

Dafür musste ich meinen Freund einfach küssen. Er hatte es herrlich auf den Punkt gebracht.

Wir spielten noch eine ganze Weile ohne Streit mit Patrick. Kaum zu glauben. Gegen Mitternacht lag ich mit meinem Freund im Bett und wir sprachen noch über das Erlebte:

„Heute war Patrick aber richtig umgänglich beim Doppelkopf. So könnte es echt mal eine Zeit bleiben“, seufzte Dustin.

„Ja, da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Er kann echt anstrengend sein. Aber was mir noch wichtiger ist, Papa hat die ganzen Tage nicht einmal gemeckert oder gar sich aufgeregt. Es ist so schön hier. Aber es wird auch langsam Zeit, dass wir wieder ernsthafter trainieren. Sonst sind wir eingerostet. Die Zeit hier ist toll, aber dann muss es auch wieder richtig los gehen, oder was meinst du?“

„Ja, allerdings. Aber erst wenn wir wieder in Halle sind. Jetzt ist noch Urlaub und Chris hat uns doch gesagt, dass wir auch richtig Urlaub machen sollen.“

Dabei ging seine Hand schon auf Wanderschaft. Mir kamen aber auch noch andere Gedanken.

„Was denkst du zu Simon und Mattes? Die beiden sind doch eigentlich richtig talentiert. Sie könnten viel besser spielen wenn sie anders trainieren würden.“

„Worauf möchtest du hinaus?“

„Naja, wir sollten sie zu unserem Turnier einladen. Also richtig offiziell. Dann könnten sie vielleicht einen oder zwei Tage schulfrei bekommen und mitspielen. Ich möchte sie gerne Chris vorstellen und er soll sich die beiden anschauen. So gut wie Carlo können sie auch werden. Und sie sind noch jünger als Carlo.“

Ich bemerkte allerdings schnell, dass Dustin momentan ganz andere Bedürfnisse hatte und seine Argumente waren sehr überzeugend. Daher verschob ich diese Gedanken auf den nächsten Tag und genoss die Zeit mit meinem Freund bis wir entspannt einschliefen.

Den nächsten Tag hatten meine Eltern als Faulenzertag eingeplant. Dustin und ich waren den ganzen Tag entweder am Strand oder im Garten an unserem Quartier. Allerdings hatte ich die Zeit genutzt mit meinem Freund noch einmal intensiv über Simon und Mattes zu reden. Das Ergebnis war, dass ich Chris geschrieben hatte und ihm die Lage erklärt hatte.

Als ich die Nachricht abgeschickt hatte, überkam mich ein schlechtes Gefühl. Chris war im Urlaub und wir konnten unsere Ungeduld nicht zügeln. Mir wurde bewusst, dass das keine gute Entscheidung war.

Als wir abends alle zusammen im Garten saßen und dem Sonnenuntergang zuschauten, fragte mich Mama:

„Fynn, was geht dir schon seit Stunden durch den Kopf? Irgendetwas beschäftigt dich doch.“

Mist, das wollte ich vermeiden. Auch Papa hatte jetzt sein Buch an die Seite gelegt und schaute zu mir. Mein Freund blickte fragend zu mir und ich fühlte mich gerade gar nicht gut.

Tief ausatmend reagierte ich:

„Ja, Mama. Du hast wie so oft Recht. Mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf. Es betrifft Simon und Mattes. Das heißt, eigentlich geht es um Chris und mich.“

„Jetzt wird es aber interessant. Möchtest du uns vielleicht davon erzählen?“, fragte mein Vater freundlich.

Das verwirrte mich noch mehr. Ich war es einfach nicht mehr gewohnt, so von ihm behandelt zu werden. Respekt- und liebevoll. Es bahnte sich bei mir ein Gefühlschaos an. Nur wegen dieser blöden Nachricht. Das konnte doch nicht sein.

Dustin spürte es und setzte sich ganz nah zu mir. Aber es half ja nichts. Meine Mama hatte mich gefragt und erwartete eine Antwort.

„Ich habe gerade ein Problem. Das ist aber eigentlich eine Nichtigkeit und dennoch beschäftigt es mich. Ich habe Chris eine Nachricht geschrieben, in der es um Simon und Mattes geht. Ich habe ihn gefragt ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, sich die beiden einmal anzuschauen. Sie haben meiner Ansicht nach großes Talent und werden hier aber nicht ausreichend gefördert.“

Mein Vater blieb aufmerksam auf seinem Stuhl sitzen, während meine Mama überlegte. Ich konnte es ihr ansehen, dass sie begriffen hatte was mein Problem war. Wie so oft.

„Und deine Ungeduld hat dich dazu gebracht, Chris im Urlaub damit zu belasten. Das ist jetzt dein schlechtes Gewissen was dich beschäftigt?“

„Ja“, nickte ich zögerlich, „aber nicht nur. Es ist momentan alles so viel was auf mich einwirkt. Dieser Urlaub mit euch ist so unglaublich schön. Ich habe es einfach nicht erwartet, dass es schon so toll werden würde. Dennoch überkommen mich manchmal die Gedanken an die furchtbaren Jahre. Ich finde es manchmal einfach ungerecht, auch Papa gegenüber. Ich kann mich aber nicht dagegen wehren. Sie überrollen mich dann einfach.“

Dustin spürte meine Anspannung und legte mir seinen Arm ganz eng um mich. Er gab mir viel Sicherheit, aber ich war sehr aufgewühlt. Und die folgende Stille machte es nicht einfacher.

Mama schaute Papa an. Ich wollte doch die gute Stimmung nicht zerstören. Mein Herz raste.

Dann kam von Papa eine Reaktion.

„Fynn, was ist daran verwerflich? Es ist doch total menschlich und ich würde mir Sorgen machen wenn du heute schon alle Dinge ausblenden könntest. Es wäre nicht ehrlich und auch nicht gut für die Bearbeitung unserer Dinge. Dafür werden wir vermutlich Jahre benötigen. Ich finde es toll wie du mir und deiner Familie eine Chance gibst. Aber überfordere dich nicht damit. Dein Gespür für Chris ist so typisch für dich. Du hast das Bedürfnis, für deine neuen Freunde etwas zu tun. Chris ist sicher der Richtige dafür, aber er hat auch genauso Urlaub wie du und Dustin. Es war nicht klug, aber es ist doch kein Beinbruch. Chris wird wissen wie er damit umgehen soll. Wenn es dir hilft, schreib ihm doch noch einmal und erkläre ihm die Situation. Ich glaube, Chris ist nicht dein eigentliches Problem. Was du gerade angesprochen hast, ist für mich einfach nur super. Es gibt mir die Möglichkeit auf dich eingehen zu können. Du bestimmst das Tempo und den Zeitpunkt. Aber ich möchte dich bitten, verlange nicht zu viel von dir. Lass uns Schritt für Schritt darüber sprechen, wann immer diese Gedanken kommen. Teile sie mit deinen Freunden und natürlich mit mir. Ich bin nicht immer für dich greifbar. Du bist unterwegs oder in Halle, aber teile sie mit Dustin oder mit Chris. Sie hören dir zu und wann immer wir Gelegenheit haben zusammen zu sein, kannst du mir deine Sorgen, Ängste und Wut mitteilen. Wir müssen miteinander reden. Da beziehe ich Dustin übrigens voll mit ein. Er ist mittlerweile ein fester Baustein deiner Persönlichkeit geworden.“

Was mein Vater gerade gesagt hatte, kam in meinem Kopf zwar an, aber ich konnte es nicht so schnell verarbeiten.

Wieder reagierte Papa und meinte zu Dustin und mir:

„Wollt ihr einen kleinen Rundgang machen? Du musst darauf nicht antworten. Ich kann mir vorstellen wie heftig diese Gegensätze in deinem Herzen sein müssen. Kämpfe nicht, lass es einfach noch so stehen und lass uns schauen wie wir damit umgehen können.“

Dustin hatte es entschieden, er nahm mich einfach am Arm und ging mit mir aus dem Garten auf die Straße und einfach los. Schweigend.

Erst Minuten, nachdem wir einige Straßen gegangen waren, fragte er mich:

„Wie geht es dir jetzt?“

„Ich weiß es nicht so genau. Eigentlich ganz gut. Ich bin immer noch unruhig.“

Dustin nahm mich noch fester in den Arm und glücklicherweise tauchte eine Bank auf. Dort setzten wir uns hin und schwiegen.

„Weißt du“, begann ich, „eigentlich war das ein klasse Gespräch mit Papa. So etwas habe ich mir jahrelang gewünscht. Dann ist es da und ich bekomme Angst, Wut und Unsicherheit ob ich das gerade richtig mache. Ist es wirklich mein Vater, der mir das gesagt hat? Diese Zweifel finde ich so furchtbar. Auch wenn ich weiß, dass es so ist und nicht ungewöhnlich. Es fühlt sich dennoch nicht gut an.“

„Du sagst es doch gerade selbst. Es ist doch alles gut. Warum willst du wieder Rom an einem Tag erbauen, wie Chris das immer sagt. Ich weiß auch, dass Geduld nicht zu deinen großen Stärken zählt, dennoch bist du gerade einen riesigen Schritt auf deinen Vater zugegangen. Und weißt du was das Tollste daran ist? Er ist dir nicht mehr ausgewichen. Er hat sich hingestellt und deine Fragen versucht zu beantworten und dich ernstgenommen. Jetzt hast du den ersten Schritt getan. Er ist nicht wieder davongelaufen oder hat sich herausgeredet, er hat sich dir gestellt und worüber ich total stolz bin, du hast seine Hand nicht ausgeschlagen. Jetzt könnt ihr weitermachen.“

„Nein, Dustin. Wir können weitermachen. Du bist genauso ein Teil unserer Zukunft und Papa hat es klar gesagt. Du gehörst zu mir, zu unserer Familie. Er hat es begriffen. Wir gehören zusammen. Und er hat es akzeptiert und will mit uns gemeinsam einen Weg suchen und finden.“

„Ja, das stimmt. Warum bist du so durcheinander? Eigentlich ist doch alles bestens.“

Dabei schaute er mich wieder so unschuldig an, dass ich nur noch lachen konnte. Jetzt fühlte ich mich besser und wir konnten zurück gehen.

Etwas mulmig wurde mir allerdings als wir wieder durch das Gartentor gingen. Unsere Eltern saßen immer noch dort und es schien so als ob sie auf uns gewartet hätten. Papa stand auf und kam uns entgegen.

„Wie geht es euch jetzt?“, fragte er ruhig.

„Danke, Papa. Ich habe mich mit Dustins Hilfe wieder beruhigen können. Ich möchte dir sagen, dass ich es gut gefunden habe wie du mit mir gesprochen hast. Ich muss lernen mich besser darauf vorzubereiten. Und ja, wir reden wieder miteinander. Das ist schön. Das soll bitte auch so bleiben, auch wenn es nicht immer einfach ist.“

Papa sagte nichts, er nahm uns beide einfach ganz fest in den Arm und wir setzten uns zu Mama an den Gartentisch. Es gab noch kalte Getränke und wir schauten uns noch einige Zeit den mittlerweile dunklen Sternenhimmel an.

Was mir jetzt erst auffiel, wo war Patrick eigentlich?

„Mama, wo ist Patrick eigentlich hin? Den habe ich den ganzen Abend nach dem Essen nicht mehr gesehen.“

„Hahaha, ich habe schon gedacht, du merkst es gar nicht. Er ist zum Sohn unserer Vermieter. Sie spielen dort Playstation. Heute war das ganz praktisch. So konnten wir das ungestört zu Ende führen. Er soll aber um halb elf wieder hier sein. Ich hoffe, dass er das auch macht.“

„Ach, lass ihn doch ruhig. Wir haben doch Urlaub. Ich glaube, er würde sich nur langweilen wenn er mit uns hier sitzt. Für einen schönen Sternenhimmel ist er doch eh nicht zu begeistern.“

Mama stutzte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich für Patrick Partei ergreifen würde. So ließ sie sich auch darauf ein, dass Patrick erst um halb zwölf zurück kam. Allerdings hatte er zuvor gefragt ob er länger bleiben dürfe.

Nach dieser Aufregung klang der Abend doch noch angenehm aus. Auch konnten Dustin und ich eine ruhige Nacht verbringen. Das gab mir ein gutes Gefühl am nächsten Tag.

Der nächste Tag stand erneut im Zeichen unserer Verabredung mit Simon und Mattes. Obwohl wir durch dieses Spielen nicht im Ansatz gefordert wurden, freute ich mich wieder auf diese Verabredung.

Allerdings hatten Dustin und ich uns auch vorgenommen, eine richtige Trainingseinheit zu absolvieren. Ich hatte Sorge, dass unsere Form leiden würde wenn wir nur abhängen und nur unsere Laufeinheiten machen würden.

Daher hatten wir unseren Termin so verändert, dass ich mit Dustin zuerst eine Stunde Matchtraining mache und Simon und Mattes in dieser Zeit auch miteinander spielten. Erst im Anschluss wollten wir dann noch gemeinsam etwas Doppel spielen und viel Spaß haben.

Das gemeinsame Frühstück empfand ich mittlerweile als einen angenehmen Beginn des Tages. Papa nahm sich immer Zeit und blieb auch so lange bei uns sitzen bis jeder mit dem Frühstück fertig war.

„Was macht ihr heute?“, fragte Dustin in die Runde.

Papa legte die Zeitung an die Seite und erklärte uns:

„Mama und ich werden heute mal in die Stadt fahren und ein wenig bummeln gehen. Wir holen euch dann später am Tennisplatz wieder ab. Heute Abend wollen wir gemeinsam essen gehen.“

„Äh, und was macht Patrick den ganzen Tag?“

Da fiel mir auf, dass Patrick gar nicht mehr am Tisch saß.

„Der will mit dem Sohn unserer Vermieter ins Schwimmbad und bleibt den Tag bei ihnen in der Familie. Wie uns die Eltern erzählt haben, benimmt er sich dort sehr ordentlich.“

„Ach? Das ist ja interessant. Gut, dann kann er uns wenigstens nicht nerven. Chris hat uns übrigens noch Bilder geschickt. Ich glaube, dass er dort viel Spaß hat und es ihm gut geht. Luc und Stef geht es in München auch gut. Luc hat wohl sehr viel zu tun im Moment. Er muss viel lernen neben der Arbeit bei Karl.“

Unsere Eltern hörten interessiert zu und es breitete sich ein gutes Gefühl bei mir aus, dass wir über diese Dinge sprechen konnten.

Etwas später hatte Papa uns zum Tennisplatz gebracht und war mit Mama direkt weiter gefahren nach Stralsund.

Dustin und ich hatten uns mit Simon und Mattes aufgewärmt und spielten bereits einige Minuten von der Grundlinie Vorhandralleys. Noch waren wir beim gemäßigten Tempo und konnten dabei sogar noch ein paar lockere Sprüche machen.

Simon und Mattes spielten auf dem Nebenplatz und entsprechend gut war die Stimmung auf beiden Plätzen.

Dustin und ich hatten das Tempo immer mehr gesteigert und schlugen uns den Ball mit hoher Energie um die Ohren. Allerdings ohne viel Bewegung. Es ging nur um den Rhythmus und die Geschwindigkeit.

Nach einiger Zeit wechselten wir auf die Rückhandseite und das Ganze begann von vorn. Erst als wir richtig im Schweiß standen, hielt Dustin den Ball an und meinte:

„Lass uns eine Trinkpause machen.“

Ich war einverstanden und so saßen wir bald nebeneinander auf der Bank und schauten Simon und Mattes bei ihrem Spiel zu. Sie hatten mittlerweile damit begonnen einen Satz zu spielen.

„Das sieht wirklich nicht schlecht aus, oder?“, fragte ich meinen Schatz.

„Nein, absolut nicht. Sie müssten mehr für ihre Beinarbeit machen, aber technisch ist das schon sehr ordentlich. Für ihr Alter spielen sie auch schon ein gutes Tempo. Im Aufschlag sehe ich allerdings noch viele technische Probleme. Da wird deutlich, dass sie halt nicht so oft trainieren.“

„Genau. Insbesondere Mattes wirft den Ball nicht hoch genug und streckt sich daher zu wenig. Da muss er aufpassen, sonst kann das zu Armproblemen führen.“

Dustin fing an zu lachen, gab mir einen Kuss und meinte:

„Du hörst dich schon so an wie Chris. Aber es stimmt was du sagst. Vielleicht können wir ja gleich mit ihnen dazu mal etwas üben. Fragen können wir sie ja ob sie das möchten.“

Danach klatschte ich Dustin ab und wir gingen wieder auf den Platz. Jetzt wollten wir noch drei sogenannte „Zehner“ spielen.

Während des dritten „Zehners“ bemerkte ich, dass Simon und Mattes bereits bei uns am Zaun standen und unser Spiel beobachteten. Dustin und ich schenkten uns nichts und wir kämpften um jeden Punkt. Entsprechend ausgeglichen verlief auch das Spiel.

So kam es zu einem Spielstand von 17:17. Plötzlich meinte Dustin überraschend:

„Lass uns mit einem Unentschieden aufhören. Heute ist keiner von uns verdienter Sieger.“

Das irritierte mich. Allerdings war mir das nach zehn Sekunden Bedenkzeit sehr angenehm. Ich ging ans Netz und besiegelte das Ende unseres Spiels mit einem Kuss. Simon und Mattes betraten erst danach unseren Platz. Simon fragte:

„Wenn ihr euch so die Kugeln um die Ohren haut, ist das dann nicht total langweilig wenn ihr anschließend mit uns Amateuren spielt?“

Dustin reagierte prompt und sehr bestimmt:

„Nein, Tennis ist nie langweilig. Und ihr spielt übrigens für euer Alter und das geringe Training richtig gut. Fynn und ich haben eben schon gesagt, dass ihr echt Talent habt, Wenn ihr möchtet, können wir euch auch noch ein paar Dinge zeigen, die ihr vielleicht verbessern könnt. Und danach spielen wir dann noch einen Satz Doppel.“

„Ja, sehr gerne. Was ist euch denn aufgefallen?“, fragte Simon.

Ich erklärte Mattes das Problem beim Aufschlag. Dustin nahm sich Simon an und erklärte ihm, wie er seinen Volley verbessern konnte. Schnell waren wir in einer angeregten Diskussion und sowohl Mattes als auch Simon erwiesen sich als gelehrige Schüler. Leider hatten wir dabei nicht darauf geachtet uns trockene Sachen anzuziehen. Erst als ich mich in den nassen Sachen unangenehm fühlte, unterbrach ich unsere „Lehrstunde“

„Sorry Leute, aber ich muss mir erst ein trockenes Hemd anziehen. Eigentlich wäre es sogar besser wir ziehen uns einmal komplett um. Spielt ihr doch in der Zeit noch ein wenig ohne uns.“

Dustin stimmte mir dankbar zu. In der Umkleide meinte er dann:

„Danke, Schatz. Ich habe auch nicht darauf geachtet. Es wäre echt zu blöd, wenn wir aus dem Urlaub kommen und Rückenprobleme hätten. Da wäre uns der Spott der anderen sicher.“

„Wohl wahr. Und ich möchte nicht wissen, was Chris dann mit uns machen würde.“

Wenige Minuten später standen wir wieder auf dem Platz und machten noch einige Übungen zum Aufschlag. Da zeigte sich, wie talentiert die beiden wirklich waren. Mattes hatte innerhalb weniger Minuten begriffen, dass er den Ball höher werfen musste und setzte das auch um. Natürlich noch nicht automatisiert, aber als wir die Übung beendeten, meinte Simon:

„Cool, danke für eure Hilfen und Erklärungen. Wir werden das mit unserem Trainer besprechen und auch diese Übung kannten wir noch nicht.“

„Ich spüre jetzt schon, dass ich mit viel mehr Druck und Schwung aufschlagen kann, wenn ich den Ball wirklich höher werfe. Das ist echt krass“, ergänzte Mattes.

„Ja, manchmal sind es ganz einfache Dinge, die große Auswirkungen haben können. Wollen wir jetzt noch einen Satz Doppel spielen? Ihr sollt das ja auch im Spiel anwenden können.“

Wir teilten uns dann so auf, dass Dustin mit Simon und ich mit Mattes spielte. Was jetzt folgte machte richtig Spaß. Die beiden waren genauso lustig wie Carlo und Tim. Bei einem Seitenwechsel meinte ich dann:

„Ich stelle mir gerade vor, wie das wäre wenn ihr beide mit Tim und Carlo bei Marco oder Chris trainieren würdet. Ich glaube, sie hätten viel zu lachen. Ob ihr dabei noch ernsthaft arbeiten könntet, weiß ich allerdings nicht.“

„Aber ich wüsste das. Garantiert nicht und Chris würde das auch nicht lange durchgehen lassen. Aber lustig wäre es bestimmt. Vielleicht macht ihr ja mit Tim und Carlo eine Einheit bei Chris oder Marco wenn ihr zu uns kommt zum Sparkassen Cup.“

Daraufhin fragte Simon nach:

„Dürfen wir also bei euch spielen? Meine Eltern haben mir schon erlaubt dort auch mit Mattes zu zelten.“

Mattes schien noch nicht zu Hause gefragt zu haben. Jedenfalls sagte er dazu nichts. Er fragte:

„Was hat denn euer Coach gesagt? Ihr hattet ihn doch gefragt ob wir dort spielen könnten.“

„Chris hat nichts dagegen. Er schlägt übrigens vor, dass ihr uns eure Daten gebt und wir dann Chris diese Anmeldung geben. Vielleicht hat er eine Möglichkeit eine Wild Card in eurer Altersklasse zu bekommen. Dann würdet ihr automatisch im Hauptfeld sein. Allerdings müsstet ihr schon klar sagen, dass ihr von euren Eltern her auch spielen dürft.“

„Also meine Eltern wären einverstanden, aber sie bräuchten schon einen Ansprechpartner bei euch. Also wer bei Problemen für uns ansprechbar wäre.“

„Ich gebe dir gleich die Kontaktdaten von Chris. Das ist unser Coach und der wird uns auch bei diesem Turnier betreuen. Das wäre doch total cool, wenn ihr da mitspielen würdet. Vielleicht könnt ihr ja dort die ein oder andere Überraschung schaffen.“

Wir spielten dann noch den Satz zu Ende und als Dustin und ich aus der Umkleide kamen, waren unsere Eltern auch schon da. Aber wir wollten uns von Mattes und Simon noch richtig verabschieden. Heute war die letzte Möglichkeit für uns Tennis zu spielen. Der Urlaub neigte sich schon wieder dem Ende entgegen.

Papa meinte dann:

„Dann lasst uns doch noch einen Moment auf der Terrasse auf eure Freunde warten. Möchtet ihr noch etwas trinken?“

„Eine Apfelschorle, bitte.“

Dustin wollte ein Wasser und machte sich einen Löffel von unserem Elektrolytpulver hinein. Papa nahm eine Cola und Mama auch eine Apfelschorle. Ich erklärte Papa was wir mit Mattes und Simon besprochen hatten und dass sie in Halle den Sparkassen Cup mitspielen wollten.

„Ich finde das gut, dass ihr euch dafür einsetzt. Könnt ihr euch denn in Halle auch um die beiden kümmern?“

Meine Mama war schon einen Schritt weiter. Für sie war es bereits klar, dass das mit den beiden klappen würde.

„Wenn das wirklich klappen sollte, werden wir uns sicher um die Zwei auch kümmern. Aber ich glaube, dass Carlo und Tim das ganz sicher in die Hand nehmen. Und dann wird es richtig lustig. Die vier passen gut zusammen und Langeweile dürfte da nicht aufkommen.“

In diesem Moment kamen Simon und Mattes aus der Umkleide. Papa fragte sie direkt was sie trinken möchten.

Wieder so ein Moment, in dem ich meine Gedanken nicht richtig sortiert bekam. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit wie ich es von Chris nicht anders kannte, aber bei meinem Vater war das für mich noch nicht der Regelzustand.

Aber als wir dann mit unseren Getränken gemeinsam am Tisch saßen, unterhielt sich Papa sehr freundlich und interessiert mit unseren beiden neuen Freunden.

Der Abschied war auch sehr herzlich. Wir hatten unsere Adressen ausgetauscht und ich hatte ihnen noch Chris Email Adresse gegeben, damit sich ihre Eltern mit Chris in Verbindung setzen konnten. Dann brachen wir auf und unser erster Familienurlaub neigte sich schon wieder dem Ende entgegen.

Chris: Der Urlaub geht sportlich zu Ende

In den letzten Tagen hatte mich Marc jeden Tag auf einen anderen Pass gescheucht. Allerdings waren wir dank des exzellenten Wetters nur einmal mit dem Ferrari unterwegs. Die anderen Touren hatten wir mit dem Motorrad unternommen.

Motorrad? Wie sollte das denn gehen? Ich hatte Marc erneut unterschätzt. Er hatte das minutiös geplant und zwei seiner Walz Motorräder nach Gletsch bringen lassen. Mit dieser Überraschung waren wir schon einige Tage und heute erneut auf dem Furkapass unterwegs.

Obwohl ich nicht mehr zu den beweglichsten zählte, hatte ich ganz viel Freude in den letzten Tagen. Und mein Selbstvertrauen war deutlich gestiegen. Mittlerweile konnte ich auch auf den Passstraßen ordentlich am Gashahn drehen und Marc musste nicht mehr ganz so viel Rücksicht nehmen.

Es war ein großer Vorteil diese Passfahrten in der Woche zu machen. Dort waren um ein Vielfaches weniger Biker unterwegs und man konnte ohne Angst die Straßen nutzen. Genau das taten wir gerade auch wieder. Es waren nur noch wenige Kehren zu fahren bis zum Rhône Gletscher. Dort wollten wir eine kleine Rast machen und einen Kaffee trinken.

Marc war gewiss kein Kostverächter was das sportliche Fahren auf einem Motorrad anging. Mit meiner Panigale war ich sicher auch kein Leisetreter, aber wie Marc mit den Walz Maschinen um die Ecke pfeifen konnte war beeindruckend. Ich hatte die ersten Tage meine Probleme, aber mittlerweile hatte ich verstanden wie ich das anstellen musste. Und dann ging das Gerät auch richtig um die Ecken. Mit deutlich mehr Körpereinsatz als bei meiner Panigale, aber sehr sportlich.

Hin und wieder ernteten wir staunende Blicke der anderen Biker, als wir an ihnen vorbei flogen. Unsere Maschinen sahen halt nicht sportlich aus.

Von der gewaltigen Geräuschkulisse ganz abgesehen. Wobei ich klar sagen muss, sie waren nicht so laut wie einige Reiskocher mit ihren offenen Auspuffanlagen. Aber die Zweizylinder hatten eine besondere Klangentfaltung, die an den Berghängen reflektierte.

Wir rollten auf den Parkplatz am Gletscher und stellten die Maschinen ab. Ich nahm meinen Helm ab und öffnete die Motorradjacke. Marc hatte bereits seinen Helm auf seiner Maschine abgelegt und kam zu mir.

„Das ist doch wohl ein Traum von Wetter heute. So macht das Töff fahren richtig Freude.“

„Allerdings. Das kannst du laut sagen. Und heute sind noch kaum andere Biker unterwegs. Am Nachmittag dürfte das sicher wieder voll werden.“

„Deswegen sind wir auch schon so früh unterwegs. Wenn die anderen kommen, sitzen wir bereits bei Marc und Tobias auf der Sonnenterrasse und genießen unseren Kaffee.“

Obwohl wir auf über zweitausend Meter standen, spürte ich die wärmende Sonne deutlich. Die Luft war herrlich klar und frisch. Einfach eine Freude ohne Zeitdruck die Landschaft zu genießen.

Nach einem Latte Macchiato machten wir uns wieder auf den Weg Richtung Realp. Claus hatte heute Fahrdienst.

Die Abfahrt nach Realp war wieder pure Freude. Die Sonne lachte vom Himmel und wir bollerten die Passstraße hinunter. Allerdings konnte ich kurz vor Realp spüren, dass meine Bremse deutlich nachließ und ich daher das Tempo reduzierte. Marc hatte es zuerst gar nicht bemerkt, dass ich ihm nicht mehr folgen konnte.

Erst kurz vor Realp war ihm aufgefallen, dass ich nicht mehr hinter ihm fuhr. Ich rollte die letzten Kilometer nur noch den Berg hinab und als ich in den Ort kam, wartete Marc bereits mit dem Handy in der Hand. Sichtlich erleichtert steckte er es in seine Tasche als er mich kommen sah.

Ich hielt neben ihm in einer Haltebucht.

„Was ist los? Ich habe es erst gar nicht bemerkt, dass du plötzlich nicht mehr hinter mir gewesen bist. Aber als ich dich auch nicht auf dem Handy erreicht habe, stieg meine Sorge doch erheblich.“

„Ja, ich habe massive Probleme mit der Bremsleistung. Der Hebelweg wurde immer länger und ich habe dann Speed rausgenommen und bin nur noch gerollt.“

Marc wirkte verärgert. So ein Problem war für ihn ein totales „No Go“. Entsprechend gelaunt meinte er:

„Meinst du, du kannst noch bis zum Bahnhof oder dem Depot fahren?“

„Ja, das sollte schon gehen. Jetzt geht es auch nicht mehr so bergab.“

„Gut, du fährst vor und ich werde dir folgen. Falls es schlimmer wird, halte bitte an. Dann lassen wir das Bike abholen. Ich möchte nicht, dass am letzten Tag deines Urlaubes noch etwas passiert.“

Ich startete den Motor erneut und wir fuhren vorsichtig bis zum Bahnhof in Realp. Dort parkten wir die Bikes und gingen in das Gebäude. Ich hatte die Idee Claus zu fragen ob wir vielleicht im Depot in der Werkstatt nach der Ursache schauen könnten.

Marc bestellte uns etwas zu trinken und ich fragte den Fahrdienstleiter wo Claus wäre. Er würde in einer halben Stunde mit dem Dieselzug nach Realp kommen. Ich bedankte mich und setzte mich zu Marc an einen Tisch im Außenbereich.

„Claus kommt in einer halben Stunde mit dem Dieselzug. Dann können wir eventuell in der Werkstatt im Depot nach der Ursache schauen. Ich habe da eine Vermutung. Die Bremsflüssigkeit ist heiß geworden und dadurch haben sich Luftblasen gebildet. Aber das dürfte eigentlich nicht passieren. Es sind so teure Bikes, da sollte das nicht vorkommen.“

Marc hatte mir zugehört. Er schüttelte den Kopf.

„Mit Sicherheit darf das nicht passieren. Und bei mir war ja auch alles bestens. Es muss einen anderen Grund geben, weshalb die Bremse schwach geworden ist. Wir schauen uns das genauestens an und wenn ich nicht sicher bin, dass es behoben ist und du sicher nach Gletsch fahren kannst, bleibt sie hier stehen. Dann holt sie der Spediteur hier ab. Da werde ich überhaupt kein Risiko eingehen.“

„Wie gut, dass es erst am letzten Tag passiert ist. Bis heute hat es mir unheimlich viel Spaß gemacht. Dieser Defekt ist schade, aber bei Einzelstücken kann das auch passieren.“

Marc war sichtlich zerknirscht.

Ich nutzte die Wartezeit und gab ihm einen kurzen Statusbericht von Dustin und Fynn aus dem Familienurlaub. Marc hörte interessiert zu und als ich geendet hatte, meinte er:

„Wow, das hört sich sehr gut an. Damit konnte man eigentlich nicht rechnen, dass sich Fynn so schnell auf seinen Vater einlassen kann. Ich wünsche mir nur, dass der Vater diesen Weg weiter gehen wird. Nur dann wird die bisherige Arbeit auch nachhaltigen Erfolg haben. Das wäre auch für Dustin eine Sicherheit für die Zukunft.“

„Allerdings. Ich staune auch über die Fortschritte und vor allem freue ich mich über Fähigkeit der Jungs, ihre Gefühle und Wahrnehmungen so präzise schildern zu können. Das ist nach den schlimmen Erlebnissen überhaupt nicht selbstverständlich.“

„Es ist nur die Konsequenz deiner Begleitung. Immer wieder für beide ansprechbar zu sein und ihnen eine Richtung zu geben. Ohne dein Engagement wäre diese Entwicklung überhaupt nicht denkbar.“

„Naja, es war auch das Team was mich immer toll unterstützt hat. Es ist eine Team Leistung. Du hast schließlich auch Anteile daran. Allein dadurch, dass die finanziellen Dinge gesichert sind, macht das Arbeiten einfacher. Ich bin aber auch sehr zufrieden mit der Situation. Vor allem dass sie auch ihre Schule noch bewältigen können. Das erfordert enorme Disziplin. Mittlerweile sind sie in der Weltrangliste so positioniert, dass sie auf der Challenger Tour sicher in jedem Hauptfeld stehen. Das war so schnell nicht zu erwarten.“

„Wie sind denn eure Zeitpläne für die nächsten Wochen?“

„Zuerst stehen wohl in der Schule einige wichtige Prüfungen an und dann kommt Besuch aus der Nadal Akademie. Also werden wir eine Trainingsphase machen. Nur der Sparkassen Cup soll gespielt werden, weil es unser eigenes Nachwuchsturnier ist.“

Marc stutzte.

„Warum spielen sie noch einmal ein Nachwuchsturnier? Das dürfte doch weit unter ihrem Niveau sein.“

„Dein Einwand ist berechtigt. Es hat aber einen anderen Hintergrund. Sie sind in einer Trainingsphase und sollen ihr Spiel weiterentwickeln. Da ist so ein Turnier genau richtig, um neue Dinge auszuprobieren. Außerdem sollen sie auch ein wenig Vorbild für unsere jüngeren Spieler sein. Dieses Turnier wird von uns als Sichtungsturnier genutzt. Wir laden uns gute junge Spieler ein und schauen uns ihre Fähigkeiten an. Manchmal entdecken wir dabei auch vielversprechende Talente, die bei uns dann weiter gefördert werden können.“

„Ah ja, das leuchtet mir ein. Als Vorbilder sind die vier Jungs natürlich perfekt. Welche Konkurrenzen werden gespielt?“

„Von U12 bis U21 und zwei Doppelklassen. Es wird auch dadurch zu interessanten Doppelpaarungen kommen. Ein Beispiel, Tim spielt dann vielleicht mit Fynn bei den älteren im Doppel mit. Wir haben damit gute Erfahrungen auch für das Teambuilding gemacht. Und ich habe auch gerade für die vier großen Jungs eine besondere Aufgabe ausgewählt.“

„Magst du mir deine Ideen erklären? Oder ist das noch nicht spruchreif?“

„Natürlich sehr gern. Ich möchte jedem der vier Jungs einen unserer talentiertesten Nachwuchsspieler zuordnen, die sie während des Turnieres eigenständig betreuen und coachen. Natürlich werde ich das unterstützen und immer für sie ansprechbar bleiben. Aber sie sollen lernen eigene Entscheidungen zu treffen und auch ihre Konsequenzen erleben. Ich halte das für die Entwicklung als Spieler sehr wichtig. Auch in der weiteren Zusammenarbeit mit mir. Ich bin mir bewusst, dass sie immer häufiger meine Vorgaben nicht uneingeschränkt gut finden werden. Wenn sie aber auch einmal die Rolle des Trainers einnehmen können, haben sie einen breiteren Horizont.“

„Das gefällt mir gut. Aber damit lädst du dir noch mehr Arbeit und Verantwortung auf. Das muss eine zeitlich begrenzte Sache bleiben. Es wäre gut, wenn auch die anderen Coaches an diesem Gedanken mitarbeiten würden. Das muss doch nicht alles an dir hängen bleiben.“

„Es soll nur für dieses eine Turnier gelten. Dann werden wir uns zusammensetzen und analysieren. Ich glaube, dass es für die vier Jungs eine positive Entwicklung geben wird.“

„Bevor Claus gleich ankommt, wie geht es dir eigentlich mit der Verarbeitung von Kitzbühel und Brighton? Machst du noch Termine für dich mit deinem Therapeuten?“

„Es geht mir recht gut. Hin und wieder habe ich Albträume. Ich habe aber begriffen, dass es für mich wichtig ist, regelmäßig an mir zu arbeiten. Und das mache ich auch. Der Umzug nach Halle hat für mich große Freiheiten in der Zeitplanung geschaffen. Diese Zeit kann ich besser für mich und mein Wohlbefinden nutzen. Momentan denke ich sogar darüber nach, meine Wohnung in Schweicheln aufzugeben. Es sieht doch sehr danach aus, dass ich auch für eine längerfristige Zusammenarbeit mit Jan planen sollte. Thorsten hat mir jedenfalls signalisiert, dass das Team äußerst zufrieden ist. Und Jan und ich können immer besser miteinander reden.“

„Ja, das höre ich natürlich sehr gerne. Das möchte ich Jan allerdings auch geraten haben. Ich bin von deiner Arbeit überzeugt und glaube, dass deine Art zu arbeiten auch für einen Profispieler wichtig ist. Die Psyche und das Wohlbefinden eines Spielers haben einen großen Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit des Spielers. Und genau da bist du mit deiner Erfahrung sehr wichtig.“

Mir war das zwar ein bisschen unangenehm, so gelobt zu werden, allerdings sah ich die Situation mit dem Wohlbefinden genauso.

In diesem Augenblick ertönte das laute Zugsignal. Der Dieselzug hatte Einfahrt in den Bahnhof Realp.

„Dann lass uns gleich mal nach Claus Ausschau halten. Nicht, dass er schnell wieder weg ist.“

Ich musste schmunzeln, denn es gab für den Lokführer noch einiges zu tun, bevor er Feierabend machen konnte. Claus würde mit Sicherheit noch im Fahrstand bleiben oder zumindest in der Nähe am Bahnsteig.

„Keine Sorge, Claus hat sicher noch ein paar Dinge zu tun. Wir gehen gleich einfach zur Lok. Claus wird uns hier ja nicht erwarten.“

Der Zug fuhr ein und wir standen passend am Bahnsteig. Die große Diesellok blieb direkt vor uns stehen. Claus hatte uns bereits entdeckt und winkte mir aus dem Führerstand zu. Einige Minuten später hatte Claus den Zug gesichert und die Lok abgestellt. Er kam durch die Tür auf den Bahnsteig.

„Salut, was macht ihr denn hier? Ich habe gedacht ihr seid mit den Töffs unterwegs.“

„Hallo Claus“, erwiderte ich, „das sind wir auch. Allerdings haben wir ein technisches Problem und bräuchten von euch ein wenig Hilfe. Bei meinem Bike hat sich ein Problem mit der Bremse aufgetan. Könnten wir im Depot mal in die Werkstatt und nach der Ursache forschen? Wir müssen ja noch bis Gletsch zurück fahren.“

„Ohlala, das hört sich nicht gut an. Aber heiß gebremst hast du sie nicht?“

„Nein“, mischte sich Marc ein, „so wie Chris gefahren ist, muss die Bremse das abkönnen. Da muss ein anderes Problem vorliegen. Aber wenn wir das nicht sicher lösen können, bleiben die Bikes hier stehen. Vielleicht können wir sie dann bei euch im Depot sicher unterstellen. Da mache ich keine Experimente.“

Claus nickte beruhigt.

„Also das bekommen wir sicher hin. Ich kann hier nicht sofort weg. Wenn ihr schon hochfahren wollt, dann sage ich im Depot Bescheid. Stephan ist schon in der Werkstatt und arbeitet am Tmh. Der wird euch dann in Empfang nehmen. Ich komme dann nach, wenn ich hier fertig bin.“

Marc schaute mich an und ohne große Absprachen waren wir uns schnell einig, dass wir schon ins Depot fahren würden. Claus hatte uns bei seinem Kollegen angemeldet.

Wir hatten vereinbart, dass Claus dort zu uns stoßen würde, um dann eine Entscheidung zu besprechen wie es weitergehen würde.

Marc und ich waren auf dem Weg zu den Maschinen als er mich fragte:

„Willst du dein Bike ins Depot fahren oder sollen wir tauschen? Ich möchte nicht, dass jetzt noch etwas passiert.“

„Die hundert Meter schaffe ich jetzt auch noch. Vielleicht hat sie sich ja auch abgekühlt und alles funktioniert wieder. Vielleicht habe ich ja doch die Bremse überlastet.“

„Das ist eher unwahrscheinlich. Wir schauen uns alles genau an bevor wir losfahren.“

Als wir dann an den Maschinen standen, war für mich sofort ersichtlich was das Problem sein dürfte.

„Schau mal, Marc. Da ist ein feuchter Fleck in der Felge und auf der Reifenflanke. Es hat hier seit Tagen nicht mehr geregnet. Also scheint da etwas undicht zu sein.“

Marc und ich hockten uns an das Vorderrad und schauten genau nach. Es war schnell klar was die Ursache war. Ich meinte:

„Das sieht so aus als ob die Verbindung zum Bremssattel undicht ist. Also kein Wunder, dass die Bremsleistung stark nachgelassen hat. Es ist schlicht kein Druck mehr auf dem System und vermutlich auch Luft eingedrungen.“

Marc antwortete zerknirscht:

„Das sieht stark danach aus. Allerdings darf so etwas nicht passieren. Die Maschine ist neuwertig. Ich fürchte, da müssen wir die Verschraubung aufmachen und uns die Leitung anschauen.“

Wir setzten unsere Helme auf und starteten die Motoren. Ich sollte vorweg fahren. Das tat ich entsprechend langsam und vorsichtig. Als wir am Depotgebäude vorbei rollten, schauten einige Mitarbeiter der DFB auf unsere Bikes. Als wir die Maschinen vor den Hallentoren der Dieselwerkstatt abstellten, kam Stephan schon aus der Tür.

„Grüezi, Chris. Hallo Marc. Claus hat gemeint, dass ihr ein technisches Problem habt. Womit können wir euch denn helfen?“

„So ganz genau wissen wir das noch nicht. Wir haben aber eine Leckage an der Bremse festgestellt. Wenn wir ein wenig Werkzeug von euch bekommen könnten und uns das anschauen können, wäre das toll.“

Stephan nahm einen Blick auf die Vorderradbremse und nickend erwiderte er:

„Das sollte kein Problem sein. Kommt mal in die Halle und da zeige ich euch was ihr an Werkzeug benutzen könnt.“

Er machte uns das große Rolltor auf und ich fuhr die Maschine in die Halle. Stephan gefielen die Maschinen und entsprechend genau schaute er sie sich an. Auch den Bremssattel nahm er genau unter die Lupe.

„Ich glaube, da ist die Verschraubung gerissen. Oder die Dichtung ist kaputt. Die Dichtung sollte kein Problem sein. Das können wir hier reparieren, aber so eine filigrane Verschraubung haben wir hier nicht. Da müssten wir uns etwas überlegen. Ich schlage vor, ihr lasst zuerst die Bremsflüssigkeit ab und dann baut ihr den Anschluss am Bremssattel ab.“

Eine halbe Stunde später hatten wir die Schläuche abgemacht und schauten uns den Anschluss an.

„Hm, das sieht eigentlich gut aus. Weder die Dichtung noch die Verschraubung ist beschädigt“ meinte Marc.

Ich musste leider zustimmen. Das Problem musste ein anderes sein. Daher schaute ich mir den Anschluss am Bremssattel an. Und dort wurde ich fündig. Der Flansch war beschädigt und das sah nach einem Steinschlag oder so etwas aus.

„Ok“, sagte Marc, „ damit ist klar, dass wird hier nicht repariert. Jetzt müssen wir mit Claus sprechen, ob er dich heute nach Gletsch mitnehmen kann. Das Bike bleibt hier stehen. Vielleicht lasse ich auch beide hier stehen und vom Spediteur hier abholen. Dann fahren wir gemeinsam mit Claus nach Gletsch.“

Eine halbe Stunde später hatten wir uns mit Claus beraten und entschieden, dass beide Bikes im Depot bleiben und dort abgeholt würden. Claus nahm uns mit nach Gletsch und wir würden dort gemeinsam den letzten Abend mit einem schönen Abendessen verbringen.

Kurze Zeit später saßen wir in Claus Auto und wurden von ihm nach Gletsch chauffiert. So hatte unser Urlaub leider ein nicht ganz so erfreuliches Ende genommen. Meine Laune war auch in den Keller gerauscht. Es ärgerte mich, dass der Defekt an meinem Bike passiert war. Marc schien das schon abgehakt zu haben. Er fragte Claus noch ein paar Dinge zur DFB und wirkte dabei entspannt.

Bald bemerkte er mein Schweigen.

„Jetzt sag nicht, dass dich der Defekt beschäftigt? Es sind Einzelstücke, Chris. Es kann immer etwas kaputt gehen wenn man es benutzt. Das ausgerechnet du das Pech hattest von einem Steinschlag getroffen zu werden ist nicht schön, aber es ist wirklich kein Drama. Im Prinzip haben wir doch einige schöne Tage gehabt. Oder nicht?“

„Ja, das stimmt sicher. Schade finde ich es trotzdem. Du musst dich jetzt wieder extra darum kümmern.“

„Nein, das stimmt ja nicht. Es ist im Prinzip doch egal wo die Spedition die beiden Mopeds auflädt. Und ich werde mich auch nicht darum kümmern. Das ist ihre Aufgabe, die beiden Töffs heile zu mir zu bringen. Dann nehme ich sie in die Werkstatt und bestelle die Teile. Also das ist wirklich kein Beinbruch. Deswegen solltest du dir den schönen Urlaub nicht vermiesen lassen. Vor allem an unserem letzten Abend nicht. Ich finde das überhaupt nicht schlimm. Du hast sofort bemerkt, dass etwas nicht stimmte und hast dich sehr umsichtig verhalten. Das ist wichtig gewesen.“

„Ja okay. Da kann ich mit leben. Diese Zeit mit euch war wirklich phantastisch und erholsam. Irgendwie könnte ich auch noch länger bleiben. Aber damit würden meine Jungs vermutlich nicht einverstanden sein. Aber wir sind ja spätestens im nächsten Jahr wieder in der Schweiz unterwegs. Vielleicht sogar dann schon beim Turnier in Basel.“

„Und wir werden uns auch schon bald wieder in Halle sehen. Die Testaktion für die DKMS und die AIDS Stiftung wird uns erneut zusammenführen. Luc und Stef freuen sich schon auf das Wiedersehen mit ihren Freunden.“

Damit beendeten wir das Thema Motorräder und schon bald hatte Claus auf dem Parkplatz des Glacier du Rhône das Auto abgestellt. Marc und ich verschwanden unter der Dusche. Damit Claus am späten Abend nicht mehr nach Realp fahren musste, hatte Marc für ihn noch ein Zimmer organisiert.

Dass das Essen wieder eher ein Schlemmen als ein Essen war, hatte ich schon befürchtet, aber was danach noch auf mich zu kam, überraschte mich doch.

Claus hatte uns gerade vorgeschlagen vom Speisesaal nach draußen auf die Terrasse zu gehen als mein Handy klingelte. Ich schaute und staunte. Dort stand im Display, Videoanruf, Tim.

Das kam so gut wie nie vor, dass ich einen Videoanruf bekam. Aber gut, bei Tim nahm ich das natürlich entgegen. Allerdings wunderte ich mich über die Uhrzeit. Es war bereits halb zehn.

Als die Verbindung zustande kam, staunte ich. Da stand die komplette WG im Garten.

„Hallo Chris, wir wollten dir für morgen eine gute Rückreise wünschen. Wir freuen uns wieder auf das Training und vor allem, dass in der nächsten Woche unsere spanischen Freunde kommen. Hoffentlich hast du dich gut erholt.“

„Vielen Dank Leute. Das ist jetzt eine große Überraschung. Damit habe ich ja gar nicht gerechnet.“

Da ich in Marcs Gesicht ein Lächeln sehen konnte, war das vermutlich eine geplante Aktion.

Tim meinte noch:

„Was ich noch erwähnen wollte, wir haben hier noch etwas für dich vorbereitet. Also wenn du zum nächsten Training kommst, würden wir dich gerne hier abends zum Essen einladen.“

„Ok, du machst es ja wieder spannend. Aber ich komme gerne zu Euch. Sonst läuft es bei euch?“

„Ja sicher, Martina passt schon auf, dass wir nicht zu viel Unsinn machen. Du kennst das doch. Hahaha.“

Das Lachen kam jetzt von allen gemeinsam. Eine schöne Situation. Ich bekam sogar eine Gänsehaut.

Das Gespräch dauerte nicht mehr lange, aber es hat mir ein wunderschönes Gefühl gegeben. Als ich das Handy wieder eingesteckt hatte, fragte mich Marc:

„Na, ist das ein Grund wieder nach Hause zu fahren? Du wirst vermisst und deine Rückkehr wird freudig erwartet. Was Besseres kann einem doch nicht widerfahren, oder?“

„Allerdings“, antwortete ich, „damit haben sie mich jetzt wirklich überrascht. Gerade von Tim finde ich das sehr schön. Seine Therapie hat viel bewirkt und er entwickelt sich gut.“

Claus freute sich und wunderte sich auch ein wenig:

„Wow, dass sich deine Jungs so melden, finde ich klasse. Das zeigt deutlich, wie sehr du dort anerkannt bist. Vor allem nicht nur als Trainer. Du bist eher ein Freund. Das wird damit deutlich. Du hast eine beeindruckende Art mit Jugendlichen umgehen zu können.“

„Danke. Ja, ich versuche die Jugendlichen ernst zu nehmen. Es macht mir auch viel Freude mit dieser Truppe. Es passt einfach alles zusammen. Da lohnt sich auch der Aufwand und das Konzept zeigt Erfolg.“

Mit einem schönen, ruhigen, gemeinsamen Abend vor dem Kamin ging mein Urlaub dann zu Ende.

Gut erholt und mit neuem Tatendrang sollte ein neues Kapitel mit den Jungs anbrechen.

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