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Lucien
Teil 4
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Informationen
- Story: Lucien
- Autor: cdwgrisu
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Das Zusammenkommen
- Eine unruhige Zeit beginnt
- Die gemeinsame Zukunft
- Neue Entwicklungen in der Klasse
- Ein interessanter Abend mit Papa
- Stef und ich müssen ein paar Dinge klären
- Ein sehr lebhaftes und ereignisreiches Wochenende
Das Zusammenkommen
Als ich mit Stef in unser Zimmer kam, standen auf dem Tisch eine Schale mit Obst und ein Teller mit Süßigkeiten. Und sogar ein paar Getränke hatte das Hotel bereitgestellt. Sehr aufmerksam.
Nachdem ich meine Jacke abgelegt hatte, fragte ich Stef:
„Wer geht zuerst duschen? Ich würde am liebsten ein heißes Bad nehmen.“
„Dann sollte ich vor dir duschen, danach kannst du in Ruhe baden. Ich kann dann noch etwas lesen und du kommst dann dazu.“
Das war ein, wie ich fand, guter Vorschlag. Also zog sich Stef zuerst aus und ging ins Bad. Dabei konnte ich seinen Körper ganz nackt sehen. Er hatte eigentlich einen sehr schönen Körperbau und ausreichend Muskeln. Leider waren aber die Folgen der Misshandlungen deutlich erkennbar. Über den ganzen Körper waren Narben verteilt. Mir lief ein Schauer über den Rücken, wenn ich mir vorstellte, was die Ursache dafür gewesen war.
Als Stef aus der Dusche kam, staunte ich nicht schlecht. Er kam vollkommen nackt aus der Dusche und mir war das sogar ein wenig unangenehm. Allerdings genoss ich auch diesen Anblick. Doch nun musste ich ja ins Bad. Damit es nicht peinlich würde, legte ich mir meinen Schlafanzug auf das Bett und zog ich mich danach einfach aus. Ich bemerkte natürlich, dass Stef mich ebenso neugierig, aber auch ein wenig verschämt beobachtete. Es war schon eine komische Situation.
Wenige Augenblicke später lag ich in einer wunderbar warmen Badewanne und genoss das entspannende Bad. Allerdings hatte ich überhaupt nicht auf die Zeit geachtet und erst, als Stef ein wenig besorgt an der Tür klopfte, kam ich in die Realität zurück.
Schnell stieg ich aus der Wanne und betrat unser Zimmer. Stef lag schon im Bett und grinste mich an:
„Na, ich hatte schon Sorge, du würdest dich im Wasser aufgelöst haben. Hier im Bett ist es schön gemütlich.“
„Sorry, aber es war wirklich herrlich in dem heißen Wasser zu liegen und zu entspannen.“
Stef lachte und ich zog mir schnell meinen Schlafanzug an. Ich hüpfte dann auch in die andere Betthälfte und wurde sehr schläfrig. Morgen mussten wir ja wieder früh aufstehen und der Wettbewerb würde erneut sehr anstrengend werden.
Ich lag in meinem Bett und Stef neben mir. Das Licht war bereits gelöscht. Einige Gedanken waberten noch durch meinen Kopf. Überrascht wurde ich von Stef, denn ich hatte gedacht, dass er bereits schlafen würde.
„Luc, ich kann nicht einschlafen. Mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf.“
„Hmm, was denn? Ich dachte, du würdest schon schlafen.“
„Ich habe noch nie so ein Gefühl gespürt, wie in den letzten Stunden. Ich würde gerne mit dir kuscheln.“
Das war eine Überraschung für mich. Ich hätte das zu diesem Zeitpunkt nicht gewagt, schon so direkt auszusprechen, obwohl ich mir nichts lieber wünschen würde. Also hob ich wortlos meine Decke an und Stef rutschte zu mir herüber. Ich legte meinen Arm um ihn und er kuschelte sich ganz eng an mich. Wir streichelten uns noch einen Moment, aber zu mehr waren wir beide nicht bereit und auch schon viel zu müde.
Die Nacht wurde die beste seit langer Zeit. Ich hatte selten so gut geschlafen und auch Stef schien am Morgen sehr gut gelaunt zu sein. Leider sah ich mich einem morgendlichen Problem gegenüber, welches Stef geschickt umgangen hatte. Er war nämlich einfach schon aufgestanden, als ich noch schlief. Ich hatte eine gewaltige Morgenlatte.
„Hey, willst du nicht langsam mal aufstehen? Dein Vater kommt bestimmt gleich und will uns zum Frühstück abholen.“
Stef stand bereits komplett angezogen vor meinem Bett und grinste mich an. Mir blieb wohl nichts anderes übrig als aufzustehen. Ich warf die Bettdecke zur Seite und sprang mit Latte zügig aus dem Bett. Stef erkannte mein Problem, schwieg aber.
Ich ging ins Bad, und als ich herauskam, saß er im Sessel unseres Zimmers, schaute mich zwar genau an, als ich mich anzog, sagte allerdings wieder kein Wort. Ich nahm meine Sachen und zog mir auch gleich den Rennoverall wieder an.
„Du Luc, bist du jetzt sauer auf mich? Ich wollte mich nicht über dich lustig machen.“
„Unsinn, es war nur etwas unangenehm. Ich meine, …“
Weiter kam ich nicht, denn Stef stand auf und unterbrach meinen angefangenen Satz:
„Du brauchst nichts zu erklären, bei mir war es doch nicht anders. Ich war froh, dass du noch geschlafen hattest. Aber meinst du nicht, wir sollten uns daran gewöhnen. Wir sind doch zusammen und werden irgendwann auch mehr machen. Oder nicht? Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“
Nach dem letzten Wort umarmte er mich und er küsste mich. Ich wollte erst zurückweichen, aber das Gefühl war zu stark. Ich wollte mehr davon und beide bemerkten wir leider nicht, dass mittlerweile mein Vater ins Zimmer gekommen war. Erst, als er sich räusperte, zuckten wir beide zusammen und fuhren auseinander. Ich vermute, ich war knallrot im Gesicht. Papa hingegen lachte nur:
„Sorry, ich wollte euch nicht stören, aber wir müssen zum Frühstück. Sonst bekommen wir ein Zeitproblem.“
„Schon gut, wir haben ein wenig die Zeit verloren. Wir sind soweit fertig und können los.“
Papa zwinkerte mir einmal zu und zu dritt verließen wir unser Zimmer. Stephan und Mario saßen bereits am Tisch und warteten auf uns. Mario hatte sofort ein fieses Grinsen im Gesicht, als Stef und ich uns nebeneinander an den Tisch setzten.
„Guten Morgen die Herrschaften. Ich hoffe, Stef hat dir nicht zu viel Schlaf geraubt. Schließlich musst du gleich hellwach sein.“
„Danke Mario, deine Fürsorge ist wieder ganz große Klasse, aber ich kann dich beruhigen, wir haben wunderbar geschlafen und Stef hat mir eine tolle Nacht verschafft.“
Papa bekam große Augen, als ich das gesagt hatte. Ich blinzelte Stef zu und Mario wurde rot.
„Allerdings ist nichts passiert. Wir waren viel zu müde und natürlich will ich gleich fit sein. Also regt euch gar nicht erst auf.“
Plötzlich fing Papa richtig laut an zu lachen. Er konnte gar nicht wieder aufhören. Erst einige Momente später beruhigte er sich wieder. Ich war etwas konsterniert.
„Mensch Luc, ich wusste gar nicht, dass du so einen guten Humor hast. Das kannte ich noch gar nicht von dir. Finde ich toll.“
„Danke Papa, aber das konnte ich doch nicht so stehen lassen. Wie sieht es denn aus mit unserer Platzierung? Hat sich noch etwas verändert?“
„Nein, wir werden als Fünfte starten, entsprechend der Platzierung. Die beiden letzten Prüfungen von gestern wurden gestrichen und es wird heute ganz normal weiter gefahren. Allerdings hat sich das Wetter etwas verschlechtert. Könnte also sein, dass es feucht wird.“
„Alles klar, aber könnte das zu Problemen führen?“
„Nein, wir werden nur die sichere Reifenwahl treffen. Also im Zweifelsfall mit Profilreifen fahren.“
Damit war fürs Erste die Diskussion beendet und wir widmeten uns dem Frühstück. Mario und Stef waren sehr still. Ich vermutete, Stef war es heute Morgen doch ein wenig unangenehm gewesen, als Papa hereingekommen war. Stephan war bereits vorausgegangen, um den Delta aufzuwärmen.
Wenige Minuten später standen wir alle vor dem Delta, der mit laufendem Motor im Service-Bereich stand. Wir besprachen noch einmal kurz den weiteren Ablauf. Es standen zwei weitere Zeitprüfungen auf dem Programm. Die erste war recht kurz und verwinkelt durch einen Wald. Die zweite sollte wieder eine reine Asphaltstrecke sein. Das hieß recht hohe Geschwindigkeiten. Ich besprach mit Papa noch unsere Strategie, als ich beobachtete, wie Stef sich mit Mario unterhielt. Es sah fast so aus, als ob sie streiten würden. Leider hatte ich keine Zeit mehr, mich darum zu kümmern. Unsere Startzeit rückte näher und wir mussten unsere Helme aufsetzen. Stephan wünschte uns viel Glück und ich konnte mich diesmal nicht von Stef verabschieden.
Ich saß angeschnallt an der Startlinie und Papa schaute zu mir. Der Daumen ging nach oben und dann zeigte die Uhr noch fünf Sekunden. Papa ließ die Drehzahl nach oben schießen und dann drei, zwei, eins und los. Das Auto sprang förmlich nach vorne. Ich las so gut ich konnte unseren Aufschrieb vor. Papa begann richtig schnell zu fahren, trotz rutschiger Waldwege. Ich hatte Mühe, mit dem Vorlesen nachzukommen, so schnell waren wir unterwegs. Allerdings hatte ich in keinem Moment das Gefühl, es wäre gefährlich gewesen. Ich konnte das Ziel schon erkennen und dann waren wir auch schon durch. Papa ließ den Wagen ausrollen und hielt an der Zeitkontrolle an. Ich ließ unsere Karte abstempeln und dann ging es Richtung Start der nächsten Prüfung. Dort hatten wir etwa zwanzig Minuten Pause.
Diesmal hatte ich mein Handy in der Tasche und auf dem Weg zur Zeitnahme telefonierte ich kurz mit Stef. Er freute sich zu hören, dass wir gut durchgekommen waren und es keine ersichtlichen Probleme gegeben hatte. Ich stand mittlerweile bei der Zeitnahme und hatte nach unserer Platzierung gefragt. Erstaunlicherweise waren wir die schnellste Zeit gefahren. Sogar den Audi Quattro konnten wir hinter uns lassen.
Auf dem Weg zurück zum Auto wurde ich von einigen Konkurrenten angesprochen und immer wieder gelobt. Einerseits für die gute Leistung, andererseits für den tollen Zustand unseres Deltas. Als ich schließlich wieder bei Papa war, hatte ich etwas mehr Ruhe. Das lag aber daran, dass Papa natürlich viel mehr Aufmerksamkeit bekam. Sogar ein Kamerateam war mittlerweile vor Ort, um über diese Veranstaltung zu berichten. Da waren so prominente Teilnehmer wie Papa immer willkommen. Leider hatte das zur Folge, dass ich mich mit Papa nicht mehr richtig abstimmen konnte für die nächste Prüfung.
Ich schaute zur Uhr und wusste, es wird knapp mit der Zeit. Ich ging unauffällig zu der Gruppe der Medienvertreter, die sich um Papa geschart hatten.
„Entschuldigung, darf ich mal hier durch?“, bat ich freundlich die Journalisten.
Einer der Presseleute drehte sich um und fauchte mich unfreundlich an.
„Was willst du denn hier? Du störst das Interview.“
Das bekam Papa allerdings mit. Er stutzte einen Moment und dann begann ein interessantes Schauspiel. Papa holte nur einmal tief Luft und fertigte diesen Mann dermaßen rigoros ab, dass alle anderen nur staunend zurückblieben. Papa nahm mich wortlos mit und damit war das Thema Presse fürs Erste erledigt.
„Sag mal, was war da eben los? Was hatte der Typ zu dir gesagt?“
Ich gab Papa dessen Worte wieder und Papa wurde richtig wütend. Ich hatte das Gefühl, dass dies vermutlich, bis auf weiteres, das letzte Pressegespräch gewesen war.
„Papa, es tut mir leid, dass ich gestört habe, aber wir müssen uns zum Start begeben.“
„Luc, warum entschuldigst du dich? Es war doch vollkommen richtig. Du hättest mir eigentlich sogar noch ordentlich in den Hintern treten müssen. Die Rallye ist der Grund, weswegen wir hier sind und nicht die Presse. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Also komm, wir werden uns wieder auf das Fahren konzentrieren.“
Das war ein völlig neues Gefühl. Mein Vater hatte sich mir gegenüber entschuldigt, weil er zu viel Zeit mit der Presse verbracht hatte. Lange konnte ich mir darüber keine Gedanken machen, denn wir mussten zur Startlinie. Allerdings ging mir dieser Gedanke noch einige Momente weiter durch den Kopf und genau das wäre beinahe in einer Katastrophe geendet. Denn wir waren mitten in der Sonderprüfung mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 km/h, als ich einen Moment zu spät in der Ansage war. Wir waren viel zu schnell für die Kurve. Ich bekam Panik. Papa bemerkte meinen Fehler und versuchte noch zu korrigieren. Allerdings bremste er wider Erwarten nicht, sondern er gab Gas. Mit Vollgas fuhr er einfach geradeaus durch die vor uns liegende Wiese. Glücklicherweise standen dort keine Zuschauer und somit pflügten wir durch die Wiese und sprangen auf der anderen Seite wieder auf die Piste. Es gab furchtbare Geräusche, als wir wieder auf der Straße landeten. Ich war vollkommen geschockt und die letzten Kilometer konnte ich nicht mehr vorlesen. Papa sagte nichts, sondern fuhr die Prüfung sicher und mit reduzierter Geschwindigkeit zu Ende. Wir kamen an der Zeitkontrolle an und ich hielt nur noch mechanisch meine Karte hin. Als ich den Stempel hatte und das Fenster wieder geschlossen war, konnte ich nicht mehr. Mir liefen die Tränen und ich war am Boden zerstört. Genau das war passiert, wovor ich vor der Rallye Angst gehabt hatte. Ich hätte beinahe einen furchtbaren Unfall verursacht, nur, weil ich mit den Gedanken nicht hundertprozentig bei der Sache war.
Papa stellte das Auto im Service ab und ließ den Motor noch nachlaufen, damit der Turbo sich abkühlen konnte. Ich saß immer noch im Auto. Papa hatte die ganze Zeit noch kein Wort mit mir gesprochen. Ich interpretierte das als Ärger über meinen Fehler. Jedenfalls traute ich mich nicht, aus dem Auto zu steigen. Mir liefen die Tränen nur so über das Gesicht und ich bekam nicht einmal mit, dass Stef an meiner Beifahrertür hockte und mich beruhigen wollte. Erst, als er mir die Gurte öffnete und mich aus dem Auto zog, wurde mir bewusst, was gerade passierte.
„Luc, du kommst jetzt mit mir mit. Und beruhige dich. Es ist doch nichts passiert. Warum bist du so aufgelöst?“
Wir standen mittlerweile neben dem Fahrzeug und er nahm mir den Helm ab. Wir gingen einige Meter vom Fahrzeug weg. Dort umarmte er mich und ich konnte mich wieder beruhigen. Dann erzählte ich ihm, was aus meiner Sicht passiert war. Dabei begann ich zu zittern. Plötzlich kam er mit seiner Nase ganz nah an mein Gesicht und sprach mir ganz leise etwas ins Ohr. Ich bekam eine Gänsehaut und dann gab er mir in aller Öffentlichkeit einen Kuss. Ich konnte nicht mehr anders, als ihn ganz fest zu umarmen. Dabei bekamen wir gar nicht mit, dass einige Blitzlichter deutlich machten, dass wir fotografiert wurden.
Stef und ich saßen abseits der Service Zelte im Schatten. Er hielt meine Hand und ich hatte mich mittlerweile beruhigt. Plötzlich stand Papa vor uns. Ich fühlte mich total beschissen.
„Hast du dich wieder etwas beruhigt?“, fragte er mich.
Ich schaute zu ihm hoch und wusste nicht, was ich machen sollte. Er setzte sich einfach zu uns auf den Boden und legte mir seinen Arm um die Schulter. Stef wollte seinen Arm sofort wegziehen. Papa hingegen hielt ihn fest und wollte, dass er mich auch weiterhin festhielt. So saßen wir drei nebeneinander auf dem Boden. Keiner sagte etwas. Mir gingen seltsame Gedanken durch den Kopf, bis zu dem Moment, wo meinem Vater der Kragen platzte.
„Sag mal, Luc, was für ein Problem hast du jetzt eigentlich? Warum bist du so dermaßen aufgelöst? Ich verstehe es nicht.“
Mir brannten alle Sicherungen durch und ich schrie fast:
„Weil ich uns fast umgebracht hätte und nur, weil ich mich nicht richtig konzentriert habe. Das kann nicht sein. Ich habe versagt.“
Dann riss ich mich los und sprang auf. Ich musste weglaufen. Einfach nur weg.
Stefs Stimme konnte ich noch hören, wie er mir hinterher rief, ich sollte stehen bleiben. Aber ich wollte nur weg von diesem Ort und hätte beinahe einen ganz schlimmen Unfall verursacht.
Einen klaren Gedanken bekam ich erst wieder, als ich merkte, wie ich von zwei starken Armen festgehalten wurde und nicht mehr weiterlaufen konnte. Vor mir stand ein großer Mann. Etwa zwei Meter groß und sehr schlank. Ich wusste nicht einmal mehr, wo ich war, aber er hielt mich fest und sprach mich mit einem bayrischen Akzent an. Er hatte eine Jacke der Firma Porsche an. Jedenfalls hielt er mich fest und beruhigte mich.
„Hey, mal langsam junger Mann. Du rennst sonst noch vor ein Auto. Was ist denn in dich gefahren?“
Erschrocken blieb ich wie erstarrt stehen, sah dem Mann ins Gesicht und dann schlug es bei mir ein wie ein Blitz. Ich hatte realisiert, wer da vor mir stand. Verdammt, das auch noch. Walter Röhrl persönlich!
Am ganzen Körper zitternd antwortete ich ihm: „Entschuldigung Herr Röhrl, ich bin gerade etwas durcheinander. Ich weiß auch nicht, aber ich war wohl etwas unvorsichtig.“
Er lächelte mich an und löste den Griff ein wenig:
„Das ist aber keine gute Voraussetzung für einen Beifahrer, Lucien. Ich nehme mal an, du bist Copilot, denn zum Fahren bist du zu jung.“
Ich war vollkommen sprachlos, woher kannte er meinen Namen?
„Das stimmt, ich bin mit meinem Vater unterwegs, aber ich habe einen großen Fehler gemacht, weil ich einen Moment nicht richtig konzentriert war und da wären wir beinahe schwer verunglückt. Jetzt hatte ich Panik, dass mein Vater richtig sauer sein würde und bin dann weggelaufen.“
„Meinst du denn, dass dein Vater nicht gewusst hat, dass er nicht blind auf dich hören durfte? Er hat doch gewusst, wie unerfahren du bist. Wie heißt dein Vater denn? Ich würde dann gerne mal mit ihm darüber sprechen. Lass uns mal zusammen zu ihm gehen. Er macht sich vielleicht Sorgen.“
„Herr Röhrl, woher wussten Sie meinen Namen? Wir sind uns doch noch nie begegnet.“
Jetzt musste er laut lachen.
„Na, hör mal. Ich kann doch lesen. Dein Name steht doch auf deinem Overall. Lucien Maergener, oder stimmt das nicht?“
„Doch, doch, ich habe gar nicht mehr daran gedacht, dass es dort steht, Entschuldigung.“
„Macht doch nichts, so und nun gehen wir mal zu deinem Vater. Mit welchem Auto seid ihr denn unterwegs? Der Name Maergener sagt mir noch gar nichts. Auf welcher Position seid ihr denn?“
„Wir fahren einen Lancia Delta Integrale 16v evo 2. Wir waren auf der fünften Position, allerdings vor meinem Fehler.“
„Na, das Auto schaue ich mir an. Ein Integrale und ein Pilot, den ich nicht kenne. Das ist doch mal interessant.“
Er drehte mich um und schob mich einfach in Richtung Fahrerlager. Es dauerte auch nicht lange, da wurde Herr Röhrl von Autogrammjägern umringt, aber er blockte alles ab und ging mit mir zielstrebig zu unserem Auto. Da sah ich schon, wie Papa sich um einen sehr aufgeregten Stef kümmerte und Mario mit dem Handy hantierte. Da fiel mir mein Handy wieder ein, ich hatte es noch gar nicht wieder angestellt. Aber wir waren auch schon so gut wie am Wagen. Plötzlich erkannte mich Mario und kam auf uns zu.
„Na endlich, Luc. Was machst du denn für Sachen. Du kannst doch nicht so einfach weglaufen.“
Papa und Stef drehten ihre Köpfe und Stef stürzte auf mich zu. Er fiel mir in die Arme, bevor ich auch nur reagieren konnte. Stef gab mir einen Kuss. Er hatte noch gar nicht bemerkt, wer hinter mir stand. Oder war es ihm egal? Papa hingegen kam ruhig auf uns zu, begrüßte Herrn Röhrl und dieser schien sehr verwundert zu sein. Er hatte vermutlich nicht mit Marc Steevens als meinem Papa gerechnet.
„Hallo Walter, wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen. Was treibt dich denn hier her?“
„Hallo Marc, ich bin für Porsche als Kundenbetreuer hier. Aber sag einmal, ist der nette blonde Junge hier wirklich dein Sohn? Er ist mir einfach so zugelaufen, da dachte ich mir, ich bringe ihn wieder zurück.“
Papa musste lachen. Ich fand es mega peinlich. Papa erzählte kurz, was passiert war und Walter Röhrl schaute mich streng an.
„Was habe ich dir gesagt, dein Papa ist gar nicht sauer. Er macht sich Sorgen. Er hat gewusst, dass es seine Verantwortung ist, wie schnell er fahren kann. Du musst noch viel lernen, aber du bist ja noch so jung, das passt schon. Wie viel Rallyes hast du schon als Copilot gemacht?“
Bevor ich antworten konnte, sagte Papa schon:
„Keine, es ist seine Erste und du hast recht, Walter. Es ist ganz klar mein Fehler gewesen, ich hätte niemals blind auf ihn hören dürfen. Derjenige, der hier was hinter die Löffel haben muss, bin ich.“
„Siehst du, was habe ich gesagt. Und jetzt lass dich mal ein wenig von deinem Freund wieder aufbauen. Du wirst gleich wieder gebraucht.“
Jetzt gingen Papa und er zusammen zum Auto. Papa zeigte ihm alles ganz genau. Walter war technisch sehr interessiert und immer schon ein absoluter Perfektionist gewesen. Was mich irritierte, er hatte Stefs Reaktion als völlig normal registriert und ihn auch als meinen Freund bezeichnet. Er hatte trotz seines Alters mit der Sache keine Probleme. Das beeindruckte mich. Überhaupt, sein Auftreten war toll. Er war sehr bestimmt, aber freundlich dabei.
Einige Minuten später verließ er uns wieder, aber nicht ohne mir noch einmal zu erklären, dass ich mir keine Gedanken über das Geschehene machen sollte. Nur nach vorne schauen und lernen.
Einige weitere Minuten und ein paar Streicheleinheiten später saß ich wieder mit Papa im Auto. Ich hatte noch erfahren, dass wir trotz unseres Ausrittes einen Platz gut gemacht hatten und auf Platz vier lagen. Papa legte mir noch einmal beruhigend den Arm auf meinen Oberschenkel und gab mir mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er soweit fertig war. Ich nickte ebenfalls und dann rollten wir an die Startlinie. Wieder kam der Countdown, fünf, vier, drei, zwei, eins … los!
Diese und auch die nächsten beiden Prüfungen verliefen ohne Zwischenfälle und für uns sehr gut. Wir hatten einige Zeit gutgemacht. Unsere Position war nun Platz drei. Eine Prüfung stand noch an. Die würde auf einem Rundkurs gefahren. Eine sogenannte „Super Stage“. Dort fuhr immer ein Wagen eine bestimmte Anzahl Runden und das Fahrzeug mit der besten Zeit aller Runden würde die Prüfung gewinnen.
Stef und ich hatten uns gerade an einer Verpflegungsstation angestellt, um uns etwas zu essen zu besorgen. Plötzlich hörten wir ein paar sehr unangenehme Worte.
„Seht euch das an, der berühmte Marc Steevens hat ´ne Schwuchtel als Copilot. Wie peinlich ist das denn?“
Einige andere Personen lachten auch ziemlich böse. Ich hatte gerade meinen Teller vor mir auf den Tisch gestellt und Stef stand noch, als wir diese Worte hörten. Stef wollte direkt auf die Typen losgehen, ich sah an seinen Augen die Wut in ihm aufsteigen. Ich gab ihm mit einem klaren
„Setz dich!“
zu verstehen, dass ich nicht auf Konfrontation aus war. Er fügte sich widerwillig.
Wir wurden erst einmal auch nicht weiter belästigt. Allerdings, als wir auf dem Rückweg zum Auto waren, bekamen wir erneut von einigen Zuschauern und Teilnehmern hämische Kommentare zu hören. Ich versuchte, diese zu ignorieren, aber Stef wurde immer unruhiger und ungehaltener. Erst, als ich ihm mit einem deutlichen Zeichen zu verstehen gab, dass er sich nicht provozieren lassen sollte, beruhigte er sich vorläufig wieder. Ich hatte mir zumindest von den Teilnehmern die Startnummern gemerkt, die sich an diesem miesen Spiel beteiligt hatten. In unserem Service Zelt berichtete ich Papa davon. Stef wurde erneut sehr wütend und anschließend auch sehr traurig. Papa nahm sich Zeit, mit ihm zu sprechen und ihm zu erklären, dass es leider immer wieder homophobe Menschen geben werde. Das könnte man nicht verhindern, allerdings sei es viel besser, sich nicht auf dieses Niveau herabzulassen und mit ihnen zu streiten, sondern das Leben so zu leben, wie man möchte. Stef beruhigte sich wieder und Papa kam anschließend zu mir:
„Luc, ich bin stolz auf dich. Du hast sehr besonnen auf diese Typen reagiert. Hast du zufällig erkannt, welche Leute das waren?“
„Ich habe zumindest von den Teilnehmern die Startnummern. Von den Zuschauern weiß ich nichts.“
Er bat mich um die Startnummern und versprach mir, sich darum zu kümmern. Wir hatten noch ungefähr eine halbe Stunde bis zum Start der „Super Stage“. Mario und Stephan waren gerade dabei die Reifen zu tauschen. Wir wollten mit Slicks fahren. Ich stand bei den beiden und schaute mir genau an, was sie taten. Wir redeten über die kommende Stage und dass wir eigentlich sogar noch Sieger der Rallye werden könnten. Die ersten drei lagen nur wenige Sekunden auseinander. Das war mir natürlich relativ egal, weil es mir nicht um das Gewinnen ging. Ich hatte einfach Spaß daran, mit meinem Freund und meinem Vater dieses Erlebnis gemeinsam zu haben. Mario fragte mich dann allerdings:
„Was war eigentlich bei euch vorhin los? Gab es Probleme? Stef ist seitdem irgendwie anders. Er will mir aber auch nicht sagen, was vorgefallen ist.“
Ich seufzte und entschloss mich, es ihm zu berichten. Mario schaute sehr traurig und meinte:
„Das tut mir einfach nur leid für euch. Es gibt leider immer wieder solche geistigen U-Boote, die nicht begreifen wollen, dass es etwas Natürliches ist, schwul zu sein. Ich finde es gut, dass du diese Typen ignoriert hast. Ich bin mir sicher, dass Marc sich darum kümmern wird. Warte mal ab.“
„Danke dir, aber ich mache mir Sorgen um Stef. Er hatte sich sofort aufgeregt und hätte am liebsten die Leute angegriffen. Kannst du mit ihm noch mal sprechen. Vielleicht erzählt er dir ja, warum er so aggressiv darauf reagiert.“
„Ich werde es jedenfalls versuchen und habe die Vermutung, dass dies mit unseren Eltern zu tun hat. Ich weiß nicht, ob es klug wäre, das hier zu bearbeiten.“
Ich stutzte und wurde ein wenig unruhig. Wir vereinbarten, dass er sich um Stef kümmern würde und ich sollte mich nur auf die letzte Prüfung konzentrieren. So wollte ich es auch machen, aber das war einfacher gesagt, als getan.
Glücklicherweise war die letzte Prüfung ja ein Rundkurs. Ich hatte also nicht viel zu tun und Papa konnte sich mal richtig austoben. Wir hatten uns bereit gemacht und standen nun an der Startlinie, als Papa den Motor aufbrüllen ließ und wir starteten. Die erste Runde war schon gut, aber die drei folgenden Runden waren einfach nur gigantisch. Papa hatte sichtlich viel Freude, denn er ließ es richtig krachen. An einigen Stellen hatte ich dann aber doch ein wenig Schiss, dass wir rausfliegen würden. Als wir über die Ziellinie fuhren, war ich sehr froh. Papa freute sich wie ein Schneekönig, denn er hatte alles aus dem Auto herausgeholt und vor allem war alles heil geblieben.
Jetzt hieß es nur noch abwarten, wie die anderen Konkurrenten abschnitten. Im Service Zelt angekommen, empfing uns unser Team mit Applaus. Ich wollte die Tür öffnen, aber bevor ich das tun konnte, riss Stef sie auf und fiel mir um den Hals.
„Langsam, langsam. Ich muss doch erst einmal aussteigen.“
„Los, dann komm endlich raus. Ich will dich umarmen. Ihr habt ihnen allen gezeigt, wer auf der Rundstrecke der Meister ist.“
Dabei strahlte er wieder über das ganze Gesicht, ich nahm meinen Helm ab, und obwohl ich total verschwitzt war, gab mir Stef vor allen Leuten einen heftigen Kuss. Das fühlte sich großartig an. Erst danach bekam ich ein wenig ein schlechtes Gewissen, denn ich hatte ja zu dieser Leistung gar nichts beigetragen.
„Sag mal Stef, eigentlich müsstest du dich aber bei meinem Papa bedanken. Er ist ja schließlich gefahren.“
Stef schaute mich fragend an und Papa grinste. Die Antwort von Stef war allerdings grandios.
„Das stimmt vielleicht, aber ich kann ja schlecht deinen Vater so umarmen und küssen.“
„Nicht? Warum das denn nicht?“
Ich dachte, ich höre nicht recht. Das kam von Papa und im ersten Moment sah er total ernst dabei aus. Wir schauten uns alle an und dann fing Papa an ganz laut zu lachen. Wir stimmten mit ein und hatten noch viel Spaß zusammen. Die Siegerehrung sollte erst am Abend im Hotel stattfinden mit dem dazugehörigen Essen. Bis dahin hatten wir Zeit uns ausgiebig frisch zu machen und wieder zivile Sachen anzuziehen.
Stef und ich saßen in unserem Hotelzimmer, als es klopfte. Ich ging zur Tür und vor mir stand ein Mann, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Er stellte sich als Rennleiter dieser Veranstaltung vor und bat uns, mit ihm zu kommen. Es gäbe da einige Dinge zu klären. Ich wollte natürlich nicht ohne Papa dorthin gehen. Ich erklärte ihm dieses und er schmunzelte nur:
„Keine Sorge, dein Vater weiß bereits Bescheid und ist schon dort.“
Beruhigt folgten wir ihm nun in einen Konferenzraum des Hotels. Dort saßen bereits einige Personen der Rennleitung und auch Papa war schon dort. Er schaute uns lächelnd an und bedeutete uns, neben ihm Platz zu nehmen. Was nun folgte, war eine kurze Anhörung der Vorfälle vor der letzten Prüfung und das Ganze dauerte weniger als eine Viertelstunde.
Wir standen gemeinsam vor der Tür. Ich hatte noch immer nicht ganz begriffen, was hier eigentlich der Sinn gewesen war.
„Papa, was sollte diese Geschichte gerade? Wird das Folgen haben für diese Teilnehmer?“
„Also direkte Folgen nicht, aber der Veranstalter wollte dennoch genau wissen, um wen es sich dabei gehandelt hatte. Sie werden entsprechend reagieren, haben sie mir jedenfalls versprochen.“
„Ok, und was machen wir nun? Wir haben noch ein wenig Zeit bis zur Abschlussveranstaltung.“
„Was meint ihr? Sollen wir nicht mit Stephan und Mario schon ein wenig an die Bar und auf unsere tolle Leistung feiern gehen? Ich finde, das haben wir uns verdient.“
Ich war von dieser Idee begeistert, Stef allerdings eher weniger. Er wollte eigentlich nicht mit.
„Stef, was ist los? Warum willst du nicht mit uns feiern? Du warst meine große Unterstützung.“
„Naja, weißt du, ich denke nur daran, dass im Hotel alles so teuer ist und ich habe halt nicht so viel Geld wie du zur Verfügung.“
Das hatte Papa natürlich gehört und wurde sofort ein wenig sauer.
„Sag mal Stefan, was glaubst du eigentlich? Meinst du, ich würde dich hier auch nur irgendetwas bezahlen lassen? Du bist ein Teil des Teams und Teammitglieder brauchen kein eigenes Geld bei allen Veranstaltungen der Rallye. Also los, es wird gefeiert und du kommst mit.“
Jetzt konnte auch Stef nichts mehr dagegen sagen und somit machten wir uns auf den Weg zur Hotelbar, die sich in der Lobby befand. Wir Jungs bekamen ganz tolle alkoholfreie Cocktails, Papa nahm sich ein Malzbier und Stephan und Mario bestellten sich Caipis. Damit wurde der Abend eröffnet. Wir saßen gemeinsam in einer der Sitzgruppen an der Bar und unterhielten uns über den Verlauf der Veranstaltung. Papa war vollkommen glücklich, weil das Auto gehalten hatte und er mit mir eine Veranstaltung gut beendet hatte. Mario freute sich, seinen Bruder wieder um sich zu haben und ich war glücklich, meinen Freund neben mir sitzen zu haben. Es dauerte auch nicht lange und die Bar füllte sich immer mehr.
Irgendwann kam jemand vom Veranstalter und bat alle Teilnehmer, in den Saal zu gehen. Dort sollten nun die Siegerehrung und das große Abschlussessen stattfinden. Das offizielle Ergebnis war noch nicht bekannt. Allerdings war mir schon klar, dass wir uns unter den ersten drei befinden würden.
Der erste Redner kam an das Pult und begann die Anwesenden zu begrüßen. Das übliche Gerede über die Sponsoren folgte und als alle offiziellen Reden gehalten waren, begann es doch langsam spannend zu werden. Es wurde in umgekehrter Reihenfolge jeder Platz genannt. Ab Platz fünf bekam jeder sogar einen kleinen Preis zu seiner Urkunde. Es gab keine Geldpreise, sondern nur Sachpreise.
„Papa, was denkst du, welchen Platz haben wir erreicht?“
Ich flüsterte, weil vorne gerade der dritte Platz aufgerufen wurde. Wir waren es nicht. Das hieß schon einmal, wir würden mindestens Zweite werden. Der dritte Platz wurde, wie schon gesagt, nach vorne gerufen und dann nahm der Redner wieder das Mikrofon zur Hand und erklärte:
„Liebe Motorsportfreunde, heute ist hier ein ungewöhnlicher Vorgang passiert. Ich habe es in den ganzen Jahren noch nicht oft erlebt, dass wir nicht einen Sieger haben, sondern zwei. Beide Teams haben exakt die gleiche Zeit erreicht und somit den Sieg errungen.“
Dann nannte er die Namen der beiden Teams und bat alle nach vorne zu kommen. Papa und ich standen von unseren Plätzen auf und gingen unter kräftigem Applaus nach vorn auf die Bühne. Dort trafen wir auf das andere Team. Es war wie erwartet das Team mit dem Audi Quattro. Wir gratulierten uns gegenseitig und bekamen unsere Pokale und Preise.
Der Veranstalter bat meinen Vater noch um eine kurze Ansprache, weil er ja nun einmal ein berühmter Rennfahrer war. Papa wollte das eigentlich immer vermeiden, aber heute kam er nicht umhin, ein paar Worte zu sprechen.
„Liebe Freunde, ich möchte heute stellvertretend für alle, dem Veranstalter zu dieser tollen Rallye gratulieren. Wir haben uns hier sehr gut betreut gefühlt und ich möchte sagen, dass ich sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr erneut teilnehmen und dann unseren Titel verteidigen werde. Ich habe nicht damit gerechnet, so weit vorn zu landen, da mein Copilot noch sehr unerfahren und jung ist. Es ist nämlich mein jüngster Sohn.“
Dabei nahm er mich in den Arm und es gab lauten Applaus. Ich wurde vermutlich ziemlich rot dabei. Anschließend erwähnte Papa noch einmal alle Mechaniker und Helfer, ohne die so eine Veranstaltung gar nicht möglich wäre. Zum Schluss bat er noch einmal um Ruhe.
„Bevor wir nun zum gemütlichen Teil übergehen, möchte ich noch ein Wort zur Sicherheit sagen. Wir hatten am Anfang einen schweren Unfall während der Sonderprüfung zu verkraften. Dort gab es leider auch Verletzte. Ich möchte hier mal die Rettungskräfte besonders erwähnen. Sie stellen sich freiwillig für uns zur Verfügung und helfen uns, wenn es nötig ist. Auch hier war es gelungen, schwere Verletzungen zu vermeiden und die Piloten schnell zu retten. Dafür vielen Dank.“
Lauter Applaus bestätigte Papas Worte. Als alles gesagt zu sein schien und wir bereits wieder auf unseren Plätzen saßen, nahm der Veranstalter noch einmal das Mikro in die Hand.
„Wie mir berichtet wurde, gab es leider auch einige unschöne Momente, auf die ich nur kurz eingehen möchte. Wir als Veranstalter möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir Diskriminierungen von Minderheiten nicht akzeptieren und deshalb haben wir uns entschlossen, einen Sonderpreis für besonnenes Verhalten zu vergeben. Deshalb möchten wir Lucien Maergener und seinen Freund Stefan zu uns auf die Bühne bitten.“
Stef schaute mich völlig verdutzt an und ich wusste auch nicht, was jetzt kommen würde. Papa hingegen grinste uns an. Er schien zu wissen, was kommen würde. Wir stiegen also gemeinsam die Treppe zur Bühne hoch und standen dem Veranstalter jetzt gegenüber. Dann begann er die Vorfälle bei der Verpflegung zu erzählen. Er nannte auch einige Namen der Teilnehmer, die zu diesen Personen zählten. Das führte zu betretenem Schweigen. Als er fertig war, übergab er mir einen tollen großen Pokal, wo unten eingraviert war 'Fairnesspokal'. Stef und ich hielten den Pokal hoch und jetzt bekamen wir lauten Jubel zu hören. Ein wenig unangenehm war es mir schon, aber auch ein tolles Gefühl, mit meinem Freund gemeinsam so eine Anerkennung zu bekommen. Wie wir fanden, war das eine tolle Geste des Veranstalters.
Wir saßen bereits seit einiger Zeit wieder an unserem Tisch und unterhielten uns angeregt mit anderen Teilnehmern. Endlich begann das Abendessen. Ich hatte großen Hunger und auch die anderen waren nicht weniger hungrig. So genossen wir den Abend noch einige Stunden. Dass die Zeit schon sehr weit fortgeschritten war, hatte ich noch gar nicht bemerkt. Nur als Stef immer müder wurde, sagte Papa zu uns:
„Jungs, es ist schon sehr spät. Wenn ihr möchtet, geht ruhig schon schlafen. Ich wecke euch dann morgen früh rechtzeitig.“
„Was meinst du, Stef? Möchtest du mit mir schon gehen?“
„Aber nur, wenn du wirklich auch schon gehen möchtest. Ich bin echt müde.“
Für mich war dann sofort klar, ich würde mit ihm aufs Zimmer gehen. Wir verabschiedeten uns von den anderen am Tisch, und als wir im Fahrstuhl waren, schaute ich erschrocken zur Uhr. Es war bereits nach Mitternacht. So spät hatte ich es nicht erwartet.
Nach wenigen Minuten lagen wir fertig umgezogen in unserem Bett. Wir kuschelten uns aneinander und einige Streicheleinheiten verfehlten ihre Wirkung nicht. Ich war zum ersten Mal überhaupt erregt und nicht allein im Bett. Stef schien es ebenso zu gehen, denn wir kamen uns immer näher und die Hände gingen auf Wanderschaft. Stef gab mir immer wieder herrliche kleine Küsschen auf alle möglichen Stellen. Irgendwann steigerten wir uns immer mehr und es dauerte auch nicht mehr lange, als ich spürte, dass es sowohl bei mir, als auch bei ihm feucht in der Hose wurde.
„Lass uns die Hosen ausziehen“, flüsterte ich ihm ins Ohr.
Er war unschlüssig.
Dann entschloss er sich aber doch, es mir nachzutun und somit kuschelten wir uns sehr schnell wieder unter der Decke aneinander. Unsere steifen Latten rieben aneinander und es wurde die mit Abstand schönste Nacht meines bisherigen Lebens. Wir schliefen irgendwann jedenfalls vollkommen entspannt und glücklich ein.
Der nächste Morgen wurde recht spannend, denn als ich aufwachte, lag Stef immer noch ganz eng neben mir und ich konnte mir meinen Freund aus der Nähe genau anschauen. Er schlief noch tief und fest und ich hatte auch keine Lust ihn zu wecken, allerdings war es Zeit dafür. Somit bemühte ich mich, ihn so schonend wie möglich zu wecken. Er drehte sich irgendwann auf die andere Seite und ich begann, ihm über den Rücken zu streichen. Er legte sich auf den Rücken und öffnete die Augen.
„Guten Morgen Stef, tut mir leid, aber wir müssen aufstehen. Papa erwartet uns gleich zum Frühstück und wir müssen heute ja wieder zurückfahren.“
„Oh man, du bist gemein. Ich hatte gerade einen so schönen Traum. Wir beide liegen am Strand in der Sonne und lassen es uns gut gehen.“
Wir mussten beide lachen. Meine Erinnerungen an die letzte Nacht waren gigantisch. War das wirklich passiert, oder hatte ich es nur geträumt?
„Luc, haben wir das wirklich erlebt, oder haben wir das nur geträumt? Ich bin so glücklich mit dir.“
Mir gingen die gleichen Gedanken durch den Kopf und ich wusste genau, auf was er anspielte.
„Ich glaube schon, dass wir es ganz real erlebt haben. Hoffentlich war es für dich auch so schön wie für mich.“
„Ich habe solche Gefühle noch nie vorher gehabt. Du bist so lieb zu mir, deine Familie steht hinter dir und ich darf dein Freund sein, unglaublich.“
„Ja, es war wunderschön. Aber ich möchte noch nicht mehr. Bitte gib mir noch etwas Zeit.“
Jetzt schaute er mich verwundert an und gab mir einen Kuss. Sofort regte sich bei uns wieder etwas, was bei mir zu einer Gesichtsfarbe führte, die einer Tomate gleichen würde. Stef kicherte leise und meinte:
„Also das, was ich da unten spüre, sieht aber anders aus, als das, was du gerade gesagt hast.“
„Ja, aber nicht mehr. Streicheln und wichsen ist gut, aber ich bin noch nicht bereit, mit dir zu schlafen. Kannst du das akzeptieren?“
Durch diese sehr ernste Frage wurde meine Latte sofort wieder schlaff. Klar, ich hatte diese Situation zerstört, aber es war für mich sehr wichtig. Ich hatte Angst davor, ich wollte es einfach noch nicht. Jetzt wartete ich auf seine Reaktion.
„Sicher Luc, warum sollte ich das nicht akzeptieren? Ich bin dein Freund und ich werde mit dir gemeinsam die Liebe entdecken. Ich möchte auch Zeit haben dafür.“
Ich war sehr beruhigt, als er das sagte. Das war eine gute Gelegenheit sich aus dem Bett zu winden und sich für das Frühstück fertig zu machen. Ich ging unter die Dusche, und als ich fertig war und das Bad verließ, kam mir Stef nur mit Boxershort und Handtuch entgegen. Ich musste ihn ansehen und er tat das Gleiche mit mir. Ein schneller Kuss folgte und ein leises „Bis gleich.“
Er schloss die Tür hinter sich und ich zog mich an, föhnte mir kurz die Haare und setzte mich auf die Couch. Plötzlich klopfte es an unserer Tür. Ich öffnete und Papa stand schon fix und fertig vor mir.
„Hallo mein Sohn, wie sieht es bei euch aus? Können wir zum Frühstück gehen?“
„Hi Papa, nein, einen Moment dauert es noch. Stef ist noch unter der Dusche. Möchtest du nicht einen Moment reinkommen?“
Papa schien sich zu wundern, aber nahm das Angebot gerne an. Wir setzten uns an den Couchtisch und ich konnte aus dem Bad hören, wie Stef nach mir rief. Er machte die Badezimmertür auf und rief mir zu:
„Luc, ich habe vergessen frische Unterwäsche mit ins Bad zu nehmen. Kannst du mir die aus dem Zimmer holen?“
Ich bejahte und machte mich auf den Weg. Papa fing an zu lachen. Ich schaute ihn völlig konsterniert an und als ich mit Stefs Sachen über dem Arm zurückkam, grinste er mich nur noch an. Was sollte das jetzt? Ich gab Stef die Sachen und setzte mich ein wenig verärgert wieder zu Papa.
„Warum lachst du so fies? Habe ich was verpasst?“
Meine Stimme hörte sich nicht sonderlich freundlich an. Er bemerkte das auch sofort und reagierte entsprechend:
„Luc, bleib ruhig. Ich fand es nur zu niedlich, wie Stefan dich losgeschickt hat, seine Sachen zu holen. Ich wäre einfach nackt aus der Dusche in mein Zimmer und hätte mich dort angezogen. Ihr seid doch Freunde, oder versteckt ihr euch noch voreinander?“
Was für eine Frage, wie sollte ich das beantworten?
„Nein, wir verstecken uns bestimmt nicht, aber es ist alles noch sehr frisch und ich glaube, wir müssen lernen, uns noch mehr zu vertrauen. Ich weiß nicht, wie ich das sonst sagen soll.“
„Mein Sohn, ich glaube, du willst mir etwas vormachen. Ich sehe sehr genau, dass ihr beiden euch hier in diesen Tagen sehr viel näher gekommen seid. Ich finde es übrigens sehr schön, wie du dich um Stefan kümmerst. Auch, dass er für dich da ist, ist nicht zu übersehen. Ich glaube, ihr mögt euch beide schon recht gut. Also, warum macht ihr das noch so heimlich? Geht raus und zeigt euch. Ihr seid zwei völlig normale Jungs, die sich scheinbar gefunden und ihre Gefühle füreinander entdeckt haben. Das freut mich sehr.“
„Heißt das, du bist einverstanden, wenn Stef und ich wirklich zusammen wären?“
„Aber natürlich, das habe ich euch doch immer gesagt. Also ist es jetzt soweit? Seid ihr fest zusammen?“
In diesem Moment kam Stef fertig angezogen aus dem Bad und sah uns zusammen sitzen. Er hatte wohl noch gar nicht mitbekommen, dass Papa zu uns gekommen war.
„Oh, guten Morgen, Herr Steevens. Ich habe Sie nicht bemerkt.“
„Hallo Stefan, macht doch nichts. Sag mal, ich habe meinem Sohn gerade eine Frage gestellt und möchte die hiermit auch an dich weitergeben. Seid ihr jetzt fest zusammen?“
Er wurde knallrot und am liebsten hätte ich diese Frage gar nicht beantwortet, aber Stef blieb recht locker und noch erstaunlicher war seine Antwort:
„Herr Steevens, ich möchte ehrlich sein und ja ich bin in Luc verliebt. Ja, wir sind fest zusammen.“
Als ob er meinem Vater noch einen Beweis schuldig war, umarmte er mich und gab mir einen liebevollen Kuss. Mir war das noch total unangenehm, aber Papa fand das richtig gut, denn seine Reaktion ließ nicht auf sich warten.
„Also dann, willkommen in unserer Familie. Stefan, ab sofort gehörst du zu unserer Sippschaft. Mit allen Rechten und Pflichten. Du weißt, was das heißt?“
Stef und ich schauten uns verwundert an.
„Äh, nein, Herr Steevens, so wirklich weiß ich das nicht.“
„Gut, zuerst einmal, ab sofort wechseln wir auf das Du und ich bin Marc für dich.“
Papa gab ihm die Hand und umarmte ihn liebevoll. Für Stef schien sich ein Traum zu erfüllen. Er sollte so etwas wie einen Schwiegervater bekommen. Jemanden, der ihn so akzeptierte, wie er war.
„Dann solltest du wissen, wenn du bei uns zu Besuch bist, kannst du dich völlig frei im Haus bewegen und musst nicht für alles fragen, was du tun möchtest. Allerdings könnte es auch passieren, dass Sabine dich einfach mal für eine Aufgabe losschickt. Das machen alle bei uns in der Familie. Auch wenn du weiterhin im Internat lebst, du bist bei uns immer willkommen und zu Hause.“
Stef und ich standen ziemlich perplex im Raum, als Papa diese Sätze gesprochen hatte. Papa hatte aber auch ein gutes Gespür und beendete diese doch etwas unangenehme Situation mit dem Satz:
„Wenn jetzt dazu keine Fragen mehr sind, sollten wir zum Frühstück gehen und uns mit den anderen beiden treffen. Wir wollen dann auch bald nach Hause aufbrechen.“
Somit zogen wir drei los zum Frühstück. Stephan und Mario saßen bereits am Tisch und schauten uns neugierig an. Ich hatte das Gefühl, Mario wusste genau, was passiert war, denn er grinste und sagte sonst nichts. Ich fühlte mich unwohl, aber Stef nahm das zum Anlass, mit mir im Arm zum Büfett zu gehen und uns das Frühstück zu holen.
Als wir zurück am Tisch waren, setzten wir uns nebeneinander an den gemeinsamen Tisch und begannen mit unserem Frühstück.
Mario wurde mit der Zeit immer unruhiger und irgendwann konnte er sich nicht mehr zurückhalten.
„Sag mal kleiner Bruder, stimmt das, was ich gehört habe? Du bist jetzt mit Luc fest zusammen?“
Stef schaute vom Essen auf, drehte seinen Kopf zu mir und wie im Chor antworteten wir beide:
„Ja!“
„Gut.“
Schweigen. Ich fand diese Situation total komisch. Allerdings machte sie es uns sehr einfach, wieder mit dem normalen Leben weiter zu machen. Das Frühstück schmeckte gut und wir besprachen den weiteren Verlauf. Die Rückfahrt nach Hause stand an. Wir sollten unsere Taschen aus dem Zimmer holen und in den Van packen. Auf der Rückfahrt sollte es eine Änderung geben. Papa hatte entschieden, dass ich mit Stef im Van zurückfahren sollte. Dafür würde Mario mit Papa fahren. Es war eigentlich genug Platz im Van für Mario, aber ich hatte das Gefühl, er wollte ein wenig Zeit mit Papa in Ruhe zum Reden haben. Ich war natürlich auch einverstanden, mit meinem Freund die Rückfahrt anzutreten.
Eine unruhige Zeit beginnt
Wie waren schon einige Zeit unterwegs und hatten auch immer wieder ein wenig geschlafen, aber bei einer Tankpause standen Stef und ich etwas abseits vom Auto.
„Du, Luc, ich weiß gar nicht, wie ich dir das erklären soll. Ich bin gerade so glücklich. Dieses Wochenende mit euch und auch noch mit meinem Bruder war der absolute Wahnsinn. Mario und ich hatten noch nie so persönliche Gespräche und er freut sich für uns. Danke für alles.“
„Dafür bestimmt nicht. Ich freue mich, dass es dir gut geht und auch Mario glücklich ist. Wenn ihr beide auch Zeit hattet, ist es umso schöner. Ich bin sicher, wenn ich in den Ferien in München bin, dann werden wir noch viel mehr Zeit haben mit Mario etwas zu unternehmen. Außerdem wird er jetzt richtig gut verdienen und dich vielleicht hier öfter besuchen kommen. Er kann bei uns wohnen und somit muss er nur die Fahrt bezahlen.“
Stef war sehr still und nachdenklich. Ich wollte wissen, was für Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
„Du vermisst deinen Bruder oft, oder? Du bist gerade so schweigsam.“
Er nickte stumm und ich konnte spüren, dass er Mario in der Schweiz vermisste. Er war sein einziger Familienkontakt und Mario hatte sich immer um ihn gekümmert. Ich legte meinen Arm um ihn und dann gingen wir wieder zum Auto. Ich musste mit Papa mal sprechen. Vielleicht könnte Mario ja jetzt häufiger zu uns kommen. Den Rest der Fahrt hatten wir schlafend verpasst. Erst, als uns Stephan kurz vor dem Ziel weckte, realisierte ich, für heute war der Abschied von Stef angesagt.
Wir standen mit dem Van und dem Delta auf dem Parkplatz vom Internat und Papa fragte:
„Luc, bringst du Stef noch nach oben oder verabschiedet ihr euch hier?“
Ich wäre natürlich gerne noch mit nach oben gegangen, aber was hätte es gebracht? Tommy war sicher auch da, also hätten wir eh keine ruhige Minute mehr gehabt. Somit verabschiedeten wir uns mit einem Kuss.
„Also Stef, ich melde mich bei dir morgen nach der Schule. Mach´s gut und bis morgen.“
Wir umarmten uns und es fiel ihm sichtlich schwer, mich wieder loszulassen.
„Luc, ich freue mich auf morgen und die Zukunft mit dir. Wir können ja nachher noch mal schreiben über Whatsapp.“
„Klar, das machen wir sicher. Spätestens zum Einschlafen.“
Als Papa das gehört hatte, kam von ihm nur: „Na, da will ich jetzt aber mal gar nicht wissen, was ihr da wohl schreiben werdet.“
Dabei grinste er ganz fies und Stephan und Mario lachten. Damit ging Stef ins Internat und wir fuhren mit beiden Autos zur Werkstatt. Dort ließen wir den Delta stehen und verabschiedeten uns von Stephan. Papa bedankte sich noch einmal für die tolle Unterstützung und dann rollten Mario, Papa und ich mit dem Van Richtung zuhause.
Mama hatte uns schon erwartet und ein üppiges Abendessen vorbereitet. Leif war auch da und so mussten wir natürlich erst einmal genau berichten, was uns so alles passiert war. Für Mario war allerdings auch der Abschied gekommen. Er musste ja wieder zurück nach München. Ich berichtete ihm von meinem Gespräch mit Stef über ihn. Es ging ihm sehr ähnlich, auch er vermisste seinen kleinen Bruder. Allerdings wusste er auch, dass er hier sehr gut aufgehoben war und er nicht ständig in Angst um seinen Bruder leben musste. Wir vereinbarten, dass wir uns das nächste Mal in München sehen würden und dann war Marios Zeit bei uns auch endgültig zu Ende. Der Abschied fiel für beide nicht sehr schön aus.
Die nächsten Tage waren wirklich wunderschön. Stef und ich waren viel, aber nicht jeden Tag zusammen. Ich zeigte ihm die Umgebung und wir kamen immer mehr zusammen. In meinem Freundeskreis war unsere Beziehung mittlerweile bekannt und auch akzeptiert. Im Internat hingegen wollte Stef es noch nicht allen offenlegen. Seine Klasse kannte er noch nicht sehr lange und er wollte sie noch besser kennenlernen. Tommy war sicher dabei eine große Unterstützung für ihn.
Wir waren sogar ein Wochenende gemeinsam nach München geflogen. Karl Geiger hatte uns eingeladen, an meinem Camaro zu schrauben. Er hatte ein paar neue Teile besorgt, die bearbeitet werden mussten. Wir hatten mittlerweile auch die Karosserie soweit zerlegt, dass sie lackiert werden konnte. Ich konnte mich aber noch nicht entscheiden, welche Farbe es werden sollte. Karl bot mir an, mich mit dem Designer zusammenzutun, um das am Computer zu simulieren. Das würden wir dann bei dem nächsten Besuch machen. In einigen Wochen standen wieder Ferien an. Da würde ich sicherlich wieder dort arbeiten.
Leider sollte unsere gemeinsame Zeit nicht so friedlich und glücklich bleiben, denn eines Tages bekam Papa einen Brief aus München. Der war vom dortigen Jugendamt und beinhaltete eine Vorladung für Stef. Er musste dort erscheinen, um eine Entscheidung über den Aufenthaltsort zu beschließen. Für Stef eine enorme Belastung. In dem Brief stand ebenfalls, dass seine Eltern erneut den Antrag gestellt hatten, ihn wieder zu sich zu holen. Das löste bei Stef wahre Panikattacken aus und immer wieder wurde er nachts von Albträumen geplagt. Manchmal war es so schlimm, dass er die Erlaubnis bekam, eine Nacht bei uns zu bleiben. Auch für Tommy war diese Zeit sicher nicht einfach und ich war wirklich froh, dass wir so gute Freunde waren. Er hatte sich nie beschwert oder gemeckert. Nur Papa war der Meinung, dass das so nicht weitergehen konnte. Wir waren uns alle einig, dass Stef unter diesen Bedingungen niemals zurück nach München gehen dürfte. Auch das dortige Jugendamt war auf unserer Seite. Dennoch war dieser Termin eben eine Pflichtveranstaltung und Stef musste dort erscheinen. Der Termin rückte näher, und als ich einen Tag vor diesem Termin aus der Schule kam, stand Papa mit dem Motorrad auf dem Parkplatz meiner Schule und holte mich ab. Ich war darüber sehr verwundert.
„Hallo Papa, was machst du denn hier? Ich habe dich gar nicht erwartet.“
„Hallo Sohnemann, ich wollte dich mit einer Kleinigkeit überraschen und deshalb steig auf und komm mit.“
Mit einem dumpfen Brabbeln und Grollen rollten wir mit der Adrenaline vom Hof. Ich hatte keine Ahnung, wo es hingehen sollte. Aber als wir vor Salvatoris Restaurant standen, war mir klar, worum es gehen würde: Essen. Aber warum so eine Aktion daraus machen? Ich war sehr gespannt. Wir setzten die Helme ab und betraten das Lokal. Ich konnte erkennen, dass Leif und Mama bereits am Tisch saßen. Ich begrüßte Salvatori und wir setzten uns zu den anderen.
Salvatori fragte uns nach den Getränken und ich wunderte mich, warum wir keine Speisekarten bekamen.
„So, da wir fast komplett sind“, begann Papa nun, „kann ich dir sagen, was geplant ist. Luc, du weißt ja, morgen steht der Termin in München an und Stef muss dort anwesend sein.“
„Ja, ich weiß und ich finde es ziemlich blöd, dass er dort nur von dem Jugendbetreuer begleitet wird. Wir dürfen ja scheinbar nicht dabei sein. Obwohl wir für ihn alles bedeuten, wie er mir immer gesagt hat.“
Bei diesen Worten spürte ich eine hochkommende Wut auf die deutschen Gesetze zum Jugendschutz. Stef hatte bei uns in der Schweiz eine neue Heimat gefunden und nun kamen die deutschen Behörden und wollten alles hinterfragen. Ich hatte das Gefühl, dass die Eltern mehr Rechte hatten, obwohl sie ja diejenigen waren, die die Gesetze gebrochen hatten und Stef zu dieser Flucht gezwungen hatten.
„Warte doch mal einen Moment“, warf mein Vater ein.
„Wir sind genau deswegen hier zusammengekommen. Stefan wird auch gleich hier sein. Ich möchte dir aber vorher schon etwas sagen. Ich werde Stefan morgen begleiten und ihn auch wieder mitbringen. Das verspreche ich dir. Du musst in die Schule und hast morgen eine wichtige Arbeit zu schreiben. Ich weiß, das ist keine gute Zeit für eine Arbeit, aber so ist es nun einmal.“
Das war jetzt aber eine Überraschung für mich. Damit hatte ich nicht gerechnet.
„Heißt das, du darfst auch bei der Verhandlung dabei sein?“
„Jap, genau das heißt das. Ich habe mit dem Jugendpfleger noch bis zuletzt darum gerungen. Er musste den Richter davon überzeugen, dass es angemessen ist, wenn ich Stefan begleite. Diese Erlaubnis ist gestern schriftlich gekommen. Deshalb konnte ich dir das noch nicht vorher sagen. Ihr wäret sicher sehr enttäuscht gewesen, wenn das nicht geklappt hätte.“
„Danke, Papa. Das ist eine wirkliche Überraschung. Weiß Stef schon davon?“
„Ja, ich musste es ihm von Beginn an sagen. Er sollte das Gefühl haben, wir kämpfen für ihn. Er hatte aber die Ansage von mir bekommen, mit dir nicht darüber zu sprechen.“
In diesem Moment betrat Stef das Lokal und kam an unseren Tisch. Er begrüßte mich sehr stürmisch und gab mir einen leidenschaftlichen Kuss. Mittlerweile war das für uns zur normalen Begrüßung geworden, wenn wir mit der Familie zusammen waren.
„Hallo Stefan, schön, dass du da bist“, sagte mein Vater zu ihm.
„Nimm doch bitte Platz. Da wir nun vollständig sind, kann Salvatori ja das Essen servieren.“
Also wieder einmal hatte Papa für eine Überraschung gesorgt, denn er hatte eine große Familienplatte bestellt. Er wollte damit zeigen, wir waren eine Einheit und Stef gehörte dazu. Wir sprachen noch über den genauen Ablauf des morgigen Tages. Papa würde schon früh morgens mit Stef nach München fliegen und sich dort noch einmal mit dem Betreuer treffen. Stef war sichtlich erleichtert, dass Papa ihn begleiten würde. Dieser Tag wurde noch sehr emotional. Nach dem Essen hatte ich mit Stef noch etwas Zeit. Wir wollten mit dem Rad durch die Wälder fahren und abends würde Stef bei mir schlafen, denn sie mussten schon sehr früh los.
Wir standen mit den Rädern wieder einmal an der Lichtung, von wo man über den ganzen Ort blicken konnte. Stef und ich lehnten aneinander und wir schwiegen einen Moment.
„Luc, ich weiß gar nicht, wie ich dir sagen soll, was ich gerade fühle. Einerseits freue ich mich, dass dein Vater mich begleiten darf und er sich dafür auch die Zeit nimmt. Andererseits habe ich große Angst, meinen Eltern wieder zu begegnen. Ich hatte gehofft, ich müsste sie nie wieder sehen.“
Ich legte meinen Arm um seine Hüften und drückte ihn ganz fest an mich.
„Es wird schon alles gut gehen. Ich glaube nicht, dass sich für dich danach etwas zu deinem Nachteil verändern wird. Glaub mir, Papa würde sonst nicht so gelassen sein. Er scheint sich sehr sicher zu sein, dass alles so bleiben wird, wie es ist.“
„Hoffentlich hast du Recht. Wirst du morgen an mich denken?“
„Natürlich, aber erst morgen. Heute haben wir noch den ganzen Abend für uns. Das will ich mit dir nutzen.“
Das war das Stichwort. Stef drehte sich zu mir und wir vergaßen die Zeit in einem lang andauernden Kuss. Ich bekam sofort Lust auf mehr und Stef schien es genauso zu gehen. Er meinte nämlich:
„Können wir zu dir fahren? Ich möchte auch die Zeit mit dir nutzen.“
„Dann lass uns fahren und die Zeit genießen, die wir heute noch zusammen haben.“
Wir fuhren schweigend zu uns nach Hause und verdrückten uns in mein Zimmer. Erst zum Essen kamen wir wieder hervor. Wir hatten die Zeit mit reden, kuscheln und ein wenig zocken verbracht. Nach dem Essen wurde es noch einmal richtig schön. Wir machten es uns bei mir richtig gemütlich, mit Chips und Getränken. Wir schauten uns eine Folge der Kultserie Raumpatrouille Orion an und um zehn gingen wir gemeinsam schlafen. Mittlerweile war es normal, dass Stef bei mir im Bett schlief, wenn er am Wochenende zu Besuch war. Diese Nacht wurde sehr emotional. Leider war sie viel zu schnell vorbei. Um halb sechs klingelte der Wecker und Stef musste aufstehen. Ich hätte noch eine Stunde schlafen können, aber es war für mich selbstverständlich, dass ich meinen Freund nicht allein losfahren ließ. Wir frühstückten gemeinsam, und als Papa mit ihm in den Ferrari zum Flughafen einstieg, wurde mir doch ein wenig komisch zumute. Wir würden uns heute Abend ja schon wieder sehen, wenn alles normal verlaufen würde. Dennoch war es eine komische Situation. Papa machte es uns insofern recht einfach, dass er einfach losfuhr, als Stef eingestiegen war. Ich winkte ihnen noch hinterher und ging wieder ins Haus zurück. Dort stand schon meine Mutter und nahm mich in Empfang.
„Komm Schatz, das wird schon alles gutgehen. Dein Freund wird ganz sicher wieder mit zurück kommen.“
Ich konnte nicht mehr anders, mir lief eine Träne über die Wange und Mama nahm mich ganz fest in den Arm. Das tat einfach gut, sich gehen zu lassen. Mama sagte nicht mehr viel, sie führte mich nur zurück in die Küche, wo wir noch eine ganze Zeit zusammen saßen und uns über die Situation unterhielten. Als Leif hinzukam, wurde mir bewusst, dass es schon Zeit war, sich für die Schule vorzubereiten. Ich schrieb ja auch noch ausgerechnet heute eine Englischarbeit.
Den ganzen Weg zur Schule war ich ein wenig abwesend, immer wieder war ich mit meinen Gedanken bei Stef und wie es ihm wohl gerade ergehen würde. Ich kam in der Klasse an und Nico begrüßte mich gut gelaunt wie immer.
„Hi Luc, wie war dein Wochenende? Hast du Spaß gehabt?“
Ich hingegen brauchte einen Moment, um auf seine Frage zu reagieren.
„Ja, war cool. Danke.“
„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“
„Ach, das ist eine lange Geschichte und gleich ist erst mal Englisch angesagt.“
„Ok, das stimmt, aber danach erzählst du mir, was dich gerade so beschäftigt.“
Wie ich das bei Nico gehasst habe, er wusste immer sofort, wenn es mir nicht gut ging. Aber eigentlich ging es mir ja gut, mir fehlte nur mein Freund.
Jedenfalls brachten wir die Englischarbeit einigermaßen gut über die Bühne, als ich kurz vor Abgabe eine Nachricht bei Whatsapp bekam. Ich gab meine Arbeit ab und verließ die Klasse. Nico war bereits vor mir fertig und gegangen. Allerdings war ich mir sicher, er würde auf mich warten. Also schaute ich zuerst mal auf die Nachricht. Sie war von Stef. Dort schrieb er mir, dass sie gut angekommen waren und er froh war, dass Papa mit ihm geflogen ist. Zum Schluss schickte er mir ein rotes Herz und einen Kuss. Das war schön. Ich antwortete ihm mit einem Handkuss und viel Erfolg im Amt. Leider hatte ich nicht bemerkt, dass sich Nico von hinten angeschlichen hatte und er mir über die Schulter geschaut hatte.
„Ha, jetzt verstehe ich, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist. Da hätte ich auch selber drauf kommen können. Hast du es endlich geschafft, mit Stefan richtig zusammenzukommen?“
Ich erschrak und zuckte zusammen.
„Man, Nico. Wie kannst du mich so erschrecken. Ähm, also ja. Ich bin mit Stef richtig zusammen. Und er fehlt mir.“
Dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Es dauerte fast die ganze große Pause, aber als ich fertig war, legte er mir seine Hand auf die Schulter und sagte nur:
„Freut mich wirklich, dass ihr es geschafft habt. Und dass du nun beunruhigt bist, ist doch normal. Aber mit deinem Vater hat er die beste Begleitung, die man haben kann. Du wirst sehen, heute Nachmittag ist alles wieder gut. Er wird schon nicht in München bleiben müssen.“
„Hoffentlich hast du recht. Ich weiß auch nicht, warum ich so nervös bin.“
„Ganz einfach, Luc. Du hast dich verliebt und so, wie ich das sehe, ist er genauso in dich verliebt. Ich freue mich für euch. Da ist er bei Tommy ja genau richtig auf dem Zimmer.“
Jetzt grinste er wieder, ein guter Grund, ihm in die Seite zu stupsen. Er zuckte zusammen und innerhalb kürzester Zeit waren wir in einer richtigen Balgerei. Erst das Klingeln ließ uns aufhören.
Nico hatte mir aber damit gut über diese schlechte Laune geholfen und ich war froh, solche Freunde zu haben.
Endlich, - die Schule war zu Ende und ich konnte nach Hause fahren. Leider hatte ich immer noch keine weitere Nachricht aus München. Möglichst wenig daran denkend, fuhr ich nach Hause. Mama nahm mich direkt in Empfang und stellte mir mein Mittagessen auf den Tisch.
„Na, mein Schatz, wie war der Tag in der Schule? Hast du alles gut hinbekommen? Wie war die Englischarbeit?“
Typisch meine Mutter, immer gleich alles auf einmal. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, denn sie wusste eigentlich ganz genau, dass mich das total nervte.
„Hi, Mama. Darf ich mich erst mal hinsetzen und etwas essen, bevor ich deine Fragen beantworte. Ich habe nämlich Hunger.“
Sie lachte und ließ mich einen Moment in Ruhe. Nachdem ich die ersten Bissen des sehr leckeren Essens verarbeitet hatte, fühlte ich mich in der Lage, ihre Fragen zu beantworten und als wir bei dem Thema Englischarbeit waren und ich ihr von meinem guten Gefühl berichtet hatte, kam sie auf Stef zu sprechen.
„Hat sich eigentlich Stefan bei dir gemeldet? Marc hat hier auch noch nicht angerufen. Ich hoffe mal, er hat dort alles unter Kontrolle.“
Oha, Papa hatte noch nicht einmal meine Mama angerufen. Sonst würde er immer sofort anrufen, um Mama zu beruhigen. Ich fing an, ein wenig unruhig zu werden.
„Nein, nur dass sie in München angekommen waren. Außerdem hat er gesagt, dass er froh ist, nicht allein fahren zu müssen. Seitdem habe ich nichts mehr gehört. Weißt du, wann der Termin im Jugendamt war?“
„Soweit ich weiß, um halb zwölf. Also kann durchaus sein, dass sie noch dort sind und deshalb noch nicht anrufen konnten.“
Ich schaute zur Uhr, aber so wirklich beruhigt war ich nicht.
„Komm, Luc, das wird schon gut gehen. Marc war sehr zuversichtlich, dass alles so weitergehen wird, wie es hier bisher war. Bislang hat er sich selten geirrt.“
Ich wollte es ihr so gerne glauben, aber diese Ungewissheit war sehr unangenehm für mich. Ich spürte diese Angst, dass Stef vielleicht doch nicht mit zurück durfte. Wir saßen immer noch in der Küche und Mama machte mir eine schöne Tasse heißen Kakao. Das machte sie immer, wenn sie mich wieder aufbauen wollte. Schon als kleiner Junge half das immer. Jetzt musste ich doch lachen, als sie mir den Becher auf den Tisch stellte. Wir schauten uns an und ich hatte, wie schon so oft, das Gefühl, dass sie meine Gedanken lesen konnte.
„Du vermisst ihn, oder? Sei ehrlich, du möchtest ihn weiterhin bei dir haben.“
Sehr nachdenklich nickte ich ihr zu. Vermutlich wurde ich auch rot im Gesicht.
„Ja, Mama. Ich vermisse ihn. Ich mag ihn sehr und er mich auch. Ich will nicht, dass er wieder in die Hölle zu seinen Eltern muss. Warum sind diese Gesetze so bescheuert? Hier geht es ihm gut, oder zumindest viel besser, als bei seinen blöden Eltern und dennoch haben die Eltern ein Recht darauf, ihren Sohn wieder zurückzubekommen? Wo ist da der Schutz für die Kinder?“
Meine Stimme wurde zum Schluss immer schwankender, und ich konnte auch nicht weiter sprechen, als ich den letzten Satz gesagt hatte. Meine Mutter setzte sich wortlos neben mich und legte ihren Arm auf meine Schulter.
„Ich verstehe dich, aber die Eltern haben auch ein Recht auf ihr Kind. Glaube mir, sie werden genau prüfen, ob die Eltern Stefan zurückhaben dürfen oder nicht. Und eines sei dir versichert, dein Papa wird dafür alles tun, damit Stefan eine positive Zukunft hat. Vor allem wissen wir, was er dir bedeutet. Weißt du eigentlich, dass er uns heute Morgen noch etwas gegeben hatte?“
Jetzt stand sie auf, ging kurz auf den Flur und kam mit einem Briefumschlag wieder. Sie legte mir diesen auf den Tisch und meinte dann:
„Dieser Brief ist an uns geschrieben, also an uns alle und Stefan beschreibt darin, wie sehr er sich bei uns wohl fühlt und wie stolz er ist, dein Freund sein zu dürfen. Er hatte sich immer so eine Familie für sich gewünscht. Auch Mario ist sehr glücklich, dass Stefan hier eine Chance bekommen hat, zur Ruhe zu kommen. Also, du kannst dir sicher sein, Stefan mag dich ganz bestimmt genauso, wie du ihn magst.“
Jetzt wurde mir klar, Mama wollte es von mir hören. Sie hat es verstanden, dass Stef und ich mittlerweile nicht mehr nur gute Freunde waren, sondern fest zusammen.
„Mama, ich liebe ihn. Ich weiß seit dem Wochenende, wo wir zusammen bei der Rallye waren, dass ich ihn liebe.“
„Das weiß ich, und wo ist das Problem? Du wirst ihn schon noch zurückbekommen. Ganz sicher. Sonst hätte Papa sich nicht auf dieses Gespräch in München eingelassen. Er war sich ganz sicher, dass die Eltern ihn nicht zurückbekommen.“
Ich saß nun mit meiner Mutter am Tisch und mir liefen die Tränen übers Gesicht. Warum eigentlich? Ich war einfach nur überfordert mit dieser Situation. Mittlerweile war wieder über eine Stunde vergangen und ich konnte nicht länger herumsitzen und nichts tun. Ich rief bei Nico an.
„Hi, Luc. Was gibt’s denn? Hast du schon was aus München gehört?“
„Nein, deshalb rufe ich ja an. Ich halte es nicht mehr allein hier zu Hause aus. Hast du vielleicht Zeit und Lust, mit mir etwas zu machen. Ich brauche einfach Ablenkung.“
„Na klar, ich kann dich doch nicht so allein lassen. Was sollen wir denn machen?“
„Egal, Hauptsache sich beschäftigen. Vielleicht eine Partie Billard spielen?“
„Cool, habe ich schon länger nicht mehr gemacht. Wo wollen wir spielen? Bei euch im Keller oder im Café?`“
„Wäre es für dich ok, wenn wir hier spielen würden. Falls sich Stef meldet.“
„Klar, kein Problem. Wann soll ich kommen?“
„Wenn du möchtest, kannst du direkt herkommen.“
„Ok, bis gleich. Ich mache mich auf den Weg. Soll ich noch etwas mitbringen?“
„Nö, hier ist alles vorhanden. Nico, danke, dass du mich verstehst und mir hilfst.“
„Keine Ursache, ihr habt uns auch immer geholfen und dafür sind doch Freunde da. Also bis gleich.“
Ich atmete tief durch. Wirklich ein sehr gutes Gefühl zu wissen, dass ich mich auf meine Freunde verlassen konnte.
Eine knappe Stunde später war ich mit Nico im Keller und wir hatten richtig Spaß beim Kugeln versenken. Er hatte es tatsächlich geschafft, mich völlig abzulenken. Ich hatte nicht einmal daran gedacht, was wohl in München passierte, als plötzlich meine Mutter in den Raum kam.
„Luc, hast du dein Handy aus? Papa versucht schon die ganze Zeit dich zu erreichen?“
Ich erschrak, sollte ich das versehentlich ausgemacht haben? Konnte eigentlich nicht sein. Ich schaute nach und siehe da, es war ganz normal an. Keine Ahnung, warum das nicht klappte.
„Nein, Mama. Ich habe es eingeschaltet. Keine Ahnung, warum das nicht klappt. Hat Papa noch was gesagt?“
„Nur, dass er gleich noch einmal anrufen will und du bitte dann ans Telefon gehen sollst. Wenn er dich auf deinem Handy wieder nicht erreichen kann, ruft er bei uns zu Hause an. Dann rufe ich dich.“
„Danke Mama. Ich weiß nicht, warum das nicht klappt.“
Nico stand die ganze Zeit am Billardtisch und hatte unser Gespräch verfolgt. Er meinte dann:
„Vielleicht ist der Empfang hier im Keller nicht besonders gut. Lass uns doch mal nach oben gehen.“
Somit verließen wir beide den Keller und kaum war ich oben, bekam ich fünf Benachrichtigungen über entgangene Anrufe. Na klasse! Da hätte ich ja noch Stunden warten können. Große Gelegenheit mich aufzuregen hatte ich nicht mehr, denn schon klingelte mein Handy. Papa!
„Hallo Papa!“
„Mensch Luc, warum hast du das Handy aus gehabt? Ich versuche schon seit einer Stunde, dich anzurufen.“
„Sorry Papa, ich hatte es gar nicht ausgeschaltet. Aber ich war mit Nico im Keller Billard spielen. Wahrscheinlich ist der Empfang dort nicht ausreichend. Aber jetzt hat es ja geklappt. Los, sag schon, wie ist es gelaufen?“
Meine Nerven flatterten, genau wie meine Hände. Ich hatte Mühe, meine Stimme unter Kontrolle zu behalten.
„Bleib ganz ruhig, Luc. Es ist alles ganz gut gelaufen. Leider waren die Eltern überhaupt nicht kooperativ, aber das Wichtigste zuerst: Stefan kann erst einmal im Internat bleiben. Er muss nicht wieder nach München zurück.“
Boah, was für eine Nachricht! Am liebsten hätte ich vor Freude laut geschrien, aber Papa war noch nicht fertig.
„Das Jugendamt hat aber ein paar Auflagen gemacht. Die Eltern haben ein Besuchsrecht. Das heißt, sie dürfen unter bestimmten Auflagen ihren Sohn besuchen. Sie können also darauf bestehen, ihn in der Schweiz zu besuchen. Stefan muss also nicht nach München, sondern die Eltern müssen zu uns kommen. Und sie dürfen nicht mit Stefan allein sein. Es muss immer jemand von uns, also deine Mutter oder ich oder ein Lehrer vom Internat dabei sein.“
„Heißt das, Stef kommt heute wieder mit dir zurück?“
„Natürlich, was hast du denn gedacht? Sag bloß, du hast dir ernsthaft Sorgen gemacht, dass er nicht zurück darf?“
Was sollte ich jetzt sagen, einerseits war ich total glücklich, aber ein wenig unangenehm war es mir doch. Ich zögerte also. Das nahm Papa als Anlass fortzufahren.
„Mein Sohn, ich habe gedacht, du kennst mich jetzt lange genug. Ich wäre niemals ohne dich gefahren, wenn ich auch nur den geringsten Zweifel gehabt hätte, dass ich Stefan wieder mitbringen würde. Also beruhige dich und hier ist noch jemand, der dich unbedingt sprechen will.“
Er gab sein Handy weiter und dann hörte ich Stefs Stimme.
„Hi Schatz, stimmt das? Du hast dir den ganzen Tag Sorgen gemacht?“
„Ja, das stimmt“, sagte ich sehr kleinlaut.
Am anderen Ende hörte ich einen lauten Seufzer.
„Ach Luc, hier ist alles in Ordnung. Mein Vater hat zwar versucht, richtig rumzustressen, aber dein Vater war echt cool. Der hat ihm klar gesagt, was er alles schon versäumt hatte und dass er doch erst einmal unter Beweis stellen muss, dass er sich wirklich um mich kümmern würde. Das Gesicht hättest du mal sehen sollen. Genau wie die vom Jugendamt, als die gemerkt hatten, was Marc schon alles für mich gemacht hatte, da war denen klar, ich würde nicht freiwillig in München bleiben. Sie haben mich noch gefragt, wo ich denn gerne weiter leben möchte und als ich denen dann sagte, dass ich mich bei euch und im Internat wohlfühle, war alles klar.“
„Mann Stef, ich bin so froh. Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich jetzt machst.“
Nico stand direkt vor mir, lachte und zeigte mir den Daumen hoch.
„Weißt du Luc, ich habe denen gesagt, dass ich einen Freund habe. Also der Mitarbeiterin vom Jugendamt, bevor meine Eltern dazu kamen. Da hat sie gelacht und mir nur gesagt, das wäre ein guter Grund, mich wieder in die Schweiz zu schicken. Da hatte ich schon das Gefühl, dass die auf unserer Seite stehen. Luc, ich vermisse dich. Geht es dir jetzt wieder besser?“
Ich musste schlucken.
„Ja, jetzt schon. Und ich vermisse dich auch. Wann kommst du?“
„Das weiß ich noch nicht, wir fahren gleich los und der Flieger geht wohl in einer Stunde. Ich geb dir mal deinen Vater wieder. Der kann dir das erklären, also: ich lieb dich und bis später.“
Dann gab er mir einen Kuss durchs Telefon. Wie toll, er würde bald zurück sein.
„Luc, hier ist wieder dein Vater. Wir fahren gleich zum Flughafen und kommen zurück. Du brauchst dich nicht weiter zu sorgen. Heute Abend sind wir wieder zu Hause und ihr könnt euch alles erzählen.“
„Papa, danke für alles! Ich bin so froh darüber.“
„Kann ich mir vorstellen. Also noch ein wenig Geduld und bald sind wir wieder zu Hause. Bis nachher dann.“
Er legte auf und ich ließ das Handy auf den Tisch sinken. Anschließend fielen mir tausend Steine von der Seele. Ganz toll war, dass Nico mir seine Hände auf die Schultern gelegt hatte und mir ganz leise ins Ohr flüsterte:
„Ich freu mich für dich. Alles wird wieder gut. Du musst keine Angst mehr haben.“
Ich drehte mich um und fiel ihm in die Arme. Er hielt mich einfach fest und das war ein tolles Gefühl, so einen Freund zu haben. Einige Augenblicke später hatte ich auch Mama alles berichtet und sie freute sich genauso für mich. Es fühlte sich alles gut und richtig an, Mama bat Nico zum Abendessen zu bleiben, denn das würde mir sicher gut tun. Er war einverstanden, wollte aber zu Hause noch Bescheid sagen, dass sie sich nicht sorgen müssten.
Die gemeinsame Zukunft
Die Zeit schien still zu stehen. Obwohl Nico schon über eine Stunde wieder zu Hause war, hatte ich das Gefühl, der Moment der Rückkehr von Papa und Stef würde und würde nicht kommen. Ich saß in meinem Zimmer und versuchte, mich am Computer abzulenken. Es gelang mir nicht, selbst bei den einfachsten Spielen scheiterte ich früh. Meine Gedanken an Stef waren einfach zu dominant.
Ein Geräusch ließ mich zusammenzucken. Mein Handy meldete sich. Endlich, am Klingelton konnte ich erkennen, es musste Papa sein.
„Hallo Papa, seid ihr endlich wieder in der Schweiz gelandet? Wie geht es euch?“
„Hallo Luc, na, da ist aber einer aufgeregt“, Papa musste lachen.
„Ja, wir sind heile und gut in Genf gelandet. Wir sitzen schon im Auto und fahren sofort los, also in einer guten halben Stunde sollten wir zu Hause sein.“
„Toll, ich freue mich schon richtig, euch wieder zu haben.“
Meine Stimme schien ein wenig zu zittern und Papa musste auf diesen Satz richtig laut lachen.
„Na, ob das euch nicht besser Stefan heißen sollte?“
„Papa!“
„Was? Stimmt doch, aber ich kann dich beruhigen. Es ist schon ok und ich kann dich verstehen. Was hältst du davon, wenn du für Stefan schon einmal das Bett vorbereitest? Er soll heute nicht mehr ins Internat. Das wird einfach zu spät sonst. Ich habe das bereits mit der Aufsicht dort besprochen.“
„Klar mache ich, sollen wir sonst noch etwas vorbereiten? Habt ihr schon gegessen?“
„Nein, du brauchst nichts zu machen, wir haben schon gegessen, sagst du der Mama noch, dass sie nur einen Tee vorbereiten soll.“
„Klar, mache ich. Papa, ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll, aber danke für alles.“
Ein Gefühl machte sich in meiner Brust breit, dass sehr intensiv war. Ich kann es kaum beschreiben. Papa ließ es einen Moment so stehen und meinte nur:
„Gerne, mein Sohn. Ich freue mich, dass es dir gut geht. Bis nachher, ich bin froh wieder zu Hause zu sein.“
Ich legte das Handy weg und ging ins Wohnzimmer zu meiner Mutter, die auf der Couch saß und las. Sie schaute zu mir und konnte wohl an meinem Gesicht erkennen, was gerade passiert war.
„Na, Schatz. Sind die Münchenreisenden auf dem Heimweg?“
„Woher weißt du das?“
„Ach, Luc. Du bist mein Sohn, ich sehe es deinem Gesicht an, dass dein Freund gleich wieder hier sein wird. Was hat Marc noch gesagt?“
Ich erzählte ihr die Dinge und sie stand auf und ging in die Küche, um den gewünschten Tee vorzubereiten. Dabei hatte sie mich in den Arm genommen und schon waren wir beide in der Küche. Wir machten die Vorbereitungen gemeinsam und somit war alles schnell erledigt. Ich sollte noch schnell einen Kuchen aus der Kühltruhe holen und den in der Mikrowelle auftauen.
Es war also alles vorbereitet und Mama hatte mich mit ins Wohnzimmer genommen, wo wir nun noch einen Moment gemeinsam saßen. Wir unterhielten uns über ganz alltägliche Dinge, bis zu dem Moment, wo Mama mir eine Frage stellte.
„Luc, ich weiß, du wirst das jetzt nicht mögen, aber ich, als deine Mutter, mache mir Gedanken. Wenn du mit Stefan zusammen bist, denkt ihr daran euch zu schützen?“
Ich schaute meine Mutter völlig entgeistert an. Daran hatte ich noch nicht einen Moment gedacht. Ich war noch lange nicht soweit, mit Stef zu schlafen.
„Mama, so weit sind wir noch lange nicht. Aber, ja, wenn es soweit sein sollte, werde ich daran denken. Das ist versprochen.“
„Dann ist es ja gut. Wenn ihr etwas braucht, dann sagt es bitte. Es ist kein Tabu bei uns, dass solltest du wissen.“
„Schon gut, Mama. Und danke!“
Ich umarmte meine Mutter, die mich freudestrahlend ansah. Mich durchströmte ein unglaubliches Gefühl von Dankbarkeit und Freude. Ich hatte eine Familie, auf die ich sehr stolz war. Jetzt fehlte mir zu meinem Glück nur noch mein Freund.
Das laute Fauchen eines Achtzylinders ließ mich aufgeregt von der Couch springen. Sie waren zurück. Ich rannte zur Haustür und blieb in ihr stehen, denn Papa und Stef waren schon aus dem Ferrari ausgestiegen und hatten sich auf den Weg ins Haus gemacht. Stef ging voraus und ich traute mich nicht, ihm entgegen zu laufen. Erst als er vor mir stand, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Wir umarmten, küssten uns leidenschaftlich und irgendwann hörte ich meinen Papa schimpfen:
„Wenn die Herren vielleicht einen Schritt beiseite gehen würden, dann könnte ich ins Warme gehen.“
Mich von Stef lösend schaute ich in das grinsende Gesicht von meinem Vater und hörte meine Mutter hinter mir lachen. Wie peinlich!
„Sorry, Papa. Es war keine Absicht, ich wollte …“
„Schon gut, Luc. Ich kann es ja auch verstehen, aber es ist kalt. Lasst uns reingehen.“
Das taten wir auch und wenige Augenblicke später saßen wir in der Küche am Tisch. Stef neben mir und er hatte meine Hand genommen, die er die ganze Zeit nicht mehr los ließ. Papa erzählte von der ganzen Aktion und wie es nun weitergehen würde. Stef würde erst einmal hier in der Schweiz bleiben. Seine Eltern, insbesondere der Vater, hatten zwar Widerspruch angekündigt, aber das Jugendamt war der Überzeugung, dass es ihm hier besser gehen würde. Also sollte erst einmal alles so bleiben, wie es jetzt war.
Nachdem wir alle Informationen bekommen hatten, wollten Stef und ich schon in mein Zimmer gehen, als Papa uns zurückhielt.
„Wartet bitte noch einen Moment, ich habe da noch etwas. Luc, wir waren auch bei Karl in der Firma.“
Jetzt stutzte ich aber doch, wie hatten sie dafür auch noch Zeit gehabt?
„Ja, und?“
„Nun, Karl hat mir den Camaro gezeigt und meinte, es würde langsam Zeit für die Lackierung. Wann willst du das mal machen und entscheiden, wie es weitergehen soll?“
„Papa, wie soll ich das entscheiden. Wir haben doch noch gar nicht darüber gesprochen, wie ich das bezahlen soll. Die Lackierung, so wie ich sie gerne haben möchte, kostet eine Menge Geld.“
„Hast du dich denn schon entschieden, wie das Auto aussehen soll?“
„Ja, der Entwurf ist eigentlich fertig. Ich warte nur noch auf eine Gelegenheit, mit euch zu besprechen, wie das gehen soll.“
„Hast du den Entwurf hier? Oder ist der in München?“
„Beides, ich habe Karl bereits den Entwurf geschickt.“
„Und? Was hat er gesagt?“
„Er fand es toll. Warum hat er ihn dir eigentlich nicht gezeigt?“
Papa lächelte jetzt wieder sehr vielsagend. Komisch, ich hatte schon wieder das Gefühl, er wusste schon viel mehr, als er hier sagte. Ich ging in mein Zimmer, um das Tablet zu holen. Dort war der Entwurf drauf. Ich kam zurück in die Küche und was mich völlig irritierte, war das Lächeln von Stef, als ich mich wieder hinsetzte. Ich legte das Tablet auf den Tisch und die Bilder erschienen. Mama und Papa sahen sich meine Entwürfe genau an und nickten anerkennend. Ich wollte einen dunklen Anthrazitlack als Grundfarbe und mit Silber abgesetzte Streifen haben. Eine stufenlos nach unten dunkler werdende Flanke. Also ein klassisches Design. Das einzig besondere war ein Airbrush auf dem Dach und der Motorhaube. Dort sollte sich eine große Cobra über das Blech winden. Die Cobra war das Markenzeichen von Caroll Shelby, einer amerikanischen Motorsportlegende und der Motorenpapst für amerikanische Achtzylinder. Nachdem sich alle den Entwurf einige Zeit genau angesehen hatten, fragte ausgerechnet meine Mutter:
„Hast du mit Karl schon gesprochen? Was meint er denn dazu? Und hat er was zu den Kosten gesagt?“
Ich schaute meine Mutter etwas verwirrt an. Seit wann interessierte sie sich denn für unsere Autos?
„Klar habe ich mit ihm gesprochen, bzw. gemailt haben wir einige Male dazu. Er hätte das gerne für seine Stingray gehabt. Also gehe ich mal davon aus, dass es ihm gefallen hat.“
Wir mussten alle lachen, auch Stef fand es sehr lustig.
„Ich nehme an, diese Idee hast du abgelehnt“, meinte mein Papa.
„Ja, ich habe nicht vor, das noch einmal wegzugeben. Ich habe aber eine Alternative für Karl gemacht. Wollt ihr die auch mal sehen?“
Wie im Chor kam von allen drei ein:
„Ja!“
Ich öffnete die Datei und wieder staunten alle über die Bilder. Mama hingegen kam direkt auf meine Entwürfe zurück.
„Also, was hat Karl gesagt? Was soll der Entwurf für dein Auto kosten?“
Ich zögerte einen Moment, weil ich mir nicht klar war, was hier für ein Spiel gerade ablief.
„Ähm, leider ist das nicht ganz billig und deshalb habe ich auch noch gar nicht weiter daran gearbeitet. Also, wenn wir die ganzen Vorarbeiten machen würden und das Auto nur noch lackiert werden müsste, dann kostet das ungefähr 3500 Euro, das wären in Franken etwa …“
Weiter kam ich nicht, denn Stef musste schlucken und erschrak sichtlich. Ich wusste diese Reaktion nicht zu deuten. Warum war er jetzt so erschrocken? Papa hingegen stand vom Tisch auf, ging in den Flur und holte seinen Laptop, den er anschließend auf den Tisch stellte und startete.
„Ich habe auch ein paar Bilder mitgebracht, die ich gemacht habe. Ich denke, die werden dich interessieren.“
Ich stutzte und war sehr neugierig geworden.
„Außerdem, denke ich, sind die Kosten für die Lackierung angemessen. Wenn es gut werden soll, dann wirst du schon so eine Summe investieren müssen. Was meinst du Sabine?“
„Also mir gefällt das sehr gut. Ein bildschönes Auto. Wie stellst du dir das vor, Luc? Wie kannst du das finanzieren?“
„Also, im Moment natürlich gar nicht. Deshalb habe ich auch noch keine weiteren Dinge an dem Auto geplant. Vielleicht kann ich in den kommenden Ferien bei Karl wieder ein wenig arbeiten, dann kann ich das Geld dort wieder investieren. Es läuft mir ja nicht weg, bis zum Führerschein ist ja noch ein wenig Zeit.“
„Mir gefällt das nicht, dass das Auto noch so lange ohne Lack in München stehen muss. Das bekommt der Karosserie überhaupt nicht.“
Typisch Papa, er dachte immer pragmatisch.
„Klar, aber was soll ich machen? Ich kann das Geld nun mal nicht herzaubern“, antwortete ich nun etwas genervt.
„Na, bleib doch ruhig, Luc. Schau mal, was ich dir für Bilder mitgebracht habe. Das sieht doch auch alles nicht so schlecht aus, oder?“
Er hatte mittlerweile einige Bilder hochgeladen und ich konnte sofort erkennen, dass diese bei Karl in München gemacht wurden. Allerdings was ich dort zu sehen bekam, verschlug mir die Sprache. Ein Duplikat meiner Entwürfe. Ich war sauer. Hatte Karl etwa ohne mich zu fragen, diese Entwürfe für ein anderes Auto genommen? Papa spürte meinen Ärger und legte seinen Finger auf eines der Bilder und meinte:
„Hier, schau mal genau hin. Fällt dir etwas auf?“
Ich schaute genau hin und bemerkte, dieses Auto schien keinen Motor zu haben. Es stand sehr hochbeinig und es war das gleiche Modell wie mein Camaro. Plötzlich machte es Klick bei mir. Sollte etwa …
„Was soll das? Papa, hast du etwa hinter meinem Rücken mit Karl etwas gedealt?“
Papa musste sich zusammenreißen, damit er nicht einen Lachanfall bekam, da antwortete Stef:
„Nein, Luc. Er hat nicht etwas gedealt, er hat Karl einfach nur gesagt, dass sie die Lackierung machen sollten und er hat sie jetzt in München für perfekt befunden. Dein Auto sieht einfach umwerfend aus. Genau wie du jetzt auch gerade.“
Dabei umarmte er mich und gab mir einen liebevollen Kuss. Bevor ich auch nur irgendetwas sagen konnte, fragte mich Mama:
„Na, gefällt dir das? Wir haben gedacht, du hast so viel in der letzten Zeit für deinen Freund getan, da sollst du auch eine Überraschung bekommen. Jetzt kann es mit der Technik weitergehen, und wenn du dann in den Ferien in München bist, kann Mario dir helfen, weiter zu bauen.“
Wow, was für eine Überraschung ist das denn? Ich war sprachlos. Stef streichelte mir durch die Haare und ich genoss diese Situation einfach nur.
„Du Marc, ich glaube es gefällt ihm. So sprachlos habe ich meinen Sohn schon lange nicht mehr gesehen. Es war eine gute Idee, glaube ich.“
Typisch Mama, seit wir bei Marc lebten, hatte sie ganz viel von seinem Humor übernommen. Stef strahlte und damit war ich dann vollends glücklich.
Wir saßen noch einige Zeit beisammen, aber als Stef immer häufiger zu gähnen begann, meinte Mama, wir sollten doch mal langsam Schluss machen und ins Bett gehen. Schließlich war morgen wieder Schule. Ich bedankte mich noch einmal bei meinen Eltern für diese tolle Überraschung und dann verzog ich mich mit Stefan in mein Zimmer. Wir gingen beide noch schnell duschen und nach kürzester Zeit waren wir eng aneinander gekuschelt eingeschlafen.
Der nächste Morgen war sehr hart, weil der Wecker früh klingelte. Stef musste ja ins Internat zur Schule. Da mussten wir etwa zwanzig Minuten früher aufstehen. Aber ich tat es gern für meinen Freund. Wir verabschiedeten uns beim Frühstück und dann verließ Stef gemeinsam mit Leif unser Haus. Ich hatte noch etwas Zeit und saß mit meiner Mutter in der Küche.
„Was liegt heute bei dir an?“, wollte sie von mir wissen.
Ich musste einen kleinen Moment überlegen.
„Bis halb vier hab ich Schule. Anschließend wollte ich mein Rad in die Werkstatt bringen. Ich muss eine neue Kette und neue Ritzel haben, außerdem brauche ich neue Bremsbeläge. Das kann ich wegen der Hydraulik nicht selbst machen, die muss auch getauscht werden.“
„Sehr schön, ich finde es toll, dass du so auf die Sicherheit achtest. Sag ihnen, sie sollen die Rechnung an uns schicken. Ich möchte, dass du solche Dinge nicht selbst bezahlst.“
„Danke Mama. Heute Abend wollte ich dann mit Stef eine Runde durch den Wald machen und ihm in Kunst etwas helfen. Also ich werde heute wohl erst später nach Hause kommen.“
„Gut, das passt eigentlich gut, denn Papa hat für den Nachmittag einen Handwerker bestellt. Er will etwas im Keller umbauen. So genau habe ich das aber noch nicht mitbekommen.“
Ich schaute auf die Uhr und sah, dass die Zeit gekommen war, um in die Schule zu fahren. Ich gab meiner Mutter noch einen kleinen Kuss auf die Wange, nahm meine Tasche und Jacke und verließ das Haus in Richtung Schule. Unterwegs traf ich Nico. Wir hatten immer einen Treffpunkt, wo derjenige wartete, der zuerst da war.
Neue Entwicklungen in der Klasse
„Morgen Nico“, rief ich ihm zu. Er winkte kurz und dann machten wir uns zusammen auf den Weg die letzten Kilometer gemeinsam zu fahren.
„Sag mal, Luc, wie lange kann Stefan eigentlich hier bleiben? Und was macht ihr, wenn er wieder zu seinen Eltern muss?“
Das war eine berechtigte, aber auch unangenehme Frage am frühen Morgen.
„Also das wissen wir nicht. Erst einmal bleibt er noch eine Weile hier. Ob er überhaupt zurück zu den blöden Eltern muss, wird sich auch noch zeigen. Das Hauptproblem dürfte nur sein, dass er nicht unbegrenzt in der Schweiz bleiben kann.“
„Echt? Das wusste ich gar nicht. Das ist ja blöd. Und was macht ihr dann?“
„Keine Ahnung, ich weiß auch noch gar nicht, wie lange das maximal geht. Aber Papa hat mir gesagt, dass ich mir darüber noch keine Gedanken machen soll.“
Mittlerweile waren wir in der Schule angekommen und stellten unsere Räder in den Fahrradkeller. Wir nahmen unsere Taschen und gingen gemeinsam in unseren Klassenraum. In meiner Klasse wusste außer Nico niemand von meiner Freundschaft zu Stef, also dass wir mittlerweile ein Paar waren. Ich hatte auch noch keine Ambitionen, das an die große Glocke zu hängen.
Die ersten Stunden verliefen auch ohne besondere Ereignisse, erst in Englisch bei unserem Klassenlehrer wurde es interessant. Er kündigte an, dass wir bald einen Ausflug machen würden. Und zwar in das Berner Oberland zum Skilaufen. Na toll. Ich war seit Jahren nicht mehr gelaufen und sollte eigentlich auch nicht mehr Alpinski fahren. Mama war der Meinung, das wäre für meine Knochen zu gefährlich seit der Leukämie. Allerdings wollte ich erst zu Hause mit meinen Eltern sprechen, bevor ich in der Schule das bekannt geben würde und ich dann wohl nicht mitfahren würde.
Nico hingegen war begeistert, denn er war ein Skitalent. Er hatte schon einige Nachwuchsrennen gewonnen und freute sich nun natürlich auf diesen Ausflug. In der Mittagspause saßen wir zusammen mit einigen aus unserer Klasse beim Essen, als er anfing von diesem Thema.
„Was meint ihr denn zu dem Ausflug zum Skifahren. Das ist doch mal was anderes, als immer nur in irgendein Museum oder so zu fahren.“
Die anderen, Tim, Marco und Jasmin waren auch alle völlig begeistert und redeten entsprechend euphorisch. Erst nach einigen Minuten bemerkten sie, dass ich mich überhaupt nicht an ihrer Begeisterung beteiligte.
Marco war der Erste, der es aussprach.
„Lucien, warum sagst du denn nichts? Magst du Skifahren etwa nicht? Du bist doch früher auch gerne gefahren.“
Ich zögerte einen Moment, aber warum sollte ich nicht darüber sprechen?
„Weil ich kein Alpinski mehr fahren darf. Meine Mutter meint, das ist zu gefährlich für meine Knochen. Ihr wisst doch, die Sache mit meiner Leukämie …“
Weiter kam ich nicht, denn eine große Traurigkeit und Angst überkam mich wieder. Diese Gedanken an die Vergangenheit überkamen mich vollkommen unerwartet. Ich dachte eigentlich, dass ich das abgehakt hatte.
Alle anderen bemerkten meine Gefühle und schwiegen für einen Moment. Nico legte seine Hand auf meine Schulter und meinte nur:
„Sorry, Luc. Da haben wir auch gar nicht mehr dran gedacht. Das ist ja blöd.“
„Du darfst auch nach so einer langen Zeit nicht wieder fahren? Du bist doch jetzt wieder gesund, oder nicht?“, fragte Jasmin.
„Nein, meine Knochen werden immer ein wenig anfällig bleiben, auch wenn ich zurzeit ohne Erkrankung bin. Aber ich würde schon sehr gerne mal wieder einen Hang herunter fahren und durch den Schnee toben. Naja … soll … wohl nicht mehr sein.“
Mich überkam ein Gefühl der Enttäuschung und Trauer, ich konnte mich nicht dagegen wehren. Jasmin versuchte mich zu trösten und meinte sehr mitfühlend:
„Mist, ich kann das echt gut verstehen, aber hast du schon mal deine Eltern gefragt, ob du nicht doch mal wieder vorsichtig fahren darfst. Soviel, wie ich weiß, ist deine Mutter auch immer gefahren oder nicht? Sie wird doch bestimmt Verständnis haben, dass du wieder fahren möchtest.“
„Ach, wenn du wüsstest“, seufzte ich, „Sie hat doch die größte Angst, dass mir wieder etwas passieren könnte. Gut, seit wir bei Marc leben, hat sie gelernt, mich auch mal Spaß haben zu lassen, aber Skifahren, nein, das glaube ich nicht, dass sie mir das noch einmal erlauben wird.“
„Komm, lasst uns das Thema wechseln“, meinte Nico jetzt und wir redeten über die nächsten Tage. Denn am kommenden Freitag würde Marco seinen fünfzehnten Geburtstag feiern. Er hatte einige Leute zu einer Feier eingeladen. Wir wollten zuerst zum Bowling gehen und dann bei ihm zu Hause noch ein wenig im Keller feiern. Wir sprachen jetzt noch über dieses Ereignis, als uns die Klingel wieder in den Unterricht schickte.
Die letzten Stunden des Schultages verliefen ohne weitere Überraschungen. Allerdings gingen meine Gedanken immer wieder sowohl zu dem Ausflug, als auch zu der Geburtstagsfeier. Wie sollte ich das machen? Sollte ich Marco fragen, ob ich Stef mitbringen dürfte, oder sollte ich Stef da nicht mitnehmen? Ich beschloss, mit Nico auf dem Heimweg darüber zu sprechen. Als die letzte Stunde zu Ende war, ging ich mit einigen anderen in Richtung Keller zu den Fahrrädern. Wir verabschiedeten uns und so war ich mit Nico bald wieder allein unterwegs. Ich musste ja noch in den Fahrradladen, also trennten sich eigentlich unsere Wege recht bald.
„Du, Nico, ich habe mal eine Frage. Am Freitag ist ja der Geburtstag von Marco. Tommy ist doch bestimmt auch eingeladen, oder?“
„Klar, warum fragst du?“
„Naja, ich mache mir Gedanken, was soll ich Stef sagen? Soll ich ihm sagen, er kann am Freitag nicht zu mir kommen, wie sonst immer an den Wochenenden? Oder soll ich Marco fragen, ob ich ihn mitbringen darf?“
„Hm, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Die anderen wissen ja noch gar nichts von deiner Beziehung zu Stefan. Also, wenn du ihn mitbringst, werden sicher die Fragen kommen, warum und ob ihr zusammen seid. Wenn euch das nicht stört, würde ich Marco danach fragen, ob du ihn mitbringen darfst.“
„Ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich das schon möchte. Also in der ganzen Klasse mich zu outen.“
„Dann rede doch erst einmal mit Marco allein. Erkläre ihm die Situation und dass du Stefan halt ungern am Wochenende allein im Internat lassen möchtest. Er kann ja nun mal nicht zu seinen Eltern nach Hause fahren.“
„Ok, das ist eine gute Idee. Das werde ich später mal machen. Danke Nico.“
„Dafür nicht, übrigens, ich bin mir recht sicher, die meisten in unserer Klasse werden keine Probleme damit haben, wenn du ihnen sagst, dass du auch schwul bist, wie ich. Einige Mädchen, insbesondere Jasmin werden wohl traurig oder enttäuscht sein, aber sonst sehe ich keine Probleme.“
„Warum Jasmin? Weißt du da mehr als ich?“
Meine Verwunderung war groß, denn bislang hatte ich nie das Gefühl, sie würde mich besonders mögen. Klar wir verstanden uns gut, aber sie hatte bislang nie versucht, mir näher zu kommen als den anderen.
„Nein, wissen tue ich es nicht, aber Marco hat mir da was gesteckt. Ich glaube, sie mag dich besonders gern. Aber vielleicht täusche ich mich auch. Erst mal solltest du Marco fragen, denn Stef sollte nicht das Gefühl haben, er gehört nicht dazu. Wir sollten eh mehr versuchen, ihn bei uns aufzunehmen. Er ist nett und ich mag ihn auch gern.“
„Mensch Nico, das finde ich echt klasse, dass du das so sagst. Ich muss mit Stef darüber mal reden. Aber du hast sicher Recht, er braucht auch Freunde außerhalb meiner Familie und des Internats. Leider muss ich jetzt hier abbiegen. Ich muss noch in den Fahrradladen. Danke für deine Hilfe und wir sehen uns dann morgen vor der Schule wieder, oder?“
„Alles klar, Luc. Und ich helfe dir gerne. Dafür sind doch Freunde eben da. Also bis morgen dann.“
Jetzt trennten wir uns und ich hatte noch ungefähr zehn Minuten bis zur Werkstatt. Als ich dort ankam, nahm ich mein Handy heraus, ich hatte das Vibrieren während der Fahrt gespürt. Drei Nachrichten waren eingegangen. Eine von Stef und zwei von Papa. Nanu? Ich öffnete zuerst die Nachricht von Stef. Er wollte nur sagen, dass bei ihm der Tag langweilig war und fragte, wie es mir geht und ob ich schon zu Hause wäre.
Ich schrieb ihm, dass es noch dauern würde und ich mich melde, sobald ich zu Hause sei. Papas Nachrichten waren hingegen etwas verwirrender. Papa bat mich, im Fahrradladen nach einem Pedelec für mich zu schauen. Er war der Meinung, wenn ich jetzt wieder so viel Geld in die Instandhaltung meines alten Rades stecken müsste, sollte ich mich mal beraten lassen. Er hatte sich vor einiger Zeit auch so ein modernes Gerät gekauft und war total begeistert. In unserem bergigen Land war das auch eine tolle Sache. Aber ich hätte nicht gedacht, jetzt einfach so nach einem neuen Fahrrad zu fragen, denn meins war ja erst zwei Jahre alt. Gut es hatte schon viele Kilometer drauf, ich fuhr ja jeden Tag damit, aber es war sonst gut in Schuss.
Die zweite Nachricht bezog sich auf den Abend. Er bat mich, in die Werkstatt zu kommen, weil er mich dort einmal bräuchte. Das bestätigte ich ihm. Ich würde dorthin kommen. Allerdings fiel mir dann ein, dass ich ja kein Fahrrad haben würde, weil das in der Werkstatt wäre. Papa meinte dazu nur, ich sollte sein Pedelec nehmen. Das würde ja nicht benutzt, weil er mit dem Auto unterwegs war. Ok, da sagte ich nicht nein. Als das alles geklärt war, betrat ich den Laden und ging direkt zur Reparaturannahme. Dort wurde ich freundlich begrüßt. Ich erklärte mein Anliegen und ich wurde gebeten, das Rad doch bitte hereinzuholen. Dann würden sie sich das ansehen, was alles gemacht werden müsste.
Nach wenigen Minuten war alles erledigt und ich ging wieder nach vorne in den Laden, um mich wie von Papa gewünscht, für ein für mich geeignetes Pedelec beraten zu lassen. Oh man, was für Unterschiede es da gab. Der Verkäufer war aber sehr kompetent und er fragte sehr präzise nach meinen Fahrgewohnheiten und nach einigen Minuten hatten wir uns auf eine bestimmte Art des Pedelecs geeinigt. Es sollte wieder ein Trekkingrad sein, nur eben mit Hecknabenmotor und einem recht starken Akku, der auch Fahrten im Gelände und am Berg aushielt. Es kamen zum Schluss nur zwei vernünftige Alternativen heraus. Allerdings war keines der Räder unter 2500 Franken zu bekommen. Das war viel Geld. Das bessere sollte sogar fast 4000 kosten. Dafür hätte man auch ein schönes gebrauchtes Motorrad kaufen können. Ich war ziemlich erschrocken über diese Preise. Ich bedankte mich für die sehr gute Beratung, nahm die zugehörigen Prospekte mit nach Hause und verließ den Laden. Morgen sollte ich mein Rad wieder abholen können.
Mit dem Bus dauerte es etwas länger nach Hause, allerdings hatte ich dafür die Gelegenheit, mit Stef zu telefonieren. Er hatte einen normalen Tag und war noch dabei, seine Schulsachen zu machen. Ich erzählte ihm von meinem Tag und wir vereinbarten, dass er am nächsten Tag zu mir kommen würde. Ich vermisste ihn, aber es war eben so, dass wir uns nicht jeden Tag sehen konnten.
Etwas traurig betrat ich unser Haus und meldete mich bei meiner Mutter wieder zurück.
„Hi, Mama. Ich bin wieder da. Hat Papa was gesagt, wann ich zu ihm in die Werkstatt kommen sollte?“
„Hallo Schatz, ja, er meinte, dass du bitte direkt zu ihm kommen mögest. Er wollte an der Cobra mit dir arbeiten. Was gab es in der Schule?“
Zwischenzeitlich hatte sie mir ein leckeres Stück Kuchen und eine Tasse heißen Kakao auf den Tisch gestellt, die ich mir genüsslich zuführte.
„Naja, wir haben heute erfahren, dass wir bald einen Ausflug in das Berner Oberland machen.“
„Oh, eine wunderschöne Gegend. Was wollt ihr da machen?“
Sie überlegte einen Moment, dann schien es ihr klarzuwerden.
„Nein, bitte sag nicht, ihr wollt Skilaufen.“
„Doch, Mama. Das soll mal ein anderer Ausflug werden, meinten die Lehrer. Wir sollten diesmal einfach nur mal gemeinsam etwas Spaß haben.“
Ich konnte sofort ihre Angst im Gesicht erkennen.
„Wann soll das denn stattfinden?“
„Nächste Woche, am Dienstag. Dann sind auch alle Arbeiten durch und wir können uns ein wenig entspannen.“
Sie seufzte und ich wusste genau, was ihre Gedanken waren. Ich wollte es diesmal aber unbedingt wieder probieren mit den Skiern zu fahren.
„Außerdem habe ich für Freitag eine Einladung zu Marcos Geburtstag bekommen. Da würde ich gerne hingehen. Allerdings weiß ich noch nicht, wie das mit Stef gehen soll. Ich will ihn nicht über das Wochenende im Internat lassen, aber außer Nico weiß ja noch niemand aus meiner Klasse Bescheid.“
Meine Mutter lächelte wieder. Ein viel schönerer Anblick.
„Na, das ist ja schön, dass dich Marco eingeladen hat. Frag ihn doch einfach, ob du Stefan nicht mitbringen kannst. Du musst ihm ja nicht gleich alles erklären.“
„Danke, Mama. Genauso hatte ich es vor. Ich werde Marco heute Abend anrufen. Aber zuerst fahre ich jetzt zu Papa. Danke für den leckeren Kuchen.“
Ich stand auf, gab meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und ging kurz in mein Zimmer. Ich zog mir Arbeitssachen an und fuhr mit Papas Pedelec in die Werkstatt. Das war schon eine coole Sache, mit diesem Gerät zu fahren. Daran könnte ich mich ganz schnell gewöhnen.
Der Weg dauerte dadurch natürlich auch einige Minuten weniger. Als ich mit dem Rad durch das Tor kam, stand Papa bereits unter der Cobra, die auf der Hebebühne war.
„Hi Papa, was liegt denn an? Irgendetwas passiert mit der Cobra?“
„Hallo Luc, schön, dass du schon da bist. Ja, ich habe bei der letzten Ausfahrt gemerkt, dass die Bremsen Geräusche machen. Ich habe die Beläge getauscht und jetzt muss ich das System neu auffüllen. Dabei musst du mir helfen, wegen der Entlüftung.“
„Alles klar, dann soll ich also das Pedal pumpen, während du entlüftest?“
„Genau, du kennst das ja schon. Warte bitte einen Moment, ich schaue mir gerade noch die hintere Bremse an, ob die auch gemacht werden muss. Das scheint aber in Ordnung zu sein.“
Papa kam unter der Cobra hervor und ließ die Hebebühne herunterfahren. Er umarmte mich zur Begrüßung. Das fand ich jedes Mal einfach sehr schön. Danach machte er mir die kleine Fahrertür auf und scherzte:
„So, wenn der Herr bitte einsteigen würde, dann könnten wir mit der Arbeit fortfahren.“
Ich musste lachen, stieg ein und er schloss mir die Tür, anschließend ging er nach vorn, um die Bremsanlage wieder neu aufzufüllen und ich sollte ein paar Mal mit dem Bremspedal pumpen. Nachdem er die Flüssigkeit aufgefüllt hatte, gab er mir jedes Mal ein Kommando, wenn ich pumpen sollte. Wir waren bereits ein eingespieltes Team und somit war das Ganze nach wenigen Minuten erledigt. Papa schloss die Motorhaube und grinste mich an.
„Und? Lust auf eine Probefahrt?“
„Klar, immer doch.“
Ein interessanter Abend mit Papa
Kurze Zeit später brauste mir der Fahrtwind durch die Haare und Papa ließ die Cobra über die Landstraße rollen. Er hatte zuerst sehr vorsichtig die neuen Beläge eingebremst und nun ließ er auch mal den Pferdchen freien Lauf. Das gefiel mir sehr gut, ich mochte es sehr, offen zu fahren. Wir hatten viel Spaß und ich vergaß völlig, dass wir schon einige Zeit unterwegs waren.
„Hast du eigentlich schon was gegessen?“, fragte mich Papa.
„Ja, Mama hat mir leckeren Kuchen und Kakao gemacht. Warum fragst du?“
„Hast du noch was vor heute? Oder können wir noch eine Runde fahren?“
„Ne, eigentlich habe ich Zeit. Nachher nur noch mal Stef anrufen und Marco. Wir müssen was besprechen wegen Freitag.“
„Na, dann lass uns einfach noch ein wenig den Wind um die Nase genießen.“
Dabei lachte er mich an und ich fühlte mich toll. Jedes Mal, wenn ich mit Papa etwas gemeinsam machen konnte, überkam mich dieses Glücksgefühl. Allerdings wurde ich auch immer wieder daran erinnert, dass Stef so etwas noch nie erlebt hatte und auch Lukas ja sehr früh seine leiblichen Eltern verloren hatte. Umso mehr konnte ich diese Zeit wertschätzen. Nach etwa einer halben Stunde durch die schöne Landschaft fahren, bog Papa von der Hauptstraße ab und fuhr auf einer kleinen Straße einen Berg hinauf. Es folgte eine Kurve nach der anderen und jedes Mal ließ Papa das Heck im Drift um die Kurve gehen. Allerdings nur dort, wo er sehen konnte, dass von vorne kein Auto kam. Es war ein toller Spaß für uns beide. Einfach mal sinnlos durch die Gegend ballern.
Oben angekommen bogen wir wieder auf die Hauptstraße ein und kamen in einen kleinen Nachbarort. Papa hielt vor einem kleinen Gasthaus, eher eine typische Dorfkneipe. Der Motor erstarb und ich schaute fragend zu Papa. Er lachte.
„Komm, Luc. Ich habe jetzt Lust, eine Cola zu trinken und vielleicht eine Kleinigkeit zu essen. Weißt du, ich habe von Thomas gehört, hier soll es die besten Bratkartoffeln überhaupt geben. Das möchte ich mal testen, du magst doch auch gerne Bratkartoffeln.“
Da hatte er allerdings Recht. Ich aß für mein Leben gern Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln. Für mich war dieser Moment etwas ganz Besonderes. Papa nahm sich nur für mich Zeit. So etwas war früher für Mick und Leif wohl eine absolute Rarität. Erst seit Papa nicht mehr aktiv im Rennsport tätig war, konnte er mit uns Kindern Zeit verbringen. Ich kannte es ja eigentlich gar nicht anders von Papa, aber Mick hatte mir vor einiger Zeit aus dieser Zeit berichtet und wie oft er sich abgeschoben gefühlt hatte. Jetzt allerdings betraten wir diese Dorfgaststätte und es war wirklich nur ein Gastraum mit einer Theke, an der vier Männer saßen, und sechs Tischen. Vier Tische waren belegt mit Männern, die entweder Karten spielten oder sich unterhielten. An der Theke wurde geknobelt.
Beim Eintreten wurden wir kaum wahrgenommen. Papa sagte ein allgemeines „Guten Abend“ und wir steuerten direkt auf einen freien Tisch zu. Ich hing, genau wie Papa, meine Jacke über den Stuhl und setzte mich an den Tisch. Einen Moment später kam bereits der Wirt an unseren Tisch und fragte nach unseren Wünschen.
„Grüezi“, sagte Papa, „wir hätten gern etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Könnten Sie uns etwas anbieten?“
Der Wirt nickte und bat uns einen Moment zu warten. Er wollte bei seiner Frau nachfragen, was noch möglich sei. Als er in der Küche verschwunden war, schaute ich mich ein wenig um. Es war wirklich ein alter Dorfgasthof. Die anderen Personen schienen Stammgäste zu sein und nahmen von uns kaum Notiz.
Papa hatte uns bereits zwei Cola bestellt, die der Wirt uns mitbrachte, als er aus der Küche zurück an den Tisch kam. Er bot uns eine Platte mit Bratkartoffeln und ein paar Frikadellen an. Wir stimmten zu und somit waren wir wieder allein am Tisch.
„Sag mal, wie war das mit Marco? Du bist eingeladen zu seinem Geburtstag? Das sind ja ganz neue Entwicklungen. Verstehst du dich mit deinen Klassenkameraden wieder besser? Eine Zeit lang war doch Nico der Einzige, mit dem du regelmäßig etwas gemacht hast.“
Das erstaunte mich, woher hatte Papa das mitbekommen? Ja, die meisten aus meiner Klasse waren zwar nett, aber auch gar nicht meine Wellenlänge. Viele waren nur noch auf Partys unterwegs, wo Alkohol und Rauchen angesagt war. Damit wollte ich nichts zu tun haben.
„Nun ja, ich habe halt keinen Bock auf den Partys mit ansehen zu müssen, wie sich die Leute volllaufen lassen und später alles vollkotzen. Daher habe ich mit den meisten nur noch wenig gemacht. Ich war auch überrascht, dass Marco mich nun eingeladen hat. Er hat mir aber auch gesagt, dass er keine Lust mehr auf diese Saufpartys hat. Er hat wohl ziemlichen Stress mit seinen Eltern gehabt.“
„Das ist doch ein guter Anfang. Ich möchte dir sagen, dass ich es gut finde, dass du deinen Weg so konsequent gehst. Ich möchte dich etwas fragen. Hast du eigentlich aus einem bestimmten Grund keine Lust auf diese Partys oder ist es einfach Desinteresse?“
Vor diesem Gespräch habe ich mich eigentlich immer gefürchtet. Allerdings hatte ich das von Mama erwartet. Dass Papa mich darauf ansprechen würde, hatte ich nicht erwartet.
„Also gut. Ich will versuchen, ehrlich zu sein. Es gibt mehrere Gründe, warum ich nicht mit den anderen mitgemacht habe. Zum Einen möchte ich mein Leben nicht einfach so wegwerfen, denn eine erneute Erkrankung kann und will ich nicht haben. Alkohol ist da sicher in meinem Alter falsch. Der andere Grund ist, ich habe seit einiger Zeit halt gemerkt, dass ich einige Jungs lieber mag, als Mädchen. Ich hatte Angst, entdeckt zu werden, auch jetzt habe ich Angst davor. Allerdings bin ich ja nicht mehr allein. Stef ist mein Freund und ich weiß von Mick und Lukas, dass es sehr wohl auch recht gut gehen kann, offen schwul zu sein. Nico hilft mir da auch, er ist aber bislang der Einzige aus meiner Klasse, der Bescheid weiß.“
Papa hatte mir ganz genau zugehört und wurde sehr nachdenklich. Er zeigte kaum eine Reaktion.
„Dass du vor der Leukämie Angst hast, kann ich verstehen. Allerdings musst du auch Dinge machen, die dir Spaß machen. Auch, wenn sie vielleicht mal etwas ungesund oder sogar gefährlich sind. Du darfst dich nicht immer zurücknehmen. Mach das, was du wirklich möchtest. Oder rede mit uns offen, was du möchtest. Deine Mutter ist sehr ängstlich. Sie will dich vor allem beschützen, das ist auch nicht richtig.“
Wow, damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Vater schien mich geradezu aufzufordern, mehr aus mir herauszugehen. Sollte ich ihm von dem Ausflug berichten? Ja, ich war überzeugt, dass es richtig war.
Leider, oder auch glücklicherweise, kam jetzt unser Essen. Eine gewaltige Platte mit Bratkartoffeln und Frikadellen. Das war wirklich eine riesige Portion. Wir wünschten uns einen guten Appetit und legten los. Es war wirklich äußerst lecker. Während des Essens nutzte ich die Gelegenheit, Papa von dem geplanten Ausflug zu erzählen und dass ich sehr gerne mal wieder auf Skiern stehen würde. Papa hörte mir sehr aufmerksam zu, und als ich meinen Standpunkt klargemacht hatte, gab er mir folgenden Rat.
„Weißt du, deine Mutter ist natürlich sehr besorgt um deine Gesundheit. Ich im Übrigen auch, allerdings kann ich deinen Wunsch schon gut verstehen. Sabine würde es mir ja auch verbieten, an Rennen teilzunehmen, wenn sie es denn könnte. Ich lasse es mir aber nicht verbieten, weil ich für mich das Risiko einschätzen kann. Du warst ein sehr guter Skifahrer, wirst also noch nicht alles verlernt haben. Wenn du fahren möchtest, dann mache deiner Mutter das ganz deutlich klar. Erkläre ihr, dass du nicht leichtfertig mit deiner Gesundheit umgehst, sondern dir sehr genau überlegst, was du tust und vor allem, was du nicht tun wirst. Eltern müssen nicht mit allem einverstanden sein, was die Kinder tun. Ich für meinen Teil würde dich unterstützen, wenn du mir versprichst, vorsichtig zu sein und vor allem nicht leichtsinnig.“
Ich sah meinen Vater an und konnte gerade überhaupt nicht begreifen, was ich da gehört hatte. Er wollte mir die Erlaubnis geben.
„Heißt das, ich darf bei diesem Ausflug mit meiner Klasse wieder Skifahren?“
„Das heißt, du sollst dich mit deiner Mutter auseinandersetzen und ihr erklären, warum das für dich so wichtig ist. Ich werde dich unterstützen, wenn ich das Gefühl habe, dass es richtig ist, was du sagst.“
Dabei schaute er mich mit einem Gesichtsausdruck an, der mir sagte. Geh es an, zeige deiner Mutter, dass du auch einen eigenen Willen hast, der nicht immer mit dem der Eltern übereinstimmen muss.
„Danke, Papa. Ich werde mir Mühe geben. Ich verspreche dir auch, dass ich nicht leichtsinnig fahren werde. Ich möchte schon gesund bleiben.“
Der Wirt räumte gerade die Teller und Platten ab und Papa bat um die Rechnung. Er bezahlte und anschließend verließen wir die kleine Gaststätte. Auf der Rückfahrt redeten wir nicht mehr viel, dennoch genoss ich jeden Kilometer. Es war einfach nur toll mit Papa gemeinsam unterwegs zu sein. Er ließ mich an der Werkstatt aussteigen, damit ich das Rad zurückfahren konnte. Er fuhr weiter nach Hause und ich entschloss mich, mit Stef zu telefonieren, bevor ich nach Hause fahren würde. Sonst würde es vielleicht zu spät werden.
Das Handy klingelte und erst nach einigen Augenblicken hörte ich eine etwas verschlafene Stimme.
„Hey Stef, hast du schon geschlafen?“
„Hi Luc, ich weiß auch nicht. Ich bin heute so schlapp und müde. Ich lag auf dem Sofa und war echt eingepennt. Wie war dein Tag? Warum rufst du erst so spät an, ich habe dich vermisst?“
„Ja, ich war noch mit Papa unterwegs und musste ihm an der Cobra helfen. Tut mir auch leid, aber ich konnte nicht früher anrufen. Ich bin auch noch gar nicht zu Hause. Stehe noch an der Werkstatt, aber ich will jetzt nach Hause fahren. Damit es nicht noch später wurde, habe ich jetzt angerufen.“
„Ah, dann wird es aber spät, bis du im Bett liegst. Hast du morgens dann keine Probleme?“
Ich musste lachen. Das hörte sich fast so an, als ob meine Mutter mit mir sprach. Ich nahm es locker und wir redeten noch eine ganze Zeit über das, was wir den Tag über gemacht hatten. Als ich mich von ihm verabschieden wollte, gab es noch einmal eine schwierige Situation.
„Stef, ich möchte am Freitag auf einen Geburtstag gehen. Ein Freund aus meiner Klasse hat mich eingeladen, aber ich gehe da nur hin, wenn du nicht allein im Internat bist oder mitkommst. Wenn du Lust hast mitzukommen, dann werde ich Marco fragen. Was meinst du?“
„Also ich weiß nicht, ob es klug ist, dort gemeinsam hinzugehen. Was ist, wenn es auffällt mit uns beiden? Bist du schon bereit es allen in deiner Klasse zu zeigen?“
Das war wieder so typisch. Er dachte nicht an sich, sondern ob ich damit klarkommen würde. Warum konnte er nicht mal zuerst an sich und seine Bedürfnisse denken?
„Wir müssen das doch auch gar nicht. Wenn ich ihnen sage, dass es für dich am Wochenende allein im Internat nicht so schön ist und wir Freunde sind, dann ist es doch völlig normal, dass du bei uns bist. Einige wissen ja auch, dass du an den Wochenenden bei uns bist. Also wo ist das Problem?“
Es gab einen Moment des Schweigens und mir war noch eine Sache wichtig.
„Außerdem bin ich dein Freund, ich will mich nicht auf Dauer verstellen müssen in meiner Klasse. Viele haben mir damals geholfen gesund zu werden. Gut, momentan machen viele nicht das, was ich machen möchte und habe deshalb nur wenig Kontakt zu den meisten, aber Marco hat mich gebeten zu kommen. Ich glaube, er wird es auch akzeptieren, wenn wir ihm die Wahrheit sagen würden.“
„Ehrlich? Du wärest bereit, dich in der Klasse zu outen? Mich als deinen Freund vorzustellen?“
Ich überlegte einen Moment, wie ich darauf reagieren sollte, dann war es mir klar:
„Ja, Stef, ich möchte das mit dir gemeinsam machen. Allein hätte ich es noch nicht getan, aber mit dir als Freund schaffe ich das. Nico weiß ja auch schon Bescheid. Also, was ist? Kommst du mit?“
„Nur, wenn Marco nichts dagegen hat. Dann komme ich mit. Luc, ich muss dir noch etwas sagen.“
Jetzt bekam ich doch etwas Angst, was würde nun kommen?
„Ja, Stef, ich bin ganz Ohr.“
„Also, ich vermisse ich dich jede Stunde, wo wir nicht zusammen sein können. Ich habe noch nie so ein Gefühl gehabt, wenn ich an dich denke. Können wir uns morgen sehen? Ich würde dir gerne etwas sagen. Das möchte ich aber nicht am Telefon machen.“
„Ich vermisse dich auch. Muss ich mir Sorgen machen? Stef, ich liebe dich. Ich will keine Angst haben bis morgen.“
„Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes. Du kannst beruhigt nach Hause fahren. Wann sehen wir uns morgen?“
Ich überlegte einen Moment und hatte eine Idee.
„Ich muss morgen nach der Schule noch mein Rad aus der Werkstatt abholen. Wollen wir anschließend zusammen noch in die Stadt? Dann können wir uns an der Werkstatt treffen. Oder hast du lange Schule?“
„Nein, finde ich gut. Ich bin um drei an der Werkstatt. Kannst du mir später noch etwas in Mathe helfen? Ich habe da ein wenig Probleme.“
„Klar, kein Problem. Also dann morgen um drei am Fahrradladen. Ich frage Marco wegen Freitag. Wenn du nicht mit darfst, werde ich absagen. Das sage ich ihm aber nicht vorher.“
„Danke, Luc. Dann fahr vorsichtig nach Hause und bis morgen. Schlaf gut.“
„Ich pass auf mich auf. Dann leg dich mal wieder hin und träum was Schönes. Bis morgen.“
Ich legte auf und stieg sofort auf mein Rad. Es war doch schon recht spät geworden. Zu Hause angekommen, meldete ich mich bei meinen Eltern zurück. Allerdings hatte ich keine Lust mehr auf ein abendliches Gespräch und ging direkt in mein Zimmer. Ich betrat mein Zimmer und startete den PC. Ich hatte heute eine Nachricht erhalten, dass Mario mir etwas geschrieben hatte. Das wollte ich unterwegs aber nicht lesen. Also öffnete ich meine E-Mails und hatte noch zwei weitere Mails, die ich noch nicht gelesen hatte.
Mario schrieb mir, dass er seine Prüfungen alle gemacht hatte und er froh war, dass jetzt der große Stress vorbei sei. Karl hatte signalisiert, dass alles soweit gut gelaufen sei. Er sollte sich keine Sorgen machen, und sobald das Ergebnis da wäre, würde Karl ihm Bescheid geben. Er freute sich auf seinen Urlaub, denn wenn er keine Nachprüfungen machen müsste, hatte Karl ihm zwei Wochen Urlaub genehmigt.
Innerlich freute ich mich sehr für Mario. Er hatte auch schwere Monate hinter sich. In der neuen Wohnung fühlte er sich wohl, allerdings fehlte ihm oft sein kleiner Bruder. Seine Mutter versuchte immer wieder, zwanghaft Kontakt mit ihm aufzunehmen. Das nervte ihn zusehends. Er konnte sich aber auch nicht dagegen wehren.
Erst jetzt bemerkte ich einen Umschlag auf meinem Schreibtisch. Nanu, dachte ich. Wo kam der denn her? Vorne stand nur mein Name drauf. Ich öffnete den Brief und entnahm eine Karte. Auf dieser Karte stand:
„Einladung“
Ich begann zu lesen und mit jeder weiteren Zeile wurde ich nervöser. Als ich fertig gelesen hatte, saß ich auf meinem Schreibtischstuhl und war vollkommen überrollt. Die beiden hatten mir eine Einladung gegeben zu ihrer Hochzeit. Sie wollten tatsächlich „heiraten“. Ich sprang auf und rannte sofort ins Wohnzimmer, wo sich meine Eltern bereits köstlich amüsierten.
„Ah, hast du endlich den Brief gefunden? Wir hatten schon gedacht, du würdest ihn vielleicht gar nicht bemerken.“ Papa lachte.
„Wie lange wisst ihr schon davon?“
„Ach, so zwei oder drei Tage. Die beiden haben aber darauf bestanden, es dir erst zum Ende der Woche zu sagen, damit du dich auf die Schule und Arbeiten konzentrieren konntest.“
„Na toll. Wann und wo soll das Ganze denn stattfinden? Hier oder in Deutschland?“
Jetzt wurde Papa ein wenig nachdenklich, denn er musste mitteilen:
„Sie müssen in Deutschland heiraten. Hier gibt es nur die Registrierung einer homosexuellen Partnerschaft, aber eine Heirat ist in der Schweiz noch nicht möglich. Deshalb werden sie in Deutschland heiraten.“
Ich war freudig überrascht. Es würde also bald mal eine große Feier anstehen.
„Cool, dann kann ich endlich mal sehen, wie sie in Deutschland leben. Ich war ja noch nie dort. Oder heiraten sie woanders?“
„Nein, sie werden in Nürnberg heiraten. In ihrem Studienort, auch weil die meisten ihrer Freunde dort sind.“
„Also werden wir dorthin fahren, oder? Ich bin echt überrascht, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“
„Ganz ehrlich“, meinte meine Mutter, „wir auch noch nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass die beiden das machen würden. Ich finde es aber sehr schön und ich denke, wir werden eine sehr schöne Feier haben. Vor allem, wenn man sich die Gästeliste anschaut.“
Meine Mutter grinste und gab mir ein Blatt, auf dem viele Namen standen. Ich überflog die Liste und mir verschlug es den Atem. Da standen auch einige sehr bekannte Namen drauf. Unter anderem Tom mit seiner Familie aus Dänemark und auch einige andere aus dem Team. Manuel und Tim waren natürlich mit ihren Familien dabei und auch alle anderen Freunde aus der Schweiz. Mir wurde klar, diese Feier würde eine große Anzahl von Gästen haben. Am Ende der Liste waren zwei Namen rot angestrichen. Mario und Stefan. Sie sollten beide an der Feier teilnehmen. Das war für mich wirklich eine tolle Geste.
Entsprechend aufgeregt, aber auch glücklich ging ich zurück in mein Zimmer. In der Nacht schlief ich tief und fest und träumte von meiner Zukunft mit Stef.
Stef und ich müssen ein paar Dinge klären
Der nächste Tag verlief absolut ohne besondere Ereignisse in der Schule. Ich hatte lediglich Marco gefragt, ob es in Ordnung sei, Stef am Freitag mitzubringen. Er war einverstanden. Ich hatte es ihm aber nur mit der besonderen Situation von Stef erklärt. Ich freute mich, dass er dafür Verständnis hatte. Wir hatten sogar noch ein wenig über Stefs Geschichte gesprochen und Marco war sichtlich betroffen. Insofern war er zum Schluss sogar der Meinung, dass ich Stef ruhig häufiger mitbringen sollte. Das gab mir ein gutes Gefühl, Marco schien sich auch für seine Mitmenschen zu interessieren.
Nach der Schule ging ich direkt zum Fahrradladen, um mein Rad abzuholen. Leider gab es ein Problem. Die Hydraulikflüssigkeit musste getauscht werden und einige Dichtungen erneuert werden. Das Rad war also nicht fertig geworden. Jetzt hatte ich aber ein Problem, denn Stef würde mit dem Rad kommen und wir wollten noch gemeinsam in die Stadt und anschließend zu mir fahren. Ich war sauer darüber, dass man mich nicht vorher informiert hatte. Das habe ich auch deutlich kund getan. Das Resultat war, ich bekam eines der Pedelecs und sollte dieses so lange behalten, bis mein Rad fertig war. Kostenlos. Das versöhnte mich dann, es war eine nette Geste des Ladens.
Vor dem Geschäft auf Stefan wartend, versuchte ich die Bedienung des Computers für den Antrieb zu verstehen. Ich probierte einige Knöpfe und hatte recht schnell begriffen, wie das funktionierte. Dadurch bemerkte ich allerdings nicht, wie sich Stef bereits zu mir gestellt hatte.
„Hi, Luc. Was hast du denn da für ein High Tech Gerät unter dem Hintern?“
Ich zuckte etwas zusammen, denn ich hatte ihn überhaupt nicht bemerkt.
„Stef, hast du mich erschreckt. Wie kannst du dich so anschleichen?“
Wir mussten beide lachen und er umarmte mich zur Begrüßung. Nachdem ich ihm das Problem mit meinem Rad erklärt hatte, fuhren wir Richtung Stadt.
Wir schlenderten durch die Innenstadt und schauten uns die Geschäfte an. Ich benötigte noch ein paar Kleinigkeiten für die Schule und Stef schien über einige Sachen nachzudenken. Er wirkte ein wenig abwesend. Ich kam aus dem Schreibwarengeschäft, während Stef unsere Räder bewacht hatte. Er schien zu träumen.
„Hey, wo bist du gerade mit deinen Gedanken? Wollen wir weiter?“
„Äh, ja, lass uns mal weiter gehen.“
Wir waren schon einige Zeit unterwegs und ich hatte Lust auf eine heiße Schokolade. Also steuerte ich zielstrebig auf ein schönes Café zu. Stef bemerkte dies und er zögerte.
„Du, Luc, können wir die Schokolade nicht bei euch zu Hause trinken?“
Ein Schatten lag auf seinem Gesicht. Warum wollte er nicht mit mir in das Café?
„Sicher können wir das auch zu Hause, aber ich möchte mir das jetzt gönnen, also komm bitte mit.“
„Ich kann mir das momentan eigentlich nicht leisten“, flüsterte er fast.
Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Für mich waren finanzielle Sorgen recht unbekannt. Also war es klar, dass ich ihn einladen würde. Eher widerwillig ging er dann mit mir hinein. Wir setzten uns an einen Tisch und ich ging, uns Kakao und jedem eine heiße Waffel zu besorgen.
Die Waffel wurde ganz frisch gebacken und somit war sie sehr lecker. Auch Stef schien es zu genießen. Als wir beide mit Essen fertig waren, merkte ich, wie sich Stef veränderte. Er wurde sehr nachdenklich und fast traurig. Er bat mich, mit ihm nach Hause zu fahren. Ich erinnerte mich daran, dass er mir noch etwas erzählen wollte. Also fuhren wir Richtung meinem Zuhause. Auf der Fahrt sprachen wir nicht mehr viel miteinander. Erst, als wir in meinem Zimmer saßen, mit einer Cola auf dem Tisch, schien sich Stef ein wenig gefangen zu haben.
„Luc, ich muss mit dir über etwas sprechen, aber ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll.“
Ich stutzte und schaute zu ihm, er saß zusammengesunken auf der Couch. Ich setzte mich neben ihn und blieb ganz ruhig, als ich ihm sagte:
„Warum sagst du es nicht einfach so, wie es ist? Wir sind doch Freunde und Partner, du kannst mir alles anvertrauen.“
Er seufzte tief und ich konnte die Anspannung fühlen, die durch seinen Körper ging.
„Also, du weißt, ich mag dich sehr und ich bin wirklich verliebt in dich. Alles, was du für mich bisher getan hast, hatte noch nie irgendjemand für mich getan. Auch empfinde ich für dich ein Gefühl, wie für keinen anderen Menschen, aber …“.
Er musste unterbrechen. Seine Angst schien ihn zu lähmen. Ich legte meinen Arm um ihn und drückte ihn an mich, sagte aber nichts. Ich wollte ihm Zeit geben, um den Gedanken zu Ende zu führen.
„... ich habe Angst vor der Nähe zu dir. Manchmal liege ich in meinem Bett und wünsche mir, du liegst neben mir, aber dann bekomme ich Angst. Die Erinnerungen an die Typen im Park kommen dann wieder und ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich liebe dich, aber ich kann dich noch nicht so nahe an mich heranlassen, wie ich möchte.“
Jetzt flossen doch ein paar Tränen aus seinen traurigen Augen. Ich war tief betroffen. Da saß mein Freund neben mir und erzählte mir von seinen Ängsten und ich machte mir Gedanken, ob ich uns in der Klasse als Paar outen sollte.
„Du musst davor keine Angst haben, weil ich dir alle Zeit der Welt geben werde. Ich erwarte von dir, dass du nur das tust, was du wirklich willst. Wenn du noch nicht mehr möchtest, dann musst du es mir nur sagen.“
Er schaute mich traurig an und schüttelte den Kopf.
„Ich will ja mit dir auch mal im Bett richtig kuscheln und alles ausprobieren, aber ich kann es einfach noch nicht. Die Erinnerungen an die Typen, die mich für den Sex bezahlt haben, machen mir Angst.“
„Haben sie dich zu etwas gezwungen? Was genau macht dir Angst?“
Es war für mich einfach nicht vorstellbar, was er gerade durchmachte und ich wollte ihm eigentlich nur zeigen, dass ich es verstehen möchte, um ihm helfen zu können.
„Ich …, ich ... denke an diese Sachen und es ekelt mich an. Ich liebe dich und kann dennoch nicht ertragen, von dir überall berührt zu werden. In meinem Kopf tauchen die verrücktesten Bilder auf. Luc, ich habe einfach Angst. Ich will dich nicht verlieren, aber ich kann dir einfach noch nicht das geben, was ich möchte.“
Ich drückte ihn ganz fest an mich und wir schwiegen. Ich hatte das Gefühl, jedes Wort wäre hier falsch gewesen und ich wollte ihm nicht noch mehr Druck machen.
„Stef, ich will ehrlich sein. Ich kann mir einfach überhaupt nicht vorstellen, was genau für Bilder in deinem Kopf sind, aber ich verspreche dir, du musst dich dafür nicht schämen. Ich vertraue dir absolut, nur musst du auch mir und auch meiner Familie vertrauen. Also rede mit uns, wenn es mal wieder ganz schlimm für dich ist. Bitte, du musst mir versprechen, nicht wegzulaufen. Ich habe Angst, dass du etwas tust, was nicht gut für dich und uns ist.“
Er begann leicht zu zittern und ich streichelte ihn beruhigend. Er konnte in diesem Moment nicht mehr sprechen, aber es war für mich auch so in Ordnung. Innerlich hatte ich aber einen Kampf auszufechten, was davon konnte ich meinen Eltern erzählen? Mit diesen Dingen wollte ich nicht allein herumlaufen. Aber konnte ich hinter Stefs Rücken darüber reden? Ich war mir unsicher.
Jedenfalls beruhigte sich Stef recht bald wieder und er lenkte das Thema auf die Schule. Wir arbeiteten noch etwa eine Stunde an seinem Mathematikproblem. Dann hatte er es begriffen und freute sich richtig. Er war sehr gelöst und lustig. Es war schon seltsam, zwei derart unterschiedliche Gemütszustände in so kurzer Zeit zu erleben. Wir spielten noch ein wenig an der Playstation und plötzlich klopfte es an meiner Tür.
„Herein“, rief ich. Die Tür öffnete sich und mein Bruder stand im Zimmer.
„Hallo Leif, was gibt’s denn?“
„Mama lässt anfragen, ob Stefan zum Abendessen bleiben möchte?“
Ich schaute zur Uhr und wir schauten uns etwas verwundert an. Wo war die Zeit geblieben? Es war doch schon sieben Uhr am Abend. Ich schaute zu Stef und er meinte:
„Also wenn es keine Umstände macht, würde ich gerne mit euch zusammen essen.“
Darauf fing Leif an zu lächeln und antwortete:
„Keine Sorge, Mama hat eigentlich schon mit dir gerechnet. Also kommt bitte in fünfzehn Minuten zum Essen. Papa ist dann auch zurück.“
Leif verließ wieder mein Zimmer und schloss die Tür. Stef kuschelte sich wieder ganz eng an mich und gab mir einen vorsichtigen Kuss. Ich musste kichern, weil es so gekitzelt hatte. Das hatte zur Folge, dass wir ganz schnell in einer gegenseitigen Kitzelei waren. Wir rollten über den Boden und alberten richtig herum. Irgendwann kam ich auf Stef zum Liegen und wir schauten uns in die Augen. Keiner sagte etwas, nur, ich spürte die Erregung, sowohl bei mir, als auch in seiner Hose. Ich gab ihm einen Kuss auf den Mund und für einen Moment spürte ich, seinen harten Schwanz in der Hose zucken. Es passierte aber nichts weiter, denn ich war viel zu ängstlich.
Als wir uns wieder etwas beruhigt hatten, richteten wir unsere Kleidung, die durch das Herumtoben ein wenig verrutscht war, und gingen gemeinsam zum Essen. Wir kamen als Letzte zum Essen und entsprechend wurden wir beäugt. Insbesondere Leif schien ein paar seltsame Gedanken zu haben, denn er hatte ein leichtes Grinsen im Gesicht.
Mama lächelte Stef an und bat ihn, sich irgendwo zu setzen. Natürlich nahmen wir nebeneinander Platz und Papa erzählte von seinen Unternehmungen heute. Leif berichtete, dass er am Wochenende auch auf einen Geburtstag gehen möchte. Papa schaute vom Teller hoch und meinte recht genervt:
„Du wirst dort nur hingehen dürfen, wenn du uns versprichst, keinen Alkohol mehr zu trinken. Die letzten Feiern waren alles andere als korrekt. Außerdem bist du um ein Uhr nachts wieder zu Hause. Du wirst erst einmal nicht mehr außerhalb schlafen nach irgendwelchen Partys.“
Hoppla, da hatte ich wohl in der letzten Zeit ein paar Details verpasst. Papa war richtig genervt und entsprechend fiel jetzt auch die Reaktion von Leif aus. Er sagte nicht viel, er versuchte erst gar nicht zu widersprechen, weil Papa sehr deutlich zu verstehen gab, nicht mehr darüber diskutieren zu wollen.
Stef war das etwas unangenehm. Mama machte es sehr clever, die Situation zu entspannen. Sie sprach von der anstehenden Hochzeit von Mick und Lukas. Das war auch für Stef eine Neuigkeit. Ich hatte total vergessen, es ihm zu sagen.
Leif verschwand sehr schnell genervt vom Tisch und ging kommentarlos in sein Zimmer. Ich wollte jetzt auch nicht näher darauf eingehen. Allerdings hatte Papa da wohl andere Vorstellungen, denn er sprach mich auf den Freitag bei Marco an.
„Sag mal Luc, was ist denn bei Marco geplant? Wird das auch so eine Saufveranstaltung wie bei Leifs Kollegen oder ist das wirklich so, wie du es mir auf unserer letzten Tour erzählt hast?“
„Nein, ich glaube nicht, dass es bei ihm zu Hause groß etwas Alkoholisches zu trinken geben wird. Seine Eltern sind zu Hause und wir wollen erst zum Bowling gehen und abends noch bei ihm im Keller etwas feiern.“
„Hört sich gut an. Wirst du Stefan mitnehmen? Und werdet ihr dann das Wochenende hier sein?“
„Also geplant habe ich das schon, Stef soll mitkommen und ich möchte mich dort auch nicht mehr länger verstecken müssen. Nico hat mir Mut gemacht, offener zu werden. Aber das muss Stef auch mitentscheiden.“
Jetzt schaute ich zu meinem Freund, der sichtlich verwirrt war.
„Du willst mich als Freund zu Marco mitnehmen? Jetzt ernsthaft?“, fragte er mich.
„Ja, genau das habe ich vor. Ich will nicht allen erzählen, dass wir zusammen sind, aber ich möchte mich so verhalten, wie ich es fühle. Wenn sie es dann merken sollten, dann ist es eben so. Nico hat mir erzählt, dass die meisten in meiner Klasse damit umzugehen wissen.“
Stef schien genauso beeindruckt zu sein wie meine Mutter. Diese bot nämlich sofort an, uns dann nachts von Marco abzuholen. Papa versprach, uns hinzubringen. Damit hatte ich diese Sache schon einmal geklärt. Jetzt würde ich heute noch bei Marco anrufen und ihm mitteilen, dass ich Stef mitbringen möchte.
Eine weitere Überraschung kam von Papa. Er hatte sich etwas zu meinem Ausflug mit der Schule überlegt.
„Wie ist das jetzt am Dienstag? Wenn ich das richtig verstanden habe, möchtest du gerne mitfahren und auch mal wieder versuchen, Ski zu laufen.“
„Ja, das ist richtig, aber nur, wenn ihr mir das auch wirklich erlaubt und nicht hinterher sauer seid.“
Mama wollte schon ansetzen, etwas dagegen zu sagen, aber Papa schaute sie mit ernstem Blick an und meinte ganz trocken:
„Sabine, du musst aufhören, deinen Sohn an die Kette zu legen. Er muss selbst herausfinden, was für ihn gut ist und was nicht. Erst dann wird er es auch akzeptieren, wenn es nicht geht. Ich möchte, dass Luc mitfährt und auch alles mitmachen darf, was er sich selbst zutraut.“
Stef schien das alles sehr unangenehm zu sein und er wollte schon in mein Zimmer gehen, aber ich hielt ihn zurück. Mama hingegen sagte dazu nichts. Sie schaute mich nur tief seufzend an und meinte:
„Du siehst das immer so einfach Marc. Aber ich habe diese Jahre erlebt, mit Lucs Kampf gegen den Tod. Ich möchte nicht noch einmal so eine Zeit erleben. Ich kann einfach nicht über meine Ängste hinwegsehen.“
Papa stand nun auf und setzte sich neben Mama. Er legte ganz behutsam seinen Arm um meine Mutter und meinte:
„Schatz, ich verstehe ich dich schon. Aber der Junge ist kein kleines Kind mehr und er ist zurzeit viel vernünftiger als Leif. Ich finde, du musst ihm eine Chance geben, dir zu zeigen, dass er nicht leichtsinnig mit seiner Gesundheit umgeht.“
Damit war dieses Thema für Stef und mich insoweit erledigt, als Papa mir sagte:
„Luc, ich spreche noch einmal in Ruhe mit deiner Mutter. Wenn du dort mitfahren möchtest, sollst du das auch tun dürfen. Die genauen Details besprechen wir noch am Wochenende. Ist das so in Ordnung für dich?“
„Klar, danke Papa. Ich würde echt gerne mitfahren.“
Stef musste leider auch wieder zurück ins Internat. Es war ja eine normale Schulwoche und er hatte um halb zehn wieder im Internat zu sein. Wir vereinbarten, dass wir Freitag zu Marco gehen. Ich wollte, sobald Stef weg war, mit Marco telefonieren und ihm das erklären. Als Stef ins Internat aufbrechen wollte, standen wir noch einen Moment draußen. Er gab er mir einen langen und intensiven Kuss. Danach sagte er mir:
„Du weißt gar nicht, wie schön es für mich ist, mit dir zusammen zu sein. Ich liebe dich, Luc. Danke, dass du mich verstehst.“
Wir verabschiedeten uns und er fuhr in die Dunkelheit hinein.
Ich ging in mein Zimmer und rief Marco an. Das Gespräch dauerte erstaunlicherweise gar nicht sehr lange, denn er war sofort einverstanden, dass ich Stef mitbringen würde. Er meinte, Nico hätte ihm das schon angedeutet und er freute sich, Stef kennenzulernen. Dies hatte zur Folge, dass ich anfing, über meine Klasse neu nachzudenken. Vielleicht sollte ich wirklich mehr aus mir herausgehen und mich nicht immer nur zurücknehmen.
Ein sehr lebhaftes und ereignisreiches Wochenende
Der Freitag war gekommen und ich hatte für Marco ein Spiel für den Computer gekauft. Das hatte er sich schon länger gewünscht und war für mich eine gute Gelegenheit, mich mit Stef zusammenzutun. Damit brauchte Stef kein eigenes Geschenk zu besorgen. Er kannte Marco ja noch gar nicht.
Leif war bereits unterwegs und ich stand in meinem Zimmer vor dem Kleiderschrank und überlegte, was ich anziehen sollte. Wir wollten ja auch zum Bowling gehen. Also entschied ich mich für Jeans, Poloshirt und Sweatshirt. Stef war noch nicht da, er musste im Internat noch etwas erledigen.
Es klopfte an meiner Tür, als ich gerade die Jeans anzog. Mein Vater betrat mein Zimmer und setzte sich auf die Couch. Das war doch recht ungewöhnlich.
„Papa, was gibt es? Warum kommst du?“
Er lächelte mich an.
„Ich möchte mit dir ein paar Dinge besprechen. Es geht um das Wochenende.“
„Gibt es doch noch eine Änderung? Eigentlich war doch alles besprochen.“
„Nun, Stefan wird ja wieder bei dir sein und ich möchte eigentlich wissen, ob er dir mal etwas mehr von der Zeit aus München erzählt hat. Ich habe nämlich das Gefühl, dass er in letzter Zeit nicht mehr so fröhlich ist.“
Ich überlegte kurz und entschied mich, meinem Vater die Situation zu erklären. Ich berichtete über Stefs Ängste und Sorgen. Papa hörte mir sehr aufmerksam zu und zum Schluss stellte er mir eine Frage:
„Denkst du, Stefan bekommt das alleine in den Griff oder sollte ich ihm Hilfe anbieten? Du erinnerst dich damals an die Situation mit Lukas?“
„Was meinst du, Papa?“
„Naja, Lukas hat auch lange gebraucht, sich mit dem Verlust seiner Eltern auseinanderzusetzen und hier ein neues Leben zu beginnen. Ich hatte dafür gesorgt, dass er eine Therapie gemacht hat. Seit dieser Zeit geht es ihm deutlich besser. Es wäre für Stefan vielleicht auch zu überlegen, einen Psychologen mal zu Rate zu ziehen. Ich glaube, dass würde ihm helfen.“
„Wie soll ich ihm das erklären? Wie ist das mit den Kosten?“
„Die Krankenkasse würde das vermutlich bei seiner Geschichte übernehmen. Und wenn nicht, werden wir eine andere Lösung finden. Wichtig ist erst einmal nur, ob er sich das vorstellen könnte. Vielleicht ergibt sich am Wochenende für dich eine Möglichkeit, mit ihm darüber zu sprechen.“
„Ok, danke Papa. Ich werde mal schauen. Bringst du uns gleich oder Mama?“
„Mama möchte euch hinbringen, ich hole euch dann ab. Morgen sind Mama und ich den Tag über unterwegs. Mama hat mich gebeten, sie zu begleiten. Sie ist morgen auf einer Veranstaltung ihres Vereins. Wir kommen am Sonntagmittag irgendwann zurück. Also seid ihr hier allein. Leif ist aber auch da. Zumindest soll er über Nacht hier sein.“
Die Klingel unterbrach unser Gespräch. Das konnte nur Stef sein. Ich hörte schon seine Stimme, nachdem Mama ihm die Tür geöffnet hatte. Papa stand von der Couch auf, und als Stef in mein Zimmer kam, begrüßte Papa ihn sehr herzlich und verließ mein Zimmer. Stef umarmte mich zur Begrüßung und gab mir einen liebevollen Kuss.
„Hallo Luc, ich habe mich schon die ganzen Tage auf diesen Moment gefreut.“
Ich lachte und erwiderte seinen Kuss. Anschließend schaute ich ihn genau an. Er sah umwerfend aus, richtig schick. Das überraschte mich ein wenig. Bislang hatte er nie auf seine Kleidung gesteigerten Wert gelegt.
Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit, bis uns Mama zu Marco bringen würde. Stef war wirklich sehr aufgeregt und ich nahm mir die Zeit, mit ihm ein wenig zu kuscheln. Zwanzig Minuten später waren wir bei meinen Eltern im Wohnzimmer. Papa gab Stef die Information über das Wochenende. Die Pläne waren geklärt und somit fuhr uns meine Mama zu Marco. Dort waren bereits schon einige Gäste anwesend. Ich stellte ihnen Stef vor und er wurde wirklich sehr freundlich begrüßt. Marco hatte schon genug Getränke vorbereitet und auch im Keller ein wenig Musik gemacht. Die Stimmung war wirklich sehr entspannt und auch Marcos Eltern hatten einiges vorbereitet. Bis alle eingetroffen waren, um dann gemeinsam zum Bowling zu gehen, hatten wir noch etwas Zeit, so dass die bereits anwesenden Stef schon etwas kennenlernen konnten. Ich stellte ihn vor und alle waren sehr neugierig.
Es dauerte nicht mehr lange und es waren alle da. Somit ging es dann gemeinsam zum Bowling. Es wurde richtig lustig und ich hatte sehr viel Spaß und auch Stef schien sich recht wohl zu fühlen. Immer wieder lachte er mit den anderen und es fiel überhaupt nicht auf, dass er mein Freund war. Erst als wir mit Bowling fertig waren, liefen wir beide sehr eng nebeneinander zurück zu Marco nach Hause. Stef hatte mich nicht einmal richtig umarmt, sondern sich immer wieder nur als guten Freund gezeigt. Mir war das eigentlich zu wenig und ich erklärte ihm, dass ich den anderen zeigen möchte, dass wir ein Paar sind. Stef war einverstanden, und als wir alle wieder gemeinsam im Keller waren, gab ich Stef einen richtigen Kuss. Alle anderen schauten uns sehr verblüfft an. Nur Nico und Tommy wussten ja schon bereits, was los war.
Im Kellerraum herrschte plötzlich Stille. Alle Augen waren auf Stef und mich gerichtet.
„Ist was?“, fragte ich und Stef schien vor Anspannung fast weglaufen zu wollen. Ich hielt ihn aber ganz fest im Arm und damit war die Situation eindeutig. Marco fand als Erster die Sprache wieder.
„Heißt das, also … wie soll ich das sagen? Seid ihr jetzt zusammen? Luc, stehst du auch auf Jungs?“
Mein Blick wanderte durch die Gruppe, ich konnte überall erstaunte Gesichter erkennen. Mein Blick blieb bei Marco hängen und ich schaute ihm direkt ins Gesicht.
„Ja, Stef ist mein Freund und ich mag ihn sehr. Ich denke, das reicht wohl als Erklärung, oder?“
Es herrschte für einen Moment noch Stille, dann löste sich die Anspannung und die meisten hatten damit zwar nicht gerechnet, aber nahmen es sehr entspannt auf. Nico wusste es ja bereits und entsprechend hatte er schnell mit einigen eine Runde gebildet und er holte uns auch dazu. Wir mussten immer wieder erzählen, wie wir uns kennengelernt hatten und bald war bei allen Gästen bekannt, was sich bei uns abgespielt hatte. Ich war sehr froh, dass dieses Spiel der Heimlichtuerei vorbei war. Recht bald war auch Stef in meiner Klassenclique integriert und ich stand mit Marco, Nico und Tommy zusammen. Marco machte allerdings einen etwas merkwürdigen Eindruck. Es dauerte auch nicht lange, bis er uns etwas sagte:
„Luc, bitte verstehe mich nicht falsch, aber du musst dir im Klaren sein, dass wir auch ein oder zwei Problemfälle in der Klasse haben. Nico kann da sicher ein Lied von singen.“
Nico nickte und ergänzte:
„Ja, allerdings. Insbesondere Bastian und Mathias. Die beiden sind einfach so dumm, dass es bald schon weh tut. Vor denen solltest du dich etwas vorsehen. Mir haben sie damals immer wieder mal Prügel angedroht oder fiese Sprüche über mich verbreitet. Bei euch ist das ja so ähnlich wie bei mir, Tommy geht ja auch aufs Internat. Hier haben sie immer über Tommy gelästert und somit kam das auf Umwegen dann auch im Internat an. Tommy war da noch nicht geoutet und musste dann bei Herrn Storm vorsprechen. Das war sicher nicht schön.“
Das war natürlich keine schöne Aussicht, vor allem in Stefs Situation. Ich überlegte, was jetzt zu tun war.
„Was meint ihr denn? Soll ich mich nicht offen outen in unserer Schule? Hier wissen es ja jetzt alle. Stef ist bestimmt noch nicht so stabil, dass er so einen Stress übersteht. Er hat noch genug andere Probleme.“
Marco überlegte einen Moment und ging dann zur Musikanlage und drehte die Musik ab. Damit hatte er natürlich sofort alle Augen auf sich gerichtet. Nach einigen Unmutsäußerungen wurde es still. Stef war mittlerweile auch zu mir gekommen und war genauso gespannt, wie die anderen. Marco hob kurz seine Hände und mit lauter und deutlicher Stimme sprach er zu uns:
„Leute, wir haben hier ein kleines Problem. Unser Freund Luc hat uns ja vor wenigen Minuten seinen Freund vorgestellt, und wie ich im Gespräch mit Luc und Nico festgestellt habe, brauche ich eure Unterstützung. Luc und Stefan, seid ihr einverstanden?“
Wir schauten uns etwas ratlos an, aber Nico flüsterte uns zu, wir sollten zustimmen. Das taten wir auch.
„Also gut, Stefan hat momentan einige Dinge in seiner Familie zu klären und ich denke, er kann das Theater, was Tommy damals hatte, nicht gebrauchen. Wir sollten unseren homophoben Arschlöchern nicht so viel Spielfläche geben. Ich finde, außer uns hier muss niemand mehr wissen, dass Luc in festen Händen ist und diese feste Hand Stefan heißt. Was meint ihr?“
Stef und mir waren sämtliche Gesichtszüge entgleist und es herrschte für einen Moment eine gespenstische Stille. Plötzlich hörte ich von Ben, einem der ruhigeren Jungs.
„Da kannst du Gift drauf nehmen. Die beiden Hohlköpfe braucht kein Mensch, die haben eh nur Saufen und Ficken im Kopf.“
Es brach schlagartig großes Gelächter aus und damit war ganz schnell klar, dass ich mich auf meine Freunde verlassen konnte. Eigentlich wollte ich auch noch etwas dazu sagen, aber Marco gab mir zu verstehen, ich sollte das erst später machen, wenn das geklappt hätte. Wir bedankten uns bei Marco für diese tolle Hilfe und der Abend wurde dann noch sehr lustig. Gegen Mitternacht waren schon einige Gäste gegangen und ich saß mit Stef gerade sehr gemütlich in der Sitzecke und unterhielt mich mit zwei anderen Mädchen aus meiner Klasse. Sie wollten einfach nicht glauben, dass ich für sie wohl unerreichbar wäre. Das war schon lustig für mich. Bislang war mir noch nie aufgefallen, dass es Mädchen bei uns gab, die ein Auge auf mich geworfen hatten.
Was ich auch so noch nicht kannte, war das, was ab Viertel vor eins passierte. Immer mehr Eltern gesellten sich zu uns in den Keller, die ihre Kinder abholen wollten. Sie nutzten die Gelegenheit, sich noch einen Moment mit uns und den anderen Eltern zu unterhalten und ich fand das total schön. Für Stef war das auch vollkommen neu. Er hatte das so noch nie erlebt. Wir standen ein wenig abseits, als plötzlich ein Mann zu uns kam, den wir nicht kannten. Er stellte sich als Bens Vater vor und fragte mich, wie wir denn nach Hause kommen würden. Er könnte uns auch gerne mitnehmen. In diesem Moment kam Papa durch die Tür herein. Er staunte auch genauso wie wir über die Ansammlung von Eltern. Allerdings freute er sich sichtlich und begrüßte alle persönlich und somit dauerte es doch noch einige Zeit, bis wir aus dem Keller oben an der Straße waren. Wir verabschiedeten uns von unseren Gastgebern und stiegen in Mamas CTV. Nachdem wir die Türen geschlossen hatten und Papa aus der Straße bog, fragte er uns:
„Sagt mal, was war das denn eben am Schluss? Ist das hier so üblich, dass sich die Eltern zum Schluss auch noch treffen? Das finde ich ja total klasse.“
„Ja, Papa, ich habe das auch nicht gewusst. Es scheint aber bei Marcos Clique so üblich zu sein und ich fand das auch total cool. Bens Vater hatte uns sogar schon angeboten, uns mitzunehmen. Da warst du noch nicht da. Er meinte, um diese Zeit sollte keiner mehr von uns allein nach Hause gehen.“
Stef saß die ganze Zeit sehr still hinten im Auto und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Papa bemerkte seine Stille und sprach ihn direkt an:
„Stefan, warum bist du so still? Hat es dir nicht gefallen?“
Er holte nach einigen Augenblicken tief Luft und antwortete:
„Ach, Marc, doch, es war ein sehr schöner Abend, aber ich habe wieder einmal gemerkt, was für furchtbare Eltern ich habe. Hier ist es selbstverständlich, dass die Eltern ihre Kinder zu einer Party bringen und auch wieder abholen. Hier ist es selbstverständlich, dass sich Freunde für mich einsetzen und mich beschützen wollen. Das tut einerseits so gut, aber es tut auch sehr weh.“
Papa sah fragend zu mir, er wusste ja noch nicht, was genau passiert war. Also erklärte ich ihm kurz den Sachverhalt und seine Reaktion war eindeutig.
„Nun, Stefan, daran wirst du dich hier scheinbar gewöhnen müssen. Aber wenn es dich beruhigt, dass die Eltern sich noch treffen, das war mir auch neu und hat mich genauso überrascht. Allerdings ist das eine tolle Idee und in Zukunft werde ich das auch unterstützen.“
„Cool Papa, also kommst du uns dann immer abholen?“
„Wenn es von euch gewünscht wird und so eine Party wie heute stattfindet, mache ich das gerne. Wie war das denn eigentlich mit Alkohol? Ich rieche gar nichts bei euch? Wurde gar kein Alkohol getrunken?“
Jetzt meldete sich Stef von hinten:
„Nein, wir haben nichts getrunken, aber es gab schon auch ein paar Cocktails oder etwas Bier. Aber es gab niemanden, der viel davon getrunken hatte, oder ist dir was aufgefallen, Luc?“
„Nein, eigentlich nicht. Es war eine tolle Stimmung und alle waren auch ohne Alkohol richtig gut drauf. Sollte sich Leif mal eine Scheibe von abschneiden.“
Jetzt musste Papa lachen und komischerweise waren wir auch schon wieder zu Hause. Die Uhr zeigte kurz nach zwei Uhr. Für uns eigentlich viel zu spät. Papa sagte aber nichts dazu, sondern wünschte uns nur eine gute Nacht und dass wir uns wohl erst am Sonntag wieder sehen würden. Leif war schon wieder zu Hause, denn Papa hatte ihn bereits vor uns abgeholt. Er wollte diesmal nicht riskieren, dass es wieder zu Problemen kommen würde. Mich freute das ungemein, dass ich als kleiner Bruder länger wegbleiben durfte als er.
Wenige Minuten später waren Stef und ich im Bett und schliefen. Der Tag war doch sehr aufregend und anstrengend.
Wir schliefen am nächsten Tag etwas länger, wobei das leicht untertrieben war. Als ich die Küche betrat, war es schon zwölf Uhr. Stef hatte ich noch etwas im Bett gelassen. Ich wollte uns ein schönes Frühstück vorbereiten. Leif hatte ich auch noch nicht gehört. Ich entschied mich, einen strammen Max zu machen. Das wäre sicher genau richtig und wir könnten uns dann das Mittagessen schenken. Ich stand also am Herd und der Tisch war schon gedeckt, als Leif herein kam.
„Moin Luc, alles fit bei dir? Wo hast du denn deine bessere Hälfte gelassen?“
Über so viel Elan von meinem Bruder am Morgen war ich total verwundert. Entsprechend bescheuert hatte ich ihn vermutlich auch angesehen. Er fing jedenfalls an zu lachen und bekam sich erst gar nicht wieder ein. Erst, als er sich beruhigt hatte, konnte ich ihm antworten, aber in diesem Moment kam Stef zu uns in die Küche und enthob mich einer Antwort. Allerdings war ich doch sehr verwundert über meinen Bruder. Er fragte mich sehr nett, ob es mir etwas ausmachen würde, ihm auch einen strammen Max zu machen. Das waren ja ganz neue Töne von ihm. Somit saßen wir zu dritt wenige Minuten später am Tisch und ließen es uns bei einem kräftigen Frühstück richtig gut gehen.
Nachdem wir die Küche aufgeräumt hatten, verabschiedete sich Leif wieder. Er wollte sich noch mit einem Problem in Mathe beschäftigen. Stef und ich wollten uns ein wenig bewegen und wir entschieden uns, durch den Wald zu gehen. Mama hatte zwischenzeitlich angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung sei. Als ich ihr von dem gemeinsamen Frühstück mit Leif berichtete, konnte sie es erst gar nicht glauben. Umso erfreuter waren Mama und Papa.
Stef und ich kamen nach einer guten Stunde wieder aus dem Wald zurück und ich hatte gerade meinen Arm um ihn gelegt, als wir noch einmal über die letzten Tage sprachen. Ich war schon lange nicht mehr so glücklich und auch Stef schien jede Minute hier mehr zu genießen. Wir gingen die Straße zu unserem Haus entlang, als Stef plötzlich stutzte.
„Was hast du? Du tust ja fast so, als ob du ein Gespenst gesehen hättest.“
Er wurde kreidebleich und verkrampfte sich vollkommen. Sein Blick ging nur starr nach vorn. Was hatte er denn nur gesehen? Ich verstand überhaupt nicht, was da gerade bei ihm los war. Stef sagte nur:
„Los, weg hier, das Auto da vorne ...“
Er wollte sich umdrehen und weglaufen. Ich hielt ihn fest und schüttelte ihn.
„Was ist los Stef? Warum gerätst du so in Panik? Sag mir bitte, was ist los?“
Er war immer noch vollkommen panisch und weigerte sich, auch nur einen Schritt weiter nach Hause zu gehen, denn ich wollte unbedingt, dass wir ins Haus können. Egal, was hier gerade passierte. Dort hätte ich in Ruhe auf ihn einwirken können. Aber er flehte mich förmlich an, zurück zu gehen und nicht näher zum Haus. Damit er mir nicht in Panik weglief, gingen wir also einige hundert Meter zurück und erst, als unser Haus nicht mehr in Sicht war, wurde er etwas ruhiger.
„Stef, jetzt erklär mir bitte, was hast du gesehen, was dich so in Schrecken versetzt?“
Er holte tief Luft und dann sagte er etwas, das auch mir fast den Boden unter den Füßen wegzog.
„Vor eurem Haus stand das Auto von meinen Eltern. Ich habe es genau erkannt.“
„Bitte? Bist du sicher?“
Er nickte nur wortlos. Jetzt begannen sich Tränen in seinen Augen zu bilden. Ich hielt ihn ganz fest und überlegte krampfhaft, was wir jetzt machen sollten. Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich würde ihn ins Internat bringen, dort würden sie ihn ja jetzt nicht erwarten. Ich holte mein Handy heraus und rief uns ein Taxi. Ich wollte jetzt nicht so weit noch mit Stef laufen. Es dauerte auch nicht allzu lange und das Taxi nahm uns auf. Ich gab das Ziel an und somit waren wir bald vor dem Internat.
Als wir in Stefs Zimmer waren, brach er zusammen. Ein heftiger Weinkrampf schüttelte ihn. Ich konnte nichts tun, außer ihn festzuhalten und bei ihm zu bleiben. Hier war er zwar sicher, keine fremde Person konnte das Gebäude betreten. Dennoch musste hier etwas passieren. Ich rief Leif zu Hause an, um zu fragen, ob das Auto noch dort stehen würde. Leif meldete sich und ich erklärte in wenigen Worten, was genau geschehen war. Er war genauso fassungslos. Er bestätigte mir, dass das Auto immer noch vor dem Haus stehen würde. Was nun?
Ich beschloss, erst einmal bei Stef zu bleiben. Tommy war ja auch nicht da. Er war zu seinen Eltern gefahren. Ich fühlte mich so hilflos. Stef hatte sich nun ein wenig beruhigt und wir konnten uns wieder ein wenig unterhalten. Allerdings war die Angst vor seinen Eltern ständig spürbar. Er redete immer wieder davon, sich eher umzubringen, bevor er zu seinen Eltern zurückginge. Das machte mich vollkommen verrückt. Ich bekam eine unbändige Wut auf diese Eltern und konnte dennoch nichts tun. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich meldete mich:
„Lucien Maergener“.
„Luc, wo bist du? Ist Stefan bei dir?“
„Papa, woher ...“
„Später, wo seid ihr?“
„Ich bin mit Stef ins Internat geflüchtet. Er ist vollkommen in Panik. Papa, ich habe Angst.“
„Ganz ruhig, Kleiner. Ich bin gleich da. Ich komme und hole euch dort ab. Die Polizei ist schon zu unserem Haus unterwegs, Leif hatte beobachtet, dass zwei Personen auf unserem Grundstück waren.“
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Papa würde gleich bei uns sein. Ich berichtete Stef davon, dass Papa jeden Moment bei uns sein würde. Er konnte es kaum glauben.
„Wie geht das denn? Er war doch mit deiner Mutter zusammen weg. Woher weiß er das jetzt schon wieder?“
Ich schüttelte nur genauso unwissend meinen Kopf.
„Keine Ahnung, aber er wird es uns wohl noch erklären. Jetzt kannst du dich beruhigen. Papa wird jeden Moment bei uns sein.“
Stef entspannte sich fühlbar. Allerdings schien es ihm auch sehr unangenehm zu sein, dass wir wieder seinetwegen so viel Stress hatten. Ich hatte große Sorge, dass er dieser Situation nicht mehr lange gewachsen war. Ich blieb bei ihm und wartete auf meinen Vater. Diese Minuten kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Plötzlich klopfte es und Papa gab sich zu erkennen. Ich schloss die Tür auf und Papa trat zu uns herein. Ich fiel ihm in die Arme und er beruhigte mich. Er ging zu Stef und setzte sich neben ihn und hielt ihn ganz fest. Nach wenigen Minuten hatte sich Stef soweit beruhigt, dass wir nach Hause fahren konnten. Im Auto erklärte uns Papa dann, wie er so schnell bei uns sein konnte.
„Leif hatte mich angerufen, als er von dir den Anruf bekam. Scheinbar hatten sich Stefans Eltern tatsächlich auf unser Grundstück gewagt. Da gab ich der Polizei den Auftrag, sofort zu unserem Haus zu fahren und ich habe mich direkt auf den Weg gemacht. Die Polizei hat übrigens deine Eltern noch auf dem Grundstück angetroffen. Das wird ein Nachspiel haben. Sie haben jetzt einen entscheidenden Fehler begangen. Das dürfte ausreichen, damit du bis auf weiteres hier bleiben darfst, Stefan.“
Stefan sah bei dem Bericht von Papa allerdings sehr abwesend aus. Es schien so, als ob er das alles nur am Rande mitbekommen hatte. Als Papa den letzten Satz gesagt hatte, kam wieder ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. Wir bogen in unsere Straße ein und tatsächlich stand dort immer noch ein Wagen der Gendarmerie.
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