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Second serve

Teil 8

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Wie reagiert die Szene

Das Wochenende nach der Anhörung verbrachte ich in aller Ruhe zu Hause. Einmal keine Turniere und keine Termine. Das tat mir sehr gut. Allerdings war der Montag das Gegenteil von Ruhe. Bereits im Büro bekam ich von Thorsten den ersten Anruf. Frank Höfen hatte den angekündigten Bericht geschrieben und damit auch die vorläufige Sperrung von Listen für alle Turniere bekanntgegeben. Das wurde nicht nur in seiner Fachzeitschrift veröffentlicht, sondern auch in einigen Tageszeitungen in Halle. Glücklicherweise hatte er sich an die Absprache gehalten, die Jungs nicht zu erwähnen. Entsprechend hektisch verlief der Montag auf der Anlage. Die Jungs kamen recht entspannt zum Training, während ich bereits ein erstes Gespräch mit Thorsten gehabt hatte.

„Hallo Chris, was liegt heute an?“

Maxi war anscheinend bestens gelaunt und motiviert. Fynn und Dustin waren zwar nicht so redselig, aber ebenso motiviert. Sie hatten auch ein freies Wochenende und entsprechend hatte ich heute ein hartes Training angesetzt. In Turnierpausen wurde härter trainiert und vor allem an technischen und taktischen Schwächen gearbeitet.

Die Jungs zogen aber sehr gut mit und ich hatte absolut keinen Grund zu klagen. Nach zwei Stunden harter Arbeit auf dem Platz ging es für die Jungs auslaufen und dann zur Physio.

So hatte ich endlich mal Zeit, die aktuelle Tagespresse ausführlich zu lesen. Das tat ich bei einer heißen Schokolade im Clubraum. Unsere Wirtin hatte mir die Zeitungen vom Tage an die Seite gelegt und somit war ich dabei, mich durch die Artikel zu lesen. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich schaute auf mein Display und staunte. Mein Bruder.

„Hi, Jan. Was gibt es denn so dringendes, dass du mich anrufst.“

„Ha ha, moin Chris. Keine Panik, alles im grünen Bereich. Ich habe von Thorsten den Bericht über die Anhörung gelesen. Ich möchte dir einmal persönlich sagen, dass du sehr gute Arbeit mit den Jungs machst. Das wird dem Verband hoffentlich eine Lehre sein. Wobei, die erhofften Veränderungen sehe ich nicht, aber lassen wir uns überraschen.“

„Hm, danke. Ich versuche mich halt einzubringen und auch meine Erfahrungen anzuwenden. Allerdings ist es mit diesen drei Jungs auch ein angenehmes Arbeiten. Nicht immer einfach, aber es macht Freude zu sehen, wie sie sich entwickeln.“

„Das hab ich mir schon gedacht, nachdem Thorsten mir berichtet hatte. Ich möchte dich aber um etwas bitten. Wir haben in der nächsten Woche ein Turnier in der Schweiz. Ich bin mit Gilles und Andrej dort im Einsatz. Ich möchte, dass du mit den Jungs dorthin fährst und sie ein wenig in die Profiszene einführst. Dort findet ab Dienstag auch ein Challengerturnier statt. Dafür habe ich die drei in der Qualifikation angemeldet. Die beginnt bereits am Sonntag.“

Das meinte er doch nicht ernst. Ein Challengerturnier bei den Profis und die drei sollten Quali spielen. Das war eine Überraschung.

„Meinst du, dass das schon gut ist? Sie werden dort ordentlich Prügel bekommen.“

„Ja, vermutlich werden sie dort verlieren, aber sie sollen einfach die Chance bekommen, die Erfahrung zu machen und außerdem möchte ich das als Belohnung sehen für die tolle Entwicklung der drei. Sie haben große Fortschritte gemacht und wir sollten sie an den Profibereich langsam heranführen. Du bist dafür genau der richtige Coach.“

Dieses Lob tat mir gut. Es war wirklich sehr selten, dass sich Jan persönlich um diese Dinge kümmerte. Umso mehr freute ich mich über diesen Anruf.

„Thorsten habe ich bereits alle wichtigen Informationen geschickt und du bekommst von ihm alles, was du brauchst. Ihr werdet fliegen und wir sehen uns dann in der Schweiz.“

Als ich das Handy auf den Tisch legte, bemerkte ich erst, dass Thorsten sich zu mir gesetzt hatte. Er grinste mich an. Also war das eine abgesprochene Aktion.

„Hast du den Jungs schon etwas davon gesagt?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, das sollst du schon selbst machen. Ich muss aber erst noch alles organisieren. Warte damit bitte bis morgen. Ok?“

„Ja, klar. Gibt es schon Resonanz auf die Artikel?“

„Auch das, ja. Allerdings, bis auf ein paar Leute aus dem Verband, ausschließlich Unterstützung. Sogar einige ehemalige Spieler haben sich gemeldet. Ich glaube, das war der berühmte Stein, der die Lawine ins Rollen bringt. Hoffen wir das mal.“

„Ja, damit liegst du wohl richtig. Aber noch etwas anderes. Ich fahre am Freitag in die WG, weil Fynns Vater sie besuchen wird. Martina hatte mich darum gebeten. Der Bruder von Fynn möchte ja bei uns mit Training anfangen. Habt ihr schon entschieden, wie das gemacht werden soll? Der Vater wird mich mit Sicherheit am Freitag danach fragen.“

„Ja, er soll in einer Gruppe bei Lennart trainieren. Er kann in der nächsten Woche für drei Wochen zur Probe kommen. Dann sehen wir weiter.“

„Hört sich gut an, danke.“

„Wie haben die Jungs den Freitag überstanden? Haben sie was erzählt?“

„Wenn ich mal die heutige Trainingsleistung sehe, dann ganz gut. Nein, erzählt haben sie noch nicht viel. Ich denke, dass kommt noch, wenn sie merken, dass in der Szene darüber gesprochen wird. Schließlich weiß ja hier in der Umgebung jeder, dass unsere Jungs daran beteiligt sind.“

Thorsten nickte und sagte zum Abschluss: „Mag sein, aber je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird es. Wir haben absolut das Richtige getan. Es wird höchste Zeit, dass sich im Verband etwas ändert.“

„Ganz ehrlich, ob der Verband etwas verändert oder nicht, ist mir relativ egal. Mir ist wichtig, dass sich die Spieler nicht mehr alles gefallen lassen. Sie brauchen die Veränderungen. Da müssen wir sie unterstützen. Wir brauchen den Verband nicht wirklich. Wenn sie uns sperren wollen, werden sie es tun. Allerdings schneiden sie sich ja ins eigene Fleisch damit. Von daher werde ich erst einmal dafür sorgen, dass unsere Jungs gute Bedingungen haben und es ihnen gut geht.“

„Da hast du ganz sicher recht. Und dass es ihnen mit dir gut geht, da bin ich mir ganz sicher. Ehrlich, es gibt nicht viele, die diese schwierigen Situationen so gut meistern wie du.“

„Danke. Das freut mich natürlich, wenn mein Engagement auf Anerkennung und Zustimmung stößt.“

Er lächelte und verabschiedete sich wieder. Wir wollten morgen über die Details der Reise in die Schweiz sprechen.

Ich schaute auf die Uhr und es wurde Zeit für mich nach Hause zu fahren. In diesem Moment kamen meine drei Jungs gemeinsam zu mir an den Tisch. Lachend setzten sie sich zu mir.

„Hier hast du dich versteckt. Wir haben dich schon überall gesucht.“

Dabei lachte Fynn befreit auf. Sein Lachen hatte sich in den letzten Wochen deutlich verändert. Es wirkte ehrlich.

„Das müsstet ihr doch langsam wissen. Hier gibt es heiße Schokolade oder Fassbrause. Also wenn ich nicht auf dem Platz bei euch bin, werde ich wohl hier sein.“

„Wir möchten dir etwas sagen“, begann Maxi. „Du hast bislang immer nur für uns etwas getan und immer deine Zeit investiert ohne zu fragen, warum. Wenn wir ein Problem hatten und dich um Rat gefragt haben, hast du sofort geholfen. Egal ob auf oder neben dem Platz.“

Hm, was hatten sie sich jetzt ausgedacht? Fynn fuhr jetzt fort.

„Maxi hat recht. Du machst viel mehr als alle anderen Trainer, die wir bislang kennengelernt haben. Wir sind mittlerweile Freunde geworden. Also du bist nicht nur unser Trainer, sondern auch unser Freund.“

Ich schaute den dreien in die Augen und wusste gerade nicht, was jetzt auf mich zukommen würde, als Dustin erklärte:

„Wir würden gern mal mit dir etwas zusammen machen, nur als Freunde. Nicht als Trainer und Spieler. Thorsten hat uns gesagt, dass du früher auch richtig gut gespielt hast. Wir konnten das ja auch bei dem Doppel mit Gilles sehen. Du hast es mal richtig gelernt. Wir möchten, dass du wieder mehr selbst Spaß auf dem Platz hast. Deshalb möchten wir mit dir auch mal nur spielen und nicht trainieren. Und anschließend vielleicht noch etwas unternehmen. Mal Billard spielen oder irgendwas anderes machen.“

Wow, damit hatte ich nicht gerechnet. Allerdings gefiel mir das sehr gut. Vor allem spürte ich, dass das ehrlich gemeint war. Deshalb konnte ich das schlecht ablehnen.

„Ok, was habt ihr euch ausgedacht?“

„Am Wochenende haben wir ja kein Turnier und da dachten wir, wir spielen am Samstagnachmittag ein wenig Tennis. Nur zum Spaß und anschließend laden wir dich zum Essen ein. Was wir abends machen, haben wir noch nicht überlegt. Vielleicht hast du ja eine Idee oder einen Wunsch.“

Ohje, wie sollte ich das jetzt abwenden. Wir würden ja am Samstag schon in die Schweiz fliegen. Das musste also verschoben werden. Ich überlegte einen Moment und wusste, das Wochenende danach war ebenfalls ohne Turnier.

„Leute, an diesem Wochenende ist das schwierig. Da habe ich schon Termine, aber das Wochenende danach, da können wir das machen. Ich freue mich darauf, aber muss auch sagen, dass ich sicher nicht der richtige Spielpartner für euch bin.“

„Laber nicht“, fiel mir Fynn ins Wort, „du spielst immer noch gut. Du müsstest nur wieder regelmäßiger spielen. Du sagst doch zu uns auch immer, wer gut sein will muss spielen. Also, was ist? Bist du dabei?“

„Ja, ja. Schon gut. Keine Panik, ich freu mich auch drauf. Das machen wir.“

„Cool, dann also am übernächsten Wochenende. Wir fahren jetzt nach Hause und sehen uns dann morgen wieder.“

Wir gaben uns die Hände und die Jungs verabschiedeten sich. Als sie den Raum verlassen hatten, gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Aber es fühlte sich gut an, dass sie genauso Spaß und Freude an der gemeinsamen Arbeit hatten, wie ich.

Dustin: Freundschaft ist unbezahlbar

Die Anhörung war sehr positiv verlaufen und ich musste zugeben, dass Chris uns sehr gut vertreten hatte und die Ansprache am Ende war grandios. Am Wochenende hatte ich noch lange mit Fynn über diese Verhandlung gesprochen. Fynn war sehr froh, dass wir nur wenig aussagen mussten. Umso wichtiger war für uns geworden, einmal Danke sagen zu können. Wir mussten endlich etwas auf die Beine stellen, dass wir Chris damit etwas Gutes tun könnten.

Wir hatten uns mit Maxi gemeinsam etwas überlegt und heute hatten wir Chris unsere Idee vorgeschlagen. Ich glaubte zu erkennen, dass er sehr überrascht war, sich aber auch ehrlich über unsere Idee gefreut hatte. Es war für mich immer deutlicher geworden, dass ich zu Chris eine besondere Beziehung aufgebaut hatte. Fynn nannte es Freundschaft, das war mir noch zu wenig. Eigentlich kümmerte sich Chris so um mich, wie es mein Vater hätte tun sollen. Umso wichtiger wurde mir diese Freundschaft. Fynn und ich hatten beide bislang hier in Halle so großes Glück gehabt. Jetzt war es an der Zeit, mal etwas zurückzugeben.

Die Idee, mit Chris auf den Platz zu gehen und nur zum Spaß zu spielen, kam von Thorsten. Fynn hatte sich, genau wie ich, schon häufiger die Frage gestellt, was ist Chris für ein Mensch. Er hatte bislang immer und überall seine Hilfe eingebracht. Egal in welcher Situation wir ihn angerufen oder gefragt hatten. Das war für mich eine absolut neue Erfahrung. Mir war hier in Halle deutlich geworden, was Freundschaften wert sind.

Umso erfreuter war ich, dass Chris uns nicht ausgelacht hatte, als wir ihm unser Vorhaben unterbreitet hatten. Was wir ihm noch nicht erzählt hatten, war die Idee, dass wir alle in der WG für ihn kochen wollten. Martina hatte uns ihre Unterstützung zugesagt und fand diesen Gedanken klasse. Hoffentlich würde das auch genießbar werden, was wir zaubern wollten.

„Hey Schatz, wo bist du denn mit deinen Gedanken? Ich habe dich schon zweimal zum Tee gerufen. Kommst du jetzt?“

Au verdammt, davon hatte ich gar nichts mitbekommen.

„Bin schon so gut wie da.“

Mein Freund wartete im Wohnzimmer mit einem wunderbar vorbereiteten Tablett. Frischer grüner Tee und sogar ein paar Kekse hatte er dazugelegt.

„Na endlich, ich dachte schon du wärst eingeschlafen.“

Er grinste mich an und gab mir einen liebevollen Kuss. Anschließend setzten wir uns gemütlich an unseren Couchtisch und schauten noch gemeinsam einen Film. Endlich mal wieder ein richtig gemütlicher Abend.

„Glaubst du, wir haben Chris damit eine Freude gemacht? Ich bin etwas unsicher, ob er das wirklich gut findet.“

„Ja, Fynn. Absolut. Außerdem wird es langsam Zeit. Er hat bislang immer nur für uns etwas getan. Er hat es uns doch selbst mal gesagt, dass eine Freundschaft nur auf Dauer Bestand haben kann, wenn man sich gegenseitig etwas gibt und nimmt. Bisher haben wir nur genommen. Und ich will diese Freundschaft erhalten. Sie ist mir sogar außerordentlich wichtig geworden.“

Wir kuschelten uns noch enger aneinander und schauten den Film zu Ende. Eigentlich war es schon lange an der Zeit ins Bett zu gehen. Müde genug war ich, aber es war so wunderschön, mit meinem Freund diesen Abend zu genießen. Dafür würde ich auch gern am nächsten Morgen nicht ausgeschlafen sein.

Und genau das passierte natürlich. Mir fehlten ein oder zwei Stunden Schlaf. Entsprechend still verlief unser Frühstück. Es war immer wieder erstaunlich, Carlo und Tim waren bereits morgens so lebhaft, dass wir unten bereits mitbekamen, was sie oben taten. Heute empfanden Fynn und ich das besonders auffallend.

Der Unterricht war bis zur ersten Pause wie gewöhnlich und ohne erwähnenswerte Vorkommnisse. In der ersten Pause traf ich mich wie immer mit meinem Freund. Diesmal kam er allerdings nicht allein.

„Hi, wie war dein Unterricht?“, fragte er mich mit einer Umarmung.

„Abgesehen von Schlafmangel, ganz normal und bei dir?“

„Ja, auch nicht besser. Ich habe Frank mitgebracht. Er hat von der Sache am Freitag in der Zeitung gelesen und er geht in meine Klasse. Er spielt selbst Tennis in Werther und kennt das Problem Listen ebenfalls.“

Ich gab Frank die Hand und wir redeten noch die ganze Pause über Tennis. Er spielte in einem kleinen Verein und hatte aber vor einigen Jahren einen Sichtungslehrgang in Kamen gehabt. Seine Erfahrungen mit Listen waren ebenfalls nicht besonders gut. Das war auch der Grund, weshalb sein Vater damals den Wechsel in den Verbandskader abgelehnt hatte.

„Das war vermutlich eine gute Entscheidung. Damit hast du dir viel Stress und Quälerei erspart.“

„Ja, Dustin. Da hast du vermutlich recht, aber es war schon schade. Ich hätte diese Förderung gut gebrauchen können. Heute spiele ich nur in der Kreisliga. Vielleicht hätte ich dadurch mehr Chancen gehabt.“

Diese Gedanken waren mir gut bekannt. Aber heute hatte ich begriffen, dass es nicht alles ist.

„Ich glaube das nicht. Ich habe damals diese Förderung bekommen und für mich war es eher schlecht. Das hab ich aber erst gemerkt, als ich eine Vergleichsmöglichkeit bekam.“

Er schien unsere Geschichte noch nicht zu kennen. Ich erklärte es ihm in einer Kurzfassung. Danach wirkte er sehr nachdenklich.

„Hm, da hast du ja dann doppelt Glück gehabt. Erst hast du die Chance bekommen in Halle zu spielen und zu trainieren und dann auch noch Fynn kennengelernt.“

Irgendwie fühlte ich mich gerade etwas unwohl. Die Beziehung zu Fynn war in der Schule zwar mittlerweile bekannt, aber wir hielten uns eher zurück. Ich schaute zu meinem Freund, der mir zunickte.

„Ja, das stimmt. Und da ist noch Chris, unser Trainer. Er hat auch großen Anteil an unserem Erfolg. Er hat viel für uns erreicht.“

In diesem Moment klingelte es wieder zum Unterricht. Wir verabredeten uns daher in der zweiten Pause erneut.

Ich hatte jetzt Englisch und heute bekamen wir eine Arbeit zurück. Der Lehrer betrat die Klasse und stellte seine Tasche auf das Pult. Er begrüßte uns wie immer auf Englisch und begann mit dem Unterricht.

„Ich muss schon sagen, eure Ergebnisse haben mich überrascht. Bei einigen Leuten scheinen die Wochenenden nicht zum Lernen genutzt worden zu sein. Während es bei dem ein oder anderen ein sehr erfreuliches Ergebnis gab.“

Er holte die Hefte aus seiner Tasche und begann sie zu verteilen. Englisch war nun wirklich nicht ein starkes Fach von mir. Ich hatte einfach noch zu viele Lücken bei den Vokabeln. Wenn es um das Schreiben von Inhaltsangaben ging, hatte ich immer gute Ergebnisse. Er stand jetzt neben meinem Tisch und legte mir mein Heft hin. Dabei klopfte er mir anerkennend auf die Schulter und sagte:

„Dustin, ich freue mich über deine Fortschritte. Bei dir sieht man deutlich, dass Arbeit sich lohnt. Eine tolle Leistung von dir.“

Was war das denn? Ich bekam ein Lob von meinem Englischlehrer? Dass ich das noch erleben durfte. Ich nahm nervös das Heft und blätterte es durch. Ein „Gut“ stand unter meiner Arbeit und ein sehr langer Kommentar. Ein persönlicher Kommentar meines Lehrers, der mich sehr freute. Das war eine große Überraschung. Dort stand ebenfalls zum Schluss, ich sollte mich bitte nach dem Unterricht bei ihm melden.

So stand ich jetzt vor seinem Pult, während die anderen bereits die Klasse verließen. Er schaute zu mir auf und sagte dann:

„Du hast dich wirklich deutlich gesteigert in den letzten Wochen. Aber ich wollte mit dir über etwas ganz anderes sprechen. Ich habe mitbekommen, dass du früher für den WTV gespielt hast, also bevor du nach Halle gekommen bist.“

„Äh ja, aber woher wissen Sie das? Das hab ich eigentlich nicht herum erzählt.“

„Keine Sorge, aber ich habe in der Zeitung einen Bericht gelesen über einen Vorfall bei eurem Turnier in Halle. Es hat jetzt eine Verhandlung gegeben wie Herr Höfen in seinem Bericht geschrieben hatte. Da du ja dort spielst, wollte ich fragen, ob es vielleicht um Herrn Listen gegangen ist.“

„Sie kennen Listen? Das überrascht mich jetzt aber.“

Wir unterhielten uns anschließend sehr angenehm über Tennis und den Verband. Wie er mir erzählte, hatte sein Sohn vor fünfzehn Jahren bereits unter Listen beim Verband gespielt und er hatte ähnliche Auseinandersetzungen mit dem Verband. Das hatte zur Folge, dass sein Sohn sehr bald keine Lust mehr am Tennis verspürte und aufgehört hatte.

Mittlerweile waren wir auf dem Weg nach unten auf den Pausenhof und erst vor dem Lehrerzimmer trennten wir uns. Es war ein sehr angenehmes Gespräch und ich hatte überhaupt nicht gewusst, dass ich so einen netten Englischlehrer hatte. Leider kam ich deswegen etwas spät zu meinem Freund, der bereits mit Frank auf mich wartete.

Sie unterhielten sich wieder sehr angeregt und hatten mich noch gar nicht richtig bemerkt.

„Sorry“, sagte ich, „mein Englischlehrer wollte noch etwas mit mir besprechen.“

Schlagartig beendeten sie ihre Unterhaltung.

„Da bist du ja endlich. Was wollte der denn von dir? Hat er dir wieder eine Zusatzaufgabe aufgebrummt?“

Fynn wusste natürlich, dass Englisch nicht mein Lieblingsfach war und ich bislang auch nicht viel von meinem Lehrer gehalten hatte.

„Nein, es war ein gutes Gespräch und rate mal, worüber wir uns unterhalten haben?“

Beide schauten mich ratlos an. Fynn hatte aber schon an meinem Grinsen erkannt, dass es etwas Positives gewesen sein musste.

„Los, erzähl schon.“

Ich berichtete ihnen von den Ereignissen und beide waren sehr verwundert.

„Wow, ausgerechnet bei dem hätte ich das nicht erwartet. Aber du sagtest auch, dass ihr die Arbeit, für die du mit Chris gelernt hast, zurückbekommen habt.“

„Jap, stimmt. Du wirst es nicht glauben. Meine erste Zwei in Englisch überhaupt.“

„Wie geil ist das denn?“

Und dann war seine Zurückhaltung für einen Moment vergessen und er gab mir spontan einen Kuss. Er zuckte aber sofort zurück, als ihm bewusst wurde, dass Frank bei uns stand. Es muss komisch ausgesehen haben, denn Frank fing schrecklich an zu lachen.

„Du hättest dein Gesicht eben sehen sollen. Dann wüsstest du, warum ich so lachen muss. Mensch Fynn, Dustin ist dein Freund, da solltest du endlich aufhören, dich immer so zurückzuhalten. Den Vollpfosten Mario nimmt doch eh bei uns keiner mehr ernst. Sollte er dich übrigens noch einmal wegen deiner Homosexualität angreifen, wird er sein blaues Wunder erleben. Wir haben uns in der Klasse darüber unterhalten und sind uns einig. Du gehörst doch zu unserer Klasse und hast dir schon viel Respekt erarbeitet. Leider bekommst du das nicht so mit, weil du immer so oft auf Turnieren unterwegs bist und so selten mal am Wochenende mit uns etwas unternimmst.“

Krass, damit hatten wir beide nicht gerechnet. Aber es stimmte schon. Wir hatten immer nur unser Tennis im Kopf. Die meisten Wochenenden waren wir unterwegs und wenn wir mal zu Hause waren, wollten wir nicht schon wieder unterwegs sein.

„Heißt das, ihr hättet auch kein Problem, wenn ich mit Dustin mitkommen würde?“

„Absolut nicht. Im Gegenteil, viele würden sich sogar freuen. Einige haben auch immer ihre Freundinnen dabei. Also warum nicht du und dein Partner?“

Cool, das waren ja ganz neue Perspektiven. Es war uns vollkommen entgangen, dass sich in Fynns Klasse so eine Entwicklung aufgetan hatte. Allerdings hatte ich Zweifel, ob Chris das so gut finden würde, wenn wir auch mal auf eine Party gehen würden. Aber fragen kostet ja bekanntlich nichts.

Chris: Planungen für die Schweiz

Nachdem mich Jan mit dem Turnier in der Schweiz überrascht hatte, mussten wir schnellstmöglich dafür alles organisieren. Mein größtes Problem war mein Arbeitgeber. Sollte alles wie erwartet laufen, würden wir am späten Sonntagabend wieder in Paderborn landen. Was aber, wenn einer der Jungs überraschenderweise die Qualifikation überstehen sollte? Ich musste mit meinem Chef eine Absprache treffen. Sicherheitshalber verlegte ich meine Termine von Montag auf später in die Woche. Das würde bedeuten, dass ich ein Training anders organisieren musste. Also viel Aufwand für ein Turnier. Allerdings stand für mich nie infrage, den Jungs das nicht zu ermöglichen. Thorsten kümmerte sich um den organisatorischen Bereich, also Flüge und Unterkunft, Meldegebühren und vieles mehr.

Heute hatte ich die Aufgabe, den Jungs unseren Plan zu offenbaren. Ich war sehr gespannt, wie sie damit umgehen würden. Außerdem hatte ich mit Fynn und Dustin ein weiteres Gespräch, diesmal in der WG und mit beiden gemeinsam.

Ich war bereits in der Umkleide und entledigte mich der Motorradklamotten, als Fynn und Dustin herein kamen.

„Hi Chris, sind wir heute so früh oder du so spät?“

Ich drehte mich um und schaute in die Gesichter der Jungs. Beide hatten ein Grinsen im Gesicht.

„Im Zweifel seid ihr zu früh. Ich bin pünktlich.“

Für einen Moment schauten sie mich ratlos an, aber dann fingen sie an zu kichern. Fynn sagte:

„Ok, wir sollten langsam wissen, dass du immer den besseren und letzten Text aufsagen kannst.“

Ich machte eine Geste der Zustimmung und wir lachten kurz gemeinsam, als Maxi hereinkam. Er sah allerdings weniger gut gelaunt aus. Er begrüßte uns zwar, aber ich spürte sofort, dass etwas vorgefallen war. Dustin und Fynn waren bereits fertig und verließen die Umkleide. Ich wollte auch gerade gehen, als Maxi mich ansprach:

„Warte bitte einen Moment. Ich bin heute nicht so gut drauf. Habe schlecht geschlafen und einen Scheißtag in der Schule gehabt.“

Ich schaute mir Maxi an und wusste sofort, dass hatte einen Hintergrund. Ich wollte ihn nicht bedrängen, aber auch zeigen, dass er immer zu mir kommen konnte, falls er mit mir reden möchte.

„Ok, verstehe. Heute also etwas Schonzeit? Oder lieber richtig auspowern?“

„Eigentlich beides, ich fühle mich einfach nicht so gut. Auspowern wäre vielleicht gut. Dann kann ich meinen Frust abbauen, aber keine schwierigen Übungen, bitte.“

Ich schmunzelte. Das hörte ich sonst immer von anderen Jungs in meinem regulären Beruf, wenn sie mal wieder durchgesoffen hatten.

„Ok, ich rede mit den Jungs. Mal sehen, ob mir was einfällt. Sonst aber alles in Ordnung?“

„Jaja, schon ok. Und Chris, - danke.“

Ich nickte und verließ die Umkleide. Auf dem Weg zum Platz fing mich Thorsten ab.

„Hi Chris, hast du noch eine Minute? Es geht um die Wochenendplanung.“

„Klar, schieß los. Was hast du schon regeln können?“

„Eigentlich soweit alles, was von hier zu machen ist. Flüge und Hotelzimmer sind gebucht. Gebühren für das Turnier sind bezahlt. Ich habe dem DTB unsere Teilnahme gemeldet und den Antrag auf Anerkennung der möglichen Ranglistenpunkte gestellt. Bislang war das ja noch nicht nötig bei den Jungs. Also sollten sie dort Weltranglistenpunkte erreichen, werden sie auch gewertet.“

Darüber musste ich nun doch lachen. Weltranglistenpunkte. Das fand ich doch sehr hoch gegriffen.

„Warum lachst du? Wenn sie dort spielen, bekommen sie auch alle Möglichkeiten. Wer weiß, was da passiert.“

„Ja, sorry. Du hast schon recht. Dennoch finde ich das noch sehr weit weg. Ich war schon total überrascht, dass Jan das überhaupt jetzt schon so wollte.“

„Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Jan hat immer wieder ungewöhnliche Ideen, aber bislang hatte er meistens Erfolg damit. Zurück zum Wochenende. Ihr fliegt bereits am Freitagabend von Hannover los. Das Hotel liegt nicht weit entfernt von der Anlage. Am Flughafen werdet ihr vom Shuttledienst des Turnieres abgeholt. Jan wird euch im Hotel empfangen und vor Ort alles mit dir besprechen. Für die Spesen vor Ort gilt natürlich das Gleiche wie sonst auch. Hol dir bitte nachher die Unterlagen im Büro ab. Dort bekommst du auch einen Umschlag mit Schweizer Franken. Hast du sonst noch Fragen?“

„Nein, im Moment noch nicht. Jetzt hoffe ich nur, dass die Jungs am Wochenende noch nichts vorhaben.“

Damit ging ich weiter zum Trainingsplatz, wo mich die Jungs schon erwarteten. Sie machten sich bereits warm. Ich stellte meine Tasche auf der Bank ab und holte mir meine Utensilien für das Training. Als ich wieder am Platz war, spielten die drei bereits im T-Feld. Warum ich heute Lust hatte mitzuspielen, wusste ich nicht, aber ich nahm mir meinen Schläger und spielte einfach mal mit.

„Hey, cool. Chris spielt mit.“

Maxi freute sich, dass er nicht mehr allein gegen das „Pärchen“ spielen musste. Ich bemühte mich, so locker wie möglich zu bleiben, um meine Wirbelsäule zu schonen. Es lief sogar ganz gut und ich musste mir eingestehen, dass es wieder deutlich Spaß machte zu spielen.

Nach zehn Minuten gingen wir an die Grundlinie und ich brachte nun die Bälle ins Spiel und verteilte die ersten Aufgaben. Ich zog immer mehr das Tempo an und scheuchte die Jungs über den Platz. Sie sollten jeden Punkt mit einem Volley abschließen. Also waren alle immer in Bewegung. Ich hatte mich entschieden, heute ein kleines Turnier auszuspielen. Maxi sollte seinen Wunsch erfüllt bekommen.

„Ok, stopp. Ball mal festhalten und am Netz zusammen kommen.“

Am Netz schauten sie mich fragend an. Normalerweise würde ich sie jetzt richtig scheuchen.

„Heute ist das Trainingsprogramm kurzfristig geändert. Ich möchte ein kleines Turnier ausspielen. Der Sieger bekommt eine kleine Überraschung.“

„Cool, also richtiges Matchtraining?“, fragte Fynn.

„Genau. Es gibt nur eine kleine Besonderheit. Volleypunkte zählen doppelt.“

„Aber wie soll das gehen? Wir sind zu dritt, da muss ja immer einer pausieren.“

Ich lächelte Dustin an und bevor ich dazu etwas sagen konnte, warf Fynn ein:

„Warum zu dritt? Chris ist doch auch da. Ich bin dafür, wir spielen einen Davis Cup. Maxi mit Chris gegen uns beide. Das Siegerteam bekommt die Überraschung.“

„Na klar. Maxi hat mit mir wohl kaum eine faire Chance.“

Maxi hingegen erwiderte sofort: „Kein Problem, Chris. Wir machen sie fertig. Sie sollen nicht denken, dass sie schon gewonnen hätten.“

Tja, aus der Nummer kam ich jetzt natürlich nicht mehr heraus.

„Du hast dir aber gut überlegt, auf was du dich mit mir einlässt?“

„Klar, ich weiß, wie gut du bist. Also auf geht es. Jeweils ein Satz oder zwei Sätze?“

Ich überlegte kurz und dann fiel mir eine alte Variante wieder ein.

„Wir spielen zwei Gewinnsätze bis vier. Bei 3:3 Tie-Break.“

Eine gute Stunde später stand es eins zu eins und das Doppel musste entscheiden. Ich hatte wie zu erwarten mein Einzel gegen Dustin verloren, aber Maxi hatte Fynn ordentlich vermöbelt. Mir war klar, dass wir eigentlich nicht gewinnen konnten, aber ein Versuch war es wert. Aufgeben kam nicht in Frage.

Es entwickelte sich ein spannendes, aber auch lustiges Match. Ich war mit meinem Spiel ganz zufrieden. Klar, ich konnte das Tempo nicht mehr mitgehen, aber im Doppel war viel mehr Erfahrung und Gefühl für den Ball gefragt. Meine ganz große Stärke war es, Bälle zu spielen, die die Jungs nicht erwarteten. Dadurch machten wir so manchen Punkt und es stand plötzlich 3:2 im dritten Satz für Maxi und mich und ich hatte Aufschlag.

Ich wollte als Linkshänder mit viel Kick aufschlagen, um damit Dustin aus dem Feld zu treiben. Das verschaffte mir genug Zeit, um ans Netz zu kommen. Der Plan ging auf und wir hatten tatsächlich gewonnen.

Dustin staunte noch immer über meinen taktischen Aufschlag.

„Boah, Chris. Damit habe ich nicht gerechnet, dass du so fies aufschlagen kannst. Fynn, wir haben verloren und ich glaube, dass sollte uns eine Lehre sein, Gegner niemals zu unterschätzen, seien sie noch so alt.“

Danach fing er an zu lachen. Ein guter Text, wie ich fand und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.

„Ok, also hat der alte Mann noch einmal die Zähne gezeigt. Genug gespielt. Heute hat mir einiges gut gefallen, aber es gab auch Situationen, die besser gemacht werden können.“

Meine Matchanalyse dauerte etwa zehn Minuten.

„So, hat von euch noch jemand etwas anzumerken zum Training?“

Maxi meldete sich zu Wort: „Ähm, der Sieger sollte eine Überraschung bekommen. Also, wie sieht es damit aus?“

„Soll ich mich selber überraschen?“, fragte ich zurück.

Maxi schaute für einen Moment etwas enttäuscht, aber dann begann er zu lachen.

„Du bist gemein. Da bin ich ja doppelt bestraft. Entweder verlieren oder gewinnen und keinen Preis bekommen.“

Ok, das war logisch.

„Also gut, ich will ja nicht so sein. Bevor ich nicht mehr mitspielen darf, habe ich eine Überraschung, aber die gibt es erst nach dem Duschen. Feierabend für heute.“

„Ok, wo treffen wir uns?“

„Wie immer im Clubraum. Ich lade euch zu einer Runde Getränke ein.“

Fynn und Dustin machten sich schnell auf den Weg in die Umkleide, während ich noch die Trainingssachen wegbringen musste. Normalerweise wäre Maxi mit den beiden mitgegangen, aber heute war es anders. Er nahm sich einen Eimer Bälle und folgte mir.

„Oh, das ist nett von dir. Dann brauche ich nicht zweimal zu laufen.“

Maxi war verdächtig still heute. Irgendetwas hatte er auf dem Herzen und jetzt war die Situation günstig. Wir standen allein vor dem Raum für die Trainer.

„Sag mal, was ist los heute? Du hast doch etwas auf dem Herzen.“

Maxi seufzte. „Dir kann man aber auch gar nichts vormachen. Ja, ich habe große Sorgen. Es geht um meine Mutter.“

„Ok, möchtest du mir hier etwas erzählen? Oder lieber wenn wir mit den anderen fertig sind?“

„Es ist besser hier. Ich möchte die anderen noch nicht damit belasten.“

„Na, sie würden es natürlich nicht mitbekommen. Aber ist in Ordnung, schieß los.“

„Also ich hatte ja schon gesagt, Schule war heute auch richtig scheiße, aber ich habe Angst um Mama. Sie muss sich operieren lassen und Papa hat gesagt, es ist nicht klar, ob sie wieder gesund wird. Sie hat einen Knoten in der Brust. Dadurch waren auch ihre Blutwerte so schlecht. Also es ist keine Leukämie, aber vielleicht Brustkrebs.“

Maxi war sehr niedergeschlagen und ich konnte das sehr gut nachvollziehen. Aber es war jetzt viel besser für die Mutter, wenn alle positiv denken und nicht aufgeben würden.

„Puh, das ist heftig. Wann bekommt ihr die Ergebnisse der Untersuchungen?“

„Vermutlich schon morgen. Papa meinte jedenfalls, dass ich nach dem Training nicht wegfahren soll. Er wollte mich anrufen.“

„Also ist noch nichts entschieden. Denk positiv. Das hilft vor allem deiner Mutter. Ihr müsst jetzt zusammenhalten. Ich finde es übrigens gut, dass du mir vorher gesagt hast, dass es dir nicht so gut geht. Wann soll die Operation sein?“

„Nächste Woche schon. Am Dienstagmorgen.“

„Gut, möchtest du mit deinem Vater in die Klinik fahren?“

„Eigentlich schon, aber Papa will das nicht. Er meint, es wäre besser, sie erst zu besuchen, wenn sie wieder richtig wach ist. Er würde ja bei ihr sein. Außerdem müsste ich dann für ein paar Tage aus der Schule und aus dem Training gehen.“

„Das ist ja wohl das kleinste Problem. Aber ich finde, dein Vater hat recht. Fahr zu ihr, wenn sie wieder richtig wach ist und es ihr besser geht.“

Während des Gespräches waren wir schon auf dem Rückweg in das Clubhaus.

„Geh schnell duschen und komm anschließend zu uns. Ich werde euch dann die Überraschung präsentieren. Das wird dich auf andere Gedanken bringen.“

„Ok, danke. Also für dich wäre es in Ordnung, sollte ich zwei Tage beim Training fehlen?“

„Natürlich, da mach dir keinen Kopf drüber.“

Einige Minuten später saß ich mit den drei Jungs am Tisch und jeder hatte sein Getränk vor sich stehen. Komischerweise hatten sich alle für eine Fassbrause entschieden. Das schien hier das neue Trendgetränk zu werden.

„So, Chris. Was für eine Überraschung gibt es denn nun? Ich habe sie mir ja ehrlich verdient.“

Ich musste lachen, aber nun gut. Jetzt sollte die Katze aus dem Sack.

„Ich hoffe, ihr habt am Wochenende noch nichts vor. Wir werden einen außerplanmäßigen Ausflug machen.“

Völlige Ratlosigkeit spiegelte sich in ihren Gesichtern.

„Also gut, ich spanne euch nicht länger auf die Folter. Am Freitagabend fahren wir vier nach Hannover. Dort steigen wir in einen Flieger nach Basel. Anschließend geht es von dort mit einem Shuttle zum ATP Turnier. Jan hat uns dort Karten besorgt. Und damit euch nicht langweilig ist, hat er euch beim parallel stattfindenden ChallengerTurnier angemeldet.“

Totenstille am Tisch.

„Das meinst du nicht ernst. Du verarscht uns doch jetzt.“

„Nein, Fynn. Das meine ich absolut ernst. Also hat jemand von euch Probleme mitzufahren?“

„Ja, spinnst du denn? Dafür würde ich sogar ein Date mit der Playmate des Jahres sausen lassen.“

Typisch Maxi. Wir mussten einfach laut auflachen, so trocken kam das rüber.

„Gut, damit ist das ja geklärt.“

Ich gab ihnen noch den geplanten Ablauf und ein paar Dinge, die sie mitnehmen sollten. Ansonsten war alles geklärt für heute. Die Jungs saßen ziemlich sprachlos am Tisch und schüttelten immer wieder ihren Kopf. Dustin meinte zum Schluss:

„Also, eines muss ich deinem Bruder aber lassen. Überraschungen machen, das kann er. Und das ist wirklich ein richtiges Challenger? Also auch mit Weltranglistenpunkten?“

„Richtig. Das war Jans Idee. Er wird übrigens auch dabei sein. Er ist mit Gilles und Andrej vor Ort beim großen Turnier. Er möchte euch sehen. Eigentlich sind es für euch übermächtige Gegner.“

„Wie gut, dass du mitfährst. Ich würde mir vor Angst in die Hosen machen.“

Wie üblich, ein ehrliches Statement von Fynn. Wir mussten lachen und ich streichelte ihm, wie bei einem kleinen Jungen, über den Kopf.

„Na, dann pack dir mal genug Hosen zum Wechseln ein. Ok, habt ihr noch Fragen oder sollen wir für heute Schluss machen?“

Die Runde löste sich anschließend auf und ich gab Fynn noch die Info, dass er mich bitte für gleich bei Martina zum Essen anmelden möge. Nach unserem Gespräch würden wir gemeinsam Essen.

Das Anziehen der Motorradkombi dauerte leider immer etwas länger. Aber an der Sicherheit wollte ich auch nicht sparen. Allerdings zog ich jetzt nur die Jacke und Stiefel über, weil ich ja noch in die WG fuhr. Das waren nur wenige hundert Meter. Erst, wenn ich nach Hause fuhr, würde ich mich komplett anziehen.

Mit einem freundlichen „Hallo“ wurde ich in der WG begrüßt. Martina hatte für mich schon einen Tee vorbereitet.

„Super, danke für den Tee. Der ist jetzt genau richtig.“

Martina lächelte und wir redeten gleich über das weitere Programm.

„Stimmt das wirklich, was die Jungs eben erzählt haben? Du fährst am Freitag mit ihnen in die Schweiz zu einem Profiturnier?“

„Ja, mein Bruder hatte sich das spontan ausgedacht. Wird wieder eine stressige Woche, aber so kann ich auch mal mit Jan ein paar Dinge in Ruhe besprechen. Wie war eure Woche bisher? Alles unter Kontrolle?“

„Ja, bis auf ein paar Probleme mit Tim und Maxi war alles gut. Besonders Fynn und Dustin muss ich loben. Sie helfen mir oft, auch ohne dass ich darum bitten muss. Ich glaube, sie fühlen sich hier zu Hause.“

„Na, das ist ja erfreulich. Was war mit Tim? Und du sagst, es gab Probleme mit Maxi? Das ist selten.“

Sie nickte und ich spürte, dass es doch etwas größere Schwierigkeiten gab.

„Ja, du hast recht. Maxi ist seit ein paar Tagen sehr still und oft gereizt. Ich vermute, er hat ein Problem, redet aber nicht darüber. Bei Tim ist es wieder das alte Thema. Ständig provozieren und sich nicht an Regeln halten.“

Ich überlegte einen Augenblick und ließ mir das bei Tim genauer beschreiben. Ich wusste von Burghard, dass er im Training richtig gut war. Also eigentlich sollte es kein großes Problem sein.

„Hast du dich schon einmal mit Burghard besprochen? Wie sind die Leistungen in der Schule?“

„Bislang habe ich aus der Schule noch nichts Negatives gehört. Aber warum sollte ich mit Burghard sprechen? Das hat ja nichts mit dem Training zu tun.“

„Oh doch. Natürlich hat es mit dem Training zu tun. Ich habe es damals schon gesagt, ihr müsst miteinander sprechen. Sowohl die Trainer als auch du mit deinem Team. Ihr arbeitet mit Kindern und das erfordert gemeinsames Arbeiten. Ich möchte, dass du dich mit Burghard austauschst und ihr gemeinsam über Lösungen redet. Tim muss merken, dass er euch nicht ausspielen kann. Bei Tim sehe ich nämlich das Problem, dass ihm der männliche Part der Erziehung fehlt. Er ist in der Pubertät und testet Grenzen aus. Bei mir ist er sehr freundlich und arbeitet gut mit.“

Martina bereitete, während sie mir zuhörte, bereits das Abendessen vor. Allein. Das störte mich auch. Warum konnte von den Jungs nicht jemand unterstützen. Dustin und Fynn konnten das heute nicht, sie mussten für die Schule arbeiten, weil wir gleich noch ein Gespräch hatten.

„Wie sieht das eigentlich mit Unterstützung für dich aus? Warum hilft von den Jungs jetzt keiner?“

„Weil ich mit dir heute allein sprechen wollte. Sonst hilft eigentlich immer einer mit. Und das klappt auch recht gut.“

„Ah, ok. Das ist schön. Ich werde gleich mal mit Tim kurz sprechen. Vielleicht erfahre ich etwas. Möchtest du dabei sein? Weil ich finde, dass er lernen muss, dass du für ihn hier das Sagen hast.“

„Warum nicht? Du hast sicher einen Plan.“ Dabei grinste sie wieder freundlich.

„Danke, aber ich bin auch nur ein Mensch. Was Maxi betrifft, da kann ich dir schon mehr sagen. Es ist ein Problem in der Familie. Es hat nichts mit dir oder der WG zu tun. Ich werde ihn bitten, dir davon zu erzählen, dann kannst du vielleicht auch mehr für ihn tun. Das wird sich wieder ändern, wenn das Problem gelöst ist. Hoffentlich lässt es sich lösen.“

Mehr wollte ich ohne Maxis Zustimmung nicht dazu sagen. Es öffnete sich die Tür und Dustin und Fynn kamen herein. Sie wollten den Tisch im Esszimmer decken. Also besprachen sie sich kurz mit Martina und verschwanden wieder. In dem Moment lief Maxi auf dem Gang entlang.

„Maxi“, rief ich.

Er steckte verwundert den Kopf durch die Tür in die Küche.

„Chris? Was machst du denn hier? Was gibt es?“

„Komm bitte mal herein. Ich habe ein Anliegen. Mach bitte die Tür hinter dir zu. Das müssen die anderen nicht mitbekommen. Martina, sag es ihm, was dich stört.“

Sie zögerte erst, aber schilderte Maxi ihre Wahrnehmungen und fragte ihn dann nach dem Warum.

Maxi schaute zuerst mich an und als ich nickte, erklärte er Martina das Problem mit seiner Mutter.

„Siehst du, alles nicht schlimm. Maxi, in so einer Situation braucht man Menschen, mit denen man darüber reden kann. Dein Vater ist nicht hier. Also muss das jemand anderes übernehmen. Du kannst mit Martina über alles sprechen. Mir hast du ja auch erzählt, was los ist. Ich glaube, ich muss mit Thorsten mal sprechen. Wir müssen mehr im Team miteinander arbeiten. Dann können wir viel effektiver unsere Jungs unterstützen.“

Martina war betroffen, als sie das von Maxi erfuhr. Für Maxi war es eine Erleichterung und damit sollte das auch geklärt sein.

Eine Stunde später, nachdem ich noch ein kurzes aber recht direktes Gespräch mit Tim hatte, saß ich mit Dustin und Fynn zusammen in ihrem Wohnzimmer. Sie hatten mir die neuesten Entwicklungen mitgeteilt und jetzt wollten wir weiter an der Situation arbeiten.

„Habt ihr beide mittlerweile auch mal über eure Erlebnisse und Vergangenheit gesprochen? Oder seid ihr noch unwissend?“

Dabei grinste ich, um zu zeigen, dass das nicht so ganz ernst gemeint war. Erstaunlicherweise berichtete Dustin dann von Gesprächen, die sie geführt hatten, sie aber ein paar Fragen hatten, die sie sich nicht erklären konnten. Es ging in erster Linie um Fynns Albträume, die unregelmäßig auftraten.

„Ihr müsst euch vorstellen, dass die Psyche eines Menschen viel komplexer ist, als ihr denkt. Die Veränderungen werden Monate dauern. Vor allem, weil Fynn ja noch viele andere Projekte hat, an denen er arbeitet. Du darfst nicht ungeduldig sein, Dustin. Was haben denn bislang für Gespräche mit seinem Vater stattgefunden? Richtig tiefgehende Situationen hat es noch nicht gegeben. Also wartet ab.“

Sie hörten aufmerksam zu und nickten vorsichtig. Dustin fragte nach:

„Heißt das, er muss noch lange mit diesen Albträumen leben? Das ist doch zermürbend. Kann ich nichts tun, um ihm zu helfen?“

„Doch, das tust du bereits. Ihr habt begonnen über die Träume zu reden. Das ist das Wichtigste überhaupt. Sich nicht weiter zu isolieren, sondern sich den Freunden anzuvertrauen. Ihr habt leider keine Eltern, mit denen ihr darüber reden könnt, weil die Eltern selbst beteiligt sind. Fynn wird vielleicht eher die Möglichkeit haben, mit seinen Eltern zu reden.“

Dustin schien nicht wirklich beruhigt zu sein. Auch Fynn hakte nach.

„Du hast beim letzten Gespräch gesagt, dass man krank werden kann, wenn man nicht genug Entlastung findet. Wie äußern sich diese Krankheiten? Sind das normale Krankheiten, wie eine Grippe?“

„Nein“, antwortete ich etwas erheitert, „dass ist viel komplizierter. Es gibt viele Möglichkeiten, von Magenproblemen über Schlafstörungen bis hin zu Depressionen und psychischen Störungen.“

Für einen Moment herrschte Schweigen im Raum. Ich konnte aber erkennen, dass sich die beiden mit den Augen verständigten. Fynn war derjenige, der das Schweigen unterbrach.

„Kann ich dich etwas Persönliches fragen?“

„Fragen darfst du alles, ob du immer eine Antwort erhältst kann ich nicht versprechen.“

Dabei zwinkerte ich ihm zu. Er lachte.

„Ok, ich versuche es trotzdem mal. Woher weißt du eigentlich immer die richtigen Antworten auf unsere Probleme? Ich habe noch keinen anderen Menschen kennengelernt, der so viel Wissen über unsere Dinge hat. Ist das nur deine Erfahrung aus deinem Beruf?“

„Nein, ganz sicher nicht. Ich habe ja auch selbst Erfahrungen gemacht. Ich war auch mal jung und längst nicht so ruhig wie heute. Ihr könnt doch noch gar nicht so viele Erfahrungen haben, weil ihr noch sehr jung seid.“

Dustin beobachtete mich genau. Er war sich nicht sicher, ob er jetzt nachfragen durfte. Fynn übernahm das.

„Hast du früher denn auch Fehler gemacht? Also als du so alt warst wie wir.“

Ich musste lachen. „Na klar. Sehr viele sogar. Ich wäre mit Sicherheit heute nicht hier, wenn ich aus den Fehlern nicht etwas gelernt und vieles verändert hätte.“

„Wie meinst du das? Du wärst heute sonst nicht hier?“

Irgendwie fühlte ich mich gerade nicht sicher, ob es jetzt richtig war, ihnen die ganze Geschichte über mich zu erzählen. Aber wie sollte ich das jetzt aufhalten. Sie hatten mich ehrlich gefragt.

„So wie ich es gesagt habe. Ich wäre ganz sicher heute nicht hier. Vermutlich wäre ich schon lange tot.“

„Waas?“, Dustin erschrak und auch Fynn bekam große Augen. Unruhe machte sich breit.

„Ganz ruhig, ihr beiden. Es ist so, wie ich es gesagt habe. Vermutlich wäre ich heute nicht mehr am Leben, wenn ich meine Baustellen nicht radikal aufgearbeitet hätte. Entweder hätte ich mich tot gesoffen oder etwas anderes wäre passiert.“

Ich wollte sie nicht noch mehr beunruhigen. Hätte ich jetzt gesagt, dass mein Unfall vermutlich ein versteckter Suizidversuch gewesen war, wären sie vielleicht in Panik verfallen.

„Du hast auch mal Alkoholprobleme gehabt?“, fragte mich Fynn erstaunt.

„Ja, ich bin Alkoholiker. Seit über fünfundzwanzig Jahren aber trocken.“

Das hatte eingeschlagen. Damit hatten die beiden nicht gerechnet. Erst langsam beruhigten sie sich wieder und Dustin war derjenige, der nachfragte:

„Deshalb hast du auch noch nie ein Bier oder Sekt mit uns getrunken. Wir dachten immer, dass es sich für den Trainer nicht gehört. Krass, damit hätte ich nie gerechnet. Aber jetzt wird mir klar, warum du so bestimmt bist, wenn es um das Thema Alkohol geht. Da macht dir keiner mehr was vor.“

Fynn sagte ganz leise: „Du hast es selbst erlebt. Verdammt, und ich habe manchmal gezweifelt, woher du das alles so genau weißt. Jetzt verstehe ich auch, warum du so hart mit meinem Vater warst.“

„Ja, es gibt wirklich nur ein entweder aufhören oder sich tot saufen. Wenn man abhängig ist, gibt es keinen Mittelweg mehr.“

„Warum hast du denn so viel getrunken. Sorry, wenn ich frage, aber wenn du schon so lange trocken bist, warst du ja noch sehr jung, als du aufgehört hast.“

Wir saßen schon über eine Stunde zusammen und ich wollte das jetzt nicht noch mehr in die Länge ziehen. Allerdings sollte es auch nicht so aussehen, dass ich nicht darauf antworten wollte.

„Ich kann dir diese Frage nicht mit einem Satz beantworten. Ich möchte daher einen Vorschlag machen. Lasst uns für heute Schluss machen und ich lade euch mal zu mir ein. Dann können wir gern darüber in aller Ruhe sprechen. Heute würde das sonst zu spät werden. Es ist eine sehr lange Geschichte.“

„Du meinst, du lädst uns zu dir nach Hause ein? Wow. Das hat noch kein Trainer bei uns gemacht.“

„Schau mal Dustin. Ich bin ja nicht nur euer Trainer. Wir sind Freunde geworden. Wir haben schon viel gemeinsam erlebt. Warum sollte ich euch nicht auch meine Geschichte erzählen, wenn ihr mich danach fragt. Nur, tut mir bitte den Gefallen, behaltet es für euch. Ich möchte es selbst bestimmen, wer meine Geschichte und wie viel davon zu hören bekommt. Ok?“

„Auf jeden Fall, verlass dich ...“

Weiter kam Fynn nicht, weil plötzlich jemand gellend im Flur um Hilfe schrie und meinen Namen rief. Wir schauten uns vollkommen verdutzt an. Was war denn jetzt los? Plötzlich platzte Martina herein.

„Chris, kommst du schnell nach draußen. Carlo liegt unter deinem Motorrad.“

Hä? Was sollte das denn? Nach einer Schrecksekunde sprang ich aus dem Sofa hoch und rannte sofort nach draußen.

Tatsächlich, Carlo lag unter meiner Panigale und hatte totale Panik. Warum das so passiert war, war jetzt erst einmal nebensächlich. Ich ging sofort zum Motorrad und stellte es wieder auf die Räder. Carlo wurde von Martina währenddessen beruhigt. Sein Bein sah allerdings nicht so gut aus. Er blutete aus der Wade.

Mittlerweile waren alle draußen versammelt. Ich schaute mich um und schnell hatte ich realisiert, dass die Wunde genäht werden musste. Ich nahm mein Handy und rief einen Rettungswagen. Anschließend bat ich Fynn:

„Geh bitte eine Decke holen und alle, die hier nicht gebraucht werden, gehen bitte wieder rein. Das macht Carlo nur noch unruhiger.“

Carlo weinte und ließ sich von Martina nicht beruhigen. Immer wieder wiederholte er, dass er das nicht gewollt hatte. Ich kniete mich zu ihm hinunter und tröstete ihn.

„Ganz ruhig, Carlo. Das wird alles wieder. Scheint alles nicht so schlimm zu sein. Wir bringen dich aber zur Sicherheit ins Krankenhaus. Martina fährt mit dir mit und ich werde deine Eltern anrufen.“

„Aber ...“, schniefte er, „dein Motorrad ist kaputt. Ich habe das nicht gewollt.“

Natürlich war ich nicht begeistert, die Panigale war mein „Baby“, aber es war auch nur ein Motorrad. Fynn hatte sich mittlerweile mit Dustin das Motorrad angesehen und ein paar Teile vom Boden aufgehoben. Ein Spiegel und der Kupplungshebel waren kaputt. Was noch beschädigt war, wollte ich mir später anschauen. Jetzt war Carlo wichtiger. Es dauerte einige Minuten, bis der RTW eintraf. Der Rettungsassistent fragte uns, was genau passiert war und schaute sich die Wunde an. Vermutlich war die Fussraste in seiner Wade gelandet. Ich hatte mittlerweile eine Vermutung, was passiert sein könnte. Sie versorgten die Wunde und luden sowohl Carlo, als auch Martina in den RTW und fuhren in die Klinik.

Erst, nachdem ich Carlos Eltern angerufen hatte und ihnen erklärt hatte, was geschehen war, kehrte etwas mehr Ruhe wieder ein. Dustin und Fynn waren sehr aufgeregt, als ich wieder nach draußen kam.

„Chris, ich glaube dein Bike hat doch mehr abbekommen, als gedacht.“

Maxi kniete neben der Maschine und sah sich den Schaden genau an.

„Mal schauen. Wie kommst du darauf, Fynn?“

„Maxi hat eben gesagt, damit könntest du nicht mehr nach Hause fahren. Die Fußraste sei gebrochen.“

Das konnte eigentlich nicht sein, weil die einklappen konnte. Ich ging zu Maxi und versuchte, mir das im Halbdunkeln anzusehen. Dustin war so geistesgegenwärtig und war ins Haus gegangen und kam mit einer großen Taschenlampe zurück. Ich nahm die Lampe und schaute mir alles genau an. Das Problem war nicht die Fußraste, sondern das Schaltgestänge mit dem Schaltautomaten. Der ließ es zu, dass ich ohne kuppeln zu müssen, hochschalten konnte. Dieser war verbogen und vermutlich außer Funktion. Der Kupplungshebel war auch zur Hälfte zerbrochen, sollte aber bis nach Hause noch gehen. Die optischen Schäden waren hässlich, aber das war jetzt für den Heimweg egal. Die Verkleidung musste eh erneuert werden.

Ich machte einige Fotos, auch für Carlos Eltern und deren Versicherung. Wir hatten vereinbart, dass wir morgen erneut telefonieren würden. Sie sollten sich jetzt zuerst um Carlo kümmern.

„Sieht alles nicht ganz so dramatisch aus. Ich werde mal die Straße rauf und runter fahren und schauen, ob es geht oder nicht.“

Nachdem ich den Schlüssel umgedreht hatte und den Anlasser gedrückt hatte, sprang das Monster auch sofort an und lief rund. Naja, so, wie eine Ducati halt rund läuft, legte den ersten Gang ein und rollte vorsichtig los. Mit dem halben Kupplungshebel und dem verbogenen Schaltgestänge war es nicht einfach, aber es ging. Also beschloss ich, damit die Heimfahrt anzutreten.

Ich holte meine Sachen aus Fynn und Dustins Wohnung, zog mir die Kombi an und nahm meinen Helm. Alle standen neben meiner Maschine und Maxi fragte mich:

„Du bist dir sicher, dass du damit nach Hause kommst?“

„Nein, sicher bin ich mir nicht, aber momentan geht es wohl. Ich werde wenig schalten und langsam fahren. Dann sollte es gehen.“

Ich setzte mich auf meine Maschine und bevor ich den ersten Gang einlegen konnte, kam Fynn zu mir.

„Kannst du uns bitte anrufen, wenn du zu Hause angekommen bist. Ich würde gern wissen, ob alles gut gegangen ist.“

„Mache ich. Versprochen. Und macht euch keinen Kopf, das kommt wieder in Ordnung. Ich werde Carlo nicht den Kopf abreißen. Jetzt muss er wieder fit werden. Wenn er später nach Hause kommt, sagt ihm das bitte. Er soll sich nicht zu sehr aufregen.“

Fynn lächelte mich an und nickte. Danach fuhr ich los. Die Fahrt war doch unangenehmer als ich gedacht hatte. Immer wieder rasteten die Gänge nicht richtig ein und ich versuchte, so wenig wie möglich schalten zu müssen. Es dauerte dennoch einiges länger als gedacht und als ich zu Hause die Garage schloss, war ich doch echt froh, heile angekommen zu sein.

Ich zog meine Sachen aus und ließ mir ein heißes Bad ein. Ich wollte mir etwas Entspannung gönnen. Zuvor nahm ich das Handy und hatte schon drei Nachrichten von den besorgten Jungs bekommen. Folgerichtig rief ich bei Fynn an und meldete mich gesund zurück. Es war erstaunlich, ich hatte wirklich den Eindruck, dass sie in Sorge waren. Carlo war mittlerweile mit vier Stichen genäht worden und vermutlich wieder zu Hause. Da war wohl sportlich eine Zwangspause angesagt. Außerdem war ich gespannt, was er mir morgen zu dem Vorfall erzählen würde.

Fynn: Ein gutes Gespräch findet ein jähes Ende

Ein sehr hektisches Ende des Abends. Leider wurde unser Gespräch durch Carlos Stunt beendet. So hatten wir keinen neuen Termin gemacht. Das Besondere an diesem Abend war für uns, dass Chris uns ein paar Details aus seinem Leben erzählt hatte. Die absolute Krönung war allerdings seine Einladung zu ihm nach Hause.

Chris hatte uns sehr viel später als gedacht angerufen und Entwarnung gegeben. Er war sicher zu Hause angekommen. Allerdings hörte er sich recht angespannt an. Es gab wohl doch Probleme mit seiner Maschine. Dustin war nach dem Anruf sichtbar beruhigt. Mir hingegen ging Carlos Aktion noch durch den Kopf. Was war eigentlich passiert? Wie kam er unter das Motorrad?

„Hast du eigentlich eine Idee, wie Carlo das geschafft hat, unter Chris Maschine zu kommen?“

„Nein, Dustin. Das geht mir schon die ganze Zeit durch den Kopf. Eigentlich fällt ein Motorrad nicht von allein um.“

Tim, Maxi und wir beide warteten auf die Rückkehr von Martina und Carlo. Wir wollten wissen, was Carlo passiert war. Mittlerweile ging der Zeiger der Uhr auf elf Uhr zu und Martina fuhr mit einem Taxi vor. Allerdings ohne Carlo. Sie kam allein zurück. Tim stürmte förmlich auf sie zu, als sie die WG betrat.

„Was ist mit Carlo? Musste er etwa im Krankenhaus bleiben?“

Maxi und wir standen mittlerweile auch im Flur als Martina erklärte:

„Ja, er muss die Nacht dort bleiben. Kommt mit ins Wohnzimmer. Ich erzähle euch, was los ist. Ist Chris etwa noch mit der kaputten Maschine nach Hause gefahren?“

„Ja, ist er“, sagte Dustin leise.

Es war ihm deutlich anzumerken, dass ihm das nicht gefallen hatte.

„Aber er ist gut angekommen und hat sich bei uns gemeldet, dass alles geklappt hat.“

Dabei nahm ich Dustin in den Arm und wir setzten uns auf das Sofa im Wohnzimmer. Martina schaute auf die Uhr und erkannte, dass es für Tim eigentlich schon längst Zeit war, im Bett zu liegen.

„Tim, du verschwindest aber gleich ganz schnell nach oben. In zehn Minuten liegst du im Bett.“

„Ja, aber ich will wissen, wie es Carlo geht.“

Wir schauten alle Martina an und lustigerweise sagten wir im Chor „Wir auch“. Da musste sie auch lachen.

„Ok, ok. Ich erzähle ja schon. Also, er musste sogar operiert werden. Es hatten sich Splitter im Bein befunden, die entfernt werden mussten. Deshalb bleibt er die Nacht und vielleicht auch morgen noch zur Beobachtung dort.“

„Konnte denn alles entfernt werden und was für Verletzungen hat er?“

„Ganz ruhig, Jungs. Ich erzähl ja schon. Also, seine Wade hat eine tiefe Wunde und die musste gereinigt werden. Das ging nur unter Vollnarkose im OP. Allerdings hat er wohl ganz großes Glück gehabt. Es wurden keine Muskeln oder Sehnen verletzt. Es ist nur eine ganz tiefe Fleischwunde.“

Tim atmete tief aus und fragte nach: „Also wird er wieder Tennis spielen können?“

„Ja, natürlich. Er hat jetzt nur ein wenig Zwangspause. Außerdem kann er die ersten Tage nicht laufen. Er soll viel liegen und das Bein hochlegen. Wenn er morgen zurück kommt, müssen wir uns also etwas um ihn kümmern.“

Das war für uns eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Maxi brachte allerdings eine Komponente ins Spiel, die ich noch gar nicht richtig bedacht hatte.

„Naja, wir kümmern uns natürlich gern um Carlo, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass von Carlo viel übrig bleibt, wenn ihn Chris in die Finger bekommen hat. Seine Panigale ist ihm heilig und ich habe mich schon gewundert, dass er vorhin so ruhig geblieben war.“

„Das stimmt, er war sehr ruhig und hat sich kaum aufgeregt. Hoffentlich bleibt das auch so. Kommt sicher darauf an, was eigentlich passiert ist. Hast du Carlo schon dazu mal befragt?“

Maxi hatte recht. Chris und sein Motorrad war eine besondere Beziehung. Und die Maschine sah alles andere als gut aus. Teuer würde es auf jeden Fall werden, aber wie Chris jetzt damit umgehen würde, musste abgewartet werden. Martina beantwortete die Frage ausweichend.

„Ja, habe ich. Allerdings musste ich Carlo versprechen, es Chris zuerst zu erzählen. Es war vermutlich eine unglückliche Aktion. Aber mehr sage ich jetzt nicht. Tim du gehst jetzt nach oben. Und ihr solltet euch auch langsam fürs Bett fertig machen.“

Mist, sie sagte uns tatsächlich nicht, was genau passiert war. Entsprechend enttäuscht gingen wir in unser Appartement. Wir waren auch müde, aber es ließ uns auch keine Ruhe. Wieso lag Carlo unter dem Motorrad?

Leider war durch diesen Vorfall auch unsere Reise in die Schweiz in den Hintergrund geraten. Wir gingen aber bald schlafen, denn noch eine Nacht mit weniger Schlaf als sonst, würde sicher nicht gut sein.

Der nächste Schultag verlief ohne erwähnenswerte Dinge. Lediglich mussten wir unsere Klassenlehrer darüber informieren, dass wir vielleicht in der kommenden Woche nicht anwesend sein würden. Ich konnte mir das aber auch nicht wirklich vorstellen, dass wir am Montag noch im Turnier waren. Das sagte ich meinem Lehrer auch. Dennoch wünschte er uns viel Erfolg. Er freute sich für uns. Das war schon ein gutes Gefühl, zu wissen, dass die Schule wirklich hinter unserem Sport stand.

Dustin und ich saßen mittags mit Martina am Tisch. Maxi war bereits mit seinem Vater unterwegs und kam direkt zum Training. Seine Mutter schien doch ernsthaft erkrankt zu sein. Eigentlich wollten wir ihn schon gefragt haben, aber der Stunt von gestern hatte das verhindert. Es war für mich auch absolut in Ordnung, dass Martina uns keine Details nannte. Das sollten wir Maxi schon überlassen.

„Bevor ich das vergesse“, sagte Martina plötzlich, „Carlo wird heute Abend entlassen werden. Wenn ihr vom Training kommt, wird er wieder hier sein.“

Heute stand nur kleines Programm an. Nur eine Stunde Matchtraining und sonst Kondition und Fitness. Abschließend noch Physiotherapie. Chris würde erst morgen wieder kommen. Also einen Tag mehr Schonzeit für Carlo. Bei diesem Gedanken musste ich einfach lachen. Die anderen hatten natürlich keine Ahnung, was mir durch den Kopf ging.

„Was für einen Witz hast du dir denn gerade erzählt?“, fragte mich Dustin und grinste.

„Ich habe gerade daran gedacht, dass Chris heute ja frei hat und Carlo also noch einen Tag Schonzeit hat, bevor ihn Chris in die Finger bekommt.“

Darauf fingen auch die anderen an zu lachen. Selbst Martina fand das lustig.

„Ich glaube nicht, dass Carlo wirklich etwas zu befürchten hat. Chris ist viel zu nett. Er wird sicher sauer sein, aber er wird Carlo deswegen nicht die Freundschaft aufkündigen. Der Schaden muss ersetzt werden, klar, aber dafür gibt es ja eine Haftpflichtversicherung der Eltern. Ich habe mit der Mutter bereits gesprochen. Sie werden sich darum kümmern.“

„Hoffentlich klappt das so, Martina. Chris hat sein Bike gehegt wie ein Kind. Also das wird ihn schon ärgern.“

Es war müßig, darüber weiter zu spekulieren. Außerdem hatten wir nicht mehr viel Zeit und machten uns fertig zum Training. Hausaufgaben mussten wir auf später verschieben.

Der Nachmittag verlief ruhig. Im Club hatte ja keiner mitbekommen, was passiert war. Lediglich Burghard fragte uns nach Carlo. Wir gaben ihm Auskunft, dass er noch nicht wieder zu Hause sei. Mehr wollten wir nicht dazu sagen. Das sollten Chris oder Carlo machen.

Dustin und ich saßen heute zum ersten Mal nach dem Training in der Sauna. Chris und auch Kolja hatten uns das schon mehrfach angeboten und empfohlen. Ehrlicherweise hatte ich bislang immer etwas Schiss, dass die tollen Jungs unsere Hormone verwirren würden. Aber seit ich mit meinem Freund immer freier und selbstbewusster wurde, wich diese Angst der Neugier. Heute hatten wir uns entschieden, die Sauna zu probieren. Auf dem Heimweg waren wir uns einig, dass das nicht unser letzter Besuch war. Es war herrlich entspannend. Wenn auch zeitaufwendig. So waren wir heute recht spät zurück und erst, als wir wieder zu Hause waren, erinnerten wir uns an das gestrige Geschehen.

„Hoffentlich ist Carlo auch wirklich schon zurück. Es wäre schade, wenn es doch eine größere Sache würde.“

Ich nahm meinen Freund in den Arm und erwiderte: „Es wird schon gut gehen. Komm, wir schauen einfach mal nach. Ich bin gespannt, ob er uns die wahre Geschichte erzählt, was da schiefgegangen ist.“

Wir betraten das Haus und uns kam schon ein leckerer Duft von Lasagne entgegen. Martinas Lasagne war legendär und Carlos Lieblingsessen. Damit war eigentlich schon klar, dass er wieder zu Hause war. In der unteren Küche war niemand. Also gingen wir nach oben und konnten schon die Stimmen aus dem Wohnzimmer hören. Dustin öffnete die Tür und wir begrüßten die anderen, die um den Tisch saßen. Carlo lag mit seinem Bein auf dem Sofa.

„Hi, willkommen daheim“, sagte ich zu Carlo.

Die ersten Minuten redeten wir nur über die Verletzung und wie es jetzt weiter gehen würde. Carlo war richtig sauer über seine Dummheit. Das konnte ich sogar verstehen, denn er war momentan richtig gut auf dem Platz. Diese Pause kam sehr unpassend.

„Jungs, habt ihr eigentlich keinen Hunger?“, fragte uns Martina.

Wir schauten uns an und Dustin begann zu grinsen.

„Wovon träumst du nachts? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir auf deine Lasagne verzichten.“

Bevor Martina aufstand, gab sie Tim und Carlo die Anweisung, sich mal langsam für die Nacht vorzubereiten. Anschließend gingen wir in die Küche. Eigentlich hätte sie gar nicht mitzukommen brauchen. Der Grund dafür wurde aber schnell klar.

„Hört mal ihr beiden. Ihr kennt Chris ja am besten. Carlo macht sich total verrückt vor dem nächsten Treffen mit Chris. Vielleicht geht ihr gleich noch einmal bei ihm vorbei und redet mit ihm. Baut ihn mal wieder auf. Klar, er hat einen Fehler gemacht, aber davon geht doch die Welt nicht gleich unter.“

Ich schaute Martina verwundert an.

„Hey, dieser Text könnte genauso gut von Chris sein.“

Das führte wiederum zu erneuter Heiterkeit. Wir machten uns über die Lasagne her und versprachen ihr, uns um Carlo zu kümmern. Sie sollte jetzt beruhigt Feierabend machen. Sollte es Probleme geben, würden wir sie anrufen. Sie verabschiedete sich von uns und verließ wenige Minuten später unsere WG.

Chris: Ein überraschender Anruf und ein klärendes Gespräch

Den Mittwoch hatte ich genutzt, um mich um die Schadensregulierung zu kümmern. Nach Halle musste ich nicht fahren, aber ich hatte mich bei den Jungs erkundigt, wie es Carlo geht. Seine Verletzung war doch so schwer, dass er erst am Mittwoch nach Hause gekommen war. Heute war für mich wieder Training mit den Jungs und ich hatte mich vorher in der WG mit Martina verabredet. Es gab doch noch Klärungsbedarf über den genauen Hergang.

Die Panigale hatte ich in die Werkstatt gebracht und hatte als Leihmaschine eine Diavel bekommen. Auch ein tolles Bike, aber nicht mit der Panigale zu vergleichen. Egal, für die Reparaturzeit sollte es gehen. Das Thema Reparatur war auch ein Spezielles. Es musste für die Versicherung ein Gutachter kommen. Er sollte den Schaden aufnehmen und einen Kostenvoranschlag machen. Bei Tageslicht sah der Schaden doch größer aus.

Was ich mir immer noch nicht richtig erklären konnte, warum war das Motorrad umgefallen und vor allem, warum lag Carlo unter dem Bike. Ich hatte eine Vermutung. Das sollte er mir aber selbst sagen.

Ich war gerade in einer Teambesprechung im Büro, als mein Handy klingelte. Es war Carlos Mutter, die mir ihre Versicherungsdaten gab und sich bei mir erneut entschuldigte. Sie hatte wohl von Carlo bereits eine Erklärung bekommen. Danach hatte er sich wohl auf das Motorrad gesetzt und nicht bemerkt wie schwer das Gerät ist. Tja, und dann hatte er vermutlich die Balance verloren und war umgefallen. Er war zu unerfahren, um in der Situation vom Bike zu springen. Denn halten hätte er sie eh nicht können. Das war auch meine einzige logische Erklärung. Leider war das auch schon anderen Motorradfahrern passiert. Ich war gespannt, was er mir dazu erzählen würde. Vor allem interessierte mich, warum er mich nicht gefragt hatte. Er hätte sich ja darauf setzen können. Nur wäre ich dann dabei gewesen und hätte das verhindern können, was jetzt passiert war.

Nicht, dass jetzt der Eindruck entsteht, dass mich das nicht ärgern würde, aber es half ja nichts mehr. Die Maschine war kaputt und Carlo hatte sich schwer verletzt. Ändern würde es sich nicht, auch wenn ich mich noch so ärgern würde.

Außerdem hatte ich auch noch andere Dinge zu tun. Zum Beispiel die Reise in die Schweiz vorzubereiten. Ich war gerade dabei, zu Hause meine Tasche zu packen, um sie morgen direkt mitnehmen zu können. Der Zeitplan war doch sehr eng. Plötzlich rief mich mein Handy erneut aus dem Packen.

„Guten Tag Herr Grehl. Was kann ich für Sie tun?“

Fynns Vater rief aus der Klinik an.

„Guten Tag, ich habe ein Anliegen. Am Wochenende habe ich ein sogenanntes Urlaubswochenende. Ich wollte gern Fynn und Dustin besuchen. Ich weiß ja nicht, ob er Ihnen davon erzählt hat.“

„Ja, hat er.“

„Gut, das freut mich. Jetzt hat er mir aber gesagt, dass sie gar nicht da sind, sondern in der Schweiz ein Profiturnier spielen. Meine Frage an Sie: erscheint es sinnvoll, dass ich mit meiner Frau und Patrick in die Schweiz komme und sie dort begleite, oder würden Sie davon abraten?“

Aber hallo! Das war jetzt aber wirklich eine Überraschung. Gut, ich wusste, dass er einen sehr guten Job hatte und es nicht am Geld fehlen würde, aber so spontan in die Schweiz reisen zu wollen, damit hatte ich nicht gerechnet.

„Haben Sie mit Fynn und Dustin schon darüber gesprochen? Oder soll das eine Überraschung werden?“

„Nein, gesprochen habe ich noch nicht mit ihm. Mein Therapeut hat mir geraten, zuerst mit Ihnen zu sprechen. Sonst würde er sich vielleicht zu sehr aufregen. Außerdem hatten wir uns gedacht, es wäre vielleicht so besser, sich wieder anzunähern, als gleich nur mit schwierigen Gesprächen. Ich möchte ihm damit zeigen, dass ich mir Mühe geben will, unser Verhältnis wieder zu verbessern.“

Ich war verblüfft. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet und war auch nicht darauf vorbereitet. Was sollte ich jetzt sagen? Aus seiner Sicht, eine gute und nachvollziehbare Idee. Aber wenn ich Fynn nicht vorwarnen würde und es zu Problemen kommen würde, hatte ich das Vertrauen der Jungs gestört.

„Seien Sie mir nicht böse, aber das kommt sehr überraschend für mich. Lassen Sie mich bitte darüber noch etwas nachdenken. Es wird für die Jungs extrem stressig sein. Sie werden voraussehbar sehr nervös sein und ich bin mir deshalb nicht sicher, ob wir sie damit nicht überfordern. Das Turnier selbst ist für sie schon eine absolute Grenzbelastung.“

Der Vater hörte mir aufmerksam zu, redete nicht dazwischen. Erst als ich fertig war, entgegnete er:

„Ich kann das gut verstehen. Vielleicht kann ich aber mit Patrick und meiner Frau auch Druck nehmen und ablenken. Wir wollen keine Gespräche über die Vergangenheit führen. Nur wieder Zeit miteinander verbringen. Er soll sehen, dass ich mir Mühe gebe, aus meinen Fehlern zu lernen.“

„Gut, ich mache einen Vorschlag. Sie kommen am Samstag in die Schweiz und bleiben das Wochenende. Seien Sie bitte aber nicht enttäuscht, wenn Fynn nicht so viel Zeit für Sie hat. Das Turnier hat Vorrang. Er soll sich dort für die guten Leistungen in den letzten Wochen belohnen und die Profiszene auch spielerisch kennenlernen.“

„Selbstverständlich, er bestimmt, wann wir Zeit gemeinsam verbringen können. Aber auch für Patrick wäre das ein tolles Erlebnis, gemeinsam seit Jahren wieder ein Wochenende zu verbringen.“

Das konnte ich nachvollziehen und als Familienmaßnahme sicher als eine gute Idee bewerten. Ob das aber bei dem Turnier der richtige Zeitpunkt war? Ich wusste es nicht. Aber ich wollte der Familie diese Chance nicht verwehren.

„Ich werde Fynn nichts davon erzählen. Er würde nervlich nur noch mehr belastet und noch nervöser werden. Geben Sie mir bitte ihre E-Mail Adresse. Ich schicke ihnen gleich die Daten, wo und in welchem Hotel wir untergebracht sind. Vielleicht suchen Sie sich ein anderes Hotel, damit sich Fynn mit seinem Freund auch zurückziehen kann, falls er das möchte.“

„Einverstanden. Und vielen Dank für ihr Verständnis und ihre Unterstützung. Ich hoffe, es wird ein Erfolg für die Jungs.“

Damit verabschiedeten wir uns und ich musste auch los.

Eine Stunde später stand ich in der Einfahrt der WG und stieg aus meinem Dienstwagen aus. Martina kam mir aus dem Garten entgegen.

„Hallo Chris. Schön, dass du gekommen bist. Ich hoffe, dein Ärger ist nicht so groß.“

Ich musste schmunzeln.

„Ärger? Warum sollte ich mich ärgern? Es ist nur mein Baby, das schwer beschädigt worden ist und ich immer noch nicht weiß, was eigentlich passiert ist.“

„Du und dein Sarkasmus. Ich werde es nie lernen, aber sei dir sicher, Carlo macht sich große Sorgen über deinen Zorn. Er hat echt Schiss vor dir.“

„Unsinn, er sollte es eigentlich besser wissen. So, bevor ich reingehe und mit ihm spreche, gib mir bitte eine kurze Einweisung in die Lage.“

„Gern, ich weiß das, aber er regt sich doch sehr auf. Also folgendes. Sein Bein wurde mit sechs statt bisher angenommen mit vier Stichen genäht und die Wunde musste tief gereinigt werden. Es hatten sich Splitter im Fleisch festgesetzt. Dass keine Muskeln und Sehnen verletzt wurden, ist natürlich sehr gut. Es wird wohl drei bis vier Wochen dauern, bis er wieder voll trainieren kann. Momentan darf er das Bein gar nicht belasten und geht an Krücken.“

„Ok, immerhin bleibt nichts zurück. Das ist das Wichtigste. Das Motorrad kann repariert werden. Ist aber doch einiges kaputt. Der erste Eindruck in der Werkstatt waren doch 2500 Euro Schaden. Kann aber auch deutlich mehr werden, wenn der Auspuff auch beschädigt ist. Dann kostet es schnell das Doppelte.“

„Blöd, aber sei mir nicht böse, es ist nur ein Motorrad, das wieder hergestellt werden kann. Den Schaden wird die Versicherung der Eltern übernehmen. Die Mutter hat das heute bereits bestätigt. Sie wollte deine Nummer haben, um dich anzurufen.“

„Hat sie bereits getan. Ich habe alles mit ihr klären können.“

„Gut, dann komm. Carlo wartet auf dich. Ich habe ihm gesagt, dass du kommst und mit ihm sprechen möchtest. Ich habe uns mal etwas Besonderes vorbereitet.“

Sie ging vorweg in den Garten und ich folgte ihr. Als ich um die Hausecke kam, lag Carlo im Schatten auf der Terrasse und auf dem Tisch standen Kuchen und zwei Kannen.

„Hi Carlo, was macht das Bein? Hast du starke Schmerzen?“

„Hi Chris, es geht. Aber Mama hat gesagt, dass Schmerzen auch dafür gut sind, dass man aus der Dummheit etwas lernt. Chris, es tut mir wirklich leid, dass das passiert ist. Ich wollte bestimmt nicht dein Motorrad kaputt machen.“

„Das ist schon mal gut, dass du einsiehst, dass das nicht gerade eine Großtat war. Bevor wir weiter reden, lass mich erst einmal Platz nehmen. Martina hat so leckere Sachen vorbeireitet.“

Martina nahm eine der Kannen und füllte damit meine Tasse gut zur Hälfte. Das war heißer Kakao. Dann nahm sie die zweite Kanne und füllte die Tasse mit Espresso auf. Das hatte ich noch nie gesehen.

„Was ist das denn für eine Mischung? Kakao und Espresso?“

„Ja, das schmeckt sehr lecker. Probier es mal. Wir nennen das einen „Othello“.

Ich probierte einen Schluck und musste zustimmen. Das war sehr lecker. Carlo bekam nur den heißen Kakao und ich füllte ihm seinen Teller mit einem Stück Kuchen.

„Kannst du am Tisch essen, oder soll das Bein immer hoch liegen?“

Wir halfen ihm, in eine bessere Position zu kommen und dann ließen wir es uns schmecken. Carlo wurde jedoch immer unruhiger und ich wollte ihn nicht länger zappeln lassen.

„So, Carlo. Erzähl mir doch bitte jetzt, was genau ist schiefgegangen?“

Er verzog sein Gesicht und es war sofort zu erkennen, das war ihm äußerst unangenehm.

„Ich hab eigentlich nur einmal auf deiner Maschine sitzen wollen. Maxi, Dustin und Fynn durften das ja auch. Ich habe nicht gedacht, dass es so schwer ist, das Gleichgewicht zu halten. Vor allem habe ich nicht gedacht, dass der Ständer sofort einklappt. Tja und dann habe ich das Gleichgewicht verloren und bin umgekippt.“

Ok, so ähnlich hatte ich es vermutet.

„Wirklich Chris, es tut mir sehr leid und ich werde es auch nie wieder tun. Aber …“

„Lass gut sein. Ich bin schon sauer gewesen, vor allem weil du dir noch viel schlimmere Verletzungen hättest zuziehen können. Aber weißt du, was mich am meisten stört? Warum hast du mich nicht gefragt? Es sollte doch wohl so sein, dass fremdes Eigentum nicht einfach benutzt werden darf? Außerdem hättest du wissen müssen, dass du körperlich noch nicht groß genug dafür bist, das allein zu können. Das ärgert mich eigentlich viel mehr noch. Ich hatte dir vertraut. Und eigentlich möchte ich das auch weiterhin tun können.“

Mit sehr traurigen Augen hörte er mir wortlos zu und nickte nur.

„Wie soll das jetzt weitergehen?“ Seine Frage stellte er höchst zerknirscht und leise, als ich fertig war.

„Naja, deine Mutter hat dir vermutlich schon gesagt, dass sie auch nicht gerade begeistert ist, aber die Haftpflichtversicherung deiner Eltern wird den Schaden ersetzen. Ich wünsche mir nur, dass du aus dieser Aktion etwas lernst. Das ist kein Spielzeug.“

Jetzt hatte Martina sich eingeschaltet, indem sie sagte: „Doch, aber es ist dein Spielzeug und Carlo hat da einfach die Finger wegzulassen.“

Das kam so gut rüber, dass ich lachen musste und eine Sache war mir noch wichtig.

„Carlo, ich denke, wir werden weiterhin gut miteinander klar kommen. Also mach dir nicht zu sehr den Kopf. Bestraft bist du eh genug mit dem kaputten Bein. Alles andere ist reparabel.“

Er nickte stumm und seine Betroffenheit war spürbar. Ich hatte es auch nicht anders erwartet. Ich gab Carlo noch mit einem Lächeln die Hand und damit war dieses unschöne Kapitel abgehakt. Ändern konnte es eh keiner mehr.

Fynn: Die Vorbesprechung und das Lampenfieber

Das heutige Training stand ganz im Zeichen der Fahrt in die Schweiz. Chris ließ uns eigentlich nur Matchsituationen trainieren und hatte uns, um das Niveau zu simulieren, einen sehr starken Trainingspartner besorgt. Lennart Struff, einer unserer Bundesligaspieler und auch schon Top 100 bei den Herren in der Welt. Er spielte ebenfalls in der Schweiz mit. Er musste die Qualifikation für das ATP- Turnier spielen.

Sehr schnell merkten wir, wie groß der Unterschied zu unseren bisherigen Gegnern war. Vor allem im Aufschlag und dem Grundtempo der Schläge. Allerdings hatte Chris uns gesagt, wir wären gar nicht so weit weg von dem Niveau. Wir sollten einfach nur spielen und versuchen mitzuhalten.

Nach dem ersten Satz gegen „Struffi“ wurde ich mutiger. Ich hatte immerhin drei Spiele bekommen und Chris schien sehr zufrieden zu sein. Den zweiten Satz spielte ich dann gegen Maxi und Dustin durfte gegen Lennart spielen. Und zum Schluss wurde noch einmal gewechselt und Maxi spielte noch einen Satz.

Chris war mit den Augen immer auf beiden Plätzen und es fühlte sich toll an. Ich hatte allerdings Zweifel, ob das wirklich das volle Leistungsvermögen von Lennart war, denn auch Dustin bekam zwei Spiele.

„So, ihr beiden. Jetzt machen wir noch eine Übung „Serve and Volley“. Die Aufgabenstellung ist, ihr habt drei Aufschläge anstelle von zwei und ihr müsst nach den ersten beiden Aufschlägen ans Netz vorrücken und den Punkt als Volley spielen. Ein Tipp, spielt nicht immer nur auf Geschwindigkeit, sondern variiert so viel wie nötig.“

Eine ganz neue Übungsform. Die kannte ich so noch nicht und auch Dustin schien das nicht zu kennen. Entsprechend unsicher begannen wir. Das missfiel Chris deutlich.

„Hey, nicht so zaghaft. Ihr sollt mutig servieren. Los jetzt, keine Mädchenaufschläge.“

Bei keinem anderen Trainer würde ich mir das so gefallen lassen, aber bei Chris wusste ich, dass er das nicht wörtlich meinte. Es war Motivation und Dustin und ich gaben noch einmal alles. Entsprechend kaputt waren wir am Ende dieser Einheit.

„Bist du dir sicher, dass wir morgen nicht platt sind. Ich fand das sehr anstrengend heute.“

„Aber sicher doch. Ihr seid junge Hüpfer. Das macht euch nichts. Bei den Challenger-Turnieren spielt man ja auch nur ein Match pro Tag. Also alles halb so wild. Bevor ich das vergesse, nach dem Duschen treffen wir uns vier zur Abschlussbesprechung. Da gibt es dann alle Details für euch. Lennart, dir noch einmal vielen Dank für deine Unterstützung. Ich hoffe es hat dir auch etwas gebracht.“

„Keine Ursache. Im Gegenteil, ich habe noch einmal richtig testen können. Also deine Jungs sind schon richtig gut. Da sieht man die gute Basisarbeit. Wenn ich euch einen Rat geben darf. Lasst euch nicht einschüchtern. Ihr könnt gutes Tennis spielen und habt vor allem Spaß. Das ist ein Bonus für euch. Auch wenn ihr nervös seid, vertraut auf euren Coach. Er wird euch gut führen. Also dann bis morgen in Basel. Ich fliege bereits heute noch. Ich muss schon Freitagabend mein erstes Match spielen.“

Ich fand das wirklich klasse. Er hatte uns sehr respektvoll behandelt und jetzt hatte er uns noch Mut gemacht. Das gefiel auch Dustin, denn der bedankte sich bei Lennart und wir wünschten uns alle ein gutes Turnier.

Chris packte die Bälle ein und wir unsere Sachen in die Taschen. Jetzt machte sich doch Unruhe bei mir breit. Ich fing an nachzudenken, ob das die richtige Entscheidung ist, dort zu spielen. Da fiel mir noch etwas ganz anderes ein:

„Chris, ich soll dir von Carlo noch diesen Brief geben. Er hat mir gesagt, du wüsstest Bescheid.“

„Oh danke. Ja, da sind die Unterlagen für die Versicherung drin. Die muss ich in der Werkstatt abgeben.“

„Kann deine Maschine schnell wieder repariert werden? Es ist doch echt blöd, dass du bei dem schönen Wetter nicht fahren kannst.“

Dustin sprach das aus, was ich gedacht hatte. Obwohl ich genau wusste, wie sehr sich Chris geärgert hatte, war er zu Carlo sehr freundlich gewesen. Kein böses Wort, nur die klaren Ansagen, dass das einfach nur dumm war.

„Passt schon. Sie wird wieder richtig laufen. Es dauert nur etwas bis die Teile da sind. Die Panigale ist halt ein seltenes Motorrad. Die Verkleidung muss erst aus Italien kommen.“

Ich hatte es befürchtet.

„Kannst du jetzt gar nicht fahren? Oder hast du eine Leihmaschine bekommen? Sie müsste dir ja zustehen, oder nicht?“

„Richtig Maxi, ich habe eine Leihmaschine erhalten, aber das ist halt keine Panigale. Aber es ist wirklich kein Problem. Ein Problem wäre es, wenn Carlo vielleicht sein Bein oder Fuß verloren hätte.“

Das machte mich nachdenklich. Hätte das wirklich passieren können?

„War das wirklich so gefährlich, was Carlo da gemacht hat?“

„Naja, die Maschine wiegt etwa 180 Kilo und wenn da der Fuß unglücklich gequetscht würde, kann das schon passieren. Aber es ist ja alles gut gegangen. Und hoffentlich kommt keiner mehr auf die Idee, das nachzumachen.“

Ganz bestimmt nicht. Da war ich mir absolut sicher. Bei Maxi war ich mir eine Zeit lang unsicher gewesen, ob er der Versuchung widerstehen könnte. Aber er blieb standhaft.

„So, geht mal duschen, sonst wird das zu spät.“

Wir drei waren schnell unter der Dusche. Mittlerweile freute ich mich immer auf die heiße Dusche. Es war normal geworden, mit meinem Freund zu duschen. Dustin hatte auch keine Angst mehr vor unkontrollierten Reaktionen.

Entsprechend gleichzeitig waren wir beide fertig. Maxi musste natürlich wieder eine Zusatzzeit haben für seine Haare.

Wir verließen daher vor Maxi die Umkleide und setzten uns schon zu Chris an den Tisch.

„Hi, ihr seid ja flott. Muss Maxi wieder erst seine Haare stylen?“

Ich grinste und Dustin antwortete: „Gut erkannt. Ich werde nie verstehen, wie man so viel Zeit dafür verschwenden kann. Dieses Zeug muss doch auch richtig Geld kosten, oder nicht?“

Chris zeigte mir nur den Daumen nach oben und damit war das abgehakt. Chris hatte damit eh keine Probleme. Seine Haare waren schon deutlich lichter geworden.

Als Maxi endlich aus der Dusche kam, wurde ich doch wieder nervös. Jetzt wollte uns Chris noch einmal alles im Detail erklären.

Chris: Die Schweiz ist schön

Nachdem das Thema Carlo und sein Leichtsinn gut abgearbeitet war, hatte ich die Jungs zur Abschlussbesprechung gebeten. Ich wollte verhindern, dass sie bei sich zu viel Erwartungsdruck aufbauten.

„So, da wir ja nun endlich vollzählig sind, möchte ich euch kurz für das kommende Ereignis vorbereiten. Morgen geht es hier um 15 Uhr los. Wir fahren zum Flughafen nach Hannover, weil es von Paderborn keinen passenden Flug gibt. Abends ist dann im Hotel eine kurze Lagebesprechung und Samstagmorgen geht es auf den Platz für ein kurzes Training. Ab 13 Uhr beginnt die Qualifikation. Laut Auslosung spielt ihr erst etwas später. Die weiteren Details klären wir vor Ort. Jan wird uns im Hotel empfangen und dann sehen wir weiter.“

Die Jungs saßen mir sehr aufmerksam gegenüber und da keine Fragen kamen, fuhr ich fort.

„Was mir ganz wichtig ist, wir haben keinerlei Ergebniserwartungen. Was wir uns wünschen, ist, dass ihr alles aus euch herausholt und Freude am Spiel zeigt. Die Gegner sind deutlich stärker als eure bisherigen. Deshalb macht euch keinen Stress. Genießt das Erlebnis und habt Freude daran. Schaut euch um und lernt von den anderen Spielern. Ihr werdet auch mit den richtig guten Profis in Kontakt kommen. Also keine Berührungsängste zeigen.“

„Heißt das, du wärest nicht enttäuscht, wenn wir gleich alle verprügelt werden und wieder nach Hause fahren müssen.“

Ich musste einfach lachen, denn Dustin hatte das so niedlich gesagt.

„Genau so ist das. Ich und auch die anderen Trainer wissen genau, wie hoch dort die Trauben hängen, aber ich weiß auch, was ihr könnt. Also zeigt einfach nur das, was ihr könnt. Dann sehen wir, was als Ergebnis stehen wird. Damit das nicht zu heftig für euch wird, spielt ihr nur Einzel. Jan hat mir noch mit auf den Weg gegeben, dass er sehr erfreut war, wie ihr euch in Kamen geschlagen habt. Also gibt es von euch bis hierher noch Fragen?“

„Ja. - Stimmt das, dass es in einem Challenger bereit Weltranglistenpunkte gibt?“

Bevor ich antworten konnte, fuhr Fynn dazwischen.

„Was soll die Frage? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du bis ins Hauptfeld kommen wirst.“

„Hey, why not? Ich finde, wir sollten nicht gleich denken, es ist eh sofort vorbei. Dann brauche ich mich nicht auf den Platz zu stellen. Wir wollen die Jungs dort ärgern, also will ich wissen, wofür ich mich quäle.“

„Gefällt mir, was du sagst, Maxi. Also es gibt für die vier Sieger der Qualifikation bereits drei Punkte. Allerdings muss man dafür auch bereits drei Siege eingefahren haben. Wie gesagt, macht euch nicht verrückt. Aber Maxi hat recht, geht positiv an die Sache heran. Wir wollen Spaß haben. Und habt nicht zu viel Respekt vor euren Gegnern. Ihr könnt dort zeigen, dass ihr gut seid.“

„Traust du uns das wirklich zu? Sind wir schon so weit, dass wir uns mit den echten Profis messen können?“

„Wenn ich euch das nicht zutrauen würde, hätte ich diesem Plan niemals zugestimmt. Ich möchte, dass ihr etwas lernen könnt und daraus wieder einen Schritt nach vorn macht. Bitte denkt nicht so viel über die Folgen nach. Geht auf den Platz und habt Spaß.“

Es war spannend für mich zu beobachten, wie unterschiedlich die drei an diese Sache heran gingen. Maxi wollte voranstürmen, Fynn war eher der zurückhaltende Typ, der Sicherheit suchte und Dustin lag dazwischen. Dustin war für mich sicher der Problemfall, weil er sich immer schlechter sah, als er war.

„Ich habe noch eine Frage Chris, wir fahren doch mit dem Auto nach Hannover, oder?“

„Ja, Fynn. Ich werde uns dorthin bringen. Warum fragst du?“

„Naja, könntest du uns dann nicht an der WG einladen? Wir müssten dann nicht die großen Taschen auf dem Fahrrad mitnehmen.“

„Klar, das leuchtet ein. Kein Problem. Also dann um viertel vor drei an der WG. Wir müssen aber noch hier vorbei. Thorsten möchte noch ein paar Bilder machen. Für die Sponsoren und die Homepage. Also zieht euch bitte schon die Teamkleidung an.“

„Danke. Ja, machen wir. Ist sonst noch etwas? Wir müssen noch Schularbeiten machen und ich möchte auch gern noch mit meinem Vater telefonieren.“

Ja, das wird noch ein Problem werden, wenn Maxis Mutter wirklich an Krebs erkrankt ist. Da musste ich mit ihm noch eine Lösung finden, wie wir da mit den anderen Jungs umgehen. Ich war der Meinung, er sollte es offenlegen. Dann könnten Dustin und Fynn für ihn eine große Stütze sein. Also abwarten, was am Dienstag bei der OP herauskommen würde.

Ich löste dann unsere Besprechung auf.

„Bevor ihr euch auf den Heimweg macht, sagt Martina bitte, ich komme morgen etwas früher und möchte mit ihr einen Tee trinken. Carlo werde ich dann auch noch kurz besuchen.“

„Geht klar, Chris. Richten wir ihr aus. Können wir jetzt fahren?“, fragte Maxi.

„Ja, kommt gut nach Hause. Das heißt nein. Fynn, eine Sache habe ich noch. Patrick kann ab nächster Woche für drei Wochen zum Probetraining kommen. Dienstag um vier geht es hier los. Trainieren wird er bei Lennart in einer Vierergruppe.“

Fynn hatte sich noch einmal umgedreht und war jetzt zwar erfreut, dass sein Bruder eingeladen wurde, aber enttäuscht, dass ich nicht der Trainer sein würde.

„Hey, er ist bei Lennart besser aufgehoben. Ich habe einfach nicht genug Zeit, und wenn er später wirklich bei uns bleiben sollte, dann schauen wir noch einmal, was die optimale Lösung ist, ok?“

„Ja, schon gut. Er hatte sich aber gewünscht, bei dir zu trainieren. Naja, vielleicht dann später.“

Ich lächelte ihn an und klopfte ihm zum Abschied noch einmal auf die Schulter. Dass er seine ganze Familie in der Schweiz treffen würde, sollte er noch nicht wissen.

Ich hatte noch eine weitere Idee, was wir in der Schweiz machen sollten. Das musste ich allerdings vor Ort klären.

Der nächste Tag begann für mich damit, dass ich nach dem Vormittag im Dienst direkt nach Halle fuhr. Hier war der Dienstwagen vom Team wirklich praktisch. Ich durfte ihn auch privat nutzen, also damit auch zur Arbeit nutzen. Dadurch konnte ich bereits alles auf einem Weg erledigen. Ich wollte noch vorher etwas zu Mittag essen. Der Tag würde sehr lang werden und ich mochte es überhaupt nicht, nicht in Ruhe essen zu können. Ich beschloss, eine Pizzeria in Halle anzusteuern. Ich hätte auch im Club kostenlos essen können, aber da hätte ich definitiv keine Ruhe gehabt.

Im Restaurant nahm ich mir, nachdem ich bestellt hatte, den Laptop vor. Ich wollte noch meine Mails abrufen. Jan hatte mir auch ein paar Informationen geschickt, wie zum Beispiel die Auslosung der Qualifikation und zusätzlich das Hauptfeld des ATP-Turniers. Es war sehr gut besetzt. Unter anderem mit Roger Federer. Den hatte ich bereits vor einigen Jahren durch Jan kennengelernt und wir trafen uns immer zu den Gerry-Weber-Open in Halle. Diesmal bestand also die Möglichkeit, uns in Basel zu treffen. Jan hatte mir schon zugesagt, das zu arrangieren. Es war immer sehr spaßig mit Roger und seiner Familie.

Mein Essen kam recht zügig und so lag ich sehr gut in der Zeit. Als ich bezahlt hatte, rief ich noch bei meiner Mutter an, um mich für die nächsten Tage abzumelden. Sie war immer sehr besorgt seit meinem schweren Unfall. Damals haben meine Eltern zwei Tage nicht gewusst, wo ich war. Dieses Trauma hatte sie bis heute nicht wirklich überwunden und somit hatte ich es akzeptiert, sie immer dann anzurufen, wenn ich mal ein paar Tage unterwegs war. Sie freute sich auch jedes Mal darüber, dass ich an sie gedacht hatte.

„Hallo?“, rief ich durch das Haus, als ich durch die offene Tür der WG ging.

Im Flur standen die Taschen von den Jungs bereits fertig gepackt. Das gefiel mir immer besser. Sie hatten schon viele Dinge verbessert in ihren Abläufen. Deshalb war ich heute mal so nett und verlud sie direkt ins Auto. Die Jungs waren ja noch in der Schule. In dieser Zeit kam Martina von oben herunter.

„Hi Chris, schön dass du schon da bist.“

Sie sah natürlich, dass ich die Taschen bereits im Auto verstaut hatte.

„Oh, ist heute etwas Besonderes? Du trägst die Taschen der Jungs?“

„Ja, sie haben eh wenig Zeit. Sie sollen wenigstens in Ruhe noch essen. Da macht das Sinn, dass das Auto schon fertig ist. Außerdem muss ich das ja auch mal anerkennen, dass sie das schon fertig vorbereitet hatten, ohne dass ich etwas sagen musste.“

Sie lächelte mich an.

„Meine Güte, du wirst noch ihr Vater werden, wenn du so weiter machst.“

Jetzt mussten wir beide lachen.

„Ich hoffe, du hast an unseren Tee gedacht. Sonst müssen die Jungs meine schlechte Laune ertragen.“

„Was denkst du denn wohl. Steht schon alles bereit. Heute sind wir aber oben bei den Jungs. Carlo kann sich ja nur sehr begrenzt bewegen.“

„Kein Problem. Ich schaffe es ja so grade noch, die Treppe hoch zu laufen.“

Wieder grinste sie mich an und konterte: „Ja, der alte Mann muss vorsichtig sein. Sonst tanzen ihm die Jungs bald auf der Nase herum.“

Martina war einfach klasse. Sie war ein totaler Glücksgriff für uns. Ich schloss das Auto ab und wir machten uns auf den Weg nach oben. Carlo lag auf der Couch im Wohnzimmer. Sein Bein hoch gelegt und die Krücken standen an der Seite.

„Hi Carlo, was macht die Wade? Gibt es Fortschritte?“

„Hallo Chris, ja es geht jeden Tag besser. Aber ich darf immer noch nicht auftreten.“

„Geduld. Das wächst halt nicht so schnell zusammen, wie du es zerrissen hast.“

Er lächelte gequält. Martina hatte eigentlich den Tee in der Küche vorbereitet, aber ich wollte Carlo zeigen, dass ich nicht nachtragend bin.

„Martina“, rief ich in Richtung Küche. Sie kam aus der Küche ins Wohnzimmer.

„Ja? Was gibt es?“

„Lass uns den Tee hier trinken. Carlo ist eh die meiste Zeit allein. Da können wir ihm auch noch etwas Gesellschaft leisten.“

Martina wunderte sich zwar, aber gleichzeitig sah sie Carlos Gesicht und fing an zu grinsen.

„Gut, kannst du mir helfen, die Sachen hierher zu tragen?“

„Klar, ich komme.“

Wenige Augenblicke hatten wir alles auf dem Couchtisch abgestellt und bevor wir uns über das kommende Wochenende unterhalten konnten, fragte Carlo:

„Weißt du schon, was die Reparatur kosten wird? Mein Vater hat gefragt. Vielleicht muss ich das teilweise an meine Eltern zurückzahlen.“

„Warum das denn? Ihr habt doch eine Haftpflichtversicherung.“

„Ja, aber Papa hat sich so aufgeregt und ist total wütend auf mich. Mama sieht das nicht ganz so dramatisch, aber Papa.“

„Da kommt das italienische Temperament durch, was? Naja, mal sehen. Wie siehst du denn mittlerweile diese Aktion?“

„Total bescheuert und ich kann nur froh sein, dass du nicht so bist wie mein Papa. Der hätte mich umgebracht, wenn ich das zu Hause gebracht hätte.“

„Ach, weißt du, was hilft es denn, wenn ich mich jetzt total aufrege. Dadurch wird das Bike auch nicht wieder heile. Wir haben früher auch Fehler gemacht und dafür Lehrgeld bezahlen müssen. Für mich sind jetzt zwei Dinge viel wichtiger. Zum ersten, du lernst etwas daraus und wirst in Zukunft auf derartige Stunts verzichten und zum zweiten wird dein Bein hoffentlich wieder vollständig gesund. Du sollst ja möglichst bald wieder spielen.“

Ich nahm mir jetzt eine Tasse Tee und ein paar Kekse vom Tisch. Martina hatte mir genau zugehört und fragte mich:

„Bist du wirklich immer so gelassen oder kannst du deinen Ärger nur sehr gut verbergen? Ich finde dich manchmal beängstigend. Ich wäre total ausgeflippt.“

„Nein, ärgern tut es mich nicht mehr. Ich bin nur traurig, dass Carlo mich nicht gefragt hat.“

Dabei schaute ich Carlo in die Augen. Es war ihm unangenehm. Das war deutlich zu sehen, aber er reagierte auf meine Bemerkung:

„Ich hatte dich nicht gefragt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass du es mir erlaubt hättest. Meine Eltern würden das nie erlauben. Heute weiß ich, dass es falsch war und ich dich fragen würde. Chris, es tut mir wirklich sehr leid und ich ärgere mich heute auch darüber. Allerdings möchte ich mich auch bei dir bedanken. Du hast mich nicht so wie meine Eltern behandelt und bist nicht nachtragend. Ich verspreche dir, das wird so nicht wieder passieren.“

„Das freut mich zu hören. Damit lass uns das abhaken. Ich schlage dir vor, wenn dein Bein wieder ganz ist und ich meine Panigale wieder habe, machen wir beide eine Runde damit. Ok?“

„Echt? Wie geil. Du würdest jetzt immer noch mit mir so was machen? Wie cool, danke.“

Ja, ich weiß. Einige werden denken, ich hätte strenger sein sollen. Was bringt mir das denn? Carlo war einsichtig und hat sich entschuldigt. Mehr war nicht zu erwarten. Damit wollte ich das Thema auch abschließen.

„Was denkst du zu den Chancen der Jungs in der Schweiz? Können sie dort wirklich schon mithalten?“

Martina war immer gut informiert und verstand auch viel vom Tennis.

„Ich glaube daran. Jan hätte sie niemals dort angemeldet, wenn er sich nicht sicher ist, dass sie davon profitieren. Es geht nicht um Ergebnisse. Es geht um die Erfahrung und wie sie sich dort präsentieren. Ganz ehrlich, bei Fynn bin ich mir sehr sicher, dass er dort eine tolle Leistung zeigen wird. Seine Entwicklung ist sehr posititv und seine Persönlichkeit hat einen großen Sprung gemacht. Maxi hat momentan vielleicht spielerisch das größte Potenzial, aber da weiß ich nicht, ob er es umsetzen kann. Dustin hingegen macht mir die größten Sorgen. Er macht sich enormen Druck. Er hat Angst zu versagen und uns dort lächerlich zu machen. Das ist natürlich Unsinn, aber da muss ich aufpassen und schauen, wie ich ihm das ausreden kann.“

„Lenk ihn ab und gib ihm eine Aufgabe. Dann wird er nicht so viel nachdenken können.“

Ich schaute Martina an und war irritiert. Sie hatte das so bestimmt gesagt, dass ich wusste, sie hatte sich darüber schon länger Gedanken gemacht. Das würde ich mir überlegen und war ihr dankbar für diesen Vorschlag. Leider war auch die Zeit schon so weit fortgeschritten, dass die großen Jungs jeden Augenblick aus der Schule kommen würden.

Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da hörte ich sie auch schon unten. Ich verabschiedete mich von Carlo, allerdings nicht, ohne ihn einmal zu drücken. Ich wollte ihm damit zeigen, dass zwischen uns wirklich alles in Ordnung war. Er nahm es auch dankbar an. Mit einem „viel Erfolg“ verabschiedete er mich. Ich versprach, dass wir uns aus der Schweiz melden würden. Dann ging ich mit Martina die Treppe hinunter und sofort wurde mir klar, die Jungs standen unter Spannung. Sie wuselten durch die Wohnung und hatten tausend Gedanken im Kopf.

„Hey, was ist denn hier los? Kommt mal runter und dann sammeln wir uns in der Küche.“

Schlagartig herrschte Ruhe. Die Jungs schauten mich entgeistert an und ich musste mit Martina lachen.

„Na, geht doch. Los, Essen fassen für euch und dann wollen wir auch schon los. Taschen sind schon im Auto. Ihr müsst nur noch eure Sachen einpacken, die ihr für die Fahrt braucht.“

Fynn war wieder derjenige, der die Lage zuerst gepeilt hatte.

„Ok, ok, du hast ja recht. Lasst uns essen und dann in Ruhe aufbrechen. Sorry Chris, aber es ist für uns einfach aufregend, was jetzt kommen wird.“

Ich zwinkerte ihm zu und dann ließ ich sie in Ruhe essen. Erst danach bekamen sie die letzten Informationen. Maxi fragte dann allerdings: „Sag mal, du hast doch bestimmt schon die Auslosung gesehen, oder?“

„Klar, aber die gibt es erst im Flieger. Da haben wir Zeit, darüber zu reden.“

Alle zogen ein Gesicht und ich musste lachen. Es war mir klar, dass sie sofort wissen wollten, wer sie erwartete, aber sie kannten die Spieler vermutlich eh nicht. Also war es auch nicht sinnvoll, sie damit jetzt allein zu lassen. Während der Fahrt konnte ich nur schlecht mit ihnen darüber diskutieren.

Eine Stunde später waren wir bereits auf der A2 unterwegs und hatten die Abfahrt Langenhagen erreicht. Jetzt waren es nur noch wenige Minuten bis zum Flughafen. Während der Fahrt war das Turnier kein Thema. Die Jungs unterhielten sich über Fynns Bruder und dass er bald bei uns zum Training kommen würde. Außerdem berichtete Fynn von einem Telefonat mit seinem Vater. Ich freute mich, dass Fynn sich im Kreise seiner engsten Freunde immer mehr öffnete. Ich war mir immer sicherer, dass die drei gemeinsam dieses Abenteuer gut bewältigen würden.

Das Check-In verlief sehr zügig und als ich unsere Bordkarten bekam, staunte ich doch nicht schlecht. Da stand 'Business Class'. Wow, womit hatten wir denn diesen Luxus verdient? Entsprechend entspannt verlief der Flug. Auch unser Gepäck war bereits auf dem Laufband angekommen, als wir in die Ankunftshalle kamen. Vereinbart war der Treffpunkt am Informationsschalter. Ich schickte Dustin los, um unseren Shuttle zu treffen. Wir kamen mit dem ganzen Gepäck auf zwei Rollwagen hinterher. Ein junger Mann unterhielt sich bereits mit Dustin, als wir hinzukamen. Ich schätzte ihn vielleicht auf zwanzig oder etwas jünger.

Mit einem herrlichen Dialekt begrüßte er uns und führte uns direkt zum Wagen. Wir luden die Taschen ein und dann ging es erst einmal zum Hotel. Jan wollte uns dort treffen. Ich war sehr gespannt, denn eigentlich änderte sich seine Planung ständig. Mal schauen, was uns erwartete. Die Jungs waren auch verdächtig ruhig geworden.

Als wir vor dem Hotel aus dem Auto stiegen und die Taschen ausgeladen hatten, gab uns unser Fahrer eine Karte mit einer Telefonnummer. Wir sollten heute Abend dort anrufen und den Shuttle Service für den nächsten Tag anfordern. Ich bedankte mich und dann ging es hinein. Die Lobby war sehr edel. Das war kein Standard Hotel. An der Rezeption bat ich Dustin, uns anzumelden. Währenddessen rief ich bei Jan auf dem Handy an.

„Hi Chris, wo seid gerade?“

„Hi Jan, wir sind soeben im Hotel angekommen. Was sind deine Pläne für heute?“

Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens erwiderte er: „Oh, dann seid ihr ja super durchgekommen. Gut, ich bin noch auf dem Trainingsplatz. Sagen wir in einer Stunde unten in der Hotellobby? Bis dahin könnt ihr euch einrichten. Dann zeige ich euch alles, was ihr wissen müsst.“

„Super, danke. Eine Frage habe ich noch. War das Absicht mit der Business Klasse im Flieger?“

Er lachte.

„Ja, das machen wir immer. Sonst ist das einfach für die Spieler zu eng. Wir haben ja mit der Fluggesellschaft einen Partnervertrag. Wir bekommen alle Flüge sehr günstig. Außerdem hab ich mittlerweile so viele Bonusmeilen, da ist dieser Flug bei über.“

„Cool, danke. Es war wirklich sehr angenehm.“

„Alles klar, wir sehen uns in einer Stunde. Ich muss noch was tun. Gilles und Andrej wollen noch bewegt werden.“

Mittlerweile standen die drei Jungs wieder bei mir und Dustin gab mir meine Chipkarte für das Zimmer. Wir hatten zwei Doppelzimmer bekommen und natürlich brauchte ich nicht zu fragen, wer mit wem auf ein Zimmer gehen würde.

Deshalb konnte ich mir eine kleine Spitze nicht verkneifen.

„Kommt nicht auf unanständige Ideen. Ihr sollt morgen früh fit auf dem Platz stehen. Außerdem treffe ich mich gleich mit Jan. Ich möchte darum bitten, dass ihr schon einmal eure Sachen für morgen auspackt und alles vorbereitet. Beim Abendessen gibt es dann weitere Informationen.“

„Ja, Chef“, kam von Maxi mit einem fetten Grinsen im Gesicht.

„Ah, er hat es endlich begriffen, wer hier der Chef ist. Sehr gut, weitermachen.“

„Hihi, jetzt hat dich Chris aber ausgekontert.“

Wir hatten noch reichlich Spaß beim auspacken und einrichten der Zimmer. Vorsichtshalber hatte ich mir mein Handy mit einer Zeit programmiert. Jan mochte genauso wenig Unpünktlichkeit wie ich. Allerdings war das bei ihm auch erst so, seit er sich mit seinem Team selbstständig gemacht hatte. Früher sah das anders aus. Ich nutzte die noch verbleibende Zeit, bei einem guten Freund anzurufen, der hier in Basel wohnte und ein sehr interessantes Hobby hatte.

Wir kannten uns über eine Internet Seite, auf der Storys von Hobbyautoren veröffentlicht wurden. Nickstories hatte ich per Zufall im Internet gefunden und dort hatte ich den Claus kennengelernt. Wir verstanden uns recht gut und wir haben immer scherzhaft geredet, dass ich ihn besuchen kann, sollte ich mal nach Basel kommen. Tja, jetzt war ich da und deshalb rief ich ihn an. Nachdem er den ersten Schrecken überstanden hatte, freute er sich, uns persönlich kennenzulernen. Wir vereinbarten, dass wir uns melden würden, sobald wir unseren Zeitplan hatten.

Ich spürte schon wieder diesen Druck im Körper. Es war Anspannung, aber auch die Sorge, Jan nicht ausreichend zufriedenstellen zu können. Hoffentlich wurde das nicht schlimmer. Das tauchte immer auf, sobald ich mehrere Dinge gleichzeitig planen und managen musste. Ich war leider Perfektionist und das war mir schon oft genug zum Verhängnis geworden. Ich hatte zwar daran gearbeitet, aber hin und wieder brach das wieder auf. Deshalb musste ich jetzt aufpassen, um mich runter zu bringen. Anderen Menschen gegenüber war ich sehr nachsichtig, aber mir selbst verzieh ich Fehler nur sehr schlecht.

Mein Handy signalisierte mir, es wurde Zeit nach unten zu gehen. Ich sagte den Jungs Bescheid und fuhr mit dem Lift in die Lobby.

Die Aufzugtür öffnete sich und tatsächlich konnte ich Jan bereits in der Sitzgruppe erkennen. Er hatte seinen Laptop vor sich und war in die Arbeit vertieft. Ich machte drei oder vier Schritte dorthin.

„Hi Jan, schon wieder fleißig bei der Arbeit?“

Er schaute nach oben und ein Lächeln kam in sein Gesicht.

„Hi Chris, setz dich bitte. Hat alles geklappt mit deinen Jungs?“

„Bis jetzt ja, ich weiß allerdings nicht, ob sie dieser Belastung standhalten. Schauen wir mal.“

Bevor wir über Tennis sprachen, tauschten wir noch die Neuigkeiten über unsere Eltern aus.

„So, und ich habe von Thorsten gehört, du bist gut im Team angekommen?“

„Ja? Kann ich schlecht beurteilen. Ich versuche die Jungs weiter zu entwickeln und mit ihnen nach vorn zu schauen. Ob das bei den anderen gut ankommt, kann ich nicht sagen. Die Jungs haben sich jedenfalls noch nicht beschwert und das zählt für mich.“

Jan grinste und schüttelte den Kopf.

„Keine Sorge, Thorsten ist sehr zufrieden mit deiner Arbeit und deiner Art, wie du mit den Jungs umgehst. Deshalb wollte ich auch unbedingt, dass ihr hier teilnehmt. Die Jungs sollen für sich erkennen, dass die nächste Stufe für sie machbar ist, wenn sie weiter so arbeiten. Ich denke, sie sind gar nicht mehr so weit davon entfernt. Lass uns jetzt aber erst einmal über das Programm hier sprechen. Ihr habt morgen Nachmittag die erste Runde in der Qualifikation zu spielen. Und entgegen der sonstigen Regel, werden am Sonntag zwei Runden gespielt. Die vier Sieger spielen dann ab Dienstag im Hauptfeld.“

Während er das sagte, schob er mir zwei Blätter mit der Auslosung herüber.

„Das ist dein Tableau und das andere ist das Tableau des ATP-Turniers. Wie du siehst, ist das sehr gut besetzt. Gilles und Andrej trainieren bereits seit drei Tagen hier. Ich möchte mit euch Morgen früh um halb neun ein Training machen, damit ihr euch an die Gegebenheiten gewöhnen könnt. Die Bälle fliegen hier einiges schneller und weiter. Ich vermute, für deine Jungs ist das allein schon eine neue Erfahrung. Ab 14 Uhr wird dann gespielt. Da deine Jungs erst später auf den Platz müssen, habe ich uns gemeinsam zum Mittagessen angemeldet. Gilles und Andrej werden auch dabei sein. Leider wird es so sein, dass deine Jungs alle parallel spielen werden. Deshalb teilen wir uns auf. Du wirst bei Fynn bleiben und ich werde Maxi beobachten. Dustin bekommt auch einen Coach, aber das wird noch eine Überraschung werden.“

Ich fand die Idee mit der Überraschung gerade bei Dustin nicht gut.

„Also gerade bei Dustin ist das keine gute Idee. Er ist der Unsicherste der drei. Kannst du das nicht beim Essen mit ihm aufklären? Er sollte sich zumindest etwas darauf einstellen können.“

Jan lachte und schüttelte den Kopf.

„Nein, das klären wir morgen früh beim Training. Keine Sorge, er wird vorher mit ihm auch trainieren. Sonst macht das ja keinen Sinn. Wie geht es deinen Jungs? Sind alle fit?“

„Körperlich sind sie alle fit. Mental wird man sehen. Sie sind sehr aufgeregt und ich weiß nicht, ob ich sie eingefangen bekomme. Schauen wir mal.“

„Wie hast du die Sache mit Carlo verkraftet? Deine Panigale scheint schwer beschädigt zu sein, hat mir Thorsten berichtet.“

Nanu, selbst darüber war er informiert? Damit hatte ich nicht gerechnet, dass er sich auch damit befasste.

„Naja, Begeisterung sieht anders aus, aber was sollte ich machen? Aufregen half nicht mehr. Ich denke nur, es war unnötig. Viele der Jungs reden mit ihren Trainern nur über Tennis. Das reicht nicht. Martina macht einen super Job in der WG, aber ihre Kompetenzen sind begrenzt. Ich finde, wir sollten besser zusammen arbeiten. Absprachen besser koordinieren und uns austauschen mit den Trainern.“

Jan hörte aufmerksam zu, fragte nach: „Hast du eine konkrete Idee?“

„Ja, ich wäre dafür, dass Martina und ich auch an den Teambesprechungen teilnehmen. Nur so können wir schulische Probleme mit dem Tennis koordinieren. Manchmal hat Martina da Schwierigkeiten, die Jungs zum Lernen zu bekommen und auch mal durchzugreifen. Maxi z.B. sagt dann einfach, nö, ich habe Training und verschwindet einfach. Oder jetzt Carlo. Er hatte sich nicht getraut mich vorher zu fragen, weil er mit seinem Trainer nie über private Dinge reden kann. Das ist bei Profis vielleicht nicht unbedingt nötig, aber bei Kindern gehört das mit hinzu. Die Trainer-Spieler Beziehungen sind nicht immer optimal in meinen Augen.“

Erstaunlicherweise hatte Jan sofort angefangen, sich Notizen zu machen und mich nicht unterbrochen. Ich hatte das Gefühl, er war überrascht über meine Informationen.

„Hört sich interessant an. Aber sag mal, bist du bei den Trainermeetings nicht dabei?“

„Nein, ich habe bis heute keine Einladung dazu bekommen.“

„Ok, das war anders gedacht. Ich werde mich darum kümmern. Denkst du, es wäre notwendig, dass Martina bei jedem Meeting dabei ist oder reicht einmal im Monat und wenn ein akutes Problem ansteht, kann sie Bescheid sagen und nimmt dann an dem nächsten Meeting teil. Ich habe sonst Sorge, dass ihr das zu viel wird.“

„Finde ich gut, deine Idee. Vielleicht sprecht ihr einfach mal mit ihr. Sie hat in vielen Punkten ganz gute Ideen, aber ihr fehlt der gesamte Überblick. Da geht Potenzial verloren.“

„Ja, das sehe ich ein. Wir werden darüber sprechen und für dich gilt ab sofort, Teilnahme an allen Meetings der Trainer. Du bist genauso Teil des Trainerteams, wie alle anderen. Das kläre ich.“

„Ok, danke. Hast du für heute Abend eigentlich noch was geplant oder können wir den frei für uns nutzen?“

„Nein, ihr habt bis morgen früh noch frei. Aber die Jungs sollten fit sein. Also bitte keine Nightsession.“

Da er sofort anfing zu lachen, war klar, er hatte mir das auch nicht anders zugetraut.

„Ok, und was machst du heute noch?“

„Das Training für morgen vorbereiten und mit Gilles und Andrej über die Auslosung sprechen.“

Ich hatte das Gefühl, Jan wollte ganz bewusst noch nicht so viel über die Gegner der Jungs sprechen. Also fragte ich auch nicht nach. Ich war mir ganz sicher, dass er das noch machen würde. Also trennten wir uns wieder und ich nutzte die Gelegenheit, mit 'Idefix' zu telefonieren. Sein richtiger Name war Claus, aber im Chat hatte jeder einen Chatnamen. Meiner war übrigens 'grisu', der kleine grüne Drache.

„Ja?“, meldete sich eine Stimme am Telefon.

„Hi Claus, hier ist Chris. Wie geht es dir?“

„Der Grisu, ja aber hallo! Danke, mir geht es gut. Seid ihr schon in Basel?“

„Jap, und wir haben heute Abend noch frei. Hast du Zeit und Lust uns ein wenig Basel zu zeigen? Wir müssen aber morgen früh auf den Platz, also kein Nachtleben. Außerdem habe ich drei Jungs dabei. Ich dachte, wir gehen gemeinsam irgendwo essen und dann zeigst du uns ein bisschen was von der Stadt.“

„Gern, wo seid ihr denn? Welches Hotel?“

„Wir sind recht nahe der Anlage. Zentral in der Stadt, Hotel Basel. Kennst du das?“

„Klar, das ist nicht weit von mir. Wann wollen wir uns treffen? In einer halben Stunde?“

„Cool, ja gern. Unten in der Lobby?“

„So machen wir das. Bis gleich. Ich freu mich, dich persönlich kennenzulernen.“

Ich freute mich auch. Das würde bestimmt lustig werden und ich hatte auch noch einen anderen Gedanken im Hinterkopf. Mal schauen, wie sich das entwickeln würde. Ich ging zurück in den Aufzug und fuhr wieder nach oben in unsere Zimmer. Maxi lag auf dem Bett, als ich unser Zimmer betrat. Er hatte seine Kopfhörer auf, die er aber abnahm, als er mich bemerkte.

„Na, was hat dir Jan über unsere Gegner erzählt?“

„Nichts. Wir haben nur organisatorische Dinge besprochen. Kannst du bitte zu Fynn und Dustin hinüber gehen und sie bitten herzukommen?“

„Ja, kein Problem.“

Er stand vom Bett auf und ich holte die beiden Tableaus der Auslosung hervor. Es dauerte keine fünf Minuten und die drei saßen bei uns im Zimmer.

„So, hier sind die Tableaus. Einmal eure Qualifikation und einmal das Hauptfeld vom ATP-Turnier. Wie ihr seht, ist das richtig gut besetzt und auch eure Auslosung ist ganz ok. Morgen wird ab 14 Uhr die erste Runde gespielt und Sonntag dann zwei Runden. Ab Dienstag wird die Hauptrunde gespielt. Schaut euch das bitte mal an und bevor ihr nach euren Gegnern fragt, das klären wir erst morgen mit Jan gemeinsam. Wir haben um halb neun ein Training angesetzt, damit ihr euch an die Besonderheiten gewöhnen könnt. Denkt daran, dass hier, durch die Höhe bedingt, die Bälle weiter fliegen und schneller sind.“

Fynn fing an zu lachen.

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Natürlich meine ich das ernst. Auch in München ist das so. Also richtet euch darauf ein. Deshalb auch noch ein Training morgen früh mit Jan. Er wird euch dann auch alles Weitere zu euren Gegnern erklären. Für heute habe ich noch etwas vorbereitet und deshalb sollten wir jetzt alle unter die Dusche gehen und uns dann auf eine kleine Tour durch die Altstadt machen.“

„Kennst du dich hier aus?“, fragte Dustin.

„Nein, aber ich kenne jemanden, der sich hier auskennt und den werden wir gleich treffen. Also los, beeilt euch. Ich möchte pünktlich am Treffpunkt sein.“

Die Dusche war sehr erfrischend und entsprechend gut gelaunt machten wir drei uns auf den Weg nach unten. In der Lobby saß Claus bereits. Er hatte uns entdeckt und kam uns entgegen.

„Hi Chris, das ist ja echt eine Überraschung. Das sind deine Jungs?“

Dabei zeigte er auf meine drei Begleiter.

„Ja, das sind Maxi, Fynn und Dustin. Wir wollen ein wenig die Schweizer Tennisplätze unsicher machen. Und heute wollten wir uns von dir ein wenig deine Stadt zeigen lassen.“

„Ja, sehr schön. Dann lasst uns aufbrechen. Ich habe auch schon eine Idee. Du sagtest, ihr wollt noch zu Abend essen. Ich habe da eine Idee.“

Anschließend verließen wir das Hotel und Claus führte uns in die Altstadt von Basel. Sein Weg führte direkt zu einem kleinen, aber sehr urigen Lokal. So etwas hatte ich mir vorgestellt. Es waren auch einige Eidgenossen anwesend. Claus schien hier bekannt zu sein und wurde vom Wirt freundlich begrüßt. Wir bekamen eine Karte, aber Claus bat uns darum, für uns eine Spezialität des Hauses zu bestellen. Also gut, ließen wir uns einfach überraschen.

Getränke bekamen wir auch sofort und somit waren wir gut versorgt. Die Jungs schienen etwas unsicher zu sein, vor allem Dustin und Fynn waren sich nicht sicher, wie sie sich verhalten sollten. Claus fragte mich dann:

„Sag mal, schreibt der grisu eigentlich gerade an einer neuen Geschichte auf Nickstories?“

Ich musste schmunzeln. Jetzt war ich mal gespannt, wie die Jungs darauf reagieren würden.

„Ja, ich bin mittendrin. Allerdings werde ich wohl momentan wenig Zeit haben, weiter zu schreiben.“

Fynn hatte sofort geschaltet. Er schien Nickstories zu kennen und er schien grisu zu kennen.

„Du schreibst auf Nickstories? Das ist nicht dein Ernst. Was hast du denn schon für Geschichten geschrieben? Und woher kennst du Nickstories?“

Dustin schien erschrocken zu sein. Oder zumindest überrascht. Claus grinste und erklärte:

„Das ist einer der Autoren, die schon ganz tolle Geschichten geschrieben haben. Er hat „The race is on“ und „The race is over“ geschrieben. Nicht zu vergessen „Lucien“. Daher kennen wir uns übrigens auch.“

Völlige Sprachlosigkeit bei Dustin und Fynn. Maxi hatte natürlich keinen Schimmer wovon wir sprachen. Ich bat Claus, es kurz zu erklären. Danach schüttelte Fynn seinen Kopf und fragte:

„Du bist „cdwgrisu“? Das darf doch nicht wahr sein. Ich kenne die Geschichten und habe sie alle gelesen. Sie sind toll. Und ihr habt euch dort kennengelernt?“

Es war jetzt klar, die Jungs ahnten, was kommen würde. Sie trauten sich aber nicht, es auszusprechen. Sie blieben recht dezent in den weiteren Fragen, bis Claus Fynn fragte:

„Du bist also ein fleißiger Leser auf „Nickstories“, dann gehe ich davon aus, dass du einer von uns bist.“

Fynn verstand für einen Augenblick nicht, was Claus gemeint hatte, aber Maxi half aus.

„Ja, Dustin und Fynn sind ein Paar und dementsprechend schwul. Aber Chris, du bist auch schwul? Krass, damit hätte ich jetzt überhaupt nicht gerechnet.“

„Tja“, sagte ich, „ihr müsst ja auch nicht alles sofort wissen. Aber es stimmt, ich bin auch schwul. Und? Gibt es da für dich ein Problem?“

„Bestimmt nicht, ich bin nur total überrascht. Wow, wissen die in Halle davon?“

„Klar, Jan weiß Bescheid und auch Thorsten. Die anderen brauchen das noch nicht zu wissen. Also ihr wisst, was zu tun ist?“

Jetzt erst tauten Dustin und Fynn wieder auf und es wurde ein lustiger Abend.

Nachdem wir das geklärt hatten, bekamen wir Basler Geschnetzeltes mit Berner Rösti. Für unser Pärchen war es eine völlig neue Erfahrung, mit Gleichgesinnten zu sprechen. Immer wieder schüttelten sie ungläubig den Kopf.

„Sag mal Claus, wie weit ist das bis zu eurer Eisenbahnstrecke?“

„Ungefähr 2 Stunden mit dem Auto von hier. Ich würde mich riesig freuen, wenn wir das hinbekommen würden.“

„Hm, das ist ganz schön weit. Am Wochenende haben wir dafür eigentlich keine Zeit, aber vielleicht am Montag. Das ist abhängig von den Leistungen der Jungs. Was meint ihr? Habt ihr Lust, mal mit einer Dampflok durch die Berge zu fahren und dann auch noch mit einer Zahnraddampflok. Das ist ziemlich einzigartig.“

„Cool, auf jeden Fall, aber ich fürchte da wird dann wohl nichts draus …“

„Rede nicht weiter. Ich weiß, was ihr könnt, also warum solltet ihr nicht in das Hauptfeld kommen.“

Claus lachte sich kaputt, als er mitbekam, wie wir miteinander umgingen und uns gegenseitig aufzogen. Entsprechend lebendig wurde der ganze Abend. Leider mussten wir uns recht früh verabschieden. Ich hatte Claus noch Karten für das Turnier gegeben, so konnte er uns dort besuchen und wir hätten noch etwas Zeit uns zu unterhalten.

Fynn: Chris überrascht uns schon wieder

Zurück im Hotelzimmer lagen Dustin und ich noch eine ganze Weile wach im Bett und sprachen über den erlebten Abend.

„Irgendwie verstehe ich das noch nicht so wirklich. Hättest du damit gerechnet, dass Chris auch schwul ist und sogar Nickstories kennt? Ich bin immer noch total platt.“

„Ja, ich weiß auch noch nicht, was hier heute passiert ist, aber eines weiß ich mittlerweile. Chris ist auch weiterhin immer für eine Überraschung gut. Aber irgendwie finde ich das auch total cool. Vor wenigen Wochen haben wir noch nicht mal uns selbst gegenüber zugeben können, schwul zu sein und heute haben wir gleich zwei Leute kennengelernt, die auch schwul sind und einer davon ist unser Coach.“

Dustin kuschelte sich dabei ganz eng an mich heran und ich spürte eine große Nähe auch zu Chris. Chris hatte sich uns gegenüber offenbart, als unser Trainer. Er musste uns also vertrauen. Dieses Gefühl war neu für mich. Unser Trainer vertraute uns sehr private Dinge an und war sich sicher, dass wir vertraulich damit umgehen würden. Er hatte uns in sein Vertrauen gezogen. Mir wurde bewusst, wie nah wir uns gekommen sind. Einfach toll. Das Bild von Chris bekam bei mir ganz neue Züge. Er wurde noch menschlicher und noch mehr Freund und nicht nur Trainer.

„Chris ist echt ne coole Socke, oder?“

„Ja, Dustin. Wir sollten aber auch sein Vertrauen erwidern und entsprechend damit umgehen. Er hat es uns offenbart. Damit sollten wir sehr vorsichtig umgehen. Genau wie er mit uns umgegangen ist. Ich glaube, ich begreife erst jetzt ganz langsam, was eine richtige Freundschaft ausmacht. Nicht das alltägliche miteinander, sondern eine Verbindung, die immer da ist. Auch wenn man sich nicht ständig sieht. Für mich fühlt es sich ganz großartig an, dass wir das Vertrauen von ihm bekommen haben. Umso mehr werde ich versuchen, ihn nicht zu enttäuschen.“

Dustin hatte mir schweigend zugehört. Er schien zu überlegen.

„Schatz, ich weiß zwar, dass heute Abend etwas ganz Besonderes passiert ist, aber wir müssen morgen ein Turnier spielen. Ich möchte Chris jetzt nicht enttäuschen, weil wir uns noch bis in die Nacht über sein Vertrauen unterhalten haben. Lass uns schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.“

Mein Freund hatte natürlich recht, aber mir gingen einfach zu viele Gedanken durch den Kopf. Was hatte das alles zu bedeuten? Warum hat er uns das gerade hier offenbart? Oder war es einfach so, dass es sich ergeben hatte? Wie ich es auch drehte und wendete, ich fand keine Lösung.

Irgendwann schlief ich dann doch ein und wachte erst wieder am nächsten Morgen auf. Komischerweise hatte ich keine Albträume und war, obwohl ich einige Stunden weniger Schlaf hatte, ausgeruht und gut gelaunt. Dustin wunderte sich sofort über meine Morgenstimmung.

„Sag mal Schatz, hast du irgendwelche Pillen genommen? So gute Laune am frühen Morgen habe ich bei dir noch nicht oft erlebt.“

Ich musste lachen. Es stimmte, es war sieben Uhr an einem Samstag und ich hatte richtig gute Laune. Heute war mir einfach nicht nach nachdenken und langsam wach werden. Ich sprühte vor Spielfreude und Tatendrang.

„Nein, ganz bestimmt nicht, aber ich freue mich auf den Tag. Wir werden gleich unser erstes internationales Turnier spielen. Ich habe einfach Bock darauf. Außerdem haben wir gestern einen großen Freundschaftsbeweis von unserem Trainer bekommen. Ich fühle mich toll.“

Er schaute mich mit großen Augen an und schüttelte grinsend den Kopf. Ihm ging es genauso, denn ich konnte es an seinen Bewegungen erkennen. Er war genauso aufgedreht.

„Dustin, lass uns einfach den Tag genießen. Chris hat es uns doch auch gesagt. Wir sollen nicht so viel nachdenken, sondern einfach das machen, was wir besonders gut können. Tennis spielen und Freude daran haben.“

Ich musste ihn danach einfach küssen und so entwickelte sich ein leidenschaftlicher Kuss. Dies ließ uns gar nicht bemerken, dass Maxi bereits in unser Zimmer gekommen war. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er schon bei uns stand, als ich ihn bemerkte. Jedenfalls hatte er eine gesunde Gesichtsfarbe. Es schien ihm etwas unangenehm zu sein.

„Man, Maxi. Hast du mich erschreckt. Ich habe dich gar nicht bemerkt.“

„Naja, du warst ja auch abgelenkt.“

Dabei grinste er uns frech an. So schnell konnte er gar nicht reagieren, wie ich ihn mit einer Kitzelattacke belegt hatte und er lachend und japsend auf dem Bett lag. Dustin stand staunend daneben und konnte immer noch nicht glauben, dass ich am frühen Morgen schon so dynamisch war. Plötzlich hörten wir Chris Stimme.

„Wenn die kleinen Kinder jetzt aufhören würden, das halbe Hotel zu wecken und wir zum Frühstück gehen könnten, wäre ich sehr dankbar.“

Er hatte das mit einem Ton in der Stimme gesagt, dass ich für einen Augenblick nicht wusste, ob er das ernst gemeint hatte. Mein Gesicht musste jedenfalls entsprechend ausgesehen haben, denn Chris bekam einen Lachanfall und es dauerte doch einige Sekunden, bis wir uns wieder beruhigt hatten. Anschließend gingen wir zum Frühstück. Damit wir direkt zur Anlage fahren konnten, nahmen wir unsere Taschen bereits mit nach unten. Chris gab uns beim Frühstück noch letzte Instruktionen und dann war der Shuttle auch schon da. Wir mussten los.

Wir stiegen aus und staunten. Die Anlage war riesig und überall waren Sponsorenbanner oder Fahnen zu sehen. Es war noch sehr früh am Morgen und dennoch wuselten viele Menschen in einheitlichen Jacken über das Gelände. Mit einem mulmigen Gefühl machten wir die ersten Meter auf dem Gelände. Chris ging voraus und ein Mann kam auf Chris zu. Er begrüßte ihn und Chris drehte sich zu uns um.

„Los, Jungs. Kommt ran hier.“

„Guten Morgen“, begrüßte uns der Mann.

„Mein Name ist Hans Bühler und ich bin hier einer der Spielerbetreuer. Alle Leute mit einer roten Jacke sind Spielerbetreuer und ihr könnt für alle Fragen einen von uns ansprechen. Zum Turnierbüro geht es nach unten in den Keller vom Clubhaus. Dort bekommt ihr eure Plätze zugewiesen und alle Zeiten. Sollten noch weitere Fragen sein, kommt auf uns zu und wir werden uns bemühen, alles zu eurer Zufriedenheit zu lösen. Ansonsten wünsche ich euch viel Erfolg und viel Spaß bei uns in Basel.“

Das war für uns alles neu. Selbst bei unserem Turnier in Halle war das nicht so professionell organisiert. Gut, bei den Gerry Weber Open war das ähnlich. Aber das war ein großes ATP-Turnier. Für uns war das als Spieler neu. Entsprechend angespannt war ich auch, als uns Chris aufforderte:

„So Leute, einer von euch geht jetzt ins Turnierbüro und meldet uns an. Dort lasst ihr euch sagen, auf welchem Platz Jan trainieren wird. Ich werde in der Zeit bei der Turnierleitung vorbeigehen und eure Startzeiten erfragen.“

Turnierbüro und Turnierleitung waren hier getrennt? Das kannte ich so alles noch nicht. Aber Chris wusste mit Sicherheit, was richtig war. Also machten wir drei uns auf den Weg ins Turnierbüro. Wir kamen in einen Gang und dort waren überall Hinweisschilder. Zu den Umkleiden, zu den Toiletten und zum Turnierbüro. Also brauchten wir nicht zu suchen, sondern folgten den Schildern und kamen zielsicher dort an. Damit es in den Gängen nicht zu eng wurde, hatten wir unsere Taschen vorher auf dem Rasen abgestellt.

„Guten Morgen“, sagte ich zu den drei Personen hinter einem großen Tisch. Auf dem Tisch standen zwei Monitore und viele Papiere lagen herum. Hinter den Stühlen standen jede Menge Kartons und Kisten.

„Grüezi“, sagte Frau Wyler. Sie hatte ein Schild mit ihrem Namen auf ihrer Jacke.

„Wir möchten uns hier zur Qualifikation anmelden.“

Sie lächelte und erwiderte: „Sehr schön. Sagt ihr mir bitte eure Namen. Dann können wir das abhaken und ihr bekommt alle eure Ausweise.“

Ausweise? Was für Ausweise dachte ich. Maxi gab ihr unsere Namen und sie fragte dann noch nach Chris.

„Ja, das ist unser Coach. Wir wussten nicht, dass wir den auch anmelden müssen. Entschuldigung.“

Sie lachte aber und dann bekamen wir jeder einen Plastikausweis an einem Band. Dort war unser Bild mit Namen eingeschweißt. Wir bekamen rote Bänder und Chris ein blaues. Ich nahm seinen Ausweis entgegen und steckte ihn in die Tasche. Dann bekamen wir noch eine Tasche mit einigen nützlichen Dingen. Das Wichtigste war aber, dass wir gesagt bekamen, mit unseren Ausweisen würden wir überall hinkommen und auch das Catering nutzen. Also sollten wir den immer bei uns haben und am besten um den Hals tragen. Jeder von uns bekam noch eine Dose mit Bällen. Damit konnten wir auf den Trainingscourts spielen. Es waren die gleichen Bälle, die auch beim Turnier gespielt wurden. Das ganze dauerte einige Minuten, aber wir wurden wirklich sehr freundlich behandelt. Das ganze imponierte mir schon sehr. Allerdings stieg auch meine Aufregung deutlich an. So langsam kam Turnieratmosphäre auf.

Als nächstes suchten wir die Umkleiden auf und zogen uns um. Bevor wir alle bereit waren, kam Chris schon in die Umkleide. Ich gab ihm seinen Ausweis und erklärte ihm, was wir für Informationen bekommen hatten. Er klärte uns über den weiteren Ablauf auf und anschließend gingen wir gemeinsam in Richtung Trainingsplätze. Bevor wir diese allerdings betreten konnten, wurden unsere Ausweise von einer Security kontrolliert. Kein Zuschauer hatte Zutritt zu diesem Bereich. Hier waren Spieler und Trainer unter sich. Das gefiel mir sehr gut. Da wir ja auch keine Freunde oder Familie dabei hatten, war das auch kein Problem.

Chris führte uns zielsicher zu unserem Platz und Jan begrüßte uns freundlich. Gilles und Andrej spielten sich bereits warm und das sah schon ganz anders aus als bei uns.

„Guten Morgen zusammen. Seid ihr fit? Gut, dann verteilt euch mal auf dem Platz. Lockeres einschlagen ist angesagt.“

Meine Nervosität stieg immer weiter an. Wir sollten mit Gilles und Andrej gemeinsam auf dem Platz sein. Das war schon etwas Besonderes für mich. Jan unterhielt sich währenddessen mit Chris und nach zehn Minuten unterbrach Jan unser Spiel.

„So, kommt ihr alle bitte einmal zusammen.“

Dustin schaute mich immer wieder fragend an und auch mir wurde immer mehr bewusst, es wurde ernst mit dem ersten Profiturnier.

„Bevor wir weiter trainieren, möchte ich kurz etwas erklären. Heute Nachmittag wird es so sein, dass ihr alle parallel spielen müsst. Das heißt, Chris kann nur einen von euch betreuen. Wir haben uns deshalb folgendes überlegt. Chris wird bei Fynn bleiben und ich werde Maxi betreuen. Für Dustin habe ich natürlich auch jemanden. Das wird Gilles übernehmen. Deshalb möchte ich, dass Dustin mit Gilles auf den Nebenplatz geht. Ihr sollt euch dort noch besser kennenlernen. Wir bleiben hier und machen unser Programm. Sollten Fragen sein, kommt bitte zu uns. Wir, also Chris und ich werden für euch immer ansprechbar sein. Auch Gilles und Andrej werden sicher eure Fragen beantworten. Also habt Spaß und lasst uns anfangen.“

Dustin wurde sogar ein bisschen blass, als Jan gesagt hatte, dass Gilles ihn betreuen würde und er jetzt mit Gilles auf den Platz gehen sollte. Für mich war es sehr beruhigend zu wissen, dass Chris mich begleiten würde. Es war also eine bekannte Situation. Wir spielten noch eine gute Stunde und dann brachen Jan und Chris das Training ab. Jan holte uns erneut ans Netz.

„So, für Fynn, Dustin und Maxi ist es genug für heute. Ihr müsst ja nachher noch ein Match spielen. Gilles und Andrej werden mit mir noch weiter trainieren. Wenn ihr möchtet, könnt ihr gern hierbleiben. Aber zieht euch trockene Sachen an. Um zwölf ist gemeinsames Mittagessen angesetzt. Bis dahin könnt ihr euch frei bewegen. Habt ihr noch Fragen?“

Wir schauten uns an, aber eigentlich war alles geklärt. Ich wollte unbedingt einmal über die ganze Anlage laufen und mir einen Gesamteindruck verschaffen. Vielleicht würde ich ja auch den ein oder anderen berühmten Spieler sehen.

„Kommst du mit? Ich möchte mir die ganze Sache mal ansehen.“

Dustin lächelte mich an und ohne, dass er etwas sagen musste, wusste ich, er würde mich begleiten. Chris blieb noch bei Jan zurück. Wir sagten kurz Bescheid und machten uns auf den Weg.

Es war sehr beeindruckend, was hier alles aufgebaut wurde. Teilweise waren schon die Tribünen aufgebaut, aber es wurde auch noch viel gearbeitet. Das richtige Turnier begann ja erst am Dienstag. Auch viele verschiedene Sprachen waren zu vernehmen. Gängige Sprache war eigentlich immer Englisch. Also das hatte ich mittlerweile gelernt.

„Weißt du eigentlich, ob ich mich mit Gilles vor meinem Spiel noch einmal zusammensetzen muss? Vorhin meinte er nur, dass ich einen Linkshänder als Gegner hätte und er sehr offensiv spielen würde. Ich sollte ruhig bleiben und immer wieder sein Spiel zerstören. Mehr hat er mir nicht gesagt.“

„Also ich bin mir sicher, sollte er noch etwas mit dir besprechen wollen, würde er dir das gesagt haben. Chris ist ja auch noch da. Er kommt bestimmt noch vorher zu uns. Spätestens beim Essen.“

„Ach ja, das haben wir ja auch noch. Ich hatte das schon wieder vergessen. Wie gut, dass ich dich als mein Gedächtnis habe.“

Danach mussten wir beide lachen. Die Anlage war wirklich groß. Ich musste mich konzentrieren, um nicht den Überblick zu verlieren. Nach einer Viertelstunde liefen wir dann doch wieder zurück zu den Trainingsplätzen. Nach der erneuten Kontrolle unserer Ausweise setzten wir uns wieder an den Platz von Gilles und Andrej. Chris saß auch auf der Bank am Platz. Als er uns sah, gesellte er sich zu uns.

„Na, wie ist eure Stimmung? Sehr nervös?“

„Es geht. Ich befürchte, das wird erst noch kommen. Irgendwie bin ich über die Größe erstaunt. So viele Leute, die hier jetzt schon arbeiten und vorbereiten. Sind eigentlich die ganz großen Spieler wie Federer auch schon hier?“

„Also Roger ist bestimmt schon in Basel. Er hat hier ja sein Elternhaus. Also von daher kann das gut sein, dass er auch zum Training kommt. Warum fragst du?“

Es war mir fast ein wenig unangenehm, aber ich mochte Roger. Er war immer freundlich und nett. In Halle hatte ich mal Gelegenheit, ihn bei den Gerry-Weber-Open zu sehen. Bevor ich in das Team gewechselt bin.

„Ich mag ihn. Er macht immer einen netten Eindruck. Er hat mir mal bei den Gerry-Weber-Open ein Autogramm gegeben. Das war echt cool. Dass ich heute mal mit ihm bei einem Turnier sein würde, hätte ich mir damals nicht träumen lassen.“

Chris lachte.

„Naja, ganz so weit ist es ja noch nicht. Ihr seid noch nicht im gleichen Turnier. Aber das kann ja noch werden.“

Chris: Die Jungs schlagen sich großartig

Als Fynn die Bewunderung für Roger Federer durchblicken ließ, spürte ich, dass Fynn noch nicht ganz angekommen war. Er sah sich noch nicht als Spieler. Gut, das war eigentlich auch zu erwarten, aber es zeigte mir, dass ich noch einen Weg vor mir hatte, ihnen zu vermitteln, dass sie bereits sehr gute Nachwuchsspieler sind.

In diesem Moment meldete sich mein Handy. Ich wunderte mich ein wenig, aber als ich die Nummer im Display sah, freute ich mich doch. Es war Fynns Mutter.

„Hallo Frau Grehl, wie geht es Ihnen?“

„Danke, es geht uns sehr gut. Wir sind gerade am Flughafen angekommen und wollten fragen, ob wir erst in unser Hotel fahren können oder Fynn schon spielen muss.“

Fynn war natürlich sofort hellwach, als er gehört hatte, dass seine Mutter mich anrief. Ich musste mir schnell etwas überlegen. Glücklicherweise kam Dustin und hatte wohl einen anderen bekannten Spieler entdeckt und zog Fynn mit sich.

Ich ging ein paar Schritte in die andere Richtung und konnte jetzt in Ruhe mit ihr weiter sprechen.

„Nein, die Jungs spielen erst heute Nachmittag. Fahren Sie ruhig ins Hotel und ich schicke ihnen gleich die Adresse der Anlage. Sie sind zu dritt, richtig?“

„Ja, genau.“

„Gut, wenn sie am Eingang sind, melden Sie sich bitte. Dann hole ich Sie dort ab oder lasse Sie dort abholen. Alles Weitere besprechen wir dann hier. Fynn weiß noch nichts und soll auch erst nach dem Spiel davon wissen. Er würde sich nur noch mehr Stress machen.“

„Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich hoffe nur, Patrick kann sich dort benehmen und wird nicht versuchen, Fynn zu stören.“

„Ja, das wäre schon wichtig, wenn Sie dafür sorgen würden, denn diese zusätzliche Belastung kann Fynn überhaupt nicht gebrauchen. Er soll sich nur auf sein Match konzentrieren. Danach wird genug Zeit bleiben, dass Sie sich mit ihm treffen können.“

„Natürlich, das haben wir ja schon gewusst, dass er wenig Zeit haben würde. Dennoch ist gerade sein Vater sehr gespannt und freut sich auf das Treffen.“

„Gut, Sie melden sich, wenn Sie hier sind und dann schauen wir, wie es weitergehen wird.“

Ich steckte das Handy ein und ging zum Turnierbüro. Eintrittskarten brauchte ich heute noch nicht, denn für die Qualifikation gab es freien Eintritt, aber die Familie sollte in alle Bereiche hinein dürfen. Dafür brauchte ich Ausweise. Ich betrat das Büro, in dem mittlerweile deutlich mehr Betrieb herrschte, als heute Morgen.

„Hallo, was kann ich für Sie tun?“, fragte mich eine Frau Wyler. Jeder hier trug ein Namensschild.

„Hallo Frau Wyler, ich habe ein Problem. Ich erwarte nachher die Familie eines meiner Spieler. Dafür bräuchte ich noch drei zusätzliche Coaching-Pässe, damit sie uns überall hin begleiten können.“

Sie fragte mich nach meinem Namen und schaute in ihrem Computer nach.

„Ich sehe, Sie haben noch keinerlei zusätzliche Karten erhalten. Das sollte kein Problem sein. Wir brauchen nur die Namen und Daten der drei Personen.“

Ich gab ihr die Daten und sie versprach mir, sich darum zu kümmern, dass die Ausweise rechtzeitig fertig sein würden. Ich sollte um zwei noch einmal vorbeikommen.

Als ich wieder nach draußen kam, war deutlich mehr Betrieb auf der Anlage. Es wurde voller. Mir gingen einige Gedanken durch den Kopf, die mit Tennis nicht viel zu tun hatten. Ich hatte mich gestern vor den Jungs geoutet und hatte noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt, mit ihnen darüber zu sprechen. Vielleicht hätte ich das doch besser in Halle tun sollen. Mal schauen, hoffentlich würde es sie nicht zu sehr beschäftigen.

„Hi Chris.“

Das holte mich wieder in die Realität zurück. Ich drehte mich um und Jan stand vor mir. „Na, wie geht es deinen Jungs? Sind sie sehr nervös?“

„Ja, ich denke schon. So richtig schwierig wird das wohl erst nach dem Essen. Jetzt sind sie noch eher Zuschauer und sind von den äußeren Umständen beeindruckt. Sie sind noch nicht im Spielermodus.“

Jetzt mussten wir beide schmunzeln.

„Ja, das kenne ich noch von früher. Das ist halt am Anfang so. Wie geht es dir dabei? Ist ja für dich als Coach auch dein erstes Profiturnier.“

„Eigentlich nicht anders als bei anderen Turnieren auch. Aber ich habe da noch eine Bitte. Ich habe den Jungs gestern mitgeteilt, dass ich auch schwul bin. Ich möchte das aber heute beim Essen nicht weiter zum Thema machen. Nur, dass du informiert bist, sie wissen es jetzt.“

„Cool, du hast das sicher gut überlegt. Ich finde es schön, dass du ihnen das anvertraust. Euer Verhältnis ist schon sehr eng geworden und ich glaube, dass es dazu gehört. Ich wünsche dir, dass sie damit gut umgehen werden. Vor allem, wenn du zurück in Halle bist. Ich nehme an, du hast es nur den drei Jungs gesagt.“

„Richtig, die anderen müssen das noch nicht wissen.“

„Bevor ich das vergesse, unsere Pläne haben sich ein wenig geändert. Wir werden eine halbe Stunde später essen. Wir bekommen noch einen Gast und der bringt seine Kinder mit. Deshalb verzögert sich das ein wenig. Ich denke aber, dass sollte für deine Jungs kein Problem werden. Sie haben noch genug Zeit vor ihrem Spiel.“

„Gut, ich gebe das an die Jungs weiter. Gilles und Andrej sind fit? Und wie sind so die Aussichten?“

„Ja, beide sind fit und haben gut trainiert. Die Auslosung ist ok und von daher sollte einiges möglich sein. Genau wie für deine Jungs. Ich glaube, dass sie die zweite Runde erreichen können. Dann schauen wir, wie weit es noch geht.“

Danach musste er wieder weiter und ich suchte meine Jungs. Sie saßen bei den Trainingsplätzen und schauten den Profis zu. Erst jetzt bemerkte ich den Sinn unserer auffälligen Jacken. Ich mochte dieses Neon-grün eigentlich gar nicht, aber es hatte den großen Vorteil, man konnte unsere Leute sofort herausfinden. So konnte ich schnell bei ihnen sein und musste nicht lange suchen. Ich setzte mich zu ihnen an den Platz.

„Es gibt eine kleine Zeitenänderung. Das Essen verschiebt sich um eine halbe Stunde. Jan hat noch einen Gast mit Familie und die kommen etwas später. Macht aber nichts, weil ihr genug Zeit habt.“

„Passt gut. Dann können wir hier noch etwas mehr gucken. Das ist schon heftig, wie hart die Profis hier beim Turnier noch arbeiten. Ich habe gedacht, beim Turnier ist das alles etwas ruhiger.“

„Ist es auch, Dustin. Die Jungs hier spielen ja erst ab Dienstag. Da trainieren sie heute und morgen noch richtig.“

Wir redeten noch über die Beobachtungen, die sie gemacht hatten und ihre Eindrücke, bis Fynn plötzlich fragte:

„Was wollte eigentlich Mama von dir?“

„Sie hat sich nach dir erkundigt und wollte dich nicht stören. Deshalb hat sie mich angerufen. Das hatte ich mit ihr so vereinbart.“

„Ah ok, du denkst ja mit.“

Dabei grinste er mich frech an. Das war für mich eine Einladung zu kontern.

„Irgendwer muss ja hier das Denken übernehmen. Ihr habt ja nur Filzkugeln und euch selbst im Kopf.“

Das führte sofort zu Heiterkeit und weiteren Albereien. Leider wurde es auch etwas lauter und das führte zu Störungen im Trainingsbetrieb. Wir bekamen einen bösen Blick von einem der anderen Trainer.

Nun gut, ich fand das etwas überzogen, immerhin war es doch nur Training. Meine Jungs nahmen sich zurück und es kam doch noch ein ernstes Thema auf.

„Hattest du dir das eigentlich genau überlegt, uns mit Claus mitzuteilen, dass du auch schwul bist?“

Maxi schaute mich dabei genau an. Fynn und Dustin war das sichtlich unangenehm. Dustin meinte sogar: „Maxi, warum ist das wichtig? Er hat es uns halt gesagt, das zählt doch. Dass er das Vertrauen in uns hat, dass wir damit gut umgehen.“

„Bleib locker, Dustin. Er hat mich gefragt, also möchte ich auch dazu antworten, ok?“

Jetzt merkte Dustin, dass seine Reaktion wohl doch etwas überzogen war. Er lehnte sich wieder zurück und beruhigte sich wieder.

„Ja, ich habe es mir vorher lange überlegt. Es bot sich jetzt einfach an. Wir haben uns über die Wochen so angenähert, dass ich davon überzeugt bin, dass ihr das wissen solltet. Ihr habt mir schon so viele Dinge anvertraut, da ist es nur fair, wenn ihr auch etwas mehr von mir erfahrt. Außerdem bin ich mir bei euch recht sicher, dass ihr es nicht herum erzählen werdet.“

Die Zeit lief nur so und durch die vielen bekannten Spieler, die mittlerweile auf den Trainingscourts waren, hatten die Jungs auch viel zu gucken. Ich musste sie förmlich zum Essen bewegen. Allerdings hatte ich auch auf den Zeitplan zu achten. Es half nichts, wir mussten aufbrechen.

Im Clubhaus setzten wir uns in den abgesperrten Spielerbereich. Dort hatten nur Spieler und Trainer Zutritt. Nur ausgewählte Personen durften zusätzlich dort hinein. Jan hatte bereits mit Gilles und Andrej Platz genommen und wir gesellten uns zu ihnen. Wir saßen an einem langen Tisch und es blieben einige Plätze frei.

„Hi“, begrüßte uns Jan.

„Habt ihr Hunger? Ich habe für uns die große Pasta-Zusammenstellung bestellt und verschiedene Salate. Ist das in Ordnung? Außerdem kommt gleich noch jemand hinzu. Also dauert noch etwas.“

Erstaunlicherweise blieben meine Jungs sehr still. Sie schienen doch von Gilles und Andrej beeindruckt zu sein. Glücklicherweise fing Gilles mit Dustin ein Gespräch an. Er sprach mit ihm über seinen Gegner und dadurch entspannte sich die Situation doch recht schnell. Als es plötzlich unruhig im Nebenraum wurde, schauten wir uns an. Jan grinste. Irgendwas wusste er bereits, was wir nicht wussten. Die Tür ging auf und ein Zwillingsbuggy wurde in den Raum geschoben. Außerdem rannten zwei weitere Zwillinge in den Raum. Ich hatte eine Ahnung, wer hier gleich den Raum betreten würde. Zuerst kam Mirca und dann tauchte er auch auf. Roger Federer mit seiner ganzen Familie betrat den Raum. Er grüßte allgemein in den Raum und meine Jungs waren wie vom Blitz getroffen. Sie erstarrten förmlich. Das, was aber nun kam, überraschte selbst mich noch. Mirca kam mit den Kindern zielstrebig an unseren Tisch und begrüßte Jan, Gilles und Andrej. Sie schaute zu mir und erkannte mich auch. Sie gab mir die Hand und das gleiche tat Roger. Sie setzten sich zu uns an den Tisch, als ob es überhaupt nichts Außergewöhnliches wäre.

Gut, für mich waren sie keine Superstars, sondern fast schon Freunde geworden. Ich hatte sie bereits mehrfach bei den Gerry-Weber-Open getroffen und auch den Fahrdienst übernommen. Aber für Dustin, Maxi und Fynn war Roger ein Superstar und ein Idol. Hoffentlich würden sie schnell merken, dass er ein netter und guter Spieler ist. Mehr nicht.

So wie ich es erwartet hatte, begrüßte er auch meine Jungs per Handschlag, bevor er sich an den Tisch setzte. Sehr schnell entwickelte sich ein lockeres Gespräch. Allerdings nicht über Tennis oder das Turnier. Nur über persönliche Dinge und was die Kinder so machen. Es war wirklich sehr angenehm. Allerdings fiel es meinen Jungs sehr schwer, an dem Gespräch teilzunehmen. Sie hatten einfach zu großen Respekt vor Roger. Allerdings hatte er dafür auch ein gutes Gespür und fing bald ein Gespräch mit Fynn an. Er unterhielt sich über die Entwicklung von ihm und wie sie hier hergekommen sind. So tauten die Jungs doch recht schnell auf und es wurde eine lustige Unterhaltung. Als unser Essen kam, wurde es ruhiger am Tisch. Die Kinder von Roger waren sehr lebendig. Mirca hatte das aber voll im Griff und als der Nachtisch kam, fragte Roger Maxi: „Habt ihr schon trainiert? Und wann müsst ihr spielen?“

Maxi wurde fast rot, als er antwortete: „Äh, ja. Heute früh haben wir uns an die Plätze gewöhnt und nachher spielen wir die erste Runde in der Qualifikation. Mal schauen, was da so passiert.“

Roger grinste und erwiderte: „Ich kann dir sagen, was dort passieren wird. Ihr werdet die Bälle ins Feld schlagen und versuchen zu gewinnen.“

Jan und ich schauten uns an und mussten fürchterlich lachen. Das war so typisch für Roger. Er hatte immer einen guten Text auf Lager und konnte damit die Distanz der Jungs überbrücken. Jetzt wurde es deutlich, welchen Vorteil es hatte, dass hier keine Zuschauer hereinkommen konnten. Wir blieben unter uns. Fynn wurde bald auch lockerer und er fragte Roger: „Wann musst du denn spielen? Du hast doch bestimmt die erste Runde Freilos, oder?“

Er war an Position eins gesetzt und natürlich hatte er ein Freilos.

„Ja, ich muss erst am Mittwoch mein erstes Match spielen. Bis dahin werde ich noch trainieren. Ich habe gesehen, dass Maxi gegen einen Schweizer spielen muss. Das könnte ein gutes Match werden.“

Wir sprachen immer lockerer miteinander und meine Jungs redeten wieder so normal wie immer. Sie hatten sich an Roger gewöhnt und sahen ihn als netten Kollegen und nicht mehr als Superstar. Das tat ihnen richtig gut. Roger gab ihnen noch einige Hinweise und erst, als er sich mit Jan verabschiedete und wir allein zurückblieben, wurde ihnen klar, was gerade stattgefunden hatte.

„Du kanntest Roger bereits? Das wussten wir ja noch gar nicht. Wow, das war echt cool gerade.“

Ich erzählte ihnen, wie ich Roger kennengelernt hatte und lobte sie für ihr normales Verhalten. Jetzt begann aber die Vorbereitung auf die ersten Matches. Es war noch etwa eine Stunde, bis sie auf den Platz mussten. So genau konnte man das auch nicht sagen, da Spiele manchmal länger dauerten. Ich erkundigte mich über die Spielstände der vorangehenden Spiele und konnte so abschätzen, wann es soweit sein würde. Eine Stunde schien realistisch.

Also schickte ich die Jungs zum Einschlagen auf die extra dafür vorgesehenen Plätze. Dort sollten wir uns noch einmal sammeln und ich gab ihnen die letzten Instruktionen. Gilles kam pünktlich zu uns und kümmerte sich um Dustin. Jan war mit Maxi beschäftigt und ich stand mit Fynn auf einer Seite des Platzes. Die Anspannung stieg jetzt doch mit jeder Minute. Hinzu kam noch der Besuch von Fynns Familie. Die war ausgerechnet jetzt angekommen und stand vor der Anlage. Also machte ich mich unter einem Vorwand auf den Weg dorthin und begrüßte die drei Gäste.

„Hallo zusammen. Es tut mir leid, dass ich nur wenig Zeit habe, Sie zu begrüßen. Ich habe hier drei Pässe, mit denen kommen Sie überall hin. Tun Sie mir aber bitte den Gefallen und halten Sie sich im Hintergrund. Fynn geht jeden Moment auf Platz 10 zu seinem ersten Match. Er soll, wenn möglich, noch nicht sofort sehen, dass Sie da sind. Ich bin gerade etwas im Stress und muss sofort wieder zu Fynn, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Wir sehen uns dann später wieder.“

Glücklicherweise hatten sie großes Verständnis für die Situation und so konnte ich schnell wieder zurück zu Fynn.

Für mich war es eine große Entlastung, dass ich mich nur um Fynn auf dem Platz kümmern musste. Ich hatte mich schon oft gefragt, wie Jan das mit zwei oder drei Profis gleichzeitig hinbekam. Dann ging es los. Der Oberschiedsrichter schickte uns los. Wir gingen gemeinsam zu seinem Platz. Dustin war bereits mit Gilles verschwunden und Maxi war noch bei uns. Er musste noch ein paar Minuten länger warten.

„Denk dran, du sollst hier keine Wundertaten zeigen. Spiel das, was du kannst und genieße diese Atmosphäre. Ich weiß auch, das ist einfacher gesagt als getan, aber versuche es einfach. Du kannst gutes Tennis spielen und zeig deinem Gegner, dass du nicht schon aufgegeben hast.“

Fynn nickte nur stumm. Er war bereits im Tunnel, wie wir das nannten. Deshalb ließ ich ihn auch in Ruhe und begleitete ihn zum Platz. Wie vereinbart stellte ich mich an meine Position. Ich ließ meinen Blick über den Platz schweifen und fand Fynns Familie sehr schön versteckt am Rande stehen. Dort würde er sie mit Sicherheit nicht sofort erkennen. Er rechnete ja auch nicht mit ihnen. Von daher sollte das kein Problem werden.

Es ging also los. Das erste Profiturnier begann auch auf dem Platz. Die ersten Spiele waren von großer Nervosität geprägt. Glücklicherweise war Fynns Gegner nicht viel älter und daher auch nicht mit mehr Erfahrung ausgestattet. Beide begannen mit vielen unnötigen Fehlern. Das bedeutete aber auch, dass Fynn mit seinem guten Aufschlag mithalten konnte und es 2:2 stand. Sein Gegner schlug auf und Fynn spielte zwei Returns direkt ins Netz. Es kam überhaupt kein Spiel zustande. Er begann sich aufzuregen und das wollte ich eigentlich verhindern. Hier brach sein Temperament durch. Er war unzufrieden. Bei 40:0 machte er einen wunderschönen Punkt, indem er seinen Gegner am Netz passierte. Ich rief spontan auf den Platz:

„Ja, los. Plan A nicht vergessen.“

Er zuckte zusammen. Es ging ein Ruck durch seinen ganzen Körper und er schaute wieder zu mir. Da wusste ich, er hatte es begriffen. Wie ausgewechselt spielte er jetzt und reduzierte seine Fehlerquote. Allerdings machte er auch weniger eigene Punkte und die Ballwechsel wurden deutlich länger. Das kostete viel Kraft, aber er wurde immer selbstbewusster, weil sein Gegner konnte sich nicht deutlich absetzen, im Gegenteil. Fynn führte plötzlich bei 5:4 mit einem Break und hatte tatsächlich die Chance mit seinem Aufschlag den Satz zu gewinnen. Das konnte ich gar nicht glauben. Er spielte bis zu diesem Punkt wirklich gut und vor allem ruhig. Allerdings wurde der Druck jetzt auch noch größer. Entsprechend nervös und zögerlich spielte er plötzlich. Es stand 0:30. Er fing erneut an zu zweifeln und da musste ich eingreifen. Auch wenn es sicher am Rand der Regeln war. Ich rief erneut nur „Plan A“ hinein und es klappte erneut. Fynn gewann tatsächlich den ersten Satz mit 6:4. Damit hatte ich nicht gerechnet, vor allem nicht mit seiner mentalen Leistung. Jetzt gab es eine Satzpause und ich konnte mit ihm an der Bank sprechen. Das war auch nur bei den Challengerturnieren erlaubt. Es war ein Versuch der ATP, ob es sich durchsetzen würde, musste man abwarten.

„Hey, Großer. Gutes Match. Wie fühlst du dich?“

„Fertig. Ich bin schon total platt. Das ist viel anstrengender, als bei den Junioren.“

Ich musste grinsen.

„Jetzt weißt du, warum wir so viel Wert auf Fitness legen. Sonst wärst du schon lange fertig mit dem Match und auf dem Heimweg.“

Er lachte und gab mir fünf. Das lenkte für einen Moment ab und seine Anspannung löste sich. Das nutzte ich, um ihm ganz kurz neue Anweisungen zu geben. Er sollte jetzt mutiger spielen und weiter fokussiert auf seine Chance warten.

Auf dem Rückweg zu meiner alten Position ging mir einiges durch den Kopf. Jan hatte recht behalten. Fynn war spielerisch absolut in der Lage mitzuhalten. Ob der Kopf auch schon so weit war, würde sich jetzt zeigen.

Unglücklicherweise tauchte Patrick jetzt doch bei mir auf. Er konnte es wohl bei seinen Eltern nicht mehr aushalten. Seine Aufregung war mindestens so groß, wie die von Fynn.

„Patrick, was willst du denn hier? Das hilft deinem Bruder überhaupt nicht.“

Bevor er antworten konnte, zog ich ihn von meiner Position weg und wir gingen um die Ecke.

„Man, Chris, ich halte das da hinten nicht mehr aus. Meine Eltern haben keine Ahnung vom Spiel. Sie denken nur, dass Fynn einen weiteren Sieg erreichen kann. Dass es für ihn eine kleine Sensation ist, scheint ihnen gar nicht klar zu sein. Ich bin so aufgeregt. Vielleicht kann er ja doch ins Hauptfeld kommen. Lennart hatte beim Training gesagt, dass er Fynn das noch nicht zutrauen würde.“

Ich konnte ihm eigentlich nicht böse sein. Er fieberte für seinen Bruder mit und ich beschloss ihn bei mir zu lassen.

„Komm, wir müssen wieder an den Platz. Wenn du ruhig bist, kannst du bei mir bleiben.“

Patrick freute sich wie ein Schneekönig und tatsächlich blieb er während des zweiten Satzes ruhig neben mir stehen. Beim Spielstand von 4:2 für Fynn wurde es noch einmal sehr eng. Er hatte einen Durchhänger, wie er immer vorkommen konnte in einem langen Match. Ich feuerte ihn immer weiter an und beruhigte ihn gleichzeitig. Plötzlich schaute er zu mir und bekam große Augen. Er hatte seinen Bruder erkannt und zeigte fragend auf ihn. Kopfschüttelnd spielte er weiter und erstaunlicherweise noch viel besser als zuvor. Er gewann sein erstes Match in einem Profiturnier in zwei Sätzen. Nach dem Matchball war Patrick nicht mehr zu halten. Er lief direkt auf den Platz und umarmte seinen großen Bruder. Seine Eltern blieben noch etwas im Hintergrund und warteten auf ein Zeichen von mir. Erst wollte ich selbst gratulieren.

„Hey, Glückwunsch. Das war ein großartiges Match.“

Dabei klopfte ich ihm anerkennend auf die Schulter. Er blickte zu mir und dann brach es aus ihm heraus. Er sprang auf und umarmte mich stürmisch. Die Freude war sehr groß, auch bei mir. Als er seine Eltern hinter mir erkannte, blieb er wie gebannt stehen.

„Mama, Papa? Ihr seid tatsächlich hergekommen? Meinetwegen?“

„Ja, deinetwegen. Dein Vater hatte nur an diesem Wochenende Urlaub von der Klinik bekommen. Er wollte dich aber unbedingt besuchen, also haben wir Chris gefragt, ob wir das machen könnten.“

„Du hast das gewusst und mir nichts gesagt?“

Dabei grinste er mich fies an. Da wusste ich, es war die richtige Entscheidung.

„Ja, sonst wärst du doch schon vorher den Herztod gestorben.“

Das führte bei allen zu großer Heiterkeit und die Stimmung war sehr gelöst. Viel besser, als ich gedacht hatte. Mal abwarten, wie sich das zeigen würde, wenn das Adrenalin aus Fynns Körper heraus war.

„Los, du musst das Ergebnis bei der Turnierleitung bekannt geben und dir deine neue Spielzeit für morgen abholen.“

„Ja, ja. Alter Antreiber, ich geh ja schon. Dafür besorgst du mir den Spielstand von Dustin und Maxi.“

Fynns Vater blieb noch einen Moment bei mir stehen, während die anderen Fynn begleiten wollten.

„Gehen Sie ruhig mit ihm mit. Ich glaube, er freut sich wirklich, dass Sie gekommen sind.“

„Wirklich? Es belastet ihn nicht zu sehr?“

„Nein, momentan nicht. Reden Sie vielleicht nicht unbedingt über ihre Situation, es sei denn er fragt danach. Ansonsten nähern Sie sich ihm weiter an. Ich gehe zu Dustin. Wenn was sein sollte, ich bin dort am Platz.“

„Vielen Dank und bis gleich.“

Wir trennten uns und ich bemerkte die enorme Veränderung bei Fynns Vater. Was dieser verdammte Alkohol doch anrichten konnte. Umso schöner war diese positive Entwicklung.

Ich kam an Dustins Platz und Gilles kommunizierte mit ihm sehr gut, wie ich feststellen konnte. Innerhalb weniger Ballwechsel wurde mir klar, Dustin machte ein gutes Spiel. Dennoch lag er zurück. Gilles erklärte mir den Spielverlauf und ich verließ den Platz wieder, um zu Maxi zu gehen. Gilles freute sich sichtlich über den Sieg von Fynn und er wollte Dustin die Information auch gleich weitergeben.

Bei Maxi sah es noch besser aus als bei Fynn. Er musste gegen die Nummer 4 der Setzliste spielen und hatte auf dem Papier eigentlich kaum Chancen. Dennoch schlug er sich sehr gut und spielte befreit auf. Jan und ich standen gemeinsam am Zaun und waren uns einig.

„Maxi spielt ein richtig gutes Match. Er denkt nicht viel über die Situation nach. Er spielt das Match und den Gegner. Das gefällt mir sehr gut. Ich bin beeindruckt.“

Das hatte ich noch nicht oft von meinem Bruder gehört. Sollte das etwa auch ein Lob an mich sein?

„Maxi ist am weitesten, was den Kopf betrifft. Er hat auch die meiste Erfahrung von den dreien. Allerdings hatte ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass er dieses Match so gut spielen würde. Vielleicht kann er sogar gewinnen.“

„Ich sage dir, sollte er das durchhalten, wird er im dritten Satz gewinnen. Er ist stärker im Kopf als der Gegner.“

„Vielleicht. Dein Wort in Gottes Gehörgang.“

Er lachte und sagte: „Du hast die Jungs toll vorangebracht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie in so kurzer Zeit schon so weit sein würden. Respekt. Wir müssen uns in der nächsten Zeit über die weitere Förderung Gedanken machen. Maxi und Fynn haben auf jeden Fall das Zeug zu größeren Leistungen. Bei Dustin bin ich mir noch nicht so sicher. Schauen wir mal.“

Mein Bruder sagte immer knallhart, was Fakten betraf. Jedenfalls wurde das Match von Maxi genauso spannend wie Jan es vorausgesagt hatte. Wir standen mittlerweile mit allen Leuten bei ihm am Platz. Dustin hatte sein Match leider verloren, aber Gilles war zufrieden mit der Leistung. Natürlich waren Fynn und seine Familie genauso zu uns gekommen, wie Dustin. Wir feuerten Maxi immer wieder lautstark an und so konnte er tatsächlich einen kleinen Vorteil im dritten Satz erkämpfen.

Dustin schien nicht besonders enttäuscht über die Niederlage zu sein. Er lachte wieder und war mit Fynn ein Herz und eine Seele. Sie versteckten sich auch nicht auf der Anlage. Das gefiel mir sehr gut. Das lag aber sicher auch an der Reaktion von Fynns Eltern. Sie hatten Dustin immer bei sich und sie zeigten ihm, dass sie ihn mochten. Ich hatte ein gutes Gefühl für die Zukunft dieser Familie. Der Vater schien es wirklich begriffen zu haben. Hoffentlich blieb das in Zukunft auch so.

In meinen Gedanken versunken, bekam ich nicht mit, dass Maxi bereits seinen ersten Matchball vergeben hatte. Fynn und Dustin feuerten ihn erneut an und er musste sogar einen Breakball abwehren. Aber wenige Minuten später war es geschafft. Die erste große Überraschung war perfekt. Maxi gewann sein Match und zog in die nächste Runde ein. Der Jubel war entsprechend groß und auch Jan musste zugeben, dass die Jungs eine tolle Leistung abgeliefert hatten.

„Ich möchte Dustin, Fynn und Maxi gleich einmal zu einer kurzen Lagebesprechung bei mir haben. In zehn Minuten im Clubhaus auf der Terrasse.“

Jan erzeugte mit dieser Ansage etwas Verwirrung. Allerdings erschienen alle pünktlich am Treffpunkt. Jan und ich hatten uns bereits ausgetauscht und er wollte bewusst testen, ob sie ein Problem damit hatten, wenn er jetzt die nächsten Vorgaben machen würde. Es hatten alle am Tisch Platz genommen und bevor Jan etwas sagen konnte, meldete sich Maxi zu Wort:

„Wir haben mal eine Frage, ist Chris nicht mehr unser Coach oder weshalb gibt Jan jetzt die Anweisungen.“

Das war total ernst gemeint und entsprechend war die Reaktion von Fynn und Dustin, denen das etwas zu weit ging. Sie wollten Maxi schon zurückpfeifen, als Jan antwortete:

„Natürlich ist Chris euer Coach und wird das auch weiterhin bleiben. Ich finde es übrigens gut, dass Maxi sofort nachgefragt hat. So soll das sein. Chris ist euer Trainer und er wird weiterhin für euch die Verantwortung tragen. Lasst euch nicht durch andere von außen da rein reden. Sehr gut reagiert Maxi.“

Puh, damit hatte ich auch nicht gerechnet.

„So, Chris. Gibst du den Jungs den weiteren Ablauf? Ich werde später noch etwas zum Spiel sagen.“

„Also gut“, begann ich, „für heute ist kein weiteres Programm mehr angesagt. Bitte gleich auslaufen und zur Massage. Der Abend steht zur freien Verfügung. Um zehn Uhr seid ihr aber spätestens wieder auf dem Zimmer. Morgen früh um acht ist Frühstück, um neun geht es zum Einschlagen und ab zehn wird die zweite Runde gespielt. Fragen dazu?“

Die Jungs schauten mich an und Dustin fragte:

„Reden wir noch über die Matches und müssen wir zum Abendessen hier sein?“

„Wir reden nach der Massage über die Matches. Das dauert aber nicht so lange und ihr könnt mit Fynns Familie los. Maxi, was machst du heute Abend?“

„Fynn hat mich gefragt, ob ich mit ihnen kommen möchte. Das würde ich gern machen.“

Wow, das war eine Überraschung. Für Fynn sicher eine Vereinfachung der Situation. So würde es sicherlich nicht zu schwierigen Gesprächen kommen. Ich war sofort einverstanden und so lösten wir diese Versammlung schnell wieder auf.

Fynn: Ein unglaubliches Erlebnis mit positivem Ergebnis

Was für ein Turnierbeginn, ich war vom ersten Moment beeindruckt. Und jetzt waren wir ein Teil der Profiszene. Unglaublich, aber es fühlte sich auch großartig an, das erste Spiel auch noch gewonnen zu haben. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Sogar Chris schien ein bisschen überrascht zu sein, dass Maxi und ich unsere Matches gewonnen hatten. Für Dustin hatte es leider nicht gereicht, aber er war nicht enttäuscht. Er hatte eine gute Leistung gezeigt.

Jetzt war der erste Turniertag gelaufen und ich war mit Dustin, Maxi und meiner Familie auf dem Weg von der Anlage in die Stadt. Meine Familie war auch so ein Thema. Chris hatte von ihrem Besuch gewusst und mir nichts davon gesagt. Erst war ich sauer darüber, aber im Nachhinein war es wohl besser so. Vielleicht wäre ich noch aufgeregter gewesen und hätte mich mehr mit meinem Vater beschäftigt als mit dem Gegner. Jetzt aber waren wir auf dem Weg zum gemeinsamen Abendessen und ich spürte noch keine Müdigkeit. Völlig aufgedreht war Patrick. Er fragte uns Löcher in den Bauch und als Dustin von der Begegnung mit Roger Federer erzählte, flippte er völlig aus und war bitter enttäuscht, dass ich ihm kein Autogramm besorgt hatte.

„Man, Patrick. Wie blöd hätte das denn ausgesehen? Wir saßen mit seiner ganzen Familie beim Essen und haben uns unterhalten. Er war mit seinen Kindern da und wollte einfach privat sein. Wenn du so scharf auf ein Autogramm bist, frag ihn doch. Er wird bestimmt noch einmal zum Training kommen.“

„Ja, ja, schon gut. Aber warst du nicht auch aufgeregt, als er sich einfach zu euch an den Tisch gesetzt hatte? Er ist immerhin einer der besten Spieler aller Zeiten.“

Patrick ließ keine Ruhe, bis Mama sich einschaltete:

„Ich möchte euch ungern unterbrechen, aber können wir vielleicht jetzt mal nicht mehr über Tennis reden? Die Jungs haben den ganzen Tag schon nur Tennis im Kopf.“

„Ein guter Vorschlag Frau Grehl. Ich möchte jetzt auch etwas abschalten.“

Maxi war genauso genervt wie wir, und ich war ihm sehr dankbar für seinen Einwand. Patrick war eingeschnappt, aber da musste er durch.

Meine Eltern ließen uns, soweit es Tennis betraf, in Ruhe. Wir unterhielten uns über die Neuigkeiten bei meinen Eltern und ich erzählte über meine Situation in der Schule.

„Dann kann ich ja sagen, dass du dort sicher zufrieden bist und es eine richtige Entscheidung von deiner Mutter war, dich dorthin gehen zu lassen.“

„Ja, Papa. Wir sind glücklich dort. Aber auch, weil Chris und Martina so viel für uns tun. Das Gefühl ist schon toll, wenn wir nach Hause kommen und sich jemand für uns interessiert, uns fragt, wie der Tag war und wir mit allen Problemen zu ihnen kommen können.“

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass war ein indirekter Angriff auf meine Eltern. Eigentlich wollte ich das gar nicht.

„Ich habe dich schon verstanden. Insbesondere ich habe dich über viele Jahre nicht sonderlich gut behandelt. Ich kann das nicht rückgängig machen, aber ich möchte versuchen, es in Zukunft anders machen zu können. Hoffentlich habe ich bei dir da noch eine Chance.“

Es war komisch, früher wäre so eine Reaktion undenkbar gewesen. Ehrlich gesagt, ich war gerade damit überfordert. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. Dustin schaute mich genauso fragend an, während Maxi so tat, als ob er gar nicht beteiligt war. Eine blöde Situation.

„Du musst jetzt nichts antworten. Ich habe es auch nur erwähnt, ich möchte mich ändern und hoffe, du wirst mich dabei unterstützen.“

„Papa, Chris hat mir mal gesagt, dass man Veränderungen nicht versuchen soll, sondern sie einfach machen. Dann kann es klappen.“

Mein Vater lächelte, als ich das gesagt hatte. Es war das erste Mal seit ganz langer Zeit, dass ich ihn mir gegenüber lächeln sah.

„Ich glaube, Chris ist ein weiser Mann. Er hat vieles bereits begriffen, was mir noch fehlt. Eure Mutter hat mir schon viel von ihm erzählt. Ich glaube, ich kann noch einiges von ihm lernen. Vielleicht sollten wir mal gemeinsam etwas unternehmen. Patrick hat ja auch mit Tennis begonnen. Wenn ich aus der Klinik komme, möchte ich auch wieder mit Sport beginnen.“

„Ja“, beteiligte sich Dustin jetzt auch wieder, „Chris hat bislang immer nur für die anderen gekämpft. Ich weiß nicht, wieso er so viel tut. Wir wissen eigentlich auch noch gar nicht viel von ihm. Nur das er gern Motorrad fährt und verdammt gut Tennis spielen kann, wenn sein Körper es zulässt.“

„Echt? Chris kann auch gut spielen? Das wusste ich ja noch gar nicht. Ich dachte eigentlich, er wäre kein guter Spieler. Und er hat immer so getan, als ob er nicht gut genug wäre als Trainer.“

„Ja, ich weiß, Papa. Aber das stimmt einfach nicht. Er ist eigentlich noch ganz schön gut. Ich habe manchmal das Gefühl, dass er auch nicht immer auf der Sonnenseite gestanden hat. Gerade als Jan ihm das Angebot gemacht hatte, bei uns richtig einzusteigen, habe ich gemerkt, dass er lange gezögert hatte.“

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über viele Dinge aus der Familie und wie es in Zukunft weiter gehen würde. Papa hatte noch vier Wochen in der Klinik und würde dann nach Hause kommen und wieder zur Arbeit gehen. Er hatte sogar schon Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe aufgenommen. Das hatte ich niemals erwartet. Auch Dustin schien sich nicht mehr so vor meinem Vater zu ängstigen. Sie redeten auch miteinander.

„Wie sieht das bei den jungen Kriegern aus? Habt ihr mittlerweile Hunger?“

„Boah, Papa. Ich dachte schon, ihr würdet nie darauf kommen. Ja, ich habe Hunger.“

Patrick natürlich wieder. Vorlaut, wie immer. Früher hätte das sofort Stress gegeben, wenn ich so einen Spruch gemacht hätte.

„Gut, ich habe verstanden. Dann mal los, ich habe auch Hunger. Gibt es eine bestimmte Vorgabe, was ihr essen dürft und was nicht?“

Ich schaute Dustin und Maxi an und wir zuckten mit der Schulter. So direkt hatte uns das noch keiner gesagt. Aber Pasta würde bestimmt nicht verkehrt sein.

„Also einen Ernährungsplan haben wir nicht. Maxi? Was denkst du zu Pasta?“

Er zeigte uns den Daumen hoch und auch Patrick war für Pasta immer zu haben. Also suchten wir jetzt in der Altstadt einen Italiener. Mama hatte schon ein Schild entdeckt und führte uns zielstrebig dorthin. Es war eine gute Wahl und das Essen war sehr gut. Nach dem Nachtisch, fragte uns Papa dann noch:

„Wann müsst ihr morgen wieder auf der Anlage sein? Und kennt ihr eure Gegner?“

Dustin antwortete schneller als ich: „Um acht ist Frühstück. Dann Einschlagen und ab zehn geht es gegen den nächsten Gegner.“

„Und Papa, unsere Gegner kennen wir alle nicht. Das sind teilweise schon echte Profis. Wann haben wir denn schon gegen solche Leute gespielt? Chris hat uns aber gut informiert und ich hoffe, wir werden morgen nicht untergehen.“

„Davor solltet ihr keine Angst haben. Wenn ich Chris vorhin richtig verstanden habe, dann habt ihr schon viel mehr erreicht, als jeder erwarten konnte. Also geht auf den Platz und spielt.“

Ich schaute meine Mama total überrascht an. Dieser Satz hätte genauso gut von Chris sein können. Deshalb musste ich lachen. Maxi verstand das nicht gleich, aber Dustin wusste sofort, warum ich so lachen musste.

„Frau Grehl, haben Sie bei Chris Nachhilfe in Motivation genommen? Er hätte es nicht besser sagen können.“

„Nein, nicht Nachhilfe, aber ich habe gut zugehört, als er sich mit seinem Bruder unterhalten hatte.“

So langsam ging der Abend zu Ende und ich spürte deutlich, dass ich nicht mehr der lebendigste war. Die Müdigkeit kam jetzt doch durch und ich bat meine Eltern, uns ins Hotel zu bringen. Sie hatten noch gefragt, ob sie uns morgen begleiten sollten oder ob wir lieber allein bei den Vorbereitungen sein wollten.

„Ich würde es schön finden, wenn ihr uns unterstützt. Auch schon vor den Matches. Chris hat euch Karten besorgt, oder?“

„Ja, aber er hat auch klar gesagt, wir sollten euch fragen.“

„Danke, Papa. Ich glaube, ich freue mich auf morgen. Mit euch an der Seite. Es ist ein guter Anfang für unsere neue Zukunft. Dustin? Bist du einverstanden?“

„Ja, Schatz. Ich glaube, du hast eine gute Entscheidung getroffen.“

Ich glaubte, ich hatte mich verhört. Er hatte mich Schatz genannt im Beisein meines Vaters. Der wiederum reagierte überhaupt nicht auf diesen Satz. Im Gegenteil, er lächelte Dustin an und ließ es einfach so stehen. Also gut, morgen würden sie überall dabei sein und ich war sehr gespannt, was mich erwarten würde. Konnte ich noch einmal eine gute Leistung zeigen?

Als wir im Hotel zurück waren, schaute ich zur Uhr. Es war kurz vor zehn und damit waren wir pünktlich zurück. Wir verabschiedeten uns von meinen Eltern bis zum nächsten Morgen.

Ein sehr ereignisreicher Tag ging damit zu Ende. Wir meldeten uns bei Chris wieder an, um dann sehr müde ins Bett zu fallen. Es war einfach toll, mit meinem Freund an der Seite einzuschlafen.

Chris: Das Abenteuer geht weiter

Nachdem sich die Jungs mit Fynns Eltern verabschiedet hatten, lud mich Jan zum Essen ein, um mit mir einige Dinge besprechen zu können. Er hatte sich bereits Gedanken gemacht zu meinen Anregungen, was die Zusammenarbeit zwischen den Betreuern in der WG und den Trainern betraf. Wir waren nach weiterem Austausch zu einem guten Ergebnis gekommen.

Erst danach ging es um die weitere Turnierplanung. Er hatte einige Ideen, die ich sehr gewagt fand und mit denen ich noch nicht so ganz konform gehen konnte. Da musste ich noch einmal drüber schlafen.

Ansonsten waren wir uns einig, dass auch Dustin eine sehr ansprechende Leistung gezeigt hatte, trotz seiner Niederlage. Das nächste Gespräch wollten wir nach der nächsten Runde der Qualifikation machen.

Sehr nachdenklich, aber auch positiv motiviert ging ich abends noch einmal durch die Straßen von Basel. Ich brauchte etwas Luft, nervlich wieder auf einen normalen Level zu kommen. Dieses Turnier hatte mich doch mehr belastet als gedacht.

Auf meinem Spaziergang fiel mir dann aber ein, dass ich mich bei Claus noch nach der Eisenbahnstrecke erkundigen wollte. Es gab eine Internetseite, die ich mir ansehen wollte.

Zurück im Hotel setzte ich mich deshalb noch ein wenig in die Gästelounge. Das war eine Mischung aus Café und Bar. Ich hatte mir meinen Laptop geholt und schaute mir das Projekt in Realp an. Was ich dort zu sehen und zu lesen bekam, war höchst beeindruckend. Das war ein Verein von ehrenamtlichen Bahnenthusiasten, die sowohl eine Strecke, als auch liebevoll von ihnen restaurierte historische Fahrzeuge und Waggons gebrauchsfähig für die heutige Zeit erhielten. Alle Arbeiten wurden von den Freiwilligen erledigt. Sie hatten Dampfzüge, die sogar als Zahnradbahn fuhren. Das war ziemlich einzigartig.

Als technisch interessierter Mensch begeisterte mich das. Auch wenn das zwei Stunden Fahrt von Basel entfernt war, ich wollte mir das unbedingt ansehen. Claus hatte mir schon mehrfach erzählt, dass sich das unbedingt lohnen würde. Also stand meine Entscheidung fest, da fahre ich hin. Ob mit oder ohne die Jungs. Ich beschloss deshalb Claus anzurufen.

„Ja?“

„Hallo Claus, hier ist Chris.“

„Ah der Grisu, hallo Chris. Wie läuft es denn bei euch?“

„Ja, soweit erstaunlich gut. Die erste Runde haben zwei sogar überstanden. Wir sind also morgen noch dabei.“

„Ja super, das freut mich sehr.“

„Ich möchte dich gern nach Realp begleiten. Egal wie das hier ausgeht. Das interessiert mich so sehr, dass ich gerade entschieden habe, ich komme auf jeden Fall am Montag mit. Ob mit den Jungs kann ich noch nicht sagen. Wenn sie morgen beide verlieren, müssten sie eigentlich zurück in die Schule. Das werde ich aber erst morgen klären können.“

„Super, das freut mich. Schön, dass du dir das ansehen möchtest. Wir werden da bestimmt etwas für dich vorbereiten.“

„Wir kommen wir denn dahin? Wir sind ja in die Schweiz geflogen. Also haben wir kein Auto hier.“

„Kein Problem, darum kümmere ich mich. Entweder fahren wir mit meinem Auto oder mit der Bahn. Das sehen wir dann ja morgen. Lass uns morgen noch einmal darüber sprechen. Wann spielen deine Jungs?“

„Gleich morgens die erste Runde. Also um zehn geht das los.“

„Gut, sehr schön. Dann sehen wir uns morgen auf der Anlage. Ich werde mir das anschauen. Anschließend wissen wir ja vielleicht schon mehr.“

„Cool, darauf freue ich mich. Dann bis morgen früh.“

Ein weiteres erfreuliches Ereignis war, dass meine Jungs pünktlich zurück im Hotel waren. Als ich um halb zwölf auf mein Zimmer ging, schliefen sie bereits und ich war bemüht, Maxi nicht mehr zu wecken.

Der nächste Morgen hatte bereits einen gewohnten Ablauf. Bis zum Frühstück musste ich den Jungs nichts mehr sagen. Sogar der morgendliche Lauf wurde selbständig erledigt.

Jan würde heute mit Gilles und Andrej trainieren und erst zum Match von Maxi dazukommen. Ich saß bereits am Tisch, als meine Jungs lachend den Frühstücksraum betraten. Nanu? So gut gelaunt am frühen Morgen?

Sie setzten sich fröhlich an den Tisch und erzählten mir von ihrem gestrigen Abend mit Fynns Familie.

„Wann kommt deine Familie auf die Anlage?“

„Sie wollten um zehn dort sein. Vielleicht auch schon früher. Ich wollte eigentlich, dass sie erst um zehn kommen. Patrick nervt sonst nur und stört mich in der Vorbereitung.“

Das waren ja ganz neue Töne. Sie hatten begonnen zu realisieren, dass es doch wichtig war, bestimmte Dinge in der Vorbereitung zu machen. Dazu zählte die Konzentration auf das Wesentliche. Wir besprachen die Gegner und die Matchstrategie. Fynn machte einen sehr ausgeglichenen Eindruck. Während Dustin doch etwas niedergeschlagen schien. Er hatte doch noch mit seiner Niederlage etwas zu kämpfen. Jetzt standen aber Maxi und Fynn im Vordergrund und wir erarbeiteten uns eine Strategie. Anschließend schickte ich die beiden hoch, ihre Taschen zu packen. Dustin und ich blieben allein zurück.

Ich hatte mir gerade noch etwas Tee eingeschenkt, als mich Dustin fragte:

„Wie schätzt du die Chancen für Maxi und Fynn ein? Können sie wirklich noch ein Match gewinnen?“

„Klar, solange der Matchball noch nicht verwandelt ist, haben sie eine Chance. Sie haben doch gar nichts zu verlieren und können völlig frei spielen. Der Druck liegt bei den anderen Spielern. Außerdem wird ihr Gegner sie kaum kennen. Im Gegensatz zu uns. Wir wissen, was für Spieler da kommen.“

„Stimmt das wirklich, dass die Sieger der Qualifikation bereits Weltranglistenpunkte erhalten?“

Ich musste lachen, das war für mich das Unwichtigste überhaupt, aber klar, für die Jungs wäre es etwas Besonderes.

„Ja, das ist korrekt. Interessiert mich aber überhaupt nicht. Ich möchte einfach gute Spiele sehen. Egal was dabei herauskommt. Genau wie bei dir. Du hast ein gutes Match gezeigt, auch wenn du unglücklich verloren hast. Du kannst sehr zufrieden sein. Jan ist auch sehr angetan von euch dreien.“

Das entspannte ihn erkennbar. Dustin schien doch noch mehr Unterstützung zu brauchen, als es den äußerlichen Anschein hatte. Sein Selbstbewusstsein war nicht so stark wie bei Maxi.

„Dustin, heute wird Gilles nicht bei Maxi am Platz sein. Jan muss mit beiden trainieren. Daher möchte ich dich bitten, dass du bei Fynn bleibst und ich werde Maxi betreuen. Du kennst deinen Freund ja gut und weißt, wie er zu beruhigen ist.“

Dabei zwinkerte ich ihm zu und stupste ihn leicht an. Er fing an zu lachen und das sah gleich wieder viel besser aus.

„Ok, wenn du meinst. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm das richtige sagen kann, wenn es eng wird.“

„Ach, das klappt schon, im Zweifel musst du ihn nur an die Absprachen erinnern. Das vergisst er hin und wieder mal. Aber ich glaube, du gibst ihm so viel Sicherheit, das klappt schon.“

Ich trank meinen Tee aus und zehn Minuten später saßen wir alle im Shuttle zur Anlage. Es herrschte schon reger Betrieb dort. Sogar die Tribünen wurden weiter aufgebaut für das große Turnier. Ich schickte die Jungs zur Turnierleitung, um sich anzumelden. Natürlich begleitete Dustin seinen Freund. Was mir aufgefallen war, die beiden hatten sich hier auffallend zurückgehalten.

Allerdings lag es wohl eher an der Situation, es war halt sehr anstrengend und da blieb einfach auch kaum Zeit für gemeinsame private Minuten.

Fynn und Maxi waren bereits auf dem Trainingsplatz und schlugen sich unter meiner Aufsicht ein. Dustin saß neben mir und wir redeten über das kommende Match. Dustin schien seine Aufgabe als Coach sehr ernst zu nehmen. Er ließ sich alle Details erneut erklären und wir wurden erst durch das Erscheinen von Fynns Familie unterbrochen.

„Guten Morgen zusammen“, begrüßte uns Fynns Mutter.

Dustin stand sogar auf, um die Familie seines Freundes zu begrüßen. Fynns Vater begrüßte ihn mit einem freundlichen Händedruck. Ich hatte leider nicht die Möglichkeit zu hören, was sie miteinander redeten, aber Dustin lächelte dabei. Das war für mich ein gutes Signal, denn Fynn beobachtete das natürlich sehr genau, was mir wiederum überhaupt nicht gefiel, denn er stand auf dem Platz und sollte sich nur mit dem Ball beschäftigen.

„Hey Fynn, entweder Familie begrüßen oder Tennis. Beides geht nicht.“

Er ging zur Bank, legte seinen Schläger weg und begrüßte seine Familie. Patrick schwirrte natürlich sofort über den Platz und wollte „Balljunge“ spielen. Das war mir nicht recht.

„Patrick, setz dich bitte auf die Bank oder an den Zaun. Das stört die Jungs in der Konzentration.“

Erstaunlicherweise folgte er meiner Anweisung sofort ohne zu murren. Ich fokussierte mich ausschließlich auf die Jungs auf dem Platz und gab noch einige kleine Korrekturen. Nach einer dreiviertel Stunde beendete ich das. Jetzt hatte ich Zeit, Fynns Familie zu begrüßen.

„Guten Morgen zusammen. Jetzt habe ich Zeit, Sie zu begrüßen, aber Tennis geht hier vor.“

„Oh, kein Problem“, erwiderte Fynns Mutter, „wir wollten auch nicht stören.“

„Wie war ihr Abend mit den Jungs? Haben sie sich benommen?“

„Ja, natürlich. Es war ein schöner Abend. Sie haben uns viel erzählt.“

Herr Grehl hatte ein ehrliches Lächeln im Gesicht. Es schien sich doch einiges in der Familie zu bewegen. Auch Fynn stellte sich mit zu seiner Familie und zwar ganz eng neben seinen Freund. Es schien so zu sein, dass er wieder ein bisschen mehr Nähe zu seinem Vater aushalten konnte, ohne in Panik zu verfallen. Ich ließ ihn das auch selbst entscheiden, was er dort tat.

Nachdem ich mit Maxi noch einige Dinge für das kommende Match besprochen hatte, gesellte ich mich zu den Grehls und spürte die gute, aber auch noch etwas angespannte Atmosphäre.

„Fynn, gehst du dich bitte umziehen. Jetzt kalt werden, wäre ganz schlecht. Maxi habe ich auch schon losgeschickt.“

Er nickte und gab seinem Freund einen offenen Kuss. Im Beisein seines Vaters. Das erstaunte mich doch ein wenig, dass er so offen damit umgehen konnte. Als die beiden weg waren, spürte ich Dustins Unruhe. Er wollte eigentlich zu seinem Freund gehen, traute sich aber nicht, jetzt zu gehen.

„Hey, willst du nicht mit Fynn über die Strategie sprechen? Oder wann wolltest du das machen?“

Er schaute mich überrascht an.

„Äh, ich dachte, du machst das.“

„Soll ich ihn gleich betreuen oder du?“

„Ok, ich wusste nicht, ob du nicht lieber die Vorbereitungen machen willst.“

„Komm, schwirr ab. Ist schon ok. Aber du sollst ihn auf dem Platz betreuen, also machst du auch die Vorbereitung. Wir haben doch alles besprochen. Außerdem kannst du Fynn am ehesten beruhigen vor dem Match.“

Dabei schubste ich ihn leicht an und lachte. Damit war er jetzt auch überzeugt und ging zu seinem Freund.

„Sagen Sie mir bitte, wie schaffen Sie das immer, die Jungs dazu zu bewegen, dass sie das tun, was Sie für richtig halten. Zu Hause gelingt mir das eher selten oder nur mit langen Diskussionen. Gerade bei Patrick ist das momentan sehr schwer und anstrengend.“

„Das ist eine falsche Wahrnehmung. Sie tun nicht das, was ich möchte, sondern sie tun das, wovon sie überzeugt sind, dass es richtig ist. Manchmal erinnere ich sie nur an bestimmte Absprachen.“

„Warum gelingt mir das nicht?“

„Sie müssen das anders sehen. Sie haben zu Hause eine andere Aufgabe. Dort herrschen andere Regeln. Ich würde zum Beispiel niemals ihre Autorität untergraben. Wenn Sie ihren Kindern dort etwas sagen, werde ich nicht das Recht haben, dagegen zu handeln. Es geht nur gemeinsam. Patrick wird Sie austesten. Wie weit kann er gehen und wann wird es Konsequenzen geben. Je später die Konsequenzen kommen, desto schwieriger wird es. Bei mir wissen die Jungs ganz genau, wann ich ungemütlich werde. Und sie kennen die Folgen. Aber sie kommen ja auch freiwillig zum Tennis. Sie wollen besser werden. Zu Hause ist das anders. Patrick wird nicht etwas tun, wenn er nicht weiß, warum Sie so darauf bestehen. Ich weiß, dass ist extrem anstrengend, aber ich glaube, Patrick ist zu klug, um ihn nur zu kommandieren.“

Sehr nachdenklich hörten mir beide zu. Herr Grehl fragte nach:

„Was tun Sie denn, wenn einer der Jungs mal eine Regel nicht einhält? Sie werden doch nicht immer nur alle Regeln einhalten, oder?“

Ich fing an zu lachen.

„Nein, natürlich nicht. Ich würde mich sehr wundern und mir ernsthaft Sorgen machen, wenn das so wäre. Es kommt ganz darauf an. Da sie überwiegend gut mitziehen, kann ich manche Dinge übersehen und bei einigen Dingen sage ich etwas. Allerdings gibt es auch Sachen, da gibt es null Toleranz. Das wissen die Jungs aber auch ganz genau. Dann hat das Folgen, die meist unangenehm sind. Aber noch einmal, ich habe andere Regeln als Sie zu Hause. Ich kann einfach sagen, heute macht ihr nur Kondition oder Waldläufe, wenn etwas vorgefallen ist. Sie haben andere Bedingungen zu Hause. Das Grundprinzip ist aber sehr ähnlich. Mein Motto lautet. Wehret den Anfängen. Damit gleich klare Verhältnisse herrschen. Ich bin kein autoritärer Typ, kann aber sehr hart sein, wenn es sein muss.“

„Ok, also glauben Sie, dass es besser ist, früher einzugreifen?“

„Bei manchen Kindern auf jeden Fall. Bei Patrick würde ich das jedenfalls tun. Er braucht klare Grenzen und Regeln. Fynn hingegen hat schon sehr früh für sich Entscheidungen treffen müssen. Da versuche ich ihm eher Freiräume zu geben. Es kommt sehr auf die Person an. Eine allgemeine Regel gibt es eigentlich nicht.“

In diesem Moment kam Patrick aus der Umkleide zurück und stellte sich zu uns. Seine Eltern hörten sofort auf über das Thema zu sprechen. Das gefiel mir nicht gut. Aber jetzt war der falsche Zeitpunkt. Die Matches würden gleich beginnen und ich war bei Maxi gefordert. Ich trug natürlich auch für Fynn die Verantwortung, das musste ich Dustin nur nicht auf die Nase binden. Er sollte lernen, dass er mehr konnte, als er von sich glaubte.

Eine Stunde später stand ich bei Maxi am Platz und war total begeistert von seiner Art, wie er sich dort präsentierte. Er spielte ohne Angst einfach sein Spiel. So wie es besprochen war. Es war ein sehr hartes Match. Es gab lange Ballwechsel und Maxi musste sich jeden Punkt erkämpfen. Wenig einfache und freie Punkte. Selbst sein erster Aufschlag kam fast jedes Mal zurück. Der erste Satz ging in den Tie-Break. Plötzlich erkannte ich, dass Herr Grehl ebenfalls an unseren Platz gekommen war. Er schaute sich einige Spiele von Maxi an und ging dann wieder. Maxi hatte tatsächlich im Tie-break Satzball und … vergab. 9:9 und der Gegner hatte noch einen Aufschlag. Doppelfehler und damit erneut ein Satzball, nur jetzt bei eigenem Aufschlag und Maxi dominierte den Ballwechsel, kam im richtigen Moment ans Netz und machte den Punkt. Satzpause! Auch für mich ein Augenblick zum Durchschnaufen.

Als ich zu Maxi an die Bank ging, strahlte er mich an.

„Man, Chris. Das ist so geil, hier zu spielen. Ich habe gar nicht gewusst, dass harte Arbeit auch so viel Spaß machen kann.“

Da merkte ich, mit wie viel Adrenalin er vollgepumpt war. Hoffentlich kam jetzt nicht der Einbruch. Wir sprachen nicht viel, denn es gab keinen Grund etwas zu verändern. Ich erzählte ihm nur schnell, dass ich für einen Moment bei Fynn gucken wollte. Er nickte nur und hatte bereits das Handtuch über den Kopf gelegt. Neue Konzentration für den zweiten Satz finden.

Mit einem kleinen Lauf war ich zu Fynn geeilt. Ich schaute auf den Spielstand und musste noch einmal hinschauen. 6:4;2:1 für Fynn? Wie war das denn möglich? Dustin konnte ich gegenüber der Bank stehen sehen und er schien genauso ungläubig zu sein, wie ich. Ich ging zu ihm und wurde mit purer Euphorie empfangen.

„Ich glaube einfach nicht, was ich hier sehe. Sein Gegner ist die 600 in der Welt und Fynn hat das total im Griff. Wie kann das sein?“

„Keine Ahnung, ich kann dir das jetzt nicht beantworten. Ich habe noch nichts von dem Spiel gesehen.“

Ich blieb also noch ein paar Ballwechsel bei Fynn und konnte erkennen, dass der Gegner nicht fit zu sein schien.

„Ich glaube, das Spiel wird vorzeitig beendet sein. Sein Gegner hat Probleme. Sollte das hier noch kippen, komm bitte zu mir, ok? Ich muss zurück zu Maxi. Der hat gerade den ersten Satz im Tie-Break gewonnen.“

Dustin nickte nur und ich zeigte Fynn noch kurz die Faust zum Zeichen der Anfeuerung, bevor ich wieder zurück zum anderen Platz lief.

Maxi hatte bereits wieder begonnen und dort stand es 2:2. Dieses Match sollte mich noch vollkommen in den Bann ziehen, denn Maxi fightete um jeden Ball und ging an seine Grenzen. Das beeindruckte mich sehr. Egal, wie dieses Match ausgehen würde, Maxi hatte eine hervorragende Leistung geboten. Zehn Minuten nachdem ich zurück an den Platz gekommen war, kamen Fynns Eltern zu mir und berichteten mir, dass der Gegner das Match aufgegeben hatte. Er war körperlich angeschlagen und es hatte keinen Sinn gemacht weiterzuspielen. Solche Siege sind immer unschön. Jeder Spieler möchte sportlich gewinnen. Dennoch bedeutete dies, Fynn war in einem der vier Finals der Qualifikation. Damit stand er vor dem größten Erfolg seiner bisherigen Laufbahn.

Maxis Spiel wurde noch dramatisch, denn der zweite Satz ging an seinen Gegner und er bekam immer mehr Vorteile. Maxi ließ sich für einige Minuten davon beeindrucken und lag schnell im dritten Satz mit 0:3 zurück. Immer wieder versuchte ich ihn zu beruhigen. Erst als er mitbekam, dass Fynn gewonnen hatte, riss er sich noch einmal zusammen. Bei 5:5 gab es dann eine strittige Entscheidung. Maxi hatte einen Ball ausgegeben und sein Gegner sah das anders und verlangte den Abdruck zu sehen. Jetzt kam es zu einer kuriosen Situation. Beide Spieler waren sich einig, dass sie den richtigen Abdruck hatten, konnten sich aber nicht einigen ob dieser gut oder aus war.

Maxis Gegner bat mich nun, mir das anzusehen. Ich ging also auf den Platz und schaute mir den Abdruck an. Für mich keine Frage, der Ball war gut. Also musste der Punkt an Maxis Gegner gehen.

„Also, für mich ist der Ball klar an der Linie, damit also gut. Maxi, der Punkt geht an deinen Gegner.“

Jetzt imponierte mir Maxi total. Er akzeptierte sofort meine Entscheidung und entschuldigte sich bei seinem Gegner. Ich hatte jetzt natürlich große Sorge, dass Maxis Konzentration weg sein würde. Aber ganz im Gegenteil, er holte noch einmal alle Reserven aus seinem Körper und gewann den dritten Satz mit 7:5.

Das war unglaublich. Wir hatten zwei Spieler im Finale der Qualifikation bei einem Challenger. Ich schrieb Thorsten sofort eine Nachricht und kündigte einen Anruf an, nach den Finals.

Maxi strahlte, obwohl er vollkommen am Ende seiner Kräfte war. Für mich war es jetzt eine Selbstverständlichkeit den Platz abzuziehen. Ich setzte mich zu Maxi auf die Bank. Er war immer noch sehr erschöpft.

„Hey, ich bin echt beeindruckt von dir und deiner mentalen Stärke. Wie geht es dir jetzt?“

„Ganz ehrlich, beschissen. Ich bin völlig platt und kann mir nicht vorstellen, gleich noch ein Match zu spielen.“

„Komm, geh schnell unter die Dusche und dann gehst du mal beim Physio vorbei. Er soll dir ein wenig helfen, wieder Kraft zu tanken.“

„Kann ich denn einfach so dorthin gehen?“

„Ja, es gibt einen Turnierphysio, der ist für alle Spieler da. Also, erst duschen, dann gehst du dort vorbei. Ich schau mal, ob ich unsere beiden Turteltauben finde. Seit Fynn gewonnen hat, habe ich die nämlich nicht mehr gesehen.“

Maxi grinste erst und fing dann richtig an zu lachen. Ich konnte nicht anders und begann ebenfalls zu lachen. Maxi ging sich duschen und ich machte mich auf die Suche nach den anderen beiden. Dabei lief mir Patrick über den Weg.

„Hast du deinen Bruder irgendwo gesehen?“, fragte ich ihn.

„Nein, ich suche ihn genauso, weil meine Eltern fragen, ob wir gemeinsam zu Mittag essen.“

Ich legte ihm meinen Arm auf die Schulter und nahm ihn einfach mit. So gingen wir gemeinsam auf die Suche. Ich hatte die Anlage im Kopf und stellte mir vor, wo sie vielleicht sein könnten, um ungestört zu sein. Ich führte uns hinter die letzten Plätze an einen Spielplatz. Und siehe da, dort saßen die beiden nebeneinander auf der Bank. Allerdings hatte Fynn immer noch seine Tennissachen an und war noch nicht duschen gewesen.

Als wir um die Ecke kamen, gab Dustin seinem Freund gerade einen Kuss und Patrick blieb wie angewurzelt stehen. Ich schaute ihn verwundert an.

„Was ist? Hast du noch nie gesehen wie sich zwei Menschen küssen?“

Es schien ihm jetzt peinlich zu sein, aber er schüttelte den Kopf und antwortete:

„Nein, das heißt doch natürlich, aber Dustin hat Fynn noch nie in meinem Beisein geküsst.“

Ich musste lachen, denn als wir näher kamen und sie uns bemerkten, sahen sie aus wie zwei ertappte Sünder. Einfach zu komisch.

„Na, ihr beiden. Warum versteckt ihr euch? Ich finde euch eh.“

„Boah Chris, du bist gemein“, antwortete Dustin.

„Wir wollten mal für einen Moment ungestört sein. Überall laufen Leute herum und beobachten uns. Manchmal komme ich mir vor wie ein Außerirdischer. Nur weil wir zwei Jungs sind, die sich mögen.“

„Nun, es gibt noch nicht viele schwule Profispieler im Herrentennis. Ihr seid hier wirklich eine Ausnahme und von daher müssen sich die anderen erst daran gewöhnen. Aber das kommt bestimmt, vor allem, wenn ihr weiter so gut spielt.“

Das Lob tat beiden gut und Patrick hatte sich mittlerweile zu seinem Bruder auf die Bank gesetzt, als ich sagte:

„Fynn, du gehst jetzt bitte sofort unter die Dusche und ziehst dir andere Sachen an. Anschließend eine Kleinigkeit essen und wenn klar ist, gegen wen du spielen musst, treffen wir uns zur Gegneranalyse.“

Fynn schaut zu mir hoch und bekam wieder ein Grinsen.

„Ja, Chef. Wird erledigt.“

Dabei lachten beide Jungs richtig fies und Patrick fand das nicht komisch. Er wollte schon seinem Bruder kontra geben, aber ich gab ihm mit einem Zeichen zu verstehen, dass wir die Jungs allein lassen sollten. Ich konnte sehr gut verstehen, dass sie hier wenig Zeit füreinander hatten, aber während eines Turnieres war das halt so.

„Warum lässt du dir so eine Antwort gefallen?“, fragte mich Patrick auf dem Rückweg ins Clubhaus.

„Weil ich weiß, wie er das gemeint hat. Wir kennen uns mittlerweile so gut, da weiß ich, was ernst gemeint ist und was nicht. Außerdem haben sie hier auch sehr wenig Zeit für sich. Das passt schon so. Lass ihnen etwas Luft. Und den Zoff mit dir kann Fynn gerade gar nicht gebrauchen.“

Patrick schwieg den ganzen weiteren Weg ins Clubhaus bis wir die Treppe hoch gehen wollten.

„Du magst die Jungs, oder? Irgendwie verstehst du immer, was sie machen oder warum sie etwas machen. Mein Vater hätte jetzt total den Aufstand gemacht, wenn Fynn ihn so angemacht hätte.“

„Nun, ich bin auch nicht sein Vater. Ich bin sein Trainer und sein Freund. Ich glaub auch nicht, dass er eurem Vater gegenüber so sein würde.“

Er nickte nur und wir gingen ins Clubhaus. Erstaunlicherweise wich er mir nicht von der Seite. Ich ließ mir im Turnierbüro den Platz nennen, auf dem Fynns nächster Gegner spielte. Maxis Gegner stand bereits fest. Er musste nun gegen die Nummer drei der Setzliste in der Qualifikation spielen. Das würde erneut ein ganz hartes Match sein. Vor allem weil das letzte Spiel schon so enorm viel Kraft gekostet hatte.

„Kommst du mit uns essen?“, fragte mich Patrick als ich das Turnierbüro wieder verließ.

„Nein, ich gehe mir erst Fynns nächsten Gegner anschauen. Aber Fynn soll ruhig mit euch essen. Ich esse dann später, wenn ich Zeit habe.“

Patrick war enttäuscht, aber er widersprach auch nicht. Ich sagte ihm, auf welchem Platz ich zuschauen wollte und machte mich auf den Weg.

Ich konnte zwar nur noch die letzten Spiele beobachten, aber das genügte, um mir eine Strategie zu überlegen. Ich brauchte eine kleine Auszeit und suchte mir eine Bank etwas abseits der Plätze. Dort schaute ich einfach in die Natur und ließ die Gedanken für einen Moment laufen. Einfach mal Luftholen und Spannung abbauen. Claus hatte mir geschrieben, dass er zu den Finals am Nachmittag kommen würde und eine Überraschung mitbringen würde. Jan hatte ich auch informiert über die guten Leistungen der Jungs. Er wollte ebenfalls versuchen, sich die Finals anzusehen. Ich schaute zur Uhr. Etwas mehr als zwei Stunden hatte ich noch bis zu den Finals. Eine gute Möglichkeit die Anlage allein zu verlassen und neue Kraft zu tanken. Ich informierte meine Jungs und ging einfach los. Irgendwo etwas essen und zur Ruhe kommen.

Ich saß in einem schönen kleinen Restaurant mit Biergarten. Dort hatte ich mir einen schattigen Tisch gesucht und mein Essen bestellt. Es tat gut, für einige Augenblicke einmal abzuschalten. Kaum einer meiner Freunde konnte sich vorstellen, dass ich nach einem Tag auf einem Turnier oft genauso müde war wie die Spieler. Immer auf Ballhöhe sein und sich um alles andere kümmern war anstrengend. Allerdings war die Reaktion der Jungs eine schöne Belohnung. Es machte mir Spaß.

Leider hatte ich nicht ewig Zeit und musste nach dem Essen und einem inzwischen obligatorischen Othello wieder zurück. Die Jungs erwarteten eine gute Matchvorbereitung.

Eine Stunde später hatte ich mit ihnen den Weg besprochen und sie schlugen sich auf einem Trainingsplatz ein. Es wurde ernst und entsprechend stieg bei mir wieder die Anspannung. Fynn hatte mir leider erneut verschwiegen, dass er wieder eine leichte Attacke der Atemnot bekommen hatte. Dustin hatte mir das berichtet. Für mich wurde es immer deutlicher, das waren psychosomatische Reaktionen. Also hatte ich Dustin geraten, Fynn etwas abzulenken und ihn sich entspannen zu lassen.

Maxi war voll fokussiert und bei ihm hatte ich keine Bedenken. Er war mental weiter als Fynn. Mal sehen, ob einer von beiden die absolute Sensation schaffen würde.

„Hi Chris, wo bist du gerade mit deinen Gedanken?“

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Claus zu mir gekommen war. Ich begrüßte ihn mit einer kurzen Umarmung und erklärte ihm die Situation.

„Bekommt der Sieger der Qualifikation auch schon ein Preisgeld?“

„Die Sieger gehen ja ins Hauptfeld und dort bekommt jeder, der die erste Runde erreicht, ein Preisgeld. Wichtiger sind aber die Ranglistenpunkte. Je mehr Punkte der Spieler hat, desto höher die Einstufung und je eher kommt er ins Hauptfeld ohne Qualifikation. Aber unsere Jungs sind da noch sehr weit weg. Sie sollen Erfahrungen sammeln und Motivation, dass sie das Zeug haben mitzuhalten.“

Wir saßen neben dem Platz wo sich Maxi und Fynn einschlugen und unterhielten uns über alles Mögliche, aber nicht über Tennis. Erst als Jan zu uns kam und sich nach den Jungs erkundigte, unterbrachen wir unser Gespräch. Er hatte auch Gilles dabei und so waren wir eine illustre Gruppe. Fynns Familie war diesmal direkt an den Platz gekommen und Patrick hatte natürlich die Chance genutzt, mit auf den Platz zu gehen. Ich hatte nicht aufgepasst, aber die Jungs schienen sich nicht gestört zu fühlen, also ließ ich es so.

Die Matches wurden alle parallel angesetzt, und als die Finals aufgerufen wurden, bewegten sich Fynns Familie und Claus schon einmal in Richtung der Plätze. Jan wollte noch etwas mit mir besprechen. Also blieb ich noch zurück. Fynn und Maxi schauten schon zu mir, ich gab ihnen ein Zeichen, dass ich sofort nachkommen würde. Dustin nahm Fynn am Arm und ging mit ihm direkt zum Platz. Das gefiel mir gut.

„Na, was machen die drei? Sind sie sehr nervös?“, fragte Jan.

„Fynn auf jeden Fall, während Maxi recht gut damit umgehen kann. Allerdings ist er auch nicht so einfach einzuschätzen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich fürchte, dass er sich selbst einen sehr hohen Druck macht.“

„Gut, schauen wir einmal, wie sie das jetzt hinbekommen. Jedenfalls haben sie ja jetzt gesehen, dass sie sehr wohl schon mithalten können. Ich glaube, wir müssen noch einmal die Turnierplanung überdenken. Vielleicht streuen wir mehr Future und Challenger ein. Zumindest für Maxi und Fynn. Dustin ist glaube ich noch nicht so weit, oder was denkst du?“

„Dustin ist nahe dran, aber es fehlt doch noch der letzte Schritt. Vielleicht geben wir ihm noch etwas mehr Zeit. Ich halte es nicht für klug, Dustin und Fynn jetzt zu trennen. Dann lieber auch Fynn die kleinen Turniere spielen lassen.“

Jan schüttelte den Kopf. Er hatte sich schon entschieden. Das konnte ich ihm ansehen.

„Nein, wir lassen Dustin auch die Future spielen. Er soll ohne Druck sich entwickeln, du musst ihm das nur passend beibringen, dass wir noch keine Ergebnisse von ihm erwarten. Erst wenn er Probleme mit den Niederlagen bekommt, werden wir das noch einmal besprechen. Ich stimme dir zu, es wäre jetzt nicht klug, die beiden für die Turniere zu trennen.“

„Ok, damit kann ich leben. Wie sieht das bei dir aus? Gilles wieder richtig fit?“

„Naja, die Schulter ist immer noch anfällig. Schauen wir mal. Sag mal, wer ist eigentlich der Typ mit dem du eben hier gesessen hast?“

Ich musste schmunzeln.

„Das ist Claus aus Basel. Wir kennen uns über Nickstories und er wohnt hier. Er hat uns die Stadt gezeigt und morgen fahren wir mit ihm nach Realp. Sie betreiben dort eine Eisenbahn für alte Dampfloks. Sogar mit Zahnradtechnik. Das ist ziemlich einmalig. Da will ich morgen mit den Jungs hinfahren. Egal, wie das hier heute ausgeht. Das haben sie sich verdient, auch wenn es einen Tag mehr schulfrei sein würde.“

„Das gefällt mir. Wo ist das? In Realp, das merke ich mir mal. Vielleicht schaue ich mir das auch einmal später an. Was glaubst du, wie spielen die Jungs gleich?“

„Sie werden sich zerreißen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes Spiel wird. Der Druck ist sehr hoch.“

„Dann lass uns mal schauen. Es geht gleich los und du wirst dort gebraucht.“

Wir gingen gemeinsam zu den Plätzen und ich stellte mich an die besprochene Stelle des Platzes. Fynn hatte mich sofort gefunden und auch Maxi hatte mich bemerkt. Jan hatte sich etwas abseits platziert. Er wollte einige Videos machen für das Training.

Erst stand ich allein dort, aber sowohl Patrick als auch Claus kamen sehr bald zu mir. Sie waren beide mindestens genauso aufgeregt wie die Spieler. Ich versuchte zwar, äußerlich gelassen zu wirken, aber innerlich war ich überaus angespannt und ging bei jedem Ball mit. Die ersten Spiele verliefen sehr nervös von beiden. Ihre Gegner hatten viel mehr Routine und entsprechend schnell führten sie im ersten Satz mit einem Break. Ich blieb sehr ruhig, ich wusste, dass sie etwas Zeit brauchen würden.

Das Spiel wurde dann besser und ich musste immer wieder hin und her pendeln.

Zuerst hatte allerdings Fynn in sein Spiel gefunden und hatte bei 4:5 ein Re-break zum 5:5 geschafft. Leider verlor er den ersten Satz im Tie-break.Maxi hatte sich wie eine kleine Kampfratte in das Spiel verbissen. Es gab unheimlich lange Ballwechsel und er brachte seinen Gegner damit zur Verzweiflung. Kein schönes Match, aber taktisch sehr klug von Maxi. Die Frage war nur, konnte er das durchhalten. Sein Halbfinale war schon sehr anstrengend gewesen.

Maxis Match dauerte endlos. Es stand erst 7:5; 1:0 während Fynn bereits Ende des zweiten Satzes war und es dort in die Entscheidung ging. Ich ging dorthin und bemerkte immer wieder den fragenden Blick von Fynn. Er schien verunsichert, also beruhigte ich ihn und gab ihm kleine Hinweise doch mutiger zu spielen. Auch bei einem Fehler weiter nach vorn zu gehen, um den Gegner zum Denken zu zwingen. Es dauerte einige Augenblicke, aber als er begriffen hatte, dass ich ihn ermutigen würde, weiter so offensiv zu spielen, begann er seinen Gegner immer mehr unter Druck zu setzen und das Spiel bekam eine deutliche Wendung zugunsten Fynns. Der zweite Satz ging an Fynn und ich musste mit meinem lauten Jubel etwas Dampf ablassen.

Fynns Eltern wunderten sich über meinen Ausbruch, aber Patrick freute sich wie ein Schneekönig. Ich musste wieder zu Maxi.

Auch dort ging es jetzt in die Endphase des zweiten Satzes und unglücklicherweise knickte sein Gegner, bei 5:4 für ihn, um. Er blieb auf dem Platz liegen und hatte starke Schmerzen. Maxi lief sofort auf die andere Seite, um seinem Gegner zu helfen. Er zog ihm den Schuh aus, was dann gar nicht gut aussah. Ich betrat jetzt ebenfalls den Platz und half Maxis Gegner zur Bank zu bringen. Wir legten sofort ein Kühlpack auf den Knöchel und als der Physio den Platz betrat, nahm ich Maxi an die Seite.

„Du spielst richtig clever. Bist du noch fit?“, fragte ich ihn.

„Fit ist etwas anderes, das geht so an die Substanz. Diese langen Ballwechsel sind hart.“

„Ja, aber alles versuchen, du bist dran und lass dich nicht von deinem Spiel abbringen.“

Es war mir schon klar, dass das Match auch vorbei sein könnte, dennoch wollte ich nicht, dass Maxi aus der Anspannung geht. Es könnte ja auch gleich weitergehen und da musste er sofort wieder voll da sein. Mit einem Blick auf die Bank konnte ich allerdings erkennen, dass der Physio einen Eisverband anlegte. Damit konnte man nicht spielen. Maxis Gegner gab uns ein Zeichen, dass wir zu ihm kommen sollten.

Er musste leider aufgeben. Es bestand der Verdacht eines Bänderrisses. Das war natürlich sehr schade, aber diese Verletzungen passierten leider beim Tennis. Maxi freute sich auch nicht wirklich über dieses Ende. Klar, er hatte gewonnen und war tatsächlich im Hauptfeld eines Challengerturniers, aber so wollte das niemand erreichen.

Ich schickte ihn dann zum Auslaufen und Duschen. Damit konnte ich mich jetzt ganz auf das Match von Fynn konzentrieren.

Dort entwickelte sich das Match zu einem wahren Krimi. Dustin lief, wie ein gereizter Löwe im Käfig, hin und her und fing an, immer häufiger tief durchzupusten. Nach jedem Punkt. Mein Gefühl sagte mir, sollte Fynn das mental durchhalten, würde er gewinnen. Immer wieder feuerten wir ihn an. Ich musste zugeben, dass ich immer wieder Kommandos auf den Platz rief und damit am Rande des Erlaubten agierte. Wenn sich der Gegner beschwert hätte, sicher zu recht. Aber ich blieb ihm gegenüber auch fair. Dann kam bei 6:5 der erste Matchball für Fynn und den verwandelte er sicher. Was für eine Leistung. Dustin hielt es jetzt nicht mehr und er lief auf den Platz und umarmte seinen Freund sofort und gab ihm auch einen Kuss. Noch auf dem Platz. Das führte bei Fynns Familie zu Heiterkeit und insbesondere Patrick zog seinen Bruder jetzt damit auf. Egal, das war zu verkraften, denn wir hatten beide Jungs in der ersten Hauptrunde. Eine enorme Last fiel auch von mir ab. Nachdem sich alle etwas beruhigt hatten, musste ich für einen Augenblick allein irgendwohin gehen. Etwas abschalten und herunterkommen.

„Hey, hier hast du dich versteckt. Glückwunsch, kleiner Bruder.“

Jan hatte sich von hinten angeschlichen und hielt mir seine Hand hin. Ich nahm sie und sagte:

„Danke! Ja, ich musste jetzt einfach mal zur Ruhe kommen. Das war mega aufregend.“

Jan grinste und erwiderte: „Jetzt weißt du, wie es mir ständig auf der Tour geht. Nein, Spaß beiseite, das war eine wirklich bemerkenswerte Leistung. Du hast gut reagiert und ihm genau das gesagt, was jetzt wichtig war. Sehr gut gecoacht, wirklich.“

Ich freute mich über dieses Lob und er nahm mich wieder mit zum Clubhaus. Meine Jungs waren in der Umkleide verschwunden und Claus erwartete mich auf der Terrasse.

„Na, musstest du erst einmal Luft holen?“

„Oh ja, das war nichts für Herzkranke. Aber jetzt müssen wir wohl doch noch etwas hierbleiben und können den morgigen Ruhetag nutzen.“

„Cool, heißt das, ihr kommt morgen mit nach Realp?“

„Ja, ich möchte mir das ansehen. Die Jungs hatten schon gesagt, dass sie mitkommen würden. Jetzt können sie ja auch ohne Probleme hier bleiben, weil sie ja noch weiter im Wettbewerb sind.“

Claus lachte und wir vereinbarten, dass er uns am nächsten Morgen sehr früh abholen würde. Sonst hätten wir zu wenig Zeit vor Ort. Heute wollte ich aber den Tag sehr ruhig ausklingen lassen. Ich ging zu den Jungs in die Umkleide und dort empfingen sie mich mit Jubel und totaler Euphorie.

Als sich alle etwas beruhigt hatten, wurde der weitere Ablauf besprochen und ich gab den Jungs bis zum nächsten Morgen frei. Sie sollten sich erholen und einfach mal abschalten vom Tennis. Fynn und Dustin wollten mit Fynns Familie noch die letzten Stunden gemeinsam verbringen. Sie würden ja am Abend wieder nach Hause fliegen.

Maxi hatte mich gefragt, was ich machen wollte und da ich mich mit Claus für einen Abend in Basel verabredet hatte, fragte mich Maxi, ob er mich begleiten dürfte. Das war für mich überhaupt kein Problem und so holte uns Claus abends im Hotel ab.

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