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Second serve

Teil 9

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich mich bei Idefix bedanken, der mir die Detailinformationen zur Furka-Bahn gegeben hat. Ich hoffe, es in seinem Sinne wiedergegeben zu haben. Wer einmal dort in der Gegend ist, sollte sich das unbedingt anschauen.

Chris: Eine Abwechslung bringt Kraft

Als wir früh am nächsten Morgen aufbrachen, hatten meine Jungs noch sehr kleine Augen. Jetzt, als wir in Realp ausstiegen und frische Bergluft einatmeten, waren alle hellwach. Die Aussicht aus dem Tal auf die umliegenden Berge war überwältigend. Der Ort lag auf gut 1500m Höhe und das spürte man sofort. Die Luft war anders als in Basel.

Fynn schien gar nicht genug zu bekommen, denn er drehte sich wiederholt um die eigene Achse und war sprachlos angesichts dieses gewaltigen Bergpanoramas. Dustin hielt seine Hand und war genauso gefesselt von den Bergen, denn das waren 'richtige' Berge rund um uns herum.

„Das ist außerordentlich beeindruckend. Ich als Westfale kenne ja eigentlich nur Hügel. Ich bin schon lange nicht mehr im Hochgebirge gewesen. Wie ist das bei euch?“

Alle schüttelten den Kopf und Maxi sagte: „Nur mit den Eltern mal zum Skilaufen. Das ist aber auch schon Jahre her. Eigentlich habe ich leider gar keine Zeit mehr für so etwas.“

„Na, dann wollen wir euch mal die Faszination der Berge näher bringen. Chris, für dich wäre das doch die ideale Spielwiese für dein Motorrad.“

„Auf jeden Fall, Claus. Schade nur, dass die Anreise so lang ist.“

Von Claus bekamen wir zuerst eine Führung „hinter die Kulissen“ durch die Depotanlagen. Dabei konnten wir die Dampf- und Dieselloks in den Hallen und Werkstätten bestaunen. Eine Lok stand gerade dampfend in der Bekohlungsanlage und aus dem Wasserkran wurde Wasser seitlich in die Lok eingefüllt.

Mit einem Blick auf die Uhr verspürte ich ein leichtes Hungergefühl. Da die Fahrt mit dem Furka Dampfzug etwa zwei Stunden dauern sollte und meine Jungs hier in der Höhe bald Hungergefühle bekommen würden, nahm ich Claus deshalb etwas zur Seite und er schlug vor, im Kaffeewagen eine Brotzeit zu machen. Das gefiel mir sehr gut und so machten wir uns auf den Weg Richtung Personenbahnhof wo der Zug bereits ohne Lok stand.

Das Licht hier in der Höhe war viel intensiver und bedurfte der Gewöhnung. Entsprechend froh war ich, dass ich meine Sonnenbrille dabei hatte.

Überall trafen wir auf freundliche Menschen und überhaupt war hier alles anders. Es schien alles entschleunigt zu sein. Mir tat das richtig gut, mal keine Termine und kein Organisationsstress zu haben. Claus hatte alles perfekt vorbereitet und wir wurden Gäste einer unvergesslichen Dampfzugfahrt. Er stellte uns seine Vereinskollegen vor und erst hier wurde den Jungs deutlich, dass nahezu alles, was wir zu sehen bekamen, von Ehrenamtlichen in Schuss gehalten wurde. Auch die Renovierungsarbeiten an der Strecke und den Zügen. Im Winter, wenn die Strecke nicht befahren werden konnte, wurde in den Werkstätten an den Fahrzeugen gearbeitet. Ich hatte bereits von Claus einiges im Vorfeld dazu gehört, aber es jetzt zu sehen, war noch beeindruckender.

Wir nahmen im Kaffeewagen Platz und bestellten für uns Kaffee und heiße Schokolade.

„Wie gefällt euch das hier?“ Die Frage von Claus wurde uns ganz automatisch gestellt.

„Beeindruckend“, antwortete Dustin, der die Hand seines Freundes kaum los ließ.

„So etwas kennen wir doch nur von alten Bildern und Filmen. Ich habe keine Dampfzüge mehr erlebt. Chris, hast du noch Dampflokomotiven gekannt?“

Ich musste ernsthaft überlegen und konnte mich sehr schwach in meiner frühen Kindheit daran erinnern. Allerdings waren damit keine konkreten Erlebnisse verbunden.

„Was passiert im Depot mit den Zügen? Werden die hier vorbereitet oder was wird jetzt gemacht?“, fragte ich Claus.

Nebenbei reichte er uns ein Tablett mit frischen, belegten Brötchen.

„Hier im Depot Realp wird die Lok mit Kohlen und Wasser befüllt. Damit kommen wir bis zur Station Tiefenbach, dort muss Wasser nachgefüllt werden und dann geht es richtig hoch hinauf auf über 2100 m zum höchsten Furkabahnhof. Aber ich will nicht zu viel verraten. Auf der Strecke werde ich euch alles dazu erklären.“

Claus verstand es prächtig, uns bei Laune zu halten und immer wieder neue Details zu offenbaren. In diesem Moment kam die Lokomotive vom Depot zum Bahnhof gefahren und wurde an die bereitstehenden Wagen angekoppelt. Dustin war mittlerweile nicht mehr zu halten und schaute sich die Lokomotive an. Er traute sich allerdings nicht, sich ihr auf mehr als zwei Meter zu nähern, denn überall dampfte und zischte es. Eine unglaubliche Atmosphäre. Allein deshalb hatte sich unser Ausflug schon gelohnt. Keiner dachte jetzt auch nur eine Minute an Tennis.

„So, wenn die Herrschaften mir bitte folgen möchten. Ich zeige euch jetzt unsere Plätze. Von dort habt ihr eine perfekte Aussicht auf die Strecke.“

Auf dem Weg am Zug entlang, zeigte er uns allerhand technische Sachen und wir durften dem Personal bei der Bremsprobe zuschauen. Wie viel Arbeit in diesem alten Zug steckte, wurde mir bewusst, als wir unseren Waggon betraten. Ein herrlich alter Personenwaggon. Komplett im originalen Zustand hergerichtet. Ein Traum. Claus war in seinem Element. Er hatte hier seine Bestimmung gefunden und ich war sehr froh, ihn kennengelernt zu haben. Mir gingen aber auch gerade Gedanken durch den Kopf, die vielleicht auch für die Furka-Bahn von Vorteil sein könnte.

„Sag mal Claus, mein Bruder ist ja mit zwei Spielern auf der Profitour unterwegs und wir machen einmal im Jahr ein Trainingslager zur Saisonvorbereitung. Ein Höhentraining haben wir allerdings noch nicht gemacht. Hier herrschen perfekte Bedingungen dafür. Was meinst du? Wäre das möglich? Wir können für euch in Westfalen auch ein wenig Werbung machen. Schließlich haben wir viele Wanderurlauber bei uns in Halle.“

Claus lachte und fand die Idee lustig. Wir würden da sicher noch einmal drüber sprechen. Ich wusste von Thorsten jedenfalls, dass er immer auf der Suche nach neuen Orten war. Ein Höhentraining war immer schon einmal im Gespräch.

Wir nahmen unsere Plätze ein und Claus erzählte uns von ihren Arbeiten und dem Aufwand für diese Strecke. Fynn war total begeistert von seinen Erzählungen und mir ging es genauso.

„Könnten wir auch einmal die Lok besichtigen?“, fragte Maxi unvermittelt.

„Das wäre cool“, meldete sich Dustin und wurde richtig ungeduldig.

Claus schaute auf die Uhr und erwiderte: „Ja, können wir machen. Nur ganz so viel Zeit haben wir jetzt nicht mehr. Der Zug muss pünktlich abfahren.“

Wir ließen unsere Rucksäcke zurück und verließen den Zug, um nach vorn zur Lokomotive zu gehen. Claus begrüßte den Lokomotivführer und jeder durfte mal die Lok betreten und dem Heizer über die Schulter sehen. Claus und ich blieben vor dem Zug stehen und er fragte mich:

„Du magst deine Spieler, oder? So, wie du mit ihnen umgehst, werden vermutlich nicht alle Trainer arbeiten.“

„Wie andere arbeiten ist mir relativ egal. Ich lege Wert auf eine gute Beziehung zu meinen Spielern. Letztlich sind es ja auch noch sehr junge Spieler. Außerdem haben Dustin und Fynn schon viel Negatives erlebt. Da ist es für sie wichtig, eine Bezugsperson zu haben. Und ja, ich mag meine Jungs. Sie sind für mich viel mehr als meine 'Arbeit'.“

„Ja, das merke ich. Allerdings respektieren sie dich auch sehr. Wenn ich mir jetzt die beiden da anschaue“, er zeigte auf Fynn und Dustin, „dann sehe ich zwei sehr glückliche Jungs, die immer wieder den Kontakt zu dir suchen. Du hast so etwas wie eine Vaterrolle übernommen. Wird dir das nicht manchmal zu viel? Immer in der Verantwortung zu stehen und kaum mal abschalten zu können.“

„Ja, du magst recht haben, allerdings macht es mir sehr viel Freude zu sehen, wie sie sich entwickeln. Du hast am Anfang das Elend nicht gesehen. Manchmal frage ich mich selbst verwundert, ob das alles wirklich erst ein paar Monate her ist, seit wir zusammen arbeiten. Ich bin sehr froh über ihre Entwicklung, unabhängig von ihren Leistungen im Tennis. Die sind zusätzlich noch sehr gut geworden.“

„Mal eine Frage, kannst du die drei später auch einmal für eine Stunde allein lassen? Ich würde dich gern auf dem Abschnitt von Tiefenbach bis Furka mit auf die Lok nehmen.“

Das war für mich natürlich eine große Überraschung und Freude zugleich. Ich hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, auf einer Dampflok im Führerstand mitzufahren. Die Natur sozusagen pur und ungefiltert zu erleben.

„Ja, sicher. Im Zug können sie ja nicht weglaufen.“ Dabei musste ich lachen. „Nein, Spaß beiseite. Kein Problem, sie sind sehr vernünftig und außerdem keine kleinen Kinder mehr. Und schau sie dir an, sie haben unheimlich Respekt vor deinem Kollegen. Sie werden höchstens neidisch auf mich sein, weil ich das darf und sie nicht.“

Es wurde jetzt aber Zeit für uns, wieder zurück in den Waggon zu gehen, denn der Zug musste sich auf den Weg machen. Claus hatte uns für die Ankunft in Oberwald zum Mittagessen eingeladen. Wir hatten heute keinerlei Zeitvorgaben und ich wollte auch nicht über Tennis mit den Jungs sprechen. Heute sollte der Tag genossen und der Akku wieder aufgeladen werden. Ich war sehr gespannt auf die Natur und das Bergpanorama, was uns dort erwarten würde.

An unseren Sitzplätzen angekommen, hatten sich Dustin und Fynn zusammen auf eine Bank gesetzt und ich musste ein Foto machen. Das sah einfach niedlich aus. Zwei fast erwachsene Jungs, die sich verliebt an den Händen hielten. Innerlich musste ich grinsen, denn vor wenigen Wochen wäre diese Situation unvorstellbar gewesen.

Auf dem Bahnsteig waren viele Leute und es dauerte auch nicht lang, bis der Waggon gut gefüllt war. Diese Bahn schien eine echte Attraktion zu sein und große Beliebtheit zu genießen.

Ein gellender Pfeifton kündigte die Abfahrt an und ganz langsam, nahezu ruckfrei, setzte sich der Zug in Bewegung. Da hatte jemand richtig Gefühl für die alten Maschinen. Wir schauten viel aus dem Fenster in die tolle Landschaft und es fiel kein Wort über Tennis. Heute einfach nur abschalten. Das tat mir richtig gut und ich konnte das genießen.

Allerdings war auch auffallend, dass meine Jungs in ihrem Alter so ziemlich allein waren. Entweder waren jüngere Kinder mit ihren Eltern dabei oder viele ältere Leute. Aber am Gesicht konnte ich erkennen, dass auch sie viel Freude an diesem Ausflug hatten.

Nach 20 Minuten lief der Zug pünktlich in den Bahnhof von Tiefenbach ein. Dort hatte der Dampfzug 5 Minuten Halt, weil die Wasserkästen mit Wasser gefüllt werden mussten. Wir nutzten die Gelegenheit, um Bilder zu machen und uns von Claus die Technik erklären zu lassen.

„Was für Kohle verwendet ihr dafür? Ist das normale Steinkohle?“, fragte ich.

„Das ist gute walisische Kohle. Und diese Lok ist eine der original für diese Strecke gebauten Loks aus dem Jahr 1913. Sie wurde von uns 1990 aus Vietnam zurück geholt und komplett restauriert. Heute fährt sie sozusagen wieder auf der Strecke, für die sie einmal gebaut wurde.“

„Das heißt also, die Lok ist Eigentum des Vereins?“, fragte Maxi, der sich mittlerweile zu uns gesellt hatte.

„Genau, wir haben sie gekauft als totales Wrack und dann in jahrelanger Arbeit wieder hergerichtet. Darauf sind wir auch mächtig stolz. Es steckt unheimlich viel Arbeit darin.“

Das konnte ich absolut nachvollziehen. Allein die Mechanik mit den ganzen alten Lagern instand zu halten. Wie Claus uns noch erzählte, war auch die Strecke von den ehrenamtlichen Leuten instand gesetzt worden. Das verrückte war, dass zum Winter Teile der Strecke abgebaut werden müssen wegen der Lawinengefahr. Dazu zählte sogar eine Brücke, die jedes Jahr auf- und wieder abgebaut wurde. Das war beeindruckend.

Während des Gespräches hatten sich auch Fynn und Dustin zu uns gesellt und machten fleißig Bilder. Patrick wäre sicher auch gern mitgekommen. Dafür machte Fynn umso mehr Fotos für ihn. Jetzt wurde es aber für mich ernst. Ich durfte den nächsten Streckenabschnitt bis zur Station Furka auf der Lok mitfahren. Ich wurde richtig nervös und genau so ein aufregendes Erlebnis wurde es dann auch.

Der Lokführer erklärte mir die durchzuführenden Handgriffe, damit sich der Zug in Bewegung setzen konnte. Ich staunte über den Aufwand und erst, nachdem der letzte Handgriff getan war, begann sich der Zug zu bewegen. Kurz nach der Bahnhofsausfahrt kam der nächste Zahnstangenabschnitt und ich konnte die Teamarbeit zwischen Lokführer und Heizer beobachten, die nötig ist, um den Antrieb von Adhäsions- auf kombinierten Zahnstangen / Adhäsionsbetrieb umzustellen. Ich fand die vielen Hebel, Ventile und Anzeigen sehr verwirrend.

Der Fahrtwind fegte durch den Führerstand und eine unglaubliche Geräuschkulisse tobte um uns herum. Immer wieder tönte die Signalpfeife. Ich durfte sogar selbst einmal die Pfeife betätigen. Die Fahrt wurde ein unvergessliches Erlebnis für mich. In den nächsten 20 Minuten schnaufte der Zug bis zur Station Furka auf 2160 m über NN hinauf. Der Heizer hatte alle Hände voll zu tun, musste er für eine Fahrt doch fast eine halbe Tonne Kohle schaufeln. Leider hatte die Fahrt auf der Lokomotive eine negative Nebenwirkung. Durch die ständigen Bewegungen und die kleinen Stöße in Verbindung mit dem Fahrtwind, meldete sich meine angeschlagene Wirbelsäule. Hoffentlich wurde das nicht schlimmer.

Als Claus und ich die Lok verließen, stand Maxi bereits auf dem Bahnsteig. Von Fynn und Dustin war nichts zu sehen. Wir gingen zu ihm.

„Wie hat es dir gefallen?“, fragte ich.

„Wahnsinn, so eine tolle Landschaft und die steile Fahrt bergauf war geil. Ich freue mich schon auf die Weiterfahrt. Ein tolles Erlebnis.“

„Wo sind denn die beiden hin?“

„Sie wollten kurz mal für kleine Jungs. Wir treffen uns beim Grillstand haben sie gesagt.“

Und genau dort warteten die beiden auf uns. Die Sonne lachte und meine Laune war großartig. Dieses Panorama und die klare Bergluft, einfach unglaublich. Sogar Dustin bemerkte den Unterschied zur Basler Luft.

Auf der Station Furka wurden von den Mitarbeitern der Bahn, während einer längeren Pause, Bratwürste und Getränke zum Kauf angeboten. Wir griffen gerne zu, in dieser Höhe schmeckte es besonders gut.

Danach ging die Fahrt zuerst durch den fast 2 km langen Scheiteltunnel, was im Dampfzug schon fast einer Fahrt in der Geisterbahn glich. Nach dem Tunnel kam die Station Muttbach wo wir den entgegenkommenden Dampfzug kreuzten. Claus erklärte uns, dass man früher von hier aus einen grandiosen Blick auf die Eismassen des Rhonegletschers hatte. Leider sieht man heutzutage vom Eis nichts mehr, nur das stürzende Schmelzwasser als die Quelle der Rhone, bieten ein beeindruckendes Panorama auf der Fahrt bergab nach Gletsch und weiter nach Oberwald.

„Chris“, ließ sich Fynn in Oberwald vernehmen „ … wie sieht das mit Mittagessen aus? Ich habe echt Hunger.“

Die anderen beiden grinsten und das sah also nach Fütterung der Raubtiere aus. Claus hatte ein Einsehen und wir machten uns auf den Weg zum so genannten „Gnagiwagen“.

„Wo führst du uns hin?“, fragte ich ihn.

„Hier machen die Bahnleute ihre Pausen und essen etwas. Eigentlich dürfen hier nur die Mitarbeiter essen, aber für euch machen wir heute mal eine Ausnahme.

Vor einem umgebauten Güterwagen stand eine Festzeltgarnitur und Zugpersonal wartete schon auf das Mittagessen. Hinter uns rangierte die Lok zur Drehscheibe, um für die Rückfahrt gedreht zu werden. Eine ganz spezielle Stimmung.

„Chris, dürfen wir eigentlich heute essen was wir möchten oder sollten wir für morgen etwas beachten.“

Claus schaute fragend in die Runde. Ich erklärte es ihm und sagte den Jungs:

„Nein, ihr könnt ruhig alles essen. Heute ist frei und ich will nicht über Tennis und morgen nachdenken.“

Das löste Heiterkeit aus, denn natürlich hatten sie morgen ein schweres Spiel vor sich und ich wusste ja noch nicht einmal ihre Gegner. Nur Dustin hatte ja frei.

„Ist das nicht manchmal echt nervig, wenn man immer auf alles achten muss? Dürfen deine Jungs eigentlich auch nicht in die Disko am Wochenende?“

Ich musste schmunzeln.

„Warum fragst du mich das? Frag sie doch selbst, ob sie immer im Käfig leben müssen.“

Claus schaute zu den Jungs und wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort:

„Ja, Chris ist ein harter Hund. Er sperrt uns immer am Wochenende ein und wir dürfen nur raus, um sein Motorrad zu putzen.“

Mir wäre fast meine Apfelschorle aus der Hand gefallen, als ich das von Maxi gehört hatte. Bevor ich realisierte, dass er mich böse verarschen wollte, reagierte Fynn richtig aggressiv:

„Ey, Maxi, bist du bescheuert? Wie kannst du so einen Schwachsinn erzählen? Überleg dir …“

Für einen Moment hatte Fynn geglaubt, Maxi hätte das ernst gemeint. Als er jedoch merkte, dass ich zu lachen begann, beruhigte er sich wieder.

„Ruhig, Fynn. Das war Spaß. Alles gut.“

Fynn wurde sofort rot und Dustin musste ihn mit einem Kuss besänftigen. Das gefiel mir wiederum sehr gut. Wir waren hier in der Öffentlichkeit und sie versteckten sich nicht mehr so krampfhaft.

Dieser Tag in den Bergen wurde für uns ein Tag der totalen Entspannung und Erholung. Leider ging dieser Tag viel zu schnell auch zu Ende. Zurück in Basel bedankte ich mich bei Claus für dieses haftenbleibende Erlebnis.

„Sag mal, hast du morgen Zeit und Lust die Jungs bei dem richtigen Turnier zu unterstützen?“

Claus überlegte einen Augenblick und antwortete:

„Ich muss wieder arbeiten, aber wann spielt ihr denn?“

„Ich weiß das noch gar nicht so genau. Darum muss ich mich gleich erst einmal kümmern. Ich rufe dich nachher an, ok?“

Zum Abschied umarmten wir uns und Claus gab den Jungs die Hand. Dann trennten wir uns und ich betrat mit den Jungs unser Hotel. Dort hatte der Veranstalter eine Nachricht für mich hinterlegt. Darin wurde ich gebeten, am nächsten Tag im Turnierbüro vorbeizukommen, um für die Spieler die Ausweise abzuholen. Ich hatte für Dustin eine sogenannte Coaching Card beantragt. Damit bekam er die gleichen Möglichkeiten wie ich. Ansonsten hätte er viele Bereiche nicht mehr betreten dürfen, da e ja kein teilnehmender Spieler war. Fynn hatte mittlerweile von seinen Eltern die Bestätigung bekommen, dass sie gut zu Hause angekommen waren. Damit begann der zweite Teil unseres Abenteuers in der Schweiz.

Ich stürzte mich direkt in die Vorbereitung und studierte die Auslosung. Fynn hatte insofern Glück, dass er auf einen weiteren Qualifikanten traf, während Maxi es mit der Nummer 400 der Welt zu tun bekam. Ich suchte mir über die Datenbank der ATP, das war die Weltorganisation des Herrentennis, die nötigen Informationen über den Spieler. Somit konnte ich morgen früh Maxi eine kurze strategische Einweisung geben.

Mittlerweile war es schon später Abend geworden und die drei Jungs lagen bereits im Bett, während ich immer noch unten in der Hotelbar saß, um den nächsten Tag vorzubereiten. Für Thorsten erstellte ich den versprochenen Bericht und schickte diesen noch per Email ab. Als ich aus meinem Sessel aufstehen wollte, spürte ich einen stechenden Schmerz im Rücken, der bis in den Brustkorb zog. Oha, das würde morgen ein unangenehmer Tag werden. Ich musste unbedingt etwas für meinen Rücken tun. Ich beschloss deshalb, zuallererst einmal ein paar Übungen zu machen und danach ein heißes Bad zu nehmen. Dadurch wurde es nach Mitternacht, bis ich endlich zur Ruhe kam.

Dustin: Eine neue Erfahrung

Obwohl ich nicht mehr am Turnier teilnahm, war ich sehr angespannt. Heute würden Maxi und mein Freund an ihrem ersten Profiturnier teilnehmen. Chris hatte uns gestern einen Tag in den Bergen gegeben und das war wirklich eine tolle Erfahrung. Als wir aus dem Hotelzimmer kamen, um uns mit Maxi und Chris zum Frühstück zu treffen, stellten wir überrascht fest, dass deutlich mehr Spieler in unserem Hotel waren.

Chris saß bereits mit Maxi am Tisch und als wir uns setzten, schaute uns Chris an.

„Na, wie geht es euch heute? Habt ihr die Bergluft nutzen können?“

„Es war einmalig. Nur jetzt soll es auch wieder mit Tennis weiter gehen. Hast du mittlerweile Informationen für mich?“

Mein Schatz war sichtlich angespannt. Schon in der Nacht hatte er sehr unruhig geschlafen und ich machte mir ein wenig Sorgen, ob er ausreichend ausgeruht war.

Chris lächelte Fynn an und blieb ganz ruhig.

„Sicher habe ich auch für dich eine Gegneranalyse. Setzt euch und esst erst einmal in Ruhe etwas. Anschließend geht es dann mit Tennis weiter.“

Chris hatte ein sehr gutes Gespür für die Situation und versuchte, so locker wie möglich zu bleiben. Dennoch hatte ich das Gefühl, auch er war angespannter als sonst.

„Wir frühstücken jetzt erst einmal und dann werde ich mit jedem von euch in Ruhe das nächste Match besprechen. Ziel ist, es wie jedes andere Match auch zu sehen. Es ist nur ein Gegner und ein Match. Also auf geht es.“

Für einen Moment blieb es sehr ruhig am Tisch, aber dann fing Maxi an zu erzählen, wie er den gestrigen Tag erlebt und verarbeitet hatte. Ich schüttelte angedeutet mit dem Kopf. Wie konnte er sich jetzt noch damit beschäftigen. Er und Fynn standen vor dem wichtigsten Match und Maxi redete von der Dampflok. Und Chris stieg auch noch voll darauf ein. Ich konnte es nicht fassen. Mit meinem Freund tauschte ich immer wieder nervöse Blicke. Wir waren mit den Gedanken beim kommenden Match und die beiden unterhielten sich über alte Dampfloks ...

Eine halbe Stunde später saß ich mit Fynn auf einer Bank im Hotelgarten und redete mit ihm über seine Eltern.

„Ich fand deinen Vater am Wochenende sehr entspannt und kann es kaum glauben, dass er jahrelang zu Hause nur Terror verbreitet hat. Wie war das für dich jetzt?“

Fynn holte tief Luft. Mist. Ich hatte die falsche Frage gestellt. In diesem Moment hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Vor dem wichtigen Match so ein Thema anzupacken.

„Es war merkwürdig. Ich habe mich immer wieder gefragt, meint er das so, wie er es sagt oder spielt er uns wieder nur etwas vor. So hat er sich seit Jahren nicht mehr benommen. Vielleicht werden wir doch noch wieder eine Familie. Auch Patrick hat mir gesagt, dass er sich das immer wieder fragt. Ich weiß noch nicht, was ich von ihm halten soll. Vielleicht bin ich jetzt auch ungerecht zu ihm. Ich weiß es oft nicht.“

Unbemerkt hatte sich Chris zu uns gesellt und hatte die letzten Bemerkungen mitbekommen.

„Du bist ganz sicher nicht ungerecht. Du hast viele Erinnerungen und Erfahrungen mit ihm gemacht, die momentan überhaupt nicht mehr in das Bild passen. Da darfst du dich nicht wundern, dass das Verwirrung und Misstrauen auslöst. Ich möchte dir aber einen Tipp geben. Wenn du dieses Misstrauen und die Zweifel wieder spürst und dein Vater in der Nähe ist, sag es ihm. Redet darüber. Es ist auch für ihn eine wichtige Information. Dann weiß er auch, dass er eben noch nicht wieder dort ist, wo er mal war. Ihr müsst mehr miteinander arbeiten. Er hat dir gezeigt, dass er Veränderungen möchte und du musst ihm eine faire Chance geben, diese Veränderungen auch machen zu können. Dafür braucht er deine Hilfe. Diese Hilfe besteht in Gesprächen mit dir. Sag ihm, was du fühlst und denkst. Alles, was du gerade erlebst, ist vollkommen normal und du kannst stolz darauf sein, wie gut du das managst.“

Fynn schaute Chris an und ich spürte Traurigkeit bei meinem Freund. Ich legte meinen Arm um ihn und hielt ihn ganz fest. Chris blieb wortlos bei uns und gab Fynn einen Moment zum Sammeln.

„Danke, Chris. Ich weiß ja, was du damit meinst, aber ich kann das manchmal einfach nicht. Ihm sagen, wie misstrauisch ich nach wie vor bin. Ich sehe, er gibt sich Mühe und ich bin so abweisend.“

„Es ist normal. Schau mal, du musst dir vor Augen führen, wie lange er euch misshandelt und gedemütigt hat. Da kann er nicht erwarten, dass du so schnell wieder zum Alltag zurückgehen kannst. Er erwartet das auch nicht. Ich weiß das, aber du musst mit ihm sprechen. Auch über die schlimmen Zeiten. Nur so kannst du vielleicht auch zu einem Verzeihen kommen und ihm eine neue Chance geben. Und vergiss nicht, er hat die volle Verantwortung dafür. Er war der Täter, nicht du.“

Der Blick von meinem Freund machte mir Sorgen, er schaute in die Ferne ohne Regung. Chris hatte sich mittlerweile zu uns auf die Bank gesetzt und schwieg nun. - Minutenlang saßen wir zu dritt auf der Bank und niemand sagte etwas, bis Fynn sich einen Ruck gab.

„Danke, Chris. Ich bin echt froh, dass du uns so unterstützt. Ich muss dir noch etwas von Patrick sagen. Er hat mir vor ihrer Abfahrt noch gesagt, dass er dich bewundert und sich bedanken möchte für deine Hilfe. Er hat sich nicht getraut, dir das zu sagen. Es war ihm peinlich.“

Chris lächelte still und was er dann sagte, löste bei mir eine Gänsehaut aus.

„Danke, ich freue mich natürlich darüber, aber sag ihm bitte, er kann mit mir über alles sprechen. Ich bin nicht nur für euch da. Er gehört genauso zu eurer Familie. Er darf genauso zu mir kommen, wenn er Probleme hat oder Angst oder sonst etwas. Versprichst du mir das?“

„Ja, mache ich. Manchmal denke ich, er ist doch erst zehn und nicht schon dreizehn.“

„Nein, das ist unfair. Er hat nicht ständig jemanden an seiner Seite, der ihm alles erklärt, der nur für ihn da ist und die ganze Zeit bei ihm ist. Er muss vieles allein regeln. Das ist sehr schwer und manchmal auch unmöglich. Ich glaube, du bist jetzt zu hart mit ihm.“

„Wie meinst du das?“, fragte Fynn nach.

„Nun, du hast Dustin immer in deiner Nähe und für die Fragen hast du mich. Er hat weder einen Freund noch einen Ratgeber.“

Es war einfach so cool, wie Chris das sagte. Wir wussten, dass er sich einen Spaß gemacht hatte, aber mit ernstem Hintergrund. Einfach cool. Schon war wieder gute Stimmung und Fynn lächelte wieder.

„Wollen wir jetzt über deinen Gegner sprechen?“, fragte Chris trocken.

Wir schüttelten fast ungläubig den Kopf.

„Ja, können wir machen“, kam von uns im Chor.

„Ok, dann los. Aber vorab für dich, Fynn. Du hast hier gar nichts zu verlieren oder zu beweisen. Wir haben gesehen, wie gut du bereits bist. Alles, was jetzt kommt ist ein Bonus. Nimm es als Erfahrung mit. Du hast gesehen, dass du mithalten kannst und dich hier nicht verstecken musst. Dein Gegner ist ein Defensivspieler. Er wird kaum Fehler machen und du wirst viel selbst tun müssen. Also spiel alles was du kannst und sei mutig, aber nicht ungeduldig. Du musst ihm dein Spiel aufzwingen, dann hast du Chancen. Wenn du sein Spiel mitspielen willst, dann wirst du wenige Möglichkeiten haben. Genieße einfach das Match und habe Spaß am Spielen. Ich glaube, dass du das kannst. Glaub an dich selbst und du wirst sehen, was du schon alles kannst.“

Chris schien sehr sicher zu sein, dass Fynn tatsächlich eine Chance haben würde. Ich hatte große Zweifel, wollte aber Fynn nicht noch mehr verunsichern. Chris erklärte viele Situationen und Spielzüge, dann schaute er auf seine Uhr und sagte:

„So, genug geredet. Ihr müsst eure Sachen holen und in zehn Minuten geht es in Richtung Anlage. Maxi ist schon fertig und wartet draußen auf uns.“

Ich ging mit Fynn nach oben und im Aufzug fragte er mich: „Glaubst du auch, dass ich eine reelle Chance habe? Chris ist so positiv. Ich bin mir nicht so sicher.“

Ich gab meinem Schatz einen Kuss und erwiderte: „Ich vertraue Chris und du solltest das auch tun. Er hat dir alles erklärt, also mach einfach was er sagt.“

Dann bekam er noch einen Kuss und ich konnte fühlen, wie sich Fynn verkrampft hatte. Er schaute mich danach an und sagte nur ganz leise: „Danke, ich geb mein Bestes.“

Die nächsten Minuten sprachen wir nicht mehr miteinander. Ich wusste, dass er diese Minuten für sich brauchte, aber ich durfte ihn auch nicht allein lassen. Er hatte mir das so erklärt, dass es für ihn wichtig sei, also machte ich das genau, wie er es wollte.

Als wir wieder nach unten vor das Hotel kamen, waren Chris und Maxi bereits in einer regen Diskussion.

„Ah, das seid ihr ja. Es kann also losgehen. Fehlt nur noch der Shuttledienst.“

Als ob jemand Chris gehört hätte, fuhr in diesem Moment der Fahrdienst vor und wir konnten einsteigen. Fynn und ich saßen mit Maxi hinten und Chris vorn. Auf der Fahrt wurde nur wenig gesprochen. Ich konnte aber die Spannung spüren, die im Auto lag. In dem Moment, als das Auto vor dem Eingang anhielt und Chris die Tür öffnete, wurde mir klar, jetzt wird es ernst und keiner wusste, was uns erwartete. Chris blieb sehr gelassen und führte uns zur Anmeldung. Dort erhielten wir unsere Spielerausweise und Chris seinen als Coach.

„Ihr geht euch bitte direkt aufwärmen und dann auf Platz 12 zum Einschlagen. Ihr spielt in der zweiten Runde.“

Chris gab klare Anweisungen, anders als sonst, aber mir gefiel das. So mussten sich Fynn und Maxi nicht mit diesen Dingen beschäftigen und Chris übernahm die Führung. Ich begleitete Fynn zum Platz, während sich Chris ein wenig orientieren wollte. Das große ATP-Turnier fand ja parallel statt und Jan war auch hier. Ich vermutete, dass er seinen Bruder begrüßen wollte.

Das hier war doch etwas anderes als alle Turniere, die wir bisher gespielt hatten. Überall waren Presseleute und Sponsorenvertreter mit ihren Firmenschildchen oder Stände von Sponsoren. An zwei Plätzen waren sogar Tribünen aufgebaut und die Zuschauer mussten Eintritt bezahlen. Jetzt wurde mir bewusst, dass wir ein Teil des Zirkus waren. Wir spielten mit.

Auch bei Maxi und Fynn war die Stimmung beim Einschlagen längst nicht so locker und lustig wie sonst. Es war irgendwie anders. Chris war immer noch nicht zu sehen, wobei das eigentlich auch nichts Besonderes war. Sonst kam er auch erst gegen Ende des Einschlagens, es sei denn, er wollte noch etwas Taktisches besprechen.

Damit ich nicht so nutzlos am Platz stehen musste, war ich als „Balljunge“ für Maxi und Fynn tätig, als Chris zum Platz kam. Er schaute und begann zu lachen. Keiner von uns dreien verstand zwar warum und dementsprechend fragend schauten wir ihn an. Maxi fing den Ball und fragte:

„Was hast du denn? Haben wir unsere Sachen falsch herum an? Oder was ist los?“

„Nein, alles gut. Es sieht nur so aus, als ob ihr schon fürs Finale übt mit Dustin als Balljungen.“

Na toll, da wollte ich was Gutes tun und Chris macht sich über mich lustig. Mir war das jetzt total peinlich und ich setzte mich direkt auf die Bank. Fynn fand die Reaktion von Chris auch nicht so toll und reagierte gereizt.

„Ich fand das eine tolle Idee und warum stört dich das? Was ist so lustig daran? Wir können dadurch mehr Bälle schlagen.“

Anhand seiner Stimme wusste ich, dass er sauer war. Chris kam zu uns auf den Platz und versammelte uns am Netz.

„Reg dich ab. Ich habe es einfach nur lustig gefunden, wie Dustin über den Platz gelaufen ist und die Bälle eingesammelt hat. Außerdem solltest du dir einmal abgewöhnen, immer gleich zu glauben, ich greife dich oder deinen Freund an. Das ist nämlich manchmal nervend und vor allem völlig überflüssig. Du solltest langsam wissen, wenn ich etwas anders haben möchte, dann sage ich euch das klar und deutlich. Also beruhigt euch und macht einfach weiter.

Ich habe noch eine Information für euch.“

War irgendwie auch klar, dass das ein Spaß war. Naja, Chris hatte auch recht, Fynn fühlte sich oft direkt angegriffen. Er war manchmal wirklich extrem empfindlich. Allerdings waren wir jetzt sehr gespannt auf die Information.

„Ich habe es euch noch gar nicht gesagt, aber bei Profitunieren werden alle Spiele mit Schiedsrichtern gespielt.“

„Ist das ein Unterschied zu sonst?“, fragte ich sofort.

„Absolut, ja. Der Ballwechsel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter das sagt. Auch wenn ein Ball im Aus ist, wird weitergespielt bis der Ruf kommt. Oder ihr müsst den Ballwechsel unterbrechen und riskiert bei einer Fehleinschätzung den Punktverlust. Außerdem entscheidet der Schiedsrichter, ihr seid aus den Entscheidungen raus.“

Woran Chris immer denkt. Da wäre ich jetzt nie drauf gekommen, dass das ein Unterschied sein könnte. Es gab noch mehr Informationen.

„Außerdem achtet auf die Zeiten. Hier werden die Schiedsrichter mit der Stoppuhr auf dem Stuhl sitzen und auf die Einhaltung der Intervalle achten. Aber ganz wichtig, lasst euch nicht verunsichern. Ich habe bereits bei den letzten Spielen auf euren Rhythmus geachtet. Spielt so wie immer und alles ist gut. Denkt nicht darüber nach. Noch Fragen?“

„Ja“, meldete sich Maxi. „Ich habe ein Problem mit meinen Schlägern. Mir ist eine Saite gerissen und ich habe nur noch einen Schläger für das Match.“

Chris ließ sich äußerlich nichts anmerken, aber seine Stimmlage änderte sich. Oh, oh.

„Wie kann das sein, dass du nur noch einen Schläger hast? Was ist mit den anderen drei passiert?“

„Naja, die sind in der Qualifikation gerissen.“

Chris drehte sich zu Fynn und fragte: „Was ist mit dir? Wie viele Schläger hast du noch?“

„Zwei.“

„Leute, das kann nicht euer Ernst sein.“

Er holte tief Luft und ich dachte schon, jetzt würde es einen richtigen Anschiss geben.

„Gebt mir die Schläger, ich kümmere mich darum. Darüber reden wir später. Macht euch fertig. Ich bringe sie euch dann später an den Platz. Hat sich an der Besaitungshärte etwas geändert?“

„Äh, nein, aber wir haben keine Saiten dabei.“

Chris verdrehte die Augen und ich wusste, dass er jetzt richtig sauer war, aber wiederum blieb er ruhig.

„Ich habe genug Saiten dabei. Ich werde mich jetzt darum kümmern, aber professionelle Vorbereitung geht anders. Jetzt geht euch fertig machen. Ihr seid beide gleich dran.“

Dann nahm er sich die Schläger und verschwand wortlos, aber kopfschüttelnd. Maxi und Fynn schauten sich fragend an.

„Hast du gewusst, dass es hier einen Bespannungsservice gibt?“, fragte Maxi.

„Nein, aber wir hätten es eigentlich wissen müssen. Chris ist sauer, das sehe ich ihm an. Naja, los. Ihr müsst zur Turnierleitung, hat Chris gesagt. Macht euch bereit, ich ziehe den Platz ab. Chris wird das schon machen. Konzentriert euch auf euer Spiel.“

Fynn schaute mich an und lachte.

„Was hast du?“, fragte ich.

„Du machst dich gut als Coach. Kann ich dich engagieren?“

„Wie willst du mich bezahlen?“, fragte ich neugierig.

Er kam auf mich zu, umarmte mich und gab mir einen Kuss.

„Mit Liebe?“

„Ok, das kann ich akzeptieren, aber ob Chris damit einverstanden ist, kann ich nicht sagen.“

Danach brachen wir alle in Gelächter aus. Das tat nach der blöden Situation mit den Schlägern gut.

Chris: Kleinigkeiten machen das Leben schwer

Mit Wut im Bauch machte ich mich mit den Schlägern auf zum Besaitungsservice. Damit hatte ich nicht gerechnet, dass meine Jungs das nicht gewusst haben. Bei jedem größeren Turnier gab es diesen Service für die Spieler. Also erst recht bei einem Profiturnier. Nun gut, aufregen half mir jetzt auch nicht weiter, also gab ich die Schläger dort ab und bat insbesondere für Maxis Schläger um schnelle Bearbeitung, damit er zumindest wieder ein zusätzliches Racket haben würde.

Wie peinlich wäre das wohl, wenn ein Spieler nicht weiter spielen könnte, weil er keine Schläger mehr hatte. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, war ich auf dem Weg zurück zum Platz, wo die Jungs gleich spielen würden. Die letzten Minuten sollten sie ihre Ruhe vor dem Spiel haben.

Zwei Schläger konnte ich in einer halben Stunde abholen. Den Rest dann später. Am Platz von Fynn erwartete mich ein sichtlich angespannter Dustin. Fynn schlug sich bereits mit dem Gegner ein und das hieß, das erste Match im Hauptfeld eines Profiturnieres konnte beginnen.

„Denkst du, dass er überhaupt eine Chance hat und nicht abgeschossen wird?“

„Solange der Matchball noch nicht verwandelt ist, hat man immer eine Chance. Das solltest du mittlerweile auch wissen.“

„Blödmann, du weißt genau, wie ich das gemeint habe.“

„Nun, wenn ein Spieler sogar vergisst, seine Schläger vorzubereiten, dann ist alles möglich.“

Dustin schwieg daraufhin und schaute wieder nur zu seinem Freund. Ich konnte mir diese kleine Anspielung nicht verkneifen.

Erstaunlicherweise spürte ich eine steigende Nervosität. Seit langer Zeit war ich als Coach nervös. Würden sich die Jungs gut präsentieren? Obwohl Jan mir klar gemacht hatte, dass hier niemand ein Ergebnis erwartete, wollte ich, dass wir eine gute Performance boten.

Maxi spielte auf dem Nebenplatz. Ich hatte die Turnierleitung darum gebeten, um nicht ständig hin und her laufen zu müssen.

Immer wieder schaute ich bei beiden Plätzen und das führte bei mir zu einer gewissen Reizüberflutung. Ich stand unter Strom. Das wollte ich eigentlich vermeiden, aber was sollte ich machen?

Maxi bot ein gutes Spiel, hatte aber nicht wirklich eine reelle Chance. Sein Gegner war zu gut und auch viel erfahrener in bestimmten Situationen, einfach den richtigen Ball zu spielen. Dennoch wehrte er sich tapfer und gab nie auf. Das gefiel mir sehr gut. Zu Beginn des zweiten Satzes brachte ich ihm seine frisch bespannten Schläger und er machte einen guten Eindruck. Er konnte das Spiel wirklich genießen.

Anders war das bei Fynn. Er war ständig unzufrieden und meckerte herum. Entweder über den Platz oder den Schiedsrichter oder über sich selbst. Das nervte mich. Als er sich erneut mit dem Schiedsrichter anlegen wollte, riss mir der Geduldsfaden.

„Hör endlich auf dir selbst im Weg zu stehen. Spiel Tennis und lass das Lamentieren.“

Das sagte ich so laut, dass es jeder hören konnte. Selbst der Schiedsrichter schaute verwundert zu mir. Dustin ging peinlich berührt für ein paar Minuten zu Maxi. Das verstand ich zwar nicht, aber es war mir auch ganz recht, denn so konnte ich mal richtig Klartext mit seinem Freund reden. Bis zu dem Moment, wo mich der Schiedsrichter freundlich auf das Coachingverbot hinwies. Mit einem zusätzlichen Augenkontakt gab er mir jedoch zu verstehen, dass er das sagen musste. So waren die Regeln, aber eigentlich begrüßte er meine Intervention.

Damit ich mich wieder etwas beruhigen konnte und Fynn auch etwas Luft zur Reaktion bekam, verließ ich den Platz, um zu Maxi zu gehen. Dort schien sich ungewöhnliches zu tun.

Dustin lief wie ein aufgescheuchtes Huhn am Zaun entlang. Er war total aufgeregt und als er mich entdeckte, stürmte er auf mich zu.

„Maxi hat den zweiten Satz komplett gedreht. Er führt jetzt sogar. Unglaublich!“

Ich lächelte ihn an und legte ihm meinen Arm auf die Schulter.

„Na, da wollen wir mal schauen, was hier passiert. Denk an deinen Blutdruck. Du solltest dich nicht so aufregen“, sagte ich mit einem Lachen.

„Ok, ok, Chris, aber das ist total geil. Vielleicht geht ja doch noch was.“

„Und das sagst du, obwohl es nicht dein Freund ist, der vielleicht sein Spiel drehen könnte?“

Jetzt schaute er mich durchdringend an.

„Du glaubst nicht mehr an Fynn, oder? Er hat sich daneben benommen und deshalb bist du sauer.“

„Nein, da solltest du mich besser kennen. Ich bin nicht begeistert, das ist richtig. Aber nicht, weil er sich einmal schlecht benommen hat, sondern weil er sich selbst im Weg steht. Und wenn er das nicht versteht, wird er immer wieder an dieser Stelle scheitern. Aber ich stimme dir zu, momentan glaube ich nicht mehr daran, dass Fynn sein Spiel gewinnen kann.“

Dustin wurde ruhiger und nachdenklich. Wir schauten einige Ballwechsel bei Maxi zu. Ich konnte erkennen, dass sein Gegner vollkommen die Linie verloren hatte. Vermutlich hatte er sich zu sicher gefühlt und Maxi dann unterschätzt. Tatsächlich gewann Maxi den zweiten Satz noch, obwohl er 1:4 zurückgelegen hatte. Dustin freute sich wie ein Schneekönig und auch Maxi war voller Adrenalin. Zu diesem Zeitpunkt war das Spiel wieder vollkommen offen. Maxi ließ sich nicht verleiten, jetzt zu überdrehen. Er spielte ruhig sein Spiel weiter. Das gefiel mir richtig gut. Sehr diszipliniert. Da war Maxi einfach schon weiter in seiner Entwicklung. Er konnte sich auf die Situation einlassen und vertraute meiner Strategie. Ich gab ihm mit einfachen Zeichen zu verstehen, dass ich sehr zufrieden war und ging wieder zu Fynn. Ich musste dort verhindern, dass er sich durch seine Disziplinlosigkeit womöglich noch eine Strafe einhandelte.

Dustin begleitete mich. Er war auch hin und hergerissen. Als ich zurück an meinen Platz bei Fynn kam, wunderte ich mich doch etwas. Es stand 4:4 im zweiten Satz. Damit hatte ich nicht gerechnet. Auch die Ballwechsel wurden länger und Fynn hatte aufgehört, ungeduldig auf den Punkt zu gehen. Er wartete auf den Fehler des Gegners. Er hatte eine eigene, strategische Entscheidung getroffen. Nämlich sein Spiel zu verändern. Das gefiel mir gut. Und ich hatte damit nicht mehr gerechnet. Leider war es so, dass sein Gegner aber clever genug war, bei diesem Spielstand ebenfalls zu reagieren und dann den Satz mit 7:5 gewann und damit das Spiel.

Fynn hatte verloren, aber sich zum Ende wieder von einer sehr guten Seite gezeigt. Es gab sicher einiges zu besprechen, aber ich konnte auch noch viel Positives sehen.

Dustin stand immer noch neben mir, obwohl das Match schon einige Augenblicke zu Ende war. Er war sich nicht sicher, was er tun sollte.

„Willst du nicht deinen Freund ein wenig trösten. Auch in einer Niederlage sollte man seinem Freund beistehen.“

„Obwohl er sich so mies benommen hat? Bist du nicht sauer auf ihn?“

„Und? Selbst wenn ich sauer wäre, solltest du ihm beistehen. Er ist dein Freund. Also los, zisch ab. Und ich bin nicht sauer, sag ihm das. Ich gehe zu Maxi. Bis gleich. Ach ja, er soll bitte auslaufen gehen und duschen, dann soll er sich bitte bei mir mal melden.“

Dabei zwinkerte ich Dustin zu und schon war er zu seinem Freund geeilt. Da merkte ich deutlich, dass es doch noch keine erwachsenen Spieler waren. Aber das war auch gut so, dass es mir wieder bewusst wurde.

Bei Maxi stellten sich jetzt leider erste Ermüdungserscheinungen ein. Er war einfach platt. Bei 3:1 für seinen Gegner traten erste Krämpfe auf und er quälte sich nur noch durch das Spiel. Er hatte keine reelle Chance mehr zu gewinnen. Entsprechend schnell war das Match dann auch zu Ende. Aber er hatte alles gegeben und sehr überzeugt. Eigentlich hatten alle drei Jungs eine tadellose Leistung gezeigt. Auch die kleinen Aussetzer von Fynn waren nicht so gravierend. Darüber musste sicherlich gesprochen werden, aber es zerstörte nicht den sehr guten Gesamteindruck. Ich ging zu Maxi an die Bank und bevor ich mich zu ihm setzte, gratulierte ich seinem Gegner, der sich sehr fair um Maxi kümmerte und ihm einen Krampf wegdrückte.

Als ich mich gesetzt hatte, schaute ich in zwei enttäuschte Augen.

„Sorry, mehr ging einfach nicht. Ich war körperlich nicht mehr in der Lage, noch mehr herauszuholen.“

„Ist schon klar. Aber du musst dich nicht entschuldigen. Es ist uns bewusst, dass ihr noch nicht mit den echten Profis mithalten könnt. Da fehlt noch einiges an Fitness und Training. Aber du hast eine sehr gute Leistung gezeigt, hast sehr clever gespielt, dich nicht provozieren lassen und seine Schwächen genutzt. Du kannst sehr zufrieden sein. Ich bin es jedenfalls. Lass deine Tasche hier und geh bitte ausdehnen und was trinken. Bei der Physio lass dir einen Massagetermin geben, damit du dich nicht noch verletzt. Wir sehen uns gleich im Clubhaus zur Nachbesprechung. Fynn hat auch verloren. Aber auch da war soweit alles in Ordnung.“

Er nickte nur. Maxi war körperlich komplett leer. Der Platz wurde bereits wieder hergerichtet, als ich mit ihm gemeinsam den Platz verließ. Ich trug seine Tasche und brachte ihn in die Umkleide. Dort kam Fynn gerade aus der Dusche. Jetzt war er wieder der nette Junge, wie ich ihn kannte. Sofort half er Maxi und erkundigte sich nach seinem Befinden. Ich konnte ruhigen Gewissens die Umkleide verlassen und die Jungs einen Moment allein lassen.

Für mich stand jetzt noch ein Meeting mit Jan an. Er wollte mich unbedingt noch sprechen, bevor wir wieder zurückfliegen würden. Er hatte mir gesagt, dass er auf den Trainingscourts sei und dort mit Gilles trainieren würde. Gilles musste erst morgen ins Turnier eingreifen.

Als ich an seinen Platz kam, waren dort bestimmt zehn Pressevertreter und Kamerateams. Sogar ein Team von Eurosport berichtete von Gilles.

Jan gab gerade ein Interview, als er mich bemerkte. Ich blieb etwas abseits stehen und wartete, was passieren würde. Gilles hatte mich gesehen und grüßte vom Platz. Ich hatte mir eine schattige Bank gesucht und dort Platz genommen. Erst jetzt bemerkte ich, wie sich die Anspannung bei mir löste. Unser Abenteuer Profitennis war beendet, vorerst.

„Na, kleiner Bruder. Wie geht es dir jetzt?“

Jan war zu mir gekommen und setzte sich neben mich auf die Bank. Er hatte dabei den Platz immer im Auge.

„Ganz ehrlich, ich bin froh, dass es vorbei ist. Die Jungs haben eine sehr gute Leistung gezeigt und ich habe viel gelernt. Weiß jetzt, wo noch viel Arbeit liegt. Aber ich habe das Gefühl, dass alle drei gesehen haben, so weit weg sind sie nicht.“

„Gut beobachtet. Da stimme ich dir zu. Wir sollten in Halle über die weitere Turnierplanung sprechen. Ich möchte, dass sie mehr Future Turniere und Challengers spielen. Weniger Jungendturniere. Nur so bekommen sie die nötige Erfahrung und auch Matchhärte. Ich hoffe, sie sind nicht zu enttäuscht. Es gibt dafür keinen Grund.“

„Wir müssen aber aufpassen, dass sie nicht überfordert werden. Das hat hier viel Kraft gekostet. Außerdem sehe ich Dustin noch nicht ganz so weit, auch körperlich hat er noch Defizite.“

Jan nickte und wir einigten uns darauf, dass wir in Halle eine Teambesprechung machen würden, bei der das in Ruhe besprochen werden sollte. Es wäre auch eine neue Situation, falls Dustin andere Turniere spielen würde als Fynn. Mal sehen, wie das gehen könnte. Danach verabschiedete ich mich bereits von ihm, denn wir konnten leider nicht länger bleiben. Die Jungs mussten ja wieder in die Schule. Sie waren nur so lange beurlaubt, wie das Turnier dauern würde. Jetzt waren alle ausgeschieden, also mussten wir zurück. Ich hätte mir allerdings gern noch ein paar Matches beim ATP-Turnier angesehen.

Zurück im Clubhaus holte ich mir im Turnierbüro die Schecks für das Preisgeld ab und quittierte den Erhalt. Das sollte noch eine kleine Überraschung sein. Bei den Profiturnieren gab es bereits ab der ersten Runde ein ordentliches Preisgeld.

Meine Jungs waren noch nicht zurück und das gab mir etwas Zeit, über die Zukunft nachzudenken. Wie sollte das auch für mich weitergehen? Es war doch alles sehr schnell gegangen und jetzt war ich voll in der Trainerrolle.

Ich begann, mit meinem Laptop die Matches zu analysieren und mir Notizen zu machen. Damit würden wir in Halle die Nachbesprechung durchführen und den weiteren Trainingsplan aktualisieren können.

Bevor wir aber zurück nach Halle fliegen würden, wollte ich mit den Jungs richtig schick essen gehen. Das hatten wir uns verdient und bis zum Heimflug waren es noch drei Stunden.

Eine Stunde später saßen wir abflugbereit beim Italiener in der Nähe des Flughafens. Ich hatte gerade meine Pasta aufgegessen und mir einen „Othello“ bestellt. Dustin war noch mit seinem Nachtisch beschäftigt, während Fynn mit seiner Mutter telefonierte. Maxi hatte bereits seinen Vater über unsere Rückkehr informiert. Seiner Mutter ging es soweit gut. Sie hatte die Operation problemlos überstanden und man wartete jetzt auf die Ergebnisse. Mir war das jetzt etwas unangenehm, denn ich hatte den ganzen Tag nicht mehr daran gedacht, dass seine Mutter ja heute operiert wurde.

„So, wir haben nicht mehr so ganz viel Zeit bis wir zum Flieger müssen, deshalb möchte ich mit euch noch eine Nachbesprechung machen. Wie hat es euch gefallen und was nehmt ihr mit nach Hause?“

Für einen Moment waren sie sprachlos. Ich wollte Dustin zuerst die Gelegenheit geben, seine Erlebnisse zu schildern.

„Ich habe zwar als erster verloren, aber dennoch bin ich zufrieden mit meiner Leistung. Ich glaube zwar nicht, dass ich noch viel besser spielen kann, aber es war ein tolles Erlebnis.“

„Denkst du generell nicht, dass du nicht mehr besser spielen kannst oder momentan nicht?“

„Ich weiß es nicht. Ich kann das nicht einschätzen wie viel ich noch besser werden kann. Vielleicht reicht es für mich nicht, ganz oben zu spielen.“

Fynn wollte sofort seinem Freund widersprechen, aber ich blockte das ab.

„Eines kann ich ganz sicher sagen, keiner von euch ist bereits am Ende seiner Entwicklung angekommen. Aber bei keinem von euch kann heute jemand auch verbindlich sagen, ob er noch höher spielen wird oder sogar Profi werden kann. Es geht auch gar nicht darum, dass einer von euch die US open gewinnt. Es geht doch darum, das Maximum aus sich herauszuholen. Wenn man das tut, kann man sagen, ich habe alles gegeben. Und für dieses Turnier kann ich bestätigen, dass jeder das gezeigt hat, was er momentan zu leisten imstande ist.“

Es herrschte für einen Moment fast andächtiges Schweigen, bis Maxi als erster die Sprache wiederfand.

„Ja, du hast sicher recht. Für mich war es ein grandioses Erlebnis. Ich möchte aber auch sagen, dass ich nur so gut spielen konnte, weil wir als Team so gut harmonieren. Es macht einfach Spaß mit dir als Coach und Fynn und Dustin unterwegs zu sein. Das habe ich noch nie so erlebt. Dafür möchte ich mich auch einmal bedanken. Du hast großen Anteil daran, dass ich hier diese Erfahrungen machen konnte.“

„Es ist nicht nur das Training oder die Betreuung hier. Chris ist für mich zu einem Freund geworden. Was du für mich schon alles getan hast, hat noch kein anderer gemacht. Es ist schon klasse, vor so vielen Leuten spielen zu können und diese Erfahrung war die Schinderei beim Training wert. Ich würde gern irgendwann noch einmal so eine Chance bekommen.“

Ich fühlte mich gerade etwas unwohl, denn so viel Lob war ich gar nicht gewohnt. Gerade Fynn hatte bislang eher selten ein Lob offen ausgesprochen.

„Wenn du weiterhin so gut trainierst, wirst du sicherlich schon sehr bald wieder bei einem Profiturnier antreten. Ich sehe euch alle sehr positiv. Ihr habt euch stark gesteigert und seid nicht zusammengebrochen. Ihr habt gezeigt, dass ihr dem Druck gewachsen seid. Das hat mich beeindruckt und ich möchte das Kompliment an euch zurückgeben. Es macht Freude, mit euch zu arbeiten und euch zu unterstützen.“

Maxi hatte jetzt noch eine Frage: „Was hat Jan eigentlich gesagt? Ist er auch mit uns zufrieden? Oder hast du gar nicht mehr mit ihm gesprochen?“

„Doch, natürlich habe ich mit ihm gesprochen. Er hat nur gesagt, dass er zufrieden ist und ich bei der nächsten Teambesprechung über euren weiteren Turnierplan erneut diskutieren soll. Er soll geändert werden.“

Mehr wollte ich dazu noch nicht sagen.

„Heißt das, du glaubst, dass wir noch besser werden können und hier eine gute Leistung gezeigt haben?“, fragte mich Dustin.

„Ja, absolut. Du hast noch etwas Rückstand in deiner Fitness und Athletik, aber du bist auch der jüngste und hast noch nicht so lange das Aufbautraining in der Base mitgemacht. Mach dir keinen Stress.“

„Also kann ich weiter mit Fynn und Maxi trainieren?“

Diese Frage irritierte mich jetzt.

„Natürlich. Warum sollte sich daran etwas ändern?“

Dustin schwieg dazu, aber an seinem Blick wusste ich, dass es doch mehr an ihm nagte, dass er früher verloren hatte. Das Thema sollte ich im Auge behalten und vielleicht auch einmal mit Fynn ein Gespräch dazu führen. Leider musste ich auf die Zeit achten und ich hatte ja auch noch eine positive Sache zu erledigen.

„Bevor ich das vergesse. Ich habe hier noch etwas, was ich euch geben sollte.“

Ich legte die beiden Umschläge mit den Preisgeldschecks auf den Tisch.

„Zum einen habt ihr noch gar nicht gefragt, wie viele Punkte ihr jetzt bekommen habt. Fynn und Maxi haben jeweils 3 Weltranglistenpunkte bekommen. Außerdem noch diese beiden Umschläge.“

Ich schob Maxi und Fynn jeweils einen Umschlag zu. Ich wusste die Summe ja bereits und war jetzt gespannt auf ihre Reaktion. Maxi schaute auf den Scheck und bekam große Augen und Fynn gab seinen direkt an Dustin weiter. Alle drei schüttelten ungläubig den Kopf.

„Das bekommt man sonst nicht einmal für einen Sieg bei einem Ranglistenturnier, was wir sonst gespielt haben.“

Ich lächelte und antwortete: „Richtig, aber dort wird auch nicht so gutes Tennis gespielt.“

„Äh, wie ist das denn jetzt. Was dürfen wir davon denn behalten? Eigentlich bekommt doch das Team Preisgelder über 500 Euro.“

„Ich weiß, Jan hat sich schon geäußert. Er sagt, ich soll euch die Schecks geben. Es ist eine Belohnung für eure gute Arbeit.“

Dabei schaute ich Fynn an und konnte sofort sehen, dass er seinem Freund davon etwas abgeben würde. Was Maxi jetzt aber sagte, war weit mehr, als ich je erwartet hätte.

„Aber Dustin bekommt jetzt gar nichts, obwohl er auch gute Arbeit geleistet hat und uns immer unterstützt hat. Ist das nicht ungerecht?“

„Nun, Geld gibt es leider nur für die erfolgreichen Spieler. Deshalb gehen ja sonst die Gelder über 500 Euro in die Teamkasse, damit euer Training gefördert werden kann.“

„Fynn“, sagte Maxi, „Ich möchte, dass wir Dustin jeweils ein Drittel abgeben. Machst du mit?“

Dustin schien das genauso zu überraschen wie mich. Er schaute Maxi fragend an, während Fynn sofort zustimmte.

„Klar, da bin ich dabei. Das machen wir so.“

Was für ein Team hatte ich hier? Bei Geld hörte sonst bei den meisten anderen der Spaß auf. Gut, es war ihr erster Erfolg und es würde in Zukunft sicher anders laufen, weil wir auch über diese Dinge neu sprechen mussten.

„Jungs, ich muss zugeben, ihr seid immer noch in der Lage, mich zu überraschen. Es freut mich sehr und macht mich auch etwas stolz, dass ihr begriffen habt, ihr seid im Team erfolgreich. Ganz großartig. Dafür bezahle ich mal das Essen und dann geht es zum Flughafen. Sonst verpassen wir den Flieger.“

Der Rückflug dauerte nicht lange und verlief auch unspektakulär. Wir luden die Taschen ins Auto und ich brachte sie zurück in die WG. Damit war der Ausflug in die Schweiz beendet und der Alltag hatte uns wieder.

Als Information für den interessierten Leser:

Bei den Challengerturnieren gibt es je nach Kategorie zwischen 800 und 1000 Dollar für das Erreichen der ersten Hauptrunde. Der Sieger der Australien Open in Melbourne erhält in diesem Jahr 3 400 000 Australische Dollar.Das sind etwa 2,3 Mio Euro.

Fynn: Diese Erfahrung war toll

Die Rückkehr in die WG wurde ein schönes Erlebnis, denn Chris hatte Martina immer berichtet. Sie hat es dann den anderen Jungs erzählt und somit wurden wir sehr euphorisch empfangen. Wir mussten viel berichten und unsere Bilder zeigen, die wir gemacht hatten. Die Müdigkeit kam dann aber umso gewaltiger, als ich mit Dustin endlich bei uns allein war. Innerhalb weniger Minuten bin ich auf der Couch eingeschlafen und wachte erst gegen Mitternacht auf. Dustin hatte mich schlafen lassen und war allein ins Schlafzimmer gegangen. Leise folgte ich ihm dann und legte mich auch ins Bett.

Am nächsten Morgen stand leider wieder die Schule auf dem Plan. Mein Körper zeigte mir durch Schmerzen in allen Bereichen an, dass er dringend Erholung brauchte. Chris hatte uns davor schon gewarnt. Die körperliche Belastung bei einem Profiturnier war doch erheblich höher als wir das bislang kannten. Leider behielt Chris, wie so oft, recht. Es war sehr unangenehm aufzustehen.

„Boah, ich fühle mich wie neunzig heute Morgen. Geht es dir nicht so?“

„Nö, ich fühle mich gut. Du bist halt schon alt.“

Dabei grinste mich Dustin frech an und begann mich zu kitzeln. Er wusste ganz genau, wie kitzelig ich bin. Entsprechend schnell und mit einem lauten Schrei sprang ich aus dem Bett. Mein Freund lachte sich kaputt.

„Du bist echt fies, und so einer will mein Freund sein?“

„Ich will nicht nur, ich bin dein Freund und möchte nur, dass du nicht zu spät in der Schule erscheinst. Ich will immer nur dein Bestes.“

„Jaja, ich beeil mich ja schon. Aber bekomme ich wenigstens noch einen Guten-Morgen-Kuss?“

Das ließ er sich nicht zweimal fragen und da wusste ich, warum er mein Freund ist. Es war immer wieder schön und aufbauend. Gerade dann, wenn es mir mal nicht so gut ging, half er mir über diesen Punkt hinweg.

Vor dem Schulgebäude trennten wir uns. Heute würden wir uns erst nach der Schule wieder sehen, denn Dustin hatte heute eine Exkursion auf dem Plan. Seine Klasse hatte einen Besuch in der Suchtberatungsstelle. Sie hatten das Thema gerade in mehreren Fächern und heute sollte damit sozusagen der Abschluss sein.

Ich lief unseren Flur entlang, als ich Frank aus meiner Klasse traf.

„Hi, Fynn. Na, wie war euer Turnier? Wo habt ihr eigentlich gespielt? Unsere Lehrer haben wieder einmal nichts dazu gesagt.“

„Lass uns in der Pause in Ruhe darüber sprechen, aber es war sehr gut. Eine tolle Erfahrung.“

Frank lachte und freute sich ehrlich mit mir. Er war einer der wenigen, der offen mit mir umging und mir auch schon mehrfach geraten hatte, mich nicht immer so zurückzuziehen. Ich mochte ihn, vielleicht sollte ich wirklich offener sein. Meine Klasse hatte sich bislang nicht negativ zu meiner Homosexualität geäußert. Eher im Gegenteil. Ich wurde immer mehr akzeptiert. Es fiel mir aber immer noch schwer, mich mit Dustin offen zu zeigen.

Die ersten beiden Stunden bis zur ersten großen Pause verliefen normal. Ich hatte natürlich einige Tage Unterricht versäumt und entsprechend Schwierigkeiten, sofort in den Unterricht einzusteigen. Das war halt der Nachteil unserer Beurlaubungen. Wir mussten den Stoff nacharbeiten.

In der Pause kam Frank zu mir und fragte: „Sag mal, wo hast du Dustin gelassen? Ist er krank?“

Lachend antwortete ich: „Nein, die machen heute einen Ausflug in die Stadt. Ins Beratungszentrum.“

„Ah und du kannst auch mal ohne ihn sein?“

Er meinte das überhaupt nicht böse, sondern er mochte Dustin auch. Es war eine normale Frotzelei.

„Naja, solange ich dich als Ersatz habe, geht es sehr gut.“

Für einen Moment zuckte er zusammen, dann fing er an zu lachen.

„Wow, guter Konter. Du machst dich langsam. So, jetzt erzähl aber mal von eurem Turnier.“

Ich berichtete also, was wir alles erlebt hatten. Als ich von der Begegnung mit Roger Federer erzählte, bekam er große Augen.

„Krass, ihr habt mit Roger gemeinsam trainiert?“

„Nein, das nicht, aber wir haben gemeinsam gegessen und bei ihm zugeschaut.“

„Das war bestimmt aufregend, oder? Ich wüsste gar nicht, ob ich dann überhaupt ein Wort herausbekäme.“

„Am Anfang war das bei uns schon so, aber er ist echt nett und vollkommen normal. Wir haben uns dann total locker unterhalten. Wirklich, er ist ein super netter Typ.“

„Ich habe mal eine ganz andere Frage, Fynn. Du bist doch so gut in Mathe und Physik. Mein kleiner Bruder hat da große Probleme und bräuchte dringend eine Nachhilfe. Ich könnte ihm das sicher auch erklären, aber wir streiten uns nur ständig. Es klappt so einfach nicht. Könntest du das nicht vielleicht einmal mit ihm versuchen?“

„Ich? Meinst du wirklich, ich bin der Richtige dafür?“

„Ja, du hast doch auch schon einmal Björn geholfen.“

Das stimmte, Björn war in unsere Klasse gekommen und hatte am Anfang große Startschwierigkeiten. Mittlerweile war er ein guter Schüler und brauchte keine Unterstützung mehr.

„Ja, aber Björn ist auch so alt wie wir, ich weiß nicht, ob ich das mit deinem kleinen Bruder kann. Wie alt ist er denn?“

„Dreizehn und ich habe einfach keine Geduld. Immer provoziert er mich und kann sich nicht konzentrieren.“

„Was sagen denn deine Eltern dazu? Ich meine, ich habe eigentlich sehr wenig Zeit dafür. Also ich könnte das sicher nicht für eine längere Zeit machen.“

„Sie haben mich ja gefragt, ob ich jemanden wüsste. Da bist du mir sofort in den Sinn gekommen. Du bist nett und kannst dich durchsetzen. Ich glaube, mein Bruder braucht klare Linien. Mich respektiert er einfach nicht.“

Ich überlegte einen Moment. Frank war mir immer eine Unterstützung gewesen. Ich wollte ihn nicht hängen lassen, aber auf Dauer fehlte mir die Zeit für so was.

„Gut, wir versuchen das einmal. Aber das wird keine Dauerlösung sein.“

„Cool, wann kannst du denn überhaupt? Jonas soll sich nach dir richten. Dann spürt er auch gleich, dass es ernst wird. Er muss in Mathe eine vier haben, sonst muss er in die Nachprüfung. Mama meinte, dass er lernen soll, sich unterzuordnen.“

Mein Gedanke war, das wäre doch bestimmt eher ein Fall für Chris als für mich.

Naja, ich hatte zugesagt und wir verabredeten uns für morgen nach der Schule. Chris hatte uns morgen frei gegeben. Maxi wollte eh in die Klinik zu seiner Mutter und wir sollten nur leichtes Lauftraining machen. Zur Regeneration.

Der Nachmittag ohne meinen Freund verlief sehr interessant. Ich bemerkte, dass ich, seit wir in der WG wohnten, wenig allein gemacht hatte. Zuerst musste ich natürlich den anderen von unserer Turnierreise erzählen. Insbesondere Carlo war sehr aufmerksam und da er ja immer noch sehr große Probleme hatte, sich zu bewegen, hatte ich mich zu ihm gesetzt und mit ihm einige Zeit nach dem Essen verbracht. Chris hatte sich für Donnerstag nach dem Training angekündigt, um mit seinen Eltern und ihm die Geschichte mit der Panigale abzuschließen. Carlos Eltern hatten darauf bestanden. Jetzt hatte Carlo natürlich etwas Angst davor.

„Mensch Carlo, wie lange kennst du Chris jetzt? Hast du ihn jemals richtig sauer erlebt? Er hat das doch schon längst abgehakt. Seine Maschine ist in der Werkstatt und wird repariert. Die Versicherung wird es bezahlen und dann ist das Geschichte. Viel wichtiger ist doch, dass du bald wieder mit Training anfangen kannst. Wie sieht denn das Bein aus?“

Seine Wade war dick verbunden und so konnte man nichts erkennen.

„Ich weiß nicht, Martina sagt beim Verbandswechsel, dass es ganz gut aussieht. Ich schau immer weg. Ich hab Angst, dass mir schlecht wird.“

Ich fand das lustig. Er wiederum weniger.

„Ok, aber du musst doch wissen wie es sich entwickelt. Oder wartest du, bis Martina oder der Arzt sagt, jetzt kannst du wieder anfangen zu gehen?“

„Ja, ab morgen darf ich das Bein wieder mit 30% belasten. Wenn das nicht weh tut und die Wunde nicht mehr nässt, kann ich mehr machen und zur Physiotherapie gehen.“

Wir hatten Ruhe in der WG, die anderen waren alle unterwegs und Martina nutzte die Zeit für den Wocheneinkauf. Ich hatte noch einiges für die Schule zu tun und wollte mich jetzt in unsere Wohnung dafür zurückziehen, aber Carlo fragte:

„Kannst du nicht hier deine Schulaufgaben machen? Ich möchte nicht gerne so ganz allein sein, wenn ich vielleicht etwas benötige, oder mal zur Toilette muss, dann brauche ich ja immer etwas Hilfe.“

Naja, eigentlich hatte er ja auch seine Krücken, aber gut, für mich war das jetzt keine große Sache. Ich holte meine Sachen und wir arbeiteten beide an unseren Aufgaben bis Martina vom Einkauf zurückkam.

„Hallo ihr zwei, sind die anderen immer noch nicht wieder zurück?“

Wir schauten uns an und Carlo grinste.

„Nein, alle ausgeflogen. Sie wussten ja, dass du einkaufen bist. Da will keiner hier sein.“

Ich fand das ganz schön frech, aber Martina wusste sich zu wehren.

„Na schön, dann werde ich mir mal überlegen müssen, ob ich euch nicht einfach mal kein Essen mache oder ein paar Tage wegfahre.“

„Ha, siehst du Carlo, sie weiß immer eine bessere Antwort. Deshalb gehe ich jetzt freiwillig und helfe beim Hereintragen der Sachen.“

„Schleimer“, kam flapsig von Carlo.

Ich ging mit Martina nach unten und holte die vielen Sachen aus ihrem Auto und trug mit ihr alles ins Haus.

„Ist Dustin immer noch nicht zurück? So lang haben die Beratungsstellen doch gar nicht auf. Hat er sich denn mal gemeldet?“

Ich schaute zur Uhr und tatsächlich war das bereits ungewöhnlich spät. Ich hatte mittags eine Nachricht von ihm bekommen, aber danach nicht mehr.

Bevor ich aber weiter darüber nachdenken konnte, hörte ich Geräusche von der Terrasse. Dustin betrat das Wohnzimmer vom Garten aus.

„Da bist du ja. Ich hatte mir schon Gedanken gemacht, wo du so lange bleibst.“

„Boah, ja. Sorry, aber mein Rad hat einen Platten. Ich musste die ganze Strecke schieben.“

„Das ist ja blöd.“

Zur Entschädigung begrüßte ich meinen Freund erst einmal mit einem Kuss. Martina fand das lustig und lachte.

„Na, wenigstens hast du so den Einkauf verpasst.“

„Ich hätte lieber geholfen, als den ganzen Weg schieben zu müssen. Kann ich noch etwas tun?“

„Nein, ist schon ok. Mach dich erst einmal frisch und kümmere dich um deinen Freund. Wir essen dann nachher gemeinsam. Maxi kommt heute und morgen nicht. Er ist bei seiner Mutter.“

Ich nahm Dustin sofort mit zu uns in die Wohnung und holte noch schnell etwas zu trinken. Als er aus dem Bad kam, setzten wir uns auf die Couch und er berichtete von seinem Tag. Dabei sprachen wir auch über meinen Vater und seine Abhängigkeit. Genau an der Stelle kam uns beiden der Gedanke, dass Chris auch abhängig war.

„Schon komisch, wenn man bedenkt, dass beide abhängig waren und so unterschiedlich damit umgegangen sind. Chris hatte ja schon oft erklärt, dass jeder Verlauf anders ist, aber wenn man nichts dagegen tut, das Ergebnis immer der Tod sein wird. Mal früher, mal später.“

Dabei erschrak ich doch. Es fiel mir sehr schwer, mir vorzustellen, dass Chris fast daran gestorben wäre. Dustin spürte meine Reaktion und er wechselte betroffen das Thema.

„Hey, du musst nicht gleich das Thema wechseln. Es ist doch gut, dass Chris sich gefangen hatte und wir heute von ihm profitieren können. Wir müssen noch mit Martina sprechen, dass wir für ihn kochen wollen.“

In diesem Moment klopfte es bei uns.

„Herein“, rief Dustin. Die Tür öffnete sich und Martina stand in der Tür.

„Könnte einer von euch beim Essen vorbereiten helfen? Durch den Einkauf ist es etwas spät geworden. Ich schaffe es sonst nicht so gut.“

„Klar“, kam von uns beiden.

Sie lachte und freute sich über unsere Hilfsbereitschaft.

„Toll, dann schaffen wir das ganz locker. Ich freue mich, dass ihr mir helfen wollt.“

„Naja, Carlo kann es noch nicht, Maxi ist nicht da und Tim noch beim Training. Also retten wir das Essen. Wir wollen ja nicht hungern müssen.“

Ich wunderte mich schon über Dustins Bemerkung. Er war sonst nicht so locker. Aber seit unserer Rückkehr aus der Schweiz wurde er deutlich lockerer.

Martina fand das auch total lustig und so machten wir uns gut gelaunt auf den Weg in die Küche. Sie erklärte uns unsere Aufgaben und dann ging es los. Wir waren bereits ein gutes Team und hatten auch viel Spaß dabei. Sogar Tim blieb bei uns in der Küche, als er sich zurückmelden wollte. Er half bei den letzten Vorbereitungen noch mit und somit konnten wir gemeinsam pünktlich essen.

Es wurde seit Tagen wieder ein gemütlicher Abend zu zweit und das nutzen wir auch sehr gut aus. Entsprechend entspannt gingen wir zu Bett und schliefen auch recht schnell ein.

Chris: Teambesprechung mit Martina in der Base

Nach unserer Rückkehr musste ich eine Reihe von Dingen in meinem Beruf regeln. Es war doch einiges liegen geblieben und mir wurde bewusst, dass ich auf Dauer diese Doppelbelastung nicht stemmen konnte.

Für die Jungs lief es gerade sehr gut und meine Kollegen in der Beratung waren sehr verständnisvoll. Dadurch konnte ich momentan beides unter einen Hut bekommen. Sollten wir aber häufiger solche Reisen machen, würde es schwierig werden.

Von daher war ich froh, dass ich am Mittwoch und Donnerstag kein Training machen musste, sondern den Jungs mehr oder weniger Erholung verordnet hatte. Heute Abend stand aber eine Besprechung in der Base an und das erste Mal sollte auch Martina dabei sein. Thorsten hatte mich vorher zu einer Stunde Tennis eingeladen.

Erfreulich war auch, dass ich meine Panigale wieder abholen konnte. Es war doch etwas anderes, mit der eigenen Maschine zu fahren. Ich freute mich also auf meinen Feierabend am Donnerstag. Ich schaute mir für die nächste Woche noch meine Termine an und verabschiedete mich dann aus der Dienststelle.

Auf dem Hof des Ducatihändlers standen wirklich schöne Maschinen. Meine fand ich leider noch nicht, deshalb betrat ich den Laden und grüßte mit einem fröhlichen:

„Moin, zusammen.“

Hinter dem Tresen stand Micha und lachte mich an.

„Moin, Chris. Wieder im Lande? Wie war es bei den Eidgenossen?“

„Gut, die Jungs waren richtig gut. Außerdem haben wir viele nette Leute kennengelernt. Hat sich definitiv gelohnt.“

„Cool, du willst deine Panigale wieder haben, vermute ich mal.“

„Jap, du hattest ja in der Mail geschrieben, dass sie fertig ist.“

„Stimmt, dann komm mit in die Werkstatt. Dort erkläre ich dir, was alles gemacht wurde.“

Ich folgte ihm in die große Halle hinter dem Verkaufsbereich und dort standen einige Maschinen auf Bühnen und einige waren auf dem Boden. Micha führte mich zu meiner Panigale und der Mechaniker kam von einer anderen Maschine herüber. Ich gab ihm die Hand und er fragte mich:

„Wie hast du das eigentlich geschafft? Du fährst doch schon lange Moped. Das ausgerechnet dir so was passiert.“

Ich musste schmunzeln, erzählte kurz was passiert war und dann meinte er:

„Ach so, deshalb meinte Micha auch, wir sollten alles tauschen und nichts reparieren.“

Ich schaute Micha fragend an.

„Schau mal, Chris. Wir haben alle beschädigten Teile gegen Neuteile getauscht. Dadurch bleibt der Wert erhalten. Die Versicherung übernimmt den kompletten Schaden und von daher war das die beste Wahl.“

Sie erklärten mir alles sehr genau und dass sie noch ein Software-Update gemacht hatten. Damit würde die Motorcharakteristik etwas weicher sein.

Ich bedankte mich und sie rollten mir die Maschine auf den Hof. Dort bestieg ich mein Spielzeug und fuhr direkt in Richtung Halle.

Einfach eine tolle Maschine und ich hatte viel Spaß auf dem Weg in die Base. Dort angekommen, begrüßte ich Thorsten und machte mich direkt auf in die Umkleide. Vor unserer Besprechung wollten wir noch etwas spielen.

Während einer Pause auf der Bank fragte mich Thorsten:

„Und haben sich unsere Jungs wirklich so gut benommen, wie du mir gemailt hattest? Oder gab es Probleme?“

„Bestens, absolut ein tolles Team. Da haben wir eine richtig gute Truppe und wir sollten sie auch nicht trennen, auch wenn Dustin vielleicht nicht ganz die Leistung bringen kann wie Maxi und Fynn.“

„Ok, reden wir gleich drüber. Du bist also zufrieden mit dem Verlauf?“

„Total. Es war ein beeindruckendes Erlebnis. Die Jungs haben sicher viel mitgenommen und für den Zusammenhalt war das mehr als sehr gut.“

Wir spielten dann noch eine halbe Stunde und gingen anschließend duschen. Gleich würde die erste Besprechung mit Martina stattfinden und dort wollte ich auf jeden Fall die Kompetenzen klären. Wir saßen noch etwas an der Theke im Clubhaus und einige der Spieler hatten uns begrüßt. Thomas war auch zwischendurch einmal hereingekommen und hatte mich begrüßt.

Eine Stunde später saßen wir im großen Besprechungszimmer und tauschten die neuesten Informationen aus. Trainingsergebnisse und Turnierergebnisse wurden ausgetauscht und erörtert. Meine Jungs und die Jungs aus der WG kamen zum Ende dran.

Ich hatte meinen Bericht von unserem Trip aus der Schweiz gerade beendet und wollte beginnen über die Schwierigkeiten in der WG zu berichten. Auch Fynns Entwicklung außerhalb des Platzes wollte ich beschreiben, als Christoph, unser Teamarzt sich meldete.

„Wie war denn Fynns Zustand in der Schweiz? Gab es dort Probleme mit dem Kreislauf oder Blutdruck?“

„Nein, absolut keine Probleme, auch bei dem letzten Match nicht. Er war körperlich absolut unauffällig. Ich hatte erneut den Eindruck, je weiter er von seinem Alltag weg war, desto besser ging es ihm. Allerdings haben sich auch vor dem Ausflug schon keine neuen Probleme eingestellt. Die Annäherung mit seinem Vater scheint positiven Einfluss zu haben. Ich glaube ja, dass seine körperlichen Symptome psychische Ursachen haben.“

„Du meinst also, er wird sich stabilisieren, wenn er seine persönlichen Dinge geregelt bekommt?“

„Ja, Thomas. Das gleiche gilt auch für Dustin. Sie lernen und begreifen erst jetzt, wie wichtig es ist, sich wohl zu fühlen, um gute Leistungen zu zeigen. Das spielerische Potenzial ist jedenfalls noch lange nicht ausgereizt. Leider ist Dustin noch nicht so weit, aber er muss auch alles komplett ohne familiäre Anbindung machen. Er wurde von seinem Vater schwer misshandelt und hat traumatische Erfahrungen gemacht. Seine Beziehung zu Fynn ist für ihn die erste feste Anbindung an eine andere Person. Er findet langsam seinen Weg und wird sich auch noch deutlich steigern können.“

„Wie sieht denn ihr Verhalten in der WG aus?“, fragte Thorsten.

Ich schaute Martina an und übergab ihr das Wort.

„Also grundsätzlich sind gerade Maxi, Fynn und Dustin sehr selbstständig. Bei Dustin erlebe ich eine starke Bindung. Sowohl zu Chris, als auch zu mir. Maxi ist momentan sehr still und zieht sich etwas zurück. Ich glaube aber, dass das mit der Situation seiner Mutter zu tun hat. Carlo und Tim sind dagegen echt anstrengend. Vor allem Tim kennt anscheinend keine verbindlichen Regeln. Da muss dann manchmal schon Chris dazwischen gehen und ihm seine Grenzen aufzeigen. Mir weicht er entweder aus oder lügt mich an.“

„Stimmt das eigentlich, dass Carlo das Motorrad von Chris beschädigt hat?“, fragte Thorsten und schaute mich dabei an.

Eigentlich sollte das nicht ins Team gehen, sondern intern bleiben. Allerdings wollte ich auch nichts verheimlichen.

„Ja, er hat leider vor unserer Abfahrt in die Schweiz meine Panigale umgelegt und sich dabei schwer verletzt.“

Wir sprachen noch einige Minuten über diesen Vorfall und Thomas war überhaupt nicht begeistert davon und wollte sofort Strafmaßnahmen haben.

„Was soll das bringen? Nenne mir einen Grund, warum das jetzt noch sinnvoll sein soll. Er kann nicht trainieren und hat noch einige Wochen damit zu kämpfen. Den Schaden übernimmt die Versicherung und er hat sich bei mir entschuldigt. Wir haben das geklärt und damit ist das für mich erledigt. Sollte er so einen Stunt allerdings noch einmal bringen, kann man dann immer noch über Folgen diskutieren. Ich kann mir das aber bei Carlo nicht vorstellen. Er hat das einfach falsch eingeschätzt und dafür mit einer kaputten Wade bezahlt.“

Die anderen sahen das ähnlich und dann kam das allgemeine Thema zur Sprache, wie Martina klarer durchgreifen konnte. Sie schilderte einige Situationen mit Tim und auch mit Maxi und wie wenig sie dagegen tun könnte.

„Ich bin dafür“, sagte ich, „Martina sollte ihnen in solchen Fällen das Training verbieten können. Wenn sie sich nicht an die Regeln in der WG halten und dabei ihre Schule vernachlässigen, muss das sofort spürbar sein.“

„Wie stellst du dir das vor? Die Eltern bezahlen viel Geld für das Training und wollen dann auch, dass sie teilnehmen.“

„Moment, Thomas. Wir haben doch einen Grundsatz für die Aufnahme in das Team. Bedingung ist, dass die Schule läuft. Wenn es dort Probleme gibt, wird das hier schnell zu Ende sein. Chris hat recht. Je früher wir Grenzen setzen, desto eher spüren sie, dass wir zusammenarbeiten und Tennis eben nicht alles ist. Ich habe mit Jan gesprochen und er sieht das genauso wie Chris. Martina muss Möglichkeiten haben, zu reglementieren.“

Thorsten hatte gute Gründe vorgetragen und somit wurde neu aufgenommen, dass Martina auch ein Trainingsverbot aussprechen konnte und sollte. Danach würde es dann Gespräche geben, um die Situation zu klären.

Alles in allem waren es gute und konstruktive Diskussionen und zur Verabschiedung ging ich zu Thorsten. Martina stand noch bei ihm und sie fragte mich:

„Kommst du gleich noch vorbei oder schaffst du das heute nicht mehr?“

„Doch natürlich. Das war ja so besprochen. Aber ich brauche noch ein paar Minuten. Du fährst schon vor?“

Sie nickte und verließ uns danach. Thorsten wollte noch mit mir über eine Sache sprechen.

„Was machst du in der WG? Die Jungs haben doch noch frei. Und Maxi ist ja gar nicht da.“

„Ich habe ihnen das versprochen, sie wollten etwas mit mir besprechen, vor allem mit Carlo muss ich noch etwas klären. Die Panigale ist wieder repariert und er soll die Rechnung über seine Eltern an die Versicherung geben.“

„Warum lässt du das nicht die Werkstatt direkt mit der Versicherung regeln?“

„Damit Carlo sehen kann, was sein Fehler gekostet hat. Er hat schließlich doch ganz erhebliche Kosten verursacht.“

„Ah ja, dann hoffen wir mal, dass er wirklich begriffen hat, dass er für solche Sachen noch nicht geeignet ist.“

„Ich bin mir da ganz sicher. Er war am Boden zerstört und hatte Angst vor meiner Reaktion. Seine Verletzung wird ihn auch noch lange daran erinnern.“

„Okay. - Ach, bevor ich das vergesse: Die neue Rangliste ist heraus. Alle Jungs stehen deutlich besser da als vor der Reise. Maxi und Fynn sind ab sofort unter den ersten 150 in Deutschland zu finden. Das ist doch schon was. Vor allem, nicht bei den Junioren, sondern bei den Herren.“

Ja, das ist schon mal was, dachte ich und nickte zufrieden. Mal sehen, wie lange es noch dauern wird, bis die 100 geknackt waren, denn genau das hatte ich als erstes großes Ziel vor Augen. Sie sollten bei allen Turnieren ins Hauptfeld hinein. Gut, bei den Challenger-Turnieren auf Profiebene war das sicher noch ein weiter Weg. Aber der Anfang war gemacht. Und jetzt wollte ich mit den Jungs zu Abend essen.

Dass die Panigale wieder voll einsatzbereit war, freute mich sehr. Ich fuhr für mein Leben gern Motorrad und die eigene Maschine war mir halt sehr vertraut. Ich verlängerte die Fahrt zur WG daher um ein paar Kilometer, um ein wenig Spaß zu haben und meinen Kopf wieder frei zu bekommen.

Als ich an der WG ankam, schien ich bereits erwartet zu werden, denn Carlo stand mit seinen Krücken und einem anderen Jungen vor dem Haus. Ich nahm meinen Helm ab und öffnete meine Jacke.

„Hallo Carlo, heute schon mal wieder an der Luft? Wie geht es deinem Bein?“

„Hi Chris. Es geht schon viel besser. Ich habe die letzten Tage genutzt, jetzt ist die Wunde geschlossen. Ich darf wieder ganz leicht mit dem Fuß auftreten. Also kann ich mich jetzt wieder mehr bewegen und bin nicht mehr nur auf eure Hilfe angewiesen.“

Sein Freund war währenddessen zwei Schritte auf mein Motorrad zu gegangen.

„Tommy, nicht anfassen“, sagte Carlo warnend.

„Ich bin ja nicht so blöd wie du. Ich will nur schauen.“

Carlo wurde rot und ich hatte wirklich das Gefühl, er würde sich etwas schämen.

„Wann kannst du denn den Verband tagsüber abmachen?“

Carlo zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Der Arzt hat davon nichts gesagt. Ich soll den Verband nur zweimal am Tag wechseln.“

„Hast du heute schon einmal gewechselt?“

„Ja, immer morgens nach dem Frühstück und am Nachmittag machen wir das.“

„Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich da gleich dabei sein. Ich möchte mir das einmal ansehen.“

„Klar, aber das sieht echt nicht schön aus. Mir wird immer etwas komisch, wenn Martina den Verband abmacht. Du musst das nicht.“

„Hahaha. Ich glaube, das macht mir nicht viel aus. Da bin ich ganz andere Sachen gewohnt.“

Carlo zuckte etwas zusammen und schloss die Augen.

„Ich möchte mir das gar nicht vorstellen, was du schon alles bei der Feuerwehr gesehen hast.“

Sein Freund drehte sich jetzt um und schaute mich mit großen Augen an.

„Sie sind bei der Feuerwehr?“

„Ja, ist er und das schon ganz lange. Chris kann bestimmt viel erzählen.“

Carlo wurde langsam wieder lebendig. Das gefiel mir gut. Er begann, wieder am normalen Leben teilzunehmen. Martina kam aus dem Haus und schaute nach Carlo. Sie lächelte und etwas stichelnd sagte sie:

„Chris, du legst es aber auch wieder drauf an. Kaum fährt sie wieder, stellst du sie wieder auf den Präsentierteller.“

„Ja, wo soll ich sie denn sonst hinstellen? An der Straße wird sie vielleicht umgefahren. Na toll. Die Jungs werden schon aufpassen, oder Carlo?“

„Ganz bestimmt. Kommst du nachher mal vorbei, wenn wir den Verband wechseln?“

„Ja, das schau ich mir an. So, ich geh jetzt mal rein. Wenn du Tommy verabschiedet hast, kommst du dann mal zu mir. Ich hab da noch was für deine Eltern.“

„Ja, mache ich. Ich weiß schon. Es ist die Rechnung, stimmt´s?“

Ich zwinkerte mit den Augen und ging mit Martina in das Haus. Am Tisch im Garten saßen Tim, Fynn, Dustin und zwei Jungs, die ich noch nicht kannte. Ich wunderte mich nur, denn einer der beiden war viel jünger als Fynn und Dustin.

„Hi Chris, Feierabend für heute? Und läuft dein Biest wieder richtig gut?“

„Hi Jungs, ja endlich rennt das Biest wieder.“

Ich musste lachen, denn die Jungs freuten sich für mich. Die beiden mir unbekannten Jungs wollten sich auf den Heimweg machen. Fynn brachte sie nach vorn und ich blieb so lang mit Dustin und Tim auf der Terrasse zurück.

Martina bat Tim ihr in der Küche zu helfen. Tim verdrehte kurz die Augen und wollte schon meckern, aber als er mich ansah, überlegte er es sich anders und ging wortlos in die Küche.

„Boah, Chris. Wie gut, dass du hier bist. Sonst hätten wir uns wieder das ständige Gemaule von Tim anhören müssen. Er meckert nur rum und behauptet, wir müssten viel weniger helfen als er. Das ist echt nervig.“

„Und? Ist das so? Müsst ihr weniger helfen?“

„Nein“, kam gleichzeitig und das hörte sich sehr amüsant an.

Ich fing an zu lachen. „Warum überrascht mich diese Antwort nicht, aber es stimmt schon. Tim ist zurzeit manchmal etwas anstrengend.“

Fynn und Dustin schienen froh zu sein, wenn Tim nicht anwesend war. Gut, er war mit Carlo der jüngste in der WG und der Unterschied war vielleicht zu groß. Dennoch war Tim kein schlechter Kerl. Martina hatte jetzt neue Kompetenzen und ich war sehr gespannt, wie sie die einsetzen und nutzen würde.

„Dustin“, konnten wir leise aus dem Haus hören. Martina schien nach ihm zu rufen.

Dustin stand sofort auf und ging in das Haus.

„Chris, kann ich dich mal etwas fragen?“

„Klar, schieß los.“

„Machst du dir manchmal Vorwürfe, dass du damals abhängig geworden bist?“

„Vorwürfe? Nein. Das konnte ich ja nicht wissen, dass ich abhängig werden würde.“

Komisch, diese Frage hatte ich überhaupt nicht erwartet. Was sollte diese Frage? Bevor ich weiter nachdenken konnte, fragte mich Fynn.

„Manchmal habe ich das Gefühl, du bist immer nur für die anderen da. Du denkst selten an dich und deine Bedürfnisse. Wir wissen ja nicht mal, was deine Wünsche und Bedürfnisse sind. Ich finde es schade, dass wir so wenig von dir wissen. Du weißt fast alles von Dustin und mir.“

Ich schaute ihn an und wusste, er hatte recht. Ich hatte ihnen noch so gut wie gar nichts von mir erzählt. Ich wollte es schon längst einmal getan haben. Aber es hatte sich noch nicht ergeben. Dachte ich zumindest. War das wirklich so?

„Wir hatten doch schon darüber gesprochen, dass ich euch mal einladen möchte. Ich weiß gar nicht mehr, warum wir darüber nicht weiter gesprochen haben. Doch, Carlos Unfall war uns dazwischen gekommen.“

„Lass uns doch gleich schauen, wann das gehen könnte. Am Wochenende haben wir spielfrei und vielleicht können wir ja da etwas finden.“

Wir sprachen noch etwas über seine Ideen, was er sich vorstellen könnte und dass er mit Dustin mich zum Essen einladen möchte. Und einmal einen Abend nicht über Tennis reden.

Wenige Minuten später hatte uns Dustin zum Essen geholt. Martina hatte mit Tims Hilfe einen großen Salat und verschiedene Aufschnitte mit unterschiedlichen Brotsorten vorbereitet.

Wir saßen am Tisch und waren bereits mit Essen fertig, als Dustin fragte:

„Wie hat eigentlich Jan unsere Leistung in der Schweiz beurteilt? Und war das Team hier zufrieden mit uns?“

Diese Frage hatte ich schon viel früher erwartet, denn eine Rückmeldung hatten sie ja nur von mir bekommen.

„Absolut. Wie ich euch ja bereits kurz vor unserem Abflug aus Basel sagte, war Jan von euch und eurer Teamleistung beeindruckt. Und in der Nachbesprechung hier haben wir auch einige Punkte diskutiert. Ich denke, euer Turnierplan wird sich ebenfalls verändern. Und bevor ich das vergesse, ihr seid jetzt alle drei in der Rangliste besser als Position 150 bei den Herren. Das bedeutet, ihr seid auch bei den größeren Turnieren in Deutschland direkt im Hauptfeld.“

„Oh, das ist aber gut. Dann müssen wir weniger Matches spielen und können Kraft sparen.“

„Das stimmt“, sagte Dustin und schaute dabei zu mir, „aber Chris ist schon wieder vom Thema abgewichen. Wir wollten doch mal einen Termin finden, wo wir nur Spaß haben und nicht über Tennis sprechen müssen.“

„Ihr habt euch abgesprochen, oder?“, fragte ich mit einem Grinsen.

„Ja“, kam im Chor zurück. Komischerweise war Martina bei dem „Ja“ auch dabei. Wir mussten lachen, denn die Situation war schon komisch. Tim und Carlo hatten keine Ahnung und schauten uns ziemlich verständnislos an.

„Ok, ok. Ich gebe mich geschlagen. Lasst uns gleich in Ruhe mal besprechen, was ihr euch überlegt habt.“

Tim und Carlo sollten noch Schulaufgaben machen und Carlo war schon vom Tisch nach oben gegangen. Mittlerweile konnte er sich ohne Hilfe ganz gut bewegen. Seinen Verbandswechsel wollte ich mir allerdings auch noch ansehen.

„Passt auf, ihr drei macht die Küche in Ordnung und ich gehe mit Martina Carlos Verband wechseln. Danach treffen wir uns bei euch. Ist das ok?“

Dustin und Fynn fingen direkt an, die Sachen vom Tisch zu räumen, während Tim maulend am Tisch blieb.

„Ey, du brauchst jetzt gar keine Diskussion beginnen zu wollen. Carlo kann nicht helfen und so lange wirst du halt häufiger mit anpacken müssen. Außerdem ist das doch wohl auch selbstverständlich.“

„Du kannst mir hier gar nichts sagen“, schoss Tim zurück.

Ich dachte, ich hätte mich verhört. Dustin stand noch in der Tür und drehte sich sofort um, als er diese Erwiderung gehört hatte.

„Das denkst du vielleicht, aber da irrst du dich. Du kannst dir überlegen, ob du dich hier einfügst oder mal ein oder zwei Tage nicht zum Training gehst. Und bevor du auf komische Ideen kommst. Wir haben gerade heute darüber entschieden. Martina kann ab sofort derartige Maßnahmen entscheiden und euch vom Training suspendieren, wenn es hier nicht läuft. Schule und WG haben Vorrang und sind Bedingung für euer Training. Nur damit das klar ist. Du wirst dich hier einfügen oder wir werden dir sehr schnell deine Grenzen aufzeigen. Glaube nicht, dass ich nur nett und freundlich kann. Es liegt an dir, wo es hingehen wird.“

Tim schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an, wagte es aber nicht, noch einen Spruch abzulassen. Er stand wortlos auf und half den anderen beiden. Ich verließ ebenso wortlos das Esszimmer und ging zu Carlo nach oben. Dustin schaute mir noch einen Moment nach und war sichtlich beeindruckt.

In Carlos Zimmer war Martina bereits dabei, den Verbandswechsel vorzubereiten. Carlo war sehr angespannt und da wusste ich, dass es wohl nicht so problemlos war. Hätte mich auch gewundert. Meistens war das sehr schmerzhaft, weil das Material an der Wunde klebte.

Martina hatte alles bereitgelegt und fing an, den Verband aufzuwickeln. Ich konnte sofort sehen, was das Problem war.

„Warte, ich weiß eine Möglichkeit, dass das nicht so schmerzhaft wird.“

Carlo schaute mich dankbar an und Martina wunderte sich.

„Woher weißt du denn jetzt schon wieder so etwas? Gibt es auch etwas, wovon du keine Ahnung hast?“

Wir mussten lachen und das tat Carlos Angst sicher gut. Ich schickte Martina los, eine Schere zu holen. Sie kam zurück und ich schnitt den Verband einfach an der Seite auf. Ganz vorsichtig zog ich an dem Material und hatte ganz schnell den Verband von Carlos Wade entfernt.

Die Wunde sah optisch zwar immer noch schlimm aus, aber sie war zugewachsen und trocken. Nur etwas feucht durch den Verband.

„Das sieht gut aus. Wir sollten tagsüber den Verband weglassen und nur über Nacht abdecken. Nur wenn du in die Sonne gehst, sollte die Wunde bedeckt sein.“

„Wann können denn wohl die Fäden gezogen werden?“, fragte Martina.

„So wie das aussieht, sollte das bald sein. Eigentlich sagt man nach zehn Tagen. Das wäre dann Anfang der nächsten Woche. Das sieht wirklich gut aus. Heilt sehr schön. Du hast Glück, Carlo. Keine Infektion oder Eiter erkennbar. Sehr schön.“

Carlo nickte dankbar und Martina legte ihm den neuen Verband an. Als wir fertig waren, verabschiedete ich mich von Carlo, nicht ohne ihm einen Termin bei der Physio zu geben.

„Da gehst du am Mittwoch hin, wenn die Fäden gezogen sind. Kolja wird dir dort zeigen, wie du schnell wieder auf die Beine kommst. Sprich dich bitte mit Martina ab, wegen der Fahrerei.“

Ich wollte schon aus der Tür gehen, da kam von Carlo ein „Chris, warte bitte.“

Ich drehte mich um.

„Was gibt es denn?“

„Danke. Für alles. Ich finde es toll, dass du mir hilfst, obwohl ich Schuld habe und den Mist aus Dummheit gemacht habe.“

„Alles gut. Wir haben das doch schon alles geklärt. Sei dir sicher, ich werde nicht nachtragend sein. So, jetzt muss ich aber zu Fynn und Dustin, sonst wird das zu spät.“

„Hi Chris“, begrüßten mich die beiden in ihrem Wohnzimmer.

„Sag mal, warum warst du eben bei Tim so wütend? So kenne ich dich überhaupt nicht.“

„Wütend? Nein, da irrst du dich. Wenn ich wirklich wütend bin, sieht das anders aus. Ich habe einfach die Nase voll von Tims Eskapaden. Ständig muss er Martina nerven. Er nutzt die Situation aus und wusste ja auch, dass Martina ihm eigentlich nichts anhaben konnte. Das hat mich schon lange gestört und wir haben das heute verändert. Ich habe im Team klargemacht, dass Martina hier großartige Arbeit leistet und wir uns das nicht leisten können, auf ihre Unterstützung zu verzichten. Wenn es Probleme gibt, muss sie auch durchgreifen können. Also da wird sich einiges in Zukunft ändern.“

„Hm, und warum warst du sofort bei Tim so direkt?“

„Ganz einfach, er provoziert ständig und will immer nur seinen Willen haben. Das geht schon seit einiger Zeit so und ich habe genug von dem Spiel. Er wird klare Grenzen bekommen und auch sehr deutlich spüren, was es heißen wird, diese Grenzen zu übertreten. Das gilt übrigens auch für euch. Alle werden merken, dass Martina hier nicht zum Spaß arbeitet.“

Fynn lächelte während Dustin sehr nachdenklich wirkte. Ich ahnte, warum.

„Dann haben wir ja nichts zu befürchten“, grinste mich Fynn dabei frech an.

„Nein, im Moment nicht. Aber wer weiß.“

Ich setzte mich neben Dustin und fragte:

„So, wie sehen eure Pläne denn aus? Ihr habt euch doch was ausgedacht.“

„Also“, begann Fynn, „du hast uns ja versprochen, dass wir mal zu dir fahren können. Wir möchten aber zuerst dich einladen zum Essen. Wir, also Dustin und ich möchten für dich etwas kochen und gemeinsam essen. Vorher wollen wir aber mit dir Tennis spielen und Spaß haben. Maxi hat zugesagt, dass er auch mitmacht.“

„Hat das einen besonderen Anlass? Womit habe ich das verdient?“

„Macht man das unter Freunden nicht so?“, war sofort die Gegenfrage von Fynn.

Ich lachte und schaute mir dabei Dustin an. Er blieb verdächtig still.

„Was ist los, Dustin? Du bist so still heute.“

„Es ist nichts, alles in Ordnung.“

Sein Gesicht drückte etwas anderes aus. Er wirkte sehr nachdenklich. Allerdings musste er lernen, seine Dinge auch kundzutun.

„Ok, ja unter Freunden ist das so üblich. Ich freue mich, dass ihr Lust habt, gemeinsam mal etwas zu tun, ohne an Training oder Arbeit zu denken. Ich bin dabei, habe aber eine andere Idee. Ich schlage vor, wir spielen am Samstag etwas Tennis und anschließend nehme ich euch beide mit zu mir. Dort kochen wir gemeinsam, was ihr euch ausgedacht habt und anschließend gehen wir abends Billard spielen. Was haltet ihr davon?“

„Das hört sich cool an“, erwiderte Dustin, der jetzt wieder freundlicher aussah.

„Gut, dann machen wir das so. Gibt es etwas Neues von deinem Vater, Fynn?“

„Er hat mich zweimal angerufen und wir reden wieder mehr miteinander. Sag mal, der Besuch in der Schweiz war doch mit dir abgesprochen, oder?“

„Natürlich war das abgesprochen. Ich hätte es sonst nicht zugelassen, dass er euch einfach so besuchen würde. Und ich muss sagen, er hat sich an alle Absprachen gehalten. Mir hat das gefallen, dass er extra in die Schweiz gefahren ist.“

„Ich fand das auch total cool. Danke noch einmal für deine Mühe.“

Fynn zog seinen Freund an sich und gab ihm einen Kuss. Dustin lächelte und ich hatte das Gefühl, er hatte für sich eine Entscheidung getroffen. Fynn schaute ihm in die Augen und nickte ihm zu.

„Chris, wie gut warst du wirklich früher? Thorsten hat mal gesagt, dass du als Jugendlicher auch richtig gut warst und sogar einmal gegen Boris Becker gespielt hättest. Stimmt das?“

Ich musste jetzt richtig zu lachen anfangen und es brauchte einen Augenblick, um mich wieder zu beruhigen.

„Ja, das stimmt sogar, dass ich mal gegen Boris gespielt habe. Da waren wir beide aber erst zehn Jahre alt. Und das war bei den deutschen Jüngsten Meisterschaften.“

„Und hast du gewonnen?“, fragte mich Dustin.

„Nein, er war damals schon zu gut für mich.“

„Aber du warst schon ein guter Spieler?“

„Es ging, sicher nicht so gut wie ihr heute. Es waren damals aber auch andere Zeiten. Da war Tennis noch keine Breitensportart wie heute. Ich war zum Beispiel in meiner Jahrgangsstufe der Einzige, der Tennis spielte. Und die Benimmregeln waren ebenso noch ganz andere als heute. Wenn es euch interessiert, erzähle ich euch gern mal etwas aus dieser Zeit.“

„Ja, das wäre echt interessant. Ich habe ja schon mal davon gehört, aber so richtig verstanden habe ich das nicht.“

Ich schaute auf meine Uhr, es war schon halb zehn und für heute würde das sicher zu spät werden.

„Mache ich gern. Aber nicht mehr heute. Lasst uns da am Samstag nach dem Tennis drüber sprechen. Da ist Maxi auch dabei und vielleicht interessiert ihn das auch.“

„Ok, aber …“ Dustin zögerte. Er wollte etwas, aber traute sich nicht so recht. Ich schaute ihn an und dann gab er sich einen Ruck.

„Wir würden aber gern nur mit dir den Abend verbringen, ohne Maxi. Nur wir drei.“

„Ah, ok. Aber das war für mich eigentlich auch so klar. Also ich nehme euch dann am Samstag mit zu mir. Entweder bleibt ihr dann bei mir und ich bringe euch Sonntag zurück oder noch am Samstag. Das entscheiden wir am Samstag kurzfristig.“

„Cool, danke. Ich freue mich echt darauf.“

Danach musste ich dann auch aufbrechen. Der Tag war wieder sehr lang geworden und ich bemerkte doch eine Müdigkeit bei mir. Ich verabschiedete mich von den beiden und ging noch kurz bei Martina vorbei.

Sie saß schon fertig zur Abfahrt bereit und hatte nur noch auf mich gewartet.

„Du hättest auch Bescheid sagen können. Wartest du schon lange?“

„Nein, kein Problem. Ich habe ja erst seit ein paar Minuten Feierabend.“

Wir sprachen noch kurz über den Vorfall mit Tim und ich erklärte ihr unseren Plan für Samstag. Sie fand das sehr gut und damit verließen wir gemeinsam das Haus.

Fynn: Training und Spaß am Samstag

Mir fehlte erneut Dustin in der Schule. Heute hatte er einen Termin beim Kieferchirurgen. Dustin hatte seit einiger Zeit immer wieder Schmerzen im Kiefer. Ich wusste davon, aber er hatte leider sonst niemandem etwas davon erzählt. Er meinte nur, dass er dann vielleicht nicht trainieren dürfte und wieder einen großen Rückstand aufzuholen hätte.

Martina hatte es aber irgendwann doch bemerkt und sie hatte ihm versprochen, Chris davon erst einmal nichts zu erzählen. Er musste dafür aber den Termin beim Arzt wahrnehmen. Dort war er heute Morgen.

Frank hatte es natürlich sofort bemerkt, dass Dustin wieder nicht in der Pause bei mir zu finden war. Wir standen gemeinsam unter der großen Linde. Dort traf ich mich sonst immer mit meinem Freund.

„Na, wie war es eigentlich mit meinem kleinen Bruder? Hast du bei ihm etwas erreicht?“

Ich musste lachen, denn gestern war er sehr freundlich. Allerdings war das auch nur ein erstes Kennenlernen.

„Keine Ahnung. Wir haben uns ja nur kurz getroffen und ich habe mit deinen Eltern einen Termin gemacht, wo wir das erste Mal richtig lernen wollen. Gestern war er ganz friedlich. Mal sehen, was das wird.“

„Ja, das kenne ich schon. Am Anfang ist er immer ganz umgänglich und wenn er dann etwas tun soll, was ihm nicht passt, gibt es Stress.“

„Na, ich werde es ja sehen. Ich habe deinen Eltern auch gleich gesagt, dass ich nicht vorhabe, mit ihm lange zu diskutieren. Sie wissen also, dass es entweder klappt oder er sich jemand anderes suchen muss.“

„Hast du denn wenigstens einen guten Preis ausgehandelt?“

„Nein, ich habe nicht handeln müssen. Deine Eltern haben mir pro Stunde 15 Euro angeboten. Das fand ich sehr ordentlich.“

In diesem Moment klingelte es wieder zum Unterricht und wir verließen unseren schattigen Platz, um wieder in die stickigen Klassenräume zu gehen.

Wie gut, dass morgen Wochenende war und wir auch kein Turnier hatten. Das hieß ausschlafen. Darauf freute ich mich tierisch. Lange mit Dustin im Bett kuscheln ohne immer einen Blick auf die Uhr haben zu müssen.

Der Schultag ging nur schleppend vorbei, aber dann war es endlich soweit und ich verabschiedete mich von Frank. Dustin hatte mir mittlerweile geschrieben, dass er zu Hause ist und dort auf mich warten würde.

Das beflügelte mich natürlich, nach Hause zu fahren. Tatsächlich wartete Dustin auf mich vor dem Haus und entsprechend freudig fiel die Begrüßung mit einem intensiven Kuss aus.

„Das hat mir schon den ganzen Tag gefehlt“, sagte ich mit einem Lachen.

„Mir auch. Ich bin froh, dass du da bist. Endlich Wochenende und kein Turnier.“

„Stimmt. Genau das habe ich eben auch gedacht. Nur gleich noch einmal zum Training und dann nur noch entspannen.“

Dustin und ich betraten gemeinsam das Haus und Martina erwartete mich bereits.

„Hallo Fynn. Na, hast du deinen Schatz endlich wieder?“

Sie lachte dabei und für mich war das nicht mehr peinlich. Mittlerweile wusste ich, Martina stand voll hinter uns und das war toll.

„Ja, und ich gebe ihn auch nicht wieder her. Du musst dir jemand anderen suchen.“

Das führte bei uns dreien zu einem richtigen Lachanfall. Ich wunderte mich selbst über meinen Spruch. Aber es hatte Spaß gemacht, auch darüber Späße zu machen. Das hätte ich mich früher nie getraut.

Nach dem Essen machten wir uns direkt fertig, um zum Training zu fahren. Erst auf dem Weg hatten wir Zeit über den Arztbesuch zu sprechen. Da er aber sehr befreit schien, hatte ich auch keinen ernsten Grund seiner Schmerzen vermutet.

„Sag mal Schatz, was hat denn nun der Arzt gesagt?“

„Ach, verdammt. Das habe ich dir ja noch gar nicht gesagt. Er meinte, dass wären wohl die Weisheitszähne, die sich schubweise entwickeln. Noch wäre es nicht erforderlich, da etwas zu machen. Erst wenn das schlimmer würde, sollte ich noch mal wiederkommen. Leider hat er aber etwas an einem Zahn gefunden und mich zum Zahnarzt geschickt. Da muss ich mir jetzt einen Termin geben lassen.“

„Also kannst du weiter normal trainieren?“

„Richtig, ich muss ja noch etwas aufholen. Aber ich finde, so viel ist das nicht. Oder was denkst du?“

„Auf jeden Fall. Das sagt Chris ja auch immer. Du hast uns bald eingeholt und dann müssen wir uns noch mehr anstrengen. Egal, Konkurrenz belebt das Geschäft.“

Wir stellten unsere Räder ab und Dustin gab mir noch einen Kuss und dann ging es zum Training.

Chris wartete bereits auf uns und ich konnte sehen, heute würde es wohl richtig übel werden. Charles, unser Konditionstrainer war leider auch da. Bislang wurden wir von ihm noch nicht heimgesucht. Ich hatte bislang immer gedacht, wir würden gut arbeiten und deshalb hätte er uns noch nicht gequält. Leider ein frommer Wunsch.

„Hallo ihr zwei. Heute haben wir Besuch. Maxi kommt heute auch wieder und da habe ich gedacht, wir werden mal einen Fitnesstest machen. Charles kennt ihr ja.“

Charles lachte, als Chris uns das sagte. Er war eigentlich sehr nett, aber hatte leider einen furchtbaren Ruf als Quälgeist. Nun gut, das war ja auch sein Job, den Spieler fit zu machen. Maxi kam in diesem Moment zu uns und wollte gleich wieder flüchten, als er Charles sah. Natürlich nur zum Spaß, denn jeder von uns wusste, Fitness war die Voraussetzung für gute Leistungen, aber es machte halt nicht unbedingt Spaß.

Diese Trainingseinheit wurde wirklich eine Hammernummer. Jedenfalls waren wir nach zwei Stunden komplett am Ende und ich wurde von Krämpfen geplagt. Aber in Bereichen, wo ich das noch nie erlebt hatte. Das war ganz hart und auch Chris schien mit uns zu leiden, denn gegen Ende der Einheit bat er Charles doch um etwas Milde. Leider stieß er da auf taube Ohren und erst als Charles der Meinung war, es sei genug, ließ er uns auslaufen. Immerhin schickte er uns gleich in die Sauna und zur Massage.

Dustin lag schweigend neben mir auf der Massageliege. Maxi stöhnte bei jeder Bewegung und mir wurde klar, morgen hatten wir garantiert Muskelkater.

„Wie geht es deiner Mutter?“, fragte ich Maxi.

„Ich glaube besser als mir gerade. Das war echt böse heute.“

„Na, das ist doch erfreulich. Also ist die Operation gut verlaufen?“

„Ja, die Knoten konnten entfernt werden. Jetzt machen sie noch eine Chemo, um sicher zu sein, dass keine Metastasen kommen. Die Ärzte sagen, dass wir großes Glück hatten, dass es so früh erkannt wurde.“

Das war doch wirklich eine beruhigende Nachricht und mir fiel auf, dass Maxi heute wieder viel mehr lachen konnte, als in den letzten Tagen. Was mir allerdings Sorgen machte, Dustin war total schweigsam. Erst, als die Massage beendet war, fiel auf, dass er eingeschlafen war. Das wiederum führte zu großer Heiterkeit bei uns.

„Na, was für schöne Sachen hast du denn geträumt? War das so einschläfernd?“

„Ja, das war toll. Das Training davor war dafür umso schrecklicher. Hoffentlich wird das nicht so oft auf dem Plan stehen. So könnten wir doch niemals morgen ein Turnier spielen.“ Dustin stöhnte noch einmal auf.

„Müssen wir ja auch nicht. Ich glaube, Chris hätte das nicht gemacht, wenn wir morgen ein Turnier hätten. Immerhin war er sehr zufrieden mit unserer Leistung heute. Also, so schlecht können wir nicht in Form sein.“

Der Heimweg wurde jedenfalls anstrengend, denn mir tat jeder Muskel weh vom Training. Chris hatte uns zum Ende noch einmal gesagt, dass er unsere Leistung sehr gut fand und wir schon sehr fit seien. Für morgen versprach er uns viel Spaß und wir sollten schon einmal eine Einkaufsliste machen für das Essen.

Maxi, Dustin und ich hatten auch noch Schularbeiten zu machen. Also ging es nach dem Essen zuerst an die Aufgaben. Das war schon echt nervig und ich musste mich zwingen, alle Aufgaben auch zu erledigen. Dustin hatte vor allem mit Englisch so seine Schwierigkeiten und heute ganz besonders.

„Meine Fresse, geht mir das auf den Sack. Ich bekomme es einfach nicht mehr hin. Und morgen muss ich das abgeben. Ich könnte kotzen.“ Dustin fluchte laut.

Ich zuckte zusammen, denn so heftig regte er sich nur noch sehr selten auf.

„Hey, bleib ruhig. Mit Aufregen machst du es doch nicht besser. Wo hängt es denn?“

Er zeigte mir die Stellen, die er nicht verstand. Da wurde leider seine große Schwäche deutlich. Es fehlte ihm an Vokabeln, die er damals versäumt hatte. Sein englischer Wortschatz war nicht so groß wie bei den anderen. Das Problem daran war nur, er glaubte, er sei zu dumm dafür. Er suchte immer die Schuld bei sich. Chris hatte mir schon einmal das Problem erklärt. So wusste ich glücklicherweise, wie ich ihm jetzt helfen konnte.

Ich legte meine Sachen an die Seite, stand auf und stellte mich hinter ihn, legte meine Hände auf seine Schultern und schaute ihm über den Kopf auf sein Heft. Dabei massierte ich ganz leicht seine Schultern und sofort konnte ich eine Reaktion spüren. Im Nacken bildete sich eine Gänsehaut und Dustin entspannte sich sofort.

Jetzt erklärte ich ihm die Textstelle und dann schrieb er den Text fertig. Als er den Stift an die Seite gelegt hatte, schaute er mich an.

„Danke, dass du mir wieder einmal geholfen hast.“

„Immer doch. Du musst nur mal früher um Hilfe bitten. Nicht erst aufregen, sondern gleich mal fragen, wenn du nicht mehr weiter weißt.“

„Ja, ja. Du hast ja recht, aber ...“

„Kein Aber, mach einfach mal.“

Er schaute mich an und fing an zu lachen, richtig laut zu lachen. Mir gefiel das gleich viel besser, wunderte mich allerdings sehr, warum er jetzt so lachen musste.

„Du hörst dich schon genauso an wie Chris. Ich glaube, du bist sein Assistent.“

Das führte bei uns beiden erneut zu großer Heiterkeit und wir lachten noch einen Moment weiter, bevor wir es uns auf der Couch gemütlich machten. Immer wieder bekam ich leider Wadenkrämpfe und so wurde unser gemütlicher Abend immer wieder unterbrochen. Dustin hatte mir schon einige Magnesiumdrinks gemacht und ich hoffte, dass es zumindest in der Nacht besser sein würde.

Glücklicherweise wurde es nach zwei Stunden dann deutlich besser und wir konnten ins Bett gehen ohne immer wiederkehrende Krämpfe. Mir schwante nur Böses, was morgen wohl sein würde.

Natürlich war der nächste Morgen nicht sonderlich angenehm. Erstaunlicherweise aber nur bei mir. Dustin hatte keinerlei Beschwerden und war bestens gelaunt. Die ersten Bewegungen fielen mir total schwer und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, heute spielen zu können.

„Puh, ich glaube, Chris hat das gestern mit Absicht gemacht. Er will wohl nicht, dass wir heute zusammen spielen.“

Dustin war zu diesem Moment bereits aus dem Bad heraus und grinste mich fies an.

„Ach komm, wenn es mir schon ganz gut geht, kann es bei dir doch nicht so schlimm sein. Du bist doch viel fitter als ich.“

„Unsinn, das stimmt ganz bestimmt nicht. So wie ich mich fühle, bin ich mindestens so alt wie Chris.“

Wobei er schon recht hatte. Mir taten eigentlich nur die Waden richtig weh. Dort wo die Krämpfe am stärksten waren. Sonst ging es erstaunlich gut. Ich stieg endlich aus dem Bett und folgte meinem Freund ins Bad, um eine heiße Dusche zu nehmen.

So ein Wochenende ohne Turnierstress war mal eine tolle Abwechslung. So konnten wir uns richtig Zeit lassen. Dustin war nicht mehr im Wohnzimmer, als ich aus der Dusche kam. Ich ging also in die Küche, wo bereits der Tisch gedeckt war und frischer Kaffee aus der Maschine lief. Aber von Dustin keine Spur. Martina hatte heute frei und Tim war unterwegs zu einem Turnier. Carlo war mit seinen Eltern unterwegs, also hatten wir die WG für uns. Von Maxi war auch noch nichts zu sehen, aber das wunderte mich auch nicht. Er war als Langschläfer gefürchtet. Wenn wir frei hatten, schlief er manchmal bis zum Mittag.

Ich wunderte mich schon, dass Dustin einfach ohne etwas zu sagen verschwunden war. Ich wollte schon zum Handy greifen, als ich hören konnte, dass jemand durch die Tür der Veranda herein kam.

Mit einem Lächeln im Gesicht stand Dustin in der Küchentür und hatte eine Tüte mit frischen Brötchen in der Hand.

„Da bist du ja. Oh, du bist extra zum Bäcker gefahren?“

„Klar, ich muss dich ja heute schnell wieder fit machen, damit wir nachher auch Spaß haben können.“

Er machte zwei Schritte auf mich zu, legte die Brötchentüte auf den Tisch und gab mir einen langen Kuss. Als wir uns an den Tisch setzten, fühlte ich mich schon etwas besser.

Wir nutzten den Tag um zu faulenzen. Es war ein freies Wochenende und wir wollten heute nur Dinge tun, zu den wir Lust hatten. Klar, unsere Laufeinheiten und eine halbe Stunde Fitness wurden gemacht, aber eben nicht mehr. Es war toll, mit Dustin im Garten zu sitzen und mal zu kuscheln oder eben auch nur auszuruhen.

Maxi tauchte gegen zwölf bei uns im Garten auf und fragte, wann wir in den Club fahren wollten, um uns mit Chris zu treffen. Wir besprachen, dass wir um drei dort sein wollten. Anschließend verschwand er wieder ins Haus.

Das Klingeln meines Handys störte unsere Ruhe.

„Ja?“

„Hallo mein Sohn, wie geht es euch?“

„Mama, uns geht es gut. Wir haben dieses Wochenende frei und fahren gleich in den Club und treffen uns mit Chris.“

„Am freien Wochenende trifft er sich noch mit euch? Was habt ihr vor?“

„Wir wollen einfach nur zum Spaß etwas spielen. Er spielt viel zu wenig und hat sich immer nur für uns eingesetzt.“

„Das finde ich toll. Macht euch einen schönen Tag und bestellt bitte schöne Grüße. Ich soll euch von Patrick und Papa auch grüßen.“

Dustin hörte das Gespräch mit und an dieser Stelle lachte er.

„Dustin lässt euch auch grüßen“, sagte ich meiner Mutter.

„Danke, Schatz. Wann kommt ihr eigentlich mal wieder zu Hause vorbei?“

Das war eine gute Frage. Wir waren schon lange nicht mehr bei mir zu Hause. Die WG war für uns das Zuhause geworden.

„Wir haben in drei Wochen wieder ein freies Wochenende, vielleicht können wir dort mal zusammen etwas machen.“

„Oh, das wäre wirklich schön. Patrick freut sich bestimmt, wenn ihr mal wieder hier seid. Wie macht er sich eigentlich im Training? Benimmt er sich dort?“

„Ich weiß es gar nicht. Wir haben aber nichts Negatives gehört, also sollte das wohl in Ordnung sein. Ich kann Chris ja nachher mal fragen. Wie geht es Papa?“

An dieser Stelle spürte ich Verwirrung bei meiner Mutter.

„Du fragst nach deinem Vater? Das ist ja ganz was Neues. Es geht ihm gut und auch die Klinik ist zufrieden mit seinen Fortschritten. Er geht sogar regelmäßig in eine Selbsthilfegruppe. Ich begleite ihn einmal im Monat. Dort findet dann ein Angehörigen Meeting statt.“

„Cool, ich freue mich. Mama.“

Der weitere Verlauf beinhaltete nur die üblichen Ermahnungen und Ratschläge. Deshalb beendete ich das Gespräch und versprach, dass wir uns melden würden.

Dieser Tag war bis hierhin einfach nur schön. Keine Termine, nur Zeit für uns. Wir nutzten das auch richtig aus. Immer wieder landeten wir gemeinsam im Liegestuhl oder standen Arm in Arm im Garten und schauten uns um.

„Was meinst du? Könnten wir nicht mal fragen, ob wir ein paar mehr Büsche und Pflanzen bekommen? Ich finde den Garten etwas eintönig. Außerdem müsste der Rasen mal wieder gemäht werden.“

Oh, mein Freund fing an sich für Pflanzen zu interessieren. Ganz was Neues. Wir einigten uns darauf, Martina bei der nächsten Gelegenheit zu fragen.

Chris: Die Jungs zu Besuch

Heute musste ich doch mal wieder den Teamwagen nehmen. Schade eigentlich, denn ich war ein echter Zweiradfreak. Wann immer es möglich war, fuhr ich Rad oder Motorrad. Autos waren für mich nur Mittel zum Zweck.

Ich hatte vorsichtshalber noch ein paar Rückenübungen mehr gemacht als sonst und packte meine Tasche. Was ich einkaufen wollte, hatte ich schon aufgeschrieben und hoffte, dass die Jungs sich tatsächlich Gedanken gemacht hatten, was sie später kochen wollten.

Das Wetter spielte auch mit. Als ob wir es bestellt hatten. Auf der Anlage war für einen Samstag reger Betrieb. Das reguläre Training fand ja nur in der Woche statt. Nur die Profis und Leistungsspieler trainierten auch am Wochenende.

Burghard war auf einem Platz und ich begrüßte ihn von weitem, als ich mit meiner Tasche ins Clubhaus ging. Auf der Treppe begegneten mir ein paar Jungs aus Carlos und Tims Mannschaft. Sie schauten etwas merkwürdig, als sie mich mit der Tasche sahen. Sie begrüßten mich aber sehr freundlich. Überhaupt war hier die Stimmung immer sehr angenehm. Sogar wenn Bundesliga Partien anstanden, waren alle sehr freundlich und gut gelaunt. Ich hatte immer das Gefühl, hier jeden ansprechen zu können. Auch bevor ich als Coach hier begonnen hatte.

„Hi Chris, was machst du denn hier? Du hast doch ein freies Wochenende?“

Ich drehte mich um und schaute in das grinsende Gesicht von Thomas.

„Ich habe den Fehler gemacht, meinen Jungs zugesagt zu haben, mit ihnen Tennis zu spielen. Ich bereue es jetzt schon. Morgen wird mir wieder alles weh tun.“

„Cool, ich finde das gut. Aber geht es denn auch wirklich mit dem Rücken?“

„Naja, eigentlich darf ich ja nicht mehr, aber ich habe auch schon vor zwanzig Jahren nicht mehr spielen dürfen. Mal sehen. Ich werde jedenfalls aufpassen. Mehr als vor ein paar Jahren. Ich nehme das schon ernst.“

„Ok, dann ist ja gut. Thorsten hat mir nur mal angedeutet, dass du einen Unfall hattest und dadurch einiges kaputt gegangen ist.“

Wir redeten noch einige Minuten, auch noch einmal über die Reise in die Schweiz und Thomas machte mir deutlich, dass er sich freuen würde, dass es mir so gut gelungen ist, die drei so schnell so weit voranzubringen. Das war das erste Mal, dass ich von Thomas so etwas wie offene Anerkennung bekam.

Als ich aus der Umkleide kam und meine Tasche auf der Terrasse abgestellt hatte, schaute ich zur Uhr und stellte fest, dass ich noch etwas Zeit hatte. Für einen „Othello“ reichte es allemal. Also bestellte ich mir einen an der Theke und setzte mich nach draußen in die Sonne. Es war ein herrlicher Sommertag mit angenehmen Temperaturen.

Immer wieder wurde ich von anderen Mitgliedern gegrüßt und auch Eltern grüßten mich oder blieben für ein kurzes Gespräch stehen. Es war eine gelöste Stimmung und ich genoss das sehr.

Irgendwie spürte ich, dass mir das doch mehr fehlte, als ich bislang gedacht hatte. Sollte ich vielleicht doch wieder selbst in das Spiel einsteigen? Nein, mein Körper hatte mir Grenzen aufgezeigt und ich sollte das besser akzeptieren.

Es dauerte nicht lange und meine drei Experten wurden deutlich hörbar. Sie alberten herum als sie die Terrasse betraten. Ich hatte nicht mitbekommen warum sie über Fynn lästerten. Nur schien er es auch mit Humor zu nehmen, denn er lachte genauso herzlich wie die anderen beiden.

„Hi Chris, hast du dir schon mal ein Doping gegönnt?“

Dabei zeigte Dustin auf meinen Othello und grinste.

„Klar, wenn ich schon das Risiko eingehe, mit euch auf den Platz zu gehen, dann muss ich doch gegen Schmerzen immun werden.“

So ging das noch einige Minuten hin und her.

Irgendwann fragte Fynn: „Wer soll denn mit wem spielen?“

„Mir ist das vollkommen egal“, sagte ich und dann kam, was kommen musste.

„Die beiden alten Herren sollten nicht zusammen spielen. Das würde sonst zu einseitig sein.“

Dieser Text kam von Maxi und Fynn wusste sofort, dass er mit dem alten Herrn, außer mir, gemeint war. Fynn fand das nicht ganz so lustig, vor allem wie Maxi das gesagt hatte. Es klang schon sehr provozierend und wenn ich Maxi nicht so gut gekannt hätte, wäre jetzt von mir eine Ansage gekommen. Fynn dachte einen Augenblick nach und konterte direkt.

„Dann werden dir die alten Herren jetzt beweisen, dass ihr nicht kampflos gewinnen werdet. Los Chris, wir machen sie fertig.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und so machten wir uns auf, um zu unserem Platz zu kommen. Ich hatte mittlerweile eigene Schläger von unserem Ausrüster erhalten. Die Saiten waren nicht mehr ganz so hart wie bei den Leihschlägern. Je älter man ist, desto weicher sollte die Besaitung sein, um den Arm zu schonen und die langsamere Armzugbewegung auszugleichen. Entgegen der breiten Meinung war es nämlich so, je härter die Saite, desto weniger die Beschleunigung und umso besser die Kontrolle.

Wir schlugen uns ein und komischerweise war ich doch ein wenig aufgeregt. Nicht nervös, aber aufgeregt. Ich freute mich auf einen schönen Tag mit den Jungs.

Das Match wurde sehr lustig. Immer wieder konnte ich Dustin und Maxi mit meiner Routine und Ballgefühl überraschen und sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Wir hatten sie im Doppel jederzeit im Griff. Dennoch hatten wir alle unseren Spaß und ich wurde auch mutiger und spielte sogar mal „Serve and Volley“. Allerdings merkte ich nach zwei Sätzen, dass mein Rücken mir doch signalisierte, es gut sein zu lassen.

„Sorry Jungs, aber ich muss aufhören. Mein Rücken meldet sich und ich muss vernünftig sein. Ihr könnt aber gern noch weiter spielen. Ich gehe schon mal duschen und wir treffen uns dann auf der Terrasse. Ich lade euch heute ein.“

„Willst du wirklich schon aufhören? Es macht doch gerade so viel Spaß?“

„Stimmt Dustin, es macht wirklich viel Spaß. Viel mehr Spaß, als ich gedacht hatte. Aber ich muss jetzt vernünftig sein.“

Dustin schien enttäuscht zu sein, aber er akzeptierte meine Entscheidung. Ich packte meine Sachen zusammen und verließ den Platz. Die drei wollten noch etwas spielen und ich ging duschen. Auf dem Weg ins Clubhaus begegnete mir Thorsten.

„Es macht dir wieder Spaß, oder?“

„Ja, leider. Aber es geht halt einfach nicht.“

„Komm, das war richtig gut, wie du die Jungs manchmal vorgeführt hast. Du hast es mal richtig gelernt und du musst auch mal richtig gut gewesen sein. Du warst besser, als du mir bislang erzählt hast.“

„Naja, es ist halt ewig her und das zählt doch auch nicht. Sorry Thorsten, ich muss unter die Dusche, sonst nimmt mein Rücken Schaden.“

Er blieb zurück und ich ging in die Umkleide. Unter der Dusche wurde mir bewusst, mir fehlte das Tennis. Ich hatte immer noch Freude daran und es schmerzte mich, nicht mehr so spielen zu können wie ich wollte. Allerdings musste ich es einfach akzeptieren, wenn ich nicht riskieren wollte, wieder im Rollstuhl sitzen zu müssen. Und dann für den Rest meines Lebens.

Als ich auf die Terrasse kam, saß Thorsten bereits auf der Terrasse. Ich wusste, er hatte sich mit meiner Aussage nicht zufriedengeben wollen.

„Na, du großer alter Untertreiber. Was macht der Rücken?“

„Danke, noch geht es ganz gut. Thorsten, was möchtest du? Du hast doch mehr auf dem Herzen als nur meinen Rücken.“

„Stimmt. Ich habe mal im Archiv gesucht und ich bin fündig geworden. Da euer Name ja nicht so häufig ist, war das sogar relativ einfach. Du hast mal Oberliga gespielt, das wäre heute die Regionalliga. Du warst mit 16 einer der besten Junioren deines Jahrgangs in Westfalen. Danach gab es aber keine Ergebnisse mehr von dir. Warum? Dein Unfall war erst 1990. Was ist damals passiert? Ich glaube, du hast mir bislang nur einen Teil der Geschichte erzählt.“

Ich schaute ihn mit großen Augen an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich überlegte, ich bekam sogar ein flaues Gefühl im Magen. Allerdings hatte mich Thorsten bislang immer gut behandelt und mir vertraut. Genau wie ich ihm.

„Ok, du willst die ganze Geschichte hören? Sie wird dir aber nicht gefallen. Da bin ich mir absolut sicher. Und sie ist ein Geheimnis bis heute. Sie kennt außerhalb unserer Familie bis auf einen Freund von mir niemand.“

Thorsten schien zu ahnen, dass er in ein Wespennest gestochen hatte. Anhand meiner sehr gereizten Reaktion wurde ihm bewusst, dass er vielleicht etwas zu weit gegangen war.

„Setz dich bitte. Chris, ich wollte dich nicht verletzen. Es tut mir leid. Du musst es mir nicht erzählen. Ich dachte nur, wenn jemand so gut war, warum hört er von heute auf morgen damit auf?“

Ich hatte mich mittlerweile zu ihm an den Tisch gesetzt und für mich eine Entscheidung getroffen.

„Thorsten, heute ist kein guter Tag für dieses Thema. Ich habe Dustin und Fynn versprochen, mit ihnen mal nur etwas Spaß haben zu wollen und werde gleich mit ihnen zu mir nach Hause fahren. Dort wollen wir etwas kochen und ich habe vor, ihnen von mir zu erzählen. Was ich früher so erlebt habe, als ich so alt war wie sie heute. Ob ich ihnen allerdings schon das erzähle, was du ansprichst, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist. Lass uns an einem anderen Tag darüber reden.“

„Natürlich, kein Problem. Wie gesagt, es tut mir leid, wenn ich da alte Wunden aufgerissen habe. Aber wann immer du möchtest, kannst du mit mir darüber sprechen. Lass dir Zeit damit.“

„Passt schon. Du kannst ja nicht wissen, was wirklich passiert ist. Und es ist ganz allein meine Verantwortung. Jan hat damit nur indirekt zu tun, aber war nicht immer der nette Chef und sehr erfolgreiche Trainer. Er hatte auch eine weniger schöne Seite für mich. So ist das halt als kleiner Bruder.“

Ich schaute mit einem leeren Blick in den Himmel und spürte, wie meine Erinnerungen hoch kamen. Ein gefährlicher Zustand. Ich wusste es und dennoch wollte ich nicht mehr davor weglaufen. Heute allerdings fühlte ich mich noch nicht bereit dazu.

Es dauerte einen Moment bis ich mich wieder gefangen hatte und Thorsten ließ es so stehen. Wir wechselten das Thema.

„Du willst Fynn und Dustin mit zu dir nehmen?“

„Ja, Thorsten. Ich möchte ihnen zeigen, wo ich lebe und vielleicht auch etwas von meiner Tennislaufbahn erzählen. Ich weiß so viel von ihnen, aber sie haben sich beschwert, dass sie eigentlich so gut wie nichts von mir wissen. Schließlich sind wir so viel Zeit zusammen und sie würden gern mehr erfahren.“

„Sie haben sich beschwert?“, fragte Thorsten erstaunt nach.

„Nein, natürlich nicht wirklich. Sie haben den Wunsch geäußert und ich fand das nur verständlich. Schau mal, ich kenne eigentlich alles von ihnen. Ich habe immer viel Zeit mit ihnen verbracht und ich bin eben nicht nur ihr Trainer. Ich glaube, dass wir mittlerweile Freunde geworden sind. Ich habe eine andere Position als Thomas oder Burghard. Ich bin nicht nur ihr Trainer. Es ist eine andere Verbindung entstanden. Sie vertrauen mir und ich vertraue ihnen.“

Thorsten nickte schweigend. Er dachte darüber nach, was ich gerade berichtet hatte.

„Ja, ich glaube ich verstehe, was du meinst. Deshalb bist du auch der einzige, der in so kurzer Zeit die beiden dahin bringen konnte, wo sie jetzt schon sind. Als Trainer sicher ungewöhnlich, aber aus Sicht der Jungs sicher ganz wichtig. Ich wünsche euch viel Spaß und wenn was sein sollte, melde dich. Was mir noch einfällt. Ich habe deinen Bericht aus der Schweiz gelesen und muss sagen, sehr beeindruckend. Auch euer Ausflug auf den Berg mit der Dampfbahn hat mir gut gefallen. Jetzt sehe ich die Zusammenhänge.“

Er lächelte und ich wusste, er hatte mich verstanden. Als er die Jungs kommen sah, stand er auf und verließ meinen Tisch. Auf dem Weg grüßte er noch die Jungs und verschwand im Clubhaus.

„Setzt euch, aber einer von euch muss noch Getränke bestellen.“

Maxi übernahm das, während sich Dustin und Fynn zu mir an den Tisch setzten.

„Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte mich Dustin.

„Danke, ja. Alles gut. Ich habe rechtzeitig aufgehört und die heiße Dusche hilft immer.“

Maxi kam wieder zu uns und setzte sich ebenfalls an unseren Tisch.

„Ist das wirklich so krass? Wenn du jetzt noch ein paar Minuten länger gespielt hättest, würdest du sofort Probleme bekommen?“

„Leider ja. Ich kenne mittlerweile meinen Körper sehr genau. Früher hätte ich weiter gespielt und wäre morgen dafür bestraft worden. Es ist einfach so, deshalb habe ich ja aufhören müssen mit dem Tennis.“

In diesem Moment kamen unsere Getränke und das Gespräch erstarb. Der Durst war doch größer.

Maxi erzählte noch, dass seine Mutter vermutlich am Montag entlassen würde und sie gleich wieder in die Klinik fahren würden. Deshalb verabschiedete sich Maxi auch schon von uns. Sein Vater holte ihn ab und er würde erst am Sonntagabend wieder in die WG kommen.

„Bestell bitte schöne Grüße an deine Eltern.“

Das kam von Dustin. Das war erstaunlich und entsprechend verwundert schaute Maxi.

„Bitte von uns allen“, ergänzte ich schnell.

„Mache ich.“

Und schon war Maxi verschwunden.

„Was machen wir jetzt? Sollen wir uns auch auf den Weg machen?“

Von Dustin und Fynn kam Zustimmung und somit brachen wir unsere Zelte in Halle ab und machten uns auf den Weg zu mir.

Auf der Fahrt zu mir flachsten wir doch ein wenig herum. Ich war eben ein Freund des Motorsportes und hatte früher auch aktiv am Ralleysport teilgenommen. Ich wusste gut über die Formel 1 Bescheid und hatte mit den Jungs ein gemeinsames Thema gefunden. Erst, als wir vor meiner Wohnung anhielten, bemerkten sie, dass wir bereits am Ziel waren.

„Das ist ja gar nicht so weit von Halle. Ich habe gedacht, dass wäre weiter weg.“

„Eure Taschen könnt ihr im Auto lassen oder braucht ihr etwas aus ihnen?“, fragte ich sie.

„Nein, alles Wichtige haben wir am Mann. Wie ist das mit einkaufen? Brauchen wir dafür nicht das Auto?“

„Nein, da gehen wir zu Fuß hin. Ist hier gleich um die Ecke. Kommt erst einmal herein. Ich zeige euch zuerst mal meine Wohnung und den Garten.“

Ich schloss das Auto ab und wir betraten mein Reich. Klein aber mein, sagte ich immer. Ich brauche zum Wohlfühlen nicht so viel Platz. Die Jungs schauten sich um und sie bemerkten die vielen Bilder an den Wänden. Das war auch ein Hobby von mir. Ich habe nur eigene Werke an den Wänden hängen. Meine Eltern waren zwar erfreut, dass ich das Talent von meinem Vater vererbt bekommen hatte, aber sie fanden es immer schade, dass ich mehr der Technik, insbesondere allen schnellen Fahrzeugen, verfallen war. Also hing alles was schnell und teuer war an meinen Wänden. Sowohl zweirädrig als auch vierrädrig.

„Das sind ja gemalte Bilder. Keine Fotos“, stellte Fynn plötzlich fest.

„Jap, hier hängen nur gemalte Bilder. Keine Fotos.“

„Cool, woher hast du die? Kennst du jemanden, der so was malen kann?“, fragte Dustin. „Ich male zwar auch gern, aber leider habe ich kein Talent dafür. Es macht mir aber Spaß.“

„Ach Dustin, das ist doch die Hauptsache. Es soll Spaß machen. Und ja, ich kenne jemanden, der die Bilder malt.“

Fynn schaute mich jetzt fragend an und nachdem er sich das Bild von einem Ferrari 458 genau angesehen hatte, drehte er sich plötzlich um.

„Die Bilder sind alle signiert. Die hast du selbst gemalt. Stimmt doch, oder?“

„Jap“, sagte ich etwas zurückhaltend.

„Krass, echt jetzt? Das ist ja geil. Die sehen teilweise so aus wie gedruckt. Da steckt unheimlich Arbeit drin. Respekt! So möchte ich auch malen können.“

„Naja, das konnte ich auch nicht einfach so. Da hab ich viel und lange geübt. Ich habe auch nicht gleich so etwas malen können. Als kleiner Junge fing ich mit ganz einfachen Sachen an, weil ich Spaß daran hatte und weil mein Vater auch sehr gut malen kann. Dort in der Ecke, das Portrait, das hat mein Vater gemalt und zu sehen ist meine Mutter. Da war sie siebzig.“

„Cool. Also seid ihr richtige Künstler.“

Ich freute mich natürlich, dass sie sich für die Bilder begeistern konnten, aber es war mir auch ein wenig unangenehm, denn ich war der Meinung, jeder hatte eine künstlerische Ader, sie musste nur entdeckt und gefördert werden.

„Nein, ich bin sicher kein Künstler, aber ich habe Spaß daran. So, jetzt zeige ich euch mal die Küche. Denn schließlich sind wir ja zum Kochen hergekommen.“

Die Küche hatte mir Jan über seine Beziehungen besorgt. Von einem namhaften Küchenhersteller und das war der einzige Luxus, den ich mir gegönnt hatte. Kochen war halt eine Leidenschaft, neben dem Essen. Also eine gute Sache, gut essen und selbst kochen können. Die Jungs waren ebenfalls begeistert von der Küche.

„Was habt ihr euch denn ausgedacht? Was wollt ihr kochen?“

„Äh ja, wir dachten an ein drei Gänge Menü. Als Vorspeise soll es eine Tomatensuppe geben und als Hauptgang etwas kräftiges. Mit Zwiebeln gefüllte Filettaschen. Dazu Spätzle und Gemüse. Der Nachtisch sollte Vanilleeis mit Himbeeren sein.“

Wow, da hatten sich die Jungs aber was vorgenommen. Ich überlegte einen Moment und schlug dann vor:

„Leute, ich habe ein paar kleine Änderungsvorschläge. Im Hauptgang nehmen wir Wildpilze, die habe ich selbst in der Lüneburger Heide gesucht. Und anstelle der Himbeeren nehmen wir norwegische Blaubeeren, die haben meine Eltern dort gesammelt.“

„Pilze? Bist du dir sicher, dass die auch essbar sind? Ich habe bislang nur Champignons beim Jägerschnitzel gegessen.“

Ich musste lachen, als Fynn das sagte. Aber sie ließen sich auf meinen Vorschlag ein und damit erstellten wir eine Einkaufsliste. Sie hatten auch verschiedene Kräuter auf ihrer vorbereiteten Liste stehen.

„Also, die Kräuter brauchen wir nicht zu kaufen. Die habe ich alle frisch im Garten. Das zeige ich euch dann. Wollen wir dann mal los?“

„Ja, aber wir haben noch eine Bedingung, die du erfüllen musst, bevor wir loslegen.“

Na, jetzt war ich aber neugierig geworden.

„Du musst uns bezahlen lassen. Wir wollen heute dich einladen. Und keine Widerrede. Wir müssen das nicht tun, aber wir wollen das tun.“

Ich schaute die beiden an und konnte mich nicht mehr halten, denn das war genau mein Spruch und ich fand es toll, wie sie das rüber brachten.

„Ok, ok. Ich gebe mich geschlagen. Dann lasst uns aber jetzt los gehen. Schließlich müssen wir ja auch noch kochen.“

Eine halbe Stunde später trugen wir unsere Errungenschaften nach Hause und ich hatte die Pilze und Blaubeeren bereits zum auftauen aus dem Gefrierschrank geholt. Wir legten die Sachen auf den Küchentisch und sortierten einmal alles durch.

Natürlich hatte ich auch eine Kiste Fassbrause kalt gestellt. Bei mir zu Hause gab es keinen Alkohol, auch für die Gäste und Freunde nicht. Wer das nicht akzeptieren wollte, brauchte auch nicht wiederzukommen. Da war ich kompromisslos. Heute sollte das natürlich kein Problem darstellen.

Ich verteilte die Werkzeuge und los ging es. Ich konnte sehr schnell erkennen, dass die Jungs zwar motiviert waren, aber sie hatten auch wenig Erfahrung mit den großen und sehr scharfen Messern. Dustin hatte mir immer wieder zugesehen, wie ich die Zwiebeln und andere Gemüse und Zutaten schnitt.

„Wenn ich dir so zuschaue, merke ich, wie schlecht wir eigentlich in der Küche sind.“

„Warum das denn? Nur weil ich mit dem Messer schon ganz gut umgehen kann, sagt das ja nichts über die Kochkünste aus. Mach dir keine Sorgen, wenn du häufiger kochst, lernst du das auch.“

„Fynn, gehst du bitte in den Garten und holst etwas Schnittlauch, Basilikum und Petersilie. Du weißt ja wo die Kräuter stehen.“

Die Küche sah recht schnell nach einem Schlachtfeld aus, aber wir kamen gut voran. Das Fleisch lag bereits zum Ruhen im Ofen und die Spätzle kochten vor sich hin. Dustin war für die Sauce verantwortlich und Fynn und ich bereiteten den Salat zu.

Fynn kam aus dem Garten zurück.

„Wow, du hast ja wirklich alles richtig mitgebracht. Woher kennst du die Kräuter?“

„Ah, ganz ehrlich, bei dem Basilikum war ich mir nicht sicher. Da hab ich ja Glück gehabt.“

Ich legte ihm den Arm um die Schulter und unsere Stimmung war gut.

„Hätte auch nichts gemacht. Dann wären wir noch einmal gemeinsam nach draußen gegangen. Ich vermute, ihr habt selten frische Kräuter in der WG zur Verfügung.“

„Ja, leider. Eigentlich wäre so ein kleiner Kräutergarten gar nicht schlecht. Ist das viel Arbeit? Wir sind ja viel unterwegs und könnten uns deshalb nicht so drum kümmern.“

„Nein, Fynn. Das ist kein Problem. Und wenn ihr Martina freundlich fragen würdet, hilft sie bestimmt mal aus.“

Nachdem wir alles vorbereitet hatten, begannen wir gemeinsam die Küche aufzuräumen. Auch hier gab es nicht eine komische Bemerkung. Wir waren ein gutes Team und so war das auch alles schnell erledigt. Dann ging es ans Tischdecken. Das war natürlich meine Aufgabe, weil ich wusste, wo alles stand. Die Jungs kümmerten sich um die letzten Vorbereitungen und dann ging es auch schon los. Ich füllte die Suppe in die Schalen und wir nahmen Platz.

„Hm, lecker. Eine frische Suppe ist doch viel besser als so eine Fertigsuppe.“

Dabei schaute Fynn uns an und wartete auf eine Reaktion von mir.

„Da hast du absolut recht. Leider nimmt man sich viel zu wenig Zeit, um so schöne Sachen zu kochen. Ihr solltet euch das beibehalten. Es hat doch viel Spaß gemacht, gemeinsam zu kochen. Oder nicht?“

„Oh ja, auf jeden Fall. Vielleicht können wir ja in der WG noch den einen oder anderen dafür begeistern und wir machen ab und zu Kochabende.“

„Coole Idee, aber sprecht das bitte mit Martina ab.“

Wir saßen gut gesättigt nach dem Nachtisch noch am Tisch und alle schwiegen für einen Moment. Es war ein tolles Essen. Die Jungs hatten Talent und vor allem Spaß. Mir imponierte das.

„So, jetzt kommt der unangenehmste Teil nach dem Essen. Das Abräumen.“

Für die Jungs war das aber überhaupt kein Problem. Lachend und scherzend standen sie auf und gemeinsam war alles nach wenigen Minuten erledigt.

„Möchtet ihr einen Espresso oder einen Cappuccino trinken?“, fragte ich sie.

„Ja, gern. Cappuccino ist gut.“

Damit wechselten wir auf die Terrasse und setzten uns in die Abendsonne. Für einen Moment genossen wir schweigend die Situation.

„Spielen deine Eltern eigentlich auch Tennis oder haben die mit Sport nicht viel am Hut?“, fragte mich Fynn.

„Doch sie spielen beide auch heute noch. Für ihr Alter sind sie sehr fit. Immerhin ist meine Mutter bereits 80 und mein Vater 76. Allerdings ist alles etwas ruhiger geworden. Mein Vater war früher richtig gut. Er hat uns auch das Tennis beigebracht. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatte ich keine Trainerstunde bei einem Trainer. Bei Jan war das ähnlich, nur hatte er ab dem zehnten Geburtstag bereits einen Verbandstrainer. Bei mir kam das erst später.“

„Du hast in welchem Verein gespielt?“

„Im TC Rot-Weiß Löhne. Mit sechs Jahren habe ich mit Tennis angefangen und bin erst mit sechzehn dort weg in einen kleinen Verein.“

„Warum denn in einen kleinen Verein? Du hast doch bestimmt in Löhne gute Bedingungen gehabt.“

„Ja, die Trainingsbedingungen waren sicher gut in Löhne, aber Jan hatte den Verein ein Jahr zuvor verlassen, weil ihm in Minden bereits Geld geboten wurde. In der damaligen Oberliga wurde schon gutes Geld gezahlt. Der Löhner Vorstand wollte das allerdings nicht. Deshalb ist Jan gegangen. Das habe ich dann im Jahr darauf gespürt. Man fing an, mich zu meiden und ich fühlte mich überhaupt nicht mehr wohl dort. Allerdings muss ich auch dazu sagen, dass zu der Zeit die Mitgliederzahlen förmlich explodierten. Es waren plötzlich über 800 Mitglieder in Löhne und obwohl ich dort aufgewachsen war, wurde ich kaum noch gegrüßt. Es zählte nur noch das Geld. Wer Geld hatte, war angesehen und wer nur gut spielen konnte, zählte eigentlich nicht. Ganz einfach gesagt, ich fühlte mich dort nicht mehr wohl.“

„Sie haben dich spüren lassen, was dein Bruder eigentlich gemacht hatte?“

„Ja, Dustin. So ungefähr fühlte sich das an. Dann wechselte auch noch der Vorstand und damit hatte ich die letzten Unterstützer verloren. Ich bin dann dort weggegangen. Ein kleiner Verein hier im Ort war für mich genau das Richtige. Ein Nachbar hatte mich mal gefragt, ob ich nicht mal mit ihm dort spielen möchte. Wie gesagt, ich war erst sechzehn. Und das waren doch noch andere Zeiten als heute. Nach Löhne musste ich immer mit dem Rad etwa 45 Minuten fahren. Eine Strecke, also 45 hin und abends wieder zurück.“

Die Jungs hörten sehr aufmerksam zu und stellten auch hin und wieder eine Frage. Gegenüber heute herrschten damals total andere Bedingungen im Tennissport. Sie kannten es ja nicht anders.

„Du hast also dann gewechselt. Denkst du, das war die richtige Entscheidung?“

„Für mich als Mensch auf jeden Fall, sportlich sicher nicht.“

„Wie meinst du das?“, fragte Dustin.

„Naja, ich war nicht so ehrgeizig wie mein Bruder und ich wurde immer mit ihm verglichen. Egal was ich tat. Ich war immer der kleine Bruder von Jan. Das war in der Schule so, beim Tennis und auch bei den Freunden. Das hat einfach nur genervt.“

„Aber dein Bruder war doch gut und erfolgreich oder nicht?“

„Sicher, Fynn. Allerdings war er menschlich ein Arschloch. Er hatte nur seinen eigenen Vorteil im Sinn. Freunde waren ihm egal, auch ich war ihm egal. Für den Erfolg tat er alles. Ich sage immer, er konnte über Leichen gehen. Im Gegensatz zu mir. Mir waren meine Freunde viel wichtiger als alles andere.“

Nach einer kurzen Pause fragte mich Fynn: „Du hast deinen Bruder nicht gemocht, oder?“

„Nein, damals sicher nicht. Für mich war er ein arrogantes, egoistisches Arschloch. Aber ich möchte das eigentlich nicht weiter diskutieren. Er hat ja auch später dafür teuer bezahlt und irgendwann eingesehen, dass ich auch in vielen Dingen recht hatte. Seitdem sind wir wieder viel besser miteinander umgegangen. Bis heute. Es war ein langer Weg, aber immerhin haben wir ihn gemeinsam bewältigt.“

„Und deine Eltern? Wie sind die denn damit umgegangen? Dein Vater hat doch sicher gemerkt, dass es zwischen euch Probleme gab.“

Jetzt wurde es heikel. Das Thema war für mich immer noch sehr problematisch.

„Nein Fynn, mein Vater hat immer nur gesagt, ich solle mein Talent nicht so wegwerfen und Jan wäre doch viel besser im Tennis. Er war auch besser, ebenso in der Schule. Er hat nie für gute Noten wirklich lernen müssen. Ich musste immer viel Zeit investieren für das Gymnasium. Das Lernen fiel mir nicht so leicht. Es war nicht einfach zu sehen, dass Jan immer Einsen und Zweien schrieb und dann entweder auf Turnieren oder auf Partys war.“

„Haben denn deine Eltern das zugelassen? Mein Vater hätte mich verprügelt, wenn ich ständig besoffen gewesen wäre oder nie zu Hause.“

„Naja, Fynn. Jan ist mit achtzehn bereits ausgezogen. Er verdiente ja schon richtig Geld mit dem Tennis und so war er außerhalb der Kontrolle meiner Eltern.“

„Das war für dich doch bestimmt toll, endlich den bösen Bruder los sein.“

Ich musste lächeln, ein ganz fieses, sarkastisches Lächeln. Die Jungs spürten, dass es nicht einfach für mich war, dieses Thema auf den Tisch zu packen.

„Ich hatte es zumindest gehofft. Leider wurde das Leben zu Hause dadurch nicht einfacher.“

Fynn überlegte und er wurde unruhig.

„Was ist? Was bewegt dich gerade?“, fragte ich ihn.

„Eigentlich merke ich gerade, dass ich vielleicht doch mehr mit Patrick machen sollte. Er muss doch jetzt auch von mir denken, dass ich ein arrogantes und egoistisches Arschloch bin. Ich bin einfach abgehauen und er muss jetzt allein zu Hause sein.“

„Du erinnerst dich an seinen Ausbruch in der Klinik?“

„Oh ja. Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Ich habe es bislang nicht verstanden, aber jetzt wird es deutlich. Mist, er denkt, ich hätte ihn im Stich gelassen, oder?“

Dustin spürte die Aufregung seines Freundes.

„Du hast doch keine andere Wahl gehabt und auf diese Weise für dich ein besseres Leben beginnen können. Vielleicht wird es ja auch wieder normal, wenn dein Vater wieder gesund wird.“

Ich ließ das für einen Moment einfach so stehen und ging ins Haus, um neue Fassbrause aus dem Kühlschrank zu holen.

Als ich zurück auf die Terrasse kam, standen die Jungs im Garten und sie schienen sich leise zu unterhalten. Dustin hatte seinen Arm um seinen Freund gelegt. Ich stellte die Flaschen auf dem Tisch ab und ging zu ihnen. Fynn drehte sich zu mir und fragte:

„War dein Bruder der Grund, warum du mit dem Trinken angefangen hast? Wir können das irgendwie nicht verstehen, wieso jemand wie du, zum Alkoholiker wird.“

„Es gibt viele Ursachen dafür. Heute weiß ich viel mehr darüber als damals. Ich habe es natürlich irgendwann gemerkt, dass ich mehr trank als die meisten meiner Freunde, aber ich hatte mir immer Leute gesucht, die noch viel mehr tranken. Da konnte ich immer sagen, schau, bei denen ist es viel schlimmer. Bei mir kann es ja noch nicht so schlimm sein.“

„Aber warum hast du denn überhaupt damit angefangen. Ich verstehe das immer noch nicht. Du hast doch eigentlich gute Bedingungen gehabt. Deine Mutter war nicht arbeiten und ihr hattet einen gewissen Wohlstand. Warum, verdammt noch mal, fängt man dann das Trinken an?“

Dustin hatte richtig Schwierigkeiten, zu begreifen, was damals passierte.

„Vielleicht, weil es noch etwas anderes gab, was ich nicht wahrhaben wollte? Vielleicht, weil ich nicht die Wahrheit akzeptieren wollte und es da noch eine Sache gab, die damit zusammenhing. Kommt, lasst uns wieder an den Tisch gehen.“

Wir gingen zurück auf die Terrasse und ich öffnete die Flaschen und gab jedem eine in die Hand.

„Prost, Jungs. Auf eure Zukunft.“

„Nein“, erwiderte Fynn sofort.

Dustin zuckte und schaute ihn fragend an.

„Auf unsere Zukunft und auf unsere Freundschaft.“

Dustin musste grinsen. „Wie kannst du mich so erschrecken. Du hast aber recht. Auf uns.“

Dann stießen wir mit den Flaschen an und gönnten uns einen großen Schluck aus der Flasche.

„Du hast uns mit deiner Andeutung ja schön neugierig gemacht. Wir würden jetzt aber schon gerne wissen, was du damit gemeint hast.“

Also gut, sie wollten es unbedingt wissen, dann sollte es wohl so sein. Ich erzählte ihnen die Sache mit meiner damaligen Freundin und dem tragischen Ende. Genauso ausführlich, wie ich es Thorsten erzählt hatte. Als ich fertig war, berichtete ich noch von den Schuldgefühlen, die mich jahrelang plagten.

„Und es gibt noch etwas, was mir bis vor gar nicht langer Zeit zu schaffen machte. Ich habe nie offen dazu stehen können, schwul zu sein. Ich weiß es eigentlich seit ich dreizehn oder vierzehn bin. Damals war es aber in einem Dorf unmöglich, damit offen zu leben. Damit konnte damals kaum einer umgehen. Das war 1980, da war Homosexualität ein totales Tabuthema. Wir leben hier auf dem Dorf, wo jeder jeden kennt. Ich konnte unmöglich jemandem erzählen, dass ich schwul bin.“

Als ich mit meiner Erzählung fertig war, sah ich in zwei versteinerte Gesichter und bei Dustin konnte ich glasige Augen sehen. Er kämpfte mit seinen Gefühlen.

„Das …, das ist die heftigste Geschichte, die ich je gehört habe. So langsam kann ich verstehen, warum du mit dem Alkohol angefangen hast. Aber was hat dazu geführt, dass du dann irgendwann aufgehört hast? Irgendetwas muss doch passiert sein.“

„Richtig, da kam dann mein eigener Unfall ins Spiel. Ich habe euch ja mal davon erzählt und ihr wisst ja schon, dass ich dabei eigentlich hätte sterben müssen. Das war für mich die Initialzündung. Ich wollte leben und ich wollte es besser machen.“

„Deshalb feiere ich auch meinen Geburtstag nicht mehr. Seit dem Jahr 1990 feiere ich nur noch meine 'Clean-Geburtstage'. Dafür habe ich etwas geleistet und da kann ich stolz drauf sein. Das ist immer ein besonderer Tag für mich. Da begann sozusagen mein zweites Leben.“

„Also von da an, alles auf Anfang?“

„Ja, Fynn. So ungefähr. Das Verhältnis zu meinem Vater wurde leider nicht wirklich besser. Ständig hatte er etwas auszusetzen und zu kritisieren. Irgendwann bin ich zu dem Entschluss gekommen, für eine Zeit lang den Kontakt komplett abzubrechen. Nur meine Mutter hat sich für mich interessiert und mich bis heute unterstützt.“

Dustin wurde immer stiller und bedrückter. Ich konnte spüren, dass es in ihm arbeitete und ich war der Meinung, es war genug für heute. Die Jungs sollten nicht mit schlechten Gefühlen hier weggehen.

„Leute, was haltet ihr davon, wir lassen jetzt mal die Vergangenheit ruhen und fahren in die Stadt. Dort lade ich euch zu einer Partie Snooker ein.“

„Ok, schade. Ich hätte gern erfahren, wie das weiter gegangen ist und wie du vor allem wieder mit Jan zusammengekommen bist.“

„Ich laufe euch ja nicht so schnell weg und wir finden bestimmt mal einen Termin, wo wir das fortführen können. Jedenfalls wisst ihr jetzt im Groben, dass auch bei mir sicher nicht alles glatt gelaufen ist. Dennoch kann ich heute sagen, ich bin zufrieden und freue mich, meine Erfahrungen weitergeben zu können.“

Wir lösten unsere Runde im Garten auf und räumten die Sachen in die Küche. Dustin war mir verdächtig still. Es war offensichtlich, dass ihn das doch sehr betroffen gemacht hatte. Ich fragte mich gerade, ob es nicht vielleicht zu heftig für ihn war. Allerdings versuchte er das nach außen zu kaschieren. Erst als wir im Auto saßen und in die Stadt fuhren, sagte er:

„Danke Chris. Ich hätte nie gedacht, dass du so heftige Dinge erlebt hast. Ich weiß jetzt, dass es sich immer lohnt, nicht aufzugeben. Wenn du einen Ausweg gefunden hast, können das andere auch. Ich denke dabei gerade an das, was von meiner Familie übriggeblieben ist. Es tut schon weh …“

Fynn hatte es bemerkt. Dustin hatte die ganze Zeit schon damit zu kämpfen, jetzt war es vorbei mit seiner Beherrschung. Tränen liefen und er tat mir leid. Ich hatte ihn doch überfordert. Das ärgerte mich, denn ich hätte das wissen können, dass bei ihm Erinnerungen hoch kamen. Fynn beruhigte seinen Freund glücklicherweise recht schnell. Als ich in der Stadt den Motor abstellte, blieb ich noch einen Moment sitzen. Wir hatten nicht weiter gesprochen und ich schaute mich um nach Dustin. Fynn hatte ich vorher an einer Ampel nach hinten geschickt und er hatte seinen Freund liebevoll im Arm.

„Wie geht es dir jetzt, Dustin?“

Tief seufzend antwortete er: „Es geht wieder, sorry. Es hat mich einfach überrollt. Meine Eltern waren noch viel schlimmer und ich will nicht abhängig werden. Ich habe einfach Angst davor.“

Oha, das schwirrte ihm auch durch den Kopf.

„Ich verstehe das sehr gut, aber ich glaube nicht, dass du anfällig dafür bist. Dafür hast du schon zu viel gelernt und bist dir zu sicher, was du nicht willst. Bislang hast du auch nie Alkohol so eingesetzt. Also sei beruhigt. Außerdem hast du viele Freunde, die deine Geschichte kennen. Wenn sich hier jemand entschuldigen muss, dann sollte ich das sein. Ich hätte wissen müssen, dass dich das sehr belastet, was ich euch über mich erzähle.“

„Nein, es war gut, dass du uns das erzählt hast. Jetzt wissen wir, es gibt auch andere Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist und die sich ins Leben zurückgekämpft haben. Vielen Dank, Chris. Und bevor du es sagst: Wir wissen, dass wir das für uns behalten sollen. Keine Sorge.“

Ich lächelte, als Fynn das gesagt hatte.

„Gut, wollen wir dann den Abend jetzt mit etwas Spaß ausklingen lassen?“

Dustin öffnete die Tür und das war das Zeichen auszusteigen. Die beiden Jungs liefen den ganzen Weg Arm in Arm. Erst, als wir das Billardcafé betraten, löste sich Dustin aus dem Arm von seinem Freund.

Wir ließen uns an der Theke die Kugeln geben und ich bestellte uns etwas zu trinken. Dann erklärte ich den beiden die Snookerregeln. Obwohl es ein sehr anspruchsvolles Spiel ist, hatten wir ganz viel Spaß und auch an gegenseitigen Frotzeleien wurde nicht gespart. Erst gegen elf Uhr wurde deutlich, dass unsere Konzentration stark nachließ. Das war für mich das Zeichen, nach Halle aufzubrechen und die Jungs in die WG zurückzubringen.

Auf der Rückfahrt war Dustin hinten im Auto sehr schnell eingeschlafen. Fynn und ich unterhielten uns während der Fahrt leise weiter.

„Weißt du eigentlich schon, welche Turniere wir als nächstes spielen werden?“

„Nicht genau. Am Montag ist Trainerbesprechung und dort werden wir das diskutieren. Ich habe eine Idee, aber ich muss das mit Thorsten und Thomas noch absprechen.“

„Ok, aber warum mit Thomas? Wir trainieren doch bei dir.“

„Weil vielleicht einer von den jüngeren bei uns mitfahren soll. Tim soll vielleicht mit uns fahren.“

„Ausgerechnet Tim? Der nervt momentan nur. Große Lust habe ich nicht auf die Nervensäge.“

„Kann ich sogar verstehen. Allerdings habe ich auch eine Idee und bislang hat er sich mir gegenüber nur sehr selten schlecht benommen.“

Als ich das gesagt hatte, musste Fynn lachen. Er grinste mich an und sagte:

„Ok, so gut kenne ich dich mittlerweile. Du hast schon einen Plan, wie du Tim auf Linie bringen kannst. Und es stimmt, wenn ihn jemand einnorden kann, dann du.“

„Danke für die Blumen“, antwortete ich auch mit einem Lachen.

Wenige Minuten später hielt ich vor dem Haus der Jungs und stellte den Motor ab. Fynn weckte seinen Freund und die beiden wollten ins Haus gehen, da flüsterte Fynn seinem Freund etwas ins Ohr und der griff in seine Jackentasche. Zum Vorschein kam ein Umschlag, den mir Dustin überreichte.

„Du darfst das aber erst zu Hause lesen. Und vielen Dank für deine Hilfe und den schönen Abend. Wir werden uns revanchieren. Komm gut nach Hause und ruh dich morgen mal richtig aus.“

Etwas irritiert nahm ich den Umschlag entgegen und legte ihn auf den leeren Beifahrersitz.

„Danke, Jungs. Mir hat es auch viel Spaß gemacht. Wir sehen uns Montag beim Training und macht euch eine ruhige und schöne Nacht.“

Nach dem letzten Satz startete ich den Motor und fuhr nach Hause.

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