Fynn: Der erste Turniertag

Die erste Nacht im Hotel war erstaunlich erholsam. Auch der Vorfall im Zug machte mir wenige Probleme. Allerdings hatte Dustin eine unruhige Nacht. Er wachte mehrfach auf und erst, als ich ihn bat, mir von seinen Träumen zu erzählen, beruhigte sich sein Zustand. Es kamen einige Dinge zusammen. Seine Zweifel an sich selbst, die Situation im Zug und der Erfolgsdruck, den er sich selber machte. Sein größtes Problem war aber ein anderes. Er hatte momentan oft das Gefühl, er sei allein.

Obwohl er wusste und auch klar sagte, dass das nicht stimmen würde, hatte er doch manchmal dieses Gefühl. Was sollte oder konnte ich für ihn tun? Ausgerechnet jetzt, wo alle so viel anderes um die Ohren hatten, bekam er wieder seine Angstzustände. Hoffentlich würde es auf dem Platz wieder besser werden. Vielleicht konnte ich Chris einen Hinweis geben, ohne dass Dustin es bemerken würde. Ein guter Start in ein Turnier sah jedenfalls anders aus.

Am Morgen nach dem Frühstück ging es zur Anlage des LTTC Rot-Weiß, einer der ältesten Tennisvereine Deutschlands. Dieser Verein hatte eine Geschichte, von der ich leider nicht viel wusste. Chris hatte uns aber auf der Bahnfahrt einiges erzählt. Früher wurden dort sogar internationale Turniere ausgetragen. Eine Steffi Graf hatte mehrfach hier gewonnen.

Als unsere Gruppe die Anlage gegen acht Uhr betrat, staunte ich. Es war eine riesige Anlage mitten in Berlin und in der Nähe des Grunewald. Der Center Court bot 6000 Zuschauern Platz. Das war schon mächtig beeindruckend. Auf solchen Plätzen hatten wir noch nicht gespielt. Insgesamt gab es sechzehn Plätze, ein riesiges Clubhaus und viele alte und große Bäume auf der Anlage. Unsere Gruppe stand genau unter einem dieser alten Bäume und wartete auf Burghard, der ins Turnierbüro gegangen war, um uns anzumelden.

Es herrschte, trotz der frühen Zeit, bereits reges Treiben und Chris verschaffte sich, wie immer, einen Überblick. Ich konnte genau erkennen, wie er das Ganze förmlich einscannte. Dustin schien es ebenfalls bemerkt zu haben, während Tim und Markus eher herumalberten. Marek war mehr der Einzelgänger. Er war auch noch nicht lange bei uns. Allerdings hatte er einen eigenen Sponsor, der ihm vieles ermöglichte und spielerisch war er auch sehr gut. Richtig kennengelernt hatten wir ihn noch nicht. Maxi hatte uns einiges von ihm erzählt.

Maxi war auch ein gutes Stichwort. Er hatte sich direkt auf die Bank unter dem Baum gesetzt und schaute dem Treiben zu. Chris unterhielt sich mit Dustin und ich stellte mich zu ihnen.

„Was sagst du zu der Anlage, Fynn?“

„Wow, Chris. Das ist echt beeindruckend. Du hast nicht übertrieben. Hoffentlich wird es für uns auch so gut wie die Anlage aussieht. Ich möchte hier sehr gut abschneiden. Schließlich haben wir gut trainiert und uns gut vorbereitet.“

Mein Freund schien sich da nicht so sicher zu sein. Er kniff die Augen zusammen, als ich das gesagt hatte. Chris reagierte sehr locker.

„Alle haben gut gearbeitet und ich bin mir sehr sicher, es wird ein gutes Turnier. Macht euch nicht unnötig Druck. Bleibt locker und spielt euer Spiel, so wie wir es besprochen haben. Titel sind schön, aber nicht so wichtig. Eine gute Leistung zählt.“

Er wusste genau, wie er gerade Dustin damit beruhigen konnte. Burghard kam in diesem Augenblick zu uns zurück. Er hatte gleich zwei Plastiktüten dabei, die er unter dem Baum abstellte.

„Leute, kommt bitte einmal alle zusammen.“

Es dauerte einen Moment, bis wirklich alle versammelt und ruhig waren. Dann fuhr Burghard fort:

„Also, ihr seid alle angemeldet und auch die Meldungen haben alle so geklappt, wie wir es gedacht hatten. Jeder von euch bekommt ein T-Shirt und einen Gutschein für den Verzehr. Da die U 16 und U 21 die größten Felder haben, werden diese Konkurrenzen beginnen. Tim und Markus haben also noch etwas Zeit. Ich habe für jeden ein Tableau mit der Auslosung seines Feldes bekommen und gebe das an euch weiter. Jeder ist für seine Abläufe verantwortlich, insbesondere was die rechtzeitige Vorbereitung betrifft. Die Startzeiten sind geplante Zeiten. Ich muss nicht extra erwähnen, dass sich das verschieben kann. Also achtet auf die Ansagen und Aufrufe der Turnierleitung. Die Gegneranalyse machen Chris und ich jeweils vor dem Match und wir werden euch ansprechen. Also schaut euch etwas um und Dustin, Fynn, Maxi, Stefan und Marek sollten sich bereits umziehen und bereit machen. In zehn Minuten möchte ich Stefan und Marek hier sehen zur Besprechung. Chris, jetzt bist du dran.“

Chris lächelte und im Gegensatz zu Burghard, machte er es sehr kurz.

„Danke, ich möchte nur ergänzen, dass ich Maxi, Dustin und Fynn ebenfalls gleich hier haben möchte. Tim und Markus, ihr könnt euch noch in Ruhe etwas umsehen. Allerdings, die Anlage wird nur nach vorheriger Absprache mit uns verlassen. Sonst könnt ihr euch hier frei bewegen. Allen wünsche ich ein tolles Turnier und lasst uns den Leuten zeigen, dass wir Tennisspielen können und eine nette Truppe sind. Benehmt euch.“

Das letzte hatte er mit einem Augenzwinkern gesagt und ich konnte mir einen Lacher nicht verkneifen. Auch Dustin grinste und gab mir gleich einen Kuss. Damit waren die deutschen Juniorenmeisterschaften für uns eröffnet.

Burghard und Chris verteilten die T-Shirts und Unterlagen an uns. Jeder bekam auch ein Handtuch und ein Duschgel als kleines Präsent. Das war praktisch. Wir verstauten die Sachen und dann gingen wir Richtung Umkleiden. Hier war alles ähnlich gut organisiert, wie bei uns. Überall standen Hinweisschilder und auch alle Helfer waren farblich erkennbar gekleidet. Als wir in die Umkleide kamen, staunten wir nicht schlecht. Die war ebenfalls riesig. Da konnte man sich fast drin verlaufen. Überall waren Spieler dabei, sich umzuziehen und sich vorzubereiten. Dustin und ich stellten unsere Taschen ab und zogen schnell unsere Sachen an, die wir zum Spiel brauchten.

„Also groß ist das ja hier, aber lass uns schnell wieder nach draußen gehen. Hier fühle ich mich nicht sonderlich wohl.“

Typisch Dustin. Er brauchte immer frische Luft. Aber ich konnte das hier auch gut verstehen. Maxi war auch zeitig fertig und somit verließen wir drei gemeinsam mit unseren Taschen den Raum.

Chris wartete bereits unter dem Baum auf uns. Wir stellten unsere Taschen dort ab und Chris schlug vor:

„Kommt mit, wir gehen einmal ein wenig über die Anlage. Das nötige zu euren Gegnern sage ich euch unterwegs.“

Jetzt spürte ich doch wieder das Kribbeln und die Anspannung vor einem Match. Maxi begann Sprüche zu klopfen und da wusste ich, er war mindestens genauso nervös wie ich. Dustin hörte still den Ausführungen von Chris zu. Das war seine Art, mit der Anspannung umzugehen. Mittlerweile wusste ich auch, dass ich Dustin ab jetzt nicht mehr mit anderen Dingen stören durfte. Ab jetzt ging es nur noch um Tennis.

Mein Gegner war mir vollkommen unbekannt. Er kam aus Bayern, war bereits zwanzig und ein Linkshänder. Was ich überhaupt noch nicht bemerkt hatte, ich war an Position acht gesetzt. Das erste Mal überhaupt bei einem so wichtigen und großen Turnier. Dustin hatte mich darauf hingewiesen. Er hatte einen deutlich stärkeren Gegner aus dem Verband Niederrhein. Maxi stand ebenfalls vor einer lösbaren Aufgabe. Er hatte tatsächlich das Glück, gegen einen Spieler aus dem WTV spielen zu dürfen. Immerhin war Listen nicht anwesend, denn die Sperre war immer noch aktiv. Er wurde von einem anderen Trainer aus dem unteren Jugendbereich vertreten.

Schön war, dass ich ebenfalls Marco Pöttinger bereits gesehen hatte. Er war wieder mit seiner Truppe dabei. Also würde es bestimmt lustig werden. Chris verstand sich mit ihm ja auch sehr gut.

Eine halbe Stunde später stand ich mit meinem Gegner auf Platz 3. Er hieß Bastian, aber alle nannten ihn nur Basti, also durfte ich auch Basti zu ihm sagen. Dustin und Maxi hatten noch etwas Zeit und somit standen sie an meiner Bank und wir redeten noch miteinander. Basti kam mit seinem Schläger in der Hand hinzu und merkte an:

„Aber nicht, dass ihr ständig Fynn mit Ratschlägen versorgt. Das wäre unlauterer Wettbewerb.“

In diesem Augenblick wusste ich für einige Sekunden nicht, wie er das gemeint hatte. Aber als er zu lachen begann, war klar, dass das nicht ernst gemeint war. Dustin hingegen war gleich in die Angriffshaltung gegangen. Glücklicherweise bemerkte er schnell, dass Basti ein lustiger Typ war und somit klärte sich das schnell. Ich gab Basti zwei Bälle und dann schlugen wir uns ein. Komisch, ich war jetzt längst nicht mehr so nervös wie bei anderen Turnieren. Im Gegenteil, in dem Augenblick, wo ich die ersten Bälle spielte, fühlte ich eine Sicherheit, die ich schon ewig nicht mehr verspürt hatte.

Chris erkannte ich mittlerweile auch. Er stand an dem üblichen Ort in der Ecke des Platzes. Marco stand neben ihm und sie redeten angeregt miteinander.

Als ich mir einen Ball aus der Ecke des Platzes holen musste, begrüßte ich Marco mit einem kurzen Kopfnicken und einem „Hallo“.

Dann wurde es ernst und die Platzwahl stand an. Basti gewann und wählte Aufschlag. Da es noch früh am Morgen war, wählte ich die Seite, um zwei Spiele mit der Sonne im Rücken spielen zu können.

Das Match entwickelte sich gut für mich und ich gewann den ersten Satz recht souverän. Mitbekommen hatte ich, dass Dustin und Maxi ebenfalls ihre Spiele beginnen mussten. Chris stand recht entspannt am Zaun bei der Satzpause. Er nutzte nicht einmal die Chance, mit mir zu sprechen. Das wunderte mich dann doch etwas. Allerdings gab er mir mit Augenkontakt sehr viel Ruhe. Also nahm ich an, ich sollte einfach mein Spiel zu Ende spielen. Obwohl Chris nicht mit mir gesprochen hatte, fühlte ich mich sehr sicher und gut unterstützt und konnte so die erste Runde recht glatt für mich entscheiden.

Chris stand aber direkt nach dem Matchball bei mir an der Bank und gratulierte mir.

„Sehr gut gespielt. Du fragst dich sicher, warum ich nicht mehr mit dir gesprochen habe. Das will ich dir gerne erklären. Du hast so souverän gespielt, da wollte ich dir auch die Verantwortung überlassen. Du solltest merken, dass du sehr wohl eigenständig auf dem Platz agieren kannst. Ich bin sehr zufrieden. Klasse Auftakt.“

Dann umarmte er mich kurz und wechselte den Platz. Dustin spielte auf Platz 10 und Maxi auf Platz 6. Mich hatte er direkt auslaufen und duschen geschickt.

Da ich bei meinem Freund noch etwas schauen wollte, beeilte ich mich und war schon zwanzig Minuten später wieder am Platz. Dort hatte Dustin den ersten Satz knapp verloren, führte aber deutlich im zweiten Durchgang. Mich wunderte nur, dass Burghard bei Dustin stand und nicht Chris. Egal, ich ging zu Burghard und erkundigte mich nach dem Spielverlauf.

„Dustin hat sehr nervös begonnen. Erst am Ende des ersten Satzes hat er angefangen Tennis zu spielen. Das sieht man auch am Spielstand. Du kannst glaube ich beruhigt sein, dein Freund wird das Match nicht mehr aus der Hand geben.“

„Warum bist du dir so sicher? Chris sagt immer, das Spiel ist erst mit dem Matchball beendet.“

Er lachte. Das war schon selten genug. Burghard lachte selten. Er war immer sehr ernst.

„Das stimmt sicher auch, allerdings ist Dustin richtig gut im Spiel. Ich bin mir sehr sicher. Warte es ab, aber du kannst beruhigt sein.“

Das gab mir Ruhe, obwohl das auch eher relativ war. Ich musste mir eingestehen, dass ich bei meinem eigenen Spiel viel gelassener war als jetzt. Chris war auch nicht zu sehen, allerdings kam Tim mit Markus zu uns herüber.

„Wie läuft es bei Dustin, Maxi hat seinen Gegner gut im Griff. Ich denke, er wird bald fertig sein.“

Tim war verdächtig still. Gut, er musste auch gleich auf den Platz gehen, aber er war doch sehr ruhig. Ob Chris ihm irgendwas gesagt hatte?

„Hoffentlich ist Dustin auch bald fertig. Ich will nicht, dass das Spiel noch kippt.“

„Damit wäre doch unser Turnier schon gut gestartet. Ihr drei alle eine Runde weiter ist doch schon mal gut.“

„Wann seid ihr dran?“, fragte ich.

„Auf dem nächsten freien Platz, sagte man mir.“

„Wann willst du dich denn aufwärmen?“

Burghard schaut ebenfalls schon etwas vorwurfsvoll herüber, sagte aber nichts.

„Ja, ja. Ich bin ja schon weg. Wollte nur schnell schauen, wie es bei Dustin steht.“

Beleidigt zog er von dannen. Burghard schüttelte den Kopf.

„Wie gut, dass du es ihm gesagt hast. Ich war schon kurz davor, gleich wieder sauer zu werden. Das ist nicht zu glauben. Er spielt doch nicht erst seit gestern Turniere.“

Einige Minuten später stand ich mit meinem glücklichen Freund an seiner Bank und wir freuten uns über unsere Siege. Maxi schien auch fertig zu sein, denn Chris kam recht entspannt zu uns.

„Maxi hat auch gewonnen. Glückwunsch, Dustin. Dann wollen wir mal schauen, was die anderen jetzt machen.“

Chris und Burghard gingen gemeinsam weg und ich blieb mit Dustin zurück. Er wollte auslaufen und dann duschen.

„Gehen wir anschließend was trinken?“, fragte er mich.

„Ja, gern. Treffen wir uns im Clubhaus?“

Nachdem er seine Tasche abgestellt hatte und laufen ging, trennten wir uns. Ich stellte mich auf die Terrasse und konnte von dort viele Plätze übersehen. Überall wurde gespielt und jetzt wurde ich mir doch der Größe dieses Turniers bewusst.

Chris: Der erste Tag verläuft gut

Für mich war diese Anlage etwas Besonderes. Ich hatte eine Steffi Graf auf diesem Center Court noch spielen sehen. Zu einer Zeit, wo meine Jungs noch lange nicht geboren waren. Und jetzt spielten sie dort und ich war mit ihren ersten Spielen sehr zufrieden. Maxi, Dustin und Fynn hatten ihre Matches gewonnen. Marek ebenfalls und jetzt kamen Tim und Markus an die Reihe. Tim hatte sich gleich mit dem Vergessen des rechtzeitigen Aufwärmens den Unmut von Burghard zugezogen.

Es fühlte sich für mich gut an, dass meine drei Spieler so selbstverantwortlich waren, dass das von allein klappte. Ich musste nicht mehr hinter jedem Schritt her denken. Es zahlte sich langsam die harte Arbeit aus. So konnte ich mich viel mehr mit den nächsten Gegnern beschäftigen und meine Jungs hatten auch mehr Zeit, sich zu erholen. Wir mussten nicht ständig aufeinander hocken.

Ich war schon auf dem Weg zu dem noch laufenden Match von Dustins nächstem Gegner, als mich Burghard fragte:

„Was soll ich nur mit Tim machen? Dass Markus die Abläufe noch nicht so kennt, ist klar, aber Tim sollte es mittlerweile wissen. Ich bin schon wieder angefressen.“

Ich blieb für einen Moment an Tims Platz stehen.

„Du solltest ihn machen lassen. Wenn er scheitert, merkt er es vielleicht. Bislang haben wir ihn immer wieder gerettet. Heute soll er zeigen, ob er schon bereit ist, bei den großen mitzuspielen. Wir haben genug geredet. Er muss jetzt merken, dass wir nicht ewig Geduld haben. Schau es dir an und hilf ihm auf dem Platz. Ansonsten bekommt er keinen Sonderstatus mehr. Wenn er was möchte, kann er kommen.“

„Du hast vermutlich recht. Es ist aber nicht so leicht zuzusehen, wie er sich selbst aus dem Spiel nimmt.“

„Das stimmt, aber das müssen wir dann auch lernen. Fällt mir auch nicht leicht, aber ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, ihn wachzurütteln.“

Burghard schien sich zu wundern über meine Haltung, aber er sagte nichts mehr dazu. Dass Tim zurück lag im ersten Satz, wunderte mich nicht wirklich. Mal abwarten, ob er im Laufe des Spieles besser wurde.

Ein paar Minuten später saß ich bei Dustins nächstem Gegner am Platz und machte mir Notizen für die Vorbereitung. Leider waren die Gegner von Fynn und Maxi auch auf dem Platz. Ich konnte aber nicht alle Spiele gleichzeitig sehen.

„Hi Chris, hast du schon etwas Interessantes für mich beobachtet?“

Ich drehte mich um und schaute in ein lachendes Gesicht von Dustin.

„Hi Dustin, möchtest du dich auch schon mal informieren über deinen nächsten Gegner?“

„Aber sicher doch. Hast du uns doch immer geraten. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich seinen Gegner vorher ansehen. Also, brav wie wir sind, machen wir das, was unser Trainer sagt.“

Diese Lockerheit freute mich ungemein. Vor wenigen Wochen sah das noch vollkommen anders aus. Dustin war ein selbstbewusster Junge geworden, der sehr zielstrebig arbeitete.

„Wenn du von wir sprichst, gehe ich davon aus, dass die anderen ebenfalls bei ihren Gegnern schauen und das der Grund ist, warum du allein unterwegs bist.“

Er grinste und zeigte mir den Daumen hoch. Hier wurde deutlich, dass sie auch bei diesen einfachen Dingen konsequent arbeiteten. Ich klopfte ihm auf die Schulter und wir schauten gemeinsam dem weiteren Verlauf des Matches zu.

Ich gab ihm wieder kleine Hinweise und Anregungen, aber ich wollte ihn gleich in der Vorbereitung zuerst einmal selbst eine Strategie ausarbeiten lassen. Sie sollten alle drei immer mehr lernen, worauf sie achten sollten. Es war dadurch für mich aufwendiger, als ihnen einfach zu sagen, wie sie spielen sollten, aber ich wollte, dass sie eigenständig werden und dass sie verstehen, warum sie etwas machen sollten.

Komischerweise waren wir bald zu viert auf der Bank. Fynn und Maxi waren zu uns gekommen, weil die Spiele ihrer Gegner zu Ende waren. Auch das spiegelte den Teamgeist wider. Es war jeder für den anderen da und half wo er konnte. Ohne dass ich noch viel ansagen musste.

„Und wie geht es euch nach dem ersten Erfolg? Gab es Probleme?“

Das Spiel war zu Ende und ich war bereits aufgestanden und stand jetzt vor den dreien an der Bank. Fynn nutzte das sofort, um seinem Freund einen Kuss zu geben. Da musste ich lachen.

„Du hättest ja auch was sagen können, dann wäre ich weggerückt.“

Es war wirklich erstaunlich, denn die beiden wurden sogar noch etwas rot, als ich das gesagt hatte. Naja, diese Normalität würde sicher auch noch kommen. Jetzt wollte ich aber erst einmal von ihnen ihre Erlebnisse vom Spiel hören.

„Es war komisch, ich war längst nicht mehr so aufgeregt wie bei den letzten Turnieren. Nur manchmal bekam ich das nicht umgesetzt, was wir besprochen hatten. Sonst bin ich ganz zufrieden.“ Dustin begann mit dem Bericht über sein Spiel.

Maxi nickte und ergänzte: „Ja, das ging mir ähnlich. Ich bin gleich gut in das Spiel gestartet und war nicht so verkrampft wie sonst. Keine Ahnung warum, aber es hat von Beginn an mehr Spaß gemacht. Hoffe, dass wird im nächsten Spiel wieder so sein.“

Ich hörte mir ihre Aussagen an und wartete noch auf Fynn. Allerdings schien er sich gar nicht so sicher zu sein mit dem, was er sagen wollte.

„Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Klar, es war ein gutes Spiel, aber ich hatte das Gefühl, ich könnte besser spielen. Vor allem fand ich mein Spiel nicht zwingend genug. Ich habe mehr erwartet. So wird es jedenfalls schwer werden, hier weit zu kommen.“

„Wie war dein Ergebnis?“, fragte ich ihn.

„Äh, 6:1; 6:3. Warum?“

„Weil du nur so gut spielst, wie es der Gegner zulässt. Du hast in keinem Moment Sorge haben müssen, nicht zu gewinnen. Da wird es schwer, das Beste abrufen zu können. Ich bin mir sicher, du wirst dich steigern. Also keine Panik. Aber ich finde es gut, dass du gespürt hast, dass du nicht die volle Leistung abgerufen hast.“

„Aber hast du nicht immer gesagt, wir sollen maximalen Einsatz zeigen? Du kannst doch mit meinem Spiel nicht zufrieden sein.“

„Zum Einen, ich habe dein Spiel nicht gesehen, kann also nichts dazu sagen. Zum Anderen aber, du hast souverän gewonnen und Kraft gespart. Mach dich nicht so verrückt. Ich traue euch mittlerweile zu, selbst zu entscheiden, wie viel Energie ihr investieren müsst. Ich kann jederzeit eingreifen, sollte es notwendig sein. Aber erst einmal soll jeder selbst entscheiden, was er da tut. Wenn ich immer die Vorgaben so eng gebe, lernt ihr ja nicht, eure Erfahrungen in eigene Entscheidungen einfließen zu lassen. Ihr sollt eigenverantwortlich werden. Das wird euch in Zukunft stark machen auf dem Platz. Ich kann während des Spieles von außen nur begrenzt Einfluss nehmen.“

„Aber du wirst uns weiterhin begleiten? Nicht, dass du jetzt nicht mehr mitfährst.“

Typisch Dustin. Er macht immer gleich den „Worst Case“ daraus.

„Wie kommst du denn jetzt darauf? Nur, weil ich euch zu selbstständigen Spielern machen möchte, heißt das nicht, dass ihr allein sein werdet. Warum haben denn die Profis immer ihre Coaches dabei? Doch bestimmt nicht zur Zierde.“

Das führte gleich zu einem grinsenden Fynn, der seinen Freund in den Arm nahm und sagte:

„Glaubst du im Ernst, Chris würde verpassen wollen, wenn du dein erstes Turnier auf der Profitour gewinnst?“

„Blödmann“, sagte Dustin und verdrehte seine Augen. Maxi musste genau wie ich lachen. Die beiden waren einfach klasse. Jetzt war aber die Stimmung wieder locker und ich war schon wieder in der Vorbereitung auf die nächste Runde, als Burghard zu uns kam.

„Na, wie machen sich die anderen?“, fragte Maxi.

„Geht so. Markus spielt gut und bemüht sich wirklich. Hat es aber schwer. Tim spielt wieder so blind und mehr gegen sich selbst. Das ist so dumm, dabei könnte er relativ einfach seinen Gegner bezwingen.“

„Reagiert er nicht auf deine Hilfen oder was ist das Problem?“, fragte Fynn.

„So ungefähr. Ich rege mich eigentlich auch nur über seine Dummheit auf. Warum kann er nicht einfach mal die Marschroute durchspielen?“

Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was Burghard meinte. Tim war ein Dickkopf und manchmal kritikresistent.

„Kommt, lasst uns doch mal schauen gehen. Kommt ihr mit?“

Die Jungs waren sofort dabei, wenn es darum ging jemandem im Team zu unterstützen. Selbst bei Tim war das noch so. Auch wenn er manchmal nur eine Nervensäge war.

„Wo spielt Markus denn?“, fragte ich Burghard.

„Auf Platz 16, ganz hinten.“

„Was hältst du davon, du gehst zu Markus und ich werde mal bei Tim schauen.“

„Danke, ich glaube für meine Nerven ist das besser. Vielleicht bekommst du Tim ja in den Griff.“

Wenige Minuten später stand ich mit meinen drei Jungs geschlossen bei Tim am Platz. Es war nicht schwer zu erkennen, was Burghard gemeint hatte. Leider hatte er die Situation sehr treffend beschrieben. So würde Tim nicht gewinnen.

„Was ist eure Einschätzung zu Tims Spiel?“

Die Jungs überlegten nicht lang und waren sich einig. Maxi fasste es in Worte:

„Er spielt taktisch blind. Sein Gegner hat Probleme, lange Ballwechsel zu gehen. Also müsste Tim nur zehnmal den Ball verteilen und er kann nicht verlieren. Aber er lässt sich auf das Spiel seines Gegners ein und trägt das Risiko.“

Ich nickte und schaute die anderen beiden an.

„Habt ihr noch andere Bemerkungen? Oder seid ihr Maxis Meinung?“

„Viel mehr ist da nicht zu ergänzen. Außer, dass er sich zusätzlich noch aufregt.“

Ich blieb an der Stelle stehen und beobachtete weiter. Der erste Satz war so gut wie vorbei und Tim lag 2:5 zurück. Langsam bewegte ich mich hinter die Bank, wo Tim seine Sachen stehen hatte. Erst blieben die Jungs am vorherigen Standort stehen. Ich wollte sie aber bei mir haben und gab ihnen ein Zeichen, welches sie auch sofort verstanden.

Nach dem ersten Satz schlug Tim seinen Schläger gegen die Bank und setzte sich grantig hin.

Ich begann die Diskussion aufs Neue und zwar so, dass Tim uns hören konnte. Ich sprach nicht direkt mit ihm, sondern diskutierte mit Fynn, Maxi und Dustin über die Möglichkeiten, die Tim ändern müsste, um Erfolg haben zu können. Tim hatte sich sein Handtuch über den Kopf gelegt und zeigte damit, dass er wieder mal seinen Dickkopf hatte.

Innerlich war ich wütend über so viel Dummheit und Arroganz. Äußerlich ließ ich mir das nicht anmerken. Ich wollte Tim eine Brücke bauen, ohne dass er sein Gesicht total verliert. Spielerisch hätte er dieses Spiel ganz locker gewinnen müssen.

Zu Beginn des zweiten Satzes sagte ich dann unüberhörbar: „Kommt Jungs, wir gehen zu Markus. Tim scheint unsere Hilfe nicht haben zu wollen.“

Ich drehte mich vom Platz weg und ging. Meine Jungs blieben konsterniert stehen und schienen mich nicht zu verstehen. Erst einige Minuten, nachdem ich gegangen war, kamen sie auch zu mir.

„Du lässt Tim echt im Stich? So gewinnt er niemals“, sagte Dustin vorwurfsvoll.

„Nein, ich habe ihm eine Brücke gebaut, aber rübergehen muss er selbst. Er hat doch deutlich gezeigt, dass er mit mir nicht sprechen möchte. Entweder hat er uns gehört und ändert etwas oder halt nicht. Es macht keinen Sinn, ihn auf dem Platz zusammenzufalten, nur weil er dumm spielt. Ich mache ihn einen Kopf kürzer, sollte er sich schlecht benehmen. Wenn er vom Platz kommt, ist das dann wieder etwas anderes.“

Ich hatte das ganz bewusst sehr ernst und mit kühler Stimme gesagt. Das kannten meine Jungs nicht von mir. Entsprechend entgeistert und unsicher waren sie. Sie trauten sich für eine Zeit nicht, mit mir zu reden.

Das hatte den Vorteil, dass ich mir mehr von Markus gutem Spiel ansehen konnte. Er war für Carlo nachgerückt und sollte hier Erfahrungen sammeln. Von ihm konnten wir noch keine tollen Ergebnisse erwarten, aber er kämpfte und hatte sogar die Chance, in den dritten Satz gehen zu können.

Burghard gab mir ein Zeichen, ich möge doch bitte zu ihm kommen. Also machte ich mich auf den Weg auf die andere Seite.

„Was gibt es? Markus verkauft sich wirklich gut. Mir gefällt das, was er hier macht.“

„Ja, das stimmt. Vielleicht schafft er noch die Überraschung. Er kann auf jeden Fall mithalten. Hast du bei Tim etwas erreicht?“

„Das wird sich gleich zeigen.“

Ich erklärte ihm, was ich gemacht hatte und was mein Plan dabei war. Burghard musste grinsen.

„Du bist echt ein Filou. Aber wenn das klappt, denkt er doch erst recht, dass er der Größte ist.“

„Nur für fünf Minuten, bis er den Platz verlassen hat. Ich werde ihm nach dem Match das Passende dazu mitteilen. Ich glaube nicht, dass er dann noch glauben wird, er ist der Größte. Vielleicht weiß er dann, dass er das größte geistige U-Boot auf dem Tennisplatz ist, aber mehr auch nicht.“

Ich war richtig sauer auf Tim. Allerdings wusste ich auch, dass es auf dem Platz nichts bringen würde und auch im Beisein der anderen wäre das unfair. Also nahm ich mich noch zurück. Burghard hingegen spürte meine Wut. Ihm ging es ja genauso wie mir. Er war ebenfalls an der Wand Tim gescheitert.

Markus spielte absolut seine Möglichkeiten und schaffte es tatsächlich in den dritten Satz zu kommen. Fynn und Dustin schienen es nicht so einfach akzeptieren zu wollen, dass ich Tim sich selbst überlassen würde. Also gingen sie zurück und wollten sich den Rest anschauen. Interessanterweise kamen sie nach fünf Minuten wieder und waren recht aufgeregt.

„Chris, dein Plan scheint zu funktionieren. Tim führt im zweiten Satz 4:1 und macht kaum noch Fehler. Er spielt nur noch den Ball zurück, macht aber einen Punkt nach dem anderen und sein Gegner ist schon total frustig.“

Lachend erwiderte ich: „Na, immerhin. Vielleicht ist er ja doch nicht so dumm. Zumindest will er sich nicht total blamieren. Schauen wir mal, was dabei herauskommt. Ihr könntet euch übrigens mal nach euer nächsten Startzeit erkundigen.“

Sie spielten „Schnick, Schnack, Schnuck“ um festzulegen, wer denn jetzt den weiten Weg zur Turnierleitung machen sollte. Ich ließ sie einfach machen und konzentrierte mich wieder auf Markus, als Marek zu uns kam. Er fragte Burghard nach seinem nächsten Gegner. Leider schien Burghard gerade gar keine Kapazitäten dafür zu haben, denn er wies Marek ziemlich schroff zurück. Also übernahm ich das und gab Marek ein Zeichen, wir sollten uns etwas abseits bewegen.

Ich erklärte ihm, was ich über seinen Gegner wusste und dass er sich nicht zu große Sorgen machen sollte. Das war eine lösbare Aufgabe. Lustigerweise kam genau in diesem Moment Marco an uns vorbei. Er hatte zwei seiner Jungs neben sich. Er war wieder mit den U13 und jüngeren Spielern unterwegs.

„Hey Chris, schön dass wir uns auch mal wieder begegnen. Du hast irgendwie mehr Jungs als sonst dabei. Oder täuscht das?“

„Hi Marco, deine Beobachtungsfähigkeit spricht für dich. Aber ich bin ja auch nicht allein hier. Burghard steht da vorn. Sorry, aber ich bin gerade in einem Gespräch. Wir können gleich eine Fassbrause oder Cappuccino trinken. Ich melde mich bei dir.“

„Das ist eine gute Idee. Dann bis gleich.“

Ich beendete das Gespräch mit Marek nach ein paar Minuten und hatte das Gefühl, er war doch nicht so eigenständig wie es den Anschein hatte. Aber ich kannte ihn auch nicht gut genug. Er bedankte sich für meine Informationen und wollte sich noch ein paar andere Matches ansehen.

Kaum war ich wieder allein, da hörte ich aus der Richtung von Tims Platz Unruhe aufkommen. Meine Jungs standen dort am Platz und redeten miteinander. Ich gesellte mich zu ihnen und tatsächlich konnte ich ein komplett anderes Spiel erkennen. Tim hatte sich doch für meine Idee entschieden und spielte es jetzt sehr souverän runter. Er gewann deutlich im dritten Satz. Interessanterweise war seine Reaktion nach dem Matchball anders, als ich das von ihm kannte. Er war sehr dezent und schien sich nicht wirklich zu freuen. Immer wieder blickte er zu uns, während er seinen Platz abzog.

„Du hast ein weiteres Mal gezeigt, wie du andere Menschen beeinflussen kannst. So langsam macht uns das Angst. Nicht, dass wir bald nur noch das machen, was du willst.“

„Wieso bald? Ihr macht doch schon lange das, was ich möchte. Ihr merkt das nur nicht.“

Für eine Sekunde herrschte Stille, dann brachen wir alle in lautes Gelächter aus. Mittlerweile war Tim auch fertig und hatte sich nur die Glückwünsche abgeholt und war dann wortlos in Richtung Umkleide verschwunden. Fynn schaute ihm fragend hinterher.

„Lasst ihn etwas in Ruhe. Ihr würdet es nur noch schlimmer machen. Ich werde mich mal etwas absetzen. Irgendwo, wo ich allein bin. Ihr könntet ihm nur den Hinweis geben, ich wäre bei Platz 16.“

Das schöne war, meine Jungs wussten genau, was ich vorhatte und sie grinsten vielsagend, bevor sie Richtung Clubhaus verschwanden.

Endlich hatte ich mal ein paar Minuten für mich, diese herrliche Anlage auf mich wirken zu lassen. Ich saß auf einer schattigen Bank zwischen Platz 16 und 14. Überall wuselten Spieler herum. Hier waren ja alle Altersklassen ab elf Jahren vertreten. Das führte auch zu den unterschiedlichsten Aktionen der Kinder. Die älteren waren meist mit ihren Smartphones beschäftigt, während die jüngeren eher Fußball spielten oder sogar mit einer Frisbeescheibe hantierten.

Mir fiel jetzt allerdings auch ein, dass ich Joachim noch anschreiben wollte. Wir hatten vereinbart, wenn ich in Berlin angekommen bin, sollte ich mich bei ihm melden. Das wollte ich dann auch tun. Ich schrieb ihm eine Mail und erklärte ihm, in welchem Hotel wir waren. Dort könnte ich mich mit ihm treffen. Vielleicht hatte er ja an einem Abend Zeit, dorthin zu kommen.

Joachim hatte ich auch bei Nickstories kennengelernt. Er war ebenfalls Autor. Wir haben uns gegenseitig beim Schreiben unterstützt und pflegten seit längerer Zeit einen Mail Kontakt. Endlich würde ich ihn gerne mal persönlich kennenlernen wollen.

Es war schon erstaunlich, wo ich überall mittlerweile gleichgesinnte Freunde gefunden hatte. Da ich in Zukunft ja viel unterwegs sein würde, war ich mir sicher, den einen oder anderen auch noch treffen zu können.

Was mich allerdings richtig erstaunte, Tim stand plötzlich bei mir an der Bank.

„Störe ich gerade?“

Nanu? Tim hatte mich gefragt, ob er stören würde.

„Nein, möchtest du dich nicht setzen?“

Er zögerte und schien sich nicht sicher zu sein, ob er es tun sollte oder nicht. Dann nahm er aber doch neben mir Platz.

„Ihr seid sauer auf mich, oder?“

„Ich kann nur für mich sprechen. Ich bin nicht sauer, ich wundere mich nur über deine Dummheit. Burghard ist sauer auf dich, weil du dich nicht an die Absprachen hältst und immer einen anderen Weg gehen willst.“

Er schwieg. Aber es war offensichtlich, dass er über irgendetwas nachdachte. Ich ließ ihm etwas Zeit, seine Gedanken zu ordnen.

„Danke. Du hast mich spielen lassen, obwohl du genau wusstest, dass ich so nicht gewinnen würde. Deine Taktik, so zu tun, als ob du dich mit den Jungs unterhältst, ist clever. Du hättest mir auch den Kopf waschen können, so wie Burghard das immer macht. Warum hast du das nicht getan?“

„Kann ich dir das gleich beantworten? Ich würde gern eine Gegenfrage stellen. Warum vertraust du uns nicht?“

Er schwieg. Allerdings nicht, weil er nicht antworten wollte, sondern ich hatte den Eindruck, er wusste nur nicht, wie er antworten sollte.

„Glaubst du, wir wollen dich ärgern oder was geht in deinem Kopf vor? Immer wieder stellst du dir deine eigenen Regeln auf. Wenn man in einer Gemeinschaft lebt und arbeitet, muss es Regeln geben, die für alle gelten, auch für dich.“

„Hm.“

Mehr kam nicht von ihm.

„Was sollen wir machen? Wie sollen wir mit dir trainieren, wenn du eh einen anderen Weg wählst, als wir besprochen haben.“

„Habe ich dir jemals widersprochen?“, erwiderte er giftig.

Ich schaute ihn an und musste einen Augenblick nachdenken. Was sollte diese Bemerkung und hatte er vielleicht recht?

„Was meinst du damit?“

„Ich habe dir noch nie widersprochen. Ich weiß auch, dass ich dir vertrauen kann. Aber Thomas nicht. Er triezt mich ständig und erwartet, dass ich nur das mache, was er will. Er fragt nicht einmal nach meiner Meinung. Manchmal grüßt er nicht einmal vor dem Training. Ich habe einfach keine Lust, mich wie einen Sklaven behandeln zu lassen. Ich will eigene Ideen einbringen können und lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Bei dir geht das, du versuchst immer Dustin, Fynn und Maxi ihre Entscheidungen selbst treffen zu lassen.“

So langsam bekam ich eine Vorstellung, was das Problem sein könnte.

„Ok, aber ich bin nicht dein verantwortlicher Trainer. Das sind nun einmal Burghard und Thomas. Außerdem sind meine Jungs deutlich älter als du. Sie haben mehr Überblick und trainieren auch verantwortungsbewusst. Da kann ich sie auch an der langen Leine laufen lassen. Aber sei dir sicher, ich greife ein, sobald es notwendig ist.“

„Keiner traut mir etwas zu. Immer muss ich nur das machen, was andere wollen. Selbst zu Hause war das so. Deshalb wollte ich ja auch in die WG ziehen. Ich hatte die Hoffnung, nicht immer kontrolliert zu werden.“

„Du fühlst dich kontrolliert? In der WG? Dort ist es doch echt angenehm mit Martina als Chefin.“

„Ja, aber Carlo hat immer mehr Freiheiten und ich muss immer mehr machen, als die anderen.“

„Das ist sicherlich nicht so, aber du hast in letzter Zeit viele Regeln nicht eingehalten. Da ist es doch logisch, dass wir reagieren und dich wieder auf Linie bringen müssen. Ohne Regeln geht es in einer Gemeinschaft nicht.“

Ich spürte deutlich seine Enttäuschung, die er in den letzten Wochen erlebt hatte.

„Würdest du Regeln immer einhalten, wenn du glaubst, sie sind falsch? Wenn du immer nur machen sollst und keine Antworten auf deine Fragen bekommst? Thomas gibt Anweisungen, die ich befolgen soll. Er erklärt aber nie, warum. Ich verstehe oft den Sinn nicht und dann fällt es mir schwer, mich zu motivieren, das zu tun.“

„Aber ich gebe dir genauso Anweisungen, warum ist das dann für dich kein Problem?“

„Weil du anders bist. Du erklärst immer, was das Ziel ist und warum das jetzt besser ist. Dustin kann immer erklären, warum er etwas tun soll. Er weiß es immer. Ich nicht.“

„Und deshalb glaubst du, es sei besser, deinen eigenen Vorstellungen zu folgen? Hast du denn Thomas schon mal gefragt, warum er diese Dinge verlangt? Erklärt er das nicht?“

„Was glaubst du denn? So oft hab ich es versucht, aber irgendwann aufgegeben. Manchmal wurde er sogar sauer, wenn ich beim Training etwas nachgefragt habe. Immer hieß es dann, dafür haben wir jetzt keine Zeit und wir müssen was tun.“

„Und nach dem Training? Hast du es mal außerhalb versucht?“

Er schwieg und ich konnte eine große Enttäuschung spüren. Aber warum war er so empfindlich und vor allem, warum hatte er bislang darüber nicht gesprochen?

„Weißt du Chris, du bist doch der einzige, der mir mal zuhört. Thomas hat ja nicht mal Zeit für so ein Gespräch. Er sagt immer, dass er dafür keine Zeit hat und Training machen muss. Zählt das nicht zum Training, etwas zu erklären?“

„Doch, natürlich ist das ein wichtiger Baustein des Trainings. Ich stimme dir zu, wenn man nicht versteht, warum man etwas tun soll, wird es manchmal schwer, sich zu motivieren. Allerdings ist deine Art damit umzugehen wenig erfolgversprechend. Es führt nur zu noch mehr Druck und noch weniger Verständnis. Wir wissen doch gar nicht, was dein Problem ist. Du redest ja nicht mit Martina. Dass du mit Thomas momentan nicht reden möchtest, kann ich sogar verstehen, aber Martina hat dir nichts getan. Im Gegenteil, sie würde dich immer unterstützen, wenn du dich an die Regeln halten würdest.“

Er saß jetzt wie ein zusammengerollter Igel auf der Bank. Klein und ängstlich. Irgendetwas war hier noch nicht offen. Ich war mir sicher, da gab es noch mehr Probleme.

„Aber kannst du dir vorstellen, dass es manchmal schwer ist zu vertrauen, wenn man oft schlechte Erfahrungen gemacht hat? Thomas hat auch Fehler gemacht oder ist manchmal zu spät beim Training. Da passiert nichts, aber wenn ich zu spät komme, muss ich gleich Strafsachen machen. Das finde ich ungerecht.“

„Ok, und warum hast du dich in deinem Match entschieden, doch das zu machen, was ich vorgeschlagen hatte?“

„Weil ich ja schon wusste, dass ich so gewinnen würde. Ich hatte aber keine Lust so zu spielen. Ich wollte auch Spaß beim Spielen haben.“

„Du weißt aber schon, dass Spaß nicht immer …“

„Jaja, ich weiß. Aber bei dir weiß ich ganz genau, selbst wenn du richtig sauer sein könntest, versuchst du immer, den Jungs eine Tür offen zu halten. Thomas hat mich doch schon lange aufgegeben. Burghard noch nicht. Deshalb bin ich sehr froh, dass Thomas nicht mit ist.“

„Ich gebe dir jetzt einen Rat. Denk da mal drüber nach. Zeige uns hier, dass du besser werden willst und hart dafür arbeiten möchtest. Dann habe ich ein gutes Argument, mit dir und Thomas ein Gespräch anzusetzen. Oder mit Thorsten und mir, wenn du möchtest. Oder auch allein, wie du willst. Wenn du aber immer nur dagegen arbeitest, habe ich kaum ein Argument.“

Jetzt schaute er mich mit großen Augen an und dann kniff er sie zusammen, überlegte einen Moment, bevor er sagte:

„Ok, ich habe dich verstanden. Du würdest mir also eine Chance geben?“

„Alle würden dir eine Chance geben, wenn du dich wieder in die richtige Richtung bewegst. Du musst nicht stumpf alles machen, was Thomas sagt. Thomas ist aber nicht hier und wir sind für dich verantwortlich. Also zeig uns, dass es anders geht. Dann können wir mehr für dich tun.“

Er stand auf und sagte nur: „Danke. Ich glaube, ich habe dich verstanden. Vielleicht hätte ich früher zu dir kommen sollen. Fynn hatte wohl recht.“

„Passt schon. Besser spät, als nie.“

Danach mussten wir beide lachen und er entfernte sich von mir. Allerdings nicht ohne mir zu sagen, was er jetzt machen wollte. Das gefiel mir, er wollte sich vorbereiten auf das zweite Match. Ich blieb sehr nachdenklich auf der Bank sitzen und erschrak etwas, als ich auf die Uhr sah. Wir hatten fast eine Stunde zusammengesessen.

Die nächste Runde stand bald an und ich hatte noch nicht ein Gespräch mit den Jungs gehabt. Es wurde Zeit, sie gut auf den nächsten Gegner vorzubereiten. Entsprechend machte ich mich auf den Weg und suchte nach meinen drei Jungs. Die Anlage war riesig und entsprechend schwierig war das. Immerhin hatten alle ein neongrünes Teamshirt an. Dadurch konnte ich sie recht deutlich erkennen.

„So, wie schaut es bei euch aus? Seid ihr fit für die zweite Runde?“

„Wir schon, was ist mit dir? Wir haben schon gedacht, du kommst gar nicht mehr.“

Dustin schien etwas angefressen zu sein. Fynn holte ihn gleich wieder etwas runter.

„Hey, ist doch alles gut. Chris ist nicht nur für uns da. Außerdem glaube ich, hat er die Zeit nicht mit gammeln verbracht.“

Fynn nickte mir zu und schien tatsächlich mitbekommen zu haben, dass Tim bei mir war. Ich wollte auch nicht weiter darauf eingehen und bereitete meine drei Jungs auf ihre nächsten Matches vor. Es wurde langsam zur Routine und auch für Dustin schien der Erwartungsdruck nicht gestiegen zu sein. Aus meiner Sicht sollten alle drei ins Viertelfinale einziehen können. Maxi und Fynn traute ich auch mehr zu. Bei Dustin war ich mir nicht so sicher. Er war nicht so konstant. Spielen konnte er genauso gut wie die anderen. Er war aber mental noch nicht so stabil. Vor allem wollte er immer gleich mit Maxi und Fynn mithalten und war enttäuscht, wenn das so nicht funktionierte, wie er das wollte.

Burghard war mit den anderen beschäftigt. Interessanterweise vermied es Tim, auf ihn zuzugehen. Tim machte sich bereits warm. Er hatte sich mit Stefan an die Ballwand begeben. Ich stellte mich einfach dazu und fragte:

„Lasst ihr mich mal mitspielen? Ich muss mich auch mal etwas bewegen.“

Stefan schaute mich vollkommen erstaunt an, Tim grinste und sagte:

„Klar, nimm dir einen Schläger aus meiner Tasche und mach mit.“

Ich hatte einfach Lust mich zu bewegen und die beiden hatten ihren Spaß. Es war sehr lustig und es gab immer wieder neue Spielchen, die sie sich ausdachten. Wirklich kreativ. Das gefiel mir. Dort konnten sie wieder richtige Kinder sein.

In einer kleinen Pause fragte mich Tim: „Soll ich zu Burghard gehen oder sagst du mir was zu meinem Gegner?“

Ich wusste, dass Burghard nicht von sich aus auf die Spieler zuging. Er erwartete, dass sie zu ihm kommen würden.

„Ich finde es besser, wenn du zu ihm gehst. Er ist dein Coach und für dich zuständig.“

Tim wollte schon losgehen, denn er hatte nicht mehr viel Zeit bis zu seinem Spiel.

„Warte! Wenn Burghard eine dumme Bemerkung macht, warum du so spät kommst, sag ihm, du hättest dich mit mir aufgewärmt.“

Er drehte sich noch einmal um und lächelte mich an. Dankbar zeigte er mir den Daumen. Stefan wunderte sich über diese Reaktion.

„Tim hat bei Burghard nicht so gute Karten, oder? Ist da mal etwas vorgefallen?“

„Geht so. Ich möchte deine Frage nicht so gern beantworten. Vielleicht fragst du Tim direkt. Er soll dir das selbst erklären. Es gibt Dinge, die nicht so gut laufen und genau wie bei dir, gibt es auch Tage, da wäre man lieber zu Hause geblieben.“

„Ja, das kenne ich auch. Das mag Burghard gar nicht, wenn man nicht das macht, was er sagt.“

Eine Stunde später waren alle wieder auf dem Platz. Jetzt bemerkte ich, dass ich noch gar nichts gegessen hatte. Meine Jungs waren mir da deutlich voraus. Wenn ich jetzt nicht etwas essen würde, hätte ich erst nach den Spielen wieder Gelegenheit. Die ersten Minuten würden auch ohne mich gehen.

Ich suchte nach Marco und er hatte die gleiche Idee. So saßen wir recht bald mit unserem Essen auf der Terrasse des großen Clubhauses. Von dort konnte ich sogar den Platz von Dustin einsehen.

Wir ließen uns das Essen schmecken und redeten über die Entwicklung im WTV. Marco hatte ja die Geschichte mit Listen verfolgt, auch wenn er jetzt in einem anderen Verband angestellt war.

„Ich finde das echt cool, wie ihr den WTV vor die Wand habt laufen lassen. Es wurde allerhöchste Zeit. Mal sehen, wie der Verband reagiert. Hier ist der WTV ja mit den Nachwuchstrainern am Start.“

„Mal sehen, ob es tatsächlich bei den Holzköpfen angekommen ist. Ich habe so meine Zweifel. Wie läuft es denn bei deinen Jungs?“

„Ach danke, ganz gut. Nur zwei haben verloren. Die spielen jetzt in der Nebenrunde. Sonst sind alle gut gestartet. Du hast ja eher die Favoriten bei dir.“

„Warum Favoriten? Wie kommst du darauf?“

„Na, wenn du die Entwicklung deiner Spieler in den letzten Wochen siehst, dann ist das schon erstaunlich wie weit sie schon sind. Ich behaupte mal, du hast mindestens einen der Jungs im Finale der U 21. Jedenfalls haben viele vor den drei großen Respekt. Auch wenn sie noch nicht in der Rangliste so weit oben stehen. Immerhin ist Fynn schon gesetzt worden. Warum eigentlich nicht Maxi?“

„Keine Ahnung, eigentlich steht Maxi vor Fynn in der Rangliste. Vielleicht, weil Fynn in den letzten Wochen sehr gute Ergebnisse gespielt hat.“

„Eigentlich auch ziemlich egal. Wer gewinnen will, muss alle schlagen. Deine Jungs sind alle auf dem Platz?“

„Ja, das stimmt wohl. Stefan spielt in der U 18 sonst alle U21. Und ich bin sehr gespannt, wie sie sich hier schlagen werden. Die erste Runde sah vielversprechend aus.“

Ich ließ mein Essen auf unsere Teamrechnung schreiben und wollte mich auf den Weg zu meinen Jungs machen, als mir Tim mit Markus schon entgegen kam.

„Fynn führt schon 3:0, Maxi 4:1. Läuft echt gut. Weißt du was Dustin macht?“

„Nein, Markus. Ich wollte jetzt gerade los und schauen. Ich musste aber erst etwas essen. Kommt ihr mit?“

So machten wir uns zu dritt auf den Weg zu Dustin. Dort sah ich einen beeindruckend spielenden Dustin. Er spielte seinen Gegner förmlich an die Wand. Es war wirklich grandios, was er dort bot. Auch Tim und Markus waren stark beeindruckt, freuten sich für Dustin und das Team. Markus brachte es auf den Punkt:

„Läuft echt gut. Jetzt müssen wir noch nachziehen. Nicht, dass wir die ersten sind, die rausfliegen.“

„Ok, dann macht euch mal bereit. Dustin wird auch ohne unsere Hilfe gewinnen.“

Dieser erste Tag war ein großer Erfolg für das Break-Point-Team. Alle Spieler hatten den ersten Tag erfolgreich überstanden. Burghard hatte bereits mit Thorsten telefoniert und mir die Glückwünsche ausgerichtet. Um halb acht waren Burghard und ich endlich soweit, dass wir die Anlage verlassen konnten. Die Jungs hatte ich schon vor einer Stunde nach dem Essen ins Hotel geschickt. Ich hatte mir den Plan für morgen geholt und wollte mich mit Burghard in der Lobby noch zusammensetzen, um die Strategie zu besprechen.

Der Weg durch den Grunewald war sehr entspannend. Wir hätten auch den Shuttleservice nehmen können, aber ich wollte lieber zu Fuß durch den Wald gehen. Wir hatten ja keine Taschen dabei.

Fynn: Der Tag war grandios

Nach den letzten Matches hatten uns Chris und Burghard ins Hotel geschickt. Wir sollten noch etwas im Wellnessbereich entspannen. Das hatten wir getan und ich saß mit Maxi und Dustin bei uns im Zimmer.

„War doch ein guter Tag für uns. Alle haben zweimal gewonnen und sind morgen unter den letzten 16. Irgendwie ging das zu einfach.“

Maxi hatte ausgesprochen, was ich schon die ganze Zeit nach meinem letzten Match gedacht hatte. Ich hatte die Spiele viel bewusster genießen können. Vor wenigen Wochen hatte ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich den Platz bei einem großen Turnier betrat. Heute war ich mir jeweils vor dem Match schon bewusst, dass ich gewinnen kann und was mich erwartete.

Lag das an der besseren Vorbereitung mit Chris oder waren wir wirklich schon so viel besser geworden? Immerhin spielten wir bei den deutschen Juniorenmeisterschaften und trotzdem fühlte ich kaum Stress. Es machte einfach nur Spaß.

„Schatz, dein Gegner morgen ist auch lösbar oder?“, fragte mich Dustin.

Bevor ich antworten konnte, fing Maxi an zu lachen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung warum.

„Hihi, das ist echt niedlich. Dustin, für uns sollte mittlerweile jeder Gegner schlagbar sein. Wir sind nicht mehr die Außenseiter. Auch du hast mittlerweile die Qualität, hier sehr weit zu kommen. Leute, wir wollen hier gewinnen.“

„Du bist bescheuert“, antwortete Dustin etwas beleidigt. „Natürlich gibt es Gegner, die wir nicht schlagen können. Gegen Leute wie Gilles oder andere aus dem Profibereich haben wir keine Chance. Haben wir doch gerade gesehen, wie weit wir da sind. Hier spielen die besten U 21 Spieler Deutschlands. Wir sind maximal siebzehn und ich kann für mich sagen, ich bin noch lange nicht so gut, dass ich hier gewinnen kann.“

„Komm, setz dich bitte zu mir. Ich finde, du solltest nicht immer so negativ denken.“

Dustin setzte sich neben mich und ich legte meinen Arm um meinen Freund. Er war immer noch ziemlich erbost über Maxis Aussage. Er empfand das als arrogant, wie Maxi sich hier äußerte.

„Beruhige dich. Es gibt gar keinen Grund, sich aufzuregen. Schau mal, wir haben heute bereits zwei Matches gewonnen. Mir geht es wie Maxi, ich habe das Gefühl, ich spiele schon ewig auf diesem Niveau. Vor dem Match wusste ich, ich kann gewinnen. Das war bislang nicht so gewesen. Heute fühlte ich mich sicher und so war es auch. Chris hat uns sehr gut vorbereitet und auch du hast ganz souverän deine Gegner im Griff gehabt. Vor drei Monaten sah das anders aus. Auch bei mir. Ehrlich, ich habe heute das erste Mal gefühlt, wir können gewinnen. Wir sind so gut, dass es möglich ist. Also warum sollen wir es nicht auch sagen?“

Mein Freund schaute mich an und ich konnte starke Emotionen fühlen. Er nahm meine Hand und ich drückte sie ganz fest. Es war sehr emotional für Dustin. Diesen Rückhalt hatte er sonst nicht so deutlich gespürt. Ich umarmte ihn ganz fest und Maxi war großartig. Er blieb bei uns und redete ruhig auf Dustin ein.

„Hey, Fynn hat ganz sicher recht. Wir sind mittlerweile so gut, dass wir gewinnen können. Ob wir wirklich gewinnen, ist doch damit gar nicht gesagt. Nur haben wir die Fähigkeiten, dieses Turnier gewinnen zu können. Dafür haben wir hart gearbeitet und Chris erwartet von uns, dass wir alles dafür tun, um zu gewinnen. Wenn wir das tun, dann sind die tatsächlichen Ergebnisse doch egal.“

Ich schaute Maxi zweifelnd an. Ich fragte nach: „Woher hast du diesen Text? Das könnte von Chris sein.“

„Das ist von Chris, aber ich habe es begriffen. Wir geben unser Bestes und dann haben wir Erfolg. Das habe ich mittlerweile verinnerlicht. Hart arbeiten und alles versuchen. Gut zuhören, was uns Chris oder Burghard sagen und lernen. Wenn wir dann alles rausholen, haben wir doch schon gewonnen. Und sei es nur, dass wir uns erneut verbessert haben. Ganz sicher, wir haben hier eine Chance, dass einer von uns ganz weit kommen kann. Lasst uns das versuchen.“

„Ok“, sagte Dustin, „vielleicht stimmt das. Dennoch sind wir doch noch Amateure, die erst anfangen gut zu spielen. Ich bin nicht so selbstbewusst, dass ich vor dem Spiel sagen kann, ich kann gewinnen. Ich will nur nicht untergehen.“

„Dustin, du musst dich nicht schlechter machen, als du bist. Chris sagt immer, du hast das gleiche Niveau wie wir. Also glaub an dich. Und wenn es dir noch schwer fällt, an dich selbst zu glauben, dann glaub an Chris. Denn genau das tut er bei uns. Er glaubt an uns. Er ist davon überzeugt, dass wir das können.“

Dustin bekam ein Lächeln in sein Gesicht. Er entspannte sich in meinen Armen und jetzt sah er gleich wieder viel besser aus. Mir fiel noch etwas anderes ein.

„Leute, wir sind in Berlin und spielen Tennis. Andere Leute bezahlen viel Geld dafür, dass sie hier Urlaub machen können. Wir dürfen hier Tennis spielen und vielleicht sogar etwas Geld gewinnen. Dafür sollten wir uns richtig reinhängen und diese Tage hier genießen. Los, auf geht’s und morgen gewinnen wir wieder.“

„Du spinnst echt“, sagte Dustin mit einem Grinsen, „aber dafür liebe ich dich ja auch.“

Dann gab er mir einen ganz intensiven Kuss, bei dem ich bestimmt rot wurde, denn Maxi bekam ganz große Augen dabei. So überzeugend hatte ich Dustin schon lange nicht mehr erlebt. Vor allem waren wir ja nicht allein.

„Ähm, könntet ihr das vielleicht auf später verschieben? Chris kommt bestimmt gleich und will mit uns noch die morgigen Spiele vorbereiten.“

„Ok, ok. Aber nur, weil du es bist. Ich fand es nämlich gerade richtig schön.“ Dustin flüsterte das mit einem Grinsen im Gesicht.

Mir ging es genauso. Es war wunderschön und auch in meiner Hose regte sich etwas sehr deutlich. Da wir alle noch kurze Hosen trugen, blieb das Maxi auch nicht verborgen. Er sagte aber nichts, sondern grinste nur.

Wir redeten noch ein wenig über die Dinge, die wir hier unbedingt in Berlin noch machen wollten, falls wir Zeit haben sollten.

Gegen acht kam Chris bei uns vorbei und erkundigte sich: „Na Jungs, alles fit bei euch?“

„Hi Chris. Du kommst spät. Habt ihr noch so viel zu besprechen gehabt?“, fragte Dustin.

Chris zwinkerte und erwiderte: „Jap, wir mussten doch den Schlachtplan für morgen ausarbeiten. Außerdem wollt ihr doch gleich die Informationen für morgen haben. Also haben wir uns zusammengesetzt und werden euch gleich aufklären.“

„Cool, und seid ihr auch zufrieden mit unserer Leistung?“

„Auf jeden Fall. Alle noch im Rennen und alle mit einer guten Leistung. Außerdem habe ich mit Burghard einen guten Austausch gehabt. Ich schlage vor, wir setzen uns in einer halben Stunde unten in der Lobby zusammen. Dann reden wir über morgen.“

„Warum bleibst du denn nicht hier? Jetzt sind wir doch alle beisammen.“

„Nein, Fynn. Wir sind ein Team und dann machen wir das auch gemeinsam. Außerdem haben wir noch eine kleine Änderung in der Betreuung besprochen. Das wollen wir euch zusammen vorstellen.“

Und schon war er wieder aus dem Zimmer. Er wollte noch schnell duschen gehen, bevor er sich mit uns zusammensetzen würde.

„Geht euch das eigentlich auch so, wie mir? Mir tun die Knochen heute überhaupt nicht mehr so weh, wie beim letzten Turnier in Halle. Da haben wir auch zwei Spiele am Tag gemacht und ich war abends total platt. Heute fühle ich mich noch richtig gut. Müde, aber nicht platt.“

Maxi war zwar von uns der fitteste, aber mir ging es auch noch erstaunlich gut. Aber vielleicht lag es auch an den Gegnern. Wir hatten alle recht glatt gewonnen.

„Was meint ihr eigentlich zu einer Stadtrundfahrt? Ob Chris uns dafür Zeit gibt? Immerhin sind wir in Berlin. Ich würde mir schon gern die Stadt etwas ansehen.“

Dustin fing an, sich für Städte zu interessieren? Hm, bei Berlin war das aber auch nicht so ungewöhnlich, denn so eine Stadt hatte ich auch noch nicht besucht. Also reizen würde mich das schon.

„Ich kann mir das kaum vorstellen, dass wir für Sightseeing Zeit finden werden. Schließlich wollen wir ja gewinnen und dann werden wir wohl kaum hier lange weg kommen.“

„Ja, leider wirst du wohl recht haben. Dennoch würde ich mir gern mal etwas die Stadt ansehen.“

Mein Freund war sichtlich enttäuscht.

„Wer weiß, vielleicht können wir ja erst am Montag zurückfahren. Dann würde es gehen.“

„Ob wir vielleicht nicht in die Schule müssen?“, fragte ich Maxi.

„Och, ich wäre nicht böse. Immerhin würde ich dann die Matheklausur verpassen.“

Das führte bei uns zu großer Heiterkeit, denn dass das Wunschdenken ist, war uns allen klar. Das würde Chris niemals zulassen.

„Leute, wir müssen los. Schaut mal auf die Uhr. Chris wird sauer, wenn wir nicht pünktlich sind. Er wird uns fast alles verzeihen, aber bei Zeiten versteht er doch gar keinen Spaß.“

Dustin hatte zwar den Nagel auf den Kopf getroffen, dennoch fand ich es etwas übertrieben. Nun ja, wir machten uns auf den Weg in die Lobby und Maxi schloss als letzter die Tür.

Chris, Burghard und der Rest unserer Gruppe waren bereits anwesend und warteten auf uns. Ich ging mit Dustin voran und wir setzten uns auf die freien Plätze. Chris hatte schon seinen Laptop vor sich stehen, Burghard eröffnete das Meeting.

„So, der erste Spieltag ist vorüber und jetzt geht es um den nächsten Tag. Chris wird gleich die Planung für morgen erklären. Vorab möchte ich noch ein Lob an euch aussprechen. Die Teamleistung war sehr gut und so könnt ihr gern weitermachen. Morgen steht eine Runde Einzel an und mindestens ein Doppel. Wobei wir noch festlegen müssen, wer überhaupt Doppel spielen möchte. Meldeschluss ist morgen früh um halb zehn.“

Jetzt wurde mir auch klar, warum wir heute zwei Einzel spielen mussten. Die Doppelkonkurrenz hatte ich nicht bedacht.

„Sollen wir denn Doppel spielen? Ich finde das ziemlich anstrengend, zusätzlich noch Doppel zu spielen“, fragte ich Chris.

Erstaunlicherweise gab er mir darauf keine direkte Antwort, sondern nickte nur wortlos. Ich war irritiert. Burghard beantwortete die Frage:

„Jeder soll das für sich entscheiden. Wer spielen möchte, darf spielen. Wer nicht möchte, sollte es auch nicht tun. Für uns ist beides in Ordnung.“

„Müssen wir das jetzt sofort entscheiden?“

„Nein, Dustin“, sagte Chris, „bis morgen früh könnt ihr das überlegen oder auch untereinander diskutieren.“

Burghard holte einen Stapel Papier aus seiner Tasche und verteilte an jeden von uns ein DIN A4 Blatt.

„Damit hat jeder seine Beurteilung des morgigen Gegners und kann sich darauf einstellen. Gleich werden wir uns aufteilen und Chris bespricht das mit euch und ich mit den anderen Spielern. Zuvor möchte ich aber etwas bekanntgeben. Chris und ich haben lange über die Situation mit Tim gesprochen und wir sind übereingekommen, dass es für dieses Turnier besser ist, Tim von Chris betreuen zu lassen. Also Tim wird ab sofort von Chris gecoacht werden.“

Nanu? Das war jetzt aber ganz überraschend. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, dass während eines Turniers so eine Entscheidung gefällt würde. Chris schien es uns anzusehen und reagiert sofort.

„Bevor ihr auf komische Gedanken kommt. Es gilt nur für dieses Turnier. Begründen möchte ich das gleich, wenn wir in der kleinen Gruppe sprechen. Lasst uns erst die allgemeinen Dinge klären.“

Burghard gab uns einen Zeitplan für den nächsten Tag und wir klärten die Abläufe, wann Frühstück ist, wie viele Trainingsplätze wir am frühen Morgen brauchten und ein paar andere Dinge. Erst danach teilten wir uns in zwei Gruppen auf.

Chris nahm in einem Sessel Platz und wir verteilten uns um den Tisch in der Sitzgruppe.

„So, fangen wir mit euren Gegnern an. Ihr habt eine Analyse bekommen und jetzt kommen die Details.“

Chris erklärte jedem Einzelnen von uns sehr genau, wie die Strategie aussehen könnte. Jeder hatte die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und der letzte war Tim, den sich Chris vornahm.

„Bevor ich zu Tim komme, möchte ich euch kurz erklären, warum wir uns entschieden haben, Tim zu mir zu nehmen. Burghard hat momentan Schwierigkeiten, Tim dahin zu bringen, wo er hin soll und wo auch Tim hin möchte. Die genauen Gründe liegen im persönlichen Bereich und es war meine Idee, dass die beiden für eine Zeit ein wenig auf Abstand gehen. Es macht keinen Sinn, sich nur anzugiften und kein Vertrauen in den Coach zu haben. Dann wird Tim auch nicht tun, was wir möchten. Ihr wisst selbst, man muss als Spieler davon überzeugt sein, was man tut. Es hat keinen besonderen Vorfall gegeben und damit das klar wird, es ist keine Strafversetzung, sondern für beide die Chance, etwas aus der Veränderung zu machen. Es ist auch nicht so, dass Tim hier der „Böse“ ist und Burghard alles richtig gemacht hat. Gibt es zu dieser Situation noch Fragen oder Bemerkungen von euch, dann bitte jetzt offen auf den Tisch.“

Für einen Moment waren wir alle etwas überrascht über diese klare Erklärung. Maxi hatte dann aber doch eine Frage.

„Wird Tim dann auch in Halle mit uns trainieren? Ich meine, nichts gegen Tim, aber er ist deutlich jünger und noch nicht so gut wie wir. Ich weiß nicht, ob uns das helfen wird.“

Chris schwieg einen Moment und fragte dann: „Noch weitere Anmerkungen von euch?“

„Ja“, sagte ich, „du hast eben gesagt, es sei nur für dieses Turnier gedacht. Wie soll das danach weitergehen? Carlo ist auch bald wieder fit. Was ist dann?“

„Ok. Leute, jetzt macht mal einen Punkt. Fynn hat es gerade richtig gesagt. Es gilt nur für dieses Turnier. Und dann werden wir sehen, was daraus wird. Natürlich macht es wenig Sinn, Tim bei euch trainieren zu lassen. Das ist aber jetzt völlig uninteressant. Konzentriert euch auf eure Spiele. Ich verspreche euch, es wird keine dauerhafte Entscheidung ohne euch geben. Ich werde euch einbeziehen in diesen Prozess, sollte er euch betreffen. Das ist versprochen. Aber ich möchte von euch auch fordern, dass ihr Tim hier genauso unterstützt, wie das immer der Fall war. Tim hat mich gebeten, dass er euch auch etwas mitteilen möchte. Also hört euch das bitte erst an, bevor es unnötig Stress gibt.“

Chris nickte Tim zu, der angespannt zwischen uns saß und jetzt sogar etwas blass wurde.

„Ähm ja, es stimmt schon, dass ich mit Burghard und vor allem mit Thomas nicht sonderlich gut klarkomme. Dass ich daran nicht unschuldig bin und mich auch blöd angestellt habe, kann ich nicht abstreiten. Ich möchte wieder Spaß am Tennis haben und nicht ständig streiten. Gebt mir bitte eine Chance zu zeigen, dass ich das auch anders kann als in den letzten Wochen.“

Wow, das war eine Aussage, die ich Tim nicht zugetraut hatte. Meinem Freund schien das genauso zu gehen, denn Dustin schaute mich genauso mit großen Augen an und schwieg, wie Maxi. Chris übernahm jetzt wieder das Gespräch.

„Was ist? Tim hat euch um etwas gebeten. Ich finde, er sollte dann auch eine Antwort bekommen.“

„Ja, sorry. Das stimmt.“ Maxi fuhr fort: „Ich bin nur gerade etwas überrascht über Tims Ansprache. Für mich ist es kein Problem, aber ich erwarte, dass er sich an die Regeln hält und mitzieht. Ich möchte besser werden und mich auf Tennis konzentrieren. Wenn das läuft, werde ich mich auch für Tim einsetzen, wie für alle anderen. Dass Thomas nicht so einfach ist, kann ich bestätigen. Ich bin auch sehr froh, dass ich jetzt mit Chris trainieren kann.“

Dann schaute Maxi zu uns und ich wusste nicht, wie ich jetzt antworten sollte. Umso überraschter war ich, dass Dustin darauf reagierte.

„Für mich ist das auch eine klare Sache. Es ist ok, aber keine weiteren Entgleisungen, gutes Benehmen auf und außerhalb des Platzes. Wenn der Einsatz stimmt, habe ich kein Problem. Lasst uns das versuchen, wenn Tim es ernst meint.“

Dann gab er mir einen Kuss und für mich war deutlich, ich brauchte nicht mehr viel zu den Ausführungen zu sagen. Es war alles gesagt.

„Gut, damit sind ja alle Dinge geklärt. Für euch wird sich hier eh nicht viel ändern. Für mich ist es mehr Arbeit, aber das macht nichts. Wir sind ein Team, also werden wir das auch gemeinsam regeln.“

Dann erklärte Chris auch Tim seinen kommenden Gegner. Für mich war es interessant zu sehen, wie Tim über Chris staunte. Chris gab sich große Mühe, Tim genau zu erläutern, wie er den Gegner schlagen könnte. Chris schaute nur nach vorn und Tim hörte wirklich aufmerksam zu. Eine gute Voraussetzung für die Wende, wie ich fand.

Als Chris geendet hatte, war es doch spät geworden. Wir mussten ja schon um acht wieder auf der Anlage sein. Um neun begann der Spielbetrieb. Morgen fingen die jüngeren an und für uns waren erst ab halb elf die ersten Spiele angesetzt.

Chris schickte deshalb Tim auch direkt aufs Zimmer. Es gab keinen Protest, Tim stand auf und verabschiedete sich von uns bis zum nächsten Morgen. Er klatschte jeden ab. Das imponierte mir.

Als Tim gegangen war, fragte Chris: „Und was macht ihr heute noch? Ich werde mich gleich ein wenig in den Außenbereich setzen und noch in Ruhe etwas trinken. Kommt jemand mit oder seid ihr müde?“

Ich wollte lieber mit meinem Freund etwas Zeit haben und Chris nahm das mit einem Lächeln auf. Er meinte nur: „Ok, kann ich verstehen. Aber macht nicht so lange. Morgen früh wird es ernst werden.“

Maxi hingegen wollte noch mit Chris nach draußen gehen. Das war eigentlich auch zu erwarten gewesen. Er war eh immer länger wach als wir.

Chris: Der zweite Tag in Berlin

Der nächste Morgen begann für mich mit einer bösen Überraschung. Ich hatte vermutlich eine falsche Matratze für meinen Rücken. Jedenfalls hatte ich starke Schmerzen und musste auf jeden Fall meine Übungen machen, bevor ich zum Frühstück gehen konnte. Ich informierte Burghard, dass ich erst später kommen würde.

Um zwanzig nach sieben lag ich auf dem Teppich in meinem Zimmer, als es an der Tür klopfte. Ich stand vorsichtig auf und öffnete. Vor mir stand eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig mit einem Koffer in der Hand. Sie stellte sich als Physiotherapeutin des Turniers vor und dass Burghard das organisiert hatte. Das war natürlich eine angenehme Überraschung. Sie legte mich auf den Bauch und tastete meinen Rücken ab. Dann machte sie ein paar Tests und bevor ich ihr weiteres erklären konnte, hatte sie eine Lösung für mein Problem.

„Sie sollten um eine härtere Matratze bitten, sonst haben Sie morgen das gleiche wieder. Ich werde Sie jetzt behandeln. Versuchen Sie sich zu entspannen und atmen Sie dreimal tief ein und aus.“

Als ich das letzte Mal ausgeatmet hatte, drehte sie meinen Oberkörper blitzschnell zur Seite und ein paar hässliche Geräusche waren zu hören.

„So, jetzt stehen Sie bitte vorsichtig auf.“

Tatsächlich, als ich wieder aufrecht stand, war mir zwar etwas schwindelig, aber ich hatte keine Schmerzen mehr.

„Es kann sein, dass Ihnen noch etwas schwindelig ist. Seien Sie bitte vorsichtig und lassen Sie sich auf jeden Fall eine andere Matratze geben. Wir sehen uns dann gleich drüben auf der Anlage.“

„Vielen Dank für diese schnelle Hilfe. Hatte mein Kollege Sie informiert?“

Sie lachte und erwiderte: „Nein, bedanken Sie sich bei ihren Jungs. Es war ihre Idee. Ihr Kollege hatte nur den Anruf getätigt.“

„Cool, danke. Ich werde mich da wohl erkenntlich zeigen müssen.“

Sie lächelte und verabschiedete sich von mir mit einem kräftigen Händedruck. Ich versprach, Sie gleich zu einem Kaffee einzuladen. Anschließend nahm ich meine Tasche mit dem Laptop und ging endlich zum Frühstück.

Meine Jungs waren natürlich schon weg und so saß ich allein am Tisch. Ich nutzte die Zeit, um meine Mails zu checken. Thorsten hatte auf meinen Kurzbericht von gestern geantwortet. Er war sehr zufrieden und auch der Coachwechsel bei Tim fand seine Zustimmung.

Relativ spät kam ich auf die Anlage. Allerdings wusste ich meine Jungs gut vorbereitet und den Fußweg durch den Grunewald ließ ich mir nicht nehmen. Mit Burghard hatte ich telefoniert und ihm gesagt, dass ich auf dem Weg bin.

„Guten Morgen allerseits.“

Einen Teil der Truppe fand ich an Platz 15 und den Rest auf dem Platz. Burghard stand bei den Leuten und ließ sie sich einschlagen. Dustin, Fynn und Maxi standen wie immer zusammen und freuten sich, als sie mich hörten.

„Hi Chris, wie geht es deinem Rücken?“

„Dank eurer Unterstützung wieder viel besser. Ich hab echt gedacht, es ginge heute gar nichts mehr.“

„Hihi, du wirst wohl doch alt.“ Maxi feixte.

„Nein, ich bin schon alt. Aber ich möchte mal sehen, wie du dich bewegen würdest mit so viel Edelmetall im Körper.“

Dustin und Fynn fanden Maxis provokante Art etwas unpassend und Dustin sagte deshalb:

„Ich freue mich jedenfalls, dass es dir besser geht. Wir brauchen dich nämlich noch. Hast du schon gefrühstückt?“

„Klar, ohne Frühstück geh ich nicht in die Schlacht. Aber danke der Nachfrage.“

Ich betrat den Platz und begrüßte Burghard. Er klärte mich über den aktuellen Stand auf und fragte: „Kannst du die Jungs betreuen? Oder solltest du dich schonen?“

„Klar, momentan fühlt es sich gut an. Ich werde nicht so viel stehen und herumlaufen, aber es geht sicher.“

„Deine Truppe spielt ja erst später, nur Tim muss gleich anfangen. Wie haben denn deine Jungs auf den Wechsel reagiert?“

„Bislang habe ich noch keine Zeit gehabt, mit ihnen länger zu sprechen. Ich bin viel gespannter, wie Tim darauf reagieren wird. Ich hatte gestern den Eindruck, dass er darüber nachgedacht hat und sowohl Maxi als auch Dustin schienen die Problematik mit Thomas nachvollziehen zu können. Vielleicht können wir das jetzt ja drehen und Tim wird sein Talent besser nutzen.“

Ich stellte mich zu meiner Dreiergruppe und auch Marek war mittlerweile hinzugekommen. Er war immer sehr schweigsam und viel allein unterwegs. Ich wusste nicht viel über ihn. Deshalb freute ich mich, dass er sich zu uns gestellt hatte.

Es gab ein paar Informationen über den aktuellen Stand und dann wollte ich mich mit Tim besprechen. Ich fragte Burghard, ob er ihn entbehren konnte und machte mich mit ihm auf den Weg ins Clubhaus.

„Wie fühlst du dich heute? Gut geschlafen?“, fragte ich.

„Geht so, ich bin ziemlich aufgeregt. Schließlich will Burghard jetzt sehen, dass der Wechsel auch etwas bringt. Die Nacht war nicht so toll. Ich habe viel nachgedacht.“

„Ok, kann ich verstehen. Finde ich aber auch normal. Versuche dich jetzt auf das Match zu konzentrieren. Alles andere können wir immer noch besprechen. Solltest du mir allerdings etwas Wichtiges mitteilen wollen, dann raus damit.“

„Ne, passt schon. Ich will gewinnen und eine gute Leistung zeigen. Burghard soll sehen, dass ich was kann.“

Diese Situation schien doch mehr Spuren hinterlassen zu haben, als angenommen. Ich ließ das so stehen und besprach mit ihm die Strategie erneut. Er hatte die Dinge von gestern noch gut gespeichert und ich entließ ihn mit einem guten Gefühl. Er wollte sich bereit machen. Das gab mir die Möglichkeit in der medizinischen Abteilung mal zu schauen, ob ich meine Einladung zum Kaffee wahrmachen konnte. Leider hatte sie gerade viel zu tun, wir verabredeten uns auf später.

Eine Stunde später hatte ich mich an Tims Platz gesetzt und beobachtete sein Spiel. Marco saß neben mir und wir unterhielten uns über den WTV und das Urteil gegen Listen. Er fand es längst überfällig, dass sich dort etwas bewegen würde.

„Ich glaube es noch nicht. Erst, wenn dort wirklich neue, junge Leute an der Spitze den ganzen Laden umkrempeln, wird sich grundsätzlich etwas ändern. Aber jetzt will ich nicht mehr darüber reden. Lass uns das Spiel verfolgen.“

„Leider wirst du wohl recht behalten. Ich werde mich auch mal um meine Truppe kümmern. Spielen deine Leute eigentlich Doppel?“

„Das ist eine gute Frage. Mist, da habe ich heute Morgen noch gar nicht dran gedacht.“

Ich schaute mich um, ob ich meine Jungs irgendwo sehen konnte. Dustin konnte ich sehen. Also ging ich zu ihm.

„Sag mal, habt ihr über die Doppel gesprochen? Wollt ihr spielen oder lieber nicht?“

„Doch haben wir. Maxi und ich werden nicht spielen. Fynn möchte spielen und wollte dich noch fragen, ob das so ok ist.“

„Du lässt ihn mit jemand anderem spielen?“, fragte ich scherzhaft.

„Klar, ich passe aber auf, dass er nur mich küsst.“

Dabei fing er an zu lachen. Das freute mich ungemein, dass er mittlerweile sogar ab und an über sich selbst lachen konnte.

„Wenn du Fynn siehst, schickst du ihn bitte mal zu mir. Ich sitze bei Tim am Platz.“

„Klar, mache ich. Aber Fynn wollte eh noch zu dir kommen.“

Ich war verblüfft. Dustin hatte für sich klar entschieden, dass er kein Doppel spielen möchte, weil ihm das zu viel würde. Dass Maxi nicht spielen würde, hatte ich erwartet. Er wollte unbedingt den Titel holen und alles dafür tun.

Das Match von Tim hatte bereits begonnen, als ich wieder auf der Bank Platz nahm. Er hatte mich auch schnell registriert und durch ein Kopfnicken gezeigt, dass alles ok ist.

Was ich jetzt zu sehen bekam, war wirklich erstaunlich. Er war hoch konzentriert und auch, als er zurücklag, suchte er immer wieder Blickkontakt und hielt sich an unsere Marschroute. Ich war mir sicher, dass sein Gegner dieses Niveau nicht durchhalten würde. Deshalb blieb ich ganz ruhig. Tim wurde bei 3:5 im ersten Satz ein Mal etwas ungehalten, aber fing sich gleich wieder. Er spielte auch nicht schlecht. Nur etwas zu ungeduldig. Plötzlich setzte sich Fynn zu mir auf die Bank. Er hatte wohl das Spiel schon von einem anderen Ort beobachtet.

„Tim spielt nicht schlecht, oder? Sein Gegner ist richtig gut, denkst du, dass er noch gewinnen kann?“

„Ja, Tim wird gewinnen. Er muss nur noch geduldiger sein. Er will noch zu viele Punkte selbst verwandeln.“

Ich gab Tim nebenbei ein paar eindeutige Zeichen, dass er ruhig bleiben soll und noch mehr warten sollte. Er schien mich verstanden zu haben, denn jetzt schaufelte er jeden Ball mit Topspin ins Feld zurück und sein Gegner musste immer weiter zurückweichen. Das gab Tim die nötige Zeit seine Stärken auszuspielen. Er glich zum 5:5 aus.

Ich war jetzt gespannt, ob er das so weiterspielen oder wieder in das alte Muster zurückfallen würde. Erfreulicherweise blieb er geduldig und hielt sich konsequent an die besprochene Marschroute. Immer wieder schaute er fragend zu mir. Es war offensichtlich, dass so ein Spiel ihm keinen Spaß machte. Aber er gewann auch den zweiten Satz und als er gewonnen hatte, stand ich von meiner Bank auf und betrat den Platz. Fynn folgte mir.

„Glückwunsch, das war wirklich sehr diszipliniert. Du hast mich beeindruckt.“

Ich hielt ihm die Hand hin und er strahlte, schlug ab und packte seine Tasche. Tim war jetzt im Viertelfinale und konnte sich ausruhen. Es stand heute für ihn kein weiteres Einzel mehr an. Wir verabredeten uns in einer halben Stunde zur Nachbesprechung. In dieser Zeit wollte ich meine anderen Jungs kurz noch einmal sprechen. Fynn allerdings blieb bei mir. Da fiel mir ein, er wollte noch mit mir über das Doppel sprechen.

„Sorry Fynn, ich habe heute Morgen vergessen, euch nach dem Doppel zu fragen. Dustin hat mir gesagt, dass du spielen möchtest.“

„Ja, kein Problem. Wir haben uns schon angemeldet. Du hattest ja gesagt, dass wir das selbst entscheiden sollten.“

„Ihr habt euch schon angemeldet? Das ist ja cool. Sehr gut. Aber mit wem willst du denn spielen? Maxi und Dustin wollen ja nicht spielen.“

„Erst habe ich überlegt, mit Marek oder Stefan zu spielen, aber die wollten schon zusammen antreten. Jetzt spiele ich mit Tim.“

Dabei schaute er mir genau in die Augen. Er wollte meine Reaktion sehen. Ich war auch wirklich erstaunt. Das wollte er sich antun?

„Ich weiß, du findest das nicht so toll. Aber du hast doch selbst gesagt, wir sollen ihm eine Chance geben.“

„Äh, warum sollte ich das nicht gut finden? Ich hatte gesagt, ihr könnt euch das selbst aussuchen. Du hast es dir ausgesucht und ich werde es unterstützen. Ich bin überrascht, ja.“

Fynn beobachtete mich genau. Er war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte.

„Warum? Wenn er zu unserem Team gehört, sollten wir ihn auch so behandeln. Oder war das von euch nicht so geplant?“

„Ich habe das Doppel überhaupt nicht geplant. Sonst hätte ich euch nicht freie Hand gelassen. Es ist einfach nur überraschend für mich. Ich habe damit nicht gerechnet, freue mich aber über deinen Versuch, Tim besser zu integrieren. Ich habe konkrete Vorstellungen über seine Entwicklung und bin sehr sicher, dass er viel besser sein könnte. Vielleicht ist es genau das Richtige, was du jetzt tust. Ich bin sehr gespannt. Und ich werde mich aus diesem Doppel mal komplett raushalten. Du kannst aber jederzeit zu mir kommen, wenn du Fragen hast. Ansonsten hast du die Führung.“

„Gut, danke. Ich werde jedenfalls versuchen, auch hier das Beste herauszuholen. Das verspreche ich dir.“

„Das weiß ich. Du hast mein Vertrauen noch nie enttäuscht.“

Ich schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und Fynn lächelte.

„Du hast das aber mit Dustin besprochen, oder?“

Jetzt lachte er.

„Ja klar, denkst du denn, ich will mir ein blaues Auge holen? Er war sofort einverstanden, allerdings war er der Meinung, dass das keine gute Wahl wäre, um Erfolg zu haben.“

„Na, so wie ich dich kenne, wirst du alles versuchen, ihm das Gegenteil zu beweisen.“

„Richtig. So, ich geh mich jetzt auch mal aufwärmen. Kommst du gleich an den Platz?“

„Ich komme auf jeden Fall. Zuerst will ich aber mit Tim über sein Match sprechen. Und dann werden wir dafür sorgen, dass das Break-Point-Team hier gut im Gedächtnis bleiben wird.“

Fynn nickte und ging lachend weg. Ich machte mich direkt auf den Weg zum Clubhaus. Dort wollte ich Tim aufsuchen. Auf dem Weg dorthin kam ich an einem Platz vorbei, auf dem zwei Jungs in Tims Alter spielten. Es gab heftige Diskussionen. Die Spieler stritten über eine Entscheidung und das Hauptproblem war wieder einmal ein sich einmischender Vater. Eigentlich hatte ich damit nichts zu tun und hätte einfach weitergehen können. Aber ich hatte einfach Wut auf diese Eltern, die ihre Kinder nicht allein entscheiden lassen können. Für einen Moment blieb ich stummer Beobachter, aber als der Vater auch noch anfing, den anderen Spieler zu beleidigen und persönlich anzugreifen, indem er ihn des Betrugs bezichtigte, riss mein Geduldsfaden. Einmal quer über den Platz rief ich ihm zu:

„Halten Sie sich doch einfach aus den Entscheidungen raus. Dafür gibt es einen Oberschiedsrichter.“

Das führte zu einer Erwiderung, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Sie war einfach nur unterirdisch. Das nötigte mich, auf direktem Weg zum Turnierbüro zu gehen und dort eine Meldung abzugeben. Damit war das für mich erledigt. Mit so einem Deppen von Vater wollte ich meine Zeit nicht länger verschwenden. Der Turnierleiter versprach, sich umgehend darum zu kümmern.

Tim saß schon auf der Terrasse und hatte einen Teller Spaghetti vor sich stehen. Es war später Vormittag und ich wunderte mich etwas.

„Na, lässt du es dir schmecken? Ist schon Mittagszeit?“

„Hi Chris. Ja, ich habe einfach Hunger. Weiß auch nicht, aber ich muss ja gleich noch Doppel spielen. Da wird das knapp mit der Zeit.“

„Dann mal guten Hunger. Wir sprechen dann, wenn du mit Essen fertig bist.“

„Ok, danke. Du kannst dich aber auch zu mir setzen. Du willst doch bestimmt gleich zu Dustin, Fynn und Maxi.“

„Klar, aber du sollst in Ruhe essen.“

Diese Zeit nutzte ich, um mit Burghard eine kurze Abstimmung zu machen. Er stand vorn am Platz von Marek, der bereits angefangen hatte.

„Na, wie läuft es bei den Jungs?“, fragte ich ihn.

„Gut, alles im Lot. Ich denke, bis auf Markus sind alle in der Lage zu gewinnen. Markus wird es sehr schwer haben. Wie hast du Tims Spiel gesehen?“

„Gut. Wirklich gut. Sehr diszipliniert. Er hat sich an die Marschrichtung gehalten, auch wenn es ihm manchmal sehr schwer gefallen ist. Ich habe aber noch nicht mit ihm gesprochen. Er hat sich gerade Nudeln bestellt und das ohne einen Hinweis von mir.“

„Ok“, sagte Burghard mit einem fragenden Unterton.

„Ja, ich weiß auch nicht, aber es war einfach gut. Mal sehen, was er gleich zu sagen hat.“

„Wie ist die Stimmung bei deinen Jungs sonst? Sie gehen jetzt auch in die dritte Runde.“

„Soweit alles gut. Ich werde nach dem Gespräch mit Tim mal einen Rundgang starten.“

Das war der Moment, in dem ich mich auf den Weg zurück machte, um mit Tim über das Match zu sprechen. Er saß immer noch an seinem Tisch, schaute aber interessiert bei dem Match auf dem vorderen Platz zu. Als er mich kommen sah, freute er sich.

„Hier, schau mal, was ich für dich bestellt habe.“

Er zeigte lachend auf eine Flasche Fassbrause, die auf dem Tisch stand.

„Danke, das baut mich wieder auf. Sehr gut. Hat dir bestimmt schon einer von den anderen gesagt, oder?“

„Klar, Carlo hat mir das mal gesteckt, dass ich dich nur mit Fassbrause versorgen muss und dann gute Chancen habe.“

Wir lachten beide und es war schon erstaunlich. In der kurzen Zeit strahlte Tim wieder viel mehr Lockerheit und Freude aus. Hoffentlich würde das so bleiben.

„So, erst mal Prost und dann möchte ich von dir etwas zu deinem Spiel hören. Wie ist es dir ergangen?“

Wir stießen mit den Flaschen an und es war sofort sichtbar, dass er diese Kleinigkeiten mochte. Ich hatte keine Berührungsängste und ging auf meine Jungs zu.

„Eigentlich ganz gut. Nur macht diese Art zu spielen absolut keinen Spaß. Es ist langweilig. Ich möchte auch Spaß beim Spielen haben. Du sagst doch auch immer, Tennis muss Spaß machen. Ich wollte aber gewinnen und zeigen, dass ich auch anders spielen kann.“

„Wem willst du das zeigen?“

„Allen. In letzter Zeit haben doch alle immer nur auf mir herum gehackt und mich fertig gemacht. Selbst in der Schule. Zu Hause habe ich auch nur Stress, aber es fragt keiner, was eigentlich los ist. Thomas hat es nie interessiert, wie es mir geht. Er will immer nur, dass ich das mache, was er will. Dann ist alles gut. Aber wehe wenn nicht.“

Er fing an, sich richtig in Rage zu reden und sehr emotional zu werden.

„Stopp, Tim. Bitte warte einen Moment. Lass uns in Ruhe über deine Situation reden, aber nicht hier und jetzt. Können wir jetzt über das Spiel reden? Das andere …“

„Jaja, schon gut. Ich weiß, das Turnier ist wichtig.“

„Falsch. Völlig falsch. Das Turnier ist nicht wichtig, wenn es dir nicht gut geht. Ich möchte aber Zeit für dich haben. Die habe ich jetzt gerade nicht. Ist das ok, wenn wir beide nach den Matches von Maxi, Dustin und Fynn mal durch den Wald gehen? Da können wir ungestört reden und du kannst dir auch Luft verschaffen.“

Er schaute mich aus großen Augen an, die sich zusehends verengten.

„Nur wir beide und niemand wird uns stören?“

„Nur wir beide und dann schauen wir beide, wie wir dir helfen können.“

„Ok, dir glaube ich das. Also nach den Matches. Wo treffen wir uns?“

„Am besten hier auf der Terrasse. Da fällt mir ein, du spielst mit Fynn Doppel?“

„Ja, er hatte mich gefragt. Das war echt cool. Damit habe ich nicht gerechnet. Hoffentlich hat Burghard nichts dagegen.“

„Nein, hat er nicht. Und selbst wenn, es ist meine Entscheidung. Du bist in diesem Turnier bei mir. Also, freu dich auf das Doppel und dann lass uns kurz noch über deine Erfahrungen im Spiel sprechen.“

„Ja, ich wollte halt unbedingt gewinnen, damit ihr seht, ich kann es auch anders. Allerdings ist es mir manchmal sehr schwer gefallen, immer nur den Ball reinzulegen. Wenn du nicht da gestanden hättest, wäre ich vermutlich irgendwann ungeduldig geworden. Nach dem Spiel war ich froh, es durchgehalten zu haben und noch ein Match spielen zu können.“

„Was hast du für Erwartungen hier? Das hört sich so an, als ob du nicht unbedingt weit kommen willst.“

„Naja, wollen schon, aber wenn du immer gesagt bekommst, du wirst so nie erfolgreich und mach doch mal was ich dir sage, dann habe ich Zweifel.“

„Gut, jetzt sage ich dir mal etwas. Ich glaube an deine Fähigkeiten, aber du musst auch an mich glauben und daran, dass ich meine Erfahrungen für dich einsetzen möchte und dich unterstützen will. Genau wie ich dir vertrauen muss, musst du mir vertrauen. Das kann sonst nicht funktionieren. Ich weiß auch, dass du lieber mehr Druck machen möchtest und schöne Punkte spielen willst. Das ist aber manchmal nicht möglich, wenn man gewinnen will. Diese dreckigen Siege sind auch wichtig. Ich verspreche dir, dass du anders spielen kannst, wenn es sinnvoll ist. Darauf musst du aber auch Vertrauen aufbauen. Wenn du Zweifel hast, macht das keinen Sinn. Du musst es für dich tun und überzeugt sein, dass es so geht.“

Er nickte und jetzt wurde es leider für mich Zeit zu meinen anderen Jungs an den Platz zu gehen.

„Kann ich eigentlich mitkommen oder stört das?“

„Du kannst natürlich mitkommen, aber bitte erst auslaufen, anschließend duschen und umziehen. Dann gerne.“

„Ok, mache ich. Dann bis gleich.“

Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zuerst zu Dustin. Ich wusste, dass er das brauchte. Mich von Beginn an am Platz zu haben. Wenn er ins Spiel gefunden hatte, war das nicht mehr schlimm, auch woanders zu schauen.

Als Dustin mich erspäht hatte, tauchte sofort ein entspanntes Lächeln auf seinem Gesicht auf. Nach der Einschlagzeit kam er zu mir an den Zaun und sagte:

„Ich fühle mich einfach gut heute. Weiß auch nicht warum, aber gerade habe ich das Gefühl, ich würde schon Ewigkeiten solche Turniere spielen. Mal sehen, was passiert. Bleibst du noch einen Moment?“

„Klar, wie immer. Ich geh erst rüber zu Fynn, wenn du im Spiel drin bist. Hab Spaß und genieße das Spiel, dann wirst du viel besser sein.“

Er lachte und ging zur Bank, die letzten Dinge zu richten, um dann mit dem Match zu beginnen. Die ersten Ballwechsel waren beeindruckend. So hatte ich Dustin noch nicht oft ein Spiel beginnen sehen. Er zeigte seinem Gegner sofort, wer auf dem Platz der dominante Spieler ist. Innerhalb weniger Minuten stand es 3:0 für Dustin. Sein Gegner hatte kaum Gelegenheit, ins Spiel zu kommen. Er stand sofort unter Druck. Sollte Dustin das durchhalten, war ich mir sicher, dass er seinen Gegner schlagen würde.

Mit einem Lächeln im Gesicht wechselte ich den Platz und stellte mich zu Maxi an den Platz. Dort war das Match bereits etwas weiter. Allerdings weniger positiv. Maxi fluchte und regte sich auf. Eigentlich gar nicht seine Art, aber er spielte auch entsprechend schlecht und dumm. Im Gegensatz zu seinem Gegner, der Maxis Spielanlagen komplett ausbremste und somit immer wieder erfolgreich Maxis Spielaufbau zerstörte. Hier zeigte sich Maxis größte Schwachstelle: seine Sturheit, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Anstatt sein Spiel zu verändern und der Situation anzupassen, versuchte er immer stärker Druck aufzubauen, dabei stieg natürlich seine Fehlerquote an. Entsprechend unsicher und unzufrieden war er.

Als er nach dem Verlust des ersten Satzes aus Frust einen Ball über den Zaun schoss, riss mein Geduldsfaden. Ein lautes „Hey, lass das sofort sein“ meinerseits ließ ihn zusammenzucken.

Allerdings zeigte er mir in seinem Frust auch noch eine abfällige Handbewegung mit dem Mittelfinger. Das konnte und wollte ich so nicht stehen lassen. Sofort war ich auf dem Weg zur Bank.

„Pass auf Maxi, wenn du jetzt nicht richtig aufpasst, dann wirst du mich auch einmal von der weniger netten Seite erleben. Benimm dich! Wenn du nicht akzeptieren kannst, dass dein Gegner sehr clever spielt, dann benimm dich wenigstens. Machst du das noch einmal, wird das Konsequenzen haben, die du spüren wirst.“

Damit drehte mich um und verließ den Platz. Ich war richtig wütend über dieses Benehmen. An dieser Stelle kam Maxis Arroganz durch. Diesmal würde sie ihm zum Verhängnis werden, denn sein Gegner ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen.

Ich konnte ihm nicht wirklich helfen. Wenn er jetzt nicht begreifen würde, was er ändern muss, dann wäre für ihn hier das Turnier zu Ende.

Fynn spielte am anderen Ende der Anlage. Also hatte ich einige Minuten Zeit über Maxi nachzudenken. Sollte ich ihm helfen? Oder war es jetzt an der Zeit, ihm zu zeigen, dass er noch lange nicht so gut ist, wie er von sich glaubte? Ich war unsicher. Burghard stand bei Marek am Platz und bevor ich das im Alleingang entscheiden musste, fragte ich ihn um Rat. Nachdem ich ihm die Lage erklärt hatte, schaute er mich kopfschüttelnd an.

„Da fragst du mich noch? Ich würde ihn voll vor die Wand laufen lassen. Das hätte ich schon viel eher getan, aber gut. Du hattest gehofft, er lernt es von allein. Und mach dir keinen Kopf darüber, dass es das Aus für ihn in diesem Turnier bedeuten würde. Es ist nicht deine Verantwortung. Du hast ihm schon so oft Brücken gebaut und versucht zu erklären. Jetzt muss er es eben spüren, dass auch deine Geduld ein Ende haben kann.“

„Es fällt mir aber nicht leicht, ihn scheitern zu lassen, weil ich weiß, was er tun müsste.“

„Na klar. Geht mir genauso, aber das musst du vielleicht auch noch lernen, dass Maxi kein Kleinkind mehr ist und genug Erfahrungen hat. Also warten wir ab, was passiert. Und sein schlechtes Benehmen ist doch auch ein Zeichen dafür, dass er noch lange nicht so weit ist, wie er glaubt.“

„Hm. Vermutlich ja. Aber leicht ist das für mich nicht.“

„Nun, du wirst merken, dass es auch dir gut tut, mal Grenzen aufzuzeigen. So, jetzt mach dich auf, Fynn wird dich schon erwarten. Das passt schon so und meine Unterstützung hast du dabei.“

Es fiel mir wirklich schwer, darauf zu warten, dass Maxi von sich aus um Hilfe bitten und falls er es nicht tun würde, ihn verlieren zu lassen.

Wie gut, dass Fynn sich deutlich besser zeigte. Er spielte nicht so überragend wie Dustin, aber gut genug, um seinen Gegner sicher im Griff zu haben.

Es sah also alles recht entspannt aus für uns. Auch Burghards Jungs waren gut dabei. Tim hatte sich mittlerweile zu mir gesellt und von den anderen Plätzen berichtet.

„Warum bist du eigentlich jetzt nicht bei Maxi? Gerade jetzt, wo er zurückliegt.“

„Weil er genauso dumm spielt wie du es getan hattest und derart arrogant ist, dass es reicht. Entweder er kommt heute von selbst darauf, was er ändern muss, oder er wird untergehen.“

„Du lässt ihn verlieren? Echt jetzt?“

„Nein, er verliert genauso wie er auch gewinnt. Ich lasse ihn lernen, weil er mir nicht richtig zuhört. Das wäre dir übrigens auch so ergangen, wenn du nicht angefangen hättest, die Kurve zu kriegen. Kaum wird es schwierig, fängt er an zu motzen. Das geht nicht. Wenn es eng wird, muss man fighten und alles versuchen.“

„Aber sonst lobst du ihn doch immer sehr. Ist denn jetzt alles schlecht?“

Tim schien total verunsichert zu sein. Ich legte ihm meinen Arm um die Schulter.

„Nein, keine Sorge. Das hört sich schlimmer an, als es ist. Denk jetzt nicht, nur weil ich in dieser Situation sauer bin, dass ich Maxi böse bin oder ihn gar fallen lasse. Das täuscht. Ich will ihm nur zeigen, dass er noch lange nicht so toll ist, wie er glaubt.“

„Hm.“

Tim schwieg und er dachte nach. Das war nicht zu übersehen.

„Also, du nimmst in Kauf, dass er ein Match verliert nur, damit er etwas dazu lernt?“

„Im Prinzip ja. Was hilft es, wenn er nur gut ist, wenn ich ihm sage, was er machen soll. Er ist keine dreizehn mehr und behauptet ja auch oft, er sei richtig gut. Also, dann soll er das auch zeigen. Wenn er das jetzt hinbekommt, ziehe ich meinen Hut. Aber ich glaube momentan nicht daran.“

Fynn hatte zu kämpfen, aber war gut im Soll. Ich beschloss, noch einmal bei Dustin vorbeizugehen. Tim blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Er schien es zu genießen, mit mir über die Anlage zu gehen. Sonst war er in letzter Zeit immer der Einzelgänger.

Dustin schien es zu genießen, seinen Gegner ausspielen zu können. Entsprechend gut und souverän führte er auch das Match. Hier brauchte ich mir absolut keine Sorgen zu machen.

Es ließ mir allerdings keine Ruhe, so dass ich noch einmal bei Maxi vorbeischaute. Als ich an seinen Platz kam, war eine sehr angespannte Situation spürbar. Bevor ich mir einen konkreten Überblick gemacht hatte, spielten beide sehr lange Ballwechsel und Maxi schien seine Strategie überarbeitet zu haben. Jedenfalls spielte er den Ball nur noch ins Feld und die Geschwindigkeit der Bälle wurde immer niedriger. Auch Maxi spielte nur noch mit einem Topspin den Ball ins Feld und jeder Punkt wurde hart umkämpft.

Maxi schien begriffen zu haben, dass er nur gewinnen kann, wenn er aufhört, ein hohes Risiko einzugehen. Er musste auf den Fehler des Gegners warten und keine spektakulären Punkte machen.

Auch suchte Maxi jetzt den Augenkontakt mit mir. Ich war erstaunt, dass er von allein die Strategie verändert hatte. Das Spiel war sicherlich nicht schön, aber Maxi machte einen Punkt nach dem anderen. Nach einer halben Stunde schien er begriffen zu haben, dass sein Gegner einfacher zu schlagen ist, wenn er dieses Spiel mitspielt und nicht versucht, Schönheitspreise zu gewinnen.

„Schau mal Chris, du hast Unrecht gehabt. Maxi hat doch von sich aus gemerkt, dass er sein Spiel ändern muss. Ich glaube, er wird doch noch gewinnen.“

„Ja, es sieht tatsächlich so aus, als ob Maxi verstanden hat, dass er so noch gewinnen kann. Wir müssen abwarten.“

Jedenfalls war mir klar geworden, dass dieses Match noch einiges andauern würde. Maxi hatte den zweiten Satz gewonnen und mir war klar, dass er das konditionell ohne Probleme noch einige Zeit durchhalten könnte. Es war wahrscheinlicher, dass sein Gegner abbauen würde. Maxi war vor allem deutlich ruhiger und gelassener geworden.

Bevor ich zu Fynn zurück ging, bat mich Maxi, zu ihm zu kommen. Beim Stand von 1:0 im dritten Satz ging ich zur Bank.

„Was gibt es denn?“

„Chris, es tut mir leid, dass ich vorhin so blöd war. Aber Spaß macht so ein Spiel nicht.“

„Nun, das glaub ich dir sogar sofort. Allerdings fragt auch niemand danach, sondern du willst gewinnen. Egal wie. Also bleib einfach ruhig und gelassen und dann wirst du am Ende das bessere Ende für dich haben.“

Er wollte sich nun auch noch bei mir für sein Benehmen entschuldigen. Allerdings sah ich das anders.

„Lass uns nach dem Match darüber sprechen. Du hast es verstanden und das zählt. Ich geh jetzt wieder zu Fynn. Dustin hat gewonnen. Hab einfach Geduld.“

Bei Fynn spitzte sich das Match zu. Es ging in die entscheidende Phase und das war beiden Spielern deutlich anzumerken. Fynn spielte ruhig und clever. Aber nicht mehr so dominant. Er hatte das Match fast aus der Hand gegeben. Das missfiel mir. Klar, es ging in die Entscheidung, aber er hatte doch alles unter Kontrolle. Warum wurde er jetzt so vorsichtig?

Tim kam zu mir und fragte: „Warum wird Fynn so vorsichtig? Er hat doch alles so gut im Griff gehabt. So macht er es noch mal spannend.“

„Ach Tim, du weißt doch selbst, dass es auf dem Platz nicht immer so einfach und klar ist, wie von außen. Manchmal wird der Arm dann schwer und zittrig. Ich denke aber, dass er das nach Hause spielt.“

Mittlerweile hatte Dustin sein Ergebnis an die Turnierleitung weitergegeben und war zu uns gekommen. Leider hatte er sich weder umgezogen noch geduscht. Er wollte sofort seinem Freund beistehen. Diesmal ließ ich ihn gewähren, weil das Match in einer entscheidenden Phase war und er sich die letzten Bälle von seinem Freund gern ansehen sollte.

Fynn blieb zwar zum Ende hinter seinen Möglichkeiten, aber es reichte zum Sieg. Entsprechend freudig lief Dustin zu ihm und umarmte ihn auf dem Platz. Was nun folgte, überraschte sogar mich. Fynn gab ihm auf dem Platz einen heftigen Kuss. Ganz offen und voller Freude. Mich freute das ungemein, weil es zeigte, dass Fynn seine Angst zu überwinden begann und zu sich und seinem Freund stand.

Tim war leicht irritiert, aber freute sich für uns. Jetzt fehlte nur noch Maxi. Vorhin zeigte er ja, dass er lernfähig war. Mit der Ermahnung an Fynn und Dustin nicht auszukühlen, verließ ich den Ort und lief zügig zurück zu Maxi. Tim blieb noch einen Moment bei Fynn.

Als ich bei Maxi ankam, konnte ich es nicht glauben. Er spielte wieder genauso dumm, wie zu Beginn. Warum hatte er nicht so weiter gespielt? Sein Gegner bekam immer mehr Aufwind und entsprechend ungeduldiger wurde Maxi.

Als er wieder einmal einen Ball in den Zaun feuerte, pfiff ich laut über den Platz. Er zuckte zusammen und schaute sich um. Der Spielstand ließ nichts Gutes erahnen. Er lag 3:5 zurück und sein Gegner schlug auf. Eigentlich war das entschieden.

Irgendwie hatte mein Pfiff aber eine besondere Wirkung gehabt. Schlagartig änderte Maxi sein Spiel, schaffte sogar das Rebreak und glich dann zum 5:5 aus. Leider hatte er beim nächsten Aufschlagspiel etwas Pech. So lag er wieder zurück und diesmal ließ sich sein Gegner das nicht mehr aus der Hand nehmen. Maxi verlor vollkommen unnötig dieses Match. Mir gefiel das überhaupt nicht, weil ich mir ganz sicher war, dass er hätte gewinnen können. Nun gut, die Nachbesprechung würde heute einiges dauern. Allerdings kam mir sehr schnell der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht so schlimm war, dass Maxi einmal seine Grenzen aufgezeigt bekam.

Dustin: Fynns Doppel und ein interessanter Abend

Es war erstaunlich, Chris hatte Maxi eiskalt in die Niederlage steuern lassen. Dabei blieb er noch äußerlich ruhig und gelassen. Selbst Burghard hielt sich zurück. Damit hatten wir nicht gerechnet.

Mein Freund hatte sein Spiel gewonnen und entsprechend glücklich bin ich zu ihm gelaufen. Was ich überhaupt nicht erwartet hatte war seine innige Umarmung und den Kuss. Auf offenem Platz hatte er mich vor Freude geküsst. Es tat so gut, von ihm gehalten zu werden und seine Nähe zu spüren. Das hatte ich vermisst und uns beiden wurde jetzt doch die Anspannung bewusst, die wir eigentlich gar nicht so realisiert hatten. Auf dem Platz empfand ich es als etwas Angenehmes.

Außer Stefan und Markus und Maxi waren wir noch alle im Turnier. Heute mussten nur noch Fynn und Tim ein Doppel spielen. Morgen standen dann für alle die Viertelfinalspiele an. Das war richtig gut und in mir kam wieder diese freudige Erwartung hoch. Am liebsten hätte ich gleich weiter gespielt.

Nachdem sich Fynn umgezogen hatte, wollten wir vor dem Doppel noch eine Suppe essen. Für ein richtiges Mahl blieb keine Zeit mehr. Fynn hatte sich mit Tim verabredet, um mit ihm das Doppel vorzubereiten.

„Kommst du mit? Ich habe so wenig Zeit für dich. Es wäre schön, wenn wir uns gemeinsam mit Tim besprechen.“

„Gern, wenn du mich so fragst. Ich dachte, ihr wollt das allein machen.“

Wieder gab er mir einen Kuss und sofort breitete sich Gänsehaut auf meinem Körper aus. In diesem Moment kam Tim hinzu. Er lachte.

„Hey, das ist eine coole Bezahlung für gute Leistungen.“

„Finde ich auch“, antwortete ich.

„Können wir trotzdem unser Doppel besprechen, Fynn?“

„Sicher doch, Dustin bleibt dabei.“

„Klar, hatte ich doch schon gesagt. Wo wollen wir hingehen? Kommt Chris auch dazu?“

„Nein“, erwiderte ich, „der wird sich zuerst mit Maxi beschäftigen. Ihr könnt aber vor dem Match noch fragen, falls notwendig. Ich denke, das bekommen wir auch so hin, denn auf den Gegner einstellen, bringt eh nichts. Ihr solltet euch auf die Abläufe einigen.“

Fynn sollte auf der linken Seite spielen, so hatte er mehr Verantwortung beim Spielstand „Vorteil“. Außerdem hatten sie noch weitere Spielzüge besprochen. Alles andere konnten sie eh erst auf dem Platz sehen.

„Kommst du mit an den Platz?“, fragte mich Tim.

Bevor ich antworten konnte, reagierte Fynn eindeutig:

„Natürlich kommt er mit an den Platz. Einer muss ja auf mich aufpassen.“

Dann umarmte er mich erneut und es folgte ein liebevoller Kuss.

„Aber nicht gleich auf dem Platz weitermachen. Dann trifft Fynn ja keinen Ball mehr.“

Tim versuchte ernst zu bleiben, aber wir mussten alle lachen. Tim überraschte mich mit dieser Lockerheit. Plötzlich ertönte ein Aufruf über die Lautsprecher, dass die Paarung von Fynn und Tim auf Platz zehn spielen sollten.

„Gehst du die Bälle holen?“, fragte mein Freund.

„Wen meinst du? Mich oder Tim?“

Er lachte.

„Egal, einer von euch. Ich will den weiten Weg nicht laufen.“

„Das hättest du wohl gern. Los, einer von euch wird gehen. Ich jedenfalls nicht. Ich bin nur Zuschauer.“

Tim lief direkt los und kam kurze Zeit später sowohl mit den Bällen, als auch mit dem Gegner zurück.

Weder von Chris noch von Burghard war etwas zu sehen. Das fand ich schon etwas schade. Allerdings hatte ich auch Verständnis dafür, dass er zuerst einmal mit Maxi in Ruhe sprechen wollte.

Was mir in den ersten zwanzig Minuten des Doppels als Frage in den Kopf kam war, was würden wir heute Abend machen? Chris hatte noch nichts gesagt. Ob wir vielleicht sogar einen freien Abend zur Verfügung haben? Ich hatte jedenfalls das starke Bedürfnis, mit Fynn einen Abend allein verbringen zu wollen. Allerdings waren es auch viele andere, um die sich unsere Coaches kümmern mussten. Jetzt zahlte es sich aus, dass Chris uns so gut aufgebaut hatte. Wir waren schon recht selbständig.

Tim schlug sich richtig gut im Doppel und er hatte offensichtlich auch Spaß dabei, denn er kniete sich voll rein und Fynn schien zufrieden zu sein. Jedenfalls war es ein ansehnliches Doppel. Sie gewannen sogar diese erste Runde. Für Tim war das natürlich etwas ganz Besonderes. Er war vor allem einen Kopf kleiner, als alle anderen auf dem Platz. Von daher war das schon eine lustige Paarung mit den beiden.

Tim freute sich wie ein kleiner Schneekönig und war total überdreht. Mein Freund empfing mich mit einem Siegerkuss und dann geschah etwas Seltsames. Wo auch immer sie herkamen, Burghard und Chris tauchten urplötzlich bei uns auf.

„Jetzt, wo alles vorbei ist, da taucht ihr auf.“

Typische Äußerung von Tim. Fynn grinste vielsagend und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass Chris tatsächlich nichts von dem Spiel gesehen hatte. Mit einem Blick von Fynn wusste ich, dass wir uns zurückhalten sollten. Chris reagierte sehr locker:

„Ist doch gar nicht schlimm. Du hast mit Fynn ein gutes Doppel gespielt. Sonst hättet ihr gegen diese Paarung nicht gewonnen. Schon gar nicht so deutlich. Warum regst du dich also auf. Ihr seid doch keine Kleinkinder mehr.“

Chris zwinkerte uns beiden zu und wir spielten das Spiel mit. Wobei ich noch nicht richtig wusste, welches Spiel das sein würde. Tim hingegen schien etwas enttäuscht zu sein. Er schüttelte seinen Kopf, als er seine Sachen in die Tasche packte. Erst, als ich mir Chris genau ansah und seinen Laptop erkannte, wusste ich, was los war. Er hatte das gesamte Spiel von einer versteckten Position aus, beobachtet. Warum gerade das Doppel, erschloss sich mir noch nicht.

„So, Leute. Für Tim und Fynn heißt es jetzt auslaufen und duschen gehen. Wir treffen uns alle in einer Stunde im Hotel zum Abendessen und der Nachbesprechung. Für uns ist heute Schluss hier.“

„Geht klar“, antwortete Fynn und auch Tim nickte zustimmend.

Ich wunderte mich lediglich darüber, dass von ihm keine Bemerkung kam. Er hasste das Auslaufen nämlich. Dieses Mal allerdings ging Tim bestens gelaunt mit Fynn in Richtung Umkleide.

Komisch! Mir wäre es heute nicht in den Sinn gekommen, Fynn zu begleiten. Ich wusste auch so, dass wir zusammengehörten. Chris lächelte, als er sah, dass ich den beiden nicht mehr folgte wie ein Schatten.

„Was meinst du denn zu dem Spiel? Du hast es doch sicher ganz gesehen.“ Chris bat mich um meine Meinung.

„Ich bin beeindruckt von Tims Leistung. Er hat sich auf dem Platz richtig reingehängt und sehr diszipliniert gespielt. Immer wieder hat er zugehört, wenn Fynn ihm etwas gesagt hatte. Ganz ehrlich, das hätte ich Tim nicht zugetraut.“

„Ok. Das hört sich doch ganz gut an. Hast du Lust mit mir ein paar Schritte zu gehen? Die beiden brauchen bestimmt noch etwas.“

Natürlich hatte ich Lust. Mit Chris zu sprechen war immer lohnenswert. Er hatte so viele Ideen und Anregungen, dass wir dumm wären, wenn wir sein Angebot ablehnen würden. Er legte seinen Arm auf meine Schulter und als wir etwas abseits der Plätze waren, bemerkte ich erst, dass wir schon mitten im Grunewald standen. Ich hatte überhaupt nicht realisiert, dass wir die Anlage bereits verlassen hatten.

„Wie ist es dir heute so ergangen?“, fragte mich Chris.

„Gut. Wirklich gut. Ich habe mich in meiner Leistung gesteigert und weißt du, was mir aufgefallen ist?“

„Na, mach es nicht so spannend. Schieß los!“

„Ich war längst nicht mehr so nervös und angespannt vor den Matches. Das Doppel zu schauen, war für mich viel aufregender, als selbst auf dem Platz zu stehen. Kann das sein?“

„Oh ja, mir ging es früher genauso. Als ich noch selbst gespielt hatte und gleichzeitig meine Mannschaft betreut hatte, war das draußen auf der Bank sitzen viel anstrengender als selbst auf dem Platz zu stehen.“

„Aber wir haben doch noch gar nicht so viel Erfahrung wie du. Du hast dreißig Jahre Turniere gespielt. Wir spielen seit einigen Wochen auf diesem Level.“

Er wiegte mit seinem Kopf ein wenig hin und her.

„Ja, das mag schon sein, aber ihr lernt sehr schnell. Und jedes Spiel bringt euch weiter. Hier ist ein Juniorenturnier. Da wisst ihr einfach, dass ihr zu den besten in Deutschland gehört. Ihr könnt entspannt auf den Platz gehen, solange ihr euch nicht einredet, ihr müsst gewinnen. Und soweit ich das beobachte, passiert das auch eher nicht.“

„Heißt das, du bist mit uns zufrieden und wir machen die richtigen Schritte?“

„Dustin, was ist das für eine Frage? Du hast es doch eben selbst gesagt. Also sei nicht so unsicher. Geht den Weg weiter und lasst die Ereignisse auf euch wirken.“

„Und wenn wir einen Fehler machen oder den falschen Weg gehen wollen? Woher soll ich immer wissen, was richtig ist?“

„Niemand weiß immer, was richtig ist. Ich schon mal gar nicht. Ich entscheide vieles aus meiner Erfahrung und aus dem Bauch heraus. Manchmal klappt das und manchmal nicht. Wichtig ist, dass du offen bleibst für die Hilfe von außen. Hört zu und macht euch ein besseres Bild der Lage und entscheidet dann. Ich bin ja nicht weg, auch wenn ich nicht immer bei euch bin. Ich habe dennoch immer ein Auge auf euch. Darauf kannst du dich verlassen.“

Ich weiß auch nicht warum, aber plötzlich fühlte ich mich so schwach und brauchte seine Nähe. Ich hätte ihn am liebsten umarmt. Ich traute mich aber nicht so recht. Da nahm er mir diese Entscheidung ab und drückte mich ganz fest an sich. Es war ein unglaubliches Gefühl. Chris war so, wie ich mir meinen Vater immer gewünscht hatte.

„Du hast also doch das Doppel beobachtet, oder?“

„Denkst du etwa, ich würde euch hier komplett unbeobachtet spielen lassen? Manchmal tauche ich einfach unter und möchte eure eigenen Handlungen sehen. Wie entscheidet ihr euch dann. Ich bin mit Sicherheit trotzdem irgendwo in eurer Nähe und würde euch vor Schaden beschützen. Das heißt nicht, dass ihr nicht aufgrund falscher Entscheidungen ein Match verlieren werdet. Diese Erfahrungen werde ich euch nicht abnehmen. Es sei denn, ihr entscheidet euch, eigenständig um Rat zu fragen.“

Er schaute mir dabei ganz genau in die Augen. Ich fühlte mich fast durchleuchtet, aber es hatte bei mir „Klick“ gemacht. Da hätte ich eigentlich auch selbst drauf kommen müssen.

„Warum habe ich eigentlich überhaupt daran gezweifelt, dass du vielleicht kein Interesse an diesem Spiel gehabt hättest? Es tut mir jetzt schon leid, darüber nachgedacht zu haben.“

„Nein Dustin, ich wundere mich nicht darüber. Es sind deine gemachten Erfahrungen mit deiner Familie. Diese Erlebnisse melden sich genau dann wieder. Ganz wichtig ist, in solchen Situationen sprich mich an. Hab keine Angst, sondern sage das, was du empfindest. Nur so lernst du, mit diesen Dingen umzugehen, ohne dass sie für dich bedrohlich werden können.“

Es entstand eine kleine Pause und mir fiel nur ein Wort dazu ein:

„Danke.“

„Passt schon. Genau deshalb mag ich euch so und genau deshalb vertraue ich euch auch so. Also was meinst du? Gehen wir zu den anderen und besprechen den heutigen Tag und dann schauen wir mal, was morgen so ansteht.“

Wir drehten jetzt aber nicht um, sondern gingen durch den Wald Richtung Hotel.

„Was ist mit meinen Sachen? Du hast doch auch noch deine Tasche im Club.“

„Keine Panik. Darum habe ich mich schon gekümmert. Dieses Mal hat Burghard den Packesel gespielt. Morgen kann es sein, dass wir das dann für ihn machen.“

„Du hast das alles vorhergesehen?“, fragte ich ungläubig.

„Fast.“

Dabei grinste er wieder so breit, dass ich lachen musste. Chris hatte mich wieder einmal total überzeugt mit seiner Art.

Wir setzten unseren Weg in Richtung Hotel gemeinsam fort. Dort verabschiedete sich Chris, um zuerst einmal unter die Dusche zu springen. Ich nutzte die Gelegenheit, meinem Freund meine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Fynn saß bereits fertig im Sessel unseres Zimmers und wartete auf mich.

„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hättest dich verlaufen. Was habt ihr so lange gemacht?“

Ich beugte mich zu ihm herunter und gab ihm einen Kuss.

„Chris hat mit mir einige Dinge besprochen und es tat mir einfach gut, etwas Zeit mit ihm allein zu haben.“

„Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Doch, es ist alles gut. Ich habe jetzt wieder etwas dazugelernt und bin mir noch sicherer geworden, dass wir im richtigen Team sind. Du kannst dich entspannen.“

Wie mussten beide lachen.

„Entspannen ist ein gutes Stichwort“, sagte Fynn.

„Ich würde gern mal wieder einen ruhigen Abend zum Entspannen mit meinem Freund verbringen. Was hält mein Freund von dieser Idee?“

„Da bin ich sofort dabei, aber wirklich entspannen und keine Aktion mehr. Chris wollte uns gleich noch in den morgigen Tag einweisen und den heutigen Tag abschließen. Danach habe ich nichts mehr vor.“

„Sehr gut. Da freue ich mich schon drauf.“

Chris: Besprechung im Hotel und ein freier Abend für mich

Dieses Gespräch mit Dustin gefiel mir sehr gut. Er war nicht mehr so verschlossen und ängstlich. Er fing an zu leben.

Endlich.

Allerdings musste ich aufpassen, dass ich nicht zu sehr in eine Ersatzrolle für seinen Vater kam. Das wäre nicht gut. Weder für ihn, noch für mich. Bislang war das alles überhaupt kein Problem und ich konnte sehr gut damit umgehen.

Burghard und ich hatten uns besprochen, dass die großen Jungs bis 23 Uhr Zeit zur freien Verfügung hatten. Sie durften auch in die Stadt fahren, falls das ihr Wunsch war. Bei den jüngeren sah das anders aus.

Für heute hatte sich Burghard bereiterklärt, im Hotel zu bleiben, damit ich einen guten Freund in Berlin treffen konnte. Wir kannten uns seit meiner ersten Geschichte auf Nickstories. Leider waren wir uns bislang nie persönlich begegnet. Das wollte ich heute Abend nachholen. Joachim hatte mich eingeladen, mit ihm ein paar Stunden in seiner Stadt zu verbringen.

Zuerst stand aber noch die Spielerbesprechung an. Ich hatte für meine Jungs auch eine kleine Überraschung. Carlo hatte sich aus Halle gemeldet und ließ schöne Grüße ausrichten. Er hatte endlich die Krücken weglegen können und wieder mit leichtem Training begonnen. Darüber war er sehr froh. Er scherzte sogar schon wieder mit Tim, dass sich dieser schon mal auf eine Niederlage vorbereiten sollte.

Natürlich war das Unsinn, denn es würde noch Wochen dauern, bis Carlo wieder vollkommen fit war und Turniere spielen könnte. Aber es zeigte auch, dass er weiterhin der Teamplayer war und sich für seine Freunde interessierte. Dieses Verhalten machte ihn so sympathisch und beliebt. Bei allen. Sogar seine Konkurrenten hatten immer ihren Spaß mit Carlo.

Das Treffen für die Besprechung war erneut der Hotelgarten. Dort war es angenehm und wir konnten uns etwas Kaltes zu trinken gönnen.

Burghard hatte sich schon mit seinen Spielern an einen Tisch gesetzt, als ich den Garten betrat. Tim, Maxi, Fynn und Dustin saßen unter einem großen Baum und warteten auf mich.

„So, wollen wir uns auch an den Tisch setzen?“

„Na gut, weil du es bist“, kam von Fynn.

Ich grinste, denn er hatte es sich gerade mit seinem Freund im Arm gemütlich gemacht.

„So, bevor wir über die Ereignisse von heute sprechen, möchte ich zwei Dinge vorab sagen. Zuerst an alle einen schönen Gruß von Carlo. Er hat mir geschrieben und sich erkundigt, wie es läuft. Das Zweite, ich möchte im Anschluss mit Maxi einmal kurz sprechen. Also bleib bitte noch etwas hier, wenn wir fertig sind.“

Maxi nickte leicht und ich konnte erkennen, es war ihm vollkommen klar, was das Thema sein würde.

Die Nachbesprechung fiel ansonsten recht kurz aus. Ich bezog mich schon mehr auf den morgigen Tag. Denn da stand das Viertelfinale an. Morgen würden das Viertel- und Halbfinale in allen Einzelkonkurrenzen gespielt werden. Im Doppel mussten auch noch zwei Runden gespielt werden, um in das Halbfinale zu kommen. Am Sonntag würde dann das Finale gespielt. Ebenfalls in allen Konkurrenzen.

Sollte es tatsächlich so sein, dass wir einen Spieler in einem Finale haben, dann würde ich mit den Jungs erst am Montagabend zurückfahren. Der Montag sollte für ein wenig Kultur sein. Berlin sollten sich die vier auf jeden Fall ansehen. Burghard fuhr in jedem Fall aber schon am Sonntag zurück, da Stefan eine wichtige Klausur schrieb.

Bei der Planung für den kommenden Tag merkte ich doch die einsetzende Müdigkeit. Die Spannung fiel von ihnen ab und ich ließ es gut sein.

„Leute, bevor ihr einschlaft, machen wir eine Änderung. Für heute ist es genug. Ihr seid entlassen und macht euch einen schönen Abend. Freizeit für alle. Allerdings ist Burghard heute für euch zuständig. Ich werde mich gleich abseilen. Wir sehen uns dann erst Morgen früh wieder. Tim, du verlässt das Hotel nicht allein. Die anderen drei können sich frei bewegen bis 23 Uhr. Dann ist Bettruhe für euch angesagt. Halb acht ist Frühstück.“

Fynn bekam ein vielsagendes Grinsen ins Gesicht und auch Dustin wurde etwas rot. Da wusste ich, was ihre Planung war. Sie würden das Hotel bestimmt nicht für lange verlassen.

„Maxi, wir beide gehen jetzt mal ein Stück in den Grunewald spazieren. Dustin, kannst du mir bitte den Gefallen tun und meinen Laptop auf mein Zimmer bringen.“

„Klar, mache ich. Aber ich brauche dann deine Karte.“

„Dann nehmt ihn mit auf euer Zimmer, ich brauche ihn ja erst morgen wieder.“

„Was machst du denn heute Abend? Gehst du weg?“

„Jap, ich treffe mich mit einem Freund hier aus Berlin. Wir kennen uns bislang nur aus Emails und von Bildern. Er will mir ein paar schöne Stellen zeigen. Und für morgen Abend habe ich auch mit euch etwas geplant. Lasst euch überraschen.“

Mit einem leisen Gemurmel löste sich unsere Versammlung auf. Nur Maxi blieb noch wie besprochen.

Nach einigen Metern gemeinsamen Schweigens, konnte er sich dann aber nicht mehr zurückhalten.

„Ich sollte mich wohl entschuldigen, oder? Ich habe mich ziemlich dumm benommen.“

Ich drehte meinen Kopf zu ihm, schaute ihn regungslos an. Er wich meinem Blick nicht mehr aus.

„Und?“, fragte ich.

„Ja, ich war wieder einmal der Dickkopf, der alles besser wusste. Ich habe verloren und mich auch noch daneben benommen. Es ist nur nicht immer einfach, alles richtig zu machen. Hast du nie Fehler gemacht?“

„Klar, mehr als genug. Es geht aber doch um etwas ganz anderes. Du weißt das auch. Du hast unnötig verloren, aber warum? Du hattest das Spiel irgendwann wieder unter Kontrolle und fällst dann doch wieder in das Verhalten zurück, bei dem du bereits gemerkt hattest, dass es nicht zum Erfolg führt. Ich verstehe das nicht. Über dein schlechte Benehmen reden wir noch gesondert.“

Er holte tief Luft und stöhnte auf.

„Glaubst du, ich habe das mit Absicht gemacht? Ich verstehe es doch auch nicht. Gut, am Anfang hatte ich echt gedacht, ich könnte ihn damit schlagen. Als ich dann aber in Rückstand geriet, habe ich mich an deine Worte erinnert und wieder nur auf das Spiel konzentriert. Dann lief es auch besser. Du gehst dann wieder weg und ich bin zu blöd, es zu Ende zu spielen. Ich könnte mir in den Arsch beißen.“

„Genau! So dumm, wie du dich da angestellt hast, wäre das noch die harmloseste Bestrafung. Wie oft soll das noch passieren? Irgendwann musst du dich doch kennen und wissen, was zu tun und vor allem zu lassen ist. Weißt du, das ärgert mich einfach. Aber viel schlimmer finde ich dein enttäuschendes und auch unsportliches Verhalten auf dem Platz. Dass du mir den Mittelfinger zeigst, geht überhaupt nicht. Ich glaube manchmal, ich bin zu nett für dich. Bei Thomas hätte das für dich die sofortige Heimfahrt bedeutet. Das ist dir wohl hoffentlich klar.“

Er nickte still und schien sich nicht sonderlich wohl zu fühlen. Hatte aber nicht den Schneid, sich dazu klar zu äußern. Es war ihm wohl etwas peinlich.

„Was soll ich jetzt tun? Ich weiß doch auch, dass das scheiße war. Kann ich dich mal was fragen?“

„Natürlich.“

„Mein Vater hat sich früher auf dem Platz immer ganz oft eingemischt. Ich sollte immer das machen, was er für richtig gehalten hatte. Es ist komisch, ich möchte eigentlich lieber meinen Weg gehen und nicht immer abhängig sein. Mir ist schon klar, dass du anders bist und es auch total anders machst. Im Match bekomme ich das oft nicht hin. Da spielt mir mein Temperament einen Streich. Glaubst du, ich würde dir wirklich und ernsthaft den Mittelfinger zeigen? So blöd bin selbst ich nicht. Ich habe keine Lust, eine halbe Stunde um den Platz laufen zu müssen.“

„Äh, du hast es aber getan und mit einer halben Stunde laufen wärst du mehr als gut bedient.“

„Ja, ja. Chris, ich habe es verstanden, aber ich kann es nicht ungeschehen machen. Ich will versuchen, das zu verändern. Ehrlich! Ich weiß, dass du das gar nicht magst und es mir ja auch schadet. Aber …“

„Falscher Ansatz. Nicht versuchen zu verändern, einfach machen. Ändere das und versuche es nicht nur, dann klappt das auch.“

„Ja, Chris. Das habe ich begriffen. Ehrlich, ich will mich bessern und es war total blöd von mir, dir den Mittelfinger zu zeigen. Es soll, nein, es wird nicht wieder vorkommen.“

„Gut. Ich mache dir einen Vorschlag. Du hast ja durch das Ausscheiden schon genug Strafe bekommen, aber ich möchte dennoch etwas von dir sehen. Du wirst dich im weiteren Verlauf genauso verhalten, als ob du noch im Wettbewerb bist. Also keinen Alkohol und keine weiteren Entgleisungen.“

„Damit kann ich gut leben. Danke, Chris. Es tut mir wirklich leid.“

„Ist ok. Du wirst damit leben müssen, dass dich Fynn in der Rangliste überholen wird.“

„Echt jetzt? Ist er denn schon so gut? Hm. Also gut, dann weiß ich ja, dass ich härter arbeiten muss, sonst überholen mich die beiden.“

„Das stimmt wohl. Stillstand ist Rückschritt.“

An dieser Stelle trennten sich unsere Wege und er ging ins Hotel zurück. Ich schaute zur Uhr und bewegte mich nun endlich zum Treffpunkt mit Joachim.

Dieses Gespräch mit Maxi war längst überfällig. Mein Gefühl sagte mir, dass er von der Situation mit seinem Vater noch lange nicht alles erzählt hatte. Ich sollte genauer hinschauen, falls sein Vater bei einem Turnier oder Spiel dabei ist.

Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass Maxi ehrlich gewesen ist und es ihm leid tat. Letztlich war sein Ausscheiden die Höchststrafe. Er musste jetzt tatenlos zusehen, wie Dustin und Fynn sich wertvolle Punkte für die Rangliste sicherten. An dieser Stelle wollte ich das Turnier gedanklich für heute beenden. Ich freute mich auf das Treffen mit Joachim.

Da ich mich in Berlin nun wirklich nicht auskannte, war ich sehr froh, dass Joachim angeboten hatte, zu mir an die Tennisanlage zu kommen. Er war dort schon einmal zum Tennis schauen gewesen, wie er mir geschrieben hatte. Ich stand vor dem Eingang zum Club und wartete. Es war noch fünf Minuten bis zur vereinbarten Zeit, aber plötzlich sprach mich jemand von der Seite an.

„Chris?“

Ich drehte mich halb um und vor mir stand Joachim. Wir begrüßten uns mit einer herzlichen Umarmung und redeten kurz über unseren Turnierverlauf.

„Wozu hast du denn nach so einem anstrengenden Tag noch Lust?“, fragte er mich.

„Zu irgendetwas, was mit Tennis nichts zu tun hat.“

Er lachte.

„Gut, das sollte mir nicht allzu schwer fallen. Dann lass uns mal los ziehen. Hast du schon zu Abend gegessen?“

„Nein, wann sollte ich das denn gemacht haben? Hast du eine Idee?“

„Klar, wir nehmen übrigens die S- und U-Bahn. Autofahren macht eigentlich keinen Sinn in Berlin.“

Wir schlenderten in Richtung S-Bahnhof Grunewald. Joachim hatte die Ruhe weg, das gefiel mir gut. Ich musste mir das wieder mehr angewöhnen, auch herunterfahren und entspannen zu können.

„Gibt es hier keine festen Abfahrtzeiten bei den Bahnen? Du scheinst ja alle Zeit der Welt zu haben.“

„Die Taktung der S-Bahn ist so gut, da macht es überhaupt keinen Sinn sich zu beeilen. Außerdem möchte ich dir noch etwas im Bahnhof dort zeigen.“

„Cool, bei uns fahren Busse vielleicht alle dreißig Minuten oder einmal die Stunde. Da sollte man schon pünktlich sein.“

Joachim musste lachen. Als Großstädter würde man vermutlich bei uns in der Provinz verzweifeln. Joachim führte mich zum „Gleis 17“.

Dort wurden im 3. Reich viele Juden in Züge gepfercht und von dort in verschiedene KZs verschleppt. Leider sind die meisten davon nie zurückgekehrt. Zur Erinnerung an diese Menschen wurden Platten in den Boden des Bahnsteigs eingelassen, auf denen die Züge mit Datum, Anzahl der Menschen und dem Ziel verzeichnet waren.

Dieser Anblick ließ mich schaudern. In Berlin war deutsche Geschichte allgegenwärtig.

„Ich glaube, hier sollte ich mit den Jungs auch einmal hingehen. Sie sollen sich das ansehen. In der Schule über den Holocaust etwas zu lesen ist eine Sache, ihn hier sehen und begreifen zu können, eine ganz andere.“

„Ja, da sagst du etwas sehr Wahres. Es gibt aber noch viele interessante Stellen in meiner Stadt. Wie viel Zeit habt ihr eigentlich? Da wäre es doch sinnvoll, mit ihnen eine Stadtrundfahrt zu machen. So oft kommt ihr ja wahrscheinlich nicht nach Berlin.“

„Das weiß ich leider noch nicht. Wenn sie am Sonntag im Finale sind, dann wird nicht viel Zeit bleiben. Allerdings habe ich schon überlegt, falls einer im Finale ist, zur Belohnung den Montag noch dranzuhängen, um ihn für etwas Kultur und shopping zu nutzen.“

„Das wäre bestimmt ein guter Zug von dir. Ansonsten könnten wir das auch am Sonntag machen, solltet ihr morgen nicht mehr im Turnier sein.“

„Würdest du dir Zeit für uns nehmen?“

„Auf jeden Fall. Wenn der alte grüne Grisu mich in Berlin besucht, muss ich das nutzen.“

Wieder lachten wir beide uns scheckig. Er hatte das so cool gesagt. Ich spürte sofort, warum wir uns von Beginn an so sympathisch waren.

Mittlerweile waren wir auf einem anderen Gleis angelangt und eine S-Bahn fuhr ein. Während der Fahrt erklärte er mir, dass er mit mir in ein bestimmtes Café gehen möchte. Ins „Berio“.

Dort fühlte ich mich wirklich sofort wohl. Sehr angenehmes Ambiente und nette Leute. Joachim hatte einen guten Geschmack. Dort gab es zwar nur Kleinigkeiten zu essen, aber die waren sehr lecker.

Joachim hatte für uns sogar einen Tisch vorbestellt. So ein Café gab es bei uns nicht. An den Wänden hingen Gemälde und andere Kunstgegenstände. Die Stimmung war warm und gemütlich. Hier konnte man in Ruhe verweilen.

Die Speisekarte war klein aber gut. Ich entschied mich für ein Wiener Schnitzel mit einer typischen Berliner Spezialität, dem lauwarmen Kartoffelsalat. Dazu gab es eine üppige Salatbeilage.

Für eine Weltstadt wie Berlin waren die Preise angemessen. Und es war ausgesprochen schmackhaft. Nach dem Essen gönnten wir uns einen Café Dante, bei uns nannte sich das einen Othello. Joachim erzählte von seiner Arbeit und ich musste zugeben, je länger wir beisammen saßen, desto vertrauter wurden wir. Es herrschte die gleiche Sympathie wie schon in den vielen Emails. Er hatte eine Eigenschaft, um die ich ihn beneidete. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Diese Gelassenheit war beeindruckend. Ich zählte mich eigentlich auch zu den eher ruhigeren Charakteren, aber ich war nicht sonderlich geduldig mit mir selbst. Da musste ich immer alles aus mir herausholen. Und leider führte das manchmal zu unnötigem Stress.

Nach meinem Unfall und dem Kampf mit dem Tod hatte ich manchmal Angst, es könnte keinen morgigen Tag mehr geben und ich müsste alles mitnehmen, was ich heute erledigen könnte. Damit ging ich anderen öfter ganz schön auf die Nerven, denn leider projizierte ich das auch auf meine Freunde und Kollegen. Nicht, weil ich sie ärgern oder gar schikanieren wollte, sondern weil es unbewusst so passierte.

Damit hatte ich mich auch schon einmal an den Rand eines Kollapses gebracht, rechtzeitiges Herunterfahren war halt nicht meine Stärke. Joachim hielt mir deshalb auch gnadenlos den Spiegel vor. Vielleicht konnte ich so besser an mir arbeiten.

Dieser Abend mit Joachim und ohne die Jungs tat mir gut. Ich hatte tatsächlich innerhalb kurzer Zeit komplett abschalten können und mich mit ihm über alles außer Tennis unterhalten. Und das Lokal gefiel mir so gut, dass ich gar keine Lust mehr verspürte, noch etwas anderes zu unternehmen. Aber dafür war ich auch zu müde.

Joachim hatte Verständnis für meine Situation und so fuhr ich gegen Mitternacht zurück ins Hotel. Allerdings nicht, ohne die Planung für den morgigen Samstag noch zu machen. Nach dem Turniertag wollten wir eine Stadtrundfahrt machen und Joachim war so nett, sich darum zu kümmern. Treffpunkt sollte die Anlage des LTTC Rot-Weiß werden.

Ich war gespannt, wie meine Truppe auf dieses Angebot reagieren würde. Wer hätte Lust mitzukommen, wer nicht. Die Anzahl der Buchungen wollte ich Joachim dann am Vormittag durchgeben.

Im Hotel bin ich dann sehr schnell eingeschlafen und habe sogar bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen. Das passierte sonst eher selten, aber ich war gut erholt und konnte mit frischer Energie mit den Jungs den neuen Tag angehen.

Fynn: Viertelfinale und Berlin

Den „Entspannungsabend“ mit Dustin haben wir sehr genießen können. Allerdings waren wir beide derart erschossen, dass wir schon um elf im Bett lagen und eng aneinander gekuschelt einschliefen.

Heute war Viertelfinale angesagt und ich musste gegen die Nummer vier der Setzliste spielen. Maxi war bereits früh aus dem Turnier ausgeschieden und Dustin und ich hatten uns darüber noch ausgiebig unterhalten. Ich fand es schade, allerdings musste ich meinem Freund auch zustimmen, Maxi war an seiner Überheblichkeit gescheitert. Vielleicht würde er endlich etwas daraus lernen und sein Verhalten verändern.

Er konnte froh sein, dass Chris so geduldig mit ihm war. Jeder andere Coach hätte ihm vermutlich schon in den Hintern getreten.

„Man, wie lange brauchst du noch im Bad?“, rief mein Freund durch die Tür.

Verdammt, ich hatte wieder meinen Gedanken hinterher gehangen.

„Schon fertig, Schatz. Ich komme.“

Ich öffnete die Tür und sah nur das Grinsen meines Freundes.

„Also wenn du so weiter machst, wirst du mal so schlimm sein wie Maxi mit seinen Haaren.“

„Niemals, dafür musst du sorgen. Bitte hau mir was an den Hals, bevor das zur Routine wird.“

„Na gut, aber dann nicht beschweren. Heute werde ich es noch einmal mit einem Kuss versuchen.“

Er drückte mir einen Kuss auf den Mund und es war jedes Mal auf ein Neues ein tolles Gefühl, das sich durch meinen Bauch ausbreitete. Dann nahmen wir unsere Taschen über die Schulter und verließen unser Zimmer. Draußen war es etwas neblig trüb und für meine Verhältnisse natürlich extrem früh am Morgen.

Erstaunlich war, dass auch Maxi bereits am Treffpunkt unten in der Lobby war. Er hatte zwar keine Tasche mehr dabei, aber er war in Teamkleidung erschienen und sogar gut gelaunt.

Chris war noch nicht da. Das nutzte Maxi natürlich aus, um eine kleine Spitze loszuwerden. Dustin reagierte empfindlich darauf:

„Du kannst dir das schenken. Chris tut so viel für uns, da hat er auch mal das Recht, nicht als erster hier sein zu müssen. Abgesehen davon hat er noch vier Minuten Zeit.“

Maxi schaute Dustin fragend an und ich musste schlucken. So ernst hatte ich das nicht erwartet. Aber Dustin schien das vollkommen ernst gemeint zu haben. Maxi beließ es dann auch damit und schwieg.

Dadurch lag doch eine leichte Spannung in der Luft.

Maxi ging ein paar Schritte abseits, um mit seinen Eltern zu telefonieren. Für mich war das eine gute Gelegenheit, mit Dustin allein zu sprechen.

„Warum warst du eben Maxi gegenüber so bissig? Ich glaube, er hat das gar nicht so ernst gemeint.“

„Ganz ehrlich, weil mir seine Art und Weise auf den Sack geht. Gerade Chris reißt sich für uns den Arsch auf und ich fand das total überflüssig, was Maxi gesagt hatte. Wir sollten froh sein, dass wir so einen Coach haben und ich habe das Gefühl, dass sich Chris auf dieses Treffen gestern sehr gefreut hat. Da sollten wir uns einfach für ihn mit freuen. Genau wie sich Chris für uns freut.“

Sein Gesicht war immer noch ernst und auch seine Körperhaltung ließ erahnen, dass er sich über Maxi sehr ärgerte. Und wohl nicht nur über diese eine Bemerkung.

„Hey, du ärgerst dich doch nicht nur über diese eine Aussage von Maxi. Du bist schon länger genervt, oder?“

„Stimmt. Er geht mir mit seiner Überheblichkeit auf den Keks. Gestern auch schon. Wir haben hier die besten Möglichkeiten und er wirft sein Spiel einfach so weg. Das kann ich nicht verstehen.“

„Hey, Schatz. Du bist zu streng. Ja, es stimmt. Er nervt manchmal und ich muss zugeben, dass ich es gar nicht so schlimm gefunden habe, dass Chris ihn gestern hat auflaufen lassen. Denk aber mal an unsere Anfangszeit, da haben wir auch nicht immer alles richtig gemacht. Ich glaube sogar, dass Chris und Maxi gestern noch darüber gesprochen haben. Immerhin ist Maxi heute schon ganz früh hier, obwohl er gar nicht mehr spielen muss.“

Als ich das gesagt hatte, schaute mich Dustin mit großen Augen an und sein Gesicht entspannte sich wieder. Sogar ein Lächeln tauchte in seinen Mundwinkeln auf. So gefiel mir das viel besser.

Durch dieses Gespräch mit meinem Freund hatte ich nicht mitbekommen, dass Chris mit Tim bereits eingetroffen war. Sie hatten etwa zwei Meter von uns Aufstellung genommen und dort gewartet.

„Hi Chris, hi Tim. Sorry, wir hatten gerade etwas zu klären. Wie sieht jetzt die Planung für heute aus?“, fragte ich.

„Moin ihr beiden. Wenn Maxi mit telefonieren fertig ist, gehen wir frühstücken. Da gibt es dann die weiteren Details für heute. Burghard kommt mit den anderen erst später. Sie brauchen erst um zehn auf der Anlage zu sein.“

Maxi hatte sein Telefonat beendet und begrüßte Tim und Chris ebenfalls.

„Hi, ich soll alle von meinen Eltern schön grüßen. Sie wünschen uns viel Erfolg.“

„Danke“, sagte Chris, „haben sie sich nicht zu sehr aufgeregt, dass du verloren hast?“

„Naja, mein Vater war schon zur Arbeit. Mama sieht das ja nicht so verkniffen. Außerdem ärger ich mich selbst eh am meisten darüber.“

„Gut, das lässt ja hoffen, dass du noch was dazulernen kannst.“

Chris zwinkerte dabei und Maxi wurde etwas rot, lächelte aber. Ich hatte das Gefühl, bei dem gestrigen Gespräch mit Chris, hatte Maxi etwas begriffen und wir sollten die Hoffnung haben, dass er es auch umsetzen würde.

Zehn Minuten später saßen wir gemeinsam beim Frühstück.

„Wie war denn dein Abend, Chris? Hast du mit Joachim einen schönen Abend gehabt?“

Chris schaute mich an und nickte.

„Ja, es war schön, einmal allein unterwegs zu sein und sich mit ihm zu unterhalten. Wir waren in einem ganz tollen Café. Vielleicht machen wir noch gemeinsam eine Tour durch Berlin. War jemand von euch schon einmal in Berlin?“

Natürlich war nur Maxi mit seinen Eltern schon einmal hier. Dustin und ich hatten leider noch keine Gelegenheit gehabt. Von daher fand ich die Möglichkeit einer Sightseeingtour sehr interessant.

„Wenn einer von euch im Finale ist, werden wir erst am Montag zurückfahren. Dann haben wir den Sonntagnachmittag für eine Stadtrundfahrt. Wenn heute das Turnier für alle beendet sein sollte, werden wir morgen früh in die Stadt fahren. Joachim kommt später und wird uns zuschauen. Da könnt ihr euch kennenlernen. Er ist wirklich ein netter Typ und ihr werdet gut zusammen klarkommen.“

Dustin schaute ungläubig.

„Du würdest uns einen Tag zusätzlich in Berlin geben? Sogar einen Tag mehr schulfrei?“

Chris grinste und dann wurde er sehr ernst.

„Leute, wo ist das Problem? Wir sind in Berlin, da kommt man nicht so oft hin. Wenn wir ins Finale kommen, dann habt ihr euch auch diesen Tag verdient. Da habe ich gar kein Problem mit. Das kann ich jederzeit vertreten, vorausgesetzt, alles andere läuft wie immer gut und ohne Probleme. Oder habt ihr kein Interesse an der Stadt?“

„Blöde Frage, klar würde ich mir Berlin gern ansehen. Dustin, was ist mit dir?“

Mein Freund kaute auf seinem Brötchen und nickte deshalb nur. Sogar Maxi war von dieser Idee begeistert.

Jetzt wurde es allerdings auch Zeit für unsere Matchvorbereitung. Chris nahm seinen Laptop von Dustin entgegen und jeder von uns bekam eine präzise Gegneranalyse. Insbesondere Dustin hatte die schwerste Aufgabe zu lösen. Er hatte die Nummer zwei der Setzliste. Für mich sah es auf dem Papier am besten aus. Ich hatte einen Gegner, der mir sogar vom Spiel her liegen sollte. Tim hatte es leider mit der Nummer eins der Setzliste zu tun. Allerdings hatte ich die Erfahrung gemacht, dass es in diesem Jahrgang nicht unbedingt etwas zu sagen hatte. Chris war auch guter Dinge, dass Tim eine Chance haben würde. Für mich und Tim gab es noch zusätzlich ein Doppel zu spielen. Chris ließ das aber in der Vorbereitung außen vor. Er war der Meinung, dass uns überlassen zu wollen. Wir sollten einfach Spaß haben und etwas lernen.

Auf dem Weg durch den Grunewald zur Anlage redeten wir nicht mehr viel über Tennis. Nur Maxi fragte irgendwann:

„Was ist eigentlich meine Aufgabe heute, Chris?“

„Spionieren“, kam wie aus der Pistole geschossen von Chris als Antwort.

Wir schauten uns an und keiner hatte das verstanden.

„Na, ist doch klar. Du kannst unauffällig alle interessanten Spiele der möglichen Gegner beobachten. Außerdem möchte ich, dass du mich beim coachen unterstützt.“

Jetzt hatten wir es auch verstanden und Maxi fing an zu lachen.

„Meinst du, ich habe noch die Berechtigung dich zu unterstützen? Ich habe ja schließlich gestern versagt und …“

„Maxi, es reicht. Das haben wir abgehakt. Heute ist ein neuer Tag und mach das Beste draus. Also habt ihr noch Fragen zum Ablauf? Wir sind gleich da und dann könnten sich Dustin und Fynn bereits direkt aufwärmen. Tim hat noch eine halbe Stunde länger Zeit.“

Chris blieb seiner Linie treu. Was abgehakt war, blieb nicht länger Thema. Er konnte es einfach ablegen. Das beeindruckte mich jedes Mal aufs Neue. Von Zuhause kannte ich das gar nicht. Da wurde oft wochenlang auf mir herum gehackt. Das nervte mich immer total. Dustin und ich stellten unsere Taschen an die Seite und gingen uns aufwärmen. Erst einmal eine Runde laufen im Grunewald und dann Seilspringen auf dem Rasen vor der Terrasse.

Dann wurde es wieder ernst für uns. Die Viertelfinalspiele begannen und Dustin und ich wünschten uns mit einem Kuss gegenseitig viel Erfolg. Mein Gegner hatte dieses Ritual allerdings mitbekommen und schaute etwas verwundert. Aber er blieb freundlich. Wir unterhielten uns auf dem Weg zum Platz. Er war schon neunzehn und studierte Sport.

Wir betraten gemeinsam unseren Platz und jeder legte seine Tasche vor der Bank ab. Ich nahm meinen Schläger aus meiner Tasche und machte noch ein paar Dehnübungen. So langsam stieg bei mir doch die Anspannung. Ich war leichter Außenseiter, aber Chris und ich hatten uns eine gute Strategie überlegt. Von der Spielanlage her kam mir der Gegner sogar entgegen. Wir wählten gleich zu Beginn die Seiten und dann schlugen wir uns ein.

Immer wieder schaute ich mich um. Chris konnte ich nirgends finden, nur Maxi stand dort, wo Chris sonst stand. Da fiel es mir wieder ein, Dustin hatte es immer gerne, dass Chris gerade die ersten Minuten bei ihm blieb.

Diese Erkenntnis beruhigte mich dann wieder und ich legte meine ganze Aufmerksamkeit auf das Einschlagen. Nach etwa fünf Minuten musste das Spiel beginnen. Ich wählte Rückschlag. Damit hatte ich etwas mehr Zeit, ins Spiel zu finden.

Als es dann los ging, fühlte ich mich zwar angespannt und konzentriert, aber ich spürte keine Angst mehr. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, Berge versetzen zu können. Chris hatte mir immer wieder erklärt, wie gut ich bereits bin und ich mich hinter niemandem verstecken sollte. Das tat ich auch nicht. Von Beginn an hielt ich dagegen und zeigte meinem Gegenüber, dass er keinen Punkt geschenkt bekommen würde. Ich nutzte meine erste Chance und hatte sofort ein Break geschafft. Das Match fing positiv für mich an und auch meinen eigenen Service brachte ich gut durch. 2:0 für mich und das erhöhte noch mehr mein Selbstvertrauen. Ich konnte alles um mich herum ausblenden. Lediglich hin und wieder schaute ich zu Maxi, wenn ich das Gefühl hatte, Sicherheit von außen zu benötigen. Maxi blieb die ganze Zeit dort stehen und gab mir ein gutes Gefühl.

Als es 4:3 im ersten Satz stand, tauchte Chris auf. Er redete angeregt mit Maxi und hatte sichtlich gute Laune. Er zeigte mir den Daumen hoch und kam zu mir an die Bank.

„Sieht ja gut aus bei dir. Ich kann dir von Dustin auch nur berichten, dass er vorn liegt. Er spielt richtig gut und du sollst dir keine Sorgen machen.“

Typisch Dustin, dachte ich für mich. Aber es tat mir gut. Chris wusste genau, dass ich das Spiel von meinem Freund nie ganz ausblenden konnte. Damit verschaffte er mir jetzt noch mehr Luft und entsprechend euphorisch ging ich wieder auf den Platz. Ich gewann meinen Aufschlag ohne Probleme und führte 5:3. Mein Gegner wurde immer unruhiger und ungeduldiger und somit konnte ich sogar erneut seinen Aufschlag durchbrechen. Damit war der erste Satz meiner!

Maxi spendete, laut hörbar, Applaus und auch Chris ballte seine Faust zur Unterstützung. In der Satzpause legte ich nicht mein Handtuch über den Kopf. Keine Ahnung warum, aber ich schaute mit offenen Augen lieber über den Nebenplatz und ließ meine Gedanken für einen Moment laufen.

Chris kam zu mir an die Bank und massierte mir leicht über die Schultern.

„Du spielst richtig gut. Sieht sehr souverän aus und längst nicht mehr so verkrampft. Du weißt was du tust. Das sehe ich deutlich. Gefällt mir gut.“

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und antwortete:

„Was du alles so von außen sehen kannst. Aber es stimmt. Ich fühle mich gut und sicher. Momentan spüre ich auch keinen Druck. So macht das Spielen Spaß.“

„Dann ist ja gut. So soll es ja auch sein. So, ich muss jetzt mal wieder zu deinem Freund gehen und schauen, dass er genauso erfolgreich sein wird, wie du.“

Diese Lockerheit während des Spiels bewunderte ich bei Chris immer wieder. Ich wusste genau, dass er jeden Punkt im Kopf mitspielte und immer auf Ballhöhe war. Dennoch war er immer für mich als Spieler entspannt und locker. Es war ihm nicht anzumerken, dass er genauso angespannt war wie ich als Spieler.

Die Satzpause war zu Ende und es ging weiter mit dem zweiten Satz. Ich schlug zu Beginn auf und ging schnell mit 1:0 in Führung. Mein Gegner änderte seine Strategie. Er begann druckvoller zu spielen und mich damit mehr unter Druck zu setzen.

Komischerweise wusste ich sofort darauf zu reagieren und blieb jederzeit Herr der Lage. Bevor ich mich weiter fragen konnte, warum das so war, ging das Match in die entscheidende Phase. Chris war noch nicht wieder zurückgekehrt, aber Maxi blieb die ganze Zeit bei mir. Immer wieder feuerte er mich an oder lobte mich. Es tat gut, nicht ganz allein zu sein.

Erst, als ich den Matchball verwandelt hatte und nach dem Shakehands mich auf die Bank setzte, merkte ich, dass ich eigentlich gar nicht so erschöpft war. Ich fühlte mich gut und vor allem erleichtert gewonnen zu haben.

Ich stand bei den deutschen Juniorenmeisterschaften im Halbfinale. Damit hätte ich vor drei Monaten nie rechnen können. Das wurde mir jetzt so richtig bewusst und ein Gefühl der großen Freude kam schlagartig in mir auf. Maxi stand mittlerweile neben mir und ich musste ihn einfach umarmen. Er erwiderte meine Reaktion, indem er sich mit mir freute. Das war toll. Er war nicht mehr im Turnier und konnte nicht mehr Meister werden. Eigentlich war er derjenige gewesen, dem die besten Chancen eingeräumt wurden. Und er hatte es ja selbst auch gesagt, dass er gewinnen wollte. Jetzt hatte er sich das ganze Match über für mich eingesetzt. Dafür zollte ich ihm großen Respekt.

„Danke Maxi, du hast mir sehr geholfen.“

„Klar, aber du hättest es genauso für mich getan. Weißt du, ich habe mich dumm benommen und mir das selbst versaut. Chris hat absolut recht, was uns stark macht, ist unser Zusammengehörigkeitsgefühl. Das habe ich jetzt auch begriffen. Nur dadurch werden wir Erfolg haben. Heute sind es Dustin und du, beim nächsten Turnier werde ich vielleicht wieder mehr Erfolg haben. Dann wirst du mich genauso unterstützen. Weißt du, ich bin froh, dass wir Freunde sind.“

Dann umarmte er mich noch einmal ganz fest. Damit hatte ich nicht gerechnet, aber es fühlte sich grandios an.

Als ich den Platz abgezogen hatte und meine Tasche über die Schulter nahm, kam Chris zu mir. Er hatte sichtlich gute Laune. Mein erster Gedanke galt natürlich Dustin.

„Hi Chris, sag mir bitte, dass Dustin auch im Halbfinale ist.“

Er begann zu lachen und als er direkt bei mir war, umarmte er mich und gratulierte.

„Herzlichen Glückwunsch. Das war ganz großes Tennis, mein Lieber. Und bevor du mich erschlägst, ja, dein Freund hat auch gewonnen.“

Ich ballte vor Freude die Fäuste und jubelte. Chris und Maxi grinsten.

„Wo ist Dustin jetzt? Ist er noch auf dem Platz?“

„Ganz ruhig. Er kommt auch ins Clubhaus. Du kannst in Ruhe duschen gehen und dich auf deinen Freund dort freuen. Dustin habe ich nämlich auch dahin geschickt, wenn er mit dem Platz fertig ist.“

„Cool, und ich möchte mal erwähnen, dass Maxi mir richtig geholfen hat. Wir sind ein geiles Team, oder?“

Chris schaute mich an und zwinkerte mir zu. Dabei hatte er ein schelmisches Lachen im Gesicht.

„Was?“, fragte ich.

„Schon gut, du hast ja recht. Aber ich freue mich darüber, dass ihr es auch erkannt habt. Wir werden nur als Team Erfolg haben. Aber genau das macht uns so stark. Jeder ist für den anderen da, wenn er gebraucht wird. So, und jetzt gehe ich zu Tim. Mal sehen, was er so macht. Der ist nämlich vor zehn Minuten auf den Platz gegangen.“

„Ok, ich komme nach dem Duschen mit Dustin auch gleich nach. Auf welchem Platz spielt er denn?“

„Auf dem Center Court.“

„Was, echt? Wie geil. Das muss bestimmt cool sein.“

Ich war froh, dort noch nicht spielen zu müssen. Aber es war vermutlich so, dass die Halbfinals vermutlich auf den beiden großen Zuschauerplätzen gespielt würden.

Mit einem guten Gefühl im Bauch und sehr zufrieden mit mir selbst, ging ich in die Umkleide zum Duschen.

Chris: Wie weit geht der Erfolg noch?

Ich war von meinen großen Jungs begeistert. Beide hatten sich toll geschlagen und gewonnen. Aber die Art und Weise war für mich noch viel beeindruckender. Sie zeigten selbstbewusst, was sie konnten und ließen sich nicht mehr so leicht beeindrucken. Hinzu kam noch, dass sich Maxi total in den Dienst des Teams gestellt hatte. Er war ausgeschieden und obwohl er sonst eher egoistisch dachte, musste ich ihm nicht extra einen Auftrag geben. Er war eigenständig bei Fynn am Platz geblieben.

Was Dustin und Fynn hoffentlich noch nicht realisiert hatten, sie mussten im Halbfinale gegeneinander spielen. Einerseits hieß das, einer von beiden erreichte das Finale, sie hatten aber andererseits noch nie bei einem Turnier gegeneinander spielen müssen.

Burghard hatte etwas weniger Glück mit seinen Jungs. Bis auf Marek waren alle anderen ausgeschieden. Marek spielte jetzt ebenfalls das Halbfinale in der anderen Hälfte des Tableaus.

Burghard kam zu mir und wir sprachen über die weitere Vorgehensweise.

„Wie sieht das bei dir aus? Bis auf Maxi noch alle dabei?“

„Ja, Tim muss jetzt sein Viertelfinale spielen. Ansonsten ist die Stimmung gut. Auch Maxi hat sich gut eingebracht.“

„Du, ich überlege jetzt, mit den Jungs, die nicht mehr dabei sind, nach Hause zu fahren. Dann können wir Kosten sparen und die Jungs könnten direkt wieder ins Training gehen. Wie siehst du das?“

„Da habe ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht. Ich war davon ausgegangen, dass wir gemeinsam ein Turnier beenden. Allerdings habe ich bislang auch noch nie mit zwei Trainern ein Turnier gespielt.“

„Es ist so üblich, wenn wir vorzeitig fertig sind, nach Hause zu fahren. Allerdings müsstest du dich dann um Marek kümmern.“

„Jetzt mal langsam. Marek spielt sein Halbfinale doch gleich noch. So lange solltet ihr auf jeden Fall bleiben. Er möchte doch sicher von dir betreut werden. Nach dem Halbfinale besprechen wir das neu.“

Burghard war einverstanden und ich machte mich auf den Weg zu Tim. Erstaunlicherweise traf ich auf dem Weg zum Center Court auf Maxi. Er hatte mir, mit einem Lachen im Gesicht, eine Flasche Fassbrause mitgebracht.

„Hier, deine Nervennahrung. Dustin und Fynn kommen auch gleich. Sie wollen aber erst einen Augenblick relaxen.“

„Cool, danke. Ihr kümmert euch ja gut um euren Coach. Womit habe ich das denn verdient?“

Wir gingen auf die Tribünen des Platzes und ich war schon etwas beeindruckt über die Dimensionen. Es gab viel mehr Auslauf am Rande des Platzes.

„Mit guter Arbeit vielleicht?“

Dabei hatte Maxi wieder sein schelmisches Grinsen im Gesicht.

„Schleimer!“ antwortete ich mit einem Lächeln.

Bevor wir Platz nahmen, hatte ich mit Tim Blickkontakt aufgenommen und ich konnte an seiner Reaktion erkennen, dass er schon auf mich gewartet hatte. Das Spiel hatte gerade begonnen und die ersten beiden Punkte waren gespielt.

Plötzlich bekam ich eine Message auf meinem Smartphone. Sie war von Joachim. Er war zur Anlage des LTTC gekommen und wollte nun wissen, wo ich denn sei. Ich schrieb zurück und es dauerte nicht lange, bis ich ihn im Eingang zur Tribüne erkannte. Er kam zu uns und setzte sich neben uns. Maxi stellte ich ihm kurz vor und Joachim fragte:

„Wo sind denn die anderen beiden Jungs? Wie heißen sie doch noch? Fynn und ... richtig, Dustin.“

„Die kommen sicher auch gleich noch. Die haben ihr Spiel gerade beendet. Sie sind duschen und auslaufen.“

Das Spiel von Tim wurde sehr spannend. Immer wieder geriet Tim unter Druck und auch in Rückstand. Er ließ sich aber nicht beeindrucken und hielt gut dagegen. Was mir besonders gut gefiel, war der Umgang der beiden miteinander. Obwohl sie um den Einzug ins Halbfinale spielten, herrschte eine lockere Atmosphäre. Das war für Tim schon außergewöhnlich. Sonst schottete er sich immer total ab.

Der erste Satz ging leider verloren und Fynn und Dustin, die mittlerweile bei uns saßen, waren der Meinung:

„Ich glaube, dass Tim jetzt einbrechen wird. Er hat den Satz verloren und wird ungeduldig werden.“

„Hm“, überlegte ich, „ich setze eine Fassbrause dagegen. Ich sage, Tim wird weiter gut spielen und vielleicht sogar noch gewinnen.“

„Deal“, sagte Fynn sofort.

Ich schlug ein und Joachim wunderte sich über unseren sehr legeren Umgang.

„Kannst du eigentlich auch streng sein? Wenn du immer so nett zu deinen Jungs bist, wie ist das, wenn sie mal Blödsinn machen?“

Ich musste lachen und erwiderte: „Frag sie doch einfach. Ich glaube, Maxi kann dir gerade dazu am besten etwas sagen.“

Maxi wurde sogar rot im Gesicht, erzählte Joachim allerdings die Geschichte vom letzten Match. Danach nickte Joachim sichtlich beeindruckt.

„Und jetzt ist wieder alles in bester Ordnung?“

Maxi nickte und sagte: „Ja, absolut. Wenn Chris das geklärt hat, ist er nicht nachtragend. Das ist seine ganz große Stärke. Wenn du aus deinen Fehlern gelernt hast, steht er wie eine Wand hinter dir.“

Ich schaute Maxi an und konnte mir den folgenden Kommentar nicht verkneifen:

„Na, dann hoffe ich mal, dass ich das auch bei dir mal erleben kann und nicht immer wieder einen Herzanfall bekommen muss.“

Das führte bei allen zu einem Lachanfall. Das störte natürlich das Match auf dem Platz, denn durch die kesselartige Anordnung der Tribünen, hallte jedes Geräusch nach.

Schnell wurden wir deshalb wieder still. Tim begann leider den zweiten Satz so, wie es Dustin vorhergesagt hatte. Schnell regte er sich auf und wurde unruhig. Beim Stand von 0:2 wollte ich schon reagieren, aber plötzlich schlug er sich gegen den Kopf und schlagartig beruhigte er sich, kämpfte wieder und holte auf. Er ging sogar mit 5:4 in Führung, ohne dass ich bis dahin einmal eingreifen musste. Ich feuerte ihn nur immer wieder an, genau wie meine Jungs. Er war total fokussiert und spielte sich in einen Rausch. Er gewann den zweiten Satz mit 7:5 und im dritten Satz ging der Fight genauso intensiv weiter.

Das Spiel fesselte mich und sogar Burghard, der mal kurz vorbei schaute, war beeindruckt von Tims Auftreten. Ein spektakulärer Ballwechsel folgte nach dem anderen. Beide schenkten sich nichts und ich fragte mich, wieso hatten wir noch Zweifel an Tims Fähigkeiten.

In der Mitte des dritten Satzes gab es einen Ballwechsel, der leider dazu führte, dass Tims Gegner umknickte und auf dem Platz liegenblieb. Es war offensichtlich, dass sein Gegner starke Schmerzen hatte. Ich war als Rettungsassistent ausgebildet und war auf dem Weg zum Platz, als Tim schon bei seinem Gegner war, um ihm aufzuhelfen. Auch zog er ihm bereits den Schuh aus, als ich am Ort des Geschehens eintraf. Die Mutter des Jungen war mittlerweile auch auf den Platz gelaufen und ich trug ihren Sohn zur Bank. Dort setzte ich ihn ab und schaute mir den Knöchel an, der bereits dick geschwollen war. Das sah ganz und gar nicht gut aus. Eine typische Sprunggelenkverletzung. Das war bei Tennisspielern nichts allzu seltenes.

Ich nahm Kontakt mit den Jungs auf der Tribüne auf und schickte sie los, Eiswürfel oder einen Kühlpack zu holen. Fynn lief auch sogleich los und Tim kümmerte sich wirklich gut um seinen Gegner, der doch ziemliche Schmerzen hatte und mit den Tränen zu kämpfen hatte.

Die Mutter war in hellster Aufregung und das war eigentlich genau das, was der Junge gerade gar nicht gebrauchen konnte. Aber Mütter sind manchmal sehr anstrengend in diesen Situationen. Ich versuchte ruhig zu bleiben und als ich den Knöchel abgetastet hatte, konnte ich zumindest eine kleine Entwarnung geben.

„Also das Sprunggelenk ist vermutlich nicht kaputt, aber ein Bänderriss ist nicht auszuschließen. Du solltest mit deiner Mutter in die nächste Klinik fahren und das dort untersuchen lassen.“

Niedergeschlagen und enttäuscht sagte er:

„Ich kann also nicht weiterspielen? Ich will aber nicht aufgeben.“

„Schau mal, dein Fuß ist schon so dick geworden, das macht einfach keinen Sinn. Außerdem machst du damit noch mehr kaputt. Also sei vernünftig und lass dich untersuchen. Du wirst noch viele weitere Turniere spielen und die Chance bekommen, dort weit zu kommen. So gut, wie du bist.“

Er nickte jetzt wortlos, kämpfte aber mit den Tränen der Enttäuschung. Tim verhielt sich großartig. Er stützte seinen Gegner beim Verlassen des Platzes und ich gab Dustin ein Zeichen, dass er bitte den Platz abziehen möge. Ich nahm die beiden Taschen der Jungs und brachte sie ins Clubhaus.

So hatte ein hochklassiges Spiel ein unschönes Ende gefunden. Sehr bedauerlich, aber leider passierte das beim Tennis ab und zu mal.

Mittlerweile hatte ich die Umkleide erreicht und brachte den beiden ihre Taschen. Tim redete immer noch mit seinem Gegner und ich ließ sie auch in Ruhe. Ich konnte gleich noch in Ruhe mit Tim sprechen. Jetzt wollte ich die Zeit nutzen, um Dustin und Fynn zu erklären, dass sie gegeneinander spielen mussten. Joachim war mittlerweile auch wieder zu mir gestoßen. Ich bat ihn auf der Terrasse auf mich zu warten.

Die beiden saßen auf einer Bank unter einer großen Schatten spendenden Linde. Dustin lehnte sich an seinen Freund, der seinen Arm auf die Brust seines Freundes gelegt hatte.

„Hi, störe ich? Oder können wir über das kommende Halbfinale sprechen?“

„Nein, kein Problem. Setz dich doch zu uns, Chris. Hier ist es so angenehm.“

Ich nahm neben ihnen auf der Bank Platz und zuerst sprachen wir noch einmal über das Viertelfinale. Sie waren beide noch richtig aufgedreht.

„Ist doch cool, dass wir beide das Halbfinale bei den deutschen Meisterschaften erreicht haben. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich schon so gut bin.“

Fynn schaute seinen Freund an und schüttelte seinen Kopf.

„So ein Unsinn. Du bist mittlerweile genauso gut wie ich. Du trainierst härter als die meisten anderen und das zahlt sich jetzt eben aus. Ich bin auch sehr froh, dass du schon so gut geworden bist. So können wir immer gemeinsam unterwegs sein.“

Danach gab er seinem Freund einen Kuss und ich wunderte mich schon ein wenig darüber, dass sie hier so offen waren. Es schien sie nicht mehr zu stören, dass einige sie dabei genauestens beobachteten. Mal sehen, wie lange es noch dauern würde, bis es eine Reaktion gab. Eigentlich ging mir das bislang hier zu glatt.

„So, ihr zwei, nun wird es etwas unangenehm.“

Beide Köpfe gingen auseinander und schauten mich mit großen Augen an.

„Wieso? Was haben wir gemacht?“, fragte Dustin etwas ängstlich.

Ich musste lachen, weil sie mir nicht zutrauten, sie ein wenig auf den Arm zu nehmen.

„Ganz ruhig, Jungs. Alles gut. Aber ich habe jetzt die Aufgabe euch zu sagen, gegen wen ihr spielen müsst. Das wird euch nicht gefallen.“

„Warum? Etwa einer aus dem WTV? Ich dachte, die sind schon alle längst raus.“

„Stimmt, Fynn. Das kann also nicht sein, aber dein Gegner ist dir gut bekannt und sitzt neben dir.“

Seine Augen gingen weit auf und Dustin schaute mich genauso überrascht an.

„Nee, das ist nicht wahr. Wir müssen gegeneinander spielen?“

Fynn schien sehr enttäuscht zu sein. Ich fand das eher angenehm, denn für mich war das ein Spiel, welches ich total entspannt gucken konnte.

„Ja, aber ich finde das überhaupt nicht schlimm. Irgendwann würde es eh soweit kommen. Und ein Halbfinale bei den deutschen Meisterschaften ist doch ein guter Zeitpunkt. Marek spielt gerade noch sein Viertelfinale. Aber das sah nicht so gut aus. Kann also sein, dass ihr die letzten beiden Mohikaner vom Break-Point-Team seid.“

„Warum? Tim ist doch auch im Halbfinale. Also sind wir schon zu dritt.“

„Ja, du hast natürlich recht. Sorry, wie konnte ich Tim vergessen?“

Die beiden lachten und dann sagte Dustin etwas sehr bemerkenswertes:

„Ich finde es zwar schade, dass wir uns gegenseitig rauswerfen, aber es ist doch ein tolles Ergebnis für dich als Trainer. Du hast mindestens einen Spieler im Finale. Und mir ist es eigentlich egal, wer von uns den Titel gewinnt. Hauptsache, wir gewinnen einen Titel.“

„Bevor ihr auf dumme Gedanken kommt, wir können sogar noch zwei Titel holen. Fynn und Tim sind auch noch im Doppel drin. Also von daher geht da noch was.“

Für einen Moment herrschte Schweigen bei uns auf der Bank. Die Jungs nahmen sich ganz eng in die Arme, so als ob sie sich gegenseitig Halt gaben. Da tauchte Tim auf. Er hatte schon wieder seine Tasche über der Schulter.

„Hier seid ihr. Ich habe euch schon überall gesucht. Fynn, wir müssen schon Doppel spielen. Los, mach dich mal fertig.“

Das ging mir jetzt aber zu schnell. Eigentlich hätten beide noch etwas mehr Pause haben müssen. Fynn stand von der Bank auf, gab Dustin noch einen Kuss und ging seine Tasche holen.

„Warum spielt ihr jetzt schon? Eigentlich hättet ihr doch noch Pause gehabt.“

„Ja, aber die Turnierleitung hatte mich gefragt, ob ich schon spielen könnte. Sonst würde es nachher zu knapp werden. Da ich Fynn nicht finden konnte, musste ich entscheiden. Sorry, aber was sollte ich machen?“

„Schon gut. Wir haben dir nicht gesagt, dass wir hier sitzen. Also ist das wohl mein Fehler gewesen. Du hast das schon richtig entschieden. Das Halbfinale im Einzel muss ja auch noch gespielt werden. Aber bevor du wieder allein entscheiden musst, solltet ihr auch im Doppel ins Halbfinale kommen, bestehe ich darauf, dass das morgen gespielt wird. Das wird sonst zu viel für euch.“

„Das musst du der Turnierleitung sagen, nicht mir. Ich kann doch nichts dagegen machen.“

„Sicher kannst du dagegen etwas machen. Du musst nur sagen, dass es dir zu viel wird. Mehr als zwei Einzel und ein Doppel werden an einem Tag nicht gespielt.“

Fynn kam mit seiner Tasche zurück, hatte sich aber natürlich nicht ausreichend aufwärmen können.

„Fynn, warte bitte einen Moment. Denk bitte dran, dass du nicht gleich Vollgas gibst. Du hast dich nicht ausreichend aufwärmen können. Riskiere bitte keine Verletzung.“

„Aber wir müssen doch auf den Platz. Soll ich am Anfang nur mit halber Kraft spielen?“

Dustin verdrehte die Augen und konterte:

„Du Depp, du weißt genau, was Chris gemeint hat. Also mach einfach und gut. Ihr gewinnt auch so.“

Völlig verdutzt zuckte ich mit den Schultern und lachte.

„Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Tim, du passt auf Fynn bitte etwas auf. Solange der alte Mann noch nicht auf Betriebstemperatur ist, hast du auf ihn achtzugeben.“

Tim nickte und gab zur Antwort:

„Geht klar, Chef. Ich pass auf ihn auf.“

„Blödmann“, kam von Fynn.

Unserer Stimmung tat das allerdings richtig gut, denn die Spannung wurde dadurch deutlich geringer. Völlig gelöst und gut gelaunt gingen Fynn und Tim zu ihrem Doppelviertelfinale.

Dustin und ich blieben noch einen Moment auf der Bank zurück. Dustin lehnte sich für einen Moment an die Lehne und holte tief Luft.

„Chris, warum kannst du immer so gelassen bleiben. Wir spielen Halbfinale bei den deutschen Meisterschaften und du tust so, als ob wir ein Trainingsmatch machen würden. Ich bin jetzt schon total aufgeregt und angespannt. Es ist für mich das erste Halbfinale in einem großen und wichtigen Turnier. Da will ich nicht versagen und gut aussehen. Immerhin spielen wir auf dem Center Court.“

„Pass mal auf. Du hast doch gar keinen Druck. Niemand hat von dir so eine grandiose Leistung erwartet. Also genieße das Match einfach. Du kannst gegen deinen Freund spielen. Macht euch ein schönes Spiel und freut euch darüber, dass einer von euch im Finale spielen wird. Du gehst jetzt zu deinem Freund an den Platz und ich komme gleich mit Joachim nach. Ich möchte ihn nicht länger warten lassen.“

„Oh, stimmt. Das habe ich vollkommen vergessen, dass du ja Besuch hast. Sorry.“

„Alles gut. Ist mein Besuch und da ist das auch meine Aufgabe, das zu managen. Bis gleich.“

Er stand mit einem Lächeln auf und ging Richtung Platz. Ich ging in die andere Richtung zum Clubhaus.

Joachim saß wartend auf der sonnigen Terrasse.

„Sorry, ich habe erst ein paar Sachen regeln müssen. Jetzt habe ich aber etwas Zeit. Möchtest du auch einen Othello?“

„Kein Problem, du bist ja zum Arbeiten hier. Hast du deine Jungs jetzt auf den Platz gebracht?“

„Ja, Fynn und Tim spielen jetzt noch ein Doppel und dann ist Mittagessen angesagt. Am Nachmittag geht es dann mit den Halbfinals weiter.“

„Du hast ganz ordentlich Stress, oder?“

„Es geht, aber es ist manchmal etwas viel auf einmal zu regeln und ich muss den Überblick behalten. Deshalb versuche ich zwischendurch immer mal etwas runterzufahren. So wie jetzt. Ich geh mal unsere Othellos bestellen. Möchtest du etwas dazu haben? Ein Stück Kuchen?“

„Danke, nur einen Othello.“

Nachdem ich die Bestellung abgegeben hatte, setzte ich mich zu Joachim wieder an den Tisch.

„So, jetzt haben wir mal etwas Ruhe. Tut mir echt leid, dass ich ständig unterwegs bin.“

„Alles gut, du bist ja nicht zum Vergnügen hier. Wie sind deine Jungs eigentlich so im Benehmen. In dem Alter ist das bestimmt nicht immer einfach für dich, oder?“

Ich musste lächeln und einmal tief Luft holen.

„Ach, das ist echt entspannt. Da bin ich aus meinen Beruf ganz anderes gewöhnt. Wenn die alle so wären, wie meine Tennisjungs, hätte ich noch mehr Haare und weniger graue.“

Joachim musste auch lachen und in diesem Moment kamen unsere Othellos.

„Sag mal, ich würde am Montag gern mit meinen drei oder vier Jungs eine Rundfahrt durch die Stadt machen. Kannst du das organisieren? Oder vielleicht noch besser unser Stadtführer sein? Ich würde mir lieber von dir die Stadt zeigen lassen.“

„Bleibt ihr also den Montag noch?“

„Ja, wir fahren abends zurück nach Halle. Die Jungs haben sich das verdient. So oft kommen sie nicht nach Berlin. Der eine Tag Schule ist zu verschmerzen.“

„Ich glaube, du hast eine besondere Gabe, deine Jungs zu fordern, aber auch zu fördern. So langsam verstehe ich, warum ihr so gut harmoniert. Ich werde für Montag etwas für euch vorbereiten. Allerdings sollten wir früh los, dann lohnt sich das auch. Mittags sollten wir im Fernsehturm sein. Das Restaurant ist ganz gut und die Aussicht grandios.“

„Das ist ein toller Gedanke. Ich war 1984 das erste Mal in Berlin mit der Schule. Da war die Stadt noch geteilt.“

Wir unterhielten uns noch über seine Arbeit und ich erzählte vom Team und auch von meiner anderen Arbeit als Therapeut. Plötzlich stand Burghard bei uns am Tisch.

„Hi, darf ich vorstellen. Das ist Joachim, ein Freund hier aus Berlin. Joachim, das ist Burghard, mein Trainerkollege. Gibt es ein Problem?“

„Ich wollte nur sagen, dass Marek verloren hat und damit meine Jungs alle raus sind. Ich habe mich entschieden, wir fahren noch heute Nachmittag nach Hause. Allerdings hat das einen anderen Grund, als ich gestern noch dachte. Stefan hat am Montag eine wichtige Klausur und er muss dafür morgen noch lernen. Deshalb fahren wir zurück. Das ist doch ok für dich, oder?“

„Klar, ich werde auf jeden Fall bis Montag bleiben. Wir wollen uns noch die Stadt anschauen. Das haben wir uns verdient.“

Burghard lachte und stimmte mir zu. Dann sagte er mir noch, dass ich mal bei Fynn und Tim vorbeischauen sollte. Sie spielten ein tolles Doppel.

Das war für mich das Stichwort, meine kleine Erholungspause zu beenden. Joachim wollte mich begleiten und somit waren wir wenige Augenblicke später am Platz.

Maxi stand mit Dustin am bekannten Punkt hinter dem Zaun und wir gesellten uns zu ihnen.

Fynn: Geiles Doppel mit Tim

Unser zweites Doppel begann noch besser, als das erste aufgehört hatte. Tim war total fokussiert und wir konnten sehr präzise Spielzüge absprechen. Es war toll, mit ihm zu spielen. Die ersten fünf Spiele verliefen ohne Breaks und dennoch hatte ich ein gutes Gefühl. Wir konnten gut mithalten und Tim war keineswegs schlechter als wir anderen. Obwohl er mit Abstand der jüngste war.

Immer wieder redeten wir auf dem Platz miteinander und Tim wurde immer selbstbewusster. Manchmal sagte er sogar an, wohin er aufschlagen wollte. Ich musste zugeben, dass ich Tim dieses starke Auftreten nicht zugetraut hatte. Er pumpte sich immer mehr auf und manchmal musste ich ihn eher bremsen. So machte das Doppel richtig Spaß.

Unsere Gegner waren allerdings richtig gut und so mussten wir im ersten Satz in den Tie-break. Dort machte ich bei 6:7 einen dummen Fehler und wir hatten den Satz verloren. Ich war sehr ärgerlich, denn damit hatte ich Tims tolle Performance zerstört und entsprechend ärgerlich war ich über mich selbst. Bei der Satzpause feuerte ich meinen Schläger etwas heftig gegen die Tasche.

„Mensch, reg dich nicht so auf. Das holen wir im zweiten Satz wieder raus.“

Tim beruhigte mich tatsächlich. Das war schon erstaunlich, wie es ihm gelang, dennoch positiv zu bleiben. Also sollte ich jetzt ganz schnell den Satz abhaken, sonst würde ich derjenige sein, der das Doppel verlieren würde. Das wollte ich auf keinen Fall verantworten. Also riss ich mich zusammen.

„Ok, Tim. Es tut mir leid, aber jetzt werden wir wieder von vorn beginnen und den zweiten Satz gewinnen. Geschenkt bekommen sie den Sieg nicht.“

Tim hielt mir nur seine Hand hin und ich schlug ein. Chris war mittlerweile auch am Platz und hielt sich ganz im Hintergrund. Er ließ uns spielen. Das gefiel mir gut, denn Tim hatte eigentlich alles im Griff und übernahm sogar etwas die Führung auf dem Platz. Das verhalf mir zu etwas mehr Luft und ich konnte so im zweiten Satz freier aufspielen. Den gewannen wir dann auch recht glatt. Also musste der dritte Satz im Champions-Tiebreak das Spiel entscheiden.

Wieder blieb Chris an seinem Platz stehen. Er klatschte nur Beifall und feuerte uns an. Kam aber nicht zum Coachen an die Bank. Er ließ uns freie Hand auf dem Platz. Das war auch eine neue Erfahrung für mich. Fühlte sich komisch, aber auch gut an.

Leider hatten wir ein wenig Pech in diesem Tie-break und verloren das Match knapp. Tim war enttäuscht, vor allem weil er den Matchball mit einem leichten Fehler beendete. Ich sah das anders, denn er hatte ein tolles Match gespielt und auch Chris war sofort bei uns, nachdem das Match vorbei war.

„Hey Jungs, ihr habt ein tolles Match gezeigt. Vor allem von dir, Tim, bin ich total begeistert. Richtig gut gespielt. Das würde ich gerne häufiger sehen.“

„Wir haben aber dennoch verloren. Also kann das so gut auch nicht gewesen sein.“

Ich wurde richtig ärgerlich und wollte schon etwas sagen, aber Chris war schneller und sehr bestimmt.

„Das ist doch kompletter Schwachsinn. Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Euer Gegner war richtig gut und gerade du hast viele wichtige Punkte gewonnen. Ihr habt toll harmoniert und euch gegenseitig unterstützt. Das hat mich sehr beeindruckt. Also hör auf enttäuscht zu sein. Jetzt spielen wir das Halbfinale und morgen Finale bei den deutschen Meisterschaften. Das hatte doch niemand vorher erwartet.“

Nachdem Chris das gesagt hatte, schaute ihn Tim verwundert an und erwiderte nur:

„Also bist du auch zufrieden, wenn man nicht gewinnt? Ich dachte immer, man ist nur gut, wenn man gewinnt.“

„Das ist richtig. Ich kann auch sehr zufrieden sein bei einer Niederlage. Es wird immer jemanden geben, der besser ist als ich. Auch ein Novak Djokovic gewinnt nicht jedes Match. Was für mich zählt ist die Leistung und das, was ich aus meinen Möglichkeiten heraushole. Und da habt ihr beide großes geleistet. So, jetzt geht euch auslaufen und umziehen. In einer halben Stunde treffen wir uns alle zum gemeinsamen Mittagessen.“

„Ja, Chef!“, sagten Tim, Maxi, Fynn und ich im Chor.

Joachim und Chris lachten und damit war das Doppel endgültig abgehakt. Tim und ich nahmen unsere Taschen und stellten sie in der Umkleide ab. Anschließend gingen wir im Grunewald auslaufen.

Als wir an eine Weggabelung kamen, machten wir unsere Dehnübungen und ich schaute mir Tim dabei etwas genauer an. Sein Körper war teilweise noch sehr kindlich, aber im Gesicht zeichneten sich erste Veränderungen ab. Muskulär hatte er deutlich zugelegt und das war auch auf dem Platz sichtbar. Er konnte viel mehr Beschleunigung entwickeln und schlug härter auf, als noch vor vier Wochen.

Seine größte Entwicklung zeigte er aber außerhalb des Platzes. Ich musste mir eingestehen, dass ich sehr skeptisch war, als bekannt wurde, dass Tim mit uns fahren würde. Bislang war er immer nur auf Streit und Stress aus. Hier war nicht viel davon zu sehen gewesen. Das wollte ich nun wissen, warum.

„Sag mal, warum bist du hier so nett zu allen? In Halle machst du nur Stress und nervst rum.“

Tim schaute mich an und stoppte seine Übung. Erst dachte ich, er würde direkt weglaufen, aber er antwortete mir:

„Ich habe keine Lust mehr, immer allein zu sein. Chris hat mit mir gesprochen und mir vieles erklärt. Ich wollte eigentlich nur dazugehören. Nicht immer der Außenseiter sein.“

„Hm, und wie ist das jetzt für dich, wenn du merkst, dass wir dich so akzeptieren wie du bist. Ohne dass du immer im Mittelpunkt stehst.“

„Es ist schön. Ich hatte mich auch sehr über deinen Vorschlag gefreut, mit mir Doppel spielen zu wollen. Ehrlich, damit hatte ich nun gar nicht gerechnet. Ich wollte auch erst nicht mitfahren, als klar wurde, dass Carlo nicht mitkommen würde.“

„Carlo ist dein bester Freund, oder?“

Er wurde ein wenig rot und wollte erst gar nicht antworten. Ich baute ihm eine Brücke.

„Hey, das ist doch ok. Wir mögen Carlo auch sehr. Er ist echt cool. Gut, der Stunt mit Chris Motorrad war keine gute Idee, aber Fehler haben wir alle auch mal gemacht.“

„Ja, Carlo ist ein besonderer Freund für mich. Wir haben keine Geheimnisse voreinander und ich finde es schade, dass er nicht mitkommen konnte. Hoffentlich kann er bald wieder spielen.“

„Ganz sicher. Chris hat uns schon gesagt, dass er gute Fortschritte macht. Was ist eigentlich bei dir in der Schule los? Martina hat gesagt, du hast Probleme mit deinen Noten und deinem Benehmen?“

Erstaunlicherweise ging er nicht gleich zum Angriff über, sondern fragte nur etwas mürrisch:

„Fragst du das, weil du dich lustig machen willst oder meinst du das ernst?“

„Wenn ich mich lustig machen wollte, würde ich dich nicht fragen. Weißt du, Dustin und ich haben auch viele schlimme Sachen erlebt und sind so froh, dass wir in Halle eine Chance bekommen haben. Chris hat uns so geholfen und aufgezeigt, dass es immer einen Weg geben kann. Man muss nur wollen und auch mal um Hilfe fragen. Das Fragen ist nicht einfach, weil man ja allein durchs Leben gehen möchte und nicht immer Hilfe haben will. Aber Chris hat uns gezeigt, wie sehr das helfen kann und dass es nichts mit Schwäche zu tun hat, sondern mit Stärke, wenn man erkennt, wo man noch Hilfe braucht.“

„Heißt das, ihr würdet mir auch helfen, wenn ich euch darum bitten würde?“

„Wenn du dich weiter so verhältst wie hier, ganz sicher, ja. Hast du Probleme zu Hause? Oder warum lassen sich deine Eltern so selten blicken?“

Das war jetzt doch zu viel für Tim. Ich hatte nicht gedacht, dass ich genau damit in ein Wespennest gestochen hatte. Es brach nur so aus ihm heraus und er zog über seinen Vater her, als ob es keinen Morgen mehr gäbe. Da hatte sich ganz viel Wut aufgestaut. Er berichtete von den ständigen Demütigungen, dass sein Vater nie mit ihm zufrieden ist und egal war er tat, immer nur noch mehr Druck bekam. Ich wusste gar nicht, was ich jetzt tun sollte. Ließ ihn sich mal richtig auskotzen. Leider endete das damit, dass er sehr niedergeschlagen war und doch Tränen flossen. Er tat mir richtig leid, denn ich konnte sehr gut nachvollziehen, wie er sich fühlen musste. Der einzige Unterschied zu mir war, er war nicht schwul, und seine Familie hielt nach außen den Schein einer heilen Welt aufrecht. Am liebsten hätte ich ihn jetzt in den Arm genommen, aber ich traute mich nicht. Er wusste ja, dass ich schwul bin und vielleicht würde er sich von mir belästigt fühlen. Wir hatten noch nie darüber richtig gesprochen.

„Hey, beruhige dich wieder. Ich kann dich sehr gut verstehen. Los, lass uns zurück laufen und gemeinsam was essen.“

Dabei legte ich nur ganz vorsichtig meine Hand auf seine Schulter und er schaute mich an und nickte. Er beruhigte sich schnell wieder und während wir langsam zurück joggten, ließ er mich wissen:

„Danke, das tat mal gut, den ganzen Scheiß raus zu lassen. Chris hat mir auch schon angeboten zu helfen. Ich habe aber Angst vor der Reaktion meines Vaters.“

„Chris ist mit Sicherheit genau der richtige für dich. Außerdem biete ich dir an, bei den Schulproblemen zu helfen. Wenn du möchtest, halten wir als Team zusammen.“

„Danke, es ist schön zu wissen, dass ihr mich versteht. Ich hoffe, ich enttäusche euch nicht wieder.“

Mittlerweile waren wir wieder an der Tennisanlage angekommen und ich schickte ihn erst einmal sich frisch machen. Es musste ja nicht sofort auffallen, dass er geweint hatte. Für mich war klar, dass ich mit Dustin und Chris sprechen würde. Tim hatte unsere Hilfe verdient. Wir hatten ihm vermutlich Unrecht getan.

„Hey, wo hast du Tim gelassen? Du hast ihn doch wohl nicht allein im Wald gelassen?“

Typisch Burghard. Immer gleich am meckern. Er saß mit Joachim, Dustin, Maxi und Chris auf der Terrasse.

„Er kommt gleich. Er wollte noch schnell aufs Klo. Ich werde ihn schon nicht allein im Wald lassen. Das wäre mir viel zu gefährlich, weil ich dann von Chris böse Arger bekäme.“

„Guter Junge. Du weißt genau, wie ich ticke.“

Chris grinste und zwinkerte mir zu. Er hatte mich verstanden und damit war das Thema auch durch.

Als Tim ebenfalls bei uns Platz genommen hatte, erklärte uns Chris, dass Burghard mit den ausgeschiedenen Spielern heute nach Hause fahren würde. Also blieben wir zu dritt in Berlin. Maxi wollte auch nach Hause fahren, weil er seine Mutter besuchen wollte. Das konnte ich gut verstehen. Sie war immer noch in der Klinik und bekam eine Chemotherapie.

Nachdem alles geklärt war, verabschiedete sich Burghard mit Maxi von uns. Maxi wünschte uns noch viel Glück und entschuldigte sich, dass er nicht bleiben würde. Für Dustin und mich war das aber vollkommen nachvollziehbar und wir versprachen ihm, mit einem Titel nach Hause zu kommen. Hoffentlich hatten wir nicht zu viel versprochen. Zumindest wollten wir alles dafür tun.

Jetzt waren wir also mit Tim in unserem Team unterwegs und das Mittagessen stand an.

„Was haltet ihr davon, wenn wir uns eine Spielerplatte bestellen?“, fragte Chris.

„Was ist das denn?“

Tim hatte einen eingeschränkten Geschmack. Vieles mochte er noch nicht und entsprechend skeptisch war er.

„Wer lesen kann, ist deutlich im Vorteil“, frotzelte Dustin und zeigte auf eine Tafel am Rand der Terrasse.

„Was meint ihr? Pasta ist sicher reichlich dabei. Soll ich mal eine Platte für vier Personen bestellen?“

„Ok, Chris. Warum nicht? Das ist mal was Neues. Aber warum nur für vier Personen? Was ist mit Joachim?“

Joachim war ein netter Typ, hatte zwar von Tennis wenig Ahnung, aber war immer freundlich und interessiert. Chris schien sich gut mit ihm zu verstehen. Er lachte nach meiner Bemerkung.

„Ich nehme nur einen großen Salatteller. Das reicht mir.“

Chris gab einer Bedienung ein Zeichen und bestellte für uns das Essen und auch eine Runde Getränke.

Chris stand dann auf und wollte mal für kleine Jungs gehen. Das nutzte ich, um Joachim etwas zu fragen:

„Kennst du die Stories von Chris? Oder wie habt ihr euch kennengelernt?“

Er musste lachen und erwiderte:

„Ja, ich kenne sie alle und muss sagen, dass sie mir gut gefallen. Ich habe auch Geschichten bei Nickstories geschrieben und er hatte mir ein Feedback zu meinen Stories geschrieben. So sind wir in Kontakt gekommen. Wir helfen uns gegenseitig beim Schreiben und haben in vielen Punkten sehr ähnliche Vorstellungen. Ich freue mich, dass wir uns endlich persönlich kennengelernt haben. Habt ihr seine Geschichten schon gelesen?“

„Mittlerweile alle, ja. Sie sind wirklich gut gemacht. Bei manchen Geschichten habe ich das Gefühl, dass er sie auch erlebt hat. So real beschrieben sind sie.“

Joachim wurde sehr nachdenklich. Er schien zu überlegen, ob er uns mehr sagen durfte.

„Ja, manche Stellen sind extrem real beschrieben und auch sehr aufwühlend.“

Tim hörte aufmerksam zu und ich hatte das Gefühl, dass Joachim der erste schwule Erwachsene außer Chris war, den er kennenlernte. Joachim war genauso nett zu Tim, wie zu uns. Als Chris zurück kam, fragte ihn Tim:

„Darf ich eigentlich deine Stories auch lesen? Auch wenn ich nicht schwul bin.“

Chris schaute zu uns und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Er begann laut zu lachen.

„Ja, aber sicher doch. Nickstories ist zwar eine Seite mit schwuler Literatur, aber jeder, der sich dafür interessiert, kann sie auch lesen. Du musst das auch nicht heimlich tun. Und wenn du etwas wissen möchtest, dann frag ruhig. Die beiden hier“, dabei zeigte Chris auf Dustin und mich, „können dir sicher auch viele Fragen beantworten.“

Das Essen wurde wenige Augenblicke später gebracht und ich musste schon zugeben, dass diese Platte etwas Besonderes war. Wir ließen es uns richtig gut gehen und auch Tim langte ordentlich zu. Dustin und ich aßen ausreichend, aber nicht zu viel. Wir hatten ja gleich noch das Halbfinale zu spielen.

Während des Essens war Tennis kein Thema. Joachim erzählte uns etwas über sein Berlin und dass er auch hin und wieder in seinem Beruf als Gärtner mit Politikern und Wissenschaftlern zu tun hatte. Diese Abwechslung gefiel ihm sehr, das konnte ich anhand der Art seiner Erzählung spüren. Alle lauschten seinen Erzählungen sehr interessiert.

Während wir am Tisch saßen, wurden die kommenden Paarungen aufgerufen und zeitlich festgelegt. Da hatten Dustin und ich noch etwas mehr Zeit. Unsere Spiele waren die letzten angesetzten Spiele für diesen Tag. Tim sollte das zweite Spiel auf dem kleinen Center Court machen. Er musste sich also zuerst vorbereiten. Chris fragte:

„Möchte sich jemand von euch mit Tim einschlagen? Ich werde die Gegneranalyse erst mit Tim machen und dann könntet ihr auf Platz 13 gehen und euch dort eine halbe Stunde einschlagen.“

„Boah, Chris, das ist unfair. Wir haben uns gerade vollgefressen und jetzt schickst du uns gleich wieder auf den Platz.“

Dustin sagte das so trocken, dass ich für einen Moment nicht wusste, wie er das gemeint hatte. Auch Tim schien das ernst genommen zu haben und machte kein freundliches Gesicht.

Chris hingegen legte seine Hand auf Tims Schulter und beruhigte ihn dadurch.

„Genau deshalb gehst du mit Tim auf den Platz, Dustin. Das ist jetzt eine Traineranordnung, der Folge zu leisten ist. Also, Widerstand ist zwecklos.“

Ich schaute Chris an und er blieb total ruhig und verzog keine Miene. War das jetzt wirklich so ernst gemeint? Erst als Dustin wortlos vom Stuhl aufstand, fing Chris an zu lachen.

„Bleib sitzen. Du hast noch etwas Zeit zum Verdauen. Machst du das mit Tim? Das wäre echt nett von dir. Sonst würde ich das selbst übernehmen. Ihr müsst ja auch noch spielen.“

„Nein, kein Problem, aber ich hatte eben echt gedacht, dass du das absolut ernst gemeint hast. Ich hab mich ganz schön erschreckt.“

„Sorry“, sagte Chris, „aber du hast dich ja auch nicht so eindeutig geäußert. Ich möchte, dass Tim genauso gut vorbereitet ist, wie ihr. Also machst du das mit ihm?“

„Ja natürlich, auf jeden Fall. Ich glaube, ich sollte es langsam besser wissen. Du würdest keinen von uns zwingen.“

Die etwas komische Stimmung lockerte sich schnell wieder auf und Tim und Chris gingen mit dem Laptop etwas abseits und wir blieben am Tisch sitzen.

Chris: Halbfinals

Ich konnte die Anspannung bei Tim deutlich spüren. Dieser kleine Scherz am Tisch, war definitiv nicht klug gewesen. Dafür war Tim noch zu jung. Er brauchte recht lange, um zu verstehen, dass wir Spaß gemacht hatten. Ich hatte ihm jetzt noch einmal klar gemacht, dass er beim nächsten Mal bitte sagen solle, wenn er sich nicht sicher ist, wie das gemeint war.

Jetzt hatte ich sein Spiel mit ihm vorbereitet und je länger wir allein zusammen saßen, desto sicherer wurde er wieder.

„Darf ich dich etwas fragen?“

„Sicher, fragen darfst du alles.“

„Ja ja, ich weiß. Ob ich eine Antwort bekomme, hängt von der Frage ab. Das kenne ich schon. Aber darf ich eigentlich auch mal etwas ausprobieren auf dem Platz? Wir haben ja eine Strategie besprochen und ich würde auch gern mal etwas Neues probieren.“

„Ok, was hast du denn für eine Idee im Kopf?“

„Ich würde auch gern mal Serve and Volley versuchen. So als Überraschung. Also nicht ständig, sondern mal zwischendurch.“

Da staunte ich aber nicht schlecht. Damit hatte ich nicht gerechnet, dass Tim auch solche guten, kreativen Ideen entwickeln würde.

„Natürlich, finde ich sogar sehr gut. Probiere es ruhig aus. Überlege dir nur einen guten Zeitpunkt dafür. Vielleicht nicht unbedingt bei einem wichtigen Punkt.“

„Ok, danke. Ich habe da noch eine Sache, die hat aber nichts mit dem Halbfinale zu tun. Können wir das jetzt noch kurz besprechen?“

„Natürlich. Was liegt an?“

„Dustin hat mich darauf gebracht. Wie du ja weißt, habe ich momentan Probleme in der Schule. Meine Leistungen in Mathe und Englisch sind nicht so besonders gut. Ich habe einfach momentan keinen Bock zu lernen. Ich frage mich ständig nur, wofür mache ich das alles? Mein Vater ist nie zufrieden mit mir und nie ist meine Leistung gut genug. Das macht einfach keinen Spaß mehr. Weißt du, wenn ich mit euch unterwegs bin, zeigst du mir, dass du meine Bemühungen siehst und mich dann auch unterstützt. Selbst wenn ich Fehler gemacht habe, hast du mich nicht fallen lassen. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Ich wollte dir das mal sagen. Danke, für deine Hilfe.“

Das war eine Überraschung, mit der ich so nicht gerechnet hatte. Tim hatte sich mehr Gedanken gemacht, als ich erwartet hatte.

„Danke dir. Deine schulischen Probleme können wir hier nicht bearbeiten, aber lass uns doch zu Hause mal in Ruhe darüber sprechen. Da finden wir sicher einen Weg. Auch das Problem mit deinem Vater können wir nur bearbeiten, wenn du uns vertraust und davon erzählst. Ich finde es schön, dass du das jetzt tust. Ist das aber ok für dich, wenn du dich jetzt nur auf das Match konzentrierst? Oder sollen wir noch weiter darüber sprechen?“

„Nein, du hast sicher recht. Ich geh mich dann mal vorbereiten. Wirst du am Platz sein?“

„Natürlich werde ich dort sein und dich unterstützen. Alle werden das tun. Wir sind ein Team und treten auch so auf. Der Gegner soll merken, dass er nicht nur gegen dich spielt, sondern gegen das Break-Point-Team. Also, auf geht es und mach dich bereit. Wenn etwas sein sollte, sag Bescheid.“

Dann trennten wir uns und ich ging zurück zu den anderen. Dort war nur noch Joachim am Tisch. Dustin und Fynn waren verschwunden.

„Hey, wo sind die beiden denn hin? Haben sie was gesagt?“

„Ja, sie sind zum Platz dreizehn gegangen. Wir sollen dort auch gleich hinkommen. Ich glaube, deine Jungs haben sich was vorgenommen.“

„Na, das will ich doch hoffen. Immerhin sind wir hier bei den deutschen Meisterschaften. Ist das für dich eigentlich nicht langweilig? Ich habe ja leider nicht so viel Zeit, wie ich gerne für dich hätte.“

„Kein Problem. Ich finde es spannend, wie du mit den Jungs umgehst. Eben hast du etwas Niedliches verpasst. Fynn hat seinem Freund einen Kuss gegeben und Tim hat es mitbekommen. Tim wurde richtig rot. Das war lustig. Fynn hat sogar noch einen lustigen Spruch gemacht. Also, die beiden scheinen sich nicht mehr verstecken zu wollen.“

„Ja, das stimmt. Sie haben beide sehr viel an Selbstbewusstsein gewonnen. Sie leben ihre Beziehung immer freier und offener. Das gefällt mir gut. Sie wissen aber auch, dass das Team hinter ihnen steht. Das hilft doch sehr.“

„Und wie ist das eigentlich bei dir mit einer Beziehung? Du bist solo, oder?“

Eine für mich nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Klar, ich konnte einfach sagen, ja, ich bin solo und glücklich. Das war allerdings nicht die ganze Wahrheit. Ich war gern allein und nur für mich verantwortlich. Es gab in der Vergangenheit mit dem Tod von Sabine einen Verlust, den ich bis heute nicht vollständig verkraftet hatte. Immer wieder gingen mir Gedanken durch den Kopf, dass ich auch eine gewisse Verantwortung für ihren Tod hatte. Bis heute, obwohl das schon über dreißig Jahre her war. Es fiel mir sehr schwer, eine erneute Bindung einzugehen. Ich wollte nur für mich verantwortlich sein. In meinem Beruf hatte ich genug damit zu tun, für andere Verantwortung zu übernehmen. Außerdem hatte ich für mich ein gutes Argument. Solange ich so viel arbeiten würde und so wenig zu Hause war, hätte ich kaum Zeit für eine Beziehung. Das war mein Alibi. Vielleicht sollte ich mich doch damit einmal ernsthafter auseinandersetzen.

„Ja, ich bin solo. Ich bin auch meistens damit sehr zufrieden. Bei meinem Zeitplan kann ich das auch keinem Partner zumuten.“

Joachim schaute mich fragend an und ich wusste, was jetzt kommen würde.

„Das könntest du ja ändern. Aber das musst du schon selbst wollen. Naja, wenn du zufrieden bist, ist es doch gut.“

„Weißt du, dass das ein ganz heikles Thema ist? Ich habe leider in meiner Vergangenheit genug Erlebnisse gehabt, weshalb ich allein leben möchte. Das würde jetzt aber den Rahmen sprengen.“

„Verstehe, sorry, ich wollte dich nicht angreifen. Es war mehr ein Interesse an deiner Person und wie es dir geht.“

„Das weiß ich und bin dir auch nicht böse. Ist doch eine verständliche Frage gewesen. Es ist ja auch schön, wenn sich Leute für mich als Mensch interessieren.“

Er lächelte und nickte. Leider war es jetzt Zeit, zu Tim an den Platz zu gehen. Das Halbfinale war bereits aufgerufen worden und sobald das Match auf dem Platz zu Ende sein würde, sollte Tim dort spielen.

„Komm, lass uns mal bei den Jungs vorbei schauen. Es wird gleich für Tim ernst werden und ich weiß, dass er es gern hat, wenn ich mit ihm zum Platz gehe.“

Joachim stand auf und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zum Platz dreizehn.

Meine Jungs erwarteten uns bereits. Dustin schien doch unruhiger zu werden. Er fragte auch zuerst:

„Wirst du uns eigentlich noch etwas zu unserem Match sagen? Oder lässt du uns einfach spielen?“

„Wie soll das aussehen? Wie soll ich euch auf dieses Spiel vorbereiten? Alles was ich sage, wäre doch für den anderen sehr schwierig. Nein, ich halte mich aus diesem Spiel komplett heraus. Ihr könnt frei spielen und ich werde auch keinen von euch mehr unterstützen als den anderen. Habt einfach Spaß an dieser Begegnung. Der Bessere möge gewinnen.“

„Es ist dir egal wer gewinnt?“

„Ja, das ist mir wirklich egal. Ich möchte einfach nur ein gutes Spiel sehen. Also keine Absprachen bitte.“

Beide schauten mich entgeistert an.

„Du spinnst doch. Traust du uns das ernsthaft zu?“

„Nein, nicht wirklich. Dafür kenne ich euch eigentlich zu gut. Aber ihr habt noch nie bei einem offiziellen Turnier gegeneinander gespielt. Das ist vielleicht nicht so einfach.“

„Mal schauen. Nervös bin ich schon etwas mehr, als bei einem anderen Gegner.“

Dustin schaute dabei seinen Freund an, der ihn anlächelte und dann umarmte. Das sah toll aus und Joachim und ich ließen es einfach unkommentiert so stehen.

Mittlerweile hatte das Spiel von Tim bereits begonnen. Tim startete sehr konzentriert und hielt sich konsequent an die besprochene Taktik. Damit hatte er seinen Gegner gut im Griff. Und tatsächlich spielte er auch ein oder zweimal Serve and Volley. Obwohl sein Volley sicher noch ausbaufähig war, machte er damit sogar ein oder zwei sehr schöne Punkte.

Nach diesen Punkten schaute er sofort zu mir und ballte die Faust. Er spielte sich richtig in einen Rausch und ich konnte bei ihm so viel Spaß erkennen, wie schon ganz lange nicht mehr. Das machte auch ganz viel Freude beim Zuschauen. Fynn und Dustin bemerkten das ebenso und gerieten regelrecht in Verzückung. Ich merkte nach dem ersten Satz an:

„So kann Tennis aussehen, wenn es dem Spieler einfach nur Spaß macht. Da geht mir das Herz auf. Wenn er dann auch noch erfolgreich ist, umso besser.“

Leider war es nun so, dass Fynn und Dustin sich aufwärmen mussten. Sobald ein Spiel auf einem der beiden Center Courts zu Ende war, sollten sie dort auflaufen.

Irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl, als ich die beiden von dannen ziehen sah. Sie hatten sich hier immer offener mit ihrer Beziehung gezeigt und bis auf ganz wenige Ausnahmen wurden sie akzeptiert und wegen ihrer sportlichen Leistungen anerkannt. Mal sehen, wie das im Finale sein würde. Ich wusste, dass einer der beiden anderen Halbfinalteilnehmer durch abfällige Bemerkungen aufgefallen war. Allerdings bestand ja noch die Hoffnung, dass dieser Spieler sein Halbfinale nicht gewinnen würde.

Tim spielte seinen Stil mit unglaublicher Freude weiter und schoss seinen Gegner förmlich vom Platz. Es war aber keine Demontage, denn sie behandelten sich äußerst fair und redeten sogar beim Seitenwechsel hin und wieder miteinander. So sollte das sein. Das war eine Demonstration von Freude am Tennis. Sogar als Tim gewonnen hatte, gratulierte sein Gegner fair und blieb gut gelaunt. Er hatte akzeptiert, dass Tim heute einfach eine Klasse besser war.

Ich war mindestens genauso überrascht wie erfreut über diese Performance von ihm. So gelöst und dennoch konzentriert hatte ich ihn noch nie erlebt. Schade, dass Burghard dieses Spiel nicht mehr gesehen hatte.

Tim stand damit im Finale der deutschen Juniorenmeisterschaften seiner Altersklasse. Das hatte zuvor niemand wirklich erwartet. Galt Tim doch als Problemfall. Hier wurde wieder einmal deutlich, wie wichtig es beim Tennis ist, auch die Seele in einen guten Zustand zu versetzen, um eine hervorragende Leistung bringen zu können.

Joachim und ich gingen zu ihm an die Bank und bevor ich nur ein Wort sagen konnte, lief Tim auf mich zu und umarmte mich freudestrahlend.

„Danke, Chris. Jetzt habe ich begriffen, was es heißt Freude am Spiel zu haben. Das war so geil, zu wissen, dass du mir vertraust und mich spielen lässt.“

Seine Freude und Euphorie war wirklich spürbar. So gelöst hatte ich Tim noch nie erlebt, ein vollkommen befreites Lachen und ich musste ihn auch gar nicht auslaufen schicken. Das machte er freiwillig. Erstaunlich.

Joachim grinste sich eins, als er sah, mit welcher Freude Tim mich umarmt hatte.

„Du musst für ihn etwas Besonderes sein. So viel Vertrauen in diesem Alter ist sonst eher ungewöhnlich.“

„Ich versuche einfach nur da zu sein, wenn er mich braucht. Mehr mache ich eigentlich nicht.“

Joachim nickte nur und er musste uns nun für heute verlassen. Er hatte noch etwas anderes vor. Wir verabredeten uns allerdings für morgen, um noch ein wenig die Stadt kennenzulernen.

Jetzt stand für mich ein entspanntes Halbfinale an. Was die Jungs noch nicht wussten, die Halbfinalspiele bei der U21 Konkurrenz wurden bereits mit Schiedsrichtern gespielt. Hier sollten Nachwuchsschiedsrichter ausgebildet werden. Es ist schon etwas anderes zu spielen, wenn ein Schiedsrichter zählt und entscheidet. Sonst entscheiden die Spieler über die Punkte.

Ich ging also meine Jungs suchen und wurde auch schnell fündig. Sie saßen auf der bekannten Bank unter der großen Linde. Sie redeten über das kommende Spiel und freuten sich über den Erfolg von Tim.

„Hi Chris, Tim war eben hier und so lustig und freudestrahlend habe ich den ja noch nie erlebt.“

„Ja, Fynn. Er hat aber auch mega geil gespielt. Das war absolut beeindruckend, wie er sich präsentiert hat. Wie geht es euch jetzt? Seid ihr nervös?“

„Weiß nicht so richtig“, sagte Dustin zögerlich, „ich hoffe, dass wir uns nicht streiten auf dem Platz. Eigentlich würde ich am liebsten gar nicht spielen.“

„Das klappt schon. Außerdem bekommt ihr einen Bundesligaschiedsrichter auf den Stuhl gesetzt. Hier wird bereits im Halbfinale bei euch mit einem Schiedsrichter gespielt. Also deswegen braucht ihr euch schon mal nicht zu streiten.“

Sie schauten sich an und schon brachen wir in Gelächter aus. Das tat beiden sehr gut, denn so baute sich die Anspannung etwas ab.

„Leute, genießt das Spiel einfach. Es soll euch Spaß machen. Das Ergebnis ist mir egal, ich möchte gutes Tennis sehen.“

Dann schlug ich beide ab und ließ sie wieder allein. Ich wollte ihnen das Gefühl geben, dass es wirklich nicht wichtig war, wer von beiden gewinnen würde. Allerdings blieb ich schon in ihrer Nähe. Sie sollten spüren, dass ich großes Interesse an diesem Spiel hatte.

Was ich dann zu sehen bekam, war beste Unterhaltung und ich stellte mir die Frage, ob es ein Halbfinale oder ein Trainingsmatch war. Dustin und Fynn waren beide derart gelöst und entspannt, dass sie demonstrativ gemeinsam auf einer Bank saßen. Das gab es eigentlich nie in einem Turniermatch.

Allerdings war es für Dustin doch noch eine zu große Herausforderung. Er konnte einfach noch nicht seine Leistung zeigen, zu der er imstande gewesen wäre. Der Sieg von Fynn war nie in Gefahr und es war immer wieder niedlich, wie Fynn seinen Freund aufbaute. Bei jedem Seitenwechsel sprachen sie miteinander und er versuchte, seinen Freund auch wieder zu lockern, wenn er erneut einen leichten Fehler gemacht hatte.

Nach dem Matchball waren dann aber auch beide froh, dass es vorbei war. Es gab kein normales Handshake, sondern eine herzliche Umarmung. Fynn hatte sogar den Mut, seinen Freund auf dem Platz zu küssen. Das führte jedoch zu leichter Unruhe beim Schiedsrichter. Denn er wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Ich betrat den Platz und gratulierte beiden zu dem Match.

Dustin schien nicht zufrieden zu sein. Er machte doch einen niedergeschlagenen Eindruck.

„Hey, du hast keinen Grund enttäuscht zu sein. Ich weiß, dass du mehr kannst. Allerdings hast du vermutlich die Situation doch etwas unterschätzt. Es ist halt nicht so einfach, gegen seinen Freund zu spielen. Ich habe aber großen Respekt vor dem, was ich gesehen habe.“

Dustin schaute mich aus traurigen Augen an und auch Fynn war nicht sonderlich glücklich über diesen Sieg.

„So ein Match möchte ich nicht häufig haben. Das ist total blöd. Ich kann mich nicht mal richtig freuen, ins Finale bei den deutschen Meisterschaften gekommen zu sein.“

„Noch nicht“, erlaubte ich mir mit einem Lächeln zu antworten.

Ich setzte mich zu Dustin auf die Bank und legte meinen Arm um ihn.

„Komm, sei nicht so traurig. Das war nicht einfach. Es ist aber eine sehr wichtige Erfahrung und das macht dich nur stärker. Los, zieht den Platz ab und dann ist Schluss für heute. Auslaufen, duschen und eine schöne Massage für euch beide.“

Ich stand auf und ließ die beiden allein machen. Ich wusste, dass es jetzt besser war, Fynn die Aufgabe zu überlassen, sich um seinen Freund zu kümmern.

Tim erwartete mich etwas abseits vom Platz. Dort ging ich jetzt hin.

„Na, hast du noch etwas vom Spiel der beiden gesehen?“

„Ja, die letzten Spielzüge, aber ich habe etwas anderes mitbekommen. Es wird über die beiden ziemlich heftig geredet. Einige finden es sogar pervers, dass sie sich während des Spieles auch geküsst haben. Sie regen sich darüber auf, dass gehöre sich nicht. Einer der Elternteile hat sich sogar bei der Turnierleitung beschwert.“

„Echt? Das ist interessant. Wie denkst du denn selbst darüber?“

Tim schaute nur für einen kurzen Augenblick etwas unsicher, dann sagte er sehr bestimmt:

„Ich finde es toll, dass sie sich so zeigen. Wenn ein Paar Mixed spielt, regt sich keiner darüber auf. Ich bin nur gespannt, ob die Turnierleitung reagieren wird. Mich regen diese Labertaschen einfach nur auf. Es hat ja keiner den Mut, das den beiden direkt zu sagen.“

Ich war jetzt sehr neugierig, ob und wie die Turnierleitung reagieren würde. Fynn musste sich ja jetzt dort melden, um die Zeit für das morgige Finale zu erhalten.

„Sehr interessant was du berichtest. Ich habe schon lange darauf gewartet, dass sich jemand darüber aufregt oder es ablehnt. Mal sehen, ob die Turnierleitung sich dazu äußert.“

„Ich finde das lächerlich. So typisch für Tennis. Die Funktionäre sind alle noch im Mittelalter.“

Tim fing an sich richtig aufzuregen.

„Lass gut sein. Zum Einen kannst du nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt auch vernünftige Funktionäre. Denk mal an Antonius. Also halte dich ein wenig zurück. Sollte übrigens jemand die beiden beleidigen oder angreifen, dann möchte ich das wissen. Also nicht mit den Leuten Streit anfangen. Das ist meine Aufgabe, ok?“

Er nickte zwar, sagte jedoch:

„Nur, wenn du versprichst, denen dann auch zu zeigen, wie dumm sie sind.“

„Versprochen, aber das tu ich gegebenenfalls dann auf meine Art. Denk bitte dran, es geht um Dustin und Fynn. Und sie müssen es aushalten, also bitte keine Alleingänge.“

Dann gingen wir zurück zum Clubhaus und irgendwie hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Mehr als sonst. Oder war es mir vorher nur nicht aufgefallen?

Als die Durchsage kam, dass ich mich bitte bei der Turnierleitung melden sollte, wurde es doch noch spannend. Als ich den Raum betrat, spürte ich eine gereizte Stimmung. Fynn stand vor dem Tisch der Turnierleitung und schien auf mich gewartet zu haben.

„Ah, hi Chris. Schön, dass du gleich hergekommen bist. Wir haben ein Problem.“

„So? Will die Turnierleitung dich nicht für das Finale zulassen, weil du deinen Freund auf dem Platz geküsst hast?“

Das sagte ich bewusst so laut, dass es jeder im Raum hören konnte. Klar, es war eine Provokation, aber ich wollte keinen Zweifel an meiner Position lassen.

Die Reaktion des Turnierdirektors ließ auch nicht lange auf sich warten.

„Sie wissen von der Beziehung der beiden?“

„Was denken Sie denn wohl? Wir leben im 21. Jahrhundert. Da ich mit den Jungs zusammen arbeite, haben wir das auch von Beginn an klar geregelt. Gibt es ein Problem?“

Innerlich war ich auf hundert achtzig. Aber ich hatte noch so eine Ahnung, dass der Turnierdirektor vielleicht etwas ganz anderes wollte.

„Äh, nein. Für uns als Veranstalter überhaupt nicht. Im Gegenteil, wir finden das richtig toll, dass endlich einmal ein schwules Paar so gut Tennis spielt. Manche Eltern waren zwar nicht so begeistert, aber deswegen werden wir nichts unternehmen. Wir wollten nur sichergehen, dass die beiden von ihnen unterstützt werden. Fynns Gegner im Finale könnte da nämlich problematisch werden.“

„Warum?“, fragte ich.

„Schau ihn dir einfach an und du weißt warum“, sagte Fynn ziemlich verbittert.

Ich ließ mir den Sachverhalt erklären. Dann war klar, das würde Probleme geben. Der Gegner war eindeutig der rechten Szene zuzuordnen und seine Eltern schienen dem ebenfalls nicht abgeneigt zu sein.

„Keine Panik. Das regle ich auf meine Art. Am besten du schießt ihm einen Ball auf die Zwölf und schon ist das Problem gelöst. Das Tragen von Waffen ist ja nicht erlaubt. Von daher, kein Problem. Du bist ihm vom Intellekt um Lichtjahre voraus. Also zeig ihm, wo es lang geht. Die Eltern sind meine Baustelle. Du machst das auf dem Platz.“

Der Turnierdirektor bekam einen Lachanfall. Er lachte Tränen. Dann sagte er Luft schnappend:

„Wow, das ist echt geil. So und nicht anders muss das laufen. Sollten sich die Eltern nicht an die Regeln halten, greifen wir sofort ein. Versprochen. Ihr seid viel besser im Team. Das wird schon werden. Solche Leute dürfen und werden auf Dauer keinen Erfolg haben.“

Das war also geklärt und Fynn schien etwas beruhigt zu sein. Dennoch begleitete ich ihn zu seinem Freund und wir sprachen noch kurz über das kommende Finale. Als Fynn spürte, dass ich ihm jederzeit den Rücken frei halten würde, beruhigte er sich und ging endlich duschen.

„Dustin, pass gut auf Fynn auf. Er soll sich nicht so aufregen. Spielerisch kann er locker mithalten. Alles andere ist nicht seine Baustelle. Am besten, ihr geht einfach gleich mal durch den Wald und lenkt euch ab. Ok?“

Dustin nickte und ich wusste, dass meine Jungs das schaffen würden.

Das Finale sollte dann Tennisgeschichte schreiben. Und der Veranstalter war so clever, dass er die Lokalpresse eingeladen hatte, speziell über Dustin und Fynn zu berichten. Es sollte noch vor dem Finale ein kleines Interview stattfinden. Die Jungs bestanden aber darauf, dass ich dabei sein sollte. Also sagte ich das natürlich zu.

Eine gute Stunde später standen wir drei wieder im Büro der Turnierleitung und warteten auf die Presse. Wir waren natürlich alle in Teamkleidung erschienen und als eine junge Frau den Raum betrat und sich als Pressevertreterin vorstellte, staunten die Jungs nicht schlecht. Sie war in etwa zwanzig Jahre alt und sah sehr sportlich aus. Sie erzählte uns, dass sie in Berlin selbst in einer Damenmannschaft spielte und schon lange darauf gewartet habe, dass es endlich auch einmal ein schwules Paar im Herrenbereich geben würde. Bei den Damen gab es das durchaus häufiger.

Das Interview entwickelte sich sehr gut und die beiden Jungs wurden immer selbstbewusster, als sie spürten, dass sie Rückendeckung auch noch von der Presse bekamen. Abschließend wurden noch einige Bilder gemacht, auch mit mir als Coach. Dann wünschte sie Fynn viel Erfolg und sagte zum Schluss:

„Ich würde gerne mit dir dann das Siegerinterview bei der Siegerehrung machen. Also sieh zu, dass du gewinnst.“

Dieses Interview war eines der besten, denen ich beiwohnen konnte. Sehr präzise gefragt und mit gutem Fachwissen.

Außerdem hatte es einen guten Nebeneffekt, denn meine beiden waren abgelenkt und Fynn konnte sich danach direkt auf das Finale vorbereiten. Tim spielte sein Match nahezu parallel. Er fing zwar früher an, aber das würde sicher noch nicht zu Ende sein, wenn Fynn auf den Platz gehen würde.

Den Abend ließ ich Fynn und Dustin einfach in Ruhe. Ich wollte ihnen Zeit und Raum geben, sich zu erholen und nach Möglichkeit Normalität aufkommen lassen. Fynn war eh nervös genug, da musste ich nicht noch mit Tennis kommen. Wir spielten eine Runde Siedler am Abend vor dem Schlafengehen und das half allen, sich zu beruhigen.

Bevor Fynn ins Bett ging, kam er noch einmal zu mir.

„Du glaubst an uns, oder? Ich wollte mal Danke sagen. Du bist immer ruhig und gelassen und kannst mich jederzeit beruhigen. Das fühlt sich toll an, danke.“

„Natürlich glaube ich an euch. Ich weiß, dass du morgen alles geben wirst. Du hast gar keinen Druck, also mach dir auch keinen. Dann wirst du gewinnen. Und jetzt gehst du zu deinem Freund und lässt dich noch etwas von ihm verwöhnen. Schlaft gut und bis morgen früh.“

Die Nacht wurde wirklich sehr ruhig und auch erstaunlich entspannend für mich.

Dustin: Finale mit großem Ballyhoo

Man, war ich nervös vor dem Finale. Ich war viel unruhiger, als vor meinen eigenen Matches. Fynn hingegen war äußerlich gut drauf und auch das Interview hatte ihm viel Selbstvertrauen zurückgegeben. Hoffentlich würde es mit dem Gegner nur eine sportliche Auseinandersetzung geben. Mich machten diese Eltern nervös. Sie hatten ja offen gegen Fynn protestiert und auch beim Einschlagen standen sie demonstrativ auf der anderen Seite des Platzes. Die Mutter beäugte jeden Ball ihres Sohnes und der Vater war nur auf Krawall aus. Einfach nur peinlich diese Leute. Vor allem, weil der Sohn ja bereits erwachsen war.

Mit jeder Minute, die verstrich, wurde ich unruhiger. Das Finale wurde auf dem großen Center Court gespielt und der Schiedsrichter gab sogar die noch verbleibende Zeit des Einschlagens bekannt. Das hatte ich so bislang nur bei den großen Turnieren erlebt. Chris war noch bei Tim und bevor es richtig los ging, holte der Schiedsrichter beide Spieler ans Netz. Es wurde die Seitenwahl gemacht und die Regeln erklärt. Hier wurde der dritte Satz ausgespielt.

Fynn hatte die Wahl gewonnen und sich für Rückschlag entschieden. Es wurden noch einige Bilder gemacht und dann sollte es losgehen. Fynn schaute zu mir und seine Augen sagten mir, dass er total entschlossen war, seinem Gegner die Grenzen aufzuzeigen. Ich war so nervös, dass ich schon wieder aufs Klo laufen musste. Im Laufschritt ging es ins Clubhaus auf die Toilette.

Als ich zurück kam, stand es 1:0 für Fynns Gegner. Fynn schlug aber jetzt auf und das tat er auch gleich sehr bestimmt. Zu Null gewann er sein erstes Aufschlagspiel. Das war für mich beruhigend, denn mein Puls war deutlich erhöht und ich spielte jeden Punkt im Geiste mit.

Der erste Satz war sehr ausgeglichen, aber es gab wenige Highlights. Erst als es 5:5 stand und der Gegner aufschlug, spürte ich die gestiegene Anspannung auch bei Fynn. Er schaute immer nur auf den Ball oder den Gegner. Nicht mehr zu mir. Das irritierte mich. Sonst hatten wir nach jedem Punkt einen kurzen Blickkontakt.

Ich erschrak, als ich plötzlich Chris neben mir hörte:

„Hey, entspann dich mal wieder etwas. Du atmest ja kaum noch.“

Dabei legte er seinen Arm auf meine Schulter und ich zuckte zusammen. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass Chris schon eine ganze Weile neben mir stand.

„Das sagst du so einfach. Irgendetwas stimmt nicht bei Fynn.“

Chris schaute mich verwundert an und fragte: „Wie kommst du denn darauf? Mir ist gar nichts aufgefallen, außer dass er sehr fokussiert auf den Ball ist.“

„Genau deswegen. Er schaut gar nicht mehr zu mir. Sonst haben wir immer Blickkontakt nach den Punkten.“

Chris lächelte und wieder wurde mir ziemlich heiß. Ich war so angespannt, aber Chris behielt die Ruhe.

„Ach so, du kannst beruhigt sein. Das ist in meinen Augen sehr positiv. Er konzentriert sich von Punkt zu Punkt. Er weiß doch auch, dass jetzt ein Break sehr wichtig sein kann. Da hat er einfach keine Kapazität mehr für dich. Er braucht dich aber genauso wie sonst auch. Er weiß, dass du anwesend bist und mitspielst. Glaub mir, das passiert ganz unbewusst.“

Wie Chris das immer nur so auf den Punkt bringen konnte. Er hatte stets eine plausible Erklärung. Und zusätzlich erklärte er es auch immer so, dass nie das Gefühl aufkam, man hätte keine Ahnung, sondern er gab mir die Chance, etwas zu lernen. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. So hatte ich das immer von meinem Vater geträumt. Leider aber nie bekommen. Chris gab mir dieses Gefühl immer wieder.

Mittlerweile stand es Einstand und der erste Aufschlag war eindeutig eine Netzberührung. Der Schiedsrichter hatte es aber nicht gehört und Fynn reagierte erst gar nicht, weil er ja dachte, es war Netzberührung. Der Schiedsrichter gab den Punkt an Fynns Gegner.

Fynn ging zum Schiedsrichterstuhl und beschwerte sich. Das wiederum nutzte der Gegner, um sofort anzufangen zu pöbeln. Ich wollte schon darauf antworten, aber Chris sagte ganz trocken:

„Du hältst dich da raus. Meine Baustelle, nicht deine.“

Dann ging er ganz ruhig zum Schiedsrichter und zu Fynn. Er sagte etwas zu Fynn und schon stellte sich Fynn wieder auf den Platz. Chris blieb jetzt aber ganz nah am Schiedsrichterstuhl stehen. Ich konnte das nicht verstehen. Fynn wurde klar benachteiligt und Chris gab dem Schiedsrichter auch noch recht.

Innerlich regte mich das stark auf. Ich wollte am liebsten dem Schiedsrichter die Meinung sagen, aber Chris hatte mir klar gesagt, dass er erwartete, dass ich mich da heraushalten sollte. Das fiel mir sehr schwer.

Fynns Gegner gewann das Aufschlagspiel und die Seiten wurden gewechselt. Fynn ärgerte sich immer noch sehr. Ich konnte es sehen. Chris blieb ganz ruhig und zeigte Fynn dadurch, dass es keinen Grund gab, sich weiter zu ärgern. Fynn beruhigte sich nur langsam, ich kochte innerlich vor Wut.

Chris sagte noch zwei oder drei Worte zu Fynn und dann nickte er ihm noch einmal zu und Fynn nickte. Irgendetwas war passiert. Ich stand zu weit weg, um es hören zu können.

Fynn legte einfach sein Handtuch über seinen Kopf und lehnte sich zurück. Dann sagte der Schiedsrichter „Time“ und Fynn legte das Handtuch weg und ging wieder auf den Platz. Dieses Aufschlagspiel wurde quasi zu einer Machtdemonstration. Sein Gegner bekam nur einmal den Schläger an den Ball, ansonsten schlug Fynn unfassbar gut auf. Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten, jubelte laut und feuerte Fynn weiter an, als es in den Tiebreak ging. Dort schlug er seinem Gegner drei Passierbälle um die Ohren, die meiner Meinung nach Weltklasse waren. Fynn gewann den Tiebreak und damit den ersten Satz.

Sein Gegner verließ kurz den Platz, um sich etwas frisch zu machen und zur Toilette zu gehen. Das nutzte ich natürlich aus, um meinem Freund sehr nahe zu sein. Chris stand wie ein Bodyguard hinter ihm und verzog keine Miene. Seine dunkle Ray Ban Brille auf der Nase, machte ihn wirklich furchterregend.

Ich setzte mich für einen Augenblick neben meinen Freund und wir redeten kurz miteinander.

„Wie fühlst du dich?“, fragte ich ihn.

Er lachte.

„Richtig gut. Das Spiel macht Spaß, aber der Typ ist echt ´ne Hohlbirne. Das ist teilweise einfach nur peinlich. Auch die Eltern gehen gar nicht. Aber Chris hat ja recht, am besten ich schlage ihn einfach und gut ist.“

Dafür musste ich meinem Freund einen Kuss auf die Wange geben. Das regte die Eltern gleich wieder auf und sie machten ein paar richtig fiese Bemerkungen. Ich hatte schon Luft geholt, um ihnen gehörig Kontra zu geben, aber Chris machte erneut klar, dass er das nicht wünschte.

„Du hältst die Klappe. Kein Ton kommt da jetzt von dir. Ich sage es noch einmal. Meine Baustelle.“

Fynn bekam sogar einen kleinen Lachanfall. Mir war das peinlich, aber gut, Chris war der Boss und bislang hatte er immer alles richtig gemacht.

Der Gegner kam zurück und ich verließ wieder die Bank. Erst, als das Spiel wieder begonnen hatte, verließ auch Chris seine Position hinter der Bank. Ich saß wieder auf der Tribüne und hatte gedacht, Chris würde ebenfalls wieder zu mir auf die Tribüne kommen. Es kam anders, denn Chris verließ den Platz komplett.

Was ich total vergessen hatte, Tim spielte ja auch sein Finale. Verdammt, ich hatte nicht einmal bei ihm geschaut. Allerdings wollte ich jetzt Fynn nicht allein lassen. Leider fing der Vater von Fynns Gegner jetzt an, sich immer häufiger einzumischen und Entscheidungen anzuzweifeln. Er diskutierte mit dem Schiedsrichter und das führte dazu, dass es immer mehr Unterbrechungen gab. Ich wäre wahnsinnig geworden, hätte ich an Fynns Stelle spielen müssen.

Fynn hingegen blieb relativ gelassen, aber als der Vater anfing, auch ihn anzugreifen, gab er mir zu verstehen, dass er Hilfe brauchte. Ich machte mich sofort auf den Weg direkt an die Bank.

Als Fynn einen Stoppball gespielt hatte, den sein Sohn nicht erlaufen hatte, begann der Vater wieder zu pöbeln.

Was der Vater da von sich gegeben hatte, möchte ich hier nicht wiedergeben. Das verbietet der Anstand. Allerdings riss bei Fynn jetzt der Geduldsfaden und ich spürte, dass ich ihn jetzt beruhigen musste. Glücklicherweise meldete sich der Schiedsrichter vorher.

„Ich verwarne hiermit den Spieler und fordere Sie auf, die Tribüne zu verlassen. Sollten Sie weiterhin versuchen, mit unsportlichen Mitteln das Spiel zu beeinflussen, werde ich ihren Sohn disqualifizieren.“

Vollkommen empört fing der Vater an, sich mit dem Schiedsrichter anzulegen und in dem Moment, wo er dann sagte: „Es ist schon überhaupt eine Frechheit, dass Schwule hier überhaupt zugelassen werden, aber dass sie nun auch noch bevorteilt werden, ist der Gipfel der Unverschämtheit.“ tauchte Chris auf. Endlich. Er hatte Tim dabei, der noch das breiteste Grinsen im Gesicht hatte, das man sich vorstellen konnte.

Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte stieg Chris direkt auf diese Aussage ein.

„Wenn Sie sich jetzt nicht augenblicklich entfernen, werde ich dafür sorgen, dass Sie bis auf weiteres keinen Tennisplatz werden betreten dürfen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Chris war äußerlich ganz ruhig, aber an seiner Stimme spürte ich die Wut in ihm. Er baute sich bedrohlich nahe vor dem Vater auf und ich dachte schon, es würde eine Schlägerei geben.

Chris blockte jeden Versuch ab, dass der Vater näher an den Platz kommen konnte. Dann tauchte der Oberschiedsrichter auf und ließ den Vater umgehend entfernen.

Der Oberschiedsrichter erkundigte sich anschließend beim Schiedsrichter über die Vorfälle. Er verwarnte Fynns Gegner eindringlich und erst nach etwa zehn Minuten konnte das Finale fortgesetzt werden. Allerdings blieb der Oberschiedsrichter die ganze Zeit am Platz. Komischerweise wagte der Gegner nun keine weiteren Versuche mehr.

Es dauerte aber auch einige Zeit, bis Fynn sich wieder gefangen hatte. Allerdings zerlegte er dann seinen Gegner nach Strich und Faden. Er führte ihn förmlich vor und alle Zuschauer waren auf Fynns Seite und klatschten bei jedem Punkt. Das Publikum hatte sich eindeutig auf unsere Seite geschlagen und entsprechend laut wurde es vor dem Matchball. Der Schiedsrichter musste zweimal um etwas mehr Ruhe bitten. Fynn schlug zum Matchgewinn auf und verwandelte den ersten Matchball mit einem Ass. Sieg! Deutscher Meister!

Es hielt mich jetzt nichts mehr auf der Tribüne. Ich stürmte auf den Platz, wo mich Fynn schon mit ausgebreiteten Armen erwartete.

Wir umarmten uns und er gab mir sogar noch auf dem Platz einen Kuss. Das Publikum jubelte und klatschte Beifall. Allerdings bekam ich das kaum noch mit, denn dieses Gefühl, von Fynn gehalten zu werden und die Freude zu spüren, ließ mich in einen Tunnel fallen.

Erst ein: „Wenn die Herrschaften vielleicht Zeit hätten für ein Siegerfoto?“

Chris stand mit Tim bei uns und sie grinsten beide.

„Ok, aber nur kurz. Ich geb Dustin nur ungern dafür her.“

Es löste sich bei uns allen die Anspannung und der Turnierleiter kam auch zum Gratulieren. Er erklärte Fynn, wie die Siegerehrung stattfinden sollte. Es war eine gemeinsame Ehrung aller Sieger und Platzierten auf dem Center Court geplant. Aber erst in einer halben Stunde, weil dafür der Platz noch hergerichtet werden musste.

„So, ihr beiden. Hier ist noch ein weiterer glücklicher Gewinner. Tim hat sein Finale ebenfalls gewonnen. Vielleicht gratuliert ihr ihm auch einmal.“

Mir war das etwas unangenehm, denn ich hatte nicht einen Punkt von ihm gesehen. Dann hatte er auch noch gewonnen und wir ihm noch nicht einmal gratuliert.

„Sorry Tim“, sagte ich, „ich war mit Fynn so beschäftigt, dass ich es vollkommen verpennt hatte, bei dir auch einmal zu gucken. Dennoch finde ich das mega geil, dass du auch gewonnen hast.“

Er strahlte und freute sich, als Fynn und ich ihm gratulierten und er umarmte sogar uns beide. Ein tolles Gefühl, so einen Zusammenhalt zu haben. Leider hatte Chris auch noch anderes im Kopf.

„So, jetzt seht aber zu, dass ihr unter die Dusche kommt. Wir haben noch einiges vor heute.“

„Schon gut, Sklaventreiber. Wir gehen ja schon.“ Typisch Tim, flapsig halt.

Chris nahm das als Anlass, Tim zu packen und heftig zu kitzeln. Es dauert nur Sekunden bis Tim am Boden lag und sich vor Lachen nicht mehr halten konnte. Chris hatte Mitleid und half ihm wieder auf die Beine und wir machten uns zu dritt auf in die Dusche.

Chris unterhielt sich noch einen Moment mit dem Oberschiedsrichter, aber ich bekam das nicht mehr richtig mit. Fynn hielt mich die ganze Zeit im Arm und auch Tim war in unserer Runde dabei.

„Leute, wie geil ist das denn bitte? Wir haben zwei deutsche Meistertitel in der Tasche.“ Das platzte spontan aus Fynn heraus.

„Ja, wer hätte das vorher gedacht. Aber ohne Chris hätten wir das nicht geschafft. Wir sollten uns auch mal darüber Gedanken machen.“

Das kam ausgerechnet von Tim, dem ich das vor einigen Wochen nun gar nicht zugetraut hatte, auch mal auf die anderen zu schauen. Ich blickte zu Fynn, der nur wortlos nickte. Wir wussten, dass Tim absolut recht hatte. Ohne Chris wären wir niemals hier gelandet und innerhalb weniger Minuten waren wir uns einig, dass es eine Überraschung für Chris geben sollte. Was das sein würde, wird an dieser Stelle aber nicht verraten.

Die halbe Stunde verging im Fluge und zum Ende mussten wir uns sogar noch beeilen. Fynn hatte noch in der Umkleide den Siegersekt geöffnet und jeder von uns hatte einen großen Schluck genommen. Auch Tim hatten wir erlaubt, einen Schluck zu nehmen. Hoffentlich würde Chris nicht sauer werden, aber ich fand, das hatten wir uns verdient.

Als wir uns in unseren Teamanzügen zur Siegerehrung aufmachten, war der Platz komplett hergerichtet. Es gab einen Tisch auf dem alle Pokale standen und auch an der Seite lagen große Kartons. Überall waren Sponsorenbanner und Fahnen aufgestellt worden und einige Leute in Anzügen standen bereits neben der Mikrofonanlage. Sie unterhielten sich mit den Turnieroffiziellen und viele der anderen Spieler und Spielerinnen standen bereits am Rande oder saßen sogar auf der Tribüne.

Chris nahm uns mit einem Lächeln in Empfang.

„Na, habt ihr euch wieder etwas beruhigt? Es geht gleich los. Hast du dir schon überlegt, was du sagen willst, Fynn?“

„Ich? Ich muss doch nicht etwa eine Rede halten?“

„Doch klar, der Sieger der Nachwuchsklasse muss natürlich etwas sagen. Außerdem wird dir ja auch jemand besonderes den Pokal überreichen.“

Ich musste lachen, denn Fynn hielt nicht viel von diesem ganzen Brimborium. Aber es gehörte halt dazu. Außerdem war es ja auch eine Bestätigung der guten Leistungen, wenn man bei einer Siegerehrung etwas sagen musste.

„Außerdem hab ich hier etwas für dich, dass dich interessieren könnte. Schau mal.“

Chris gab Fynn sein Smartphone und Fynn las eine Mitteilung und bekam dabei große Augen. Als er fertig war, zeigte er mir wortlos die Nachricht. Sie war von seinen Eltern, die sehr stolz auf ihn waren. Das Schönste war aber, dass auch sein Vater ihm ein paar Zeilen geschrieben hatte. Fynn war sichtlich bewegt davon. Chris nahm mir das Handy ab und sagte:

„Das ist doch eine tolle Geste, oder nicht? Ich freue mich, dass es bei euch zu Hause voran geht. So, jetzt geht es aber hier los.“

In der Tat ging es jetzt los. Der Turnierdirektor begann mit den üblichen Worten und dankte den Sponsoren und den Zuschauern. Als er endlich dazu kam, die ersten Sieger ehren zu wollen, sagte er:

„So, bevor ich nun zum wichtigsten Teil komme, der Pokalübergabe, möchte ich noch jemanden begrüßen, der hier selbst einmal als Titelträger geehrt wurde. Das ist zwar schon einige Zeit her, aber ich vermute mal, dass diese Person immer noch bei euch wohlbekannt ist. Ich darf unseren Ehrengast sehr herzlich begrüßen. Hier ist er - Michael Stich.“

Und tatsächlich kam dieser aus dem Schatten einer Tafel hervor und es brandete lauter Applaus und Jubel auf. Er ging zum Turnierdirektor und ließ sich das Mikrofon geben.

„Liebe Tennisfreunde, vielen Dank für die nette Begrüßung. Ich habe heute die Ehre, die Pokale und Preise zu übergeben. Es freut mich immer sehr, dem Nachwuchs zuzuschauen. Insbesondere, wenn dieser so gut ist, wie in diesem Jahr.“

Er begann mit den jüngsten Teilnehmern und bald war Tim dran. Michael Stich übergab ihm den Pokal und einen Gutschein. Außerdem bekam er, wie jeder andere Sieger auch, ein paar Eintrittskarten für das ATP Turnier in Hamburg, bei dem Michael Stich als Turnierdirektor fungierte. Tim musste für ein paar Fotos den Pokal zeigen und dann ging es mit den nächsten Konkurrenzen weiter.

Ich schaute mich um und war erstaunt, wie viele Leute noch zur Siegerehrung geblieben waren. Die Familie von Fynns Gegner konnte ich aber nirgends erkennen. Sollten sie die Siegerehrung etwa versäumen?

Fynn und ich standen die ganze Zeit dicht nebeneinander und als Michael Stich zur Junioren-Konkurrenz kam, wurde es plötzlich stiller.

„Jetzt komme ich zum Höhepunkt der diesjährigen Meisterschaften. Im Finale der U 21 Klasse haben wir ein Beispiel großer Sportlichkeit gesehen. Der Sieger glänzte nicht nur durch herausragende Leistungen, sondern auch durch beispielhafte Fairness. Leider kann man das von seinem Gegner nicht behaupten. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass auch der Trainer durch sehr umsichtiges Verhalten gezeigt hat, dass sich Sportlichkeit auszahlt.“

Jetzt nahm er einen der noch verbleibenden Pokale und ging wieder zum Mikrofon.

„Ich möchte nun Fynn Grehl nach vorne bitten und er möchte seinen Trainer bitte auch mitbringen.“

Fynn schaute mich verwundert an und auch Chris schien nicht damit gerechnet zu haben. Als beide vorn standen übergab Michael Stich an Fynn den Pokal, Scheck und eine Wild Card für das ATP Turnier in Hamburg. Damit war Fynn automatisch für die Qualifikation des ATP 500 Turniers spielberechtigt. Danach wandte er sich an Chris.

„Durch Ihre sehr besonnenen Handlungsweise haben Sie eine Auseinandersetzung verhindert. Der Turnierausschuss hat bereits eine Strafe gegen den Spieler verhängt und ich möchte ausdrücklich betonen, dass es höchste Zeit wird, dass auch im Herrentennis mal ein schwules Paar erfolgreich ist. Zu meiner aktiven Zeit wäre das unmöglich gewesen und leider scheint es auch heute noch immer nicht ohne Schwierigkeiten möglich zu sein. Umso wichtiger ist es, dass es Menschen wie Sie gibt, die sich dafür einsetzen und die Jungs unterstützen. Dafür gibt es heute einen Sonderpreis.“

Dann übergab er Chris einen großen Pokal und gratulierte noch einmal beiden. Fynn hielt seinen Pokal in der Hand und sagte etwas zu Michael Stich. Dieser nickte und nahm ihm den Pokal wieder ab und gab Fynn dafür das Mikrofon.

Er räusperte sich einmal und es wurde still im Stadion.

„Liebe Tennisfreunde, ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Sponsoren, der Turnierleitung und den Helfern zu danken. Es war ein sehr schönes Turnier auf einer wunderbaren und geschichtsträchtigen Anlage.“

Dafür bekam er sofort Applaus.

„Dass wir hier gewonnen haben, und ich sage ganz bewusst wir, ist eine Teamleistung. Insbesondere Chris hat erneut große Anteile an diesem Erfolg. Ich habe aber auch ein persönliches Anliegen, hier sprechen zu wollen. Michael hat es bereits angedeutet, Dustin und ich sind schwul und ein Paar. Dank unseres Teams in Halle können wir dort trainieren und unseren geliebten Sport weiter ausüben. Es war für uns oft sehr schwierig, in der Öffentlichkeit zu sein und die Beziehung zwischen uns zu verheimlichen. Erst, als Chris und das Team uns ermutigten, offen damit umzugehen, wurden wir erfolgreich und vor allen Dingen glücklich. Ich finde es bedauerlich, dass es immer noch Menschen gibt, die uns diskriminieren oder sogar bedrohen. Allerdings möchte ich hier auch hervorheben, die weitaus größere Zahl der Menschen, die ich kennengelernt habe, ist uns gegenüber sehr aufgeschlossen und freundlich. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen diesen Menschen bedanken. Sie lassen uns durch ihre Haltung hoffen, dass auch andere Spieler den Mut finden, sich zu outen und offen zu leben. Und ich betone besonders das Wort 'leben'. Vielen Dank!“

Fynn gab Michael das Mikrofon zurück und für einen Moment herrschte Schweigen bis jemand anfing zu klatschen und zu jubeln. Dieser Beifall breitete sich dann in Sekundenschnelle über alle Anwesenden aus.

Zum Abschluss der Siegerehrung wurden alle Geehrten gebeten, für ein Foto stehen zu bleiben. Und die Presse wollte auf jeden Fall noch mit Chris und Fynn ein Interview machen.

Plötzlich kam Fynn zu mir gelaufen.

„Du kommst aber mit zu dem Interview. Das mache ich nicht alleine. Schließlich bist du mein Freund und Partner.“

Dann gab er mir noch einen schnellen Kuss und schon war er wieder zum Fototermin verschwunden.

Dieses ganze Ballyhoo mit Sponsoren und Gerede ging mir auf den Zeiger. So viel Drumherum war nicht meine Sache. Hoffentlich würde das bald vorbei sein.

Das Interview wurde allerdings sehr interessant. Wieder kam die junge Frau zu uns und wieder hatte sie sich gut vorbereitet und sie sprach mit uns überwiegend nur über unsere Homosexualität und die daraus resultierenden Schwierigkeiten im Tennis. Auch Chris wurde befragt und man konnte sofort erkennen, dass sich unsere Gesprächspartnerin doch über Chris Haltung wunderte. Sie fand es allerdings sehr positiv, aber leider auch sehr selten.

Nach einer guten halben Stunde waren wir endlich mit allem fertig und konnten ins Hotel gehen. Das Turnier war offiziell beendet. Und das Break-Point-Team hatte zwei neue deutsche Meister.

Chris: Ein schönes Turnier ging zu Ende.

Ich war stolz auf meine Jungs. Nicht nur sportlich hatten sie gezeigt, dass sie wieder einen Schritt nach vorn gemacht hatten, auch menschlich war dieses Turnier ein großer Erfolg. Alle hatten sich vorbildlich verhalten, da konnte ich auch über Maxis Leistung hinwegsehen. Er hatte gezeigt, dass er lernwillig war und das zählte für mich.

Als endlich der ganze Trubel vorbei war und wir wieder in unserem Hotel waren, rief ich Joachim an und fragte, ob er Zeit und Lust hätte, mit uns den Abend in der Stadt zu verbringen. Er sagte sofort zu und wir verabredeten uns am S-Bahnhof Grunewald. Von dort würden wir gemeinsam in den Abend starten.

Fynn hatte mit seiner Mutter telefoniert und war mit Dustin bei mir im Zimmer gelandet. Jetzt fehlte nur noch Tim.

„Na ihr beiden Stars. Habt ihr den Trubel gut überstanden?“

Dustin schüttelte den Kopf.

„Hör bloß auf. Ich bin nur froh, dass ich das Ergebnis in der Zeitung erst gar nicht mehr hier mitbekomme. Das könnte peinlich werden.“

„Warum das denn?“, fragte Fynn direkt nach. „Wir haben doch nichts falsch gemacht. Im Gegenteil, ich fand es toll, was Michael Stich gesagt hatte und das Interview kann doch nur gut sein. Endlich wird darüber mal diskutiert und es kann sich etwas bewegen.“

Diese Position erstaunte mich schon ein wenig, denn so offen und progressiv war Fynn bislang nicht gewesen.

In diesem Augenblick klopfte es und Tim betrat mein Zimmer. Tim hatte sich komplett umgezogen und sah richtig adrett aus. Das führte bei Fynn zu Heiterkeit.

„Hey, wo willst du denn hin, Tim? Du siehst aus, als ob du ein Date hättest.“

Tim wurde rot und verlegen.

„Wer weiß, vielleicht hat er ja ein Date mit einer Berlinerin, die er kennengelernt hat“, sagte ich locker.

Allerdings konnte ich merken, dass es Tim gar nicht angenehm war, dass wir uns ein wenig über ihn amüsierten. Ich beendete das mit der Bemerkung:

„Wenn alle da sind, können wir ja los. Dann sind wir sogar pünktlich am Treffpunkt.“

„Was hast du eigentlich für heute Abend geplant?“

„Ich? Gar nichts, das habe ich Joachim überlassen. Er kennt sich hier gut aus.“

Wir waren bereits kurz vor dem Bahnhof und Tim machte eine Reihe von Bildern von uns und der Stadt. Als wir an dem vereinbarten Treffpunkt ankamen, klingelte mein Handy.

„Hi Thorsten, schön dass du zurückrufst.“

„Hi Chris, ja, sorry, ich war auf dem Platz. Wie ist denn das Finale gelaufen?“

Ich berichtete ihm den Verlauf der Ereignisse und währenddessen traf auch Joachim ein. Er begrüßte die Jungs und gratulierte ihnen zu dem Erfolg. Ich telefonierte noch einige Minuten mit Thorsten, denn er hatte mir auch einige wichtige Informationen mitzuteilen, die sicher auch die Jungs gleich interessieren würden. Aber ich beendete das Gespräch, als wir in die S-Bahn stiegen.

„Schöne Grüße von Thorsten und allen aus Halle. Sie haben schon mitbekommen, dass ihr hier sehr erfolgreich gewesen seid.“

„Wir waren erfolgreich, wolltest du ja wohl sagen. Du hast großen Anteil an dem Erfolg.“

Ich stutzte, denn ausgerechnet von Tim hatte ich das so deutlich nicht erwartet und auch Fynn reagierte erfreut.

„Danke, du hast es auf den Punkt gebracht. Ohne Chris hätte keiner von uns gewonnen. Außerdem sagst du doch auch immer, wir sind als Team stark.“

„Ok, ok, ich widerspreche doch gar nicht. Aber ich habe noch eine Information, die euch interessieren könnte. Carlo war heute das erste Mal wieder auf dem Platz und hat vorsichtig ein paar Bälle geschlagen. Thorsten sagt, dass er sehr glücklich gewesen ist.“

„Na, das kann ich mir vorstellen. Er hat es ja kaum noch ausgehalten.“

Durch dieses Gespräch hatten wir gar nicht mitbekommen, dass wir schon an der nächsten Haltestelle aussteigen sollten. Joachim hatte uns aber rechtzeitig aufmerksam gemacht und somit stiegen wir mitten in Berlin aus und standen in der großen Stadt. Joachim hatte uns zum Fernsehturm geführt. Von dort hatten wir einen wunderbaren Ausblick über die ganze Stadt. Hier wurde meinen Jungs erst so richtig bewusst, wie groß Berlin tatsächlich ist. Sie schauten in alle Richtungen von der Aussichtsplattform und versuchten sich zu orientieren. Joachim erklärte uns viel. So konnten wir uns zumindest etwas vorstellen, wo sich was in der Stadt befand.

Im Fernsehturm, oberhalb der Aussichtsebene, betraten wir das „Sphere“. Das Besondere an diesem exklusiven Restaurant war die Tatsache, dass es sich in einer Stunde einmal um die eigene Achse drehte. Das war für die Jungs sicher etwas Einzigartiges. Deshalb hatte ich Joachim im Vorfeld gebeten, uns für heute Abend dort einen Tisch reservieren zu lassen. Das sollte auch eine Belohnung für die gute Leistung sein. Ich hatte das mit Thorsten abgesprochen und bekam dafür auch grünes Licht.

Solche besonderen Ausgaben ließ ich mir dann doch immer gerne noch einmal von Thorsten absegnen. Allerdings hatte er mir erneut wieder gesagt, dass ich das nicht machen müsste. Er würde mir da schon vertrauen und ich könnte das auch selbst entscheiden. Das gab mir noch mehr Bestätigung unseres guten Klimas im Team.

Wir nahmen an einem Tisch Platz und dieses Ambiente war schon sehr außergewöhnlich. Meine Jungs waren mit Abstand die jüngsten Gäste an diesem Abend und manche der älteren Herrschaften schauten auch immer wieder mal zu uns herüber.

Joachim beantwortete den Jungs ihre pausenlosen Fragen. Er hatte eine tolle Geduld und blieb immer ruhig und gelassen. Erst, als unser Essen kam, hörte die Fragerei auf.

Eigentlich wollte ich mit meiner Truppe auch noch über den Alexanderplatz gehen, aber die Zeit rannte nur so dahin und ich merkte, dass gerade Tim doch müde wurde.

„Wie sieht das mit euch aus? Wollen wir noch über den Alexanderplatz gehen oder möchtet ihr zurück ins Hotel?“

„Auf jeden Fall noch über den Alex laufen.“

Die großen Jungs waren natürlich noch voll dabei und hatten ihren Spaß. Ich schaute mir Tim an und wusste, er war müde und platt. Aber allein wollte ich die Jungs auch nicht in die Stadt lassen. Dafür war mir das doch zu riskant. Sie kannten sich ja überhaupt nicht aus. Joachim hatte aber die rettende Idee und so machten wir folgendes: Ich fuhr mit Tim zurück ins Hotel und Joachim nahm die anderen beiden noch mit auf eine Runde über den Alexanderplatz.

Als ich mich von der Truppe verabschiedete, ermahnte ich meine großen Jungs:

„Und damit das klar ist, Joachim sagt an und hat die Verantwortung. Also ich möchte morgen keine Klagen hören.“

Ich hatte aber zu keiner Zeit Zweifel, dass es Probleme geben könnte. Deshalb ließ ich sie auch mit Joachim allein losziehen.

Tim und ich kamen kurz vor halb zwölf wieder im Hotel an.

„Danke Chris, ich bin echt völlig platt und gehe direkt ins Bett. Tut mir leid, dass du nicht mitgehen konntest.“

„Alles gut, Tim. Ich kann dich verstehen. Das waren harte und anstrengende Tage. Also hab eine gute Nacht und schlaf gut.“

Während des Abends bekam ich immer wieder Bilder und Nachrichten von den Jungs. Sie hielten mich auf dem Laufenden und es freute mich sehr, dass sie mich auf diese Weise teilhaben lassen wollten. Sie kamen sehr spät wieder ins Hotel zurück, aber heute war das genehmigt und damit ging das Abenteuer Deutsche Meisterschaften in Berlin auch sehr erfolgreich zu Ende. Am Morgen hatten wir noch die Stadtrundfahrt mit Joachim und dann ging es wieder nach Hause.