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The race is over
Teil 3
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Informationen
- Story: The race is over
- Autor: cdwgrisu
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Marc: Benny sagt die Wahrheit, mir wird schlecht
- Mick: Ein wichtiger Tag für Benny
- Marc: Die Verabschiedung mit Bennys Vater
- Mick: Eine normale Woche geht turbulent zu Ende
- Marc: Leif und Stefanie zum Rapport
Vorwort
Alles, was sich in dieser Geschichte mit Benny abspielt, ist real passiert. Nur den Namen habe ich geändert. Ich habe die schlimmsten Details nicht beschrieben, weil ich nicht schocken möchte, sondern Wachrütteln. Jeder kann seinen Teil beitragen, in dem er hinschaut und diesen Kindern hilft. Es gibt Organisationen in Deutschland, die diesen Kindern unbürokratisch helfen können. Aber die Behörden müssen aufmerksam werden auf das Leiden dieser Kinder. Schaut also nicht weg, diese Kinder brauchen unsere Hilfe. Und lasst euch nicht täuschen, viele dieser Familien sind nach außen sehr „Bürgerlich“ und manchmal auch sehr wohlhabend. Reichtum schützt nicht vor Missbrauch und Misshandlung.
Marc: Benny sagt die Wahrheit, mir wird schlecht
Auch die schönste Feier ging irgendwann zu Ende. Einige hatten leichte Probleme am nächsten Morgen wieder unter die Lebenden zu kommen. Ich schlief zwar bis zehn Uhr, aber ich war dann fit und ausgeschlafen. Ich trank ja keinen Alkohol, das half doch ungemein. Mick und Lukas hatte ich erst gegen Mittag wieder gesehen und beide sahen nicht unbedingt fit aus. Leif war schon wieder unterwegs, sich mit seiner Stefanie zu treffen. Irgendwann stand ich in der Küche und war dabei für uns ein leckeres Essen zu machen, als das Telefon klingelte.
„Steevens“, meldete ich mich.
„Hallo Marc, hier ist Benny. Hast du vielleicht heute noch Zeit für mich. Ich habe da ein Problem und möchte gern mit dir darüber sprechen.“
„Hi Benny, wie ich höre, bist du wieder total fit. Meine beiden großen Jungs sind noch etwas träge. Aber zurück zu deiner Frage. Klar können wir uns zusammensetzen. Wann meinst du denn?“
„Ist mir egal, ich richte mich nach dir.“
„Hmm, wie wäre so um fünf? Am besten zum Tee.“
„Alles klar, ich bin dann um fünf bei euch. Und schon mal danke dafür.“
„Dafür nicht. Bis nachher dann.“
Während ich weiter in der Küche unser Essen zubereitete, kamen die großen Jungs herein und wünschten einen trägen und verschlafenen guten Morgen.
„Na, das hört sich aber überhaupt nicht ausgeschlafen an. Habt ihr gestern vielleicht etwas zu viel von den ungesunden Sachen genossen?“ Dabei musste ich einfach grinsen. Ich konnte mir ein wenig Schadenfreude nicht verkneifen.
„Ach geht schon, bei so leckeren Gerüchen und Aromen muss man ja wieder Hunger bekommen. Ich glaube wir bleiben gleich hier. Können wir dir noch etwas helfen?“, meinte Lukas. Ich schickte ihn zum Tisch decken und Mick bat ich aus dem Keller ein paar Getränke zu holen. Ich hatte für uns Chili con Carne gemacht, das würde gut für den Mineralhaushalt sein. Es war ziemlich gelungen, wie meine Jungs urteilten.
„Was habt ihr heute noch so vor? Ihr solltet euch vielleicht etwas Bewegung verschaffen.“
„Ja, du hast sicher Recht. Ich hatte auch schon daran gedacht. Ich denke Lukas und ich gehen ein bisschen Tennis spielen. Ich will mal versuchen, ob meine Rippe das wieder aushält. Was liegt bei dir an?“
„Ich habe um fünf einen Termin mit Benny. Er hatte mich heute Morgen angerufen und um ein Gespräch gebeten. Was deine Rippe betrifft, meinst du nicht, du solltest noch etwas mit Tennis warten?“
„Ich habe so keine Schmerzen mehr, aber wenn du meinst, dass es besser ist, noch etwas zu warten, machen wir was anderes.“
„Ich habe keine Ahnung, was Benny möchte, aber morgen sollte ja sein Vater in die Schule kommen. Also ich vermute mal, dass es sich darum drehen wird. Wie macht er sich denn so jetzt im Internat? Seit er hier nicht mehr wohnt, macht er sich hier sehr rar.“
„Also so wie wir das sehen, hat er sogar einige Freunde gefunden. Mit Marcel versteht er sich besonders gut. Mir hat er vor ein paar Tagen gesagt, dass er ganz bewusst nicht mehr so oft bei uns ist, weil er meint, wir hätten schon viel zu viel für ihn getan.“
„So ein Blödsinn, du hast ihm hoffentlich gesagt, dass er immer gerne als Freund und Gast willkommen ist?“
„Natürlich Papa, aber du kennst ihn ja auch schon ein wenig. Und ich glaube, seine Eltern finden das auch nicht so toll, dass er bei uns einige Tage gewohnt hatte. Seine Mutter muss sehr schwierig sein. Er hat richtig Schiss davor, dass sie irgendetwas mitbekommt.“
Lukas mischte sich nun auch in das Gespräch ein.
„Ich weiß nicht was, aber ich bin mir sehr sicher, dass er schon eine Menge Negatives erlebt hat. Ich wäre dafür, er würde hier im Internat bleiben können. Dann würde er Abstand von zu Hause bekommen. Papa, hast du eigentlich irgendwas mit unserem Direx damals besprochen?“
„Ich habe ein paar Kleinigkeiten besprochen, aber nichts Besonderes, warum fragst du?“
„Ich glaube, Benny hat Angst vor dem Gespräch mit seinem Vater. Ich weiß auch nicht wieso, aber er wirkt sehr angespannt.“
„Gut, ich werde nachher sehr genau hinhören, was er auf dem Herzen hat. Vielleicht bekommen wir das ja hin mit dem Internat. Wenn er denn überhaupt möchte.“
„Ok, Mick und ich sind dann gleich weg. Was meinst du denn sollen wir machen, wenn Tennis noch nicht gut ist?“
„Wie wäre es mit biken oder schwimmen und Sauna?“
„Schwimmen und Sauna ist ne coole Idee, Papa. Liegt heute Abend was an?“
„Ich fahre zu Sabine, wir wollen zusammen kochen und mit Lucien einiges klären. Es gibt da ein Problem.“
„Aber hoffentlich nichts mit seiner Gesundheit, nicht dass er einen Rückfall hat.“
„Doch, es hat mit seiner Gesundheit zu tun. Sie hat auch das Training für heute mit ihm auf eine halbe Stunde reduziert. Aber was es genau ist, wollte mir Sabine auch nicht sagen, nur sie meinte, Lucien würde auf mich vielleicht eher hören als auf sie derzeit.“
„Also gut, dann haben wir heute Abend ja sturmfreies Haus“, grinste Mick.
„Nein, das ganz sicher nicht. Ich komme nicht so spät zurück und Leif ist ja auch hier, hoffe ich doch mal. Ich würde euch nämlich bitten, sollte ich um zehn noch nicht zurück sein, dann mal hier unten nach dem Rechten zu schauen und sollte er noch nicht im Bett sein, ihn dann dorthin zu befördern.“ Ich zwinkerte meinen beiden großen Jungs dabei zu und sie versprachen, sich darum zu kümmern.
Um halb vier wollte ich mit Lucien eine Trainingseinheit machen. Nur eine kleine Runde mit dem Bike durch leichtes Gelände. Vielleicht erzählte er mir schon etwas von der Lage mit seiner Mutter. Ich hatte mich bereits umgezogen und war mit dem Rad schon draußen. Ich kontrollierte noch mal die Bremsen und die Schaltung. Da kam der Wirbelwind auch schon um die Ecke gepfiffen.
„Hi Marc, hier bin ich. Wir können los.“
„Das sehe ich, dass du da bist. Moment, ich muss noch die Bremsen justieren. Wie geht’s dir?“
„Gut, nur Mama macht wieder mal Stress. Sie meint, ich soll nicht immer so viel auf einmal machen und mich noch schonen. Sie will jetzt auch nicht mehr, dass ich mit dir so viel trainiere. Nur noch eine halbe Stunde immer. Das nervt echt. Ich fühle mich doch gut und ich habe so viel Spaß mit dir.“
„Lass mal schauen, sie wird sicher einen Grund dafür haben. Komm, wir fahren erst mal los.“
Dann machten wir uns auf den Weg. Lucien war wie immer sofort losgerast und schon im Wald verschwunden. Ich hatte ein wenig Mühe ihm zu folgen, holte ihn aber wieder ein. Er sollte ja nicht die große Runde nehmen.
„Warte mal Lucien, wir fahren heute nur die kleine Runde. Anweisung von deiner Mutter.“
„Boah, es nervt einfach. Ständig soll ich dies nicht und das nicht. Ich bin nicht krank und fühle mich topfit. Ich habe keinen Bock, immer nur wie ein Mädchen zu fahren.“
Ich konnte ihn einerseits verstehen, aber Sabine würde ihm nicht ohne Grund etwas verbieten. Da ich den Grund noch nicht kannte, durfte ich jetzt nicht nachgeben.
„Pass mal auf Lucien, deine Mutter liebt dich viel zu sehr, um dir ohne Grund etwas zu verbieten. Sie weiß auch, wie gerne du durch den Wald toben willst. Also wird es einen Grund geben, sie hat mich auch sicher nicht umsonst nachher zum Gespräch gebeten.“
Lucien sah mich nun etwas erstaunt an und auch ein wenig Unsicherheit war zu spüren. Er schwieg. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und sagte ruhig:
„Mach dir keine Sorgen, wenn es etwas Akutes wäre, würde sie dich nicht fahren lassen. Ich weiß auch, wie gerne du dich auf dem Rad austobst. Also ich verspreche dir, ich unterstütze dich, wo es sinnvoll ist. Du musst mir dabei aber auch vertrauen.“
Er strahlte wieder und sagte: „Cool, also du wirst mit Mama reden, dass ich kein kleines Kind mehr bin?“
„Nein, wir werden mit ihr reden, warum du dich momentan schonen sollst. Dann werden wir gemeinsam schauen, was gut für dich ist. Sollte es keinen Grund dafür geben, werde ich mich für dich einsetzen. Das verspreche ich dir.“
Er stieg vom Rad und umarmte mich sehr dankbar. Dann fuhren wir einige Minuten wortlos weiter. Es war für mich eine besondere Situation, Lucien schwieg. Das war selten in letzter Zeit. Ich hatte das Gefühl, es wurde ihm bewusst, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Als wir an einer Bank vorbei kamen, hielt er an und setzte sich hin. Ich stoppte vor der Bank.
„Marc, kannst du dich einen Moment zu mir auf die Bank setzen?“
Ich schaute ihn an und setzte mich natürlich neben ihn auf die Bank. Er zögerte einen Moment, holte tief Luft und sagte dann:
„Was denkst du wirklich? Ich habe Angst, dass die Leukämie zurückgekommen ist. Ich will das nicht noch einmal erleben.“ Dabei liefen ihm Tränen übers Gesicht. Ich war tief betroffen. Seine ganze Fröhlichkeit war komplett der Angst gewichen. Er war verzweifelt. Ich legte meinen Arm um ihn und redete sehr ruhig: „Ich glaube nicht, dass du wieder erkrankt bist. Ich denke, es ist was anderes. Aber du kannst dir sicher sein, ich werde euch unterstützen, wo ich kann. Egal was es ist. Ok? Und du versprichst mir niemals aufzugeben.“
Jetzt schaute er mich aus seinen tollen Augen an und ich konnte seine Energie wieder zurückkehren sehen.
„Du hast Recht, niemals aufgeben. Ich will ja wieder Rennen fahren mit dem Mountainbike. Dafür will ich alles tun.“
„Siehst du, so gefällt mir das schon viel besser. Komm lass uns noch die Runde fertig fahren und dann bringe ich dich nach Hause. Du gehst dann duschen und ich fahre nach Hause. Ich komme dann nachher zu euch. Dann klären wir das, ok?“ Er war wieder viel zuversichtlicher und fröhlicher. Wir fuhren die Runde fertig und ich lieferte ihn wie vereinbart nach einer guten halben Stunde zu Hause ab.
„Wann kommst du heute Abend? Ich freu mich nämlich schon. Ich will mit dir kochen üben. Mama verbietet mir das immer, alleine in der Küche zu kochen.“ Ich musste lachen, Sabine schien ihrem Sohn ja nicht viel zuzutrauen. Naja, das würden wir schon noch hinbekommen. Ich versprach ihm, dass er heute Abend mit mir kochen dürfe. Damit verabschiedete ich mich und fuhr nach Hause.
Nach einer schnellen Dusche setzte ich für Benny und mich schon mal einen Tee auf. Ich stellte noch ein paar Kekse auf das Tablett und schaute auf die Uhr. Zehn vor fünf. Schnell noch meine Mails gecheckt und dann klingelte es auch schon. Benny war pünktlich wie immer. Ich öffnete die Tür und wir begrüßten uns mit einer herzlichen Umarmung.
Wir gingen hinein und ich fragte ihn, wo er denn sitzen möchte. Er würde gerne in den Garten gehen, also nahm ich das Tablett und wir gingen nach draußen. Wir tranken erst mal in Ruhe eine Tasse.
„Marc, erst einmal danke, dass du Zeit für mich hast. Ich weiß aber nicht, wen ich sonst fragen kann bei meinem Problem.“
„Alles gut. Mach dir keinen Kopf, ich habe dir immer gesagt, dass du zu mir kommen kannst, wann immer du möchtest. Also schieß los, was hast du auf dem Herzen?“
„Morgen kommt ja mein Vater her, zu dem Gespräch mit unserem Direx. Er hat mich heute angerufen und mich gefragt, ob ich wirklich die ganze Zeit im Internat gewohnt habe. Er hätte nämlich die Info, dass ich bei einem Freund gewohnt habe. Ich wollte nicht lügen und habe ihm die Wahrheit gesagt. Da ist er total sauer geworden. Er hat rumgebrüllt, so würde ich ja nie selbständig werden und das war so nicht abgemacht, und so weiter. Dann hat er gemeint, dass ich wieder nach Hause kommen könnte, denn Mama würde ja jetzt nicht mehr trinken.“
Er hatte bis dahin flüssig erzählt, aber hier musste er schlucken.
„Ich will nicht mehr nach Hause. Nie wieder in diese Hölle zurück. Du weißt gar nicht, wie schön das hier bei euch für mich ist. Ich brauche deine Hilfe morgen. Kannst du nicht bei dem Gespräch dabei sein und meinem Vater erklären, was wirklich los ist? Ich glaube, ich kann das einfach noch nicht.“
Ich hatte es geahnt. Aber das war nicht unsere Strategie. Ich hatte ja mit Herrn Steyrer einen anderen Plan. Also weihte ich ihn in unsere Überlegungen ein.
„Meinst du denn das funktioniert? Ich will nicht wieder nach Hause zurück. Auf keinen Fall.“
„Benny, warte es ab. Ich kann dir nur eines versprechen, ich werde alles versuchen, deinen Wunsch zu erfüllen, aber ich muss mich an die Gesetze halten. Im Moment ist euer Direktor erst einmal verantwortlich und gefragt, das mit deinem Vater zu besprechen. Ich werde aber natürlich auch helfen, wo ich kann. Also versuche jetzt nicht in Panik zu verfallen. Ich habe da ja schon etwas Erfahrung mit solchen Sachen.“
„Also gut. Was bleibt mir anderes übrig. Ich will dir aber auch noch etwas erzählen. Ich will nicht, dass meine Mutter erfährt, dass ich schwul bin. Egal was passiert. Wenn ich wieder nach Hause muss, würde das eine Katastrophe sein.“
„Benny, du bist alt genug. Du bestimmst selbst, was du wem sagst. Also wenn du das nicht erzählen willst, lass es weg.“
„Wirst du mir helfen, wenn es nicht so klappt, wie ihr es vorhabt? Ich habe echt eine scheiß Angst.“
Ich nahm ihn jetzt in den Arm und sagte: „Du wirst nie wieder ganz allein da stehen. Das verspreche ich dir. Und ich weiß, dass du nicht nach Hause musst, wenn du nicht willst. Nur wird es dann vielleicht nicht so einfach sein, ohne alles zu erzählen.“
Er schaute mich an und es schien so, als ob er verstehen würde, was ich meinte.
„Also wenn ich morgen alles erzähle, kann Dr. Steyrer dafür sorgen, dass ich hier bleiben darf?“
Ich sah ihn an und er hatte mich verstanden.
„Marc, dann gibt es da etwas. Das … das habe ich noch niemals jemandem erzählt. Aber vielleicht verstehst du es dann besser, warum ich so eine Angst habe.“
Ich stutzte nun, schaute ihm ganz genau in die Augen und konnte echte Panik erkennen. Ich ließ ihn sich sammeln, damit er das Gefühl bekommt, ich will ihn nicht drängen.
„Es begann ungefähr vor drei Jahren. Ich hatte ja schon erzählt, dass meine Mutter mich immer schikanierte seit ich dreizehn war. Aber es waren nicht nur Prügel und Verbote.“
Er zögerte, ich bekam ein ganz blödes Gefühl.
„Irgendwann kam sie auch in mein Zimmer und ich sollte mich ..., also ich … sollte mich ausziehen. Dann hat sie angefangen, mich überall anzufassen. Ich wollte das nicht, wirklich. Ich konnte mich aber nicht wehren. Sie hat immer gleich gedroht, wenn ich Papa davon erzähle, dann bringt sie mich um.“
Ich war geschockt. Das durfte doch nicht wahr sein.
„Später brachte sie auch einen Typen mit nach Hause, der hat da auch mitgemacht. Ich konnte mich nicht wehren. Es war grausam. Ich habe oft daran gedacht abzuhauen, aber wohin? Erst vor wenigen Wochen habe ich es Papa mit den Prügeln erzählt.“
Ich wollte eigentlich jetzt mehr Details wissen. Hat es eine Vergewaltigung gegeben? Aber ich musste jetzt abwarten, ihn nicht überfordern. Er sollte in seinem Tempo das erzählen, was er konnte.
„Ich schäme mich so dafür, dass ich das gemacht habe. Aber Papa war nie da. Ich hätte doch Mama verraten müssen. Sie meinte immer, ich würde es ja sicher nicht wollen, dass sie dann ins Gefängnis käme. Ich wollte nicht schuld sein, wenn unsere Familie auseinanderbricht.“
Jetzt brach alles aus ihm heraus. Tränen liefen aus seinem Gesicht und er schüttelte sich mit Weinkrämpfen. Er wollte noch mehr erzählen, aber er konnte nicht mehr. Ich setzte mich nun neben ihn und hielt ihn nur fest.
„Shhhh, Benny du musst jetzt nicht weiter reden. Ich bin bei dir und du brauchst hier keine Angst zu haben.“ Er lehnte sich an mich und weinte einfach nur noch. Das ging bestimmt noch einige Minuten. Dann fehlte ihm einfach die Kraft weiter zu weinen. Er war vollkommen erschöpft. Ich konnte ihn so unmöglich gehen lassen.
„Benny, ich bringe dich jetzt ins Gästezimmer. Du bleibst erst mal hier. Und ich will keinen Protest.“
Wir standen auf und ich führte ihn ins Haus, brachte ihn ins Bett und blieb noch einen Moment bei ihm. Er war völlig erschöpft und schlief schnell ein. Ich ließ die Tür auf und ging zum Telefon.
„Maergener.“
„Hallo Sabine, es gibt ein Problem. Ich kann nicht zu euch kommen. Ich hatte ja gesagt, dass Benny noch kommen wollte.“
„Ja, und ist was passiert? Du hörst dich gar nicht gut an.“
„Ja, es ist etwas passiert. Benny liegt völlig fertig im Gästezimmer und schläft. Ich kann ihn unmöglich so allein lassen. Das will ich auch meinen Jungs nicht zumuten. Da will ich hier sein, sollte er wieder wach werden.“
„Scheiße, ich habe es ja geahnt, dass er noch mehr erlebt hat. Was machen wir jetzt?“
„Ich wollte vorschlagen, ihr kommt zu mir. Wir kochen hier und reden dann hier mit Lucien. Was denkst du?“
„Meinst du denn, du kannst das jetzt noch verkraften?“
„Klar, das wird schon.“
Sie versprach mit Lucien rüber zu kommen und ich wollte jetzt aber, dass Mick und Lukas auch hier sein sollten. Dann hatte ich Unterstützung. Ich rief bei Mick auf dem Handy an, aber er hatte seine Mailbox an. Ich bat ihn zurückzurufen.
Dann rief ich Leif an.
„Hallo Leif, hast du einen Moment Zeit?“
„Hi Papa, was ist los? Ist das Haus abgebrannt?“ Dabei lachte er laut ins Telefon. Ich war etwas genervt.
„Nein, aber so ungefähr. Pass auf, Kleiner. Komm bitte heute allein zurück nach Hause. Benny liegt im Gästezimmer und ich möchte nicht, dass du Stefanie heute mitbringst.“
Es war still am anderen Ende, Leif hatte sofort gemerkt, dass ich nicht zu Scherzen aufgelegt war.
„Papa, was ist passiert? Soll ich sofort nach Hause kommen?“
„Nein, macht euch noch einen schönen Abend, aber sei bitte um neun spätestens zu Hause.“
„Ja, mache ich. Weiß Mick schon Bescheid?“
„Ich habe ihn um einen Rückruf gebeten. Denke er wird sich noch melden. Also viel Spaß noch und ach ja, Sabine und Lucien kommen jetzt dann zu uns. Wir wollen was kochen und mit Lucien reden. Sollen wir dir was zu essen übrig lassen?“
„Cool, ja das wäre nett. Bis nachher dann.“
„Bis nachher Kleiner.“ Dann legte ich auf.
Ich ging leise zum Gästezimmer und schaute nach Benny. Er lag im Bett und schlief. Er war sehr unruhig. Ich blieb noch einige Minuten bei ihm und legte ihm meine Hand auf seine Brust. Das schien ihn zu beruhigen. Mir gingen Gedanken durch den Kopf, die möchte ich hier nicht wiedergeben. Aber man kann sich sicher denken, was ich mit solchen Wesen am liebsten machen würde, die ihre eigenen Kinder misshandeln und missbrauchen. Ich war wütend, traurig und fassungslos. Was hatte Benny noch alles erlebt? Ich war mir sicher, das war erst die Spitze des Eisberges. Er brauchte auf jeden Fall sofort Hilfe und unser Plan für morgen war hinfällig. Jetzt war es ein Fall für die Behörden und Benny musste in jedem Fall hier bleiben in der Schweiz. Er durfte auf gar keinen Fall zurück in die Familie. Ich beschloss morgen früh direkt Herrn Steyrer anzurufen und die neue Situation zu besprechen. Dafür brauchte ich die Erlaubnis von Benny. Ich hätte jetzt nur direkt die Polizei einschalten können. Das konnte ich immer noch. Ich wollte jetzt keinen Schritt tun, ohne Benny vorher zu informieren.
Das Klingeln meines Handys holte mich aus den Gedanken.
„Steevens“
„Hi Papa, was ist denn los?“
„Mick, gut dass du dich meldest. Könnt ihr bitte umgehend nach Hause kommen? Ich brauche euch hier. Bitte frag jetzt nicht, ich erkläre es euch zu Hause.“
Mick war sehr still, einen Moment lang war totale Stille.
„Papa, was ist passiert? Ich will wissen, ob du ok bist?“
„Ja, ich bin ok. Bitte kommt her und dann sehen wir weiter.“
„Wir sind unterwegs, grade noch anziehen und dann machen wir uns auf den Weg. 20 Minuten dann sind wir zurück.“
„Danke euch. Bis gleich.“
Ich stand in der Küche und schaute mit leerem Blick nach draußen. Was war hier passiert? Erst als ich die Klingel hörte, wurde ich erneut aus meinen Gedanken gerissen. Ich ging zur Tür und Sabine stand mit Lucien vor mir.
„Marc, wie geht es Benny?“, kam von Lucien als Begrüßung.
„Im Moment schläft er, aber ich will, dass er nicht allein ist, wenn er wach wird. Danke, dass ihr kommen konntet.“
Wir gingen wieder in die Küche. Lucien saß sehr still am Tisch. Ich habe beide nur ganz grob informiert, dass Benny mir von zu Hause erzählt hat. Ich wollte weder Lucien schocken, noch Benny hintergehen. Beide stellten auch keine Fragen. Ich nahm an, Sabine hatte Lucien bereits geimpft.
„So, wir müssen jetzt etwas anders planen. Mick, Lukas und Leif kommen auch zurück. Mick und Lukas sind bereits unterwegs und werden mit uns essen. Leif soll um neun zurück sein. Ich will jetzt sicher sein, dass immer einer von uns bei Benny bleibt. Sabine, bist du mit dem Auto hier?“
„Nein, wir sind mit dem Rad gekommen, warum fragst du?“
„Wir müssen noch ein paar Sachen einkaufen. Ich will hier nicht weg. Könntest du vielleicht mit meinem Auto einkaufen fahren. Ich gebe dir Geld mit und wir machen schnell eine Liste, was wir noch brauchen.“
Lucien grinste jetzt. Ich glaubte, er stellte sich gerade seine Mutter in meinem Caddie vor. Das wollte ich ihr nicht zumuten. Wir hatten die Liste schnell zusammen. Lucien bat ich zu Benny zu gehen und dort bei ihm zu bleiben. Ich wollte in der Küche den Teig für die Pasta zubereiten.
„Marc, welches Auto soll ich denn nehmen? Draußen steht kein Auto.“
„Du musst in die Garage runter und kannst dir aussuchen ob du den S8, den R8 Spyder oder den GT nehmen willst.“
Sie sah mich entsetzt an.
„Hoffentlich kann ich damit umgehen, ich nehme den Spyder. Das geht vermutlich noch am einfachsten.“
Ich lachte und sie verschwand in den Keller. Kurze Zeit später sah ich sie auf die Straße fahren und weg war sie. Geht doch!
Der Teig war fertig und ich schaute bei Lucien vorbei, meine Großen müssten auch jeden Moment kommen. Lucien sah nicht sehr glücklich aus.
„Hey Luc, du musst keine Angst haben. Sag mir nur Bescheid, wenn er wach werden sollte. Du musst nicht mit ihm sprechen.“
Er sah mich dankbar an und da konnte ich die Haustür hören. Mick und Lukas kamen herein und ich bat sie leise zu sein. Wir gingen ins Wohnzimmer und dort erklärte ich ihnen kurz die Situation. Beide waren fassungslos. Sie lösten Lucien jetzt ab und so konnte ich mit dem Kleinen endlich in die Küche.
„So Luc, ich zeige dir eben, wo hier alles liegt. Da drüben in der Schublade liegen die Messer zum Gemüse und Zwiebeln schneiden. Aber pass auf, die sind echt höllisch scharf. Töpfe sind rechts von der Spülmaschine im Schrank. Die Pfannen sind hier.“
„Wie hast du mich grade genannt? Luc?“
„Ja, magst du das nicht? Dann lass ich das.“
„Ne, find ich cool. Du darfst mich ruhig so nennen.“
Wir wirbelten jetzt richtig in der Küche. Lukas kam auch zu uns und so dauerte es nicht lange, dass alles, was wir schon machen konnten, fertig war. Wir mussten auf Sabine warten.
Ich erklärte Lucien noch schnell, was wir als Nächstes dann vorbereiten mussten, sobald seine Mutter zurück sei. Dann hörten wir ein lautes Gepolter und laute Stimmen aus dem Gästezimmer. Ich schaute die beiden bei mir stehenden Jungs an und dann lief ich schon Richtung Gästezimmer. Benny tobte völlig hysterisch im Zimmer umher und schrie immer wieder Ausdrücke, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Er hatte bereits einige Gegenstände durch die Luft geschleudert und war richtig in Rage. Er brüllte Sätze, wie:
„Verpisst euch, ich töte euch!“ „Ihr Arschlöcher, ich töte dich, wenn ich dich kriege, du wirst das nicht überleben.“
Dann schlug er erneut gegen die Schranktür, der Spiegel zerbrach. Das Blut begann sofort aus der Hand zu spritzen.
Mick versuchte ihn festzuhalten, aber er ließ sich nicht beruhigen. Dann schlug er Mick mit der Faust auf die Brust. Mick sackte schmerzerfüllt zu Boden. Seine Rippe, dachte ich nur. Dann sprang ich dazwischen und hielt Bennys Hände brutal fest. Meine Hände wurden zu Schraubstöcken. Ich war fest entschlossen Benny zu fixieren. Ich konnte seine geweiteten Pupillen erkennen. Er war in einem Schock Zustand.
„Los Mick, raus hier und schick mir Lukas her.“
Lukas war geistesgegenwärtig mir schon ins Zimmer gefolgt. Mit vereinten Kräften schafften wir es Benny zu fixieren und dann gab ich ihm eine leichte Ohrfeige. Als ob er aus einer Trance erwachte, schüttelte er sich und sah mich vollkommen erstaunt an. Er beruhigte sich schlagartig. Als ob er aus einem Traum erwacht wäre. Ich schickte Lukas sofort zu Mick um nachzusehen, ob er sich ernsthaft verletzt hatte.
Lucien stand völlig verschüchtert in der Tür und traute sich noch nicht wieder näher zu kommen. Lukas kam zurück und berichtete, dass bei Mick alles ok sei. Ich nickte und dann wand ich mich Benny zu.
„Was war das denn bitte grade? Wolltest du Rambo alle Ehre machen?“
Benny sah mich so an, als ob er nicht verstehen würde, was ich von ihm wollte.
„Marc, was mache ich hier und was ist passiert? Ich habe Mama gesehen und diesen … diesen Typen, der mich ……. Ich habe mich gewehrt und ich habe ihn zusammengeschlagen.“
Mehr war im Moment nicht aus ihm herauszubekommen. Es saß jetzt auf dem Bett und ich konnte erkennen, dass seine linke Hand blutig war. Sabine war auch zurück und kam ins Gästezimmer. Sie sah uns nur völlig verstört an. Ich bat sie mit Lucien in die Küche zu gehen und sich um Mick zu kümmern. Lukas sollte bei mir bleiben, zur Sicherheit, falls Benny erneut ausrastete.
Der saß aber völlig friedlich auf dem Bett und machte den Eindruck, den wir bisher immer von ihm hatten. Was war also hier vor zehn Minuten passiert? Benny war sichtlich irritiert über unsere Aufregung. Dann berichteten wir ihm über das Geschehene. Er war entsetzt und völlig außer sich. Er hatte nun Panik, er hätte Mick und mich verletzt. Nachdem ich ihm das verneinte, beruhigte er sich wieder.
Ich nahm ihn in den Arm und dann erzählte er mir in allen Details von diesem Erlebnis mit seiner Mutter und diesem unbekannten Mann. Das war für mich der absolute Horror sich das anhören zu müssen. Benny berichtete mir alles. Wie er von dem Mann mit heißen Feuerhaken und Messern gequält wurde. Wie er blutend im Bett lag und sich nicht mehr getraut hat zur Schule zu gehen, damit niemand die Wunden sehen kann. Wie der Typ mit Gewalt in ihn eindrang und Benny vor Schmerzen geschrien hat und seine Mutter grinsend zugesehen hat. Mir wurde schlecht. Vier Jahre lang hatte er das ertragen müssen. Unfassbar!
Dann, als er fertig war mit der Horrorgeschichte, kam es mir so vor, als ob eine tonnenschwere Last von ihm wich. Ich war einfach nur geschockt und sprachlos. Er hatte mir soeben über seine Vergewaltigungen berichtet. Der absolute Albtraum hatte sich bewahrheitet. Ich ging nicht weiter auf das Geschehen ein. Er machte jetzt einen völlig normalen Eindruck. Ich hatte jetzt Gewissheit. Benny würde niemals in dieser Situation wieder nach Hause dürfen. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich nahm ihn an die Hand und wir gingen in die Küche. Ich wollte jetzt sofort zur Normalität übergehen. Er sollte keine Schuldgefühle entwickeln. Zuerst verarztete ich seine Hand. Ich zog einige Splitter aus der Hand und legte ihm einen Verband an. Es war glücklicherweise nichts Schwerwiegendes. Allerdings war Lucien sichtlich verängstigt. Mick und Lukas hatten, glaubte ich, begriffen, was hier grade passiert war. Ich bat also Sabine und Lucien für einen Moment in den Garten. Ich wollte es ihnen dort erklären. Ich hatte damals bei Lukas mal so etwas Ähnliches erlebt. Sicherlich längst nicht so heftig, aber ich nahm das damals zum Anlass, mich damit zu beschäftigen. Sogenannte „Flashback Träume“.
Als ich beiden alles erklärt hatte, kam Lucien auf mich zu und sagte dann etwas sehr Eindrucksvolles:
„Marc, dann braucht Benny aber besondere Hilfe. Und er darf nicht wieder nach Deutschland zurück. Das wäre ja, ihn in die Hölle zurück schicken.“
„Ich verspreche dir Luc, ich werde das verhindern. Ich glaube, der Vater wird morgen einen sehr interessanten Vormittag erleben.“
Innerlich tobte ich vor Wut.
„Kommt, lasst uns weiter gemeinsam das Essen zubereiten. Je normaler wir jetzt weiter machen, desto besser ist das für Benny.“
Damit gingen wir wieder hinein. Mick und Lukas hatten bereits begonnen, mit Benny gemeinsam das Essen weiter zuzubereiten. Ich freute mich, dass es Benny wieder besser ging. Lucien war auch wieder fröhlich und voll dabei mit den großen Messern das Gemüse zu schneiden. Sabine war das einige Male nicht geheuer und wollte ihm das Messer wegnehmen und es lieber selber schneiden. Da gab es sofort von mir ein Veto. Der Kleine war konzentriert dabei und sollte lernen, für sich Verantwortung zu übernehmen. Es gab auch keine Unfälle. Wir hatten noch viel Spaß miteinander. Auch später am Abend war die Stimmung wieder sehr gelöst und Benny hatte nicht einmal ein auffälliges Verhalten gezeigt.
Jetzt konnte ich dann auch endlich mich dem eigentlichen Anlass widmen. Was hatte Sabine mit Luciens Gesundheit für ein Problem?
„So, und jetzt will ich aber mal wissen, warum du unbedingt verhindern willst, dass sich Luc mit mir austobt beim Training. Er macht einen gesunden Eindruck und ich finde, er sollte nicht immer von dir bevormundet werden.“
Lucien war zu diesem Zeitpunkt mit Lukas im Garten und spielte mit ihm Frisbee. Mick war bei Benny im Wohnzimmer.
„Ich habe nichts gegen euer Training, aber seit dem ihr gemeinsam trainiert, haben sich seine Blutwerte verschlechtert. Seine weißen Blutkörper sind stark gestiegen. Als ob er eine Infektion hätte. Außerdem weigert er sich immer seine Schutzkleidung zu tragen, wenn er mit euch in den Wald fährt. Ich will, dass er nicht ungeschützt im Gelände fährt, aber er sagt, du würdest auch keinen Helm tragen und dann bräuchte er das auch nicht.“
„Verdammt, da hast du aber recht. Da habe ich überhaupt nicht drüber nachgedacht. Also gut, das werde ich ändern. Ich werde mich umgehend um passende Schutzkleidung sowohl für Leif als auch für mich kümmern. Das kläre ich gleich noch mit ihm. Die Sache mit dem Blutbild kann ich aber erklären. Er leistet schwere Arbeit beim Biken. Dadurch wird sein Körper gefordert. Aber du hast Recht, auch das müssen wir genauer beobachten. Das musst du ihm aber vernünftig erklären.“
„Was glaubst du, habe ich wohl versucht. Er hört mir erst gar nicht zu. Deshalb habe ich nun erst mal darauf bestanden, nur noch eine halbe Stunde Training zu machen. Er sollte sich bei dir beschweren, damit du es ihm erklärst. Mir glaubt er ja nicht.“
Ich wurde nachdenklich. Ich ging nach draußen und bat Lucien hereinzukommen. Dann setzte ich mich mit ihm und seiner Mutter ins Wohnzimmer. Lukas ging mit Mick und Benny nach oben, damit wir etwas ungestört reden konnten.
Ich erklärte ihm nun die Lage und versprach ihm in Zukunft nicht mehr ohne Schutzkleidung zu fahren, dafür musste er mir versprechen, es entsprechend zu tun. Wir vereinbarten wieder länger zu trainieren, aber ausdauernder und nicht so auf Leistungsspitzen zu gehen. Seine Mutter musste aber auch versprechen, ihm mehr Verantwortung zu geben und sich nicht immer einzumischen. Er durfte auch mal eine Cola trinken und auch selbständige Entscheidungen treffen. Alles in allem dauerte das Ganze bis kurz nach neun und dann hieß es Abschied nehmen. Lucien strahlte mich mit glücklichen Augen an und freute sich auf unser weiteres Training. Sabine bat ihren Sohn schon mal nach draußen zu gehen.
„Marc, danke, dass du mir heute geholfen hast. Du musst mir glauben, ich will euer Verhältnis nicht eingrenzen. Ich will, dass er gesund bleibt.“
„Das weiß ich, ich konnte mir auch nichts anderes vorstellen. Aber du hättest mir auch ruhig mal einen Tipp geben können.“ Dabei musste ich schon wieder lachen - Sabine auch.
Bei der Verabschiedung gab mir Sabine gemeinsam mit ihrem Sohn noch einen Satz mit auf den Weg:
„Marc, Benny braucht sofort professionelle Hilfe. Ein Psychologe sollte sich mit ihm beschäftigen. Das wird sonst unkontrollierbar und gefährlich.“
„Ja, du hast da sicher Recht. Ich werde das auch mit ihm besprechen. Morgen geht es aber erst mal darum, ihn vor seinen Eltern zu schützen. Und das werden wir tun. Luc, ich hoffe, du hast dich nicht zu sehr geängstigt vorhin. Das war nicht der Benny, den du kennst. Das war der Benny, der zu Hause furchtbare Dinge erleben musste. Das war nicht gegen dich gerichtet oder gegen einen von uns.“
Es war einfach zu schön, Lucien kam auf mich zu und meinte:
„Marc, ich weiß das. Ich möchte aber dass Benny nicht mehr so leiden muss. Können wir ihm helfen?“
„Wir werden ihm helfen, ganz sicher. Ich wünsche euch jetzt jedenfalls einen guten Heimweg.“
Ich umarmte den Jungen und dann gab mir Sabine einen Kuss auf die Wange und sie fuhren davon. Ich stand jetzt etwas verwirrt in unserer Einfahrt. Was war das denn grade? Sie hatte mir einen Kuss gegeben. Ich ging nachdenklich, aber mit einem schönen Gefühl ins Haus zurück.
Jetzt war aber doch noch ein Gespräch mit Benny fällig. Ich musste einige Dinge für morgen noch klären. Die Situation hatte sich komplett verändert. Ich ging nun zu den Jungs nach oben. Sie saßen auf der Terrasse und unterhielten sich, als ich hinzukam, sah mich Benny an.
„Benny, ich habe dir noch etwas zu sagen. Ich verspreche dir, du wirst hier bleiben, du musst nicht wieder in diese Hölle zurück. Auch wenn es noch sehr weh tut, aber das, was deine Mutter mit dir gemacht hat, darf und wird nie wieder passieren. Da hast du mein Wort drauf.“
Nun war der Bann gebrochen. Er begann zu weinen und ich hielt ihn nur im Arm fest. Ich wusste, seine Mutter musste bestraft werden, aber das konnte nur Benny selbst entscheiden. Ich würde jedenfalls alles tun, dass er nie wieder in die Finger seiner Mutter kam. Die rechtliche Sache war jetzt nicht wichtig, das konnte noch etwas warten.
Als er sich beruhigt hatte, sagte er mir noch: „Marc, ich glaube dir, wenn du mir versprichst, nie wieder zurück zu müssen, wenn ich nicht will. Ich werde morgen das tun was du mir gesagt hast. Danke für alles. Ich weiß nicht, wie das wieder gut zu machen ist.“
„In dem du glücklich wirst. Das ist das, was ich mir wünsche. Und ich werde dich dabei unterstützen. Ich soll dir noch von Sabine und Lucien ausrichten, dass sie dich ebenfalls unterstützen werden. Also Kopf hoch und zeige deinem Vater, was du willst und was alles passiert ist. Hat dein Vater deine Verletzungen eigentlich damals noch gesehen?“
„Nein, ich habe mich zu sehr geschämt dafür.“
Ich nickte nur. Es war jetzt jedes weitere Wort überflüssig. Ich brachte ihn ins Gästezimmer, er versprach mir, keine dummen Sachen zu machen. Ich musste einen Moment verschnaufen, das war richtig heftig. Ich spürte eine unbändige Wut auf diese Mutter, aber auch der Vater würde von mir derartig den Kopf gewaschen bekommen. Wie gut, dass Herr Steyrer morgen dabei sein würde.
„Papa, was machen wir jetzt mit dieser Sache? Wir können doch nicht einfach so weiter machen?“, fragte mich Lukas, der mir mit Mick gefolgt war-
„Nein Lukas, wir werden morgen zuerst klären müssen, ob der Vater uns unterstützt oder nicht. Wenn er sich weigert Benny zu glauben, wird es sehr unschön werden. Dann muss Benny seine Mutter anzeigen und es wird sehr hässlich werden.“
„Wie willst du jetzt vorgehen? Weiß unser Direx schon den neuen Sachstand?“
„Wie denn dass, Mick? Ich muss ihn morgen noch vor dem Termin informieren. Ich schlage jetzt vor, ihr nehmt Benny morgen früh ganz normal mit in den Unterricht. Ich gehe allein zu Dr. Steyrer und auch das Gespräch mit dem Vater findet erst mal ohne Benny statt.“
„Alles klar, wir kümmern uns um Benny, keine Sorge“, sagte Lukas und ich konnte in seinen Augen eine Entschlossenheit erkennen, wie ich sie selten gesehen hatte. Mir ging es aber sehr ähnlich. Ich verabschiedete mich von meinen Jungs, wünschte ihnen eine ruhige Nacht und sie gingen nach oben. Leif wartete bereits auf mich im Wohnzimmer. Er hatte das Chaos im Gästezimmer gesehen, und bevor Benny ins Zimmer kam, ein wenig aufgeräumt. Allerdings schien er etwas wütend auf mich zu sein.
„Papa, warum sollte ich nicht sofort nach Hause kommen. Hier sieht es aus, als ob ein Tornado durchgezogen ist. Ich will jetzt wissen, was hier los ist.“
„Also gut. Ja es ist einiges passiert, aber mach dir keine Sorgen. Mit uns ist alles in Ordnung.“
Dann klärte ich ihn über die neueste Entwicklung auf. Er war sichtlich betroffen.
„So eine Schlampe von Mutter“, entfuhr es Leif. Ich sah ihn ziemlich erschrocken an. So einen Ausdruck hatte ich noch nie von Leif gehört. Er merkte meine Verwunderung.
„Ist doch wahr, was anderes ist mir nicht eingefallen. Da kann man ja nur froh sein, dass Benny sie nicht gleich verprügelt hat. Sie hätte es verdient und dem Vater würde ich genauso eine rein würgen.“
Ich war erstaunt über meinen Sohn. So aggressiv war er sonst nie. Ich konnte ihn aber verstehen. Ich fühlte ja ähnlich, wollte es aber nicht so ausdrücken.
„So ich denke, wir sollten zur Ruhe kommen. Was meinst du, trinken wir noch einen Tee zusammen? Ich bin noch viel zu aufgewühlt, um schlafen zu gehen.“
Dabei schaute ich mir Leif genau an. Er war sehr nachdenklich. Er kam zu mir und wir gingen gemeinsam in die Küche. Dort tranken wir noch in Ruhe und schweigend einen Tee. Er aß noch etwas von unserer Pasta.
„Papa, kannst du mir etwas versprechen?“
„Das kommt ganz drauf an, worum es geht.“
„Ich möchte, dass Bennys Vater von dir richtig den Marsch geblasen bekommt. Der Typ soll merken, dass er Benny sehr weh getan hat.“
„Ich verspreche dir, dass er von uns das Passende angesagt bekommt. Und ich verspreche dir, Benny wird so lange nicht nach Hause fahren, wie nicht geklärt ist, was sich zu Hause verändert hat.“ Damit schickte ich Leif ins Bad und anschließend ins Bett.
Ich setzte mich noch einen Moment in den Garten. Davor schaute ich noch einmal bei Benny im Gästezimmer vorbei. Er lag bereits schlafend im Bett. Ich ließ die Tür ganz leicht angelehnt. Als ich dann eine halbe Stunde später ebenfalls zu Bett ging, tat ich das mit meiner Schlafzimmertür gleichfalls.
Ich stellte mir für halb sieben den Wecker. Dann schlief ich ein. Die Nacht verlief Gott sei Dank ohne weitere Zwischenfälle. Ich stand morgens in der Küche und machte für Benny, Leif und mich Frühstück. Leif kam als Erster zu mir in die Küche. Er war erstaunt, dass ich schon so früh unterwegs war.
„Morgen Papa, wie hat Benny die Nacht verbracht?“
„Es war alles ruhig, ich hoffe, er hat sich etwas erholt. Aber ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Ich werde ihn gleich wecken, falls er noch nicht wach sein sollte.“
„Kann ich das machen?“
„Meinetwegen, aber wenn es auch nur das kleinste Anzeichen eines Problems gibt, kommst du sofort zu mir. Ich rufe in der Zeit schon mal bei Herrn Steyrer an.“
So machten wir es dann auch. Ich berichtete Herrn Steyrer, was vorgefallen war und welche neuen Informationen ich hatte. Er war geschockt. Wir waren uns einig, dass unser Gespräch erst mal ohne Benny stattfinden sollte. Später würden wir ihn dann hinzuholen, falls sinnvoll. Wir sprachen noch mal den Zeitplan ab und dann ging ich in die Küche zurück, wo ich erfreulicherweise beide Jungs sitzend vorfand.
„Hallo Marc, danke für das tolle Frühstück.“
Mit diesen Worten begrüßte mich Benny. Er sah relativ gut aus. Es schien so, als ob er sich ein wenig erholt hatte.
„Guten Morgen Benny, ein gutes Frühstück ist mir ganz wichtig. Wenn ich ohne Frühstück los muss, bin ich nicht besonders gut gelaunt. Also wenn du von mir etwas möchtest, sorge dafür, dass ich ein gutes Frühstück hatte.“
Das war der Anlass schon mal herzlich lachen zu müssen. Er wollte sich das jedenfalls merken und so saßen wir schnell alle am Tisch und genossen ein ausgiebiges Frühstück.
Nach einigen Minuten kamen auch Lukas und Mick zu uns hinunter. Sie hatten bereits oben gegessen und setzten sich jetzt nur für einen Moment noch zu uns an den Tisch. Wir besprachen noch mal den Ablauf, als Benny eine Bemerkung machte.
„Marc, ich habe echt Schiss vor meinem Vater. Ich weiß nicht, ob ich das schon kann, ihm jetzt alles ins Gesicht zu sagen.“
Er war jetzt sehr aufgeregt und begann sogar leicht zu zittern. Lukas saß sofort neben ihm und legte seinen Arm um Benny. Ich fand das sehr schön. Ich erklärte ihm jetzt noch, was ich mit dem Direktor besprochen hatte.
„Du musst erst mal gar nicht deinem Vater gegenübertreten. Du gehst ganz normal mit Lukas und Mick in den Unterricht. Da bist du gut aufgehoben. Wir werden deinen Vater erst mal allein mit dieser Sache konfrontieren. Ich habe noch eine Frage. Was dürfen wir ihm erzählen, nur die Prügel, oder auch die Sachen mit deiner Mutter und dem Typen?“
Ich hatte jetzt ganz bewusst den Begriff Vergewaltigungen nicht direkt erwähnt. Seine Reaktion war eindeutig.
„Alles, ich will, dass er alles zu hören bekommt. Du musst mir versprechen, dass ihr ihn festnagelt. Entweder er hilft mir oder ich will ihn nicht wieder sehen.“
Ich spürte seine stark steigende Erregung und Wut. Ich musste diese Situation jetzt schnell deeskalieren, sonst würde er sich zu sehr aufregen.
„Darauf kannst du Gift nehmen, er wird keinen schönen Vormittag erleben. Wir werden dich gut vertreten und dann sehen wir weiter. Du bleibst jedenfalls so lange bei uns in der Schweiz, bis geklärt ist, wie das für dich weitergehen kann. Das hat mir der Direktor bereits zugesagt. Wenn es sein muss sogar für dich kostenfrei, falls dein Vater sich weigern sollte. Mach dir keine zusätzlichen Gedanken darüber. Das regeln wir für dich dann.“
„Papa, Lukas meinte, wir sollten mit dem Rad fahren. Dann würden wir uns ein wenig ablenken und außerdem können wir dann nach Hause fahren, wann wir wollen. Oder nachher noch was zusammen unternehmen.“
„Finde ich gut. Ihr nehmt Benny dann auch mit?“
„Klar, deshalb wollen wir das ja machen. Benny, kommst du mit?“
„Ok, wann müssen wir dann los?“
„In etwa zehn Minuten“, meinte ich dann und ergänzte scherzhaft, „fahrt durch den Wald, dann seid ihr auch wach im Unterricht.“
Wir lachten alle und so löste sich die Anspannung ein wenig. Also machten sich meine drei Jungs mit Benny gemeinsam mit den Rädern auf in die Schule. Ich hatte noch etwas Zeit und wollte mich noch etwas auf das Gespräch vorbereiten. Ich setzte mich vor meinen Computer, um noch ein paar rechtliche Sachen im Internet nachzulesen. Ich wollte mir sicher sein, welche Möglichkeiten wir hatten, dieser Mutter das Handwerk zu legen.
Irgendwann wurde es dann auch für mich Zeit sich auf den Weg zu machen. Ich spürte eine leichte Aggression in mir, ging in die Garage und überlegte, welches Fahrzeug ich nehmen sollte.
Meine Entscheidung fiel zugunsten des GT. Ich fuhr zügig, leider war ich in Gedanken nicht ganz bei der Sache. Plötzlich sah ich ein Haltesignal der örtlichen Gendarmerie. Fu...! Das hatte mir noch gefehlt. Ich hielt an und öffnete mein Fenster. Eine junge Polizistin kam an das Fenster:
„Grüezi der Herr. Einmal ihre Fahrzeugpapiere und ihren Führerschein bitte.“
„Einen Augenblick. Hier ist mein Führerschein und hier eine Kopie des Fahrzeugscheins.“ Ich reichte der Beamtin beides durch das Fenster.
„Stellen sie bitten den Motor ab und warten sie hier einen Augenblick.“
Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Ausgerechnet jetzt. Ich sah auf die Uhr, ich würde zu spät kommen. Ich wählte die Nummer vom Internat. Nach einmaligen Klingeln meldete sich Frau Schnyder . Ich erklärte kurz die Situation und sie versprach, den Direktor zu informieren.
Die Polizistin kam an meinen Wagen zurück.
„Herr Steevens, wir haben sie angehalten, weil sie ein wenig zu schnell unterwegs waren. Auch wenn sie sicher mit Geschwindigkeit keine Probleme haben und in einem UFO unterwegs sind, müssen sie sich an die Regeln halten. Das wissen sie aber sicherlich.“
Ich musste mich zusammennehmen, die Dame schien Humor zu haben. Also sagte ich etwas scherzhaft.
„Aber ja doch, nur dachte ich, für UFOs gelten andere Regeln. Es tut mir leid, ich muss zugeben, ich war einen Moment nicht bei der Sache und habe das Tempolimit übersehen. Wie viel zu schnell war ich denn?“
Die Dame lächelte sogar, als ich das sagte. Allerdings, was sie mir dann mitteilte, war weniger lustig.
„Sie waren leider 15 km/h zu schnell. Das wird auch für UFOs etwas mehr kosten. Sie bekommen in ein paar Tagen einen Bußgeldbescheid über 250 SFr. Da sie bislang keine Strafpunkte haben, wird es dabei bleiben. Aber tun sie mir einen Gefallen und halten sie sich in Zukunft auch mit ihrem UFO an die Schweizer Regeln. Ich wünsche ihnen noch eine gute Fahrt und einen schönen Tag.“
Dann gab sie mir meine Papiere zurück und ich fuhr wieder los. Die Schweizer Behörden verstanden bei Tempoverstößen absolut keinen Spaß. Diesmal allerdings achtete ich auf die Verkehrsschilder und so kam ich mit meinem „UFO“ auch sicher am Internat an.
Der Ford GT war wirklich eine flache Flunder. Es gab nicht viele Exemplare davon. In Europa wurden nur 101 Exemplare zugelassen. Von 4038 Exemplaren insgesamt.
Schnellstmöglich bewegte ich mich Richtung Sekretariat. Als ich dort eintrat, begrüßte mich Frau Schnyder mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
„Na, war Herr Steevens heute mal etwas zu schnell unterwegs? Das kommt davon, wenn man nicht zeitig los fährt. Was hat der Spaß gekostet, sich mit unserer Gendarmerie zu unterhalten?“
Ich war immer noch etwas verärgert über meine Dummheit, einen Moment nicht achtsam gewesen zu sein.
„250“, sagte ich nur knapp und etwas grimmig.
„Uiii, da müssen sie aber tiefgeflogen sein. Das war aber teuer.“
Dann wurde sie ernst und informierte mich, dass Bennys Vater und der Direktor bereits unterwegs waren, sich das Internat anzusehen. Das war eine tolle Idee, mir genügend Zeit zu geben, bei dem anstehenden Gespräch von Beginn an dabei zu sein. Ich musste dem Direktor später noch mal zu diesem tollen Schachzug gratulieren. Ich wartete also auf deren Rückkehr und genoss einen von Frau Schnyder exzellent zubereiteten Cappuccino. Es dauerte noch einen Moment, dann betrat Herr Steyrer in Begleitung eines Mannes das Sekretariat. Der Mann war für mich ein typischer Bänker. Dunkler Maßanzug und optisch perfekt auftretend. Herr Steyrer stellte uns einander vor und nach einem kleinen Smalltalk bat uns Herr Steyrer ins Besprechungszimmer. Herr Dankers war sichtlich irritiert, dass sein Sohn nicht bei dem Gespräch anwesend sei. Ich schaute Herrn Steyrer an und er übernahm die Gesprächsführung. Jetzt wurde es spannend.
„Herr Dankers“, begann der Direktor, „wir haben einige Dinge von ihrem Sohn erfahren, die uns zwingen mit ihnen ein Gespräch zu führen, was sicherlich nicht angenehm sein wird. Er hat uns von einigen sehr besorgniserregenden Dingen berichtet und wir sehen uns gezwungen dem nachzugehen.“
Damit war der Kampf eröffnet. Herr Dankers reagierte mit einer Abwehrhaltung. Herr Steyrer ließ sich nicht beirren und dann ließ er die Bombe platzen.
„Herr Dankers, ich mache jetzt keine Scherze mehr, dafür ist die Sache viel zu ernst. Es gibt die Vorwürfe schwerer Misshandlungen und Missbrauch ihres Sohnes gegen ihre Frau und Mutter ihres Sohnes. Benny hatte sich Herrn Steevens anvertraut und ihm seine Verletzungen gezeigt. Dabei hat er gestern auch von mehreren Vergewaltigungen gesprochen. Seine Schilderungen sind absolut glaubwürdig und deshalb habe ich mich entschlossen, in Absprache mit ihrem Sohn, Strafanzeige gegen seine Mutter zu stellen. Solange dieser Sachverhalt nicht eindeutig geklärt ist, wird ihr Sohn nicht nach Deutschland zurückkehren. Ich habe bereits heute Morgen mit den örtlichen Behörden das Notwendige veranlasst. Es gibt hier eine richterliche Anordnung, die besagt, dass die vorläufige Vormundschaft auf Herrn Steevens übertragen wird. Sie können sich dieses Dokument jetzt gerne durchlesen. Anschließend möchte ich von Ihnen eine Stellungnahme zu diesem Vorwurf haben.“
Die Stimmung war äußerst gespannt. Herr Steyrer hatte den Frontalangriff gewählt und somit Herrn Dankers gar nicht erst die Gelegenheit gegeben, herumzureden. Das gefiel mir sehr gut. Herr Dankers las sich das Schreiben des Vormundschaftsrichters durch und wurde immer blasser im Gesicht. Er legte das Papier auf den Tisch zurück und sah den Direktor mit einem nahezu ausdruckslosen Gesicht an. Ich hatte das Gefühl, er war wirklich darauf nicht vorbereitet gewesen und suchte nach Fassung. Nach einem Moment der absoluten Stille ergriff Herr Dankers das Wort:
„Entschuldigen sie bitte meine Verwirrung. Ich kann das momentan noch nicht glauben. Es stimmt, dass mein Sohn mir vor einigen Wochen von Prügeln berichtet hat. Daraufhin habe ich ihn ja hierher geschickt, um zu Hause ein paar Dinge zu regeln. Meine Frau hat ein Alkoholproblem und ich bin dabei das zu lösen, aber das, was ich hier zu lesen bekomme, raubt mir den Atem. Ich will, dass mir mein Sohn das bestätigt. Ich will ihn sofort sprechen.“
„Herr Dankers, das werde ich erst zulassen, wenn ich mir klargeworden bin, ob sie ernsthaft ihren Sohn unterstützen oder hier nur heile Welt spielen wollen. Damit das ganz klar ist, sie entscheiden hier darüber, ob wir mit ihnen zusammenarbeiten können oder ob wir Benny auch vor ihnen schützen müssen.“
Das hatte gesessen. Herr Dankers wurde ganz still. Er bat um eine Unterbrechung. Er wollte einen Moment draußen frische Luft schnappen. Herr Steyrer gewährte das, so hatten wir kurz Zeit, uns weiter abzustimmen.
„Was meinen sie Herr Steevens, hat er wirklich nichts von allem gewusst? Oder ist er mit beteiligt?“, wollte der Direktor jetzt wissen.
„Ich weiß es nicht. Ich glaube, es wird sich gleich zeigen, ob er sich für seinen Sohn entscheidet oder für seine Frau. Warten wir ab.“
Dann schwiegen wir beide. Ich war einfach nur wütend, dass Eltern sich so weit von ihren Kindern entfernen können, dass sie nicht mitbekommen wie die eigenen Kinder im eigenen Haus gequält werden.
Die Tür öffnete sich und ein sichtlich angeschlagener Herr Dankers setzte sich wieder zu uns an den Besprechungstisch.
„Ich bin geschockt. Wann hat Benny das denn erzählt? Und darf ich fragen, wieso ein berühmter Rennfahrer sich ausgerechnet um meinen Sohn kümmert? Ich bin vollkommen verwirrt.“
Ich konnte sogar verstehen, dass er damit überfordert war. Herr Steyrer gab ihm nun einen ganz ausführlichen Bericht über die Ereignisse und Entwicklungen der letzten Wochen. Nachdem er zum Ende gekommen war, meinte ich:
„Das ist der momentane Stand der Dinge und ich verspreche ihnen, ich nehme diese Sache sehr ernst. Ich habe mittlerweile drei Söhne und habe selber eine Zeit lang meine Kinder vernachlässigt, während meiner Karriere. Das wird mir nie wieder passieren. Benny erwartet das auch von uns. Er hat uns ausgewählt sich anzuvertrauen, das werde ich auch genauso erwidern, wie er das von mir erwartet. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass sie als Vater wenigstens ihm diese Unterstützung geben, die er jetzt braucht. Seine Mutter hat ihn ja bereits verraten, wenn sie als Vater das auch tun, werden wir dafür sorgen, dass Benny nie wieder in die Hände seiner Eltern kommt.“
Ich staunte über meine Kälte bei diesen Worten, aber ich war fest entschlossen, hier Fakten zu schaffen. Herr Dankers war sichtlich angezählt. Er war nicht in der Lage sich zu äußern. So übernahm Herr Steyrer wieder das Wort.
„Ich schlage ihnen jetzt vor, wir unterbrechen unser Gespräch an dieser Stelle und sie gehen einen Moment spazieren. In einer halben Stunde möchte ich wissen, wie sie gedenken damit umzugehen. Sind sie damit einverstanden?“
Herr Dankers nickte wortlos. Damit stand ich auf und verließ als Erster den Raum. Herr Dankers folgte mir. Ich blieb stehen, um auf Herrn Steyrer zu warten. Bennys Vater ging weiter nach draußen auf den Parkplatz. Ich bewegte mich mit Herrn Steyrer auf den Schulhof. Die Stimmung war sehr bedrückend für mich.
„Herr Steevens, was denken sie über den Vater?“
„Ich bin gerade sehr verwirrt. Er scheint gar nicht zu realisieren, was hier passiert ist. Ich hätte gedacht, er würde vielleicht protestieren oder sonst irgendwie reagieren, aber so kühl und emotionslos, ich weiß das nicht einzuordnen.“
„Wissen sie, manche Eltern wissen wirklich nicht, was ihre Kinder so den ganzen Tag machen. Stellen sie sich doch mal die Lage vor. Dieser Mann arbeitet sehr erfolgreich in einer leitenden Position in einer Bank. Er glaubt seinen jüngsten Sohn gut aufgehoben bei seiner Mutter. Dann tauchen die ersten Probleme auf und er schickt seinen Sohn hierher. Dass ihn dann das hier erwarten würde, scheint er überhaupt nicht geahnt zu haben. Ich glaube, dieser Vater verliert gerade das Bild seiner bislang heilen Familie. Wir sollten versuchen, ihn auf unsere Seite zu bringen und Benny den Vater zu erhalten. Ich hoffe, dass ich Recht habe. Ich glaube, der Vater wird uns unterstützen. Es wird Zeit brauchen, bis er das verarbeitet hat, aber er wird seinen Sohn nicht aufgeben.“
„Ich hoffe, sie werden Recht behalten. Warten wir ab.“
„Herr Steevens, ich glaube, es wäre gut, wenn sie jetzt zu Benny gehen und ihm berichten. Er soll selbst entscheiden, ob er seinen Vater sehen will oder nicht.“
Ich fand diesen Vorschlag sehr gut. Vielleicht würde es die Situation auch entspannen, wenn der Vater merken würde, dass es um Bennys Willen geht und nicht um etwas anderes. Ich machte mich auf den Weg in die Klasse zu den Jungs. Dabei kam mir Bennys Vater in der Halle entgegen.
„Herr Steevens, darf ich sie etwas fragen?“
„Bitte, um was geht es denn?“
„Wie stehen sie zu meinem Sohn, denken sie, er hat das wirklich alles erlebt?“
„Ja absolut. Ich glaube ihm ohne Abstriche. Ich habe ihren Sohn als einen tollen und liebenswerten Jungen kennengelernt, der hier gemerkt hat, in welcher Höller er jahrelang leben musste, weil sein Vater nie für ihn da war, als er ihn gebraucht hat.“
Herrn Dankers standen jetzt Tränen in den Augen. Er war am Boden zerstört. Dann sagte er einen sehr wichtigen Satz:
„Ich werde nichts gegen den Willen meines Sohnes tun. Wenn er hier bleiben möchte und ich ihm damit helfen kann, werde ich das unterstützen. Ich möchte ihn aber bitte selber einmal sprechen. Sie können auch bei ihm bleiben, damit er keine Angst haben muss. Bitte verstehen sie mich, hier ist gerade mein Bild meiner Familie zerstört worden. Das ist nicht so einfach zu verkraften.“
„Wissen sie“, sagte ich, „Benny würde sich nichts lieber wünschen, als Sie als Vater zurückzubekommen, er liebt Sie immer noch. Er hat von früher erzählt, als noch alles in Ordnung für ihn war. Er hat Sie immer respektiert bis zu dieser Zeit, als das Martyrium begann. Er hat hier erst gespürt, was ein normales Leben bedeutet. Er hat in unserer Familie gespürt, was es bedeutet jemanden zu haben, der ihn versteht und der ihn so akzeptiert, wie er ist. So, ich werde jetzt zu ihrem Sohn gehen und ihm berichten. Vielleicht möchte er sie ja sehen. Er soll das selbst entscheiden.“
Der Vater sah mich sehr nachdenklich und beeindruckt an. Er wollte mich am liebsten begleiten. Das verneinte ich jedoch. Benny sollte ohne Druck entscheiden, was nun passieren sollte.
Ich ging also alleine die Treppen hinauf zu dem Klassenraum von den Jungs. Ich klopfte an die Tür und nach einem „Herein“ betrat ich den Klassenraum. Schlagartig wurde es still in dem Raum, alle Augen sahen mich fragend an. Ich konnte Benny neben Mick sitzen sehen. Er sah mir in die Augen. Es war ein ganz heftiges Gefühl für mich.
„Herr Steevens“, sprach mich der Lehrer an, “was verschafft uns denn die Ehre ihres Besuches?“
Er wusste vermutlich nicht Bescheid.
„Guten Morgen zusammen, ich möchte Benny Dankers und meinen Sohn Mick bitten, mich zu begleiten. Das ist mit Herrn Steyrer so besprochen.“
Der Lehrer sah mich fragend an, aber nickte zustimmend. Dann standen Mick und Benny auf und folgten mir aus dem Klassenraum. Ich hatte die Tür noch nicht ganz geschlossen, als Mick mich mit Fragen überfiel.
„Lass uns nach draußen gehen. Da können wir reden.“
So taten wir das auch und ich gab beiden draußen auf dem Schulhof eine kurze aber präzise Information über den Stand der Dinge. Dann stellte ich Benny die entscheidende Frage:
„Was meinst du, willst du mit deinem Vater reden? Oder soll ich ihm sagen, dass du das noch nicht möchtest. Es ist beides für uns in Ordnung.“
Er sah mich sehr angespannt an, er hatte Angst. Das war überhaupt keine Frage.
„Muss ich alleine mit Papa sprechen?“, fragte er mich.
„Nein, natürlich nicht. Du bestimmst, ob jemand dabei sein soll und wer dabei sein soll.“
„Ich möchte, dass du und Mick dabei seid. Ist das ok? Ich habe Angst, dass er mich zu etwas überreden will.“
„Natürlich, und du kannst jederzeit das Gespräch beenden.“
Dann machten wir uns auf den Weg ins Besprechungszimmer. Ich konnte erkennen, wie Benny nach Micks Hand griff, als wir vor der Tür standen. Mick ließ ihn gewähren, dann fragte ich noch mal:
„Willst du jetzt wirklich mit deinem Vater sprechen?“
Benny nickte und dann gingen wir hinein. Sein Vater hatte bereits am Tisch gesessen und war aufgestanden, als wir den Raum betraten. Für einen Moment standen sich Vater und Sohn Auge in Auge gegenüber. Der Vater wagte es nicht, seinen Sohn zu begrüßen. Benny hingegen überwand diese Mauer. Er sagte:
„Hallo Papa, schön dass du gekommen bist.“
Dann setzte er sich an der anderen Seite des Tisches auf einen Stuhl. Mick saß neben ihm. Ich ergriff nun das Wort.
„Herr Dankers, Herr Steyrer, Benny hat mir gesagt, er möchte mit seinem Vater sprechen. Allerdings hat er sowohl mich als auch Mick gebeten dabei zu sein.“
Daraufhin stand Herr Steyrer auf und verließ das Besprechungszimmer. Wir hatten vorher vereinbart, dass wir uns anschließend wieder zusammensetzen würden.
Als wir allein waren, begann Benny dann seinem Vater wirklich alles zu berichten. Von den Anfängen bis zum Schluss. Sein Vater saß die ganze Zeit ihm gegenüber und schaute ihm in die Augen. Der Vater unterbrach seinen Sohn nicht ein einziges Mal. Nach etwa zwanzig Minuten Monolog von Benny war absolutes Schweigen im Raum. Benny zitterte am ganzen Körper, aber ich hatte den Eindruck, er hatte sich den ganzen Frust und den Schmerz von der Seele geredet. Was nun kam, war sehr emotional. Herr Dankers stand wortlos auf, ging um den Tisch und fiel seinem Sohn weinend um den Hals. Das hatte ich nicht erwartet. Herr Dankers machte bisher nicht den Eindruck, dass er überhaupt Gefühle für seinen jüngsten Sohn haben würde.
Ich hatte den Eindruck, dass es Benny nicht unangenehm war, was sein Vater tat. Deshalb gab ich Mick ein Zeichen, wir sollten den beiden einen Moment Zeit geben, allein zu sein. Das war eine sehr intime Situation und ich war mir sicher, dass wir den Vater auf unserer Seite hatten. Wir verließen den Raum, und als ich die Tür schloss, konnte ich auch bei Mick im Gesicht erkennen, dass diese Situation nicht spurlos an ihm vorbeigegangen war.
„Was denkst du, Papa? Wird der Vater Benny glauben und ihm helfen? Und wie geht es jetzt weiter?“
„Ich glaube, wir haben ihn überzeugt. Er wird auf unserer bzw. auf der Seite seines Sohnes stehen. Wir müssen jetzt viel Geduld haben. Ich hoffe, Herr Dankers wird seinen Sohn entscheiden lassen, wo er in nächster Zeit sein möchte.“
In diesem Moment kam Herr Steyrer zu uns. Er war verwundert, uns vor der Tür anzutreffen. Ich informierte ihn kurz und er war auch erleichtert, dass sich das Ganze recht positiv entwickelte.
Die Tür vom Besprechungszimmer öffnete sich und Benny stand zwar mit verweinten Augen, aber sichtlich erleichtert vor mir.
„Marc, kommt ihr bitte wieder herein. Mein Vater möchte wissen, wie es jetzt weiter gehen soll.“
Ich nickte und Herr Steyrer und ich gingen wieder hinein. Mick wollte wieder in seinen Unterricht gehen und Lukas kurz informieren. Er war der Meinung, dass sein Freund sonst vor Aufregung den Herztod sterben würde. Da ich das nicht verantworten wollte, entließ ich ihn lachend.
Wir setzten uns und Herr Steyrer klärte uns über den weiteren Verlauf auf. Zuerst einmal musste die Frage geklärt werden, wo Benny in der nächsten Zeit leben wollte. Benny äußerte den klaren Wunsch, hier im Internat bleiben zu wollen. Das fand der Vater zwar bedauerlich, aber er konnte es auch verstehen, da die Situation zu Hause ja noch nicht geklärt wäre. Er gab also sein Einverständnis. Damit war für uns schon einmal viel von der ganzen Bürokratie hinfällig geworden. Benny dufte freiwillig bleiben und der Vater war auch einverstanden für die Kosten aufzukommen. Den genauen Zeitraum würden Vater und Schulleitung noch klären. Aber mindestens das Schuljahr würde Benny bleiben.
Nun kamen wir an den wohl schwierigsten Teil der Angelegenheit. Wie würde es mit der Situation der Mutter weitergehen. Die Schule hatte ja Strafanzeige gegen die Mutter gestellt. Jetzt sollte geklärt werden, ob Benny ebenfalls gegen seine Mutter Anzeige erstatten wollte. Benny zögerte, als er von Herrn Steyrer gefragt wurde. Bennys Vater mischte sich dann ein.
„Ich würde gerne dazu etwas anmerken. Muss mein Sohn heute hier eine Entscheidung dazu treffen? Wissen sie, ob er dann noch mal seine Aussagen vor Gericht machen muss? Das wird sicher nicht leicht werden. Können wir das nicht noch ein wenig abwarten?“
Da zuckte Benny zusammen und fuhr seinem Vater barsch dazwischen.
„Nein Papa, ich werde sie anzeigen und ich will, dass sie nie wieder jemandem so etwas antun kann. Wenn es mir schlecht dabei gehen sollte vor Gericht, wird Marc mich unterstützen. Also ich ziehe das jetzt durch.“
Wir schauten uns alle sehr beeindruckt an. Sein Vater nickte und damit war das auch geklärt.
„Können wir Benny nicht noch mehr unterstützen das Erlebte zu verarbeiten, und was kann ich jetzt noch tun, nachdem ich so lange die Augen verschlossen habe?“, fragte uns Herr Dankers.
„Es gibt viele Möglichkeiten Benny zu unterstützen, aber wir sollten nichts ohne Bennys Zustimmung machen. Er selbst muss entscheiden, was er tun möchte. Ich würde es begrüßen, dass du, wie Lukas damals auch, eine Gesprächstherapie mit einem Psychologen machst“, sagte ich zu Benny.
„Kann ich mit Lukas erst darüber reden? Ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon kann.“
Ich sah ihn an und musste eigentlich schmunzeln, das war so typisch für ihn. Da es aber viel zu ernst zum Schmunzeln war, antwortete ich sehr ernst:
„Natürlich, du kannst dir das in Ruhe überlegen und auch mit uns darüber sprechen, wenn du Fragen hast. Aber du solltest dir Unterstützung nehmen.“
Wir besprachen noch einige organisatorische Dinge, zum Beispiel wie Benny seine Sachen von zu Hause bekommen würde. Er sollte auf keinen Fall seiner Mutter jetzt noch einmal begegnen. Darum wollte sich sein Vater kümmern. Er sagte Benny zu, dafür zu sorgen, dass seine Mutter dann nicht anwesend wäre. Auch die verwaltungstechnischen Dinge klärte Herr Steyrer mit Bennys Vater. Es kam eins zum anderen und nach zwei Stunden intensiven Gesprächen waren wir soweit fertig, dass alles erst einmal geklärt war. Benny war erschöpft. Er bat mich darum, dass er heute noch bei uns bleiben könnte. Ich sagte das selbstverständlich zu und schlug ihm vor, schon einmal nach draußen zu gehen. Herr Steyrer und ich saßen noch einen Moment mit Herrn Dankers zusammen. Herr Dankers war sichtlich angeschlagen. Er bat uns darum, für heute Schluss zu machen. Er fragte noch, ob er sich denn jetzt regelmäßig bei seinem Sohn melden sollte, oder ob er ihm erst einmal Zeit lassen sollte. Ich schlug vor, es Benny zu überlassen auf seinen Vater zuzugehen. Ich versprach aber, mit Benny darüber zu sprechen. Ich sah es als sehr wichtig an, dass die beiden wieder zusammenfinden würden. Aber Benny sollte die Art und die Geschwindigkeit vorgeben.
Damit war dieser Termin für heute erledigt und ich war sichtlich erleichtert, dass es so verlaufen war. Ich stand mit Benny draußen, als sein Vater zu uns kam.
„Herr Steevens, ich fahre jetzt ins Hotel zurück und würde mich gerne heute Abend noch von meinem Sohn verabschieden, bevor ich zurückfliege nach Deutschland. Mein Flug geht morgen um sechs Uhr. Da wäre es sicher besser, wir könnten das heute noch machen.“
„Benny, was meinst du? Möchtest du das?“, dabei sah ich ihm in die Augen und spürte seine Angst.
„Kann er zu euch kommen und können wir das zusammen machen?“, kam sehr schüchtern von ihm. Er wollte noch nicht mit seinem Vater allein sein. Ich konnte das absolut verstehen. Ich versprach ihm, dass sie das so machen könnten. Also verabredeten sie sich für sieben Uhr bei uns. Ich würde dann bei diesem Treffen dabei sein. So gingen wir auseinander. Herr Dankers versprach uns zum Abschied noch einmal, alles für seinen Sohn zu tun. Ich war sehr gespannt, wie sich das entwickeln würde. Für mich war klar, Benny hatte noch einen langen und schmerzhaften Weg vor sich.
„Sag mal Benny, was möchtest du denn jetzt machen? Kommst du mit mir nach Hause oder willst du wieder in den Unterricht?“
Er sah mich ganz verwundert an und meinte:
„Meinst du denn, ich kann so einfach jetzt nach Hause gehen? Ich habe noch Unterricht.“
Da kam Herr Steyrer zu ihm und schaute ihn verständnislos an.
„Du gehst heute auf keinen Fall mehr in den Unterricht. Mach dir mit Marc einen schönen Tag. Ihr habt es euch verdient.“
Damit verabschiedeten wir uns von Herrn Steyrer und ich ging mit Benny noch zusammen in die Klasse seine Sachen holen. Wir warteten noch ein paar Minuten vor der Klasse, bis die Stunde beendet war. Ich nutzte die Gelegenheit ganz schnell meine Jungs auf den neuesten Stand zu bringen, dann ging ich mit Benny zum Auto.
„Mensch Marc, da fällt mir ein, wir sind doch heute Morgen mit dem Fahrrad gekommen. Wie bekommen wir das jetzt nach Hause? In deinem Auto ist dafür wohl kein Platz.“
Tja, da hatte er natürlich Recht.
„Das kann bis morgen hier stehen bleiben. Ich bringe dich dann morgen zur Schule und du behältst es dann so lange, bis du deine eigenen Sachen hier hast. Du wirst ja jetzt fest im Internat wohnen.“
Damit war das entschieden und wir stiegen in die flache Flunder. Ich war noch immer gedanklich mit dem beschäftigt, was heute Morgen hier passiert war. Benny ging es ebenso und deshalb sprachen wir beide nicht viel. Ich hatte jetzt allerdings Hunger bekommen. Ich entschied spontan zum Bulgaren zu fahren. Benny merkte sehr schnell, dass ich einen anderen Weg fuhr.
„Hey Marc, wohin fährst du? Das ist aber nicht der Weg zu euch nach Hause.“
Ich lächelte und meinte nur: „Nein, ich habe entschieden, dass wir uns eine Belohnung verdient haben. Hast du nicht auch Hunger?“
Er lachte wieder, das erste Mal heute, dass ich sein Lachen sah.
„Ja, kannst du denn Gedanken lesen?“
Damit war das auch geklärt. Ich spürte, wie mir langsam die Anspannung abfiel. Wie musste es da nur Benny ergehen. Ich vermied es ganz bewusst, das Gespräch auf den heutigen Morgen zu bringen. Das sollte heute nicht mehr Thema werden, jedenfalls erst mal nicht. Wir fuhren zum Bulgaren und ließen es uns mal so richtig gut gehen.
„Sag mal Benny, Mick sagte mir, dass du hier mittlerweile einige Kontakte hast. Wie ist das denn mit der Nachhilfe und Marcel? Läuft das ganz gut?“
„Ja Marc, läuft wirklich gut. Ich verstehe mich mit ihm sehr gut. Wir haben uns sogar ein wenig angefreundet. Wir machen auch andere Sachen mittlerweile. Wir zocken öfter am PC und waren auch schon mal im Kino. Er ist echt nett.“
„Das freut mich sehr. Ich finde es nämlich ganz wichtig, dass du hier schnell Anschluss findest. Ich möchte aber auch noch mal ganz deutlich sagen, du bist bei uns immer willkommen. Meine Jungs mögen dich alle. Mich eingeschlossen. Allerdings bin ich vermutlich etwas zu alt für die Disco.“
Jetzt sah mich Benny etwas merkwürdig an, aber er musste dann grinsen.
„Wenn alle Väter so wären wie du, dann hätten wir damit bestimmt kein Problem, dass du schon etwas älter bist.“
Wir mussten beide lachen. Es tat gut, einfach ein wenig Entspannung zu haben.
„Hast du jetzt eigentlich dein Skaterprojekt begonnen?“
Diese Frage war ihm sichtlich etwas unangenehm.
„Nein, ich hatte einfach zu viel mit dieser Sache mit meinem Vater im Kopf. Außerdem was wäre denn gewesen, wenn ich wieder nach Deutschland gemusst hätte? Dann hätte ich das hier begonnen und alles wäre umsonst gewesen.“
„Gut, das ist verständlich. Jetzt aber ist geklärt, dass du hier bleiben wirst. Was willst du jetzt an schönen Dingen machen? Ich möchte, dass du ganz schnell wieder in einen normalen Alltag kommst.“
Wir hatten das Essen mittlerweile beendet und ich gab dem Kellner ein Zeichen, dass ich noch etwas bestellen möchte.
„Ja du hast sicher recht. Ich will jetzt Marcel auf seine Prüfungen vorbereiten und mit der sechsten Klasse in den Projekttagen einen Skater Workshop anbieten. Wenn sich da genug melden, will meine Klassenlehrerin Herrn Dr. Steyrer fragen, ob ich das nicht einmal in der Woche fest anbieten kann.“
Der Kellner stand am Tisch und ich bestellte mir noch einen Café Latte, Benny wollte erst nichts, aber dann nahm er auch einen Milch Kaffee.
„Das finde ich eine gute Idee, ich habe da jetzt auch eine Idee. Wie sieht das bei dir eigentlich mit dem Führerschein aus? Du bist sechzehn und könntest ja einen 125er Schein machen. Das würde dich erheblich mobiler machen.“
„Schon, ich würde das gerne machen, aber dafür fehlt mir im Moment das Geld und meinen Vater wollte ich im Moment nicht fragen. Fährst du eigentlich Motorrad?“
„Ja, ich fahre auch gerne Motorrad. Schon immer, seit ich sechzehn bin. Aber meine Jungs sind nicht so begeistert. Seit ich Lukas adoptiert habe, ist das leider fast eingeschlafen. Er will das nicht. Er hat immer noch Angst, mir könnte etwas passieren. Manchmal fahre ich dann heimlich mal eine Runde. Ich habe die Hoffnung, dass Leif mit sechzehn fahren will. Er hatte das schon mal gesagt.“
„Hast du denn noch ein Motorrad? Ich habe bei dir in der Garage keins gesehen.“
„Hehe, ja ich habe eine KTM RC8 R, aber die steht gut versteckt. Wenn Lukas die findet, bekomme ich Ärger. Das muss nicht sein.“
„Ach ne, du hast Geheimnisse vor deinen Kindern? Das hätte ich ja nicht gedacht.“
Jetzt musste ich lachen. „Mann Benny, ich bin auch nur ein Mann. Darf ich nicht auch mal eine dunkle Seite haben?“ Da musste er laut lachen.
„Marc, ich möchte dir jetzt etwas Persönliches sagen. Ich weiß, du wirst es nicht gerne hören, aber ich bin dir so dankbar für alles. Ich habe mir immer gewünscht, einen Vater wie dich zu haben. Es ist einfach toll mit dir zu reden und zu wissen, dass du mir zuhören wirst, egal was kommt. Danke!“
Ich wusste, dass so etwas kommen würde. Ich freute mich auch drüber, aber das sollte eigentlich etwas völlig Normales sein.
„Ist schon gut. Ich freue mich, dass es dir hier gut geht. Zurück zum Thema Führerschein. Würdest du das denn gerne machen wollen?“
„Ja, eigentlich schon. Ich weiß halt nicht, wie ich das hinbekomme mit den Finanzen. Vielleicht finde ich ja auch einen Ferienjob.“
„Eine gute Idee. Ich habe da auch eine Idee. Du bist ja sehr geschickt und handwerklich begabt. Ich habe vor, mich an einer Werkstatt zu beteiligen. Dort arbeiten zwei Studenten und schrauben an Autos. Die sind sehr nett. Ich werde dort in Zukunft meine Oldtimer Projekte machen. Vielleicht kannst du dort für ein paar Stunden arbeiten. Meine Cobra ist ja jetzt fertig, aber ich plane ein neues Projekt. Außerdem muss der Caddie bald ein neues Getriebe haben. Der Wandler fängt an Probleme zu machen. Er kommt mir der hohen Leistung nicht zurecht. Also da gäbe es genug zu tun. Ach ja, da fällt mir ein, du wolltest doch in unserem Garten was ändern. Da wäre sicher auch die eine oder andere Stunde zu tun.“
„Den Garten werde ich als Nächstes angehen. Ich habe schon genaue Vorstellungen, was ich da machen will. Aber nicht dass du auf die Idee kommst, mir dafür Geld zu geben. Der Garten ist mein Beitrag für eure Hilfe und Freundschaft.“
„Seit wann ist Freundschaft käuflich? Wenn du für uns eine Arbeit machst, wird das ordentlich bezahlt. So wie sich das gehört. Und damit das klar ist. Da wird nicht mit mir diskutiert. Hättest du denn Interesse an der Schrauberei in der Werkstatt?“
„Klar, du sagst ja, die beiden wären nett. Aber würden die mich denn da überhaupt haben wollen?“
„Fragen wäre eine Möglichkeit, das herauszufinden. Und dann kommt ja auch noch mein Projekt.“
„Was hast du denn vor? Wieder so ein Monster wie die Cobra?“
„Nein, ich möchte einen Lancia Delta Integrale evo neu aufbauen. Ich habe damit mal einige Rallyes gefahren, bevor ich in der Formel 1 angefangen habe. So einen möchte ich für historische Ralleys haben. Diese Autos sind sehr selten geworden. Entweder wurden sie verheizt oder der Rost hat sie aufgefressen. Das wird mein nächstes Projekt werden. Ich möchte ein Fahrzeug aufbauen nach dem alten Gruppe A Reglement. Ferrari hat mir schon zugesagt, für den Motor und das Getriebe zu sorgen.“
Wir redeten noch eine ganze Weile und irgendwann meinte Benny zu mir:
Weißt du Marc, ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr so ein tolles Gespräch geführt. Ich habe so etwas mit meinem Vater nie machen können. Er war ja nie da. Weißt du eigentlich, wie schön das ist?“
Ich musste einen Moment nachdenken. „Doch Benny, ich weiß es mittlerweile, wie wichtig das für Kinder ist. Aber ich habe es auch erst lernen müssen. Ich war ja auch eine Zeit lang genauso wie dein Vater immer unterwegs und habe geglaubt meinen Kindern gehe es gut. Heute bin ich sehr froh und glücklich, dass meine Kinder diese Zeiten so gut überstanden haben und wir heute eine richtige Familie geworden sind.“
Ich konnte spüren, Benny hatte jetzt schwer zu schlucken.
„Pass auf Benny, ich möchte, dass du diesen Führerschein machst. Ich bitte dich, schau dich nach einer Fahrschule um und erkundige dich, was der ungefähr kosten wird. Ich werde dich für deine Arbeit im Garten und in der Werkstatt bezahlen, dann sehen wir weiter.“
„Ok danke, ich werde mich darum kümmern, versprochen.“
Mittlerweile war es doch schon früher Nachmittag geworden.
„Was hast du denn jetzt noch vor? Heute Abend sind wir ja bei uns und treffen deinen Vater wieder.“
„Ähm, ich wollte mich eigentlich mit Marcel treffen. Er wollte mir etwas an seinem PC zeigen.“
„Alles klar, soll ich dich also ins Internat bringen?“
„Das wäre natürlich schön, wenn du damit einverstanden bist.“
„Klar, warum sollte ich nicht? Dann kannst du ja auch das Fahrrad nachher nehmen. Übrigens, das kannst du erst mal für dich nutzen. Du musst es nur pfleglich behandeln. Ich stelle es dir zur Verfügung, bis du dein eigenes hierher gebracht hast.“
„Danke, das ist sehr nett. Ein Fahrrad ist hier schon von Vorteil.“
Das war dann der Punkt, ab dem wir aufstanden und ich die Rechnung bezahlte. Ich brachte Benny ins Internat zurück und wollte nach Hause fahren. Ich hatte aber plötzlich die Idee bei Sabine und Lucien vorbeizufahren. Ich wollte sie kurz über den Verlauf des Vormittages informieren.
Ich stand einige Minuten später vor ihrer Haustür und klingelte. Ich hörte, wie jemand zur Tür kam und öffnete.
„Hallo Sabine, hast du einen Moment Zeit, ich wollte kurz berichten, wie es mit Benny gelaufen ist.“
„Hallo Marc, ja sicher. Komm herein. Ich bin gerade im Keller Wäsche aufhängen. Kommst du mit runter. Ich muss gleich noch Lucien abholen. Das wird sonst knapp.“
Also gingen wir in den Keller. Ich berichtete ihr kurz den Verlauf des Vormittages, allerdings ohne irgendwelche inhaltlichen Details. Sie merkte recht schnell, dass dieser Vormittag für mich nicht einfach war. Als ich fertig war, sah sie mich an und schüttelte den Kopf.
„Was würden diese Jungs nur machen, wenn es nicht so Menschen wie dich geben würde? Ich finde es toll, was du für Benny tust.“
Mir war das etwas unangenehm, denn ich hatte keinen Moment gezögert, mich hier einzumischen.
„Ach lass mal gut sein. Mir geht es mit meinen Jungs derart gut. Das Leben hat es sehr gut mit mir gemeint. Da darf ich ruhig auch mal etwas mehr für andere tun.“
Sie schaute mich an, lachte und dann redeten wir noch kurz darüber, dass Benny heute Abend sich bei uns mit dem Vater treffen wird. Sie schaute auf die Uhr und schlug dann vor:
„Sag mal Marc, was hast du denn noch so vor heute? Ich hätte wohl Lust uns einen Kaffee zu machen, allerdings müsstest du dann Lucien abholen. Der ist bei einem Klassenkameraden zum Lernen. Ich sollte ihn in zehn Minuten abholen. Würdest du dann mit Lucien noch beim Bäcker vorbei fahren. Ich bereite in der Zeit hier alles vor.“
„Wenn du mir sagst, wo ich hin muss, mache ich das gerne.“
Dabei mussten wir beide lachen.
„Du bist unmöglich, als ob ich dich jemals losgeschickt hätte, ohne dir zu sagen wohin.“
Sie gab mir die Adresse und ich machte mich auf den Weg. Dann klingelte das Handy.
„Hallo Leif, was gibt’s denn? Bei dir alles klar?“
„Ja sicher, ich will wissen, wie es mit Benny gelaufen ist. Hast du seinem Vater ordentlich einen eingeschenkt?“
„Leif, es ist gut gelaufen, wie wir finden. Herr Steyrer hat ihn ziemlich direkt und frontal angegriffen. Er war sehr betroffen. Er scheint es wirklich nicht gewusst zu haben. Das Ergebnis jedenfalls ist vielversprechend. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die beiden sich zusammen finden werden.“
„Und was ist mit Benny? Muss er jetzt wieder zu seinem Vater zurück?“
„Nein Kleiner, er bleibt hier. Und zwar mit Unterstützung des Vaters. Er macht auf jeden Fall das Schuljahr hier fertig. Also erst mal haben wir Zeit gewonnen. Nun braucht Benny Zeit, um das alles aufarbeiten zu können.“
„Cool, ich freu mich echt. Darf Stefanie heute bei mir schlafen? Wir müssen morgen erst später zur Schule.“
Jetzt war ich aber doch etwas verblüfft. Das war bislang noch nicht Thema und ich wollte auch erst mit ihm ein paar Regeln dazu klären.
„Leif, heute ist das nicht gut. Benny trifft sich nachher bei uns mit seinem Vater. Er hatte mich darum gebeten, dass ich dabei bin und da habe ich gesagt, dass sie zu uns kommen sollen. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Außerdem möchte ich doch erst mit dir noch mal darüber reden, was das gemeinsame Schlafen bei uns betrifft.“
„Boah Papa, das finde ich jetzt aber blöd. Neulich hast du doch gesagt, du hast nichts dagegen, dass Stefanie bei uns schläft. Warum dann jetzt das?“
„Weil die Situation heute denkbar ungünstig dafür ist. Habe ich doch gerade gesagt. Jetzt fang nicht an, daraus ein Problem zu machen. Ich will nochmal mit dir in Ruhe darüber reden. Außerdem möchte ich von dir noch die aktuellen Dinge aus der Schule sehen. Ich mache dir einen Vorschlag. Du kannst sie am Freitag einladen. Bis dahin haben wir das geklärt.“
„Ich finde das echt blöd jetzt. Aber nun gut. Aber Freitag ist dann versprochen?“
„Wenn du alle Voraussetzungen erfüllt hast und ich mit dir gesprochen habe, ist das versprochen.“
„Ok, wann soll ich heute zu Hause sein? Ich bleibe dann besser bei ihr, wenn Bennys Vater da ist.“
„Ich möchte, dass du um neun zu Hause bist.“
„Ok Papa, dann bis nachher.“
Ich steckte das Handy wieder ein und schaute auf die Uhr. Ich musste mich etwas beeilen. Allerdings war der Verkehr doch recht wenig heute, so stand ich pünktlich vor der Adresse. Es war eine schöne Gegend, das Haus hatte einen tollen Vorgarten. Ich stieg aus und ging den Weg durch den Vorgarten. Ich konnte Stimmen hinter dem Haus hören. Eine davon kam mir sehr bekannt vor. Ich ging also direkt um das Haus in den Garten. Da tobten drei Jungs mit einem Fußball im Garten. In dem Moment, wo ich um die Ecke kam, schoss Lucien auf das Tor. Leider verfehlte der Ball sein eigentliches Ziel. Bevor ich reagieren konnte, traf mich der Ball am Kopf. Ich hatte damit überhaupt nicht gerechnet und deshalb taumelte ich zwei Schritte zurück und fiel auf den Rasen. Dort lag ich nun wie eine Schildkröte auf dem Rücken. Die Stimmen der Jungs waren schlagartig verstummt. Ich rappelte mich wieder auf und sah in die Gesichter dreier Jungs. Sie standen mittlerweile vor mir und waren vermutlich genauso verdutzt wie ich. Einer der Jungs war etwas jünger. Lucien stand mit großen Augen da und stöhnte leise auf:
„Mann so ne Scheisse! Marc bist du ok? Wo kommst du denn her und wieso weißt du, wo ich bin?“
„Langsam Luc, ich bin noch nicht ganz wieder bei der Sache. Du hast ja schon wieder nen ordentlichen Schuss. Respekt!“
Da musste er auch wieder lachen. Sein Freund hingegen sah mich an wie ein Gespenst. Lucien kam auf mich zu, umarmte mich und entschuldigte sich erneut für den Abschuss.
„Sagt mal, sieht bei euch so das Lernen für die Schule aus? Harmlose Autofahrer umschießen, also ich verstehe unter Lernen für die Schule etwas anderes.“ Lucien und der jüngere der beiden anderen lachten sich kaputt.
„Luc, stell mir doch erst mal deine Freunde vor. Einer von ihnen scheint die Sprache verloren zu haben.“
„Ach denk dir nichts dabei. Stefan wollte mir eh nie glauben, dass wir Freunde sind und ich dich häufiger sehe. Er meint, ich würde mir das immer nur ausdenken. Schließlich wärst du ja ein Superstar.“
„Soso, na dann wollen wir mal deinen Stefan jetzt auch persönlich begrüßen, vielleicht glaubt er es ja dann.“
Ich ging auf den Jungen zu und gab ihm die Hand. Er taute jetzt etwas auf und so unterhielten wir uns noch einen Moment. Lucien musste noch seine Schulsachen aus dem Haus holen, dann verabschiedeten wir uns von den beiden Jungs. Lucien sah meinen GT und freute sich wieder wie ein kleiner Junge. Wir fuhren noch beim Bäcker vor und ich wollte etwas Kuchen mitbringen.
„Hast du einen besonderen Wunsch?“, fragte ich ihn vor dem Laden.
„Kann ich mitkommen, dann zeige ich dir auch, was Mama besonders mag.“
„Klar, dann komm. Sabine wartet bestimmt schon auf uns.“
Wir betraten den Laden und Lucien wusste sehr genau, was er wollte und was Sabine gerne mochte. Ich nahm jeweils genug von beidem mit und dann gings auch schon wieder zurück zu Sabine.
Wir redeten noch über einige Kleinigkeiten aus der Schule und irgendwann meinte Lucien dann:
„Marc, kannst du vielleicht auch einmal bei uns mit mir kochen? Ich möchte Mama gerne mal überraschen. Sie traut mir immer noch nicht viel zu. Sie will auch nicht, dass ich mal ein Wochenende allein zu Hause bin. Das ist echt nervig. Alle meine Freunde dürfen auch schon mal allein bleiben oder sich dann einen Freund einladen. Ich muss jedoch immer mit, wenn sie mal zu Verwandten will oder wenn ich Freunde einlade, dann nur, wenn sie auch da ist.“
Ich hatte schon so was geahnt. Das letzte Gespräch war zwar ganz gut mit den beiden gelaufen, aber ich hatte da schon das Gefühl, dass es Sabine nicht so leicht fallen würde, das zu ändern.
„Luc, ich finde es gut, dass du mir das so sagst. Aber hast du es denn ihr auch schon so gesagt?“
„Nein, ich traue mich nicht. Sie wird dann immer gleich laut und sagt, dass sie die Verantwortung trägt und sie es eben so macht, wie sie das für richtig hält. Ich kann da nichts gegen machen.“
„Ok, schauen wir mal. Jetzt gehen wir aber erst mal den Kuchen verarbeiten. Kommst du?“ Wir standen nämlich schon einen Moment in der Einfahrt. Lucien stieg jetzt munter die Treppen zur Tür hinauf und schloss auf. Ein herrlicher Kaffeeduft kam uns entgegen. Aber es roch auch nach Kakao.
Wir kamen in die Küche und Lucien umarmte seine Mutter zur Begrüßung. Also so schlimm schien die Stimmung ja nicht zu sein. Lucien packte den Kuchen aus und verteilte ihn auf dem großen Kuchentablett. Sabine bat mich schon mal Platz zu nehmen, sie holte noch die zwei Kannen. Eine war mit heißem Kakao für Lucien und die andere war für uns mit Kaffee gefüllt.
Lucien erzählte aus der Schule und das sie gut gelernt hätten. Das Fußballspielen ließ er in seiner Erzählung allerdings komplett weg.
Der Kuchen war wirklich hervorragend. Irgendwann hatten wir uns gemütlich in den Garten gesetzt. Ich hatte noch etwas Zeit und Sabine schien auch nichts Größeres mehr geplant. Lucien war in sein Zimmer gegangen, als Sabine mich etwas verwundert anschaute.
„Sag mal Marc, was hast du denn mit deiner Augenbraue gemacht? Die sieht ganz geschwollen aus.“
Ich hatte es noch gar nicht bemerkt, aber es war wohl so, dass der Ball doch eine größere Wirkung gehabt hatte.
„Ach nichts Besonderes, ich bin von einem tieffliegenden Fußball getroffen worden. Daher wird das wohl kommen.“
„Soso, ein tieffliegender Fußball. Du weißt nicht zufällig, von wem dieser tieffliegende Ball geschossen wurde?“
Dabei sah sie mich durchaus ernst an. Ich konnte mir aber das Lachen jetzt nicht verkneifen. „Doch ich weiß es, aber ich weiß nicht, ob es klug wäre, es dir jetzt zu sagen.“ Damit hätte ich auch gleich sagen können, dass Lucien der Übeltäter war.
Sie schüttelte nur den Kopf und meinte dann: „Du bist unmöglich. Da schießt dir mein Sohn den Ball an den Kopf und du sagst kein Wort davon. Er hatte ja wohl genau deswegen auch nur erzählt, dass sie gut gelernt haben. Ich weiß schon lange, dass sie dort immer auch noch bolzen. Der Junge glaubt wohl, ich sei blöd.“
Wir beide mussten lachen. Ich zeigte ihr nur den Daumen hoch und dann ging sie ins Haus. Wenige Momente später kam sie wieder zu mir und hatte eine kühlende Salbe in der Hand. Sie nahm etwas davon auf ihre Hand und verteilte es über meinem Auge. Das tat richtig gut. Auch wie ihre Hände das Gel leicht einmassierten. Es war ein schönes Gefühl. Sie setzte sich wieder zu mir an den Tisch und ich bedankte mich für diese sehr angenehme Behandlung.
„Sabine, Luc möchte, dass ich mit ihm hier mal etwas gemeinsam mache. Nur wir beide. Ich glaube, er möchte dich mit einem tollen Essen überraschen. Er hat sich auch wieder über dich beschwert. Du würdest ihm nichts zutrauen und ihn nicht mal allein zu Hause lassen. Warum fällt dir das so schwer?“
„Marc, ich spüre, dass er sich ärgert und ich weiß auch von diesem Wunsch. Er hatte es mal erwähnt. Ich habe einfach Angst, ich könnte ihn überfordern. Was ist denn, wenn ich weg bin und es passiert etwas. Wenn ich bei meinen Verwandten bin, brauche ich zwei Stunden um wieder zurück zu sein.“
„Dann sag doch mir Bescheid. Wenn es zu Problemen kommen sollte, kann ich in zehn Minuten hier sein. Er muss das doch nicht so genau wissen. Er denkt, er wäre allein verantwortlich und du hast die Sicherheit, dass er nicht allein ist. Das haben meine Eltern früher auch so gemacht. Ich habe immer geglaubt, ich wäre schon allein für alles verantwortlich und fühlte mich ganz toll. In Wirklichkeit war aber immer jemand in der Nähe, der nach mir geschaut hatte. Unauffällig aber eben präsent.“
„Hmmm, du hast immer eine Idee für jede Situation. Ich habe schon ein ganz schlechtes Gewissen. Bin ich echt so eine schlechte Mutter?“
„Nein, ganz bestimmt nicht. Aber es ist nicht immer leicht, die Kinder loszulassen. Ich merke es bei mir doch auch. Glaubst du, mir fällt das leicht, Leif mit seiner Freundin laufen zu lassen und sich darauf verlassen, dass er nicht leichtsinnig ist? Ich versuche immer noch, ein Auge drauf zu haben. Aber manchmal muss auch mal was passieren, damit sie merken, sie müssen aufpassen und nicht immer sich auf die anderen verlassen. Es kommt halt drauf an, wann und was passiert.“
„Hast du nicht Angst, Leif könnte mit Stefanie ungeschützten Sex haben?“
Sie wurde sogar etwas rot bei dieser Frage. Ich musste lachen.
„Doch, die habe ich. Aber ich habe auch Vertrauen in Leif. Er ist nicht blöd. Er weiß, wie das mit der Sexualität ist. Also von daher muss ich da abwarten. Aber ich schaue genau hin. Momentan sehe ich da noch keinen Bedarf einzugreifen.“
„Deine Gelassenheit möchte ich auch mal haben. Also gut. Ich werde mir Gedanken dazu machen. Am übernächsten Wochenende bin ich zu meinem Bruder nach Bern eingeladen. Lucien langweilt sich da eh meistens und wird sicher begeistert sein, wenn er nicht mitfahren muss. Hättest du denn Zeit mal hier nach dem Rechten zu schauen?“
„Ja sicher, wann kommst du denn am Sonntag zurück?“
„Ich denke, ich bin so gegen sechs zurück. Wir müssen dann ja noch für den nächsten Tag die Schulsachen vorbereiten.“
„Gut, ich werde zwischendurch einfach mal hier reinschauen. Sag ihm aber nichts davon. Ich weiß offiziell nichts davon. Ok?“
Sie lachte und damit war das auch erledigt. Ich wollte aufbrechen, wir gingen nach vorne zu meinem Auto. Als ich einsteigen und mich von ihr verabschieden wollte, umarmte sie mich sehr innig und flüsterte mir ins Ohr:
„Danke für alles! Du weißt gar nicht, was für ein toller Mensch du bist. Lucien hat dich einfach ins Herz geschlossen. Ich bin so glücklich, dass er wieder fröhlich ist.“
Dann gab sie mir einen Kuss. Ich war total überrascht. Aber es hat sich gut angefühlt. Ich nahm sie noch einmal in den Arm und dann gab ich ihr auch einen Kuss. Danach stieg ich ein und konnte aber noch erkennen, dass Lucien uns von seinem Fenster beobachtet hatte. Ich stieg ein und fuhr davon. Ich weiß auch nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, ich schwebte. So ein Gefühl hatte ich schon ganz lange nicht mehr.
Mick: Ein wichtiger Tag für Benny
Wir fuhren zu dritt Richtung Schule. Ich konnte die Anspannung spüren, die Benny beschäftigte. Er versuchte zwar möglichst normal zu sein, aber er war gedanklich schon bei dem Gespräch. Einmal mussten wir sogar aufpassen, dass er nicht vor ein Auto gefahren wäre. Ich schaute Lukas an und wir hatten die gleiche Idee.
„Benny warte mal kurz. Da vorne ist eine Bank. Lass uns mal kurz dort anhalten.“
Benny drehte sich überrascht zu Lukas um.
„Warum? Ist etwas mit deinem Rad nicht in Ordnung?“
„Nein, aber wir möchten verhindern, dass du gleich doch noch vor ein Auto fährst“, kam von mir hinterher.
Er hielt an der Bank an und wir setzten uns für einen Moment.
„Mann Benny, du wärst eben fast von einem Auto erwischt worden. Wenn Lukas dich nicht zurückgehalten hätte, wären wir jetzt ins Krankenhaus unterwegs. Was ist denn los?“
„Ach scheiße Mick, ich muss an das Gespräch denken. Ich habe Angst davor, was wird Marc wohl erreichen? Ich habe einfach keinen Plan, wie mein Vater damit umgehen wird.“
„Ich verstehe dich schon, aber du musst Papa und Dr. Steyrer vertrauen. Papa hat mir damals auch sehr geholfen und ich bin sehr froh, dass ich damals auf ihn gehört hatte. Du musst uns vertrauen. Ich bin mir sicher, es wird dir bald besser gehen.“
Dann nahm Lukas Benny in den Arm und wir saßen einen Moment wortlos auf der Bank.
„Wir müssen weiter, sonst kommen wir zu spät in den Unterricht“, kam dann von Benny. Typisch für ihn, bloß keinen Fehler machen. Mir war das sowas von egal, ob wir heute pünktlich sind oder nicht.
„Na und, wenn wir heute mal später kommen, ist das echt egal. Es gibt Wichtigeres für mich. Wenn es einem Freund schlecht geht, werde ich mich darum kümmern. Da kann die Schule auf uns warten. Ich will von dir wissen, was geht dir wirklich im Kopf umher?“
„Ich … ich überlege, ob es überhaupt richtig war, euch damit zu belasten und euch in diese Sache hineinzuziehen. Was ist, wenn ich wieder so ausraste und dann einem von euch weh tue? Ihr tut so viel für mich und ich mache dann auch noch eure Sachen kaputt. Wie peinlich ist das denn?“
„Hör sofort auf damit, das will ich nicht wieder hören. Du hast alles richtig gemacht. Endlich kann dir geholfen werden und deiner Mutter das Handwerk gelegt werden. Wer weiß, wer noch alles von ihr geschädigt wurde. Vielleicht hat sie das ja auch mit deinen Brüdern früher gemacht?“
„Verdammt, darüber habe ich ja noch gar nicht nachgedacht. Oh Mann.“
„Jetzt fang aber nicht an, dir darüber den Kopf zu machen. Heute machen wir erst mal deinen Vater platt. Dann sehen wir weiter. Los lass uns aufbrechen in den Kampf“, forderte ich die beiden auf und dann umarmten wir uns drei noch einmal und fuhren dann in den Unterricht. Auf dem Weg in die Klasse fragte mich Benny, ob er heute neben mir sitzen dürfe. Ich schaute Lukas an, er gab mir sofort mit einem Augenblinzeln zu verstehen, dass das in Ordnung für ihn war. Also setzten wir uns auch so hin.
Je länger wir im Unterricht saßen, desto ruhiger wurde Benny. Es schien sogar, dass er überhaupt nicht mehr an den Termin dachte. Er hatte sich vollkommen auf den Unterricht konzentriert. Ich hingegen sah immer wieder auf die Uhr und überlegte, was wohl gerade im Besprechungszimmer passierte. In der ersten großen Pause ging ich mit Lukas und Benny einen Kaffee trinken. Ich hatte das Gefühl, sobald Benny Gelegenheit hatte nachzudenken, verkrampfte er. Lukas nahm ihn zwischendurch einmal in den Arm und Benny kämpfte mit seinen Gefühlen. Er war sichtlich froh, als es wieder in den Unterricht ging. Lukas nutzte die Gelegenheit kurz mit mir zu sprechen.
„Ich hoffe, dass das hier bald vorbei ist. Ich kann mir das nicht mehr lange mit ansehen, wie Benny leidet.“
„Ja, du hast recht. Aber es ist ja bald vorbei und wir werden wissen was Papa erreicht hat.“
„Oh Mann, ich freue mich wirklich, wenn wir mal wieder einen gemütlichen Tag haben.“
Ich lächelte und gab ihm dafür einen Kuss. Ich hatte das gleiche Bedürfnis, aber wir hatten hier einen Freund, der ganz andere Probleme hatte. Dafür konnte ich gerne ein paar Tage investieren.
Wir saßen wieder im Unterricht und genossen gerade einen der Monologe unseres Deutschlehrers, als es klopfte. Die Tür öffnete sich und ich staunte. Da stand plötzlich Papa in der Tür. Alle Augen schauten auf ihn und als er dann sowohl Benny als auch mich darum bat ihn zu begleiten, staunte auch unser Lehrer nicht schlecht. Also jetzt wurde es ernst. Benny und ich verließen mit Papa unseren Klassenraum, auf dem Weg sprachen wir nicht viel. Lediglich Papa fragte ihn zweimal, ob er auch wirklich mit seinem Vater sprechen wollte. Vorher hatte er uns über den doch positiveren Verlauf informiert. Dennoch war Benny extrem angespannt. Irgendwann griff er nach meiner Hand. Ich war zuerst irritiert, ließ ihn aber gewähren. Dann betraten wir das Besprechungszimmer. Sein Vater war, wie zu erwarten für einen Bänker, mit einem dunklen Anzug gekleidet. Ich konnte mir einfach nur schwer vorstellen, dass so ein Mann seinen Sohn derart verraten und im Stich lassen konnte. Der Mann stand auf und sie standen für einen kurzen Moment Auge in Auge voreinander. Ich hatte für einen Moment Angst, sie könnten aufeinander losgehen. Ich war jederzeit bereit einzugreifen. Aber es verlief harmlos. Benny begrüßte sogar seinen Vater kurz. Dann nahmen wir Platz. Benny setzte sich direkt neben mich und hielt weiter Kontakt zu mir. Ich legte ihm meine Hand auf den Oberschenkel, so konnte er jederzeit unauffällig sie greifen, wenn er es denn wollte.
Dann begann Benny zu erzählen. Ich hörte jetzt zum ersten Mal die ganzen Details, es war grausam. Mir wurde zwischendurch sogar schlecht und hätte mich fast übergeben müssen. Das war so ekelhaft, was er uns da präsentierte. Ich wäre am liebsten rausgelaufen. Nicht vorstellbar, dass er sich so etwas ausdenken würde. Umso furchtbarer der Gedanke, dass er das alles wirklich erleben musste. Nachdem er fertig war, herrschte für einen Moment absolute Stille. Was würde sein Vater jetzt machen? Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Plötzlich stand der Vater auf und ich wurde sehr nervös. Würde er auf Benny losgehen oder was sollte das jetzt. Ich konnte aber erkennen, dass Papa relativ ruhig sitzen blieb. Ich wartete also ab. Bennys Vater kam um den Tisch und dann geschah etwas Unerwartetes. Er nahm seinen Sohn in die Arme und ich konnte erkennen, dass er weinte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Innerlich atmete ich auf. Die Lage schien sich etwas zu entspannen.
Dann gab mir Papa ein Zeichen, wir sollten für einen Moment hinausgehen. Vor der Tür musste ich einfach meine Anspannung loswerden. Ich redete auf Papa ein, wollte alles Mögliche von ihm wissen, wie es weitergeht. Er ließ mich erst mal ausreden und dann meinte er nur sehr gelassen, wir müssten abwarten, aber er war zuversichtlich. Details wollte er später mit uns klären. Dann öffnete sich die Tür und Benny stand mit verweintem Gesicht vor mir. Er bat uns hinein und wollte mit uns das weitere Vorgehen klären. Ich wollte aber jetzt lieber zu Lukas und in die Klasse zurück. Er würde sich bestimmt schon Sorgen machen, und auf meinen Bericht warten. Papa entließ mich dankenswerterweise und so ging ich zwar erleichtert aber auch sehr schockiert zurück in die Klasse. Als ich die Tür öffnete und ohne Benny zurück kam, schaute Lukas doch sehr ängstlich. Ich setzte mich neben meinen Schatz und gab mit einer Handbewegung zu verstehen, dass es Benny gut geht. Erklärungen würde ich ihm später geben. Er musste sich bis zum Ende des Unterrichtes gedulden.
Als es dann endlich so weit war, gingen wir zu unseren Rädern. Ich klärte ihn, soweit wie ich wusste, über den Sachverhalt auf.
„Meine Güte, das war ja schon heftig. Ich kann nur hoffen, dass Benny jetzt besser damit klarkommt. Was meinst du denn? Kann man dem Vater trauen?“
„Schatz ich weiß es nicht. Ich glaube, das weiß niemand so genau. Ich hoffe es jedenfalls. Unsere Aufgabe wird wohl erst mal sein, dafür zu sorgen, dass er nicht so viel darüber nachdenken muss, was gewesen ist, sondern nach vorne schaut. Komm, wir fahren nach Hause, ich habe Hunger und bin echt geschafft von dem Tag heute.“
Lukas gab mir einen schönen Kuss und wir fuhren nach Hause.
Es war niemand im Hause, als wir eintrafen. Seltsam, ich dachte eigentlich, Papa wäre zu Hause. Aber wir machten uns dann etwas zu Essen in unserer Küche. Benny war auch nicht im Hause, zumindest das Rad war nicht hier. Mir war das etwas unheimlich. Ich musste aber in der Küche aufpassen, dass das Essen nicht anbrannte.
„Schatz, kannst du mal bei Benny anrufen und fragen, wo er ist? Ob alles ok ist?“
„Ja mache ich, sonst noch was?“
„Frag doch gleich mal, ob er weiß, wo Papa noch ist.“
Ich hörte, wie er mit Benny sprach. Es hörte sich alles normal an, plötzlich stand Lukas neben mir und gab mir einen Kuss.
„Hmmmm, riecht das gut. Kannst du nicht häufiger kochen?“
„Nene, du kochst viel besser als ich, aber nun sag schon, was ist mit Benny und Papa?“
„Benny geht es soweit gut, er war mit Papa erst Essen gewesen und ist jetzt mit Marcel unterwegs. Er ist aber um halb sieben spätestens zurück. Er trifft sich ja hier mit seinem Vater um sieben. Wo Papa ist, weiß er auch nicht. Er hatte eigentlich gesagt, er wollte nach Hause fahren.“
„Ok, komisch. Ich rufe mal eben bei ihm an. Das macht er doch sonst nicht, dann einfach was anderes machen.“
„Ach Mick, jetzt mach dich nicht verrückt. Wenn was Besonderes wäre, hätte er uns schon informiert. Er kommt bestimmt gleich irgendwann.“ Dabei streichelte er mir sehr zärtlich den Rücken. Wir standen nebeneinander am Herd und ich hatte einfach Lust ihn zu küssen und mit ihm zu kuscheln. Ich stellte den Herd aus und wir bereiteten uns den Tisch vor. Allerdings nach dem Essen wollte ich dann mit meinem Schatz das Kuscheln nachholen.
Als wir dann im Wohnzimmer zusammen auf dem Sofa gemütlich saßen und endlich mal ein wenig für uns waren, hörte ich den grollenden Klang eines Achtzylinders. Papa war unüberhörbar zurück. Ich wollte hinuntergehen und ihn fragen, wo er denn noch so lange geblieben war, aber mein Schatz war anderer Meinung. Er verlegte unsere gemeinsame Kuschelzeit einfach ins Schlafzimmer. Für Papa wäre noch später Zeit, war seine Argumentation. Ich ließ mich gerne davon überzeugen und ich genoss diese Stunde gemeinsamer Nähe sehr.
Als wir um sechs dann nach unten gingen, hatten wir beide noch eine Dusche genommen und waren jetzt gut gelaunt und entspannt.
Papa saß im Garten in seinem Lieblingssessel und las in einem Buch. Er hatte uns noch nicht bemerkt und so konnte ich unbemerkt erkennen, welches Buch er las. Es war ein Buch über misshandelte Kinder. Ich erschrak etwas, denn Papa las so etwas nie ohne Grund. Hoffentlich gab es nicht neue Schwierigkeiten.
„Hallo Papa, wo warst du denn noch so lange. Ich habe mir schon etwas Sorgen gemacht, Benny sagte uns, du wolltest nach Hause fahren.“
Er sah jetzt von seinem Buch auf und schaute mich etwas verständnislos an.
„Seit wann hast du schon Angst, wenn ich mal etwas später als geplant komme? Sonst seid ihr doch immer froh, wenn ihr eure Ruhe habt.“ Er grinste dabei und ich wusste, er hatte mich mal wieder gefoppt.
„Weshalb liest du dann solche Bücher? Gibt es neue Probleme?“
„Nein Mick, ich möchte mich ein wenig einlesen in diese Thematik. Bennys Ausraster gab mir doch sehr zu denken. Ich möchte mehr darüber wissen und vor allem, was kann ich tun, um ihm zu helfen.“
Ich wurde sehr nachdenklich, irgendwie hatte ich das schon wieder fast vergessen. Dabei war das ja noch keine zwei Tage her.
„Meinst du, das wird noch einmal passieren? Und können wir nichts dagegen tun?“
„Ich gehe davon aus, das wird wieder passieren. Irgendwann! Wir können nur immer wieder für ihn da sein, wenn er uns braucht, vor allem wenn wir merken, dass es ihm nicht gut geht. Aber wir schaffen das schon. Gemeinsam können wir viel bewegen.“
Ich fand das toll, wie Papa das sagte. Auch Lukas war beeindruckt. Er umarmte Papa und so setzten wir uns noch einen Moment zu Papa in den Garten.
„Was habt ihr heute noch vor? Bennys Vater kommt ja um sieben. Vielleicht könnt ihr ja anschließend gemeinsam zum Billard fahren. Das würde ihm bestimmt gut tun. Etwas Ablenkung nach diesem harten Tag.“
„Warum sollen wir mit ihm allein fahren? Komm doch mit! Das wäre doch für alle gut. Du hast auch einen stressigen Tag gehabt.“
Typisch Lukas, immer auch an den anderen denken. Das liebte ich so sehr an ihm. Papa musste lächeln, aber er versprach uns, dann mitzukommen. Mittlerweile war es kurz vor halb sieben und Benny rauschte etwas abgehetzt um die Ecke.
„Hi zusammen“, schnaufte er etwas außer Atem. „Bin ich zu spät?“
Ich musste lachen. „Nein, alles gut. Aber du solltest vielleicht noch schnell duschen. Du bist ja total durchgeschwitzt.“
„Ok ok, ich bin ja schon weg. Bis gleich.“
Damit war er auch schon im Haus verschwunden. Eine Viertelstunde später kam ein wirklich gut aussehender Benny die Treppe wieder hinunter in den Garten. Allerdings sah er auch etwas angespannt aus.
„Wie geht es dir jetzt, Benny?“, fragte Papa und bot ihm einen Platz neben ihm an.
„Ich weiß nicht, eigentlich ganz gut, aber ich bin doch etwas nervös. Wie wird Papa nun reagieren, nachdem er ja etwas Zeit hatte, darüber nachzudenken.“
„Mach dir keine Sorgen. Wir sind alle bei dir. Du musst hier nichts allein entscheiden. Lass das alles auf dich zukommen.“ Papa legte ihm dabei seinen Arm auf die Schulter und Benny war sichtlich erleichtert, dass Papa die ganze Zeit bei ihm bleiben würde. Um kurz nach Sieben klingelte es an Papas Tür. Benny zuckte sogar ein bisschen zusammen.
„Willst du gehen? Das wird dein Vater sein“, fragte Papa. Benny reagierte nicht, also ging ich zur Tür. Benny folgte mir dann doch. Ich öffnete die Tür und Herr Dankers stand vor mir.
„Hallo Herr Dankers, bitte kommen sie herein.“
Benny stand direkt hinter mir und Herr Dankers kam auf ihn zu und umarmte seinen Sohn wortlos. Benny schien es nicht unangenehm zu sein, denn er erwiderte diese Geste. Wir gingen dann wortlos in den Garten und Lukas und ich verabschiedeten uns nach oben.
Marc: Die Verabschiedung mit Bennys Vater
Nachdem Mick mit Benny Herrn Dankers in den Garten geführt hatte, ging ich ihnen entgegen, begrüßte Bennys Vater freundlich und wir setzten uns gemeinsam an den Gartentisch. Herr Dankers war recht schweigsam, er erkundigte sich nach Bennys Befinden und dann gab ich Lukas und Mick ein Zeichen, uns allein zu lassen. Die beiden hatten mein Zeichen verstanden und gingen unter einem Vorwand nach oben.
„Herr Steevens“, begann Herr Dankers das Gespräch, „ich habe jetzt einige Stunden Zeit gehabt, über das Geschehen von heute Morgen nachzudenken. Es fällt mir immer noch sehr schwer, das Gehörte zu glauben und bitte verstehen sie es nicht als Misstrauen, ich habe es noch nicht verstanden. Das war zu heftig um es einfach zu begreifen.“
Benny zuckte sichtlich zusammen, als er diese Worte hörte.
„Aber ich werde meinen Sohn sehr ernst nehmen und ich habe mich entschieden. Ich glaube dem, was Benny mir berichtet hat. Ich habe nur keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Ich möchte hier aber die Möglichkeit nutzen, dir - Benny - zu sagen, ich werde dich nicht fallen lassen. Ich möchte mit dir gemeinsam meine Versäumnisse aufarbeiten und ich möchte dich hier um Verzeihung bitten. Ich habe versagt als Vater.“
Bei den letzten Worten war deutlich zu hören, wie schwer ihm diese Worte gefallen waren. Ich hatte aber das Gefühl, sie waren aufrichtig. Beiden standen die Tränen in den Augen und sie kämpften mit ihren Gefühlen.
„Herr Dankers, mit dieser Erkenntnis können sie das Geschehene nicht rückgängig machen und Benny wird sicher noch eine Zeit brauchen, das Erlebte zu verarbeiten, aber es gibt jetzt eine Möglichkeit für sie beide es zu schaffen. Fangen sie an, die Vergangenheit gemeinsam zu bewältigen. Reden sie miteinander.“
Herr Dankers nickte nur und Benny saß betroffen und mit Tränen im Gesicht am Tisch. Ich nahm ihn in den Arm und streichelte ihm über den Kopf. Herr Dankers sah mir dabei ziemlich unsicher zu. Er staunte über diese Nähe zu seinem Sohn. Nachdem Benny sich wieder etwas beruhigt hatte, stand Herr Dankers auf und sagte:
„Benny, ich möchte dich gerne umarmen, bitte gib mir eine Chance zu lernen und Dinge zu verändern.“
Benny stand wortlos auf und ging auf seinen Vater zu. Was dann kam, war sehr ergreifend. Es wurde nicht viel gesprochen, das war auch nicht notwendig, die Situation sprach für sich. Ich ließ beide für einen Moment allein und ging einige Meter zum Haus.
„Marc, kannst du bitte wieder zu uns kommen. Papa möchte wissen, wie es weitergeht“, hörte ich Benny rufen. Ich ging zu den Beiden zurück und wir saßen wieder am Tisch.
„Was denken sie wäre jetzt das Beste, was ich tun sollte?“, wollte Herr Dankers von mir wissen.
„Sie sollten zuerst versuchen, sich regelmäßig mit ihrem Sohn auszutauschen und ihm Zeit schenken. Kommen sie so oft es geht her und reden sie mit Benny. Er braucht jetzt seinen Vater. Und zeigen sie deutlich, dass sie Veränderungen begonnen haben. Auch im Umgang mit ihrer Frau. Benny wird bis auf weiteres seiner Mutter und vor allem diesem anderen Mann nicht wieder begegnen dürfen. Wenn Benny also mal nach Hause fahren möchte, sorgen sie dafür, dass er da vor diesen Personen geschützt wird.“
„Wie wird das denn jetzt weitergehen?“
„Die Staatsanwaltschaft wird prüfen, ob gegen ihre Frau und diesen Mann ein Haftbefehl ergehen muss oder nicht. Wir kennen ja nicht mal den Namen dieses unbekannten Mannes. Ich gehe mal nicht davon aus, dass ihre Frau freiwillig den Namen herausgeben wird. Vermutlich wird sie alle Vorwürfe abstreiten. Also da wird noch ein langer Weg vor ihnen liegen. Eine Frage habe ich noch. Wo befindet sich ihre Frau eigentlich zur Zeit? Sie sagten, sie arbeiteten an dem Alkoholproblem. Wie sieht diese Arbeit aus?“
Ich konnte leider spüren, dass für Benny dieses Thema sehr unangenehm wurde. Deshalb bat ich Herrn Dankers einen Moment zu warten. Es war deutlich erkennbar, das war für Benny noch zu früh. Es ging noch nicht. Also brach ich das Thema ab und bat Herrn Dankers mir seine Telefonnummer zu geben. Ich wollte ihn anrufen und das mit ihm allein besprechen. Ich gab ihm noch den dringenden Rat sich einen Familientherapeuten zu suchen. Auch wenn Benny hier bei uns blieb, Herr Dankers sollte sich damit beschäftigen, wie es weitergehen könnte.
Wir vereinbarten, dass Benny sich jederzeit bei seinem Vater melden konnte und Herr Dankers es am Anfang seinem Sohn überlassen sollte, wann und wie oft er Kontakt haben möchte. In vier Wochen, wenn ich aus Brasilien zurück wäre, sollte ein weiteres Treffen hier stattfinden. Ich schlug Benny ebenfalls vor, sich mit Herrn Storm zusammenzusetzen und ihn um Unterstützung zu bitten. Das war der Vertrauenslehrer, der damals auch Lukas geholfen hatte. Ich wollte mich um einen geeigneten Psychologen bemühen, mit dem Benny das aufarbeiten könnte. Herr Dankers sagte mir zu, dass er für diese Kosten selbstverständlich aufkommen würde. Ich fand das eine schöne und wichtige Geste, seinem Sohn gegenüber. Allerdings sollte in diesem Fall wohl die Krankenkasse dafür aufkommen. Irgendwann musste Herr Dankers dann aufbrechen. Wir gingen nach vorne, als mir auffiel, dass Herr Dankers gar keinen Wagen dabei hatte.
„Wie kommen sie denn jetzt in ihr Hotel zurück?“ Wollte ich wissen.
„Ich wollte mir ein Taxi rufen.“
Ich überlegte einen Moment, wenn ich Herrn Dankers ins Hotel zurückfahren würde, könnte ich noch einen Moment allein mit ihm sprechen.
„Benny ich schlage vor, du verabschiedest dich jetzt von deinem Vater und ich gehe grade in die Garage das Auto holen. Ich fahre deinen Vater ins Hotel.“
Benny schaute mich an und nickte. Ich ließ beide allein zurück und ging in die Tiefgarage. Sie sollten sich allein verabschieden können. Als ich auf die Einfahrt fuhr, standen beide nebeneinander und warteten auf mich. Ich stieg noch einmal kurz aus und sprach mit Benny. Herr Dankers stieg bereits in den Wagen.
„Wie geht es dir jetzt? Kann ich dich einen Moment allein lassen? Ich komme sofort zurück und dann fahren wir wie besprochen noch etwas Billard spielen.“
„Danke Marc, es geht wieder ganz gut. Ich warte dann hier auf dich.“
„Du kannst auch zu den Jungs hochgehen. Dann könntet ihr auch vielleicht Tim mal anrufen, ob er auch mitkommen möchte.“
„Das ist ein guter Vorschlag, das mache ich. Und Marc“, jetzt wurde er doch sehr emotional, „vielen Dank für alles.“ Dabei umarmte er mich sehr herzlich.
„Passt schon, habe ich gerne für dich getan. Bis gleich, Benny.“ Dann stieg ich ein und fuhr mit Herrn Dankers zu seinem Hotel.
„Weiß ihre Frau eigentlich schon von der Anzeige gegen sie?“,wollte ich wissen.
„Ich weiß es nicht. Ich habe sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Sie ist wieder mal irgendwo unterwegs. Ich vermute mal, dass sie bei diesem anderen Typen ist.“
„Haben sie niemals gemerkt, was bei ihnen passierte? Auch das ihre Frau mit anderen Männern unterwegs war?“
„Ehrlich gesagt habe ich nie darüber nachgedacht. Wenn ich mal zu Hause war, lief eigentlich immer alles recht normal. Erst als mein Sohn mir vor einigen Wochen von den Prügeln erzählte, bin ich der Sache nachgegangen. Aber das es so eine Dimension haben würde, hätte ich mir nie vorstellen können.“
„Dann stellen sie sich mal vor, wie das über Jahre für Benny gewesen ist. Er muss die absolute Hölle erlebt haben. Und er wird noch einige weitere harte und bittere Momente haben. Machen sie sich noch auf einiges gefasst. Das wird noch sehr bitter werden.“
Er schwieg, aber nickte sehr nachdenklich. Als wir vor dem Hotel standen, sagte mir Herr Dankers etwas sehr persönliches:
„Wissen sie eigentlich, dass sie für Benny vermutlich der Rettungsanker waren? Ich weiß nicht, ob ich das alles so lange ausgehalten hätte. Bitte informieren sie mich sofort, wenn es Probleme mit meinem Sohn geben sollte. Ich möchte mich hier schon für alles bedanken, aber ich weiß auch, dass ich noch nicht viel geleistet habe, damit es meinem Sohn besser geht. Im Gegensatz zu ihnen. Vielen Dank dafür. Ich werde das nie wieder gutmachen können.“
Dabei hielt er mir seine Hand hin. Ich überlegte einen Moment, dann griff ich zu und sagte zum Abschied:
„Ich habe es gerne für Benny getan. Ich würde es jederzeit wieder tun. Jetzt liegt es an ihnen, was sie daraus machen. Es ist eine letzte Chance, dass sie wieder zusammenfinden können. Es wird ein langer Weg werden. Aber fangen sie an zu laufen. Das habe ich auch Benny gesagt. Er wird sich immer auf mich verlassen können. Das verspreche ich ihnen. Räumen sie in der Familie auf.“
Ich wendete den Wagen und fuhr mit der schweren Limousine zurück. Mir gingen einige Dinge durch den Kopf. Als ich wieder zu Hause war, ließ ich den S8 gleich auf der Einfahrt stehen. Ich ging direkt zu den großen Jungs nach oben. Lukas öffnete mir die Tür und wir gingen in ihr Wohnzimmer. Dort saßen Mick und Benny und waren in einer Unterhaltung vertieft. Es ging um irgendein Rennen. Das war doch gut. Benny hatte sich gefangen und jetzt lenkte er sich mit diesem Thema ab.
„Hallo Papa, hat alles gut geklappt?“
„Ja Großer, ich denke, wir haben heute viel geschafft. Was ist mit dir Benny? Geht’s dir gut?“
Benny nickte und er lächelte sogar wieder ein wenig. Das freute mich sehr.
„Was meint ihr, sollen wir jetzt los, noch eine Partie Kugeln versenken spielen? Ich finde, wir haben uns das jetzt verdient.“
„Klar, aber könnten wir Tim wohl abholen? Er würde gerne mitkommen, hat aber kein Auto zur Verfügung, weil seine Mutter das Auto braucht.“
„Sicher, dann mal los. Sag ihm Bescheid, wir sind in zehn Minuten bei ihm.“
Dann gingen wir alle zum Auto. Ich schrieb Leif noch eine Nachricht, dass wir zwischen zehn und elf zurück seien. Und das alles soweit gut gelaufen war. Mick und Lukas gingen voraus, ich kam als Letzter, weil ich noch die Nachricht an Leif mit dem Handy geschrieben hatte. Benny hatte auf mich gewartet. Wir gingen die Strecke zum Auto nebeneinander, als er sagte:
„Ich bin dir so dankbar für alles. Auch das du nicht erwähnt hast, dass ich schwul bin. Ich hatte echt ein wenig Angst, du könntest das vielleicht doch mal erwähnen.“
Ich sah ihn entgeistert an: „Spinnst du? Das war klar so besprochen, du bestimmst das Ob und Wann, niemand sonst. Ich bin nur froh, dass dein Vater dich ernst genommen hat. Also genug für heute davon. Jetzt machen wir uns noch zwei schöne Stunden.“ Damit war alles gesagt und wir fuhren zu Tim.
Der Abend wurde wirklich noch sehr schön. Tim freute sich, mit uns mal wieder etwas zusammen zu machen. Er erzählte von Manuel und den Vorbereitungen zum letzten Rennen in Sao Paolo. Gleichzeitig berichtete er wie Nico und Tommy sich richtig gestritten hatten. Wegen einer Lappalie. Ich musste innerlich lachen. Sie waren eben erst 14 bzw. fast fünfzehn. Aber Tim erzählte dann auch mit einem gewissen Stolz in seiner Stimme, dass Nico abends zu ihm gekommen war und ihn um Rat gefragt hatte. Am nächsten Tag hätten sich beide zusammengesetzt und alles ausgeräumt. Tim war der Meinung, es wäre auch unser Verdienst, dass es so ausgegangen sei. Wir hätten ihm damals auch immer Lösungen aufgezeigt und selbst in schwierigen Situationen hätte ich für Mick und Lukas eine Lösung erarbeitet. Das sei Vorbild auch für ihn geworden. Ich lachte, als er das erzählte. Gegen elf bezahlten wir und fuhren nach Hause. Es wurde eine ruhige Nacht. Ab morgen würde Benny wieder im Internat schlafen.
Mick: Eine normale Woche geht turbulent zu Ende
Die folgenden Tage verliefen wirklich vollkommen ruhig und normal. Benny hatte sich wieder im Internat eingelebt und ich war mit Lukas normal zum Training, sowohl Billard als auch Tennis. Meine Verletzung war vollständig abgeheilt. Benny war sogar am Dienstag mit Marcel zum Billard mitgekommen. Es schien so, als ob sie sich sehr gut verstehen würden. In der Schule lief alles seinen normalen Weg. Benny hatte das Skaterprojekt gut vorbereitet, in der nächsten Woche sollte das im Rahmen der Projekttage der sechsten Klassen stattfinden. Lukas und ich mussten zwei Klausuren schreiben, und Leif hatte eine Arbeit in Französisch zurückbekommen. Die war allerdings weniger gut ausgefallen. Das hatte zur Folge, das Stefanie und Leif heute bei Papa antreten mussten. Papa hatte schon einige Male mit Leif recht heftig gemeckert, er würde seine Schule vernachlässigen und hatte auch untersagt, dass er abends sich noch mit ihr treffen konnte. Jetzt schien das Maß der Toleranz bei Papa voll zu sein. Denn Leif hatte geplant, dass sie das ganze Wochenende bei uns schlafen konnte. Mal sehen, was da heute Abend passieren würde.
Lukas und ich hatten Tim, Manuel, Benny und Marcel zu uns eingeladen. Wir wollten einen Spieleabend machen. Allerdings gab es da doch noch eine Sache, über die ich berichten sollte. Papa traf sich in letzter Zeit immer häufiger mit Sabine und Lucien. Papa war mit ihr im Kino und er trainierte mit Lucien und Leif das Fahren im Gelände. Eigentlich war Papa mindestens zweimal die Woche bei ihr. Sie war aber nur bei uns, um Lucien abzuholen. Ich fand das etwas seltsam. Ich saß jetzt also bei uns in der Küche und bereitete ein paar Kleinigkeiten für heute Abend zu. Lukas war noch bei der Fahrschule, um uns einen Termin für die Fahrprüfung geben zu lassen. Ich hörte wie er durch die Haustür und direkt in die Küche kam.
„Hallo Schatz, hast du den Termin bekommen?“
„Ja Mick, Freitag, morgens um acht sollen wir in der Fahrschule sein. Wir müssen also Papa noch bitten, uns eine Entschuldigung zu schrieben.“
„Sicher, aber besser nicht heute. Du weißt ja, er hat Leif und Stefanie zum Rapport gebeten. Das könnte etwas prekär werden.“
Dabei mussten wir beide lachen. Natürlich würde Papa zuerst einmal richtig auf den Putz hauen und ihnen den Kopf waschen, aber wir kannten unseren Vater gut genug, um zu wissen, er würde hinterher dafür sorgen, dass sie lebend und mit einer vernünftigen Lösung aus der Sache rauskamen.
Lukas hatte aber auch so einen komischen Gesichtsausdruck. Irgendetwas ging ihm durch den Kopf und machte ihm zu schaffen.
„Schatz, was beschäftigt dich? Erzähl mir davon, ich sehe es dir an. Du hast ein Problem was dich bewegt.“ Er sah mich erstaunt an.
„Kannst du Gedanken lesen? Es stimmt, ich mache mir Gedanken, was mit Papa ist.“
„Warum das denn? Habe ich was verpasst? Ist was passiert?“
Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
„Hast du das noch nicht bemerkt? Er ist in letzter Zeit immer häufiger bei Sabine und Lucien. Er hat aber sie so gut wie noch gar nicht bei uns gehabt. Das finde ich komisch. Ich habe das Gefühl er verheimlicht uns etwas. Das stört mich.“
Ich war erstaunt. Mir war das zwar auch nicht entgangen, aber ich habe es nicht so extrem empfunden wie Lukas.
„Hmmm, hast du Papa schon darauf angesprochen? Wenn es dich stört, solltest du das tun.“
„Spinnst du? Ich will doch keinen Stress mit Papa. Ich habe aber halt das Gefühl, da sagt er uns nicht die ganze Wahrheit. Er kann ja machen was er will, aber ich will nicht das Gefühl haben, er sagt uns nicht die Wahrheit. Er will von uns doch auch immer wissen, was uns bewegt und was wir machen.“
„Wenn es dich aber so stört, dann musst du das mit ihm klären. Vielleicht nicht unbedingt heute, aber mach das bald.“
„Und dich stört das gar nicht oder was?“
Er wurde zunehmend gereizter. Ich fand das gar nicht angenehm, denn ich konnte doch nichts dafür, dass er mit Papa da ein Problem hatte,
„Mensch Lukas, ich habe es einfach noch nicht als Problem für mich gesehen. Hör also auf mich jetzt hier deswegen anzugiften. Klär das mit Papa!“
Er sah mich finster an und plötzlich explodierte er förmlich. Er fing an zu erzählen, dass er das Gefühl hätte, sein eigener Vater würde ihm nicht vertrauen und ihm etwas verheimlichen. Wir hätten ihm doch auch immer alles erzählt. Er redete sich richtig in Rage. Da platzte mir der Kragen.
„Stopp Lukas! Es reicht. Du spinnst doch total jetzt. Komm mal runter. Papa wird uns nichts verheimlichen. Er hat uns immer alles erzählt. Aber erst, wenn er sich sicher war. Vielleicht ist er sich noch nicht sicher, was er will. Also bitte reg dich wieder ab. Ich vertraue Papa da absolut. Er wird es uns schon noch sagen, wenn es denn etwas zu sagen gibt.“
Lukas war doch recht erschrocken über meine deutliche Ansage.
„Ok Mick, vielleicht hast du ja Recht. Entschuldige bitte, ich habe da wohl etwas zu viel Angst hineingelegt.“
„Ist schon gut, ich versteh es ja schon. Aber wir müssen Papa wirklich auch vertrauen, wie er uns vertraut.“
Dann stand ich auf und ging um den Tisch und stellte mich hinter Lukas, legte meine Arme um ihn und ich gab ihm einen Kuss. Damit war die Spannung gelöst. Wir bereiteten unsere Sachen weiter vor und warteten auf unsere Gäste.
Einige Zeit später, wir hatten schon drei Runden die Siedler gespielt, machten wir eine kleine Pause. Das Essen hatte allen sehr gut geschmeckt und wir hatten ein Lob von allen dazu bekommen. Lukas und ich waren in der Küche und räumten schon mal ein paar Dinge in die Spülmaschine, räumten die Küche auf, als Tim plötzlich zu uns kam.
„Kommt mal mit ihr beiden. Ich muss euch was zeigen.“
Er grinste uns dabei richtig fies an.
„Was ist denn? Ist ein UFO im Garten gelandet?“, wollte ich frotzelnd wissen.
Tim ging voraus und ich sah Manuel an der Tür zur Gartentreppe stehen. Er sah in den Garten hinunter. Wir stellten uns neben ihn und konnten in den Garten schauen. Dort standen Marcel und Benny und sie schienen sich über irgendetwas zu unterhalten. Sie standen sehr nahe beieinander. Plötzlich legte Marcel seinen Arm um Bennys Hüfte und gab ihm einen Kuss. Manuel und Tim waren total erstaunt. Ich nicht so wirklich, aber dass Marcel es so offen tat, das wunderte mich schon etwas. Lukas hingegen war total überrascht. Wir sahen uns alle an und ich beschloss, nicht weiter darauf zu reagieren.
„Kommt Leute, lasst uns wieder ins Wohnzimmer gehen. Sie wollen es noch nicht offen zeigen. Lassen wir ihnen die Zeit.“
Manuel war der Erste, der fragte, was alle wohl dachten:
„Hast du das etwa gewusst, dass die beiden zusammen sind?“
„Nein, ich habe aber gewusst, dass Marcel Benny mag und auch Benny ihn mag. Für mich also keine so große Überraschung, aber Benny hat große Angst entdeckt zu werden. Also tun wir so, als wenn wir nichts wissen, ok? Er ist noch nicht soweit.“
Alle anderen stimmten zu und wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Wir hatten noch viel Spaß und Manuel hatte immer wieder mit seinem Tim geknutscht und ich mit meinem Schatz. Ich konnte bei Marcel immer mehr Unruhe erkennen. Er hätte so gerne Benny auch geküsst. Benny ließ es aber nicht zu. Wir mussten also noch abwarten. Ich konnte Benny auch verstehen. Er hatte schon so viel erlebt. Vielleicht wusste Marcel auch noch gar nicht von den Ereignissen in den letzten Wochen. Ich wollte zuerst mit Benny darüber sprechen. Das aber erst morgen. Der Abend verlief noch sehr schön und gegen elf verabschiedeten sich unsere Gäste. Wir hatten seit langer Zeit mal wieder einen richtig tollen Abend mit unseren Freunden verbracht.
Nach einer erfrischenden Dusche gingen Lukas und ich auch sehr zügig schlafen. Ich kuschelte mich an meinen Freund und wir waren uns einig, dass wir so etwas viel zu selten in der letzten Zeit gemacht hatten. Nach kurzer Zeit schliefen wir aneinander gekuschelt ein.
Am nächsten Tag trafen wir Benny in der Schule und Marcel war eigentlich immer an seiner Seite. So konnte ich mit Benny nicht allein reden. Ich bat ihn also, nach der Schule mit mir einen Moment allein zu sprechen. Wir saßen allein, auf einer Bank auf dem Schulhof. Ich überlegte mir schon die ganze Zeit, wie ich das wohl am besten ansprechen konnte.
„Ich möchte dich etwas fragen“, begann ich unser Gespräch, „du magst Marcel schon, oder?“
Er zögerte und wurde auch unruhig, aber er überwand seine Angst.
„Ja Mick, ich mag ihn. Ich weiß, du wirst es wohl am ehesten verstehen. Ich habe so eine Angst davor entdeckt zu werden. Ich traue mich einfach nicht, offen mit ihm zu sein.“
„Seid ihr jetzt zusammen? Oder wie muss ich das jetzt verstehen?“ Er schaute mich an, schwieg, aber er nickte sehr vorsichtig. Ich legte meine Hand auf seine Schulter.
„Und fühlt sich das gut an? Ich finde, er ist ein netter Junge. Er mag dich auch.“
„Mick, bitte versteh mich nicht falsch, ich bin euch so dankbar, aber ich kann es einfach noch nicht so offen damit umgehen wie ihr. Was meinst du wohl, wie beschissen das gestern für mich war. Ihr könnt euch küssen, wann immer ihr wollt. Ich habe Marcel so enttäuscht gestern. Er wollte es euch sagen, dass wir jetzt zusammen sind, aber ich konnte es einfach nicht.“
Er wurde jetzt sehr traurig.
„Benny, nicht traurig sein. Freu dich doch, dass du mit Marcel einen Freund hast, der dich respektiert und dir Zeit gibt. Du musst niemandem etwas beweisen, nur du entscheidest, was du möchtest und was nicht. Ich freue mich, dass wir beide darüber reden können. Ich danke dir für dein Vertrauen.“
„Nein Mick, ich muss mich bei euch bedanken. Ich fühle mich so beschissen. Warum immer verstecken? Ich will endlich wieder leben. Es geht aber einfach noch nicht.“
Er war sehr niedergeschlagen. Ich wollte aber jetzt nicht aufhören, ich wollte ihn dazu bringen, zumindest bei uns mit Marcel offen zu sein.
„Hast du eigentlich Marcel von deiner Situation zu Hause erzählt? Weiß er, warum dir das so schwer fällt?“
„Nicht wirklich. Ich habe ihm nur gesagt, dass meine Mutter das niemals erfahren darf. Von den anderen Sachen habe ich nichts erzählt. Ich kann es einfach nicht. Ich schäme mich zu sehr dafür.“
„Du weißt aber schon, dass das völliger Unsinn ist. Du konntest nichts anderes machen. Du musst mit ihm darüber reden, auch von den Vergewaltigungen, wie soll er denn mit dir richtig umgehen, wenn er nichts davon weiß.“
Er sah mich entsetzt an.
„Nein, das kann ich nicht. Ich will das nicht.“
Er verkrampfte immer mehr. Ich musste aufpassen.
„Ok, ist ja gut. Ich verstehe es ja auch. Aber versuch mal dir vorzustellen, wie das für Marcel ist. Er vertraut dir, du vertraust ihm und ihr liebt euch. Wie soll das weitergehen? Ich möchte dich um etwas bitten. Wenn wir bei uns sind, sei offen mit Marcel. Ihr dürft bei uns sicher sein, dass es niemand an andere erzählt.“
„Bei euch glaube ich das sogar. Aber was ist mit Leif? Oder Lucien? Was ist, wenn die sich verquatschen und es dann doch rauskommt? Dann bin ich geliefert.“
„Ich kann dir anbieten mit Leif zu reden, auch mit Lucien. Niemand wird euch verraten, aber wie sollen wir euch helfen, wenn es Lukas und Tim nicht wissen. Auch Papa kann dir nicht helfen. Ich finde es auch Papa gegenüber unfair nach allem, was er für dich getan hat.“
„Mick, ich weiß das. Ich fühle mich auch richtig schlecht dabei. Gibst du mir noch etwas Zeit. Ich will mit Marcel noch einmal darüber reden.“
„Natürlich, du bekommst so viel Zeit, wie du brauchst. Ich wünsche mir nur, dass du uns vertraust. Wir können dir helfen. Du musst dir auch helfen lassen.“
Jetzt standen wir auf und er umarmte mich. Ich konnte seine Dankbarkeit spüren. Ich war mir sicher, er wird uns bald von seiner Liebe erzählen. Ich verabschiedete mich von ihm und ging zu meinem Fahrrad. Mal sehen, wie das Wochenende wird. Lukas wartete bereits auf mich. Ich berichtete ihm von meinem Gespräch. Er wurde sehr nachdenklich. Er konnte es genauso gut verstehen wie ich, aber auch er war der Meinung, dass Benny seine Angst bearbeiten muss.
Wir fuhren nach Hause. Dort trafen wir auf einen ziemlich aufgebrachten Leif. Er hatte einen Bericht aus der Zeitung auf den Tisch gelegt. Dort stand eine riesige Überschrift:
Marc Steevens vor einem erneuten Comeback? Hersteller dementiert bislang nicht.
Ich dachte mich trifft der Schlag. Das konnte doch nicht sein. Papa hatte nie über ein Comeback gesprochen. Ich konnte mir das nicht erklären.
Marc: Leif und Stefanie zum Rapport
Ich hatte die Nase gestrichen voll. Leif hatte wieder einmal seine schulischen Dinge vernachlässigt und jetzt auch seine letzte Französisch Arbeit mit einer Fünf minus so richtig versemmelt. Da kam es mir sehr recht, als er dann auch noch seine Freundin übers Wochenende eingeladen hatte. So kam es, dass wir zu dritt am Wohnzimmertisch saßen.
„Wieso machst du hier jetzt so einen Stress, nur weil ich ne Arbeit mal verhauen habe. Als wenn das ein Weltuntergang wäre.“
Seiner Freundin war das sichtlich unangenehm. Er hatte sie mitgebracht, also musste sie das nun miterleben. Selber schuld.
„Ich glaube, du solltest jetzt besser vorsichtiger werden. Ich habe einfach die Nase voll von deinen Eskapaden. Erst musst du zum wiederholten Mal noch bis nach zehn Uhr abends bei Stefanie im Internat sein und dich auch noch erwischen lassen, dann machst du seit Wochen keine Hausaufgaben mehr regelmäßig und, obwohl wir eine klare Absprache getroffen hatten, meinst du immer noch diese Regeln einfach zu ignorieren. Jetzt ist einfach Schluss. Ich habe genug geredet. Ab sofort bist du in der Woche abends um halb neun zu Hause und ich möchte jeden Tag deine Hausaufgaben sehen. Wenn du meinst, auch nur einen Tag diese zu vernachlässigen, wird dein Wochenende ohne deine Freundin stattfinden. Und bevor du auf komische Gedanken kommst, Stefanie darf heute bis neun bleiben. Dann wird sie ins Internat fahren. Sie wird dieses Wochenende nicht hier schlafen. Sie kann morgen gerne nach der Schule wieder kommen.“
Leif wurde richtig blass. So eine disziplinarische Maßnahme hatte ich noch nie gebraucht. Er war sichtlich getroffen. Außerdem war es ihm unangenehm, im Beisein von seiner Freundin so abgestraft zu werden. Ich hätte es gerne vermieden, aber es war jetzt einfach genug.
„Das … das meinst du jetzt nicht wirklich ernst. Ich habe eine einzige schlechte Arbeit geschrieben. Das ist unfair.“
„Hör mal gut zu, ich habe es dir gerade erklärt, es geht um das gesamte Verhalten. Wenn du meinst, meine Ansagen und unsere noch sehr freundlichen Absprachen zu untergraben, dann wirst du mich auch mal von der harten Seite kennenlernen. Also was ist jetzt? Harte Linie oder wirst du jetzt endlich begreifen, dass Schule und Regeln absolute Priorität haben?“
Stefanie saß die ganze Zeit mit rotem Kopf neben ihm. Leif sagte nichts mehr. Er spielte die beleidigte Leberwurst. Also zog ich meine Konsequenzen und sagte für das Wochenende klare Vorgaben an.
„Also gut, dann wird das so sein, Stefanie fährt heute Abend um neun nach Hause, kann morgen erst nach der Schule wiederkommen, wenn ich bis dahin von dir die kompletten Hausaufgaben gesehen habe. Wenn das nicht klappt, wirst du ein Wochenende ohne deine Freundin verbringen. Und denk ja nicht, ich wüsste nicht, was ihr aufhabt. Ich habe mir von deiner Klassenlehrerin alle Unterlagen besorgt. Du hast jetzt die letzte Chance etwas dazu zu sagen.“
Er musste richtig schlucken. Aber er spürte, dass ich das ernst meinte. So viel Verstand war doch noch, trotz verliebt sein, vorhanden. Er nickte wortlos und damit war dieses Thema beendet.
„Ach ja, da ist noch etwas. Da ihr ja beide hier seid, wie sieht das bei euch aus? Habt ihr euch über Verhütung oder bestimmte Verhaltensregeln schon unterhalten?“
Stefanie wurde noch röter, aber auch Leif war jetzt von blass auf rot gewechselt.
„Muss das ausgerechnet jetzt noch sein?“, fragte Leif schon viel vorsichtiger. Ich merkte jetzt auch, das kein guter Zeitpunkt für so ein Gespräch.
„Ähmm, nein. Du hast Recht Leif, das muss jetzt nicht sein. Aber ich möchte mit dir da in den nächsten Tagen drüber reden. Ist das ok jetzt?“
Er nickte nur und dann schickte ich beide raus. Sie konnten jetzt die Zeit für sich haben. Ich war auch wieder etwas ruhiger geworden. Am morgigen Freitag wollte ich mit Lucien noch einmal allein trainieren. Er hatte sich das gewünscht. Er meinte, er möchte ausnahmsweise einmal ohne Leif trainieren. Ich hatte dem zugestimmt. Dann konnte Leif mehr für die Schule tun.
Stefanie fuhr pünktlich um neun ins Internat zurück. Bevor sie jedoch das Haus verließ, kam sie ohne Leif ins Wohnzimmer. Ich musste wohl sehr überrascht geschaut haben.
„Entschuldigen sie Herr Steevens, aber haben sie einen Moment Zeit für mich?“
„Sicher, komm herein und setz dich doch bitte.“
Sie kam zu mir an den Tisch und setzte sich in den Sessel.
„Ich möchte mich entschuldigen. Ich habe Leif von den Schulsachen abgehalten. Ich habe in Französisch keine Probleme und kann mir das erlauben, mit Leif Zeit zu verbringen. Ich habe nicht gewusst, dass sie eine andere Absprache gehabt hatten. Er hatte mir davon nichts erzählt. Ich möchte nicht, dass sie so sauer auf Leif sind.“
Ich lachte laut auf. Stefanie sah mich entgeistert an.
„Du musst dich nicht entschuldigen. Leif hat genau gewusst, worauf es ankommt. Er hat einfach geglaubt, ich würde es nicht merken. Ich bin eigentlich jemand, der bislang auf solche Maßnahmen verzichtet hat. Wenn er aber meint, sich seine eigenen Regeln zu machen, dann hat er sich geirrt. Mach dir keine zu großen Gedanken, ich werde ihm eine faire Chance geben. Sag mal wie siehst du denn eigentlich eure Beziehung? Ich habe bislang noch keine Gelegenheit gehabt, mit dir zu sprechen.“
„Ganz ehrlich, ich mag ihn einfach sehr gern. Er ist unheimlich netter Junge, manchmal etwas schüchtern, aber ich mag das. Er ist kein Macho, der mit allem Möglichen angeben muss. Ehrlich gesagt ich kann Sie sogar verstehen, dass Sie wütend auf ihn sind. Ich habe auch Schwierigkeiten im Internat seinetwegen. Er hält sich einfach nicht an die Regeln. Er kommt dann hier nach Hause und ich kann dann sehen, wie ich damit zurechtkomme.“
Ich war verblüfft von diesem Statement.
„Dann musst du ihm genauso klare Ansagen machen, er braucht das scheinbar. Ich habe auch keinen Spaß daran, ihn so anzufassen. Glaub mir, das macht überhaupt keinen Spaß. Es kann auch nicht sein, dass du dir das gefallen lässt. Ich habe ihm das beim letzten Gespräch schon einmal gesagt. Er scheint mit seinen Gefühlen da wohl nicht so ganz klarzukommen. Also setz ihn zeitig vor die Tür, wenn er bei dir ist.“
„Ich habe aber etwas Angst, dass er mich dann nicht mehr so mag, wenn ich ihm das auch verbiete. Ich möchte ihn als Freund behalten, weil … ich glaube, ich habe mich richtig in Leif verliebt und will ihn nicht verlieren.“
„Mach dir keine Sorgen. Er mag dich viel zu sehr, um das zu riskieren. Aber er braucht klare Grenzen. Zeig ihm doch einfach, wenn er sich dran hält, gibt es eine Belohnung. Ich mache das auch mit meinen Kindern. Ich möchte ihnen zeigen, dass es Regeln gibt und wenn sie die einhalten, können sie fast alles von mir bekommen. Also zeig ihm deine Grenzen.“
Sie musste lachen. Sie stand auf und verabschiedete sich von mir bis morgen. Leif hatte ihr versprochen, die Hausaufgaben fertig vorzuzeigen. Das war doch schon mal ein Anfang.
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