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The race is over

Teil 4

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Alles, was sich in dieser Geschichte mit Bennys Vergewaltigungen und Misshandlungen abspielt, ist real passiert. Nur den Namen habe ich geändert. Ich habe die schlimmsten Details nicht beschrieben, weil ich nicht schocken möchte, sondern Wachrütteln. Jeder kann seinen Teil beitragen, in dem er hinschaut und diesen Kindern hilft. Es gibt Organisationen in Deutschland, die diesen Kindern unbürokratisch helfen können. Aber die Behörden müssen aufmerksam werden auf das Leiden dieser Kinder. Schaut also nicht weg, diese Kinder brauchen unsere Hilfe. Und lasst euch nicht täuschen, viele dieser Familien sind nach außen sehr „Bürgerlich“ und manchmal auch sehr wohlhabend. Reichtum schützt nicht vor Missbrauch und Misshandlung.

Mick: Ein turbulentes Ende der Woche

Als ich am Freitagmorgen mit Lukas gemeinsam in unserer Küche beim Frühstück saß, hingen wir unseren Gedanken nach. Ich hatte uns gerade frischen Kakao eingeschenkt, als Lukas mir folgende Frage stellte:

„Denkst du wirklich, Papa denkt an ein Comeback? Ich will nicht glauben, dass wir ihm so wenig bedeuten.“

Ich sah ihn geschockt an. Für mich war diese Zeitungsmeldung reine Phantasie der Presse. Papa würde nicht erneut den Fehler machen, uns nicht vorher in diese Entscheidung einzubeziehen.

„Niemals, Lukas. Ich bin mir sicher, dass Papa das nicht machen wird. Ich weiß auch nicht, wie die so etwas schreiben können.“

Er sah mich nachdenklich an. Er war sichtlich verunsichert. Erst gestern hatte er sich über Papas Verhalten aufgeregt und diese Meldung war auch nicht ohne Probleme.

„Schatz, du musst Papa vertrauen. Er hat in den letzten Monaten so viel in seinem Alltag verändert. Er hat uns immer wieder gezeigt, wie wichtig wir für ihn sind. Ich verstehe das ja auch nicht, was da steht, aber wenn Papa etwas plant und machen will, dann hat er uns immer informiert. Lass uns darauf vertrauen, dass er das jetzt auch tun würde.“

Lukas nickte.

„Ich hoffe, du hast Recht. Ich will nicht jedes Wochenende wieder Angst haben müssen.“

Das war für mich ein Zeichen. Ich stand auf, stellte meine Sachen in die Spülmaschine und umarmte Lukas. Ich gab ihm einen Kuss und er lächelte mich an.

„Komm, die Schule ruft. Wir müssen los. Den heutigen Tag schaffen wir auch noch, dann ist Wochenende.“

„Ach, meinetwegen kann sie noch länger rufen. Ich habe sie einfach überhört.“

Ich musste so lachen. Mein Schatz hatte mit diesem Satz unsere Stimmung um 180 Grad gedreht und so machten wir uns gut gelaunt auf den Weg.

Unterwegs trafen wir auf einen sichtlich schlecht gelaunten Leif. Es schien wohl so, dass Papa ihm gestern Abend gehörig den Kopf gewaschen hatte. Er grüßte nur sehr mürrisch und innerlich musste ich lachen. Der Kleine hatte wohl den Bogen überspannt. Da würde dann auch unser Papa irgendwann nicht mehr mitspielen. Ich war sehr neugierig, was in Zukunft passieren würde.

„Moin Mick“, hörte ich eine bekannte Stimme, als wir unsere Räder an der Schule abstellten. Ich drehte mich um und Marcel stand vor uns.

„Hallo Marcel, alles im Griff?“

Er schüttelte den Kopf und schaute sehr niedergeschlagen aus.

„Hast du vielleicht mal Zeit für mich? Ich muss dich mal etwas fragen.“

Ich sah zur Uhr, wir hatten nicht mehr viel Zeit.

„Geht das jetzt schnell, oder sollen wir uns nach der Schule irgendwo treffen?“

„Nach der Schule wäre wohl besser. Wo meinst du, können wir uns treffen?“

„Wie wäre es bei Salvatore? Kann Lukas dabei sein, oder willst du allein mit mir reden?“

Er lächelte und nickte.

„Klar, wäre sogar vielleicht besser. Ich glaube, ihr könnt mir da weiterhelfen.“

Ich gab ihm die Hand und wir gingen, mit dem Plan uns um halb drei bei Salvatore zum Kaffee zu treffen, in den Unterricht. Wir kamen in den Klassenraum und ich konnte sofort erkennen, dass Benny sehr schlecht aussah. Es machte den Eindruck, als hätte er wenig geschlafen. Wir begrüßten uns und er versuchte so normal wie möglich zu sein. Dennoch war mir klar, er hatte eine unruhige Nacht. Lukas sah mich genauso fragend an. Wir hatten leider keine Zeit mehr groß zu reden. Unser Lehrer war bereits hineingekommen und der Unterricht begann.

Ich hatte eigentlich bis zur zweiten großen Pause keine Gelegenheit mit Benny zu sprechen. Er hatte sich mittlerweile auch etwas erholt und seine Beteiligung am Unterricht war wieder normal. Mal sehen was uns Marcel später erzählen würde.

Marc: Ein Vormittag in der Werkstatt

Ich hatte um neun einen Termin in meiner neuen Werkstatthalle. Die beiden Studenten hatten mich angerufen. Sie hatten einen Delta Integrale gefunden, der für mich interessant sein könnte. Sie wollten sich den mit mir ansehen. Das freute mich wirklich, dass sie mich so schnell unterstützten. Ich hatte ein gutes Gefühl mit dieser Halle und den beiden. Also hatte ich mich nach dem Frühstück schnell in meinen GT geworfen und mich auf den Weg gemacht. Ich bog auf den Hof ein und die beiden standen schon wartend vor dem offenen Rolltor.

„Guten Morgen Marc, schön, dass du so kurzfristig Zeit hast, aber wir glauben, dieses Auto könnte wirklich gut sein“, begrüßte mich einer der beiden.

„Hallo zusammen, ich muss mich bei euch bedanken. So schnell hatte ich gar nicht damit gerechnet, ein gutes Exemplar zu finden. Also, wo steht das gute Stück?“

„Einen Moment noch. Wir müssen noch ein paar Kilometer hinfahren. Das Auto ist nicht fahrbereit.“

Ich war jetzt zwar nicht so begeistert, weil ich ja eine gute Basis haben wollte.

„Aber es ist kein Unfallfahrzeug? Oder weshalb ist er nicht fahrbereit?“

„Nein, keine Sorge. Er hat dort nur schon länger gestanden. Der Motor springt nicht mehr an. Aber der Besitzer hat uns unfallfrei zugesagt.“

Ich atmete leicht auf und so fuhr ich mit Stephan los.

Stephan klärte mich über die Informationen auf, die sie bis dahin schon über das Fahrzeug hatten. Es handelte sich um ein Modell der letzten Serie. Ein Evo 16V ohne Katalysator. Der Motor hatte serienmäßig 210 PS. Für mich war allerdings entscheidend, dass die Karosserie nicht zu sehr vom Rost zerfressen war. Von diesem Modell gab es nicht mehr viele Exemplare. Umso begehrter sind gute Fahrzeuge, also war da auch ein wenig Eile geboten, wenn so ein Modell angeboten wurde.

Wir fuhren etwas aus dem Ort hinaus und kamen in den Nachbarort. Dort lotste mich Stephan auf einen Bauernhof. Auf dem Innenhof stand ein Delta, der optisch nicht gerade toll aussah. Ich sah Stephan wohl etwas enttäuscht an, Stephan ließ sich jedoch nicht beeindrucken und stieg, mich angrinsend, zielbewusst aus. Er ging zum Wohnhaus und bat mich, doch am Fahrzeug zu warten. Wenige Minuten später standen wir zu dritt am Delta. Der Besitzer berichtete mir, dass sein Vater dieses Auto in der Scheune stehen hatte. Seit über fünfzehn Jahren wurde das Auto nicht mehr bewegt. Der Sohn, mit dem wir nun dort standen, konnte damit nichts anfangen und wollte in der Scheune aufräumen. Der Vater war leider vor einem Jahr verstorben.

Optisch schien das Fahrzeug in originalem Zustand zu sein. Viele der Deltas wurden nämlich leider umgebaut. Ich wollte ihn zwar auch umbauen, allerdings nach originalen Vorgaben der alten Gruppe A. Er sollte sozusagen genauso werden, wie die damaligen Werksautos in der Ralley-WM. Es war das erfolgreichste Auto in der Geschichte der Ralley-WM.

Wir öffneten alle Türen und Hauben und ich konnte sehr schnell erkennen, dass dieses Auto immer trocken gestanden hatte. Es gab nur geringe Rostmängel. Ich musste es eh komplett zerlegen und auf der nackten Karosse neu aufbauen. Von daher war die defekte Elektrik für mich nicht wichtig. Stephan signalisierte mir, dieses Auto konnte man kaufen. Ich verhandelte mit dem Besitzer kurz, dann war der Deal gemacht und wir vereinbarten, dass Stephan in den nächsten Tagen das Auto auf dem Hänger abholen würde. Ich sagte zu, das Geld zu überweisen und damit war dieser Ausflug erfolgreich beendet.

Wir saßen noch einen Moment zu dritt in unserer Werkstatt. Stephan wollte noch ein paar Dinge zu meinen Werkzeugen wissen. Er wollte sich darum kümmern, dass genug Werkzeugschränke vorhanden waren und wir besprachen noch die Anschaffung eines Schutzgas-Schweißgerätes. Außerdem wollte ich für Karosseriearbeiten einen Plasmaschneider anschaffen. Das sollte Stephan für mich erledigen. Er kannte sich viel besser damit aus. Ich wollte diese Geräte dann für uns alle zur Verfügung stellen.

„Marc, das sind Geräte, die könnten wir uns eigentlich gar nicht leisten. Das weißt du, oder?“

„Ja Stephan, das weiß ich sehr wohl, dass diese Geräte nicht billig sind. Aber wir arbeiten hier gemeinsam unter einem Dach und ich möchte mit ordentlichem Werkzeug arbeiten. Wir müssen uns gegenseitig immer wieder mal helfen, also macht es auch Sinn sich mit dem Werkzeug zu ergänzen.“

„Dann sage ich mal schon vielen Dank für diese Unterstützung. Ich hoffe, wir werden hier viel Spaß haben.“

„Da gehe ich mal von aus. Ich habe da noch eine Sache. Es wird auf jeden Fall so sein, dass meine Söhne hier auch öfters mal auftauchen und mit mir schrauben werden. Wenn sie euch im Weg stehen sollten, dann sagt es ihnen. Genauso, wenn sie mal mit anfassen sollen. Das ist übrigens ein besonderes Thema. Ich habe da einen Freund von meinen Söhnen, der würde gerne seine Finanzen aufbessern für seinen 125er-Führerschein. Hättet ihr vielleicht mal die Möglichkeit ihn für ein paar Stunden zu beschäftigen? Ich werde ihn in den nächsten Tagen mal mitbringen, er soll mit mir auch am Lancia arbeiten.“

„Wenn er denn mit Werkzeug umgehen kann, warum nicht. Sehen wir dann, ob er zu uns passt.“

Damit verabschiedete ich mich, nicht ohne mich noch mal für die Unterstützung zu bedanken. Ich fuhr auf direktem Weg nach Hause.

Ich betrat unsere Küche und legte meine Sachen auf den Tisch. Dort fiel mir etwas auf. Es lag eine Zeitung auf dem Tisch vom Vortag. Ich wunderte mich nur, weil ich diese Zeitung gar nicht gekauft hatte und schon gar nicht lesen würde. Ich erschrak allerdings dann, als ich die Überschrift las.

„Marc Steevens vor einem erneuten Comeback? Hersteller dementiert bislang nicht.“

Ich war verwirrt. Wer hatte diese Zeitung dahin gelegt und warum? Abgesehen davon war das absoluter Unsinn, was dort stand. Ich hatte in keinster Weise vor, ein Comeback zu machen. Es sollte nur dieses Abschiedsrennen sein. Dann bekam ich einen Verdacht. Ich musste unbedingt mit meinen Kindern reden. Es war mir klar, das hatte einer der Jungs mitgebracht. Verdammt!

Ich überlegte kurz, wann würden alle Jungs hier sein, dann schrieb ich Mick eine Nachricht. Er möge sich bitte bei mir melden, sobald es möglich wäre.

Innerlich war ich stinksauer über diese Schlagzeile. Ich wusste aber auch, ich konnte derartige Schlagzeilen nicht verhindern. Wenn diese Zeitung so etwas schreiben wollte, dann war das leider so. Das half mir hier leider sehr wenig. Ich machte mir einen Tee, setzte mich an den Tisch und holte mir meinen Laptop. Ich arbeitete meine Mails ab. Da klingelte mein Handy.

„Hallo Mick, schön dass du anrufst.“

„Hi Papa, was gibt’s denn so Wichtiges?“

„Ich habe eine Zeitung in der Küche gefunden, mit einer Schlagzeile drauf. Kannst du mir vielleicht etwas dazu sagen?“

Es herrschte einen Moment Stille, Mick überlegte, was er sagen sollte.

„Ja, kann ich, Leif hat die mitgebracht und war nicht begeistert. Was Lukas dazu denkt, kannst du dir ja vorstellen.“

Ich konnte es, allerdings.

„Deshalb solltest du dich melden, ich möchte euch bitten, um drei nach Hause zu kommen. Ich möchte mit euch das besprechen. Sagst du bitte Leif und Lukas auch Bescheid?“

„Ist in Ordnung, Papa, das stimmt aber doch nicht, was dort steht, oder?“

Ich spürte seine Unsicherheit.

„Mick, ganz sicher! Ich habe nicht vor, wieder zu fahren. Das verspreche ich dir. Ich will das aber mit allen klar besprechen. Deshalb seid bitte um drei hier.“

Er war deutlich erleichtert und dann verabschiedete er sich mit der Zusage, alle um drei mitzubringen.

Ich schaute auf die Uhr. Es war mittlerweile doch schon halb eins. Ich entschied mich, eine Runde durch den Wald zu gehen. Lucien wollte ja später auch noch kommen. Da würde ich noch Gelegenheit haben, mich auszutoben.

Mick: Termine, Termine

Ich stand vor Leifs Klasse und wartete darauf, dass er herauskam. Ich hatte Lukas bereits informiert und nun wollte ich Leif mitteilen, dass wir um drei Uhr zu Hause sein sollten.

„Hi Mick, was ist denn los? Sonst kommst du doch auch nicht hierher.“

„Hi Leif, Papa hat angerufen und darum gebeten, dass wir alle um drei Uhr zu Hause sind. Er hat uns etwas mitzuteilen.“

Leif stutzte, nickte aber und sagte zu, um drei zu Hause zu sein. Ich ging wieder zu Lukas zurück, wir hatten noch den Termin mit Marcel. Das war alles richtig eng heute.

Ich saß mit meinem Schatz bei Salvatore, wir tranken einen Cappuccino, als Marcel um kurz vor halb drei hineinkam. Er setzte sich zu uns.

„Marcel, schön dass du zeitig hier bist. Wir haben ein kleines zeitliches Problem. Wir müssen um drei zu Hause sein. Papa hat uns zum Gespräch bestellt. Da gibt es etwas sehr Wichtiges zu besprechen, also am besten du fängst mal direkt an.“

Marcel holte tief Luft und begann zu berichten.

„Wir hatten uns einen wirklich netten Nachmittag gemacht. Am PC gezockt, Musik gehört und irgendwann saßen wir auf dem Sofa bei mir und ich hatte das Bedürfnis mit ihm ein wenig auf Kontakt zu gehen. Ich umarmte ihn und wir knutschten ein wenig. Bis dahin war alles wirklich schön. Ich meine, wir hatten das ja auch schon öfter gemacht. Nur gestern waren wir absolut ungestört.“

Er machte eine kleine Pause.

„Sag mal, seid ihr jetzt eigentlich fest zusammen?“, wollte Lukas wissen. Marcel schaute uns zweifelnd an, er stöhnte leicht auf.

„Eigentlich hatte ich das gedacht, ja. Aber gestern ist dann etwas passiert, was ich nicht verstehe. Als wir dann so schön gemütlich zusammen waren, wollte ich etwas weiter gehen als sonst. Und plötzlich springt er einfach auf und rennt einfach aus dem Zimmer. Einfach weg.“

Marcel schwieg nun einen Moment und ich konnte seine Traurigkeit erkennen. Er konnte das nicht verstehen.

„Was habe ich da falsch gemacht? War das so schlimm, ich wollte ihm doch nur zeigen, wie sehr ich ihn mag.“

Ich sah meinen Lukas an und wir konnten beide seine Enttäuschung verstehen. Ich war auch etwas ratlos.

„Hat er denn noch etwas gesagt, als er geflüchtet ist?“, wollte ich wissen.

„Nicht wirklich, er hat nur irgendwas gestammelt, das war aber nicht wirklich zu verstehen. Ich habe nur ein - ich kann das nicht - oder so ähnlich, verstanden.“

Marcel war richtig niedergeschlagen.

„Hast du heute noch mal mit ihm gesprochen? Oder redet ihr nicht mehr miteinander? Hast du vielleicht etwas gesagt, was er falsch verstanden haben könnte?“

„Mick, Benny ist mir heute aus dem Weg gegangen. Ich habe es auch nicht versucht mit ihm zu reden. Ich weiß einfach nicht, was ich getan habe, um ihm so weh zu tun.“

Ich hatte eine Ahnung, aber viel wichtiger war jetzt, was wusste Marcel von Bennys Geschichte. Lukas hatte anscheinend die gleichen Gedanken.

„Was weißt du eigentlich von ihm? Also wie gut kennst du seine Vergangenheit?“

Marcel schaute uns etwas konsterniert an und schüttelte den Kopf.

„Ich glaube, einer von uns sollte mal mit ihm reden. Er sah heute genauso fertig aus wie du. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm genauso schlecht geht, wie dir. Er mag dich nämlich sehr wohl“, meinte ich zu Marcel etwas aufmunternd.

„Du glaubst also, er hat unsere Freundschaft damit nicht beendet?“

„Auf jeden Fall. Er mag dich. Ich weiß das, er hatte es mir ja gesagt. Ich werde mal versuchen mit ihm zu reden. Gib ihm etwas Zeit. Vielleicht versuchst du einfach, mit ihm ganz normal umzugehen. Zeig ihm, dass du ihn immer noch magst. Ich glaube, dass er Angst hat.“

„Angst? Vor mir?“ wollte Marcel wissen.

Ich überlegte, was konnte ich Marcel sagen und was sollte ich auf jeden Fall noch nicht preisgeben.

„Nein, vor dir glaube ich nicht, eher vor einer Beziehung. Ich kann dir noch nicht mehr sagen, aber mach dir keine zu großen Sorgen. Er mag dich ganz sicher mindestens genauso wie du ihn.“

Marcel sah mich sehr ungläubig an.

„Ich hoffe, du hast Recht, Mick. Ich mag ihn wirklich und ich wäre sehr traurig, wenn ich das jetzt vermasselt hätte.“

Ich lächelte ihn an, musste jetzt aber zur Uhr schauen. Papa wartete nicht gerne. Eine blöde Lage. Marcel brauchte unsere Hilfe, ich ging auch davon aus, dass Benny Hilfe brauchte.

„Marcel, wir müssen jetzt los, aber ich verspreche dir, ich werde mir Benny reden. Das bekommen wir hin. Mach dir keine zu großen Sorgen.“

„Ok, danke für eure Hilfe. Ich hoffe, du hast Recht.“

Damit verabschiedeten wir uns und fuhren nach Hause. Ich merkte allerdings bei Lukas auf dem Weg eine steigende Anspannung.

„Weißt du eigentlich, was genau Papa mit uns besprechen will?“

„Im Prinzip schon. Er will mit uns über die Zukunft reden. Er hat wohl die Zeitung von gestern gefunden. Und vermutlich will er das klären.“

„Ah ja, das fänd ich auch gut. Ich hoffe, er wird nicht wieder mit dem Fahren anfangen.“

Seine Stimme klang dabei sehr unsicher. Er machte sich offensichtlich Sorgen. Ich wusste ja, wie oft er mit Angst zu Hause gesessen hatte, als Papa noch aktiv gefahren war.

Wir stellten unsere Räder in die Garage und gingen direkt zu Papa ins Wohnzimmer. Dort saß bereits Leif und wartete auf uns. Papa war noch in der Küche und hatte einen Tee vorbereitet. Wir setzten uns zu Leif und warteten auf das, was nun passieren würde. Papa kam aus der Küche zu uns.

„Hallo ihr beiden, schön dass ihr auch so zeitig gekommen seid. Dann lasst uns mal anfangen. Ich denke, es wird auch nicht so lange dauern“, begann Papa unsere Unterhaltung.

„Ich habe heute Morgen beim Frühstück eine Zeitung gefunden. Wer von euch hat die eigentlich mitgebracht?“

Wir sahen uns schweigend an, Leif hatte wohl Schiss, er könnte jetzt Ärger dafür bekommen. Jedenfalls gab ich ihm zu verstehen, er sollte seinen Standpunkt vertreten.

„Ich habe die gestern am Kiosk gesehen und dann sehr erschrocken das gelesen. Ich fand das völlig scheiße. Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander“, polterte er dann auch los. Lukas holte auch schon Luft und ich ahnte, was nun kommen würde.

„Ich weiß nicht, warum das da steht, aber sind wir dir so wenig wert, dass du nur an dich denkst? Ich will das nicht mehr. Ich will nicht wieder an den Wochenenden zu Hause sitzen und Angst haben müssen, dass ich wieder ohne Familie sein könnte. Kannst du dir das nicht vorstellen?“

Dabei fing seine Stimme an zu brechen. Ich hatte schon Sorge, er würde anfangen zu weinen. Das geschah dann nicht, aber ich konnte in seinen Augen eine Mischung aus Wut und Angst erkennen. Papa saß die ganze Zeit wortlos bei uns und ließ uns alle ohne Unterbrechung ausreden. Erst als wir alle unsere Meinungen und Gefühle ausgedrückt hatten, herrschte einen Moment Schweigen, dann atmete Papa tief aus.

„Es ist sehr schade, dass ihr mir das wirklich zutrauen würdet. Ich bin enttäuscht, aber auch froh, dass ihr es nicht einfach runterschluckt.“

Ich sah Papa an, ich spürte, wir hatten einen Fehler gemacht, wir hätten es sofort ansprechen sollen. Er fuhr fort mit den Worten:

„Jungs, wie oft habt ihr in den Zeitungen Berichte über bestimmte Personen gelesen? Und wie oft standen da Sachen von mir, die definitiv nicht der Wahrheit entsprachen? Egal, ich bin wirklich enttäuscht darüber, wie ihr damit umgeht. Du findest diesen Artikel, kaufst dir die Zeitung und schiebst Frust. Die anderen genauso. Anstatt mit mir darüber zu reden, lauft ihr, insbesondere Lukas, mit Angst durch die Gegend. Ich will jetzt mit euch darüber reden, es wäre aber sicher besser gewesen, ihr hättet mich zum Gespräch gebeten und nicht umgekehrt.“

Wir drei saßen recht kleinlaut am Tisch. Papa schaute uns an und ich ärgerte mich über mich selber. Ich hatte Papa noch nie ärgerlich erlebt, wenn wir mit ihm über eine Sache sachlich geredet hatten, die uns nicht gefallen hatte.

„Lukas, glaubst du im Ernst, ich würde dich mit deinen Ängsten ignorieren? Leute, um das ganz klar und deutlich zu sagen - ich werde kein Comeback machen. Wenn es für einen von euch ein ernsthaftes Problem darstellt, dass ich in Rio ein Abschiedsrennen fahre, dann werde ich das sofort absagen. Soll ich das machen?“

Lukas musste schlucken, mir ging das ähnlich. Ich hatte Papa falsch eingeschätzt. Er hatte Recht, wir hätten es wissen müssen, dass sich vieles geändert hatte. Ich ergriff das Wort:

„Papa, es tut mir leid, dass ich dir nicht vertraut habe. Ich werde etwas daraus lernen. Erst immer direkt mit dir reden, bevor wir uns unnötig Gedanken machen.“

Papa sah mich mit einem freundlichen Nicken an. Leif schaute ihn an und dann folgte ein bemerkenswerter Satz:

„Papa, du hast Recht. Ich wäre genauso enttäuscht von dir, wenn du mit uns so umgehen würdest. Es tut mir leid. Du wirst auf keinen Fall das Rennen in Rio absagen. Wir werden dich voll unterstützen und dich wie besprochen begleiten.“

Dann stand Leif auf und ging auf Papa zu, umarmte ihn und wir taten es ihm gleich. Ich war wirklich sauer auf mich, wie konnte ich am Vertrauen von Papa zweifeln, eine blöde Idee.

„Jungs, genug geredet. Ich habe für meinen Teil alles gesagt. Hat einer von euch noch etwas dazu zu sagen?“

Leif hob die Hand.

„Ich würde diesem Käseblatt gerne mal die Meinung sagen. Es ist widerlich, ein Gerücht ohne einen Funken Wahrheit, zu verbreiten.“

Wir stimmten dieser Aussage zu, allerdings rieten wir ihm ab, es zu tun. Es würde keinen Sinn machen. Dann fiel Papa doch noch etwas ein:

„Ach Leif, wo du schon einmal hier bist, zeig mir bitte deine Hausaufgaben und das was du sonst noch für die Schule gemacht hast.“

Ich musste mir das Grinsen verkneifen, Lukas lachte laut, als er das vernommen hatte. Leif hingegen stand wortlos auf, verließ das Wohnzimmer und wir schauten uns verblüfft an. Einen Augenblick später legte Leif Papa seine gesamten Schulsachen auf den Tisch, erklärte Papa für jedes Fach ganz genau, was er gemacht hatte und wir staunten alle. Papa sah ihn nach einigen Minuten an und lachte plötzlich laut auf.

„Warum musste ich erst richtig böse werden und mit Liebesentzug drohen, wenn es doch auch so geht? Kann ich das in der nächsten Woche bitte genauso wieder haben, dann bin ich echt begeistert.“

Dabei nahm er Leif in den Arm und sagte:

„Also gut, ich werde das Ganze auf Bewährung aussetzen. Wenn du mir am Wochenende zeigst, was du mit Stefanie zusammen gelernt hast, darfst du sie morgen bis Sonntag hierher einladen. Wenn das nicht klappt, wird die Bewährung widerrufen. Ist das klar?“

Leif strahlte und jubelte.

„Cool Papa, ich versuche es in Zukunft genauso weiter zu machen. Das heißt, sie darf morgen bei mir schlafen?“

Papa grinste und antwortete: „Ja, sie darf bei dir schlafen. Betonung liegt auf bei.“

Lukas und ich lachten uns tot über dieses Wortspiel, Leif hatte einen knallroten Kopf. Er schüttelte diesen mit den Worten:

„Ihr seid doof. Hast du echt geglaubt, ich würde schon mit ihr schlafen?“

Papa blieb ziemlich cool.

„Ich habe es jedenfalls gehofft, dass es noch nicht soweit ist. Verhindern könnte ich es ja eh nicht. Aber ich würde mich freuen, wenn wir beide uns noch einmal alleine über das Thema unterhalten könnten.“

Dabei wuschelte er Leif durch die Haare, Leif nickte verschämt und damit war unsere Runde hier im Wohnzimmer beendet. Leif ging in sein Zimmer und Lukas wollte zu uns nach oben gehen. Ich hatte allerdings noch ein anderes Anliegen.

„Papa, ich habe da noch ein anderes Problem. Hast du noch etwas Zeit?“

Er sah auf die Uhr, nickte dann und meinte:

„Wenn es nicht zu lange dauert, Lucien kommt gleich noch zum Biken vorbei und ich muss mich noch umziehen. Aber was hast du denn auf dem Herzen?“

Ich erklärte ihm die Situation mit Marcel und Benny. Ich wollte diese Sache nicht ohne seine Hilfe regeln.

„Mick, ich bin sehr froh darüber, dass du mich dazu fragst. Ich glaube schon zu wissen, was Benny da passiert ist. Wenn das so ist, dann hat es nichts mit Marcel direkt zu tun. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich das mit Benny mal bespreche. Das sollte nicht deine Aufgabe sein. Ich werde ihn anrufen und ihn bitten herzukommen.“

„Was soll ich Marcel sagen? Wie soll er sich verhalten?“

„Sag ihm, er soll sich Benny gegenüber ganz normal verhalten. Und er soll keine weiteren Annäherungsversuche unternehmen, bis ich mit Benny und dann vielleicht mit ihm gesprochen habe.“

„Alles klar, danke Papa.“

Damit gingen Lukas und ich nach oben. Heute Abend wollte ich mit Lukas einen Abend zu zweit verbringen. Ohne Termine und hoffentlich ohne weitere Zwischenfälle.

Marc: ein außergewöhnliches Training

Unsere Gesprächsrunde hatte sich aufgelöst und ich begann mich umzuziehen. Lucien würde gleich zum Training kommen. Ich entschloss mich aber vorher mit Benny zu telefonieren. Ich nahm mein Handy und wählte seine Nummer.

„Benny Dankers“, meldete er sich. Er hörte sich ziemlich traurig an.

„Hallo Benny, Marc hier. Wie geht es dir?“

Ich konnte spüren, wie er zögerte und tief Luft holte.

„Hallo Marc, ganz ehrlich geht’s mir gerade ganz beschissen. Ich glaube, ich habe richtig Mist gebaut.“

Ich konnte seine Niedergeschlagenheit förmlich spüren.

„Möchtest du mir vielleicht etwas davon erzählen?“

Schweigen, er atmete hörbar schwer. Er kämpfte mit seinen Gefühlen.

„Marc, ich will dich nicht ständig mit meinen Problemen belästigen. Vielleicht ist es aber besser, wenn ich mit dir rede. Würdest du denn noch mal für mich Zeit haben?“

„Hast Du vielleicht vergessen, aber ich bin zurzeit für dich mit verantwortlich. Also habe ich natürlich für dich Zeit. Kommst du zu mir, oder soll ich irgendwohin kommen?“

„Nein, nein, ich komme zu euch. Wann kann ich denn kommen?“

„Komm doch um halb sechs. Ich bin vorher mit Lucien mit dem Rad unterwegs. Halb sechs würde aber gut passen.“

„Ok, das bekomme ich hin. Danke.“

Ich konnte spüren, wie sehr er sich zusammennehmen musste, um nicht in Tränen auszubrechen.

„Benny, egal was passiert ist, wir bekommen das wieder hin. Ganz bestimmt. Also bleib ruhig und lass uns erst einmal miteinander reden. Wir finden bestimmt eine Lösung. Muss ich mir Sorgen machen, oder kannst du bis nachher warten?“

„Nein, es geht schon. Ich bin um halb sechs da.“

„Ok Benny. Dann bis später.“ Ich beendete das Gespräch, aber um jetzt auch Marcel anrufen zu können, brauchte ich seine Nummer. Ich ging also wieder zum Haus und klingelte bei Mick und Lukas. Mick öffnete mir und lachte mich an:

„Hi Papa, was gibt’s denn noch? Hast du wieder was vergessen?“

„Hi Mick, ich brauche von Marcel eine Telefonnummer. Du hast nicht zufällig seine Nummer?“

„Doch habe ich. Hast du mit Benny schon gesprochen?“

„Ja, gerade eben. Ich habe mich mit ihm um halb sechs verabredet. Ich möchte aber Marcel auch hier haben. Allerdings etwas später. Ich glaube, wir sollten das gemeinsam klären, wenn ich mit Benny gesprochen habe.“

Mick war erleichtert und sagte: „Das ist sicher eine gute Idee. Warte mal eben, ich muss im Handy die Nummer raussuchen.“

Er tippte auf seinem Handy und gab mir die Nummer. Ich speicherte sie in meinem Telefon.

„Danke dir, seid ihr heute Abend vielleicht im Haus? Oder habt ihr schon was vor?“

„Wir sind im Haus, aber ich wollte mit Lukas endlich mal einen schönen Abend zu zweit haben.“

„Sollt ihr auch haben, aber falls etwas Unvorhergesehenes passieren sollte und ich Unterstützung brauche.“

„Ja natürlich, wenns brennt, sag Bescheid. Dann kommen wir natürlich sofort.“

„Super, danke dir. Grüß Lukas von mir und bis später dann.“

„Ciao Papa.“

Lukas schloss die Tür und ich sah auf die Uhr. Verdammt, Lucien musste jeden Moment kommen. Ich war allerdings noch nicht komplett angezogen und musste noch den Helm holen. Außerdem wollte ich noch mein Bike überprüfen.

Ich hatte gerade meinen Helm geholt, prüfte meine Bremsen und den Reifendruck, als Lucien wie immer flott um das Haus kam. Er bremste mit quietschendem Reifen und sprang vom Rad.

„Hallo Marc, du siehst echt cool aus mit den Klamotten.“ Dabei schaute er mich von oben bis unten ganz genau an. Er hatte auch seine Schutzkleidung an, nur den Helm hatte er am Lenker baumeln.

„Hi Luc, sieht bei dir auch nicht schlechter aus, allerdings muss ich schimpfen. Der Helm gehört auf deinen wertvollen und unersetzbaren Kopf und nicht an den Lenker.“

Er schaute verdutzt und lachte dann.

„Ok, ok. Ich gebe mich geschlagen. Bevor du bei Mama petzen gehst, setze ich ihn auf.“

„Luc, so ein Helm soll nicht toll aussehen, er soll schützen, wenn notwendig. Also ich trage doch auch einen Helm.“

„Ist schon gut Marc, du hast ja Recht. Ich finde es nur doof, dass man deshalb oft ausgelacht wird. Ich sei ein Weichei und ein Feigling.“

„Wessen Kopf wird denn geschützt? Dein Kopf oder der Kopf der Deppen, die so einen Schwachsinn erzählen? Du bist für deinen Kopf verantwortlich, bzw. ich bin mitverantwortlich. Ich habe ja auch eine Zeit lang keinen Helm getragen. Aber ich trage ihn jetzt auch immer.“

Er schien überzeugt zu sein, er setzte seinen Helm auf und schloss die Halteriemen und ich gab ihm den Daumen hoch. Dann fuhren wir los. Heute wollten wir wieder eine große Runde fahren. Allerdings nicht mehr so schnell, dafür mehr Kilometer machen. Nach wenigen Minuten waren wir bereits mitten im Wald. Lucien wurde immer geschickter und ich hatte teilweise einige Schwierigkeiten ihm zu folgen. Ich fuhr allerdings auch nicht so riskant. Das Privileg der Jugend, es sei ihm gewährt. Allerdings würde mich seine Mutter vermutlich einen Kopf kürzer machen, wenn sie davon wissen würde. Nach fünf Kilometern durch den Wald, mit teilweise sehr schwierigen Pfaden, kamen wir an eine Lichtung. Dort gab es einen Jägerhochsitz. Lucien fuhr bis zum Fuße dieses Hochsitzes und stieg dann vom Rad. Er nahm seine Trinkflasche und stieg die Leiter empor. Ich kam wenige Augenblicke später dort an. Da schaute der Junge bereits grinsend von oben auf mich herab. Ich schaute nach oben und meinte zu ihm:

„Gibt es da oben etwas umsonst, oder warum stürmst du so die Leiter empor?“

Er kicherte nur.

„Klar, hier gibt es einen sehr schönen Ausblick auf euer Haus.“

Das verwunderte mich dann doch etwas, ich hätte nie gedacht, dass man von hier aus auf unser Haus schauen konnte. Ich entschied mich ebenfalls heraufzuklettern. Oben angekommen zeigte Lucien mit seinem ausgestreckten Arm in Richtung unseres Heimes.

„Tatsächlich Luc, das ist wirklich unser Haus. Das hätte ich ja nie gedacht. Woher wusstest du das denn?“

Er lachte wieder und mit einem schelmischen Grinsen antwortete er:

„Manchmal war ich allein im Wald zu Fuß unterwegs. Da habe ich mir dann ein Fernglas mitgenommen und mich hier umgeschaut. Da habe ich dann entdeckt, dass von hier aus euer Haus sehr gut zu sehen ist.“

„Soso, mit einem Fernglas. Und hast du auch schön was erkennen können mit dem Fernglas?“

Er wurde leicht rot. Jetzt war es ihm doch etwas peinlich, weil er merkte, ich fand das nicht ganz so lustig.

„Naja, einmal habe ich doch bei Lukas und Mick geschaut. Aber Marc, bitte verrate mich nicht. Ich habe ihnen zugeschaut, wie sie sich schön gemütlich auf der Couch geküsst haben. Danach habe ich aber nicht weiter geschaut.“

Sein Kopf war mittlerweile so rot wie eine Tomate.

„Luc, ganz ehrlich, das ist nicht in Ordnung. So etwas tut man nicht. Stell dir mal vor, du würdest in deinem Zimmer heimlich beobachtet. Das würdest du bestimmt auch nicht so lustig finden, wenn du gerade aus der Dusche kommst oder mit anderen sehr intimen Dingen beschäftigt bist.“

Es war ihm sowas von peinlich.

„Marc, es tut mir leid, aber ich habe nicht gedacht, dass ich wirklich mit einem Fernglas von hier alles so genau sehen könnte.“

Ich musste etwas schmunzeln. Ich hatte früher als Kind auch oft im Wald alles Mögliche ausprobiert und auch mit einem Fernglas das eine oder andere Spannende beobachtet. Ich konnte ihm nicht wirklich böse sein.

„Ist schon gut Luc, aber du solltest in Zukunft nicht unbedingt Leute heimlich beobachten. Beobachte die Tierwelt oder die Natur. Menschen möchten das nicht so besonders, heimlich beobachtet zu werden.“

„Bleibt das unter uns? Wenn Mick und Lukas das rausfinden, bekomme ich bestimmt Ärger mit den Beiden.“

„Ich werde es ihnen nicht erzählen, denn du hast es mir ja freiwillig erzählt. Ich hätte es ja sonst auch nie erfahren. Außerdem finde ich es grundsätzlich sehr schön, dass du in die Natur gehst und dir alles Mögliche ansiehst.“

Er war sichtlich erleichtert, wir gingen hinunter.

„Luc, ich habe da noch etwas. Ich freue mich, dass du Vertrauen zu mir hast und mir das erzählt hast. Wann immer du ein Problem hast, auch wenn du mal eine Dummheit oder einen Fehler gemacht hast, du kannst immer zu mir kommen. Du musst keine Angst haben.“

Er sah mich dankbar an und nickte. Wir stiegen auf unsere Räder und setzten unsere Trainingsrunde fort. Heute fuhr ich mit Lucien zum ersten Mal auch über einige ganz schmale Pfade, die schwierig zu meistern waren. Er stellte sich wirklich sehr geschickt an. Als wir bei ihm zu Hause ankamen, waren wir beide ziemlich verschwitzt. Er strahlte aber übers ganze Gesicht.

„Danke Marc, alleine hätte ich mich diese Wege noch nicht getraut. Aber es war echt cool mit dir zusammen diese Strecke zu fahren.“

Ich wuschelte ihm durch seine nassen Haare. Er lud mich zu einer kalten Cola auf der Terrasse ein. Wir saßen uns einen Moment schweigend gegenüber, als er mir dann etwas für ihn sehr Wichtiges erzählte.

„Marc, Mama fährt morgen nach Basel zu meinem Onkel. Und weißt du was? Ich muss endlich einmal nicht mitfahren. Ich darf das Wochenende allein zu Hause bleiben.“

Dabei strahlte er wie eine Leuchtrakete. Seine Vorfreude war nicht zu übersehen.

„Na also, siehst du. Deine Mutter vertraut dir doch. Du hättest also gar nicht so sauer sein müssen. Und weißt du schon, was du dann machen willst am Wochenende? Hast du einen Freund eingeladen?“

„Ja, Tobi darf das Wochenende kommen. Wir wollen mit dem Rad was unternehmen und abends wollen wir grillen.“

Bei diesem Gedanken wurde ich doch etwas unruhig. Die beiden Jungs allein mit dem Grill, das fand ich doch keine so gute Idee. Aber sollte ich dazu jetzt etwas sagen?

„Das ist doch schön, dass du deinen Freund zu Besuch hast. Hast du denn schon mal gegrillt?“

„Ja, mit Mama und auch bei Tim war ich ja schon ein paar Mal dabei.“

„Ok, und Mama hat das erlaubt?“

„Sie weiß davon nichts. Wir wollten das auch nicht vorher sagen. Sie würde es uns vermutlich verbieten.“

Ich war jetzt nicht begeistert, aber ich wollte ihm auch nicht den Spaß verderben. Eigentlich sollten die Jungs nicht alleine mit einem Grill hantieren.

„Luc, ihr solltet mit dem Grillen warten, bis deine Mutter dabei ist. Das ist nicht ganz ungefährlich mit dem offenen Feuer. Auch mit dem Anzünden des Grills muss man etwas Übung haben. Ich möchte nicht, dass ihr alleine grillt. Es ist einfach zu gefährlich.“

Er war enttäuscht, dass ausgerechnet ich ihm diesen Spaß nicht erlauben würde.

„Mann Marc, wir sind keine kleinen Kinder mehr. Wir passen schon auf. Meinst du wirklich, wir sollten das nicht machen?“

„Ja Luc, das meine ich sehr ernst. Bitte versprich mir, nicht ohne Aufsicht zu grillen. Das ist zu gefährlich. Wenn ihr grillen wollt, dann kommt zu uns. Wir können dann zusammen grillen.“

„Also gut. Ich melde mich dann, wenn Tobi immer noch grillen will. Sonst machen wir uns in der Küche was zu essen.“

„Versprochen?“

„Ja Marc, du musst keine Angst haben.“

Damit verabschiedete ich mich von Lucien und fuhr nach Hause. Bevor ich unter die Dusche ging, rief ich bei Marcel an. Er war überrascht, und auch nicht erfreut, dass ich über den Vorfall Bescheid wusste. Ich erklärte ihm den Sachverhalt, warum mich Mick in Kenntnis gesetzt hatte und ich bat ihn, später zu meinem Gespräch mit Benny hinzuzukommen. Er sagte mir das zu und ich konnte duschen gehen.

Ich hatte keine Zeit mich groß hinzusetzen, denn plötzlich klingelte es an der Haustür, ich sah zur Uhr. Für Benny war es noch zu früh, ich stutzte und ging zur Tür. Als ich öffnete, staunte ich nicht schlecht. Sabine stand vor mir.

„Hallo Marc, störe ich? Ich würde gerne mit dir kurz über das Wochenende sprechen.“

„Hallo Sabine, nein, komm rein.“

Wir gingen ins Wohnzimmer und dort erklärte sie mir ihr Anliegen. Sie fuhr ja das Wochenende zu ihrem Bruder. Wie wir schon mal besprochen hatten, wollte ich dann zwischendurch bei Lucien mal vorbeischauen. Sie gab mir für den Notfall noch einen Hausschlüssel und sie wollte zwischendurch anrufen.

„Aber du musst mir versprechen, wenn Lucien deiner Meinung nach Blödsinn im Kopf hat, mich sofort anzurufen. Ich habe ihm gesagt, dass du am Wochenende zu Hause bist und er dich anrufen kann, wenn er Fragen hat oder Hilfe braucht. Ist das ok für dich?“

„Natürlich, mach dir keine Sorgen. Das bekommt er schon hin. Ich glaube, er freut sich sehr auf das Wochenende mit Tobi. Also fahr in Ruhe nach Bern, ich werde schon aufpassen, dass die Hütte noch steht, wenn du zurückkommst.“

Sie musste lachen. Wir umarmten uns kurz und dann fuhr sie auch schon wieder davon. Als sie aus der Straße fuhr, konnte ich Benny bereits mit dem Rad heraufkommen sehen. Ich blieb also stehen und wartete, bis er heran war. Ich gab ihm zu verstehen, dass er um das Haus fahren sollte und ich in den Garten kommen würde.

„Hallo Marc, ich hoffe, ich störe deine Planungen nicht. Immerhin ist es Freitagabend.“

„Blödsinn, ich bin aus dem Alter, wo ich noch in die Disco fahre, heraus.“

Wir mussten beide lachen. Wir saßen im Wohnzimmer, als Benny sichtlich unruhig wurde.

„Benny, berichte mir doch bitte mal, was ist bei Marcel passiert? Mick macht sich Sorgen um dich.“

Er schaute etwas verlegen.

„Was hat Mick denn schon erzählt?“

„Er meinte, Marcel hätte ihn um Rat gefragt und du wärst ziemlich durch den Wind gewesen am nächsten Tag.“

„Ach Marc, ich weiß es auch nicht. Vielleicht erzähle ich dir die ganze Geschichte mal von Beginn an.“

Das fand ich einen guten Ansatz und so berichtete er mir, dass er sich mit Marcel doch mehr angefreundet hatte und er Marcel wohl sehr mag. Er erzählte, dass er es schön findet, mit ihm zusammen zu sein und sie sich auch schon geküsst hätten. Aber als Marcel an diesem Abend ihm noch näher kommen wollte, bekam er Panik.

„Weißt du Marc, ich habe einfach Bilder gesehen, die waren furchtbar. Mir ist schlecht geworden, als Marcel mich streichelte und seine Hand an meiner Hose war. Ich konnte einfach nicht sitzen bleiben.“

Er machte eine Pause und ich konnte sehen, ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Er war sehr angespannt, und er lief aufgeregt im Zimmer umher.

„Benny, komm setz dich zu mir und versuche dich etwas zu beruhigen. Es kann dir hier niemand etwas tun.“

Er schaute mich ängstlich an, nickte aber und setzte sich zu mir.

„Du magst Marcel, oder? Seid ihr eigentlich zusammen?“

„Ich hatte es gedacht ja, aber jetzt denkt er bestimmt, ich will nichts von ihm wissen. Wie konnte ich nur so blöd sein, da wegzulaufen.“

Es standen ihm jetzt Tränen in den Augen.

„Ich glaube, es geht ihm genauso wie dir. Er versteht es auch nicht. Er hat sich an Mick und Lukas gewandt, weil er Angst um dich hat. Hast du ihm mittlerweile irgendetwas von deiner Vergangenheit erzählt?“

Benny schüttelte verschämt den Kopf.

„Ich konnte es einfach nicht. Ich dachte, ich könnte es einfach vergessen. Ich will ihn damit nicht belasten.“

„Das ist, glaube ich, keine gute Idee. Du kannst diese Bilder nicht einfach vergessen. Wenn du mit Marcel eine Beziehung haben möchtest, solltest du ihm von dir erzählen. Du brauchst noch viel Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Es ist überhaupt nicht peinlich, was dir da passiert ist. Die Angst ist leider normal. Du hast einfach diese Bilder wieder gesehen und geglaubt, Marcel könnte das gleiche mit dir machen. Obwohl du genau weißt, dass er das nicht tun wird.“

Er schaute mich aus traurigen Augen an. Ich legte meinen Arm um ihn und dann erzählte er.

„Jetzt habe ich endlich einen Freund kennengelernt, der mich mag und den ich mag. Wir kommen uns näher und ich will mit ihm kuscheln und dann passiert so etwas. Das ist doch einfach ungerecht. Was Marcel jetzt wohl von mir denkt?“

Dabei konnte er seine Angst und Enttäuschung nicht mehr zurückhalten. Er weinte bitterlich. Ich konnte es verstehen. Er hatte endlich seine Angst vor Entdeckung überwunden, konnte akzeptieren, dass er Marcel mochte und dann passierte ihm diese Reaktion.

„Ich glaube, er denkt genauso das Falsche wie du. Er weiß halt nicht, was dir passiert ist und er kann den Zusammenhang nicht verstehen. Er glaubt, es liegt an ihm, warum du weggelaufen bist. Ich habe dir ja schon vor einiger Zeit gesagt, wie wichtig es wäre, dass du eine Therapie machst. Du musst dir keine Vorwürfe machen.“

Ich hielt ihn einfach nur im Arm fest und er beruhigte sich wieder.

„Benny, bist du in Marcel verliebt?“

Er schaute mich aus roten Augen an und zögerte, dann nickte er.

„Hey, das ist doch kein Grund sich zu schämen, freu dich doch. Ich denke nämlich, er sieht das genauso. Du musst ihm das sagen. Nur so könnt ihr das gemeinsam schaffen. Du musst dir selbst Zeit geben.“

„Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich kann es nicht erzählen, ich habe Angst davor. Was denkt er dann von mir? Das kann mir doch wieder passieren, wer will mit einem Jungen zusammen sein, der sich nicht unter Kontrolle hat.“

„Ja, es kann wieder passieren, aber wenn du dir helfen lässt, dann kannst du lernen, damit umzugehen. Wenn du Marcel liebst, solltest du versuchen, ihm zu vertrauen. Er wird dir helfen. Ihr müsst beide lernen, anders mit dieser Situation umzugehen.“

Er nickte, aber ich spürte seine Angst. Er hatte noch einen langen Weg vor sich, diese traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

„Ich biete dir an, mit Marcel und dir zu sprechen. Lasst uns gemeinsam darüber sprechen, was passiert ist. Dann kann er verstehen, warum du so reagiert hast. Du musst ihm deine Angst mitteilen.“

„Also gut, du wirst vermutlich Recht haben. Ich habe dennoch Angst davor. Ich will nicht weiterhin immer allein sein.“

„Das kann ich gut verstehen. Es ist alles ein wenig viel auf einmal. Lass uns mit Marcel sprechen. Ich bin mir sicher, er wird sehr froh sein, dass du ihm vertraust und er wird dich unterstützen.“

„Was soll ich jetzt machen? Ich kann ihn doch nicht einfach anrufen und sagen, wir sollten reden?“

„Warum denn nicht? Es ist doch so. Soll ich das für dich machen?“

„Würdest du das machen?“

Ich sagte ihm das zu und ich ging unter dem Vorwand hinaus, zu telefonieren. Dass ich mit Marcel bereits gesprochen hatte, wollte ich noch nicht verraten. Marcel würde in wenigen Minuten hier eintreffen. Ich ging wieder zu Benny.

„Er kommt her. Er war sehr froh, dass du dich gemeldet hast, und habe keine Angst. Ich bleibe bei euch, solange ihr wollt. Ist das In Ordnung?“

„Hmm, ok. Ich hoffe, ich bekomme das hin.“

„Entspann dich etwas, das bekommen wir hin. Du musst mir nur versprechen, sag mir Bescheid, wenn es zu heftig wird. Wir können jederzeit aufhören. Du musst lernen auf deine Gefühle zu hören. Das ist wirklich ein Lernprozess. Ich habe das damals mit Lukas auch lernen müssen. Es gibt Experten dafür, die können dich unterstützen, du musst es aber auch zulassen.“

Jetzt wurde er nachdenklich.

„Bist du mir böse, dass ich das nicht allein hinbekomme?“

Ich dachte, ich höre nicht recht.

„Du bist doch blöd. Ich weiß, wie schwer das alles ist. Dafür bin ich doch da. Ich helfe dir gerne. Eigentlich ist das die Aufgabe deiner Eltern, die haben da versagt. Es ist nicht deine Verantwortung. Also hör auf, dich fertig zu machen. Wir schaffen das gemeinsam. Lass uns erst einmal mit Marcel reden. Ich will, dass eure Freundschaft nicht noch mehr leidet. Also los, das wird schon.“

„Ok, Marc. Danke für die Unterstützung. Ich kenne das halt nicht, dass mir jemand wirklich hilft.“

„Es wird auch Zeit, dass sich das ändert.“

Wir saßen noch einen Moment schweigend nebeneinander. Ich konnte mir vorstellen, was Benny bisher für ein Martyrium erlebt hatte. Dabei lief es mir kalt den Rücken hinunter. Ich würde alles dafür tun, um ihm wieder ein Lächeln zu ermöglichen. Die Beziehung zu Marcel musste geklärt werden.

Marcel würde jeden Moment kommen. Ich besprach mit Benny noch einmal, wie ich mir das gedacht habe. Benny war angespannt, aber er schien entschlossen zu sein, dass durchzuhalten. Dann klingelte es und ich öffnete Marcel die Tür.

„Hallo Marcel, komm herein. Wie geht es dir?“

„Guten Abend, Herr Steevens. Ich weiß gerade nicht so genau, wie es mir geht. Ich bin sehr aufgeregt.“

Ich lächelte ihn an.

„So muss das wohl sein, wenn man verliebt ist.“ Ich schob ihn in Richtung Wohnzimmer. Als er den Raum betrat und Benny erblickte, blieb er stehen.

„Setz dich wo du möchtest. Wir beißen nicht“, sagte ich zu Marcel. Wir nahmen am Tisch Platz und die beiden schauten sich unsicher an. Die Luft knisterte. Ich konnte es fühlen, wie sehr die beiden sich mochten.

„Marcel, um vorab etwas zu erklären. Aufgrund einer besonderen Situation in Bennys Familie, habe ich hier in der Schweiz für Benny vorläufig die Vormundschaft übernommen. Das ist auch der Grund, warum ich mich hier mit euch zusammensetze. Ich möchte dich bitten, Benny immer erst ausreden zu lassen, einiges was du hier hören wirst, wird sehr unangenehm sein und dich vermutlich auch schockieren. Also wenn du dann Fragen hast, stelle alle Fragen, die dich interessieren. Wenn du eine Pause brauchst, sag bitte Bescheid. Das gilt auch für dich, Benny.“

Marcel sah mich völlig erstaunt an. Er hatte vermutlich überhaupt nicht mit dieser Ansage gerechnet.

„Also, damit wir klare Verhältnisse haben. Ich gehe davon aus, dass ihr beide euch sehr mögt und es bei einem Versuch, etwas mehr als nur zu kuscheln, zu einer Situation gekommen ist, die für euch unerklärbar ist. Ich möchte versuchen das aufzuklären. Allerdings ist das nicht so einfach. Marcel, was empfindest du für Benny? Liebst du ihn?“

Er sah mich verlegen an, es war ihm unangenehm.

„Du musst dich nicht schämen oder etwas verheimlichen, sag es so, wie es ist.“

„Also Herr Steevens ..., ja es stimmt. Ich mag Benny sehr und ich denke schon, dass ich ihn liebe, aber ich weiß gerade nicht so genau …“

„Stopp, deswegen sind wir ja hier zusammen. Benny, wie stehst du zu Marcel?“

„Ich mag dich sehr Marcel, du bist der erste Junge, der mich so akzeptiert hat, wie ich bin. Ich fühle mich wohl bei dir. Es tut mir leid, … ich … ich habe dir aber etwas verschwiegen. Ich … ich schäme mich dafür.“

„Halt Benny, du musst dich für nichts schämen. Da jetzt erst einmal geklärt ist, dass ihr immer noch sehr viel füreinander empfindet, sollten wir Marcel jetzt etwas erklären. Soll ich das erklären oder willst du das machen, Benny?“

Benny nickte und begann, Marcel jetzt seine Geschichte zu erzählen. Er erzählte ihm, wie die Sache sich entwickelt hatte, er ließ kein einziges Detail aus, ich staunte immer mehr. Benny redete sich in Rage. Er wollte sogar von seinen Vergewaltigungen erzählen, aber da kam der Punkt, wo er nicht mehr weiter reden konnte. Ich nahm ihn in den Arm und sagte:

„Benny, es ist genug. Du musst nicht weiter erzählen. Lass es einfach so stehen, Marcel versteht so genug, warum du so reagiert hast.“

Benny nickte stumm und war mir sehr dankbar, dass ich ihn erlöst hatte. Er sah Marcel an und der war die ganze Zeit stumm geblieben. Auch jetzt sagte er nichts. Er schaute Benny nur an und stand dann auf. Ich war sehr gespannt auf das, was kommen würde. Er ging auf Benny zu und er umarmte Benny. Dabei gab er Benny einen wirklich liebevollen Kuss. Benny war sehr erleichtert. Ich gab den Beiden nun einen Moment Zeit. Sie gingen nach draußen, ich beobachtete sie vom Wohnzimmer aus. Marcel hatte Benny wirklich sehr vorsichtig in den Arm genommen. Sie unterhielten sich und kamen dann wieder herein. Ich sah die beiden an und Benny sah schon viel besser aus.

„Herr Steevens, ich bin wirklich sprachlos. Es tut mir leid, ich habe mir das nicht vorstellen können, was Benny erlebt hat. Ich hätte ihn niemals so bedrängen dürfen. Ich bitte um Verzeihung und hoffe, Sie geben mir eine Chance, das zu ändern.“

„Marcel, du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Auch Benny gegenüber nicht. Ihr solltet nur in Zukunft vorher mehr reden, und erst, wenn Benny das wirklich will, solltet ihr etwas weiter gehen. Und wenn ihr Fragen habt, oder es ein Problem gibt, kommt zu mir und lasst uns darüber reden. Ich freue mich wirklich, dass du Benny zugehört hast und ihr euch jetzt wieder näherkommen könnt. Ich wünsche euch alles Gute dafür und hoffe, ich sehe euch hier in Zukunft wieder häufiger glücklich vereint. Versteckt euch nicht. Benny, du hast einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Wie geht es dir jetzt?“

„Ich bin glücklich, danke Marcel, ich wollte dir nicht wehtun und ich verspreche dir, in Zukunft mit dir zu reden, wenn ich mich nicht gut fühle. Ich weiß gar nicht, wie ich das ohne deine Hilfe geschafft hätte, Marc.“

Er kam auf mich zu und umarmte mich. Ich freute mich für ihn. Er hatte seinen ersten Freund gefunden, für ihn gekämpft und ihn zurückgewonnen. Ein guter Schritt nach vorne.

„Hört mal ihr beiden. Wer weiß eigentlich noch von eurer Beziehung? Was ist mit deinen Eltern Marcel, wissen die eigentlich, dass du auch auf Jungs stehst und jetzt einen Freund hast?“

„Ja, sie wissen, dass ich auch auf Jungs stehe. Dass ich jetzt einen Freund habe, wissen sie noch nicht. Das weiß eigentlich außer ihnen noch keiner.“

„Von mir erfährt auch niemand davon. Ihr sollt das selbst entscheiden, wem ihr was erzählt.“

„Marc, ich will das Mick und Lukas Bescheid wissen. Sie haben mir schließlich sehr dabei geholfen, dass ich jetzt meinen ersten Freund habe. Leif soll es auch wissen. Wir werden ja in Zukunft häufiger wieder zusammen sein.“

Er sah Marcel fragend an, dieser nickte aber nur und meinte:

„Dann lass uns doch gleich bei Mick und Lukas vorbeigehen, oder sind sie nicht da?“

„Doch, doch. Sie sind beide oben. Geht hoch und klingelt doch einfach.“

Beide nahmen sich an die Hand und marschierten auf direktem Weg nach oben. Ich freute mich wirklich für Benny. Er hatte endlich einen Schritt aus der Isolation gewagt.

Ich hatte Hunger und machte mir ein paar schöne Bratkartoffeln. Leif kam dann auch bald nach Hause. Er zeigte mir unaufgefordert seine Unterlagen. Er hatte mit Stefanie den restlichen Nachmittag wirklich gelernt. Ich war sehr angenehm überrascht. So durfte es weiter gehen. Leif setzte sich zu mir an den Küchentisch und ich machte auch ihm ein paar Bratkartoffeln und so aßen wir gemeinsam. Irgendwann hörte ich, wie Marcel und Benny die Treppe herunter kamen. Sie klopften an meine Terrassentür. Ich winkte sie herein. Als sie händchenhaltend in der Küche standen, bekam Leif ganz große Augen.

„Hey, wie geht das denn jetzt? Habe ich was verpasst?“

Marcel gab seinem Benny jetzt einen Kuss und damit war wohl alles geklärt.

„Leif“, begann Benny, „ich möchte dir auch sagen, dass Marcel mein Freund ist. Und ich möchte mich auch bei dir bedanken für deine Hilfe. Ich hoffe, du wirst auch weiterhin mit mir befreundet sein.“

„Hallo, was denkst du denn wohl. Ich freue mich für euch. Natürlich ändert sich für mich gar nichts.“

Er stand vom Tisch auf, er umarmte beide und das erstaunte mich doch schon etwas. Die beiden großen Jungs bedankten sich noch einmal für alles und dann waren Leif und ich wieder allein.

„Papa, wird Benny irgendwann mal wieder ein normales Leben führen können, ohne an diese schlimmen Dinge denken zu müssen?“

„Ich hoffe es, er hat noch einen langen Weg vor sich. Es wird noch viele Hürden zu meistern geben. Was er jetzt braucht, sind Freunde, die ihm Halt geben und die sich um ihn kümmern. Auch dann, wenn er sich manchmal nicht korrekt verhält.“

Leif schaute mich sehr nachdenklich an.

„Warum werden Eltern eigentlich nicht für ihr Verhalten bestraft? Wenn das außerhalb der Familie passiert, wird der Täter sofort verhaftet. Hier laufen die Mutter und dieser Typ immer noch frei herum.“

Auf diese Bemerkung konnte ich nicht antworten. Es war eine gute und berechtigte Frage, aber die Gesetze waren so. Wobei das größere Problem waren nicht die Gesetze, sondern die Schwierigkeit, ein derartiges Verbrechen an das Tageslicht zu bringen. Auch hier war es bislang ja so, dass der Vater versuchte die Mutter zu schützen.

„Hat Benny jetzt seine Mutter eigentlich angezeigt? Und was wird mit diesem Typen passieren?“

„Leif, im Moment war bislang Bennys Zustand nicht stabil genug, um sich damit zu beschäftigen. Das ist auch Aufgabe des Vaters. Herr Steyrer hat auch die Dinge zur Anzeige gebracht, also du kannst dir sicher sein, dass die Täter nicht unbehelligt bleiben werden. Übrigens, was ich dir sagen möchte, ich habe mich eben sehr darüber gefreut, wie offen du auch Marcel umarmt hast. Ich bin wirklich stolz, drei solche Söhne zu haben.“

Leif wurde jetzt etwas rot. Er lächelte aber und ich nahm ihn in den Arm. Es war ein schönes Gefühl. Ich spürte, dass auch Leif sich entwickelte. Er wurde reifer und verantwortungsbewusster.

„Papa, darf ich dich mal etwas fragen?“

„Klar, schieß los“

„Hast du Angst, ich könnte mit Stefanie etwas Dummes machen?“

„Ja Leif, ich habe etwas Angst davor. Aber ich kann es nicht verhindern. Ich muss darauf hoffen, dass du mit mir redest, wenn du etwas wissen willst oder wenn du Hilfe brauchst. Ich hoffe natürlich, dass du an die Verhütung denkst, wenn es soweit sein sollte, aber die Angst ist immer ein wenig da.“

Wir saßen seit langer Zeit mal wieder eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa. Leif schwieg einen Moment. Er überlegte.

„Ich habe auch Angst davor. Ich weiß manchmal auch nicht, ob ich das richtig mache, was ich tue. Ich mag sie einfach sehr gern. Ich finde es schön mit ihr zusammen zu sein, ich habe ein tolles Gefühl, wenn wir uns küssen, aber ich will noch keinen Sex mit ihr. Ich spüre aber, dass sie mehr von mir will. Sie hat schon mal versucht, mich in der Hose zu streicheln. Das war unangenehm, ich wollte das nicht. Aber sie hat das wohl gemerkt, sie hat es dann nicht weiter versucht. Papa, warum will ich das nicht? Warum will sie aber unbedingt schon Sex haben?“

Ich musste echt schlucken, mein Sohn fing hier ein Gespräch an, vor dem ich mich eigentlich ein wenig gefürchtet hatte. Es verlief auch nicht so, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Dennoch erfüllte es mich mit Stolz, dass ich meinen jüngsten Sohn wohl etwas falsch eingeschätzt hatte.

„Ich kann es dir nicht genau sagen. Allerdings ist es oft so, dass sich Mädchen etwas früher entwickeln und schon etwas eher, partnerschaftliche, sexuelle Bedürfnisse haben. Ganz wichtig ist aber, du bestimmst für dich, was du machen möchtest und was nicht. Wenn du etwas nicht willst, dann lass es sein. Sie hat das zu akzeptieren. Und lass dir Zeit, dich zu entwickeln. Sex ist eine sehr schöne Sache, die muss Spaß und schöne Gefühle machen. Wenn dir das unangenehm ist, dann ist das auch ein wichtiges Gefühl. Es zeigt dir, dass du noch nicht bereit dafür bist. Geh deinen Gefühlen nach. Lass dich nicht drängen. Es wird sich schon passend entwickeln.“

Er war jetzt sehr nachdenklich geworden. Es beschäftigte ihn.

„Aber ich habe manchmal schon einfach Lust mich allein zu befriedigen, warum will ich das dann nicht mit ihr machen? Ich habe ein wenig Angst, dass ich vielleicht nicht normal bin. Sie sagt mir, dass andere Jungs da nicht so verklemmt sind.“

Ich spürte jetzt sogar Angst bei dem Kleinen. Er war sehr emotional geworden.

„Leif, du bist ganz bestimmt vollkommen normal. Auch dass du für dich allein Spaß hast, ist ganz normal. Genieße das für dich. Du musst niemandem gegenüber erklären, warum du noch nicht gemeinsame sexuelle Erfahrungen machen willst. Es ist deine ganz persönliche Entscheidung. Jeder hat das zu respektieren. Und eines kann ich dir versprechen, echte Freunde werden das auch niemals in Frage stellen, sondern sie respektieren dich so, wie du bist. Jeder Mensch ist anders. Du hast dir selbst gegenüber die Verantwortung, nur das zu tun, was du wirklich willst. Genieße deine Sexualität, so wie du sie erleben möchtest. Du hast noch ganz viel Zeit, neue Dinge zu entdecken. Wenn es im Moment so ist, wie du es beschreibst, ist das völlig in Ordnung. Mach dir keinen Stress damit. Aber sage es Stefanie auch genauso. Sie ist deine Freundin, sie hat auch Bedürfnisse und Erwartungen, die du ernst nehmen solltest. Das heißt aber nicht, dass du sie erfüllen musst. Du solltest ihr aber die Wahrheit sagen. Redet offen darüber.“

Leif schmiegte sich ganz eng an mich. Ich genoss diese Nähe zu meinem Sohn. Es war eine sehr berührende Situation. Ich war richtig froh, dass Leif mir derart vertraute. So ein Gespräch hatten wir schon ganz lange nicht mehr. Es war auch schon spät geworden, aber ich war der Meinung, diese Situation sollte er beenden können, wann er das wollte. Wir saßen noch einige Minuten schweigend so beieinander.

„Papa, danke für dein Vertrauen, dass du dich nie in diese Sache eingemischt hast. Ich bin froh, dass du mein Papa bist.“

Ich war einfach sprachlos. Das hatte ich noch nicht oft von meinen Kindern gehört. Es tat einfach nur gut. Ich lächelte meinen Sohn an und damit stand Leif auf und verabschiedete sich von mir und ging ins Bad. Ich blieb sehr nachdenklich im Wohnzimmer zurück.

Mick: Endlich viel Zeit mit Lukas

Es war ein wundervoller Abend geworden und wir hatten eine ebensolche Nacht. Heute am Samstag, hatten wir beide unsere letzten Fahrstunden, am Montag sollte nun endlich unsere Prüfung sein. Sie war schon einmal verschoben worden. Unser Fahrlehrer wollte uns um elf abholen und wir sollten heute jeder eine Doppelstunde fahren. Also würden wir wohl viel unterwegs sein. Deshalb hatte ich mir für uns etwas Besonderes ausgedacht. Ich hatte bei unserem Lebensmittelmarkt ein paar schöne Sachen zum Frühstück bestellt. Ich hatte den Tisch bereits gedeckt und mein Schatz kam aus der Dusche. Lukas staunte nicht schlecht, als er den Tisch sah.

„Huch, ist heute etwas Besonderes? Habe ich etwas verpasst? Das sieht echt gut aus hier.“

„Ja, heute ist etwas Besonderes. Ein Wochenende mit viel Zeit für uns. Keine anderen Verpflichtungen. Das will ich mit dir genießen.“

Ich ging auf ihn zu, gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss und dann schickte ich ihn in den Markt noch etwas abholen.

„Kannst du eben dort etwas abholen. Du musst es nur abholen. Ich habe alles andere schon geregelt. Wir brauchen das zum Frühstück.“

„Klar, ich fahre schnell rüber, soll ich den Rucksack mitnehmen?“

„Das wäre gut. Da müsste alles reinpassen.“

„Ok, dann bis gleich.“

Damit verließ Lukas unsere Wohnung. Ich nahm das zum Anlass, mich mal bei Papa nach unserem Auto zu erkundigen. Ich hatte keine Ahnung, ob es mittlerweile schon geliefert worden ist. Ich ging also nach unten.

„Guten Morgen Papa, ich wollte nur grade Bescheid sagen, dass wir heute mit der Fahrschule unterwegs sind. Montag soll ja endlich die Prüfung sein, wir machen heute jeder ne Doppelstunde. Kommen also erst später zurück.“

„Guten Morgen Mick, alles klar. Dann mal viel Spaß.“

„Wie ist das eigentlich mit unserem Auto? Ist das mittlerweile fertig? Wenn wir bald fahren dürfen, möchte ich es auch gerne benutzen können.“

„Ja, es ist fertig. Ich kann es jederzeit abholen. Aber ich dachte, es steht hier nur im Weg, deshalb steht es noch beim Händler. Möchtest du es zur Prüfung haben?“

„Nein, nein, das macht keinen Sinn. Wir haben damit ja nicht geübt. Aber du kümmerst dich darum, dass es rechtzeitig hier ist?“

„Na klar, glaubst du im Ernst, ich würde das vergessen?“

Dabei zwinkerte Papa mir zu. Ich war beruhigt und ging wieder nach oben. Lukas würde jeden Moment wiederkommen.

Ich nahm die Kanne mit dem heißen Kakao und stellte sie auf dem Tisch ab. Ich holte den Toast und dann kam Lukas auch schon mit den schönen Sachen zurück. Er stellte den Rucksack in der Küche ab und legte eine Tüte auf dem Küchentisch ab. Ich packte alles an den richtigen Platz und Lukas staunte immer mehr. Ich hatte etwas Lachs, etwas Mett, verschiedene Schinken und Wurstaufschnitte und eine ganz kleine Dose Kaviar bestellt. Lukas kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Was ist heute für ein Tag? Ich habe irgendwie gar keine Ahnung, dass heute etwas ganz Besonderes wäre.“

Ich lächelte ihn an und sagte nur:

„Setz dich bitte einfach an den Tisch und genieße den Tag. Ich wollte einfach nur unser Wochenende würdig beginnen. In den letzten Tagen und Wochen haben wir so selten Zeit und Muße gehabt, uns mal nur mit uns zu beschäftigen. Das will ich an diesem Wochenende nachholen.“

Ich schaute ihn an und er umarmte mich, wir küssten uns. Es war einfach wunderschön mit Lukas zusammen zu sein. Ich wollte diese Zeit niemals missen. Hoffentlich würde es noch lange so bleiben. Wir setzten uns an den reichhaltig gefüllten Tisch und nahmen uns richtig Zeit zu frühstücken.

„Sag mal Mick, was denkst du eigentlich über Sabine und Lucien? Ich habe das Gefühl, Papa mag sie beide ganz gerne.“

Ich schmunzelte.

„Also ganz gerne, finde ich etwas untertrieben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass gerade Lucien bei Papa einen Stein im Brett hat. Auch Sabine scheint ihn zu mögen. Sie hat ihn ja immer wieder gefragt, wenn sie mit ihrem Sohn nicht weiter wusste. Aber ich glaube, Papa mag sie auch. Ich finde es nur schade, dass Papa sie so selten hier zu Besuch hat. Vielleicht möchte er nicht, dass wir das Gefühl haben, es kommt eine neue Frau einfach so in unser Haus. Ich will irgendwann mal mit Papa darüber reden.“

„Ich finde Sabine echt nett. Lucien ist sowieso total cool. Was meinst du? Sollen wir nicht mal beide einladen zu uns? Als Überraschung für Papa?“

„Nein, das sollten wir lieber lassen. Er wird uns schon einbeziehen, wenn er sich ganz sicher ist. Da sollten wir uns raushalten. Vielleicht nimmt er sie ja mit nach Sao Paolo.“

„Das glaubst du doch selber nicht. Aber gut, warten wir es ab. Ich freue mich jedenfalls, dass es Lucien momentan so gut geht.“

Draußen hörten wir ein Auto hupen. Unser Fahrlehrer war schon da. Wir beendeten unser tolles Frühstück und Lukas umarmte mich noch einmal ganz liebevoll.

„Vielen Dank, ich bin so voll von den leckeren Sachen. Hoffentlich wird mir nicht schlecht.“

Wir mussten beide laut lachen, räumten noch schnell die Sachen in den Kühlschrank und verließen das Haus. Es stand die letzte Übungseinheit vor der Prüfung an.

Wir begrüßten unseren Fahrlehrer und ich sollte beginnen. Also stieg ich auf der Fahrerseite ein, stellte mir den Sitz und die Spiegel ein, schnallte mich an und los gings.

Marc: Ein Samstag in der Werkstatt - Besuch bei Lucien

Ich hatte meine Jungs gerade aus dem Haus gehen sehen, da kam Leif aus seinem Zimmer. Es war schon halb elf und ich war mit dem Frühstück bereits fertig.

„Guten Morgen Papa, schon fertig mit Frühstück? Ich dachte, wir würden zusammen frühstücken.“

„Dann musst du eher aufstehen, ich muss gleich in die Werkstatt. Der Delta kommt heute Morgen und außerdem will ich den TT holen. Ich will daran noch etwas machen, bevor die Jungs ihn bekommen.“

„Cool, vielleicht komme ich mit Stefanie nachher mal dort vorbei. Wir wollen mit dem Rad eine größere Runde fahren. Bleibt es dabei, dass sie bei mir schlafen darf?“

„Wenn du mir noch für heute deine Sachen zeigst, dann ja. Wollen wir heute Abend gemeinsam essen gehen oder habt ihr schon etwas vor?“

„Eigentlich haben wir bisher nichts Besonderes vor. Ich frage sie nachher mal. Ich schreibe dir dann, ok?“

„Ja, ist in Ordnung. Ich hole später den Caddie in die Werkstatt. Also wunder dich nicht, wenn der dann weg ist. Stephan soll da das Getriebe ausbauen und erneuern.“

„Ok, ich geh jetzt erst mal duschen, bist du dann noch da oder fährst du jetzt direkt?“

„Ich wollte jetzt fahren, schöne Grüße an Stefanie von mir.“

„Danke, richte ich aus. Bis später dann.“

Ich ging in die Garage und nahm den Caddie Schlüssel auch schon mit. Setzte mich in den R8, fuhr hinaus, öffnete das Dach und machte mich auf den Weg zur Werkstatt. Unterwegs sah ich Marcel mit Benny gemeinsam mit dem Rad vom Bäcker kommen. Ich hupte und winkte beiden zu. Als sie mich erkannten, winkten sie freudig zurück. Ich hielt doch kurz an.

„Hallo ihr zwei. Auch schon unterwegs? Benny, ich fahre jetzt in meine Werkstatt, falls ihr später Lust und Zeit habt, könnt ihr vorbeikommen. Ich hole gleich den TT für Mick und Lukas. Außerdem kommt mein Delta heute Morgen.“

„Hallo Marc, dir auch einen guten Morgen. Danke für die Einladung. Mal sehen was wir so vorhaben. Könnte aber sein, dass wir vorbeikommen. Wir wollen aber erst ne Runde mit dem Rad machen. Ein wenig Bewegung tut mir, glaube ich, ganz gut.“

„Klar, macht das mal. Dann vielleicht bis später. Und Benny, vielleicht meldest du dich mal bei deinem Vater.“

Er schaute mich etwas überrascht an, aber er nickte. Ich wollte verhindern, dass er es komplett vergisst, sich dort zu melden. Allerdings wollte ich ihm auch nicht vorschreiben, seinen Vater anzurufen.

Ich verabschiedete mich von beiden und fuhr weiter zur Werkstatt. Stephan und Heiko erwarteten mich bereits. Sie hatten den Transporter mit dem Anhänger bereits auf den Hof gestellt.

„Hallo Marc“, begrüßte mich Stephan, „wir haben ein Problem mit unserem Anhänger. Die Winde funktioniert nicht. Und alleine bekomme ich den Delta nicht auf den Hänger. Könntest du vielleicht mitkommen und beim Aufladen helfen?“

„Hi ihr zwei, klar, kein Problem. Dann machen wir das eben zusammen. Fährst du vor?“

So brauchte ich gar nicht erst aussteigen. Stephan und Heiko stiegen in den Transporter ein und ich folgte ihnen. Nach einer Viertelstunde waren auf dem Hof angekommen, wo ich den Delta gekauft hatte.

Stephan klingelte und ich begann mit Heiko bereits den Hänger vorzubereiten. Stephan kam mit dem früheren Besitzer und wir schoben den Wagen auf den Hänger. Ich bekam die Papiere und alle Schlüssel. Ich bedankte mich und schon fuhren wir wieder vom Hof.

In der Werkstatt fuhr Stephan mit dem Hänger rückwärts in die Halle. Wir luden den Delta ab und standen an dem alten Fahrzeug.

„Sag mal Marc“, fragte Heiko, „warum willst du unbedingt einen Delta wieder aufbauen? Das wird sehr teuer und nicht unbedingt eine große Wertsteigerung geben.“

„Weil ich viele Erinnerungen an dieses Modell habe und es für mich ein Wettbewerbsfahrzeug werden soll.“

„Ach so, also willst du den nicht im originalen Zustand wieder aufbauen?“

„Doch, aber in der Gruppe A Werksversion. Also mit Käfig und Werksmotor und Getriebe.“

„Cool, das wird aber eine große Aufgabe.“

„Klar, aber ich habe ja keinen Zeitdruck. Was anderes, einer von euch müsste mit mir den TT für meine Jungs holen. Und der andere kann meinen Caddie herholen. Da muss ja das Getriebe gemacht werden.“

Wir einigten uns darauf, dass Heiko mit mir den TT holt und wir Stephan bei mir rauslassen, um den Caddie zu holen. Ich fuhr zuerst mit Stephan zu mir, ließ ihn aussteigen, gab ihm den Schlüssel für den Caddie und fuhr dann zurück, Heiko abholen. Mit ihm machte ich mich auf den Weg zu dem Autohaus.

„Wann haben deine Jungs eigentlich Geburtstag?“

„Mick wird in drei Wochen achtzehn und Lukas etwas später. Ich möchte aber an dem Auto noch ein paar Kleinigkeiten machen, bevor sie ihn bekommen.“

„Ah ja, was hast du denn damit noch vor? Weil Leistung hat der für einen Anfänger auch so genug.“

„Das ist richtig, das soll auch alles so bleiben. Ich möchte aber eine vernünftige HiFi Anlage einbauen. Also wirklich was Vernünftiges. Ich will in allen meinen Autos eine sehr ordentliche Anlage haben. Außer den Rennfahrzeugen.“

„Ah ok, und ich nehme an, du hast da schon konkret was in Planung.“

„Klar, die Sachen liegen alle schon bereit. Ich will das als Erstes fertig machen. Ihr könnt in Ruhe den Caddie bearbeiten.“

Wir fuhren auf den Parkplatz des Autohauses und ich ging hinein. Ich meldete mich bei der Anmeldung. Dort sagte mir die nette Dame, ich müsste noch einige Minuten warten. Die Papiere würden noch nicht bereitliegen. Ich ging also wieder hinaus auf den Parkplatz.

„Heiko, fahr du doch schon mal mit dem R8 zurück. Das dauert hier noch einen Moment. Du kannst dann schon mit euren Sachen weitermachen.“

Ich gab ihm den Autoschlüssel und dann machte sich Heiko mit meinem R8 wieder auf den Weg. Ich ging zurück und wartete auf meine Papiere. Plötzlich klingelte mein Handy.

„Steevens“, meldete ich mich.

„Hallo Marc, hier ist Sabine. Ich wollte nur sagen, ich bin jetzt unterwegs und Tobi ist bei Lucien. Sie wollten heute mit dem Rad eine Tour machen. Wenn was sein sollte, ruf mich bitte an. Ansonsten ein schönes Wochenende.“

„Hallo Sabine, danke für die Information. Wünsche ich dir auch, versprich mir nicht zu viel hinter Lucien herzudenken. Ich passe auf die beiden auf. Das klappt schon.“

„Danke dir, und ich melde mich bei dir. Ciao.“

Ich bekam dann auch bald meine Papiere und beide Schlüssel. Ich verabschiedete mich und fuhr mit dem Auto zurück in die Werkstatt. Das Auto lief völlig problemlos und wie ich feststellte, war es sogar gründlich gereinigt worden. Ich bog in die Hofeinfahrt und fuhr direkt vor das Tor. Rechts neben dem Tor standen zwei Räder. Das Tor wurde mir geöffnet und so konnte ich hineinfahren.

Benny und Marcel standen an meinem Caddie, der bereits auf der Hebebühne war. Sie unterhielten sich mit Stephan. Ich stieg aus und gesellte mich zu ihnen. Marcel schaute sich den TT an und war sichtlich etwas neidisch auf meine Jungs.

„Ein schönes Auto. Ich würde den auch nehmen“, meinte Marcel.

„Ach, bis du soweit bist, gibt es bestimmt was Besseres für dich.“

Ich schaute mit Stephan nach meinem Getriebe. Wir konnten erkennen, dass es doch etwas mehr verölt war, als wir angenommen hatten.

„Marc, ich glaube, das müssen wir doch noch mal genauer anschauen. Da ist wohl doch mehr kaputt. Vielleicht doch die Simmeringe zwischen Kupplung und Getriebe.“

„Ja, könnte sein, aber wir müssen eh das Getriebe ausbauen. Dann machen wir am Besten das gleich auf Verdacht mit. Bestellst du bitte die Teile gleich mit.“

„Klar, mache ich.“

Benny stand mit uns jetzt gemeinsam unter dem Auto.

„Marc, ich habe mich erkundigt nach dem Führerschein. Es gibt schlechte Nachrichten. In der Schweiz darf ich mit sechzehn keinen 125er-Schein machen. Das geht erst mit achtzehn. Ich darf hier nur bis 50 ccm fahren und bis elf KW Leistung.“

„Oh, das wusste ich nicht. Wie gut, dass du dich nochmal erkundigt hast. Das lohnt sich dann echt nicht. Vielleicht wäre da ein Pedelec eine Alternative?“

„Ja, habe ich auch schon dran gedacht. Vor allem bräuchte ich dann mein Rad aus Deutschland nicht erst aufwändig herholen.“

„Lass uns darüber noch mal in Ruhe sprechen. Habt ihr jetzt noch Zeit oder wollt ihr noch woanders hin?“

„Nein, eigentlich haben wir noch nichts Größeres vor, warum?“

„Dann könntet ihr schon mal beim TT das Radio komplett ausbauen. Auch alle Lautsprecher kommen raus. Ich werde dann mit Stephan und Heiko hier das Getriebe ausbauen. Das kann dann beim Spezialisten überarbeitet werden.“

Beide Jungs nickten und so schraubten wir alle einige Stunden an den Autos. Wir hatten wirklich viel Spaß und am Ende war der TT komplett leer, was Musik betraf und der Caddie hatte kein Getriebe mehr. Also alle Ziele waren erreicht. Ich schaute zur Uhr, es war auf jeden Fall höchste Zeit für das Mittagessen.

Stephan schraubte noch an einem anderen Kundenfahrzeug und meinte, er bräuchte aber nicht mehr lange.

Ich ließ einen Zettel rumgehen und jeder sollte seine Bestellung für Salvatore aufschreiben. Benny und Marcel zögerten einen Moment.

„Marc“, fragte Benny, „kannst du das für mich auslegen? Wir haben nicht genug Geld mitgenommen für unsere Tour. Ich gebe es dir dann beim nächsten Mal zurück.“

„Klar, wäre kein Problem. Aber ich wollte euch heute mal alle einladen. Ihr habt alle für mich tolle Arbeit geleistet, und da ist ein Essen wohl selbstverständlich. Die Stunden, die du mit Marcel hier gearbeitet hast, schreibe ich auf. Am Monatsende schauen wir dann mal, was so zusammengekommen ist.“

Benny war das sichtlich wieder unangenehm. Ich sagte jetzt aber nichts weiter dazu. Bestellte bei Salvatore das Essen und ich bat Marcel mit mir zu fahren. Stephan und Heiko wollten noch das andere Fahrzeug fertig machen und Benny konnte so noch ein wenig mit den beiden reden. Sie sollten sich besser kennenlernen.

Ich saß mit Marcel im R8 und stand vor einer roten Ampel.

„Wie ist es denn mi Benny nach dem Gespräch so gelaufen?“

„Wirklich sehr gut. Wir haben noch den Abend sehr lange geredet. Er muss immer noch große Angst haben, dass sein Vater erfährt, dass er schwul ist. Von seiner Mutter hat er gar nicht gesprochen. Ich wollte auch nicht danach fragen.“

„Das war sicher eine gute Idee. Hier, nimm erst mal den Schein hier für deine Hilfe heute.“

„Ähmm, das muss aber nicht sein, Herr Steevens. Ich habe Benny gerne geholfen. Ihnen natürlich auch.“

„Unsinn, du hast für mich gearbeitet, also bezahl ich dich auch dafür. Also nimm das Geld bitte. Ich denke, du wirst damit etwas anfangen können.“

„Danke.“

Wir hatten Salvatore erreicht und ich bat Marcel mitzukommen. Ich würde das alles allein nicht tragen können. Wir betraten die Pizzeria und Salvatore begrüßte mich sehr herzlich. Wir redeten noch kurz einige Worte und dann bezahlte ich. Marcel bekam eine große Warmhaltekiste mit unserem Essen drin. Ich sollte die Kiste beim nächsten Mal wieder mitbringen.

Wir fuhren wieder in unsere Werkstatt zurück. Dort aßen wir gemeinsam unsere leckeren Sachen und Benny und Marcel wollten noch ein wenig gemeinsam etwas unternehmen. Mit Benny verabredete ich mich für morgen zum Arbeiten am TT und an meinem Delta. Je nachdem wie gut wir mit dem TT vorankamen.

Ich sah auf die Uhr, es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, bei Lucien vorbei zu fahren. Stephan und Heiko wollten noch einige Kleinigkeiten machen. Also verabschiedete ich mich und fuhr zuerst zu Hause vorbei. Ich musste dringend duschen. Auf dem Weg bekam ich eine Nachricht auf mein Handy. Als ich zu Hause war, konnte ich sie lesen. Sie war von Leif, darin teilte er mir mit, dass beide gerne mit mir zum Essen gehen wollten. Wir verabredeten uns für sieben Uhr zu Hause. Ich ging duschen.

Nachdem ich wieder wie ein normaler Mensch aussah, und auch nicht mehr nach Schweiß roch, nahm ich die Cobra und fuhr zu Lucien. Mal schauen, was die beiden Jungs so machten.

Ich stand wenige Minuten später in der Einfahrt von Sabines Haus. Vor dem Haus standen zwei Fahrräder. Also schien es so, dass die Jungs auch zu Hause waren. Ich klingelte, aber es öffnete niemand. Ich versuchte es erneut, wieder keine Reaktion. Ich ging um das Haus in den Garten. Dort standen beide Jungs vor einem runden Holzkohle Grill und Lucien hatte eine Flasche in der Hand. Tobi versuchte die ganze Zeit mit Pusten die Glut anzufachen. Irgendwann gab er auf. Da wollte Lucien aus der Flasche etwas in die Kohle schütten. Mir stockte der Atem.

„Halt!“, rief ich sehr laut.

Lucien zuckte zusammen, Tobis Kopf schnellte herum. Ich lief schnell auf Lucien zu, nahm ihm sofort die Flasche aus der Hand. Es war eine Flasche mit Spiritus. Ich war stinksauer. Das, was der Junge da machen wollte, war absolut lebensgefährlich.

„Seid ihr noch zu retten? Was soll das Lucien? Du hattest mir versprochen, nicht allein zu grillen.“

Der Junge war immer noch vollkommen geschockt von meinem Auftritt.

„Marc, wieso ..., wo kommst du denn her?“

„Ich wollte eigentlich nur schauen, ob es euch gut geht. Und ich bin keine Sekunde zu früh gekommen. Sonst würde es euch nämlich nicht mehr gut gehen, zumindest Lucien wäre jetzt ziemlich geröstet worden.“

Ich zog Lucien vom Grill weg und Tobi stand immer noch zwei Meter weg von uns.

„Was glaubst du eigentlich, weshalb ich nicht wollte, dass ihr alleine grillt? Ich zeige euch jetzt, was passiert wäre, wenn du den Spiritus in den Grill geschüttet hättest.“

Ich stellte beide Jungs weit genug weg vom Grill. Ich stellte mich passend zum Wind und öffnete die Flasche. Ich füllte ein Wasserglas mit Spiritus und hielt es mit gestrecktem Arm über den Grill. Ich drehte es um, zog blitzschnell die Hand zurück und dann gab es eine richtig große Stichflamme.

„So, Lucien und Tobi, noch Fragen? Das wäre dann mit dir passiert, Lucien. Ich bin stinksauer. Du hattest mir dein Wort gegeben, nicht allein zu grillen. Du hattest mir selbst gesagt, dass du noch nie allein gegrillt hast. Ich muss feststellen, deine Mutter hatte nicht Unrecht mit ihrer Einschätzung, dass man dich nicht allein lassen kann.“

Ich sah ihn sehr böse an. Das zeigte Wirkung. Lucien holte tief Luft und auch Tobi war sichtlich beeindruckt.

„Herr Steevens, ich glaube, wir haben da einen schweren Fehler gemacht. Warum ist das so gefährlich mit Spiritus einen Grill anzuzünden? Die Erwachsenen machen das doch auch immer. Da passiert nie so etwas.“

„Weil sie den Spiritus vor dem ersten Anzünden über die Kohle schütten. Und niemals in einen bereits an einer Stelle glühenden Holzkohle Haufen.“

Lucien stand immer noch sprachlos neben mir.

„Ich denke, in drei Minuten könnt ihr eure Würstchen und Steaks auf den Rost legen, genug Feuer ist ja jetzt vorhanden.“

Dabei zwinkerte ich Lucien zu. Tobi ging ins Haus und kam mit einem Teller, voll mit Würstchen und Steaks, zurück. Lucien war immer noch nicht bereit mit mir zu sprechen. Er war immer noch blass.

Die Flammen waren komplett verschwunden und die Kohle hatte eine gute Glut entwickelt.

„So, Luc, du legst jetzt bitte die Sachen auf den Grill, die Zange liegt ja da vorne. Ich werde so lange bei euch bleiben und schauen, wie ihr das macht. Damit nicht doch noch ein Unglück passiert.“

Lucien hatte sich langsam gefangen und kümmerte sich wirklich gut um das Grillgut. Grillen konnte er wirklich schon sehr gut. Das mit dem Anzünden war noch ausbaufähig. Ich verlor aber darüber keine Worte mehr. Ich hatte es ja schon deutlich genug gesagt.

Ich ließ den Jungen aber auch keine Sekunde am Grill aus den Augen. Ich hatte aber keinen Grund mehr, eingreifen zu müssen. Lucien sprach aber immer noch nicht wieder mit mir. Er war sichtlich eingeschüchtert. Ich wollte ihm jetzt nicht den ganzen Abend verderben. Also stellte ich mich neben ihn und legte meine Hand auf seine Schulter.

„Hey Luc, grillen kannst du wirklich gut. Die Steaks sehen echt gut aus. Auch die Würstchen sind schon fast gut.“

Er sah mich aus seinen leuchtenden Augen an.

„Es tut mir leid. Ich habe richtig Scheiße gebaut. Wenn du nicht gekommen wärst, wäre ich vielleicht jetzt im Krankenhaus.“

„Nicht nur vielleicht.“

Da musste ich einfach nur lachen. Er sah mich entgeistert an. Er verstand meine Reaktion überhaupt nicht.

„Es ist gut, Luc. Du hast es verstanden und ich muss nichts mehr dazu sagen. Also lerne etwas daraus. Und versprichst du mir bitte etwas?“

„Ja, Marc“

„Halte dich bitte an Absprachen. Sonst ist das Vertrauen sehr schnell weg. Das willst du nicht und ich auch nicht.“

„Ich verspreche es dir. Du bist jetzt sauer auf mich, oder?“

„Nein, nicht mehr. Ich bin nur froh, dass ich so eine Vermutung hatte, du würdest es doch versuchen mit dem Grillen.“

Ich nahm ihn in die Arme und seine Anspannung löste sich spürbar. Sein Freund sah uns zu. Ich nickte ihm freundlich zu. Da kam er auch zu uns und wir setzten uns an den Tisch. Die Jungs aßen ihre selbst gegrillten Sachen und ich erklärte ihnen noch, wie mit dem heißen Grill zu verfahren ist. Nicht dass es später doch noch ein Fall für die Feuerwehr würde.

Nachdem beide gegessen hatten, ging ich zu meinem Auto. Lucien kam mir hinterher.

„Marc, warte bitte mal.“

Ich drehte mich um und der Junge stand mit Tränen in den Augen vor mir. Er lief auf mich zu und umarmte mich. Ich tat das Gleiche mit ihm.

„Viel Spaß euch beiden noch. Versprich mir bitte, keine weiteren Versuche mehr. Ok!“

„Ja Marc, ich verspreche es. Und noch mal vielen Dank. Was erzählst du Mama?“

Ich schaute ihn an, mir war klar, würde ich Sabine diese Geschichte erzählen, würde sie nicht mehr so schnell allein wegfahren. Das wäre auch keine gute Lösung.

„Dass du gut grillen kannst. Über das Anzünden rede ich besser nicht mit ihr. Das haben wir wohl besser zusammen gemacht.“

Wir beide mussten derart laut lachen, dass Tobi um die Ecke kam und nach uns schaute. Nachdem ich Lucien angeboten hatte, am nächsten Tag mich doch mal mit Tobi in der Werkstatt zu besuchen, verabschiedete ich mich von den Jungs und fuhr nach Hause.

Ich musste mir erst einmal einen Tee machen. Das Erlebnis mit Lucien war doch nicht ganz spurlos an mir vorbeigegangen. Ich dachte darüber nach, warum machte ich mir Gedanken über einen Jungen, der wie alle anderen Jungs in dem Alter Blödsinn macht. Dieser Junge wurde zu etwas Besonderem. Genauso wie seine Mutter. Ich spürte, ich fühlte mich genauso verantwortlich für Lucien, wie für meine eigenen Söhne. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, ich wollte Sabine diese Spiritusgeschichte verschweigen. War das richtig? War das nicht genauso ein Vertrauensbruch? Ich hatte ja noch etwas Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

Mick: Eine schöne Nacht wird zu einem Alptraum

Nachdem Lukas und ich einen wirklich tollen Abend gemeinsam verbracht hatten, ohne Stress und Hektik, beschlossen wir, heute früher in unserem Schlafzimmer zu verschwinden. Ich wollte seit langer Zeit mit meinem Schatz ungestört eine Nacht genießen.

Ich war im Tiefschlaf, als Lukas mich recht unsanft weckte. Er schüttelte mich und ich öffnete völlig orientierungslos die Augen.

„Ohh man Lukas, was ist denn los? Was willst du?“

„Mick, Marcel ist hier. Er ist völlig aufgelöst. Benny ist verschwunden.“

Jetzt war ich hellwach.

„Wie verschwunden? Wie spät ist es?“

„Es ist drei Uhr morgens.“ Sagte Marcel, der mittlerweile auch in unserem Schlafzimmer stand.

„Scheiße, was für eine Uhrzeit.“

Ich stieg aus dem Bett, zog mir etwas an und ging erst einmal ins Bad. Als ich fertig war, sah ich ein seltsames Bild. Lukas saß mit Marcel auf dem Sofa. Er hatte seinen Arm um den weinenden Jungen gelegt.

„Kann mir jetzt mal einer erklären, was hier Sache ist?“

Lukas erklärte mir in kurzen Worten, dass Benny bei Marcel geschlafen hatte und plötzlich mitten in der Nacht wild um sich schlagend aus dem Zimmer gerannt ist und nicht wieder gekommen war.

„Marcel, was habt ihr vorher gemacht? Ist irgendwas Besonderes passiert?“

Er schüttelte den Kopf. Er war immer noch nicht in der Lage viel zu sprechen. Ich entschloss mich, erst mal Papa zu wecken. Ich ging hinunter und klopfte an seinem Schlafzimmer. Da er nicht antwortete, öffnete ich leise die Tür. Ich weckte ihn und nach einem kurzen Moment war Papa auch hellwach.

„Wo ist Marcel?“, wollte Papa wissen.

„Er ist mit Lukas bei uns oben.“

„Komm, lass uns hochgehen. Ich will wissen, was da genau passiert ist.“

Wir gingen nach oben, wo Lukas immer noch, mit dem völlig aufgelösten Marcel, auf dem Sofa saß.

„Marcel“, fragte Papa sehr vorsichtig, „kannst du uns erzählen, was genau passiert ist?“

Marcel holte tief Luft und berichtete, immer wieder unterbrochen vom Schluchzen, dass er mit Benny einen schönen Tag verbracht hatte, der Abend verlief genauso harmonisch. Er wollte sogar seinen Vater anrufen. Es war eine angenehme Stimmung, Benny war fröhlich, auch noch nachdem er mit seinem Vater gesprochen hatte. Marcel berichtete, wie Benny von dem Gespräch mit seinem Vater erzählte und sein Vater ihn bald wieder besuchen würde. Er freute sich sogar darüber.

Ich schaute zu Papa, auch er war sichtlich ratlos. Bis hierhin gab es keinerlei Grund, so zu reagieren.

Ich fragte deshalb nach:

„Hat er sonst noch irgendetwas erzählt oder ist noch etwas zwischen euch beiden passiert?“

Marcel schüttelte den Kopf.

„Er hat nur gesagt, dass er schon lange nicht mehr so einen schönen Abend gehabt hätte, dass er mit mir glücklich sei und er sich nicht mehr verstecken will, vor seinem Vater.“

Ich wurde jetzt hellhörig. Papa hatte den gleichen Gedanken. Er sprach aus, was ich dachte.

„Wie meinte er das, mit sich nicht mehr verstecken? Wollte er seinem Vater etwas sagen? Hat er irgendetwas dazu gesagt?“

Marcel schüttelte wieder nur den Kopf. Dann fiel ihm aber wohl doch noch etwas ein.

„Er meinte nur, ich hätte es nicht verdient, einen kranken Freund zu haben und er wollte endlich frei sein. Ich habe das nicht verstanden, ich liebe ihn so, wie er ist. Das habe ich ihm auch gesagt. Wir haben dann noch sehr schön zusammen gekuschelt und uns unterhalten. Dann sind wir ins Bett gegangen. Wir haben nicht im selben Bett geschlafen. Ich wollte ihn nicht bedrängen.“

Papa hat bei diesen Sätzen gezuckt. Ich ahnte, was nun kommen würde.

„Marcel, wie lange bist du schon hier? Hast du versucht ihn anzurufen?“

„Ich bin sofort hergekommen, als Benny weggelaufen war. Vorher hatte er mich noch geschlagen, als ich versucht hatte, ihn festzuhalten. Und natürlich habe ich versucht, ihn anzurufen. Sein Handy ist aus.“

Papa überlegte einen Moment, dann war seine Entscheidung gefallen.

„Mick, du gehst mit Marcel zurück, für den Fall das er dort wieder auftaucht. Ich werde jetzt den Vater anrufen. Vielleicht kann er mir etwas über das Gespräch sagen. Lukas, du kommst mit mir mit. Wir werden uns auf die Suche machen.“

„Klar Papa, ich ziehe mich nur noch grad komplett an, dann fahre ich mit Marcel zurück.“

Ich bekam wirklich Angst, Benny könnte etwas zugestoßen sein. Wollte das aber Marcel gegenüber nicht sagen. Ich nahm also Marcel und wir gingen zu den Rädern. Da meinte Papa plötzlich:

„Wartet, ich bringe euch mit dem Auto. Es ist mir zu unsicher, Marcel jetzt mit dem Rad fahren zu lassen.“

Nach einer Viertelstunde war ich mit Marcel in seinem Zimmer und wir saßen dort auf seinem Sofa. Er war immer noch in einer Art Schockzustand. Er konnte mir nicht erklären, was hier zu dieser Eskalation geführt hatte. Papa hatte mir noch auf der Fahrt einiges erklärt. Er ging jedenfalls davon aus, dass sich Benny bald beruhigen würde und irgendwo auftauchen würde. Papa wollte die Polizei informieren, falls sie einen Jungen aufgreifen würden, konnten sie uns sofort informieren.

Nach einer weiteren Viertelstunde fragte mich Marcel:

„Mick, hast du eine Idee, wo er sein könnte? Ich mache mir Sorgen und Vorwürfe. Hätte ich ihm nicht sagen sollen, dass er seinen Vater anrufen kann? Ich hatte das Gefühl, er war so gut gelaunt, da wäre das gut.“

„Ich habe keine Ahnung, vielleicht läuft er einfach nur durch die Gegend. Ich will nicht glauben, dass etwas passiert ist. Er hat vermutlich wieder diese Bilder vor Augen gehabt. Es kann auch sein, dass sein Vater ihm noch etwas gesagt hat, das ihn so geängstigt hat. Ich weiß es einfach nicht. Hoffen wir, dass Papa ihn findet.“

Ich versuchte weiterhin Benny auf dem Handy anzurufen. Vergeblich, es war immer wieder nur seine Mailbox. Ich sprach ihm eine Nachricht auf, in der ich ihn bat, sich zu melden. Jetzt konnten wir hier nur warten. Ich hatte noch eine Idee.

„Marcel, seid ihr auch mal in seinem Zimmer gewesen? Oder immer nur hier bei dir?“

„Doch, wir waren vorhin auch einmal kurz bei ihm im Zimmer. Er hatte dort etwas holen wollen, bevor er mit seinem Vater telefoniert hat.“

„Dann lass uns doch mal schauen, ob sein Zimmer verschlossen ist. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis.“

„Ich habe auch einen Schlüssel, er hat ihn mir gegeben für den Notfall. Er hat von mir auch einen bekommen.“

„Mann, sag das doch gleich. Los, schauen wir direkt mal nach.“

Es war fünf Uhr morgens mittlerweile, als wir Bennys Zimmer betraten. Es war sehr ordentlich. Viel ordentlicher als bei uns in der Wohnung. Benny schien ein sehr ordentlicher Junge zu sein. Fast schon pedantisch. Alles war genau ausgerichtet, kein Staub auf den Regalen. Sein Schreibtisch war leer - halt - da lag ein Umschlag auf der Tischplatte. Ich schaute mir den Absender an. Verdammt - der war von seiner Mutter. Abgestempelt vor drei Tagen. Allerdings war der Umschlag leer. Wir schauten überall nach dem Brief, er war nicht zu finden. Er hatte ihn vermutlich mitgenommen oder vernichtet, aber warum lag dann der Umschlag noch hier? Ich beschloss Papa anzurufen. Vielleicht konnte er mit dieser Information etwas anfangen.

„Hallo Mick, was gibt’s? Hat sich Benny bei euch gemeldet?“

„Nein Papa, leider nicht, aber wir sind jetzt in seinem Zimmer. Marcel hat einen Schlüssel von ihm bekommen. Dort habe ich einen leeren Briefumschlag gefunden. Er ist von seiner Mutter.“

„Bitte? Das darf doch nicht wahr sein. Ist der aktuell, oder ist der schon älter?“

„Vor drei Tagen in Deutschland abgestempelt. Was sollen wir jetzt machen? Wir können hier doch nicht nur einfach rumsitzen und warten?“

„Bleibt ruhig, ich habe die Polizei informiert und ich habe mit dem Vater gesprochen. Der Vater meinte, sie hätten ein normales Telefonat gehabt. Von diesem Brief hatte er nichts gesagt. Kann also sein, dass Benny ihm nichts davon gesagt hatte. Ich rufe den Vater noch mal an. Ihr bleibt bitte dort, und versuch du dich um Marcel zu kümmern, lenke ihn ab. Geht spazieren oder macht irgendwas anderes.“

„Ist schon klar, ich werde ihn bestimmt nicht allein lassen. Was macht ihr jetzt?“

Marc: Auf der Suche nach Benny - ein Drama nimmt seinen Lauf.

„Ich rufe noch mal bei dem Vater an, sobald ich was Neues weiß, melde ich mich. Und Mick, bleib ruhig. Marcel braucht dich jetzt als ruhender Pol. Ich kümmere mich um alles andere. Sobald es möglich ist, informierst du euren Direktor. Auch wenn es Sonntag ist, egal, er muss wissen, was da läuft im Internat. Vielleicht kann er dir dort helfen. Ich werde hier beschäftigt sein. Wir müssen wissen, was in diesem Brief steht.“

„Ok Papa, mache ich. Bleibt Lukas bei dir? Was ist, wenn Benny zu uns kommt? Leif ist doch allein zu Hause.“

Verdammt, das hatte ich ja noch gar nicht bedacht. Ich musste Lukas zurückbringen. Wenn Benny bei Leif auftauchen würde, könnte das gefährlich werden.

„Du hast Recht, danke für den Hinweis. Ich fahre mit Lukas zurück und er soll bei Leif bleiben.“

Lukas hatte alles mitbekommen und er wurde nervös.

„Papa, was denkst du wirklich? Würde Benny Leif etwas antun?“

„Nein, vermutlich nicht. Ich weiß aber nicht, wie Leif damit umgehen wird. Er weiß doch noch gar nicht, was hier passiert ist. Er schläft vermutlich noch.“

Wir fuhren auf dem direkten Weg wieder zu uns nach Hause. Unterwegs rief ich noch mal den Vater an.

„Dankers“, meldete er sich.

„Steevens noch mal. Herr Dankers, wir haben einen Brief bei Benny gefunden. Er ist von seiner Mutter. Wissen sie zufällig, wo sich ihre Frau derzeit aufhält? Oder hatte Benny irgendetwas von diesem Brief erwähnt?“

„Herr Steevens, nein, er hat nichts davon gesagt. Er hatte lediglich erwähnt, dass er mit einem Freund noch irgendwo hinfahren wollte, etwas erledigen. Was stand denn in dem Brief?“

„Wenn wir das wüssten. Es war nur der leere Umschlag. Sollte sich Benny bei ihnen melden, oder ihnen noch irgendetwas einfallen, bitte melden sie sich sofort.“

„Natürlich, soll ich in die Schweiz kommen? Ich würde mich sofort auf den Weg machen.“

„Nein, vielleicht ist er auf dem Weg zu ihnen. Sie müssen dort ansprechbar bleiben, falls er sich bei ihnen meldet. Falls es notwendig wird, dass sie herkommen sollen, melde ich mich. Wir bleiben in Kontakt.“

„In Ordnung Herr Steevens, ich mache mir Sorgen. Vielen Dank für ihre Hilfe. Hoffentlich macht der Junge jetzt nichts ganz Dummes.“

Ich konnte den Vater verstehen, es ging mir genauso.

„Herr Dankers, noch etwas. Ich habe hier die Polizei informiert. Falls die also Benny irgendwo aufgreifen sollten, werden wir informiert. Kann aber auch sein, dass die sich bei ihnen mal melden, nur damit sie Bescheid wissen.“

„Ja, ist in Ordnung. Hoffentlich finden sie ihn bald.“

Damit beendete ich das Gespräch und ich setzte Lukas zu Hause ab. Er sollte hier die Stellung halten und Leif informieren.

Ich wollte jetzt zum Bahnhof fahren und mich dort einmal umschauen. Ich fuhr über leere Straßen und einen sich abzeichnenden Sonnenaufgang. Wenn es nicht eine so unangenehme Situation gewesen wäre, hätte ich es genossen. Am Bahnhof stieg ich aus meiner Limousine, ging direkt zum Fahrplan und schaute, welche Züge dort um diese Zeit überhaupt fuhren. In der fraglichen Zeit hatten nur drei Züge den Bahnhof verlassen. Das waren alles Nahverkehrszüge. Es war also unwahrscheinlich, dass Benny sich damit auf den Weg gemacht hatte. Ich stand also in der Halle am Bahnhof, als plötzlich eine Melodie die Stille störte. Ich zuckte zusammen, mein Handy. Ich meldete mich sofort.

„Steevens“

Stille am anderen Ende

„Hallo? Wer ist dort?“

Ich hörte nur, wie jemand atmete, schwer atmete.

Dann war die Verbindung unterbrochen. Ich sah auf das Display. Benny! Es war Bennys Nummer!

Ich rief sofort zurück, hoffentlich würde er an das Telefon gehen. Er tat es nicht. Ich rief sofort bei der Polizei an, sie sollten das Handy orten. Ich erklärte ihnen den Sachverhalt und sie versprachen, es umgehend zu tun. Wenige Minuten später erhielt ich die Information, wo sich das Handy ungefähr befinden würde. Wir vereinbarten, einen Streifenwagen zu schicken und ich würde mich ebenfalls dorthin begeben.

Ich fuhr, so schnell es erlaubt war, durch die Stadt. Ich benötigte etwa zehn Minuten, um in den Bereich zu gelangen. Ich fuhr langsam über die Straßen und schaute nach Hinweisen. Dann klingelte erneut das Handy.

„Steevens“

„Marc, bist du das?“

Hörte ich Bennys Stimme sagen.

„Benny? Ja, ich bin es. Bitte, leg nicht auf.“

„Ich habe nicht mehr viel Geld auf dem Handy.“

„Ich rufe dich an, bitte nimm aber ab.“

Das Gespräch brach ab, ich wählte erneut.

„Ja“

„Benny, sag mir bitte, wo du bist.“

„Marc, es tut mir leid, ich konnte nicht mehr anders. Das Schwein wird sterben. Ich bin in einer Pension und werde den Typen jetzt töten.“

Mir gefror das Blut in meinen Adern. So eine Kälte in seiner Stimme war beängstigend.

„Wo genau bist du? Ich bin bereits in deiner Nähe, mach bitte jetzt keinen Fehler.“

Er zögerte, gab mir die Adresse und ich schaute in mein Navi, es war nur zwei Straßen weiter. Ich fuhr direkt los. Informierte noch die Polizei, die sofort den Streifenwagen dorthin schicken wollte.

Als ich vor dem Haus stand, sah ich einen PKW aus Deutschland in der Einfahrt stehen. Ich stürmte zum Eingang. Ich hörte laute Stimmen im Gebäude. Nun war es mir egal, ich trat mit voller Wucht gegen die Tür, sie sprang auf und ich lief die Treppe nach oben, wo ich die lauten Stimmen hörte. Ich stürmte in ein Zimmer, wo ich Benny auf dem Boden liegen sah und ein Mann auf ihm saß und auf ihn einschlug. Ich stürzte mich auf diese Person und schlug zweimal sehr gezielt gegen den Kopf. Die Person sackte benommen zusammen. In diesem Moment konnte ich das Messer erkennen, welches der Mann in der Hand hielt. Ich stieß es mit meinem Fuß aus der Hand. Genau in diesem Moment betraten zwei Polizisten den Raum und legten dem Mann sofort Handschellen an. Ich registrierte erst jetzt eine weitere Person in diesem Zimmer, die auf einem Stuhl saß. Es war eine Frau.

Die Beamten nahmen sie ebenfalls erst einmal in Gewahrsam. Benny lag immer noch auf dem Boden und ich half ihm auf die Beine. Die beiden Beamten wollten nun wissen, was hier eigentlich passiert war. Benny stand völlig apathisch im Raum und war zu keiner Aussage fähig. Er sah aus, als ob er unter Drogen stehen würde. Ich gab den Beamten erst einmal meinen Ausweis und dann meinten sie, es wäre wohl besser einen Rettungswagen zu bestellen. Ich kümmerte mich um Benny, der immer noch nicht bereit war, mir etwas zu sagen. Ich erklärte den Beamten, was ich mit dem Jungen zu tun hatte und was hier vermutlich passiert war. Denn es stellte sich heraus, dass es sich bei der Frau um Bennys Mutter handelte und der Mann war vermutlich derjenige, der Benny jahrelang misshandelt hatte. Ich bat die Beamten, mit Benny nach draußen gehen zu dürfen. Sie erlaubten mir das ohne weiteres.

Ich nahm Benny an die Hand und ging mit ihm vor das Haus. Dort setzten wir uns auf den Rasen, ich hatte meinen Arm um ihn gelegt und er konnte sich nicht länger beherrschen. Er fing furchtbar an zu weinen und wollte mir immer wieder etwas erzählen. Es gelang ihm aber nicht. Ich versuchte ihm klarzumachen, er sollte sich einfach nur beruhigen und mir alles später erzählen. Dann hörte ich den Rettungswagen kommen. Die Sanitäter stiegen aus und kamen direkt zu uns. Ich erklärte ihnen den Sachverhalt. Einer von ihnen ging zurück zum Wagen und forderte den Notarzt nach. Ich blieb bei Benny und ein Polizeibeamter sprach mit dem anderen Sanitäter. Der mir fremde Mann wurde unter Polizeibegleitung im Rettungswagen ins Krankenhaus gefahren. Der andere Beamte wartete auf einen weiteren Streifenwagen, fuhr dann dem Rettungswagen hinterher. Nach einigen Minuten klärte sich hier die Lage und Benny wurde vom Notarzt mit einer Beruhigungsspritze behandelt. Wir vereinbarten, ihn vorübergehend in eine Jugendpsychiatrische Klinik einzuweisen. Dort sollte er sich erst einmal wieder fangen, damit wir Zeit hatten, das Geschehene aufzuarbeiten. Ich sprach mit dem Doktor, in welche Klinik er fahren würde. Ich wollte mich um die nötigen Dinge kümmern und ebenfalls dorthin kommen.

Als Benny mit dem Arzt im zweiten Rettungswagen saß, erklärte ich Benny, was nun passieren würde. Er schien sich etwas beruhigt zu haben. Ob durch die Medikamente oder durch meine Anwesenheit konnte ich nicht sagen.

Ich verließ den Rettungswagen und die Türen wurden geschlossen. Durchatmen.

Ich ging wieder in das Haus, klärte mit den Beamten den weiteren Verlauf und wurde dann aus dem Einsatz entlassen. Ich stieg in mein Auto und fuhr erst mal einige Straßen von dort weg. Blieb dann auf einem leeren Parkplatz stehen. Ich wählte zuerst Micks Nummer.

„Hallo Papa, hast du ihn gefunden oder weißt du zumindest etwas von Benny?“

„Mick, schnapp dir Marcel und komm unten auf den Parkplatz. Ich hole euch da gleich ab. Dann besprechen wir bei uns zu Hause, was passiert ist.“

„Alles klar, also du hast Benny gefunden?“

„Ja, ich weiß jetzt, wo er sich befindet.“

Ich beendete dieses Gespräch, um gleich das Nächste zu führen. Lukas wollte ich ebenfalls informieren. Er meldete sich sofort und ich erklärte ihm das Gleiche, was ich Mick gesagt hatte, nur dass wir uns gleich bei uns treffen würden. Ich startete den Motor und machte mich auf den Weg zum Internat. Mick und Marcel warteten bereits, sie stiegen direkt ein. Schweigend fuhren wir nach Hause. Mick spürte, dass ich nicht alles doppelt erklären wollte.

Wir saßen alle zusammen im Wohnzimmer, die Stimmung war angespannt und alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich begann zu berichten. Das Ganze dauerte ungefähr zwanzig Minuten. Als ich fertig war, konnte ich bei Marcel einige Tränen übers Gesicht laufen sehen. Auch meine Jungs waren sichtlich gezeichnet.

„Du hast diesen Typen echt umgehauen, Papa?“, fragte mich Leif fassungslos.

„Ja, und ich habe auch jetzt noch keinerlei Mitleid mit diesem Typen.“

Alle sahen mich wirklich sehr erstaunt an.

„Was haben die Polizisten dazu gesagt? Bekommst du jetzt Ärger dafür?“, wollte Lukas wissen.

„Sie haben gar nichts dazu gesagt. Sie haben mich eigentlich nur unterstützt. Einer meinte später nur noch, dass es ein glücklicher Umstand war, dass ich so schnell vor Ort war. Ich glaube nicht, dass ich noch deswegen Ärger bekomme. Selbst wenn, ich würde es jederzeit, in der Situation, wieder tun. Für mich war das Notwehr.“

„Was passiert jetzt mit Benny?“

„Marcel, mach dir bitte keine Vorwürfe. Du hast im Prinzip alles richtig gemacht. Benny wird erst einmal ein paar Tage in der Klinik bleiben. Dort werden Gespräche geführt. Er soll mit einem Psychologen das Ganze aufarbeiten. Warum er so reagiert hat und was die Mutter tatsächlich hier wollte. Den Typen haben sie sofort verhaftet. Er wurde bereits per Haftbefehl gesucht. Die Mutter dürfte sich vermutlich auch erst einmal nicht mehr Benny nähern dürfen.“

„Können wir ihn dort besuchen? Ich möchte ihn unterstützen.“

„Marcel, sicher können wir ihn dort auch besuchen, aber das sollten wir den dortigen Ärzten überlassen, wann das Sinn macht.“

„Papa, wirst du auf Benny sauer sein, wenn du mit ihm das nächste Mal sprichst? Das hätte ja auch böse ausgehen können.“

„Nein, Lukas. Ich bin nur froh, dass er mich im letzten Moment doch noch angerufen hat. Ich kann ihn sogar ein Stück weit verstehen. Ihr braucht euch nicht Sorgen machen. Benny wird genauso unser Freund bleiben, wie zuvor. Ich stehe zu ihm. Wir werden ihm helfen, das zu überstehen. Ich glaube, er wird jetzt sicherlich diese Therapie machen. Er hat jetzt eine sehr gute Chance, das hinter sich zu lassen.“

Es war mittlerweile Zeit für Frühstück.

„Was meint ihr? Sollen wir nicht gemeinsam erst einmal richtig Frühstücken? Marcel, du bleibst erst mal noch bei uns. Mick, fährst du Brötchen holen, Leif machst du Kakao und Lukas du den Rest? Ich werde Bennys Vater anrufen und ihm berichten. Das wird einen Moment länger dauern.“

Alle waren einverstanden und so lösten wir unsere Runde im Wohnzimmer auf. Ich telefonierte mit Bennys Vater. Er war erst einmal erleichtert, dass wir ihn gefunden hatten. Allerdings wurde er auch sehr wütend, als ich ihm den weiteren Verlauf der Ereignisse erklärte. Er wollte sofort Strafanzeige gegen den Freund seiner Frau stellen und seiner Frau ein Hausverbot erteilen. Er hatte in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, was alles passiert war. Für ihn stand fest, er würde seinen Sohn nicht länger allein lassen. Wir vereinbarten, dass er in die Schweiz kommt. Benny sollte das noch nicht erfahren, erst wenn ich mit ihm gesprochen hatte und er einverstanden sei, wollte Bennys Vater ihn ebenfalls besuchen. Vorher würde es hier doch noch einiges zu regeln geben. Ich wollte auch meine Vormundschaft nicht unnötig aufrecht erhalten. Der Vater sollte wieder alle Aufgaben übernehmen sollen. Ich würde für Benny hier weiter ein guter Freund und Berater sein, aber er sollte wissen, dass ich seinem Vater vertrauen würde und Benny sollte das Vertrauen auch wieder aufbauen zu seinem Vater.

Als alle wichtigen Dinge geregelt waren, wir gut gefrühstückt hatten, kehrte ganz langsam wieder etwas Normalität ein. Die großen Jungs wollten mit Marcel mal bei Tim vorbei fahren. Leif hatte seine Freundin zu Besuch und ich hatte ja noch in der Werkstatt zu tun. Also auf geht’s, die Arbeit rief.

Ich staunte nicht schlecht, als ich dort eintraf. Lucien und Tobi hatten unter der Anleitung von Stephan und Heiko schon reichlich geschraubt und alle waren bester Laune.

„Hallo zusammen“, begrüßte ich alle.

„Oh, der Herr ist auch mal aufgestanden. Hoffe gut geruht zu haben.“ Kam von Stephan. Lucien war das sichtlich unangenehm, dass mich Stephan so anfuhr.

„Schon gut, ich bekenne mich im Sinne der Anklage für schuldig. Aber ich habe eine sehr stichhaltige Entschuldigung.“

„Jetzt bin ich aber gespannt“, gab Stephan seinen Kommentar ab.

In ganz kurzen Worten, ohne Bennys Namen zu nennen, schilderte ich ihnen, was vorgefallen war und danach herrschte absolute Stille in der Halle. Lucien konnte sich allerdings denken, um wen es genau gegangen war.

„Das musst du unbedingt mal aufschreiben. Das ist ja spannender als jeder Fernsehkrimi“, meinte Lucien dann zu mir.

Ich musste lachen. Leider war diese Geschichte überhaupt nicht lustig, eher sehr traurig. Aber das Leben musste weitergehen, auch für Benny und für meine Familie musste ich wieder Normalität bekommen. Leider würde das mit der Normalität noch etwas dauern. Das Klingeln meines Handys zeigte mir das sehr deutlich.

Es war aus der Klinik der behandelnde Neurologe. Er informierte mich über Bennys Zustand. Er hatte sich soweit stabilisiert und er hatte bereits nach mir gefragt. Das war doch ein gutes Signal. Der Arzt erlaubte mir, am Nachmittag Benny zu besuchen. Ich machte mit dem Arzt gleich auch einen Gesprächstermin. Ich würde zuerst mit dem Arzt sprechen und dann Benny besuchen. Ich fragte den Arzt, ob ich Bennys Freund mitbringen sollte, oder ob das noch zu früh wäre. Der Arzt stutzte einen Moment, fragte nach, wie der Begriff Freund gemeint sei. Ich erklärte ihm das, also im Sinne von Partner, da war das für den Arzt sogar sehr von Vorteil. Ich sollte Marcel also mitbringen.

Lucien hatte mein Telefonat mitbekommen und war sehr nachdenklich, als ich das Gespräch beendet hatte.

„Wie geht es Benny? Es ist doch ernster, als du vorhin gesagt hast. Ich habe es mitbekommen, also sag bitte die Wahrheit.“

„Ach Luc, es geht ihm etwas besser, aber ich möchte nicht, dass du dir unnötig Sorgen machen musst. Er wird wieder gesund, hoffentlich. Er braucht jetzt Ruhe und Zeit. Ich bin nur gespannt darauf, was er mir zu der Geschichte mit seiner Mutter und diesem verrückten Typen erzählt.“

„Du machst dir Gedanken, wie du ihm helfen kannst, oder? Genau wie du mir damals einfach so geholfen hast. Immer denkst du nur an die anderen. Warum kannst du nicht mal an dich denken? Ich bin nicht blöd, Marc. Mama ist doch nur allein gefahren, weil du ihr versprochen hast, auf mich aufzupassen. Ich habe es gestern gemerkt. Du bist nicht zufällig vorbei gekommen. Mama hatte es bestimmt zur Bedingung gemacht, damit ich allein bleiben durfte. Du hast mit Mama diesen Deal gemacht. Meinetwegen. Und ich Idiot mache dann so einen Blödsinn.“

Er schmiegte sich ganz eng an mich. Ich nahm ihn in den Arm und spürte einen Kloß im Hals. Dieser Junge machte mich einerseits sehr glücklich, wie er mit dieser Situation umging, andererseits sollte er sich mit seinen vierzehn Jahren nicht mit allen Problemen beschäftigen müssen.

„Luc, das ist schon alles so in Ordnung. Es stimmt, ich habe das mit deiner Mutter so ausgehandelt. Sonst wäre sie nicht allein gefahren. Aber manchmal muss man auch Mütter mal zu ihrem Glück zwingen.“

Wir lachten beide.

„Danke, ich bin wirklich sehr froh, dich als Freund zu haben.“

Dieser Satz war einfach schön. Ich musste ihn umarmen. Wir arbeiteten dann noch ungefähr eine Stunde an dem TT für meine Jungs. Die Anlage war fertig geworden und ich konnte einen Test machen. Der Klang war wirklich sehr gut und wir waren zufrieden. Stephan und Heiko wollten noch länger bleiben. Sie hatten noch zwei Kundenfahrzeuge in Ordnung zu bringen. Ich verabschiedete mich von den beiden Jungs. Sie versprachen mir, nach Hause zu fahren und bis zur Rückkehr von Sabine keine weiteren Experimente mehr zu machen. Ich stieg in mein Auto und fuhr nach Hause.

Ich betrat das Wohnzimmer und fand dort Leif mit Stefanie sitzend vor. Stefanie begrüßte mich und Leif hatte ihr wohl kurz erklärt, was so alles passiert war in Bennys Vergangenheit. So ganz glücklich war ich nicht damit. Ich wollte eigentlich nicht, dass immer mehr Leute über Bennys Vergangenheit Bescheid wissen, ohne dass er selbst bestimmen konnte, wer das sein würde.

„Leif, ich möchte dich bitten, in Zukunft mich oder Benny erst zu fragen, wem wir was erzählen. Es ist Bennys Geschichte und ich glaube, es ist ihm bestimmt nicht egal, wer alles davon wissen soll.“

Leif war nicht begeistert, aber er hatte schon auch Verständnis dafür. In diesem Fall war es aber sicherlich eh nicht zu vermeiden gewesen. Denn Stefanie hatte ja bei uns geschlafen und sie war sozusagen direkt dabei, als in der Nacht das Ganze ablief.

„Weißt du, ob Mick und Lukas mit Marcel schon zurück sind?“

„Nein, ich habe sie aber auch noch nicht gesehen. Vermutlich sind sie noch bei Tim. Ruf sie doch mal an, dann wissen wir es.“

So tat ich das auch. Ich bat sie, innerhalb einer halben Stunde nach Hause zu kommen. Marcel sollten sie mitbringen. Ich wollte am Nachmittag mit ihm in die Klinik fahren.

Als die Jungs nach Hause kamen, konnte ich erkennen, dass es Mick und Lukas gelungen war, Marcel ein wenig aufzubauen und aufzumuntern.

„Hallo Papa, was hast du denn vor? Weshalb sollten wir nach Hause kommen?“

„Mick, ich habe ja heute Morgen mit Bennys Vater gesprochen, er macht sich auf den Weg hier her. Außerdem habe ich einen Anruf vom behandelnden Neurologen erhalten. Er meinte, es wäre jetzt gut, wenn ich Benny besuchen würde. Marcel will ich mitnehmen. Der Doktor meint, es wäre gut, wenn der Freund auch kommen würde.“

Marcel sah mich mit großen Augen an.

„Hast du dem Arzt gesagt, dass ich Bennys Freund bin? Wie hat er darauf reagiert?“

„Ganz ruhig Marcel, der Doktor hat es ausdrücklich begrüßt, dass du, als Bennys Partner, mitkommst. Es würde Benny sicherlich helfen.“

„Toll, dieser Arzt scheint eine gute Einstellung zu haben“, meinte Lukas.

„Ja, ich habe einen guten ersten Eindruck von ihm. Marcel, machst du dich bitte fertig, damit wir gleich los können.“

„Was muss ich denn mitnehmen?“

„Vielleicht deinen Ausweis und eine Jacke für den Fall.“

Ich erklärte meinen Jungs noch, dass sie bitte mal in der Pension anrufen sollten, wo ich früher immer gewohnt hatte, als ich meine Jungs noch im Internat besucht hatte. Ich wollte Bennys Vater dort unterbringen.

„Wann kommt denn der Vater hier an und wie lange wird er bleiben?“

„Ich kann es noch nicht sagen, er wollte sich bei mir melden, sobald er unterwegs ist und seine Ankunftszeit kennt. Wie war eigentlich gestern eure Fahrstunde? Hat alles soweit geklappt, dass ihr morgen die Prüfung machen könnt?“

Beide Jungs nickten und meinten aber auch, dass sie noch einmal in die Prüfungsbögen schauen wollten.

Ich saß mit Marcel im offenen R8 und der Fahrtwind wirbelte unsere Haare durcheinander. Ich fand es immer wieder schön, offen zu fahren. Es machte mir auch nichts aus, bei niedrigen Temperaturen offen zu fahren, solange es trocken war.

Marcel schien allerdings gedanklich sehr weit weg zu sein.

„Woran denkst du gerade?“, wollte ich wissen.

„Ach Marc, manchmal würde ich mir meine Eltern häufiger bei mir wünschen. Ich wüsste doch gar nicht, was ich tun müsste, wenn du dich nicht kümmern würdest. Ich habe es ihnen ja noch nicht einmal richtig erklären können, was gerade passiert.“

„Wissen deine Eltern denn mittlerweile, dass du mit Benny zusammen bist?“

„Ja, ich habe es ihnen am Telefon gesagt und auch das Benny eine schlimme Vergangenheit hatte.“

„Wie haben sie es aufgenommen, dass du einen Freund hast?“

„Eigentlich sehr gut. Nur meine Mutter war sehr skeptisch. Ob ich das wirklich wollte, einen Freund zu haben, der schon so viel erlebt hat. Ich war echt wütend auf sie. Ich kann doch nicht einfach sagen, sorry Benny, ich liebe dich zwar, aber du hast eine scheiß Vergangenheit. Wir trennen uns. Manchmal weiß ich echt nicht, wie sich Eltern das so vorstellen.“

Ich musste lachen. Er beschrieb das so locker. Obwohl es eigentlich voller bitterer Wahrheit war.

„Warum bittest du sie nicht herzukommen? Sie scheinen ja grundsätzlich sehr korrekt mit dir umzugehen.“

„Das stimmt, ich liebe meine Eltern und sie mich. Nur, es gibt da ein Problem, weshalb sie nicht so ohne Weiteres herkommen können. Ich habe noch einen Bruder, den können sie nicht so einfach allein lassen. Das war auch der Grund, weshalb ich hier auf das Internat gekommen bin.“

Ich spürte eine gewisse Melancholie in seiner Stimme.

„Wie alt ist denn dein Bruder?“

„Er ist zehn, aber er liegt nach einer Hirnhautentzündung im Wachkoma. Meine Eltern pflegen ihn zu Hause. Da wäre es sehr aufwendig, wenn meine Eltern mich besuchen.“

„Ich verstehe, aber du vermisst sie gerade, oder?“

„Ja, eigentlich alle. Auch meinen Bruder vermisse ich sehr.“

„Das glaube ich dir, wann warst du das letzte Mal zu Hause?“

„In den letzten Ferien. Ich kann ja nur dann nach Hause fahren, an den Wochenenden lohnt sich das kaum, es ist einfach zu weit weg. Ich muss mit dem Zug vier Stunden fahren. Außerdem ist es finanziell auch nicht mehr so toll bei meinen Eltern. Meine Mutter kann ja nicht mehr arbeiten seit der Erkrankung von meinem Bruder.“

Er wirkte wirklich sehr niedergeschlagen. Ich konnte es gut nachvollziehen. Er hatte für sich, mit Benny, sein Glück gefunden und zu Hause war sein Bruder schwer krank. Jetzt war sein Freund auch in einer Klinik und keiner konnte ihm sagen, wie lange er dort bleiben würde.

„Marcel, wenn wir hier heute fertig sind, schauen wir mal, wie es gehen kann, dass du deine Eltern sehen kannst. Ich möchte, dass sie von dir alles zu dieser Geschichte erfahren und sie dir dann auch helfen können. Das mit deinem Bruder macht es nicht einfach, aber wir werden einen Weg finden. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um deinen Freund. Wir sind nämlich gleich da.“

Marcel nickte und als wir wenige Minuten später auf dem Parkplatz aus dem Auto stiegen, machte er zwar einen angespannten aber positiven Eindruck.

„So, jetzt schauen wir mal nach deinem Freund. Ich habe einen Termin mit dem Arzt. Er möchte dich kennen lernen. Also gehen wir zuerst zu dem Gespräch mit dem Arzt. Wenn alles gut verläuft, kannst du dann schon zu Benny gehen und ich werde mit dem Arzt noch ein paar andere Dinge klären.“

„Marc, ich bin einfach froh, dass Benny dich hat. Auch deine Söhne sind tolle Freunde für mich. Ich bin einfach sehr glücklich, solche Freunde zu haben.“

„Danke dir, aber das ist für mich vollkommen selbstverständlich. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt und ich bin auch sehr stolz auf meine Söhne. Dass sie mir meine Abwesenheit während meiner Karriere so verziehen haben, macht mich sehr glücklich.“

Wir waren schon in der Klinik und ich fragte an der Anmeldung nach dem Arzt und wo wir ihn finden würden. Eine sehr nette Dame erklärte uns den Weg, so kamen wir pünktlich auf der Station an und wurden gebeten, noch einen Moment zu warten. Der Arzt war noch in einem Patientengespräch.

Eine Tür ging auf und ein etwa dreißigjähriger Mann mit Polo Hemd und Jeans kam auf uns zu.

„Herr Steevens?“

„Ja“

„Dr.Steiner, ich bin der behandelnde Neurologe von Benny Dankers.“

Wir gaben uns die Hand und ich stellte ihm Marcel vor.

„Du bist sein Freund und Partner? Sehr schön, dass du mitgekommen bist.“

„Wie geht es Benny?“, wollte Marcel direkt wissen.

„Ich kann dich beruhigen, es geht ihm besser als heute Nacht. Er hat viel geschlafen. Wenn du gleich zu ihm gehst, wunder dich nicht über seinen Zustand. Er hat noch Medikamente bekommen, die ihn ruhiger bleiben lassen. Er soll sich nicht zu sehr aufregen. Er hat viel erlebt in der letzten Zeit.“

Marcel nickte sehr nachdenklich.

„Ach, und noch etwas Marcel, sein Gesicht sieht schlimmer aus als es ist. Das sind die Folgen der Schläge, aber es ist nichts gebrochen. Also erschreck dich nicht, wenn du ihn siehst.“

Marcel wurde doch unruhig, der Doktor hatte ein gutes Gefühl für die Situation. Er nahm Marcel einfach mit und ging gemeinsam mit ihm in Bennys Zimmer. Der Doktor bat mich schon einmal ins Besprechungszimmer zu gehen.

Ich hatte noch keine zwei Minuten dort gesessen, als Dr. Steiner hereinkam und lachte.

„Also die beiden sind wohl noch richtig frisch verliebt. Ich bin froh, dass Benny hier Freunde gefunden hat. Ich bin mir sicher, er wird seinen Weg hier finden, auch ohne seine Eltern. Das ist schon eine sehr heftige Geschichte.“

„Hat er ihnen schon alles erzählt? Ich wundere mich etwas.“

„Ich glaube nicht, dass er schon alles erzählt hat. Er hat mir nur den Brief gezeigt, den die Mutter ihm wohl geschickt hatte und der dann das alles ausgelöst hatte. Möchten sie den Brief lesen?“

„Hat Benny das erlaubt?“, wollte ich wissen.

„Ja, ausdrücklich, er hat ausdrücklich darum gebeten, ihnen den Brief zu geben.“

Ich nahm den Brief und begann zu lesen.

An den Feigling,

hast du geglaubt, du entkommst uns? Du hast den letzten Fehler begangen und uns bei deinem Vater verraten, dafür wirst du noch mehr leiden und irgendwann sterben. Wir haben dich gefunden und werden dich der gerechten Strafe zuführen. Mach dir keine Hoffnung, wir finden dich überall, hier wird dir niemand helfen. Wenn du Mut hast, komm Samstag zu unten angeführter Adresse, dann wird abgerechnet. Solltest du die Polizei schicken, bist du tot, bevor du es merkst.

Ich war fassungslos. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand so etwas zum eigenen Sohn schreiben konnte. Wie krank müssen diese Frau und dieser Mann sein?

„Heftig, denken sie, Benny hatte ernsthaft vorgehabt, seine Mutter zu töten oder Rache zu üben?“

„Ich glaube es schon, aber er ist glücklicherweise dazu nicht in der Lage. Dafür ist er ein viel zu guter Mensch. Es war eine Verzweiflungstat. Wie sind sie eigentlich dorthin gekommen? Er konnte mir das bisher nicht so genau erklären. Überhaupt hat er mir nur von ihnen und ihrer Familie erzählt. Er muss sie sehr mögen und er respektiert sie ungemein.“

„Ich wusste schon von den Erlebnissen, die er seit Jahren zu Hause erleiden musste. Ich bin noch sein Vormund hier. Allerdings möchte ich das seinem Vater wieder übertragen, er hat verstanden, wie wichtig Benny für ihn ist. Er wird übrigens in Kürze hier ankommen. Er ist bereits auf dem Weg aus Deutschland hierher.“

„Welche Erlebnisse waren dies? Er hat mir noch nicht viel davon berichtet. Wenn ich den Brief sehe, gehe ich von schweren Misshandlungen aus.“

„Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn ich zuerst Benny fragen dürfte, was ich ihnen erzählen darf. Ich möchte sein Vertrauen nicht missbrauchen.“

„Natürlich, ich dachte, dass hätte Benny bereits mit ihnen geklärt. Ich schlage daher vor, sie gehen jetzt erst einmal zu ihm und wir unterhalten uns dann anschließend weiter. Dann können wir auch klären, wie wir ihm hier helfen können.“

„Das halte ich für einen guten Vorschlag, vielen Dank schon einmal, dass sie sich so viel Zeit nehmen.“

Dann ging ich hinaus, der Doktor zeigte mir noch den Weg zu Bennys Zimmer. Als ich vor der Tür stand, musste ich schlucken. Was würde mich erwarten? Ich klopfte und öffnete die Tür. Als ich den Raum betrat, musste ich lachen, ich dachte, ich sehe nicht recht.

Marcel saß in einem Sessel und Benny saß auf seinem Schoß. Sie hielten sich ganz fest umklammert und Marcel sah so aus, als ob er seinen Freund nie wieder loslassen wollte.

Benny hingegen wollte aufspringen und sich aus der Situation befreien. Marcel hielt ihn jedoch fest.

Ich unterstützte Marcel und sagte:

„Hallo ihr zwei, so gefällt mir das. Benny genieße den Moment, du hast es verdient. Hier kann dir nichts mehr passieren. Niemand wird diesen Raum betreten, der nicht die Erlaubnis hat.“

Benny ließ sich zurückfallen und entspannte sich wieder.

„Marc, ich weiß nicht, wie ich das alles ohne dich überstehen soll. Danke, dass du gekommen bist. Auch heute Nacht. Ich habe dich nicht gefährden wollen. Deshalb wollte ich nicht, dass du kommst.“

„Benny, das war keine gute Entscheidung, die beste Entscheidung war es allerdings, mir dann doch die Adresse zu geben. Ich mache dir keine Vorwürfe, ich möchte, dass du wieder glücklich bist.“

Er stand auf und wir umarmten uns ganz intensiv.

„Marc, dürfen wir nach draußen gehen? Ich will mal an die Luft, dann können wir reden.“

„Ich weiß nicht, ob du schon rausgehen darfst, ich werde mal nachfragen.“

Ich verließ den Raum und fragte die Stationsschwester. Sie erlaubte uns für eine Viertelstunde nach draußen zu gehen. Ich ging zurück und öffnete erneut die Zimmertür. Dort standen die beiden eng umschlungen und küssten sich. Ich ließ ihnen die Ruhe und wartete einfach einen Moment.

„Oh, ich habe dich gar nicht bemerkt“, sagte Marcel und löste sich von Benny. Er wurde sogar leicht rot.

„Ist doch in Ordnung Marcel, genießt eure Gefühle. Ich finde es schön. Wir können für eine Viertelstunde nach draußen gehen. Benny, ziehst du dir bitte etwas an.“

Fünf Minuten später gingen wir drei durch den Klinikgarten. Benny erzählte mir, was genau gestern passiert war und warum er so ausgerastet ist. Ich konnte es zwar verstehen, aber er musste lernen, dass dieses in Zukunft keine Lösung sein würde.

„Benny, ich habe mit deinem Neurologen gesprochen. Er macht auf mich einen sehr netten und kompetenten Eindruck. Er hat mich nach deiner Vergangenheit gefragt. Ich möchte dich fragen, willst du es ihm selbst erzählen oder erlaubst du mir, es ihm zu erzählen. Ich denke, er sollte alles wissen, damit wir die richtige Therapie finden können.“

Benny nickte sehr nachdenklich, Marcel war nicht begeistert.

„Warum muss Benny das jetzt entscheiden? Ich finde das nicht fair. Er ist noch total verwirrt.“

„Lass gut sein, ich will, dass der Doktor alles erfährt. Er soll auch wissen, dass ich schwul bin und du mein Freund.“

„Das weiß er bereits, sonst hätte Marcel dich nicht besuchen dürfen“, erklärte ich ihm.

Benny schaute erstaunt.

„Trotzdem ist er noch so nett? Das hätte ich nicht erwartet.“

„Der Arzt war sogar der Meinung, ich sollte Marcel auf jeden Fall mitbringen. Das würde dir mehr helfen, als jedes Medikament. Ich glaube, er hat Recht damit.“

Danach mussten wir drei lachen. Das gefiel mir schon wieder viel besser.

„Also Benny, habe ich das richtig verstanden, du erlaubst mir, deinem Arzt alles erzählen zu dürfen?“

„Ja, Marc, er soll alles erfahren. Hast Du Papa schon informiert?“

„Ja natürlich, ich habe mehrfach mit ihm telefoniert. Wir haben uns abgesprochen, er war in großer Sorge um dich. Er liebt dich immer noch sehr. Er würde dich gerne hier besuchen. Das wollte ich dich aber erst fragen, ob dir das Recht ist.“

„Ja, ich würde mich freuen, wenn er kommen würde. Er weiß aber noch nicht, dass ich schwul bin, oder?“

„Nein, natürlich nicht. Das würde ich ihm niemals ohne deine Erlaubnis erzählen, außerdem fänd ich es eh besser, wenn ihr beide es ihm sagen würdet.“

„Wir denken darüber nach. Gehst du jetzt zum Arzt und redest noch mal mit ihm?“

„Das wollte ich tun, geht ihr wieder auf das Zimmer. Ich komme dann dorthin und dann reden wir darüber, wie es weiter geht.“

Ich ließ die beiden Jungs allein und machte mich auf den Weg zurück zum Doktor. Ich klopfte an die Tür zum Besprechungszimmer. Nach einem „Herein“ betrat ich das Zimmer und Dr. Steiner bat mich, sich zu setzen.

„Herr Steevens, wie mir erst jetzt bewusst wird, sind sie eine Legende des Motorsportes. Ich bin sehr erstaunt, dass jemand wie sie sich um einen solchen Fall so engagiert kümmert. Wie kommen sie dazu?“

„Wissen sie, ich habe drei Söhne, damit bin ich gezwungenermaßen mit deren Freunden in Kontakt. Da ich meine Vaterrolle sehr ernst nehme, kümmere ich mich um meine Söhne. So ist auch der Kontakt zu Benny entstanden. Meine ältesten Söhne haben Benny in der Schule kennengelernt und ihnen war recht schnell aufgefallen, dass sich Benny auffällig verhielt. Daraufhin hatte ich sie gebeten, ihn doch einfach mal mitzubringen. So bin ich auf diese Geschichte aufmerksam geworden.“

„Haben sie sich mit Benny eben unterhalten über die Situation? Und können sie mir ein wenig mehr berichten, was Benny erlebt hat? Ich kann verstehen, dass das nicht einfach für Benny sein wird, sich damit zu beschäftigen, aber wenn wir ihm helfen wollen, müssen wir das Problem kennen.“

„Dr. Steiner, Benny hat mir erlaubt alles zu erzählen, was er mir bereits erzählt hat und was ich über ihn weiß.“

„Sie scheinen für ihn eine ganz besondere Person zu sein. Ich habe noch nicht viele Patienten gehabt, die nach einem solchen Erlebnis, einer Person so bedingungslos vertrauen. Ich bin gespannt, was sie zu berichten haben.“

Ich begann zu erzählen, von der ersten Nacht und den unkontrollierten Gefühlsausbrüchen, von Bennys Schilderungen der Misshandlungen bis zu dem Moment, wo er uns auch die Vergewaltigungen gestand. Ich berichtete dem Doktor alle Details, auch die Entwicklung mit dem Vater. Nach einer halben Stunde hatte ich meinen Bericht beendet.

„Herr Steevens, ich bin sehr dankbar für ihre offenen und ausführlichen Schilderungen. Allerdings habe ich in meinen Dienstjahren als Neurologe und Traumatherapeut noch nicht viele derart extreme Fälle gehabt. Das muss ich auch erst mal sacken lassen.“

„Es geht mir heute noch so, ich bin immer noch geschockt über das, was dieser Junge über Jahre hinweg erlitten hat. Und ich habe die Befürchtung, wir werden noch mehr davon zu hören bekommen.“

„Da könnten sie Recht haben, allerdings glaube ich, dass Benny bereits das Schlimmste erzählt hat. Es kommen vermutlich nun die Details ans Licht. Er wird sich schrittweise an diese Details erinnern. Das, was er aus Selbstschutz bislang ausgeblendet hatte. Ich muss sie darauf vorbereiten, dass es immer wieder noch zu solchen „Flash-backs“ kommen wird. Seien sie weiterhin für ihn als Vertrauensperson greifbar. Auch wenn ich verstehen kann, dass sie sich manchmal überfordert fühlen. Vor allem ihre Kinder sollten viel mit ihnen sprechen. Sie sollen sich so wenig wie möglich allein mit dieser Situation beschäftigen.“

„Das tun sie auch nicht. Sie reden sehr viel mit mir über das Erlebte. Wir haben schon viel Zeit gemeinsam mit dieser Sache verbracht, allerdings gebe ich ihnen Recht, ich habe manchmal kein gutes Gefühl, meine Söhne damit zu belasten, aber sie sind die Freunde von Benny und Benny hat außer Marcel und meinen Söhnen noch nicht viele Kontakte hier. Außerdem kommt für ihn erschwerend hinzu, dass er bis heute nur uns und ihnen von seiner Homosexualität erzählt hat. Sein Vater weiß davon noch gar nichts.“

„Warum hat er sich ausgerechnet sie ausgesucht, ihnen davon zu erzählen? Das dürfte ein gewaltiger Schritt gewesen sein.“

„Nun, das ist ganz einfach, meine beiden ältesten Söhne sind ein Paar. Sie sind ebenfalls schwul und habe auch schwule Freunde. Benny hat sich dort sehr wohl gefühlt und zum ersten Mal gleichgesinnte kennengelernt.“

Der Doktor zog verwundert eine Augenbraue nach oben.

„Ihre Söhne sind ein Paar? Das verstehe ich nicht so ganz.“

„Ach ja, das können sie nicht wissen, Lukas ist mein Stiefsohn, ich habe ihn adoptiert aufgrund seiner Familiensituation. Seine leiblichen Eltern sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Als sich mein Sohn Mick dann in ihn verliebt hatte und sie sich mir anvertrauten, habe ich beschlossen, Lukas zu adoptieren.“

„Toll, ich bin wirklich beeindruckt. Kompliment, das habe ich auch sehr selten erlebt. Ich gehe mal davon aus, dass ihre Söhne Benny dann unterstützen werden.“

„Worauf sie sich verlassen können, sogar mein Jüngster, er ist gerade fünfzehn, steht voll hinter ihm. Und ich bin wirklich sehr stolz auf meine Söhne, wie bedingungslos sie sich für Benny einsetzen.“

„Was für eine Rolle spielt der Vater momentan? Sie sagten, er würde seinen Sohn jetzt unterstützen, denken sie er wird Benny mit dieser Geschichte begleiten?“

„Ich denke ja, er muss sich auch erst mit dieser schrecklichen Wahrheit auseinandersetzen. Er hat davon vermutlich nichts mitbekommen, bis vor wenigen Wochen.“

„Haben sie schon mit dem Vater über die aktuelle Lage gesprochen?“

„Ja, er ist auf dem Wege hier her. Ich habe es Benny bereits gesagt und ihn gefragt, ob er seinen Vater sehen möchte. Das will er, deshalb möchte ich auch mit ihnen darüber sprechen, welche Personen Benny besuchen dürfen.“

„Das wäre meine nächste Frage gewesen. Was schlagen sie vor?“

„Ich werde ihnen eine Liste machen, welche Personen für Benny wichtig sind. Wie lange wird er denn hier bleiben sollen?“

„Das hängt von ihm ab, wenn er eine Therapie machen will, was ich dringend empfehlen würde, sollte er einige Tage hier bleiben und dann die Therapie hier im Haus ambulant weiterführen.“

„Finde ich einen guten Ansatz. Ich werde das mit ihm und seinem Vater besprechen. Ich werde am kommenden Wochenende mit meinen Söhnen nach Brasilien fliegen. Ich werde am Dienstag zurückkommen. Es wäre da vielleicht sinnvoll, wenn er bis zu meiner Rückkehr hier stationär bleiben würde. Was meinen sie dazu?“

„Sollte es notwendig sein, wäre das kein Problem. Aber er hat ja einen festen Freund. Und er kann hier seine Therapie fortsetzen. Ich möchte ihn nicht zu lange stationär haben. Er soll so schnell wie möglich wieder in den Alltag zurück, in seine gewohnte Umgebung. Wäre es denn theoretisch möglich, ihn mit nach Brasilien zu nehmen?“

„Das wird eine stressige Reise, ich werde dort mein allerletztes Rennen fahren. Ein Abschiedsrennen. Meinen sie, es würde ihn nicht zu sehr belasten? Sein Freund wird nicht mitfahren können wegen der Schule.“

„Wir reden darüber noch einmal. Vermutlich haben sie recht, ihn nicht mitzunehmen.“

„Ich habe noch eine Frage, dürfen meine Söhne und ihre Freunde Benny auch ohne mich besuchen? Ich will nicht immer dabei sein, weil sie auch ihre eigenen Themen haben, bei denen ich eher störend sein würde.“

Der Arzt lachte nun und gab mir sein Einverständnis. Die Station war eine geschlossene Station, dass hieß, jeder Besucher musste sich an und abmelden. Auch durften die Patienten mit dem Besuch nicht ohne Erlaubnis die Station verlassen. Wir klärten die Formalitäten und ich machte mit dem Arzt für morgen einen Termin mit Bennys Vater zum Gespräch. Dann verabschiedete ich mich und ging zu den beiden Jungs zurück.

Ich berichtete beiden von meinem Gespräch und Benny war froh, dass er nicht mehr alles selbst erzählen musste. Marcel war natürlich traurig, dass wir jetzt Benny wieder verlassen würden. Ich informierte beide über den Termin mit Bennys Vater und fragte ihn noch mal, ob er damit einverstanden sei, dass ihn sein Vater morgen besuchen würde. Er freute sich darauf, das war für mich ein sehr gutes Zeichen.

Ich verabschiedete mich von Benny mit einer innigen Umarmung und bat Marcel sich auch zu verabschieden. Ich würde unten am Auto warten. Sie sollten sich allein und ungestört verabschieden.

Auf der Rückfahrt redeten wir nicht sehr viel. Marcel war sichtlich angeschlagen, es arbeitete in ihm, wie Eltern so ein Verhalten haben können.

„Marc, was die Mutter gemacht hat, ist das noch normal? Jetzt ist Benny in der Psychiatrie, sollte die Mutter nicht in so eine Klinik und nicht Benny?“

Ich konnte dem nicht widersprechen, aber Benny saß ja nicht zwangsweise dort, sondern damit ihm geholfen werden konnte.

„Die Mutter wird vermutlich auch dort hinkommen und hoffentlich auch nicht so schnell dort wieder hinaus. Benny soll dort ja nur bleiben, bis er sich wieder gefangen hat und es ihm besser geht.“

Marcel war damit zufrieden und ich brachte ihn ins Internat.

„Wenn irgendetwas sein sollte, sich Benny bei dir meldet oder du eine Frage hast, dann melde dich einfach. Wenn ich weiß, wann der Vater heute kommt, melde ich mich. Ich denke allerdings, es wäre vielleicht geschickter, wenn du morgen nicht gleich dabei wärest, bei dem ersten Treffen der beiden.“

Marcel schien zwar auch enttäuscht, aber er hatte auch Verständnis dafür. So verblieben wir und ich fuhr nach Hause.

Zu Hause erhoffte ich einen ruhig ausklingenden Sonntag, diese Hoffnung wurde aber sofort zerstört, als ich in die Garage fuhr. Dort standen nämlich einige Fahrräder. Also waren wohl Gäste im Haus.

Ich ging die Treppe nach oben und hörte schon vor der Tür, dass Leif wohl Besuch hatte. Ich ging in unsere Wohnung und Überraschung! Tommy und Nico waren mal wieder zu Besuch. Das freute mich, sie hatten sich in der letzten Zeit etwas rar gemacht, seitdem Leif mit Stefanie zusammen war. Ich wusste den Grund nicht, aber umso erfreuter war ich, dass sie nun zu Besuch waren.

Ich klopfte bei Leif an und wurde wirklich freundlich begrüßt von den beiden. Wir unterhielten uns kurz und machten den einen oder anderen Spaß über Leifs Freundin, also sein „andersrum“ sein. Leif konnte mittlerweile auch darüber lachen und so hatten wir alle unseren Spaß.

„Ach Papa, du sollst bitte mal zu Mick und Lukas hochkommen. Sie wollten mit dir wegen Bennys Vater sprechen.“

„Ok Leif, danke, ich geh gleich mal hoch. Euch noch viel Spaß hier. Bleiben Tommy und Nico zum Essen?“

„Da haben wir noch gar nicht drüber gesprochen, wäre das ok?“

„Sicher doch, klärt das ab und dann sag mir einfach Bescheid. Bis gleich, ich geh mal zu den beiden hoch.“

Die Jungs hatten mich bereits erwartet.

„Hallo Papa, gut, dass du kommst. Wie war dein Gespräch in der Klinik und wie geht’s Benny?“

„Hi Jungs, also Benny geht es nicht gut, aber zumindest besser als heute Nacht und er hat sich deutlich stabilisiert. Ich bin zuversichtlich. Hat sich eigentlich Herr Dankers gemeldet?“

„Ja, er ist unterwegs und wird heute Abend gegen 21 Uhr am Bahnhof eintreffen“, erklärte Mick.

„Habt ihr in der Pension angerufen?“

„Natürlich, Frau Weiner hat sich sehr gefreut, dass ich mich mal gemeldet habe und sie wird alles vorbereiten. Herr Dankers kann heute Abend dort ankommen. Den Schlüssel können wir bis 20 Uhr abholen.“

„Toll, danke Lukas. Ich freue mich, dass ich mich auf euch verlassen kann. War sonst noch etwas?“

„Ja, Sabine hat angerufen und nach dir gefragt. Sie lässt ausrichten, dass sie wieder hier ist und fragt, ob wir heute zum Essen kommen wollen?“

„Gut, danke für die Information. Ich rufe sie gleich mal an. Was habt ihr heute vor?“

Beide Jungs schauten sich grinsend an und Lukas haute mich dann mit folgendem Satz fast um:

„Also Papa, wir haben entschieden, dass wir Sabine und Lucien zu uns zum Essen eingeladen haben. Wir finden das nämlich echt nicht gut, dass du immer nur zu ihr fährst und wir sie nie richtig kennen lernen können. Also um sieben bei uns zum Essen. Könntest du vielleicht vorher noch den Schlüssel abholen?“

Wie sollte ich das denn jetzt verstehen? Haben meine Jungs vielleicht da etwas falsch verstanden? Ich war zu überrascht, um darauf jetzt zu reagieren. Ich stimmte einfach zu und ging wieder hinunter. Dort stand Leif bereits grinsend im Flur.

„Na Papa, was wollten sie denn?“

Er hatte ein derart böses Grinsen, ich wusste, dass er schon alles gewusst hatte.

„Tu doch nicht so, du weißt doch schon Bescheid. Wo sind denn Tommy und Nico?“

„Die sind nach Hause gefahren. Sie lassen dich schön grüßen. Aber sie sollen mit Nicos Familie zusammen essen. Übrigens, ich finde Mick und Lukas haben Recht. Du bist echt gemein, warum dürfen wir nicht erfahren, wie nett Sabine ist? Warum dürfen wir nicht wissen, dass unser Papa eine Freundin hat und wir vielleicht einen weiteren Bruder bekommen? Für wie blöd hältst du uns eigentlich?“

Ich musste mich setzen. Das war Zuviel auf einmal.

„Sagst du bitte Mick und Lukas Bescheid, ich fahre jetzt den Schlüssel holen und dann möchte ich mit euch hier reden. Ich glaube, das sollten wir tun, bevor die anderen kommen.“

„Das ist eine gute Idee. Mache ich. Bis gleich dann.“

Als ich von Frau Weiner zurück war, saß nur Leif in seinem Zimmer und machte irgendwelche Schulsachen.

„Hi Papa, Lukas meinte, wir sollen nach oben kommen, weil das Essen sonst Schaden nehmen würde.“

„Oha, was haben sie denn vor? Scheint ja was Größeres zu werden.“

Leif stand von seinem Schreibtisch auf und wir gingen gemeinsam nach oben. Uns kam schon ein Duft von verschiedensten Aromen entgegen. Wenn ich nicht gedanklich mit dem kommenden Gespräch beschäftigt gewesen wäre, hätte ich sicherlich erst einen Besuch in der Küche gemacht. Wir setzten uns in das Wohnzimmer der Jungs. Mick hatte bereits im Esszimmer den Tisch vorbereitet und das sah ganz und gar nicht gewöhnlich aus.

Er kam zu uns an den Couchtisch und setzte sich neben mich, Lukas kam auch aus der Küche und nahm neben Leif Platz.

„Papa“, begann Mick das Gespräch, „wir sind ein wenig enttäuscht über deine Art uns über gewisse Dinge zu informieren. Deshalb habe ich das in die Hand genommen, um das zu klären. Du magst Sabine, oder? In Lucien hast du sowieso einen Narren gefressen. So bist du nicht mal mit uns umgegangen. Wir finden das übrigens sehr, sehr schön. Aber wir wollen klare Verhältnisse haben. Sabine soll genauso bei uns zu Besuch sein und sich hier wohlfühlen, wie du dort bist. Wir wollen sie genauso kennen lernen, wie du unsere Freunde immer kennen lernen wolltest. Also gleiches Recht für alle.

Leif und Lukas nickten nur und mir wurde ziemlich warm. Also gut, es hatte wohl keinen Zweck mehr, es zu leugnen.

„Ok, Ok, ich gebe mich geschlagen. Ja, es stimmt schon, dass ich sie wirklich mag. Es ist nur so, nach so vielen Jahren und den ganzen Veränderungen war ich mir nicht sicher, ob ich das will. Eine neue feste Beziehung ist für mich etwas Neues nach den Jahren, während meiner Karriere habe ich nie Zeit gehabt, mich damit zu beschäftigen. Ich gebe es zu, ich wollte euch nicht mit dieser Sache beschäftigen, bis ich mir sicher bin, ob ich das wirklich will.“

„Papa, mach dir nichts vor. Wir kennen dich lange genug. Du hast Angst vor einer festen Beziehung. Du willst weder uns noch Lucien enttäuschen. Wir wollen aber, dass du endlich Sabine genauso hier zu Besuch hast, wie wir unsere Freunde bzw. Freundinnen.“

Dabei schauten die beiden Leif an und mussten grinsen.

„Damit wir also hier klare Verhältnisse haben, wir mögen beide genauso, wie alle unsere anderen Freunde. Wir würden uns freuen, wenn du sie in Zukunft hier auch öfter zu Besuch hast. Lucien und Sabine sollen sich hier wohl fühlen, das geht doch nur, wenn wir sie auch regelmäßig sehen. Wie sollen wir sie richtig kennen lernen und ihr vertrauen?“

Ich war sichtlich angezählt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber sie hatten ja Recht, ich war irgendwo zu feige gewesen, es mir einzugestehen. Ich hatte sehr starke Gefühle für Sabine und auch für Lucien entwickelt.

„Also gut, ja, es stimmt. Ich habe es mir noch nicht eingestehen können. Ich mag beide wirklich sehr gerne. Ihr hättet also nichts dagegen, wenn sie beide hier öfter zu Gast wären und wir vielleicht irgendwann eine größere Familie werden?“

Mick sah richtig irritiert aus.

„Was ist das für eine Frage? Natürlich mögen wir sie beide und damit wir Klarheit haben - liebst du Sabine?“

Ich wurde jetzt vermutlich etwas rot. Es war mir wirklich nicht so ganz angenehm, aber die Jungs hatten Recht.

„Ja, ich denke schon, dass ich mich verliebt habe.“

Jetzt standen alle drei auf, umarmten mich innig.

„Herzlichen Glückwunsch, Papa, wir freuen uns für dich. Also, wir mögen sie auch beide sehr und finden, sie passen zu uns.“

Diese Worte von Lukas waren sehr emotional für mich. Ich musste mit meinen Tränen kämpfen, diese Reaktion ausgerechnet von Lukas war ganz toll.

Nach einem kurzen Moment des Schweigens wandte sich Lukas um und ging in die Küche. Ich folgte ihm und er erklärte mir, was sie zu essen vorbereitet hatten. Es gab ein drei Gänge Menü. Als Vorspeise eine frische Tomatensuppe mit geröstetem Knoblauch Baguette. Als Hauptgang sollte es Zwiebeltaschen mit selbstgemachten Spätzle und einer Steinpilzsauce geben. Das Dessert hatte Leif beigesteuert. Einen Vanille Pudding mit Sahne.

Das war ein Festessen. Ich war sehr gespannt, wie das wohl schmecken würde. Die Jungs hatten sich große Mühe gegeben. Um kurz vor Sieben klingelte es und Mick öffnete die Tür. Ich konnte sehr schnell hören, das konnten nur Sabine und Lucien sein. Lucien war nicht zu überhören, in seiner lebendigen Art.

Er stürmte in die Küche und begrüßte uns sehr lebhaft. Mich umarmte er und ließ es sich nicht nehmen mir einen Wangenkuss zu geben. Sabine folgte etwas ruhiger in die Küche, auch sie wurde von den Jungs mit einer Umarmung begrüßt. Bald stand sie dann vor mir und wir schauten uns einen Moment tief in die Augen. Dann umarmte sie mich und wir küssten uns. Ein tolles Gefühl, was ich nicht mitbekam, alle Jungs sahen zu und auch Lucien grinste.

„So“, begann Mick, „nachdem die Formalitäten wohl geklärt sind, spreche ich im Namen des Nachwuchses der Familie Steevens, herzlich willkommen in der Familie Steevens. Sabine und Lucien, wir würden uns freuen, euch jetzt hier häufiger zu sehen.“

Sabine schaute mich verwundert an, musste aber dann doch herzlich lachen. Ich sah vermutlich ziemlich verdutzt aus.

Das Essen verlief sehr harmonisch und dank Lucien, auch sehr lebhaft. Ich staunte immer wieder, woher der Junge so ein tolles positives Gemüt hatte. Nach all den ganzen Problemen und Krankheiten immer noch so positiv zu sein, einfach nur toll.

Die Zeit verflog nur so. Plötzlich erinnerte mich Mick daran, dass Herr Dankers bald ankommen würde. Ich wollte ihn vom Bahnhof abholen und ihn in die Pension bringen. Lucien wollte unbedingt mitkommen. Ich fand das etwas unpassend, deshalb war ich sehr dankbar, dass meine Jungs das regelten, sie boten Lucien nämlich an, im Keller eine Partie Billard zu spielen. Das half!

Sabine blieb bei den Jungs und ich fuhr zum Bahnhof. Der Zug hatte etwas Verspätung. Ich stand auf dem Bahnsteig und dachte über das Geschehene noch einmal nach. Ich glaubte, jetzt war es wohl amtlich. Ich hatte wieder eine Partnerin an meiner Seite und das Wichtigste, meine Jungs fanden das gut!

Der einfahrende Zug riss mich aus meinen Gedanken, mit kreischenden Bremsen hielt der Zug am Bahnsteig an. Die Türen öffneten sich und die Menschen strömten in alle Richtungen davon. Herrn Dankers konnte ich noch nirgends erblicken. Doch halt - da kam er mit einem kleinen Reisekoffer auf mich zu. Ich ging ihm entgegen, wir begrüßten uns freundlich. Ich nahm seinen Koffer und wir gingen zu meinem Auto.

Wir unterhielten uns über die Anreise, bis wir am Auto waren. Als wir eingestiegen waren und ich ihm erklärt hatte, wo er hier wohnen würde, merkte ich eine steigende Unruhe bei Herrn Dankers.

„Herr Steevens, bitte seien sie mir nicht böse, ich würde jetzt aber gerne wissen, wie geht es Benny? Sie haben schon wieder hier so viel für uns organisiert, das ist mir schon etwas unangenehm.“

„Schon in Ordnung, also vorhin habe ich ihn in der Klinik besucht und mit ihm einige Dinge besprochen. Für sie das Wichtigste vielleicht, er freut sich darauf, dass sie herkommen und ihn besuchen wollen. Er möchte sie also morgen treffen und sich mit ihnen unterhalten. Der Arzt ist informiert, er ist damit einverstanden und wird sie morgen dort empfangen. Ich werde sie begleiten. Das war Bennys Wunsch. Ich bringe sie jetzt in ihr Quartier. Dort können sie sich ausruhen und sie finden dort alles was sie brauchen. Frau Weiner, das ist die Vermieterin der Wohnung, wird sicher bei allem behilflich sein.“

„Das ist beruhigend zu hören. Ich freue mich auch sehr auf meinen Sohn. Ich habe übrigens erfahren, gegen den Freund meiner noch Ehefrau wurde der Haftbefehl verlängert und er sitzt weiterhin in Untersuchungshaft. Bennys Mutter wurde auf richterliche Anordnung in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Also von dort droht erst einmal keine weitere Gefahr mehr. Was meinen sie, wann werden wir morgen zu Benny fahren?“

„Ich hole sie um neun am Morgen ab. Um halb zehn haben wir den Termin mit dem Arzt. Ich möchte aber vorher bei Benny gewesen sein.“

„In Ordnung, vielen Dank.“

Wir standen mittlerweile vor der Pension und ich half Herrn Dankers, sich im Haus zu Recht zu finden. Als ich ihm alles erklärt und gezeigt hatte, bedankte er sich für die Unterstützung und wir verabschiedeten uns bis zum nächsten Morgen.

Zu Hause erwartete mich insofern noch eine Überraschung, da Sabine mit Lucien noch bei uns waren und meine Jungs sich vorbildlich um sie kümmerten. Lucien war im Keller beim Billard beschäftigt und Mick saß mit ihr und Leif im Wohnzimmer. Ich setzte mich zu den beiden und es wurde noch ein sehr gemütlicher Abend. Leider musste Lucien am nächsten Morgen wieder zur Schule und meine Jungs hatten ihre Führerscheinprüfung. So ging der Abend gegen halb zwölf zu Ende.

Ich verabschiedete mich von den beiden mit einer sehr herzlichen Umarmung. Sabine schickte Lucien schon einmal zum Auto.

„Marc, es war wirklich ein sehr schöner Abend und ein schönes Wochenende für mich. Ich konnte mich endlich einmal ungestört mit meinem Bruder unterhalten. Und ich möchte, dass du weißt, Lucien würde sich sehr freuen, wenn wir vielleicht mehr Zeit gemeinsam verbringen werden.“

„Weißt du eigentlich, dass ich immer noch nicht ganz verstehe, wie das heute alles so passiert ist. Aber ich fühle mich gerade sehr glücklich.“

Dann umarmten wir uns und ich gab ihr einen Kuss zum Abschied.

Wir wollten am nächsten Tag telefonieren.

Marc: Das alles klärende Gespräch zwischen Benny und seinem Vater

Nachdem ich meine beiden Jungs zur Führerscheinprüfung gebracht hatte, fuhr ich zu der Pension, um Herrn Dankers abzuholen.

„Guten Morgen Herr Dankers“, begrüßte ich Bennys Vater vor dem Haus. Er hatte bereits auf mich gewartet.

„Guten Morgen Herr Steevens, ihre Pension ist wirklich ein tolles Quartier. Die Frau Weiner ist sehr nett und zuvorkommend.“

„Das freut mich. Ich habe mich auch immer hier sehr wohl gefühlt. Ich schlage vor, wir machen uns mal auf den Weg. Ich möchte pünktlich sein.“

Herr Dankers stieg ein und wir machten uns auf den Weg. Ich konnte die Anspannung bei Herrn Dankers spüren. Wir redeten nicht sehr viel. Ich hatte den Eindruck, Herr Dankers bereitete sich innerlich auf ein sehr schweres Gespräch vor. Er ahnte wohl, dass heute etwas Besonderes passieren würde.

„Herr Steevens“, fragte mich Bennys Vater auf dem Weg vom Parkplatz, „was würden sie mir heute raten? Wie soll ich mich verhalten Benny gegenüber? Ich möchte so gerne mit ihm wieder ein gutes Vater-Sohn Verhältnis bekommen.“

„Geben sie sich Zeit. Lassen sie Benny das Tempo bestimmen. Er wünscht sich das auch sehr, aber vergessen sie nicht, was er erlebt hat. Er muss erst wieder das Vertrauen zu ihnen finden.“

Wir standen vor der Station und ich hatte bereits geklingelt, um eingelassen zu werden. Eine junge Pflegerin öffnete uns die Tür. Wir zeigten unsere Ausweise vor und sagten, dass wir einen Termin mit Dr. Steiner hätten. Die Dame ließ uns freundlich hinein. Wir wurden in einen Wartebereich geleitet und gebeten dort einen Moment zu warten. Ich fragte das Personal, ob ich vielleicht Benny noch kurz begrüßen dürfte. Das wurde mir erlaubt und so ging ich allein zu Benny. Ich klopfte an der Tür und betrat sein Zimmer.

„Hallo Benny, hast du gut geschlafen?“

„Marc, schön, dass du gekommen bist. Ist mein Papa nicht mitgekommen?“

„Doch Benny, alles in Ordnung. Er sitzt im Wartebereich. Wir haben gleich das Gespräch mit Dr. Steiner. Vorher darf er dich nicht besuchen. Das ist eine Sicherheitsmaßnahme der Station hier. Wie geht es dir?“

„Ganz gut, ich habe in der letzten Nacht sogar keinen Alptraum gehabt. Aber ich glaube, ich bin etwas aufgeregt. Komisch, oder?“

„Nein, ich finde das vollkommen in Ordnung. Heute wirst du ein neues Kapitel beginnen mit deinem Vater. Ich hoffe, es wird für euch alles in die richtige Richtung gehen. Also ich muss dich jetzt fragen. Willst du dich heute mit deinem Vater treffen und mit uns die weiteren Schritte besprechen?“

„Ja Marc, ich will das. Er soll alles erfahren und ich hoffe, er wird mich so akzeptieren.“

Ich nickte und bat ihn noch einen Moment zu warten, wir würden ihn dann gemeinsam zum Gespräch abholen.

Dr. Steiner hatte bereits Bennys Vater begrüßt und sie unterhielten sich im Wartebereich, als ich wieder zu ihnen stieß. Ich begrüßte den Doktor und wir gingen in das Besprechungszimmer.

Nachdem wir Platz genommen hatten, berichtete Dr. Steiner dem Vater, was alles vorgefallen war und was Benny mittlerweile alles erzählt hatte. Der Vater war sichtlich gezeichnet, als der Doktor endete. Erst als der Doktor folgendes sagte:

„Herr Dankers, Benny hat den Wunsch, sich mit ihnen und Herrn Steevens zu unterhalten. Er möchte, dass sie wieder zusammenkommen und er nicht mehr allein mit seinen Sorgen ist. Sind sie bereit, ihren Sohn bei diesem Vorhaben, wieder ein normales Leben führen zu können, zu unterstützen?“

Der Vater hatte sichtlich mit seinen Gefühlen zu kämpfen.

„Wenn mein Sohn sich das von mir als seinem Vater noch wünscht und er mich noch als Vater möchte, dann ja. Absolut, ich will aus meinen Fehlern lernen und mich meinem Sohn stellen.“

Dr. Steiner gab dem Stationspersonal die Information weiter und bat eine Schwester, Benny zu holen. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und Benny betrat den Raum. Für einen Moment herrschte eine angespannte Stille. Herr Dankers stand Benny gegenüber und beide sahen sich an. Benny überwand seine Angst und beide fielen sich in die Arme. Es war sehr emotional. Ich schaute den Arzt an und er gab mir zu verstehen, die beiden für einen Moment allein zu lassen. Das taten wir, indem wir kurz den Raum verließen. Einige Minuten später gingen wir wieder hinein und das Gespräch verlief wirklich sehr positiv. Wir verständigten uns darauf, dass ich beantragen würde, die Vormundschaft zurückzugeben. Der Arzt wollte das auch unterstützen.

Des Weiteren hatte sich Benny entschieden, in dieser Klinik seine begonnene Therapie fortzusetzen. Vater und Sohn sollten die ersten Treffen nicht allein durchführen, um Benny ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Damit waren beide einverstanden.

Der Vater hatte bereits Strafanzeige gegen Bennys Mutter gestellt und ihr ein Hausverbot erteilt. Da sie allerdings noch bis auf unbestimmte Zeit zwangsweise in einer Klinik untergebracht sein würde, war das nicht so relevant. Beide redeten viel direkt miteinander. Das gefiel mir sehr gut. Es war ein guter Anfang und wir verabredeten uns für ein weiteres Gespräch am nächsten Tag. Wenn sich Benny weiterhin so stabil zeigen würde, sollte er bereits morgen wieder aus der Klinik entlassen werden. Nach einer guten Stunde war das Gespräch beendet und wir verabschiedeten uns von Dr. Steiner. Wir begleiteten Benny noch zu seinem Zimmer und ich wollte dann bereits uns verabschieden, denn Benny hatte noch eine Therapiesitzung. Allerdings wollte Benny mir noch etwas mitteilen, ohne seinen Vater. Ich bat also Herrn Dankers, bereits allein zum Auto zu gehen.

„Was hat du auf dem Herzen, Benny?“

„Ich möchte Papa morgen meinen Freund vorstellen. Ich will, dass er erfährt, dass ich schwul bin. Ich will mich nicht länger verstecken müssen bei meinen Freunden. Wenn er damit nicht klarkommt, brauchen wir hier nicht weiter machen. Dann lieber ohne Familie.“

„Wie stellst du dir das vor? Soll ich Marcel morgen mitnehmen? Dein Vater wird sicherlich schon da Verdacht schöpfen. Ich halte das für schwierig. Wenn du das wirklich morgen machen willst, sollte Marcel schon hier sein, wenn wir kommen. Soll ich das wirklich organisieren? Ist das dein Wille und hast du dir das gut überlegt? Hast du mit Marcel gesprochen?“

„Ich will das unbedingt. Ich habe mir das lange genug überlegt. Ich liebe Marcel und er liebt mich, ich will in meinem Freundes- und Familienkreis klare Verhältnisse haben. Mit Marcel habe ich das jetzt noch nicht besprechen können.“

„Gut, Benny, ich finde das mutig, aber ich unterstütze dich. Ich schlage vor, du telefonierst mit Marcel, und wenn er das auch so möchte, soll er mich anrufen und ich kümmere mich darum, dass er vor uns bereits hier ist. Ok?“

„Danke, Marc. Ich bin wirklich nur glücklich, dass du so für mich da bist.“

Dabei umarmte er mich und es lief ihm eine kleine Träne über die Wange. Ich streichelte ihm den Rücken und dann verabschiedete ich mich.

„Benny, du hast einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wir bekommen das hin, nicht heute, nicht morgen, aber in der Zukunft wird es wieder Normalität geben.“

Damit verließ ich das Zimmer und Herr Dankers und ich fuhren nach Hause. Ich setzte Bennys Vater an der Pension ab und vereinbarte, ihn morgen rechtzeitig abzuholen.

Ich kam passend zur Mittagszeit zu Hause an. Von Mick und Lukas war noch nichts zu sehen. Ich hatte auch noch keine Nachricht erhalten, ob sie bestanden hatten oder nicht. Ich war doch ein wenig gespannt. Also gut, abwarten war die Devise. Leif war noch in der Schule und wollte auch erst mit Stefanie etwas unternehmen. Ich hatte also den Nachmittag frei. Ich beschloss in Anbetracht des tollen Wetters mit der Cobra einen Ausflug zu machen. Ich ging in die Garage und fuhr mit meinem Biest nach draußen, nahm mein Handy und rief bei Sabine an. Ich hatte die Idee mit ihr Essen zu fahren.

„Maergener“, meldete sie sich.

„Hallo Sabine, hast du gerade etwas vor? Ich komme gerade aus der Klinik von Benny. Hast du Lust mit mir Essen zu gehen? Meine Jungs sind alle unterwegs und ich wollte das Wetter nutzen.“

„Hast du schon was von Mick und Lukas gehört? Haben sie bestanden?“

„Nein, leider nicht. Ich denke, sie werden sich sicherlich melden. Wie sieht das bei dir aus, hast du Lust?“

„Eigentlich schon, aber ich warte noch auf Lucien. Er ist noch in der Schule.“

„Wann kommt er denn?“

„In einer Stunde ungefähr.“

„Meinst du nicht, er kann auch alleine aus der Schule kommen?“

„Ich habe es ihm aber nicht gesagt, er macht sich dann sofort Sorgen, wenn ich nicht da bin und wir nichts abgesprochen haben.“

„Ach Sabine, lege ihm doch einen Zettel hin. Er ist keine fünf Jahre mehr alt. Und wenn es Probleme geben sollte, kann er doch anrufen.“

„Also gut, überredet. Wann bist du hier und wo möchtest du hin?“

„Ich komme in zehn Minuten und alles andere ist eine Überraschung.“

„Na, ob das wohl gut geht.“ Sie lachte.

Ich schüttelte den Kopf und legte auf. Ich startete den Achtzylinder und fuhr auf die Straße. Die Cobra lag sehr gut auf der Straße, und nachdem die Öltemperatur 80 Grad erreicht hatte, lies ich den Kompressor auch mal richtig atmen. Das war einfach nur geil. Der Motor bollerte und brüllte und ich malte bis in den dritten Gang noch schwarze Striche auf die Straße. Die pure Kraft. Nach einigen extra Kilometern bog ich bei Sabine in die Straße.

Ich fuhr die Einfahrt hinauf und schon öffnete sich die Haustür und Sabine kam heraus.

„Na, hast du mich schon gehört?“, fragte ich mit einem Grinsen im Gesicht.

„Ach Marc, du und deine Spielzeuge. Ich glaube, diese Dinger halten dich jung. Allerdings scheinen sie ja meinem Sohn auch zu gefallen.“

„Siehst du, also musst du dich gut mit mir stellen, sonst darf dein Kleiner nicht mehr mit mir mitfahren, dann wird er sauer und nervt dich noch mehr.“

Wie mussten beide so lachen, Sabine wollte sich gar nicht beruhigen. Sie umarmte mich einfach nur und gab mir einen Kuss.

„Bevor du mich stehen lässt, fahr los. Hoffentlich hält meine Frisur das aus. Nicht dass ich wie Rod Stewart in den Siebzigern aussehe.“

Sie hatte einfach einen tollen Humor. Ich hatte mir heute den Züricher Hof vorgestellt. Also mal edel essen gehen, nur wir beide und das ging mittags dort auch in normaler Garderobe.

Wir stellten die Cobra ab und gingen hinein. Sabine hakte sich bei mir ein und so betraten wir gemeinsam das Lokal. Wir wurden an einen schönen Tisch geleitet und wir einigten uns recht schnell auf das Mittagsmenü. Das hatte drei Gänge und hörte sich wirklich gut an. Wir genossen das tolle Essen, als mitten im Hauptgang mein Handy vibrierte. Ich schaute auf das Display, Mick.

„Hallo Mick, wie ist es gelaufen?“

„Gut, wir haben beide bestanden. Einmal war es bei Lukas wohl knapp. Er ist zu langsam gefahren.“

„Oha, und wie hat er es gemerkt?“

„Der Fahrlehrer hat ihn gefragt, wie das sein könnte, der Sohn des erfolgreichsten Rennfahrers zu sein und dann nicht zügig zu fahren.“

Das war zu viel, wir lachten uns beide kaputt. Sabine schaute mich verwundert an. Ich klärte mit Mick, wie der weitere Ablauf war. Sie wurden vom Fahrlehrer nach Hause gebracht. Ich erklärte, wo ich war und was ich noch vorhatte. Ich wollte mit Lucien noch in meine Werkstatt und dort mal schauen, was zu tun war.

Wir aßen wirklich fürstlich, und leider war es nach dem zweiten Cappuccino Zeit aufzubrechen. Ich bezahlte die Rechnung und wir machten uns auf den Weg. Leider hatte sich das Wetter geändert. Am Horizont war deutlich eine Gewitterfront erkennbar. Das wollte ich dann doch nicht, mit der Cobra im Regen fahren. Ich beschloss, erst zu mir zu fahren und die Cobra gegen den R8 zu tauschen. Fünfzehn Minuten später fuhren wir mit dem R8 bei Sabine vor dem Haus vor. Wir stiegen aus und Sabine war bester Laune. Sie gab mir einen liebevollen Kuss und genau in dem Moment kam Lucien um das Haus gelaufen. Er sah uns und klatschte spontan, mit einem fetten Grinsen im Gesicht, Beifall. Wir mussten lachen.

„Hallo Mama, hast du dich mit Marc gut amüsiert? Oder ist er wieder der Rennfahrer gewesen?“

„Ich habe mich sehr gut amüsiert, mehr verraten wir aber nicht. Und wie war es bei dir in der Schule, Schatz?“

„Langweilig. Tobi muss nur eine Sonderaufgabe abgeben. Er hat mal wieder zu viel geredet im Unterricht.“

„Ach, und du hast wieder Glück gehabt? Du redest doch bestimmt genauso viel“, provozierte ich ihn, nicht ganz ernst gemeint.

„Hör mal Luc, ich wollte jetzt noch in der Werkstatt vorbei und ein bisschen an dem Delta schrauben und Stephan mal nach dem Getriebe für den Caddie fragen. Hast du Lust mich zu begleiten?“

„Cool, klar komme ich mit. Wenn Mama mir das erlaubt, komme ich mit.“

„Schatz, meinetwegen darfst du gerne mit, aber zieh dir bitte ein paar alte Sachen an.“

„Wartest du einen Moment auf mich, dann ziehe ich mich schnell um.“

„Klar, mach mal. Ich warte hier so lange noch.“

Sabine schüttelte nur mit dem Kopf.

„Wieso tust du dir das nur an. Der Junge ist dir doch nur im Weg dort. Er kann dir doch gar nicht wirklich helfen. Er hat doch noch nie mit Werkzeug gearbeitet.“

„Ach Sabine, er freut sich immer sehr, sobald es mit Autos zu tun hat. Außerdem muss er ja mal anfangen, also ich nehme ihn gerne mit. Wir haben immer viel Spaß - Stephan meinte sogar, dass Tobi richtig Talent zum Schrauben hätte.“

„Davon weiß ich ja gar nichts. Wann waren die denn bei dir in der Werkstatt? Jetzt sag nicht, auch als ich in Basel war.“

„Bingo, genau dann. Und wir hatten viel Spaß. Du wirst sehen, Luc wird noch ein guter Handwerker.“

Der Junge kam fröhlich aus dem Haus gelaufen. Er strahlte förmlich seine Freude aus dem Gesicht. Ich war immer wieder fasziniert von dem Jungen. Vor nicht einmal einem dreiviertel Jahr, konnte er keine 200 Meter gehen. Es war unglaublich. Ich freute mich innerlich jedes Mal über sein sonniges Gemüt.

Er sprang über die Beifahrertür in den offenen R8 hinein und saß lachend und wartend in dem Sitz.

„Also so elegant komme ich nicht mehr in das Auto, Luc. Respekt. Aber bitte anschnallen, dann können wir los.“

Ich grüßte Sabine noch kurz und stieg ein. Lucien war wie immer schon ungeduldig. Wir fuhren los und unterwegs sprudelte der Junge von Geschichten aus der Schule, und was sie alles angestellt hatten. Von wegen, Schule war langweilig. Er hatte mit Tobi natürlich mitgemacht und war auch mit der Sonderaufgabe dran. Das passte mir aber nicht so wirklich. Nicht dass er mitgemacht hatte, sondern dass er seine Mutter belogen hatte.

„Luc, warum belügst du deine Mutter? Hier gibst du zu, mit Tobi zusammen den Blödsinn gemacht zu haben. Wie soll ich damit umgehen? Du erwartest von mir, dass ich dazu nichts sage, aber ich werde dadurch zum Komplizen gegen deine Mutter, das will ich nicht.“

„Mann Marc, du bist ein Spielverderber. Ich mache die Aufgabe und gut ist. Ich kann Mama davon nichts erzählen. Das würde einen Riesenaufstand geben, ich dürfte wieder mal gar nichts mehr machen, bis ich alle Sachen korrekt vorgezeigt hätte. Das nervt.“

Ich schaute zu ihm hinüber, er sah mich nicht an. Es schien ihm etwas unangenehm zu sein.

„Luc, können wir uns auf einen Deal einigen? Ich finde es schön, dass du mir vertraust und mir das erzählst, ich werde das auch nicht ausnutzen. Aber ich möchte, dass du aufhörst, deine Mutter zu belügen und ich werde mit ihr einen Deal aushandeln. Wenn du freiwillig erzählst, was passiert ist, soll sie dich dafür nicht bestrafen, was nicht heißt, dass wir alles gut finden was du machst.“

Er schaute mich aus seinen großen leuchtenden Augen an.

„Heißt das, ich muss keine Angst haben, wenn ich mal etwas Dummes gemacht habe und es zugebe?“

„Das heißt, dass du niemals Angst haben musst. Hörst du? Du musst niemals Angst haben, uns etwas zu erzählen, egal was es ist. Ich werde mit Sabine darüber reden. Ich will, dass du niemals Angst haben musst, vor deiner Mutter oder vor mir.“

Er schaute nun nur noch stumm nach vorne. Er wirkte sehr nachdenklich. Wir waren kurz vor Eintreffen an der Werkstatt. Ich legte meinen Arm um ihn und streichelte seinen Kopf. Er schaute mich an.

„Danke Marc, warum verstehst du mich immer so gut? Ich mache bestimmt keine schlimmen Sachen und passe auch auf. Ich will Mama nicht unnötig ärgern, aber manchmal nervt sie einfach nur.“

„Ist schon gut, Luc. Ich verstehe das schon. Aber weißt du, ich habe einen Vorteil gegenüber deiner Mutter. Ich habe bereits drei Söhne, die alle älter sind als du und mit denen ich das auch schon durch habe. Deine Mutter hat damit keinerlei Erfahrungen und sie will, dass es dir gut geht.“

„Ok, also du redest mit ihr? Ich verspreche dir, euch nicht mehr etwas zu verheimlichen, aber ist das auch ok, wenn ich manches zuerst dir erzähle?“

Ich schaute ihn an, er hatte ein leichtes Lächeln im Gesicht.

„Also ich weiß zwar nicht, was du damit meinen könntest, aber wenn es um Männerthemen geht, verspreche ich dir auch Vertraulichkeit. Das müssen Mütter auch nicht alles wissen, zumindest nicht sofort.“

Der Junge atmete tief aus und lachte mich an.

„Du bist so cool, Marc. Ich wünschte, du wärest mein Papa.“

Wir stiegen lachend aus dem Auto und betraten die Werkstatt. Auf der einen Bühne stand mein Caddie ohne Motor und Getriebe, dort war Stephan, der Spezialist für Motor und Antrieb war, beschäftigt. Auf der anderen Bühne stand ein 3er BMW E30 Cabrio - mittlerweile ein Klassiker. Dort machte Heiko gerade einen Ölwechsel und normalen Service.

In meinem Teil der Werkstatt stand der Delta. Ich begrüßte die beiden Jungs und sie erzählten kurz, was sie schon mit dem Caddie gemacht hatten und was noch geplant war. Ich war einverstanden und gab für alle weiteren Maßnahmen grünes Licht. Lucien und ich machten uns daran, den Delta einmal gründlich zu reinigen, ich wollte sehen wie gut oder wie schlecht die Karosserie nun wirklich aussah. Wir schoben das Auto auf den Hof und dort durfte Lucien mit dem Hochdruckreiniger das Auto gründlich reinigen. Der Junge hatte sichtlich Spaß mit dem Wasser zu arbeiten. Nach der ersten groben Reinigung war klar, hier musste größeres Geschütz her.

Ich holte mir Heiko hinzu. Er war der Lack- und Karosserieexperte.

„Was meinst du? Ich fürchte, hier hilft nur noch die Totaloperation.“

„Denke ich auch. Also alles raus, Sandstrahlen und dann neu aufbauen.“

Lucien sah uns dabei etwas enttäuscht an.

„Heißt das, ich habe das jetzt umsonst gemacht?“

„Nein Luc, du hast dafür gesorgt, dass Heiko und ich entscheiden konnten, was hier der richtige Schritt ist. Und hier hilft nur noch die große Operation.“

„Marc, ich schlage vor, ihr fangt an, alles auszubauen und dann bringen wir das Teil zum Lackierer zum Sandstrahlen.“

„Ok, am besten machen wir Baugruppen. Für jede Baugruppe eine große Kiste oder ein Ablageplatz.“

„Das ist ein guter Plan. Du machst das auch nicht zum ersten Mal.“

Luc und ich bereiteten alles für diese Aktion vor. Dann kam Stephan zu mir.

„Marc, kannst du bitte mal kommen. Ich habe da etwas gefunden, das solltest du dir mal ansehen.“

Wir gingen gemeinsam zum auf der Bühne stehenden Caddie. Das Getriebe lag auf der Werkbank. Stephan hatte es bereits geöffnet und die Zahnradmechanik lag offen zur Schau. Stephan hielt mir ein großes Zahnrad hin und ich sah sofort, das würde eine größere Sache. Das Zahnrad war übersät mit Metallspänen.

„Oh oh, das sieht nicht gut aus. Ich habe es fast befürchtet. Der Motor hat einfach zu viel Drehmoment für das Seriengetriebe. Was schlägst du vor? Macht das noch Sinn, dass hier noch einmal zu reparieren oder sollte ich ein neues, stärkeres Getriebe nehmen?“

„Ganz ehrlich Marc, man kann das reparieren, aber in einem Jahr haben wir wieder das gleiche Problem. Auch wenn es jetzt richtig teuer wird, aber dann hast du Ruhe. Eine neue Wandlerkupplung und das passende Getriebe, dann ist für die nächsten dreißig Jahre Ruhe.“

Ich musste lachen, aber auch der Gedanke an die Kosten war nicht ohne. Gut, ich musste nicht ernsthaft nachdenken, ob ich mir das leisten konnte. Aber wäre ein anderes Auto nicht auch eine Option, also den Motor ausbauen, und ein anderes Auto suchen. Der Caddie war mir aber ans Herz gewachsen.

„Klare Entscheidung, besorgst du ein neues Getriebe, das die höhere Leistung verträgt? Wenn du etwas gefunden hast, sag bitte grade Bescheid. Vielleicht ein Bowler Getriebe? Diese Firma hat die größte Erfahrung mit solchen Motoren.“

„Ich sehe schon, du verstehst wirklich etwas von der Sache. Ich werde mit Bowler in den Staaten Kontakt aufnehmen.“

„Warte mal, vielleicht gibt es da noch eine andere Adresse. Ich weiß da noch eine Adresse in München. Die sind absolut spezialisiert auf amerikanische Fahrzeuge. Dort sollten wir zuerst anfragen. Vielleicht haben die eine einfachere und schnellere Lösung.“

„Du meinst den Karl Geiger?“

„Genau, da wollte ich eh schon immer mal hinfahren. Vielleicht finde ich dort sogar noch ein neues Spielzeug. Der Karl ist genauso ein Verrückter wie ich.“

Wir mussten lachen. Lucien schaute mich ratlos an, er hatte das Gespräch nicht ganz mitbekommen.

„Also gut, ich werde mich mit Bowler und du mit München in Verbindung setzen. Wenn ich etwas erreicht habe, sage ich dir Bescheid.“

„Super, danke Stephan.“

Ich machte mich mit Lucien nun daran, den Innenraum des Lancia komplett leer zu räumen. Nachdem wir drei Stunden hart gearbeitet hatten, war der Innenraum blank. Genug für heute. Ich ging zu Stephan und Heiko hinüber.

„Jungs, wie sieht es bei euch aus? Lust auf ne Pizza? Wir haben genug gearbeitet für heute, jetzt sollte mal eine Pause her.“

Sie waren irritiert. Sie hatten sich noch nicht daran gewöhnt, dass ich mich als normalen Hobbyschrauber sah, der keinerlei Berührungsängste hatte.

Ich bestellte für alle also Essen, als die Tür der Halle aufging und Marcel plötzlich in der Werkstatt stand. Ich nahm die Gelegenheit und orderte einmal Pasta mehr und begrüßte Marcel anschließend.

„Hi Marcel, was führt dich denn her?“

„Hallo Marc, Benny hatte mich angerufen und mich gebeten mit dir den morgigen Tag zu besprechen.“

Ich hatte das doch total ausgeblendet, die Schrauberei hatte mich vollkommen abgelenkt.

„Richtig, was habt ihr besprochen?“

„Er möchte seinem Vater unbedingt die ganze Wahrheit erzählen. Er will klare Verhältnisse.“

„Was willst du denn?“

„Ich möchte, dass er das entscheidet. Ich habe ja nichts zu befürchten zu Hause. Aber wenn er deswegen jetzt auch noch seinen Vater verliert, das will ich eigentlich nicht.“

„Marcel, wenn sein Vater damit nicht klarkommt, wird es eh schwer werden, mit den beiden. Dann würde ich wohl einige Zeit noch für Benny mehr sein, als nur ein guter Freund. Ich würde ihn nicht hängen lassen. Ich glaube aber, der Vater wird es irgendwann begreifen, vielleicht braucht er mehr Zeit, aber er wird seinen Sohn nicht hängen lassen.“

„Ok, du meinst also, er hat damit Recht?“

„Ja, ich finde es eine richtige Entscheidung, für klare Verhältnisse zu sorgen.“

„Wie soll das denn dann ablaufen? Ich kann ja schlecht mit euch zusammen dahin fahren und Benny sagt dann einfach, dass ich sein Freund bin.“

Ich musste schmunzeln.

„Nein, du fährst vorher schon hin. Du solltest schon eher dort sein und dich mit Benny absprechen. Ich komme mit dem Vater dann später nach. Wenn alles gut läuft, nehmen wir dich mit zurück.“

„Aber wie soll ich dort hinkommen? Mit dem Bus ist das sehr schwierig. Ich muss ja auch erst in die Schule.“

„Ich bringe dich hin. Ich hole dich aus der Schule ab, fahre dich in die Klinik, hole den Vater ab und komme dann wieder in die Klinik.“

„Das ist doch für dich ein riesen Aufwand. Wird das nicht zu viel für dich?“

„Unsinn. Dafür ist nichts zu viel. Keine Widerrede, so machen wir das.“

Stephan hatte von dem letzten Teil des Gespräches allerdings etwas mitbekommen.

„Du Marc, ich muss morgen eh in das Krankenhaus. Meine Mutter arbeitet dort und ich hole sie mittags dort ab. Dann kann ich doch Marcel mitnehmen. Dann brauchst du nur einmal fahren.“

Ich war sichtlich erstaunt, aber auch erfreut über das Angebot. So wollten wir das dann auch machen. Wir warteten noch auf unser Essen und Marcel sah sich ein wenig in der Werkstatt um. Wir besprachen die Strategie für morgen und dann kam auch schon der Pizzaservice.

Eine Stunde später saßen Lucien und ich gut gesättigt im Auto und fuhren nach Hause. Ich setzte den Jungen zu Hause ab und fuhr direkt weiter. Ich wollte unbedingt schnell unter die Dusche.

Benny: Tag der Wahrheit

Ich war echt nervös. Heute wollte ich meinem Vater sagen, dass ich einen festen Freund hatte und ich also schwul sei. Was würde wohl passieren. Er war extrem konservativ erzogen worden, hatte eine Bankausbildung gemacht und war dort seit Jahren ein erfolgreicher Personalmanager. Ich hatte ihn die letzten Jahre nur sehr selten gesehen, geschweige denn ein persönliches Verhältnis zu ihm gehabt. In den letzten Wochen war viel passiert. Marc hatte mir mit seiner Familie einen neuen Lebensmut gegeben und mir Ziele aufgezeigt. Ich wollte wieder leben! Dann fand ich auch noch gleichgesinnte Freunde. Es war wie im Märchen, hier wollte ich nicht wieder weg. Aber ich wollte auch nicht mehr länger verstecken spielen, ich wollte mit Marcel endlich frei sein.

Bevor heute Mittag mein Vater mit Marc herkommen wollte, hatte ich mich mit Marcel verabredet. Auch mein Doktor und Therapeut wollte bei diesem Vorgespräch kurz dabei sein. Ich hatte mich innerlich auf das Gespräch vorbereitet, allerdings hatte ich keine Ahnung was passieren würde.

Ich saß um kurz vor zwei in meinem Zimmer und schaute, immer nervöser werdend, auf die Uhr. Die Zeit wollte nicht vorbei gehen. Es klopfte und ich sprang auf.

„Herein“

Die Tür öffnete sich und Dr. Steiner betrat freundlich mein Zimmer. Dieser Arzt war für mich ein Rätsel. Er hatte mich immer so akzeptiert, wie ich war. Ohne Kompromisse. Er war auch derjenige, der mich aufgemuntert hatte, meinem Vater die Wahrheit zu sagen.

„Hallo Dr. Steiner, ist es schon so spät?“

„Hallo Benny, nein, wir haben noch etwas Zeit, aber ich wollte nach dir schauen. Wie geht es dir gerade? Kannst du die Angst noch aushalten?“

„Woher wissen sie, dass ich Angst habe? Ich habe es nie erwähnt.“

Es war mit peinlich, zugeben zu müssen, dass ich Angst hatte.

„Benny, ich sehe es an deiner Körperhaltung und daran wie du dich verhältst. Du versuchst stark zu sein, aber ich spüre deine Angst.“

„Ist das so offensichtlich? Ja, ich fürchte mich vor dem, was gleich kommen wird.“

„Es ist doch vollkommen normal, deine Situation ist nicht angenehm, aber eigentlich hast du doch allen Grund fröhlich zu sein. Du hast mit Marcel einen tollen und sehr netten Freund und mit Marcs Familie und Freunden ebenfalls Rückhalt. Was soll schon passieren? Du schaffst das, ich habe ein gutes Gefühl bei deinem Vater.“

„Aber er ist so konservativ, in allem was er bislang gemacht hat.“

Es klopfte erneut an der Tür. Der Doktor sagte herein und die Tür öffnete sich. Marcels Kopf schaute durch die Tür.

„Störe ich noch? Soll ich draußen warten?“, fragte er sichtlich verunsichert.

Mein Herz begann zu rasen. Ich wollte ihn am liebsten sofort umarmen und küssen.

„Komm rein, ich bin gleich wieder weg“, sagte der Doktor mit einem Lachen in der Stimme.

Ich wusste nicht, wie soll ich mich verhalten. Marcel kam herein und stand nur wenige Zentimeter vor mir.

„Hallo Benny, wie geht es dir gerade?“

„Es geht so. Ich fühle mich einfach elend.“

Und wieder mischte sich der Doktor ein:

„Sagt mal, was ist das für eine Begrüßung hier. Benny, du lässt dich jetzt noch mal ein paar Minuten von deinem Freund verwöhnen. Marcel, ich lasse euch mal etwas allein.“

Er zwinkerte ihm mit den Augen zu und verließ mein Zimmer. Mein Herz raste. Marcel konnte sich nicht mehr zurückhalten und wir umarmten uns. Marcel küsste mich und ich spürte seine Nähe. Was für ein geiles Gefühl ihn so nahe zu spüren. Sein Atem und seine Hände, einfach nur Wahnsinn.

Leider spürte ich auch in meiner Hose eine Reaktion, ausgerechnet jetzt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich jetzt noch erregt würde, vor diesem Gespräch, aber Marcel tat mir so gut. Wir streichelten uns und irgendwann spürte ich bei ihm genauso eine Beule in der Hose. Dann nahm er einfach meine Hand und führte sie unter sein T-Shirt. Ich fühlte seine weiche Haut und ich wurde richtig geil. Er hatte die gleichen Gedanken und wenige Augenblicke später, spürte ich seine Hand über meinen Bauch gleiten. Es war ein herrliches Gefühl, ich wollte mehr davon. Er ging immer tiefer, Richtung meines Hosenbundes. Plötzlich machte es in meinem Kopf „Klick“ - ich bekam Angst.

„Marcel, nicht. Nicht hier. Ich habe Angst davor. Bitte lass uns warten.“

Er war sichtlich enttäuscht, sagte aber nichts. Er nahm mich nur in den Arm und flüsterte mir ins Ohr.

„Es ist ok Benny, danke, dass du es sagen kannst, dass es dir zu viel wird. Ich liebe dich. Irgendwann wird es auch für dich schön sein.“

Das war eindeutig zu viel für mich. Mir liefen die Tränen. Er erschrak und nahm mich nur schweigend in den Arm. Es war so schön von ihm gehalten zu werden. Es wurde mir klar, mit Marcel, Marc und all meinen neuen Freunden würde ich niemals wieder allein sein. Was für ein Gefühl.

„Benny, wir schaffen das gemeinsam. Ganz bestimmt.“

Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, ging Marcel kurz aus dem Zimmer und kam mit dem Doktor zurück.

„Na, geht es dir wieder besser? Hat dich dein Freund ein wenig aufgemuntert?“

Dieses Grinsen war eindeutig. Er konnte sich vermutlich denken, was passiert wäre, wenn ich nicht wieder diese scheiß Ängste bekommen hätte.

„Kommt, wir sollten uns auf den Weg machen. Ich vermute, dass dein Vater bald hier sein wird.“

Jetzt wurde es ernst. Es gab kein zurück mehr. Mir wurde ein wenig schlecht. Marcel spürte sofort, was mir durch den Kopf ging. Er nahm mich in den Arm und wir gingen eng umschlungen in das Besprechungszimmer.

Ich wusste jetzt einfach nicht, wie wir uns hinsetzen sollten. Der Doktor riet uns, nicht zu direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. Also setzten wir uns einfach ganz normal an den Tisch und warteten auf meinen Vater und Marc. Der Doktor wollte sie in Empfang nehmen.

Diese Minuten wurden für mich zu Stunden. Ich war so nervös, und ich hatte Angst. Angst vor der Reaktion meines Vaters. Ich wollte nicht auch noch meinen Vater verlieren, aber ich wollte auch nicht länger lügen müssen.

Die Tür ging auf und der Doktor kam mit Marc und meinem Vater in den Raum. Ich stand auf, ging meinem Vater entgegen. Wir umarmten uns und ich begrüßte Marc genauso herzlich. Marc nickte mir fast unmerklich zu. Er machte mir Mut. Marcel schaute zu uns. Auch er stand nun auf und begrüßte meinen Vater, der schaute jetzt ziemlich verwundert. Er hatte nicht mit Marcel gerechnet. Er war sichtlich verärgert. Er verstand es einfach nicht und wollte eigentlich direkt protestieren. Bevor er auch nur einen Satz sagen konnte, nahm ihm der Doktor jeglichen Wind aus den Segeln.

„Herr Dankers, das Marcel hier sitzt, hat einen Grund. Er sitzt hier auf ausdrücklichen Wunsch ihres Sohnes. Das werden wir ihnen, bzw. wird ihnen ihr Sohn erklären. Nehmen sie bitte Platz. Herr Steevens, nehmen sie doch bitte auch Platz.“

Marc sah meine Angst. Er kam zu mir und setzte sich neben mich. Das gab mir sehr viel Sicherheit. Er würde mich sicher beschützen.

Wir saßen alle, als Papa mich ansprach:

„Benny, wie geht es dir heute? Hast du dich ein wenig gefangen hier? Du hast, wie ich gehört habe, bereits mit der Therapie begonnen.“

„Ich habe bereits viel für mich getan. Allerdings habe ich das zu ganz großen Teilen, Marc und meinen Freunden zu verdanken. Auch komme ich mit Dr. Steiner sehr gut klar. Ich will auf jeden Fall hier mit dem Doktor weiter arbeiten.“

„Das freut mich, Dr. Steiner hat mir bereits erklärt, was ihr geplant habt. Ich bin sehr froh darüber. Ich werde das auch voll unterstützen. Auch wenn die Krankenkasse das nicht übernehmen sollte, ich werde dir das dennoch ermöglichen. Egal was passiert.“

Dieser Satz schien ein guter Einsatz zu sein, denn Marc gab mir mit der Hand einen Wink. Auch Marcel nahm meine Hand. Mir wurde richtig heiß.

„Papa, du hast gerade gesagt, du willst mich unterstützen, egal was passiert. Ich möchte dir jetzt aber etwas sagen, also …“

Mir wurde wirklich schwindelig, der Schweiß trat mir auf die Stirn und meine Stimme begann zu zittern.

„… Marcel ist hier, weil …“

Es war absolute Stille im Raum, Marc und der Doktor sahen mich an und Marc gab mir mit seinen Augen Zuspruch. Mein Vater war total angespannt, er musste gespürt haben, dass hier etwas passieren würde.

„… er mein Freund ist. Ich liebe ihn und ich bin schwul.“

Völlige Stille im Raum. Ich hatte es gesagt, mein Vater saß völlig regungslos am Tisch. Er schaute uns beide an. Ich konnte keinerlei Gesichtszüge erkennen. Diese Sekunden waren unerträglich. Ich begann zu zittern, am ganzen Körper. Ich konnte es nicht mehr kontrollieren. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hinausgelaufen.

Ich spürte plötzlich einen kräftigen Arm um meine Schultern. Marc hatte mich einfach genommen und gehalten. Er zeigte demonstrativ meinem Vater, wie er zu mir stand.

Mein Vater hatte immer noch nichts gesagt. Er saß weiterhin starr an seinem Platz. Marcel war genauso verunsichert. Er wollte mich jetzt nicht umarmen, er wollte keine Eskalation. Ich hörte, wie mein Vater tief Luft holte.

„Benny, ich bin jetzt einfach nur überrascht. Ich brauche einen Moment, das zu begreifen.“

Er stand einfach auf und verließ wortlos den Raum. Das war für mich unerträglich. Marcel fiel mir um den Hals und wir weinten beide. Marc blieb bei uns, der Doktor ging hinter meinem Vater aus dem Raum. Marc ließ mich mit meinem Freund allein, aber er blieb in unserer Nähe. Das gab mir Sicherheit, ich konnte alles loslassen, ich weinte und mir liefen die Tränen. Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Marcel hielt mich einfach nur fest.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so da saßen, plötzlich öffnete sich die Tür und mein Vater kam mit dem Doktor gemeinsam zurück in den Raum. Er erschrak, als er mich in diesem Zustand sah.

„Benny, um Gottes Willen. Hast du Angst, ich würde dich jetzt verstoßen? Warum weinst du?“

Ich konnte nur noch nicken, sprechen war nicht möglich. Marc stand hinter mir und streichelte mir über die Schultern.

Er kam auf mich zu, er war auch unsicher, aber dann nahm er meine Hände und stand vor mir.

„Mein Sohn, ich bin nicht darauf vorbereitet gewesen, was du mir gerade mitgeteilt hast, aber ich verspreche dir, du bist und bleibst mein Sohn. Ich werde dich genauso unterstützen, wie ich es vorher geplant habe. Es wird sich für mich nur etwas ändern, in dem ich deinen Freund ebenfalls genauso unterstützen werde, als ob du eine Freundin hättest. Benny, gib mir aber ein bisschen Zeit, mich daran zu gewöhnen. Ich habe keine Erfahrung mit dieser Situation.“

Er hob mich aus meinem Stuhl und umarmte mich. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Es war einfach zu viel für mich.

Marc nahm Marcel und sie gingen mit dem Doktor hinaus. Ich war mit meinem Vater allein. Wir standen am Fenster und er hielt mich einfach in seinem Arm fest. Das war für mich ein völlig neues Gefühl. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir das jemals so gemacht hatten. Aber es war schön.

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