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The race is over

Teil 5

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Alles, was sich in dieser Geschichte mit Bennys Vergewaltigungen und Misshandlungen abspielt, ist real passiert. Nur den Namen habe ich geändert. Ich habe die schlimmsten Details nicht beschrieben, weil ich nicht schocken möchte, sondern wachrütteln. Jeder kann seinen Teil beitragen, indem er hinschaut und diesen Kindern hilft. Es gibt Organisationen in Deutschland, die diesen Kindern unbürokratisch helfen können. Aber die Behörden müssen aufmerksam werden auf das Leiden dieser Kinder. Schaut also nicht weg, diese Kinder brauchen unsere Hilfe. Und lasst euch nicht täuschen, viele dieser Familien sind nach außen sehr „Bürgerlich“ und manchmal auch sehr wohlhabend. Reichtum schützt nicht vor Missbrauch und Misshandlung.

Marc: Wie geht es weiter?

Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, stand Marcel etwas verlegen und verloren neben mir, während Benny mit seinem Vater am Fenster stand.

Herr Dankers drehte sich um.

„Marcel, kommst du bitte mal her.“

Marcel schaute mich unsicher an, ich nickte ihm zu und er ging hinüber. Herr Dankers streckte seine Hand aus.

„Ich möchte mich entschuldigen, auch dir möchte ich sagen, dass du vollkommen akzeptiert bist. Benny scheint dich sehr zu mögen und ich möchte dich besser kennenlernen. Es ist nur für mich alles ganz neu und wir haben viel aufzuarbeiten. Ich weiß noch nicht, wie ich damit am besten umgehen kann, aber ich habe kein Problem damit, dass mein Sohn schwul ist und einen Freund hat. Also lasst uns gemeinsam an der Zukunft arbeiten.“

Marcel gab ihm die Hand und Herr Dankers zog ihn an sich und umarmte auch ihn. Das war ein wirklich schönes Bild. Dr. Steiner schlug vor, dass Benny bereits am selben Tag nach Hause gehen sollte und sich mit seinem Freund und seinem Vater beschäftigen sollte. Für morgen lud er die beiden Dankers zu einem Therapiegespräch ein und damit löste sich diese Veranstaltung auf.

Wir fuhren gemeinsam mit meiner Limousine nach Hause. Ich wollte zuerst Herrn Dankers in der Pension absetzen. Zu meiner Überraschung wollten Benny und Marcel dort ebenfalls aussteigen und mit Bennys Vater den Nachmittag noch gemeinsam verbringen. Das fand ich eine tolle Idee und war innerlich sehr froh über diese Entwicklung. Es war ein guter Beginn für Bennys bessere Zukunft.

Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, fuhr ich nach Hause. Ich hatte noch einige Dinge für die Reise nach Sao Paolo zu regeln und außerdem hatte ich noch einen Termin abzuklären. Ich sollte bei einem Nachwuchs Kartrennen die Siegerehrung übernehmen und gleichzeitig für einen Sponsor eine Talentsichtung übernehmen. Solche Termine übernahm ich recht gerne, denn so konnte ich den Nachwuchs beobachten und hatte auch noch Spaß dabei. Das lag mir jedenfalls viel mehr, als bei irgendwelchen Sponsoren Terminen nur „wichtigen“ Managern ein paar unnütze Fragen zu beantworten.

Zu Hause angekommen stellte ich fest, dass wieder einmal niemand zu Hause war. Allerdings hatte mir Leif eine Nachricht hinterlassen. Er war mit Nico und Tommy unterwegs. Außerdem sollte ich bei Tim mal anrufen. Das tat ich dann auch zuerst.

Tim meldete sich.

„Hallo Marc, schön, dass du so schnell anrufst.“

„Hi Tim, was hast du auf dem Herzen?“

„Ich habe eine Bitte. Du fliegst doch am Wochenende mit deinen Jungs nach Sao Paolo, oder?“

„Ja, so ist es geplant, warum?“

„Nun, ich würde Manuel gern überraschen. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nicht kommen könnte, weil ich Klausuren schreiben muss. Die Klausur wurde verschoben, weil die Lehrerin erkrankt ist. Nur das Problem ist, dass ich so schnell keinen Flug mehr bekomme. Kannst du vielleicht fragen, ob ich bei euch mitfliegen könnte?“

„Oh, das wird Manuel sicher freuen. Ich werde sehen, was ich tun kann, denke aber, das sollte wohl klappen. Ich melde mich bei dir. Bereite dich schon mal für die Reise vor. Vor allem den Reisepass checken. Den brauchst du nämlich für Brasilien.“

„Danke, Marc. Das wäre echt toll.“

Eine Notiz in meinen Terminplaner machend, legte ich auf. Ich ging in mein Arbeitszimmer, startete den PC und kochte mir erst einmal einen schönen grünen Tee. Ich hatte schon einige Zeit meine E-Mails nicht abgerufen und fand dort doch einiges an Arbeit vor. Es dauerte einige Zeit, bis ich alles bearbeitet hatte.

Das nächste Ziel für heute war, den TT noch nach Hause zu holen. Meine beiden Jungs hatten jetzt den Führerschein und sollten auch sehen, dass ihr Auto fertig ist. Ich rief deshalb bei Sabine an und bat sie mich zu begleiten. Alleine konnte ich ja keine zwei Autos bewegen. Ich sollte in einer halben Stunde bei ihr sein.

Bis dahin hatte ich noch einen Moment Zeit, ich rief im Renn-Team an und klärte den Flug für Tim. Er konnte mit dem Team zusammen fliegen. Allerdings würde das bereits einen Tag früher auf die Reise gehen. Ich informierte ihn daraufhin, dass er einen Tag mehr in der Schule fehlen müsste.

Vor einer roten Ampel stehend, saß ich in meiner Cobra. Vor mir gingen drei Jungs über die Straße und schauten sich mein altes Schätzchen an. Einer von ihnen nickte anerkennend und fragte nur:

„Echt oder Replica?“

Ich war überrascht, der Junge war höchstens vierzehn oder fünfzehn. Es war recht selten, dass sich Jugendliche in diesem Alter für Oldtimer interessierten.

„Echt!“, sagte ich.

Daraufhin zeigte er mir den Daumen hoch und die anderen staunten ebenfalls. Ich lachte und musste aber losfahren, weil die Ampel grün wurde. Ich grüßte noch kurz und fuhr dann weiter zu Sabine.

Sie stieg zu mir ins Auto und begrüßte mich mit einem Kuss.

„Hallo Marc, alles gut gelaufen heute in der Klinik?“

„Ja, wirklich sehr gut. Der Doktor hat Benny sogar heute noch entlassen und beide Jungs sind bei Bennys Vater geblieben. Hoffentlich kann Benny endlich wieder so etwas wie eine Familie bekommen.“

„Das wäre wirklich toll. Es ist schon unglaublich, was er bisher alles erleiden musste. Ich wünsche es ihm sehr. Was anderes, hast du eigentlich schon etwas geplant für den Geburtstag von Mick?“

„Nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Warum fragst du?“

„Nun, hier ist es so Brauch, dass die Eltern den achtzehnten Geburtstag eines Kindes planen und auch ausrichten. Ich finde, das solltest du auch machen. Schließlich haben sie dir ja auch mit der Party bei Tim eine Überraschung gemacht.“

Das war allerdings korrekt. Das würde für mich aber eine große Aufgabe werden, diese Party auch nur annähernd zu erreichen.

„Ok, wenn wir aus Sao Paolo zurück sind, werde ich mir Gedanken dazu machen. Hättest du denn Lust, mich zu unterstützen?“

„Ja, sehr gerne. Ich würde mich freuen, diese Party mit dir vorzubereiten.“

Ich schmunzelte und damit war klar, diese Party würde bestimmt lustig werden. Sabine hatte immer sehr kreative Ideen für solche Anlässe.

Wenige Minuten später standen wir vor unserer Werkstatt und ich holte die Papiere und Schlüssel. Sabine wartete in meiner Cobra.

Es dauerte einen Moment, bis ich das Tor geöffnet hatte und dann konnte ich mit dem TT aus der Halle fahren. Ich stellte den Wagen neben die Cobra.

„Möchtest du die Cobra fahren oder den TT?“

„Du würdest mich die Cobra fahren lassen?“, fragte Sabine erstaunt.

„Sicher, warum denn nicht? Wenn du dir das zutraust, klar.“

„Ich würde es wirklich gerne mal versuchen, erklärst du mir das Wichtigste gerade?“

Ich stieg aus dem TT und erklärte ihr die Bedienung. Die wichtigsten Hinweise waren eigentlich über die Dinge, die nicht vorhanden waren. Keine Servolenkung, kein ABS, keinerlei Luxus und so weiter. Dennoch blieb sie dabei und fuhr tatsächlich ohne das Auto abzuwürgen im ersten Versuch vom Hof. Als wir wenige Minuten später bei mir in die Einfahrt fuhren, musste ich feststellen, Sabine hatte sich sehr geschickt mit dem Monster angestellt. Ich fuhr den TT in die Garage und kam wenige Augenblicke später wieder heraus. Sabine war bereits ausgestiegen und wartete auf mich.

„Warum bist du ausgestiegen? Ich muss dich doch noch nach Hause bringen.“

„Du würdest doch nicht wollen, in deiner Cobra von mir gefahren zu werden. Nicht dass du den Herztod stirbst und ich schuld habe.“

Ich schaute sie an und musste so lachen. Wir bekamen uns kaum wieder ein. Eines musste ich ihr lassen, sie hatte einen tollen Sinn für Humor.

„Also du hast die Cobra wirklich gut bewegt. Ich muss zugeben, ich hatte es nicht erwartet, weil sie nicht einfach zu fahren ist. Also, du fährst, ich lasse mich mal fahren.“

Sie staunte und musste aber auch grinsen. So geschah es, dass wir bei ihr zu Hause mit mir auf dem Beifahrersitz in die Einfahrt fuhren. Lucien stand zufälligerweise mit Tobi im Garten und sah, wie seine Mutter mit der Cobra in die Einfahrt fuhr. Als wir ausgestiegen waren, stand er bereits vor uns und konnte sich kaum beruhigen.

„Mama, du kannst die Cobra fahren? Wie geil. Und Marc, hast du es überlebt oder war es sehr schlimm?“

Für diese Frage erhielt er von seiner Mutter einen ganz bösen Blick. Ich lachte und meinte nur:

„Da ich noch antworten kann, werde ich es wohl überlebt haben. Nein, kein Scherz, deine Mutter ist wirklich sehr gut gefahren. Sie hat Talent dafür.“

Lucien schien sogar ein wenig stolz auf seine Mutter zu sein. Er umarmte sie zur Begrüßung und mich auch. Ich freute mich immer wieder über diesen Jungen.

„Sag mal, wie ist das am Wochenende? Möchtet ihr uns begleiten nach Sao Paolo? Ich würde mich sehr freuen.“

Sie sah mich erstaunt an. Lucien hatte diese Frage schon nicht mehr mitbekommen, weil er mit Tobi bereits davon geradelt war.

„Marc, danke für diese Einladung, aber das geht nicht. Luc muss in der Schule noch einiges aufholen und ich möchte ihn nicht zwei Tage einfach fehlen lassen. Außerdem würde das sehr anstrengend für ihn sein. Diesmal lieber noch nicht.“

„Schade, aber ich kann dich verstehen. Wie gut, dass er das nicht mitbekommen hat. Ich werde ihm auch nichts davon sagen. Sonst würde er bestimmt immer wieder nörgeln.“

Wieder mussten wir beide lachen. Wir verabschiedeten uns mit einem Kuss und ich fuhr wieder nach Hause. Allerdings nicht ohne beide für den morgigen Abend bei Salvatore zum Essen eingeladen zu haben.

Benny: Einer der schönsten Abende meines Lebens.

Ich hatte meinem Vater heute Morgen mitgeteilt, dass ich einen Freund hatte und schwul war. Entgegen meiner großen Angst hatte mein Vater es ziemlich gut aufgenommen und auch meinen Freund Marcel freundlich begrüßt. Was mich allerdings sehr verwundert hatte, war die spontane Einladung von ihm an uns beide, ihn in der Pension am Nachmittag zu besuchen und dort den Rest des Tages gemeinsam zu verbringen.

Auch der Doktor war sehr positiv überrascht über diesen Verlauf und hatte aufgrund des Eindruckes, den er von meinem Vater hatte, mir sogar vorzeitig die Entlassung aus der Klinik erlaubt.

Marc hatte uns drei in der Pension abgesetzt. Er hatte sowohl Marcel als auch mir noch mal eindringlich erklärt, ihn sofort anzurufen, sollte es irgendein Problem geben.

Wir hatten uns bei einer Tasse Kaffee im Garten auf den Rasen gesetzt und genossen die frühabendlichen Sonnenstrahlen. Mein Vater wollte viel über das Internat wissen. Ich berichtete ihm von meinen Leistungen und erzählte, wie ich die Familie Steevens kennengelernt hatte. Er hörte sehr aufmerksam zu. Er unterbrach mich nicht einmal. Das war für mich ein völlig neues Gefühl. Ich hatte den Eindruck, er hätte erst jetzt begriffen, dass er einen Sohn hatte, der ihm wichtig geworden ist.

Er hatte wirklich die ganze Zeit zugehört, dann begann er uns von den Geschehnissen zu Hause zu berichten. Ab der Zeit, wo ich bereits im Internat war. Dieser Bericht war für mich nur sehr schwer zu ertragen. Ich spürte eine Wut und Enttäuschung in mir hochkommen. Marcel nahm meine Hand und streichelte sie. Mein Vater bemerkte diese Reaktion, während er berichtete. Er schaute mir genau in die Augen, dann unterbrach er seine Erzählungen.

„Benny, ich glaube, wir verschieben dieses Thema noch ein wenig. Es tut mir leid, ich hatte nicht geahnt, dass es dir so schwer fällt. Aber dein Freund hat es bemerkt. Ich habe noch Schwierigkeiten damit, dich richtig zu kennen. Entschuldige bitte.“

Ich war sprachlos, mein Vater begann sich für meine Gefühle zu interessieren. Marcel hingegen streichelte mir über den Rücken und er hätte mich am liebsten geküsst. Ich im Übrigen auch, aber ich traute mich einfach noch nicht im Beisein meines Vaters.

Wir sprachen über meine Zukunftspläne und dass ich endlich meine Sachen hierher holen möchte. Er versprach mir, sich darum zu kümmern.

„Benny, das Beste wäre, wenn du mit Marcel gemeinsam zu mir kommst, um deine Sachen zusammen zu packen. Dann weißt du ganz sicher, dass es die richtigen Sachen sind. Du musst keine Angst haben. Es wird außer mir niemand dort sein. Das verspreche ich dir.“

„Würdest du es denn akzeptieren, wenn Marcel mitkommen würde, dass er mit mir gemeinsam in deinem Haus schlafen würde?“

Er schaute mich verwundert an.

„Glaubst du, ich bin so naiv? Ich sehe es doch, wie sehr Marcel dich beschützt und dich mag. Natürlich ist er bei mir genauso willkommen. Ich möchte lernen, auch ihm ein guter Schwiegervater zu sein.“

Das war einfach ein Satz, der bei mir Tränen auslöste. Marcel legte sofort seine Arme um mich. Dennoch traute er sich noch nicht, mich zu küssen. Mein Vater stand für einen Moment auf und ging in das Haus, um etwas zum Trinken zu holen. Marcel gab mir einen Kuss, den ich nie vergessen werde. Es war der erste öffentliche Kuss, den er mir außerhalb gewohnter Umgebung gab. Der Kuss wollte einfach nicht enden. Irgendwann stand mein Vater wieder bei uns im Garten und er lachte sehr laut.

„Meine Güte, ich dachte schon, Marcel würde sich nie trauen. Oder hast du es ihm etwa nicht erlaubt?“

Wir waren beide total erschrocken, wir hatten die Zeit völlig vergessen bei dem Kuss. Marcel war feuerrot geworden, ich nahm an, dass ich nicht minder rot war. Ich musste allerdings meinem Vater recht geben, indem ich nickte.

„Jungs, ich bin zwar völlig ahnungslos, was die Liebe zweier Jungs betrifft, aber ich glaube, sie unterscheidet sich kaum von der eines anderen Paares. Also wenn euch nach Kuscheln oder Küssen ist, tut es einfach. Ich werde mich sicherlich schnell daran gewöhnen.“

Was für eine Aussage! Ich erkannte meinen Vater nicht wieder. Es war so ein irres Gefühl, er würde mich so akzeptieren, wie ich war. Auch Marcel wäre ihm willkommen. Einfach Wahnsinn!

„Was anderes, Jungs, wie sieht es denn mit Abendessen aus? Ich hätte wohl Lust mit euch gemeinsam etwas zu machen. Ich bin kein guter Koch, aber zusammen wird das schon gelingen, oder was meint ihr?“

„Papa, das ist toll. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Haben wir denn genug im Haus, oder müssen wir noch einkaufen?“

„Kommt darauf an, was wir denn essen wollen. Also ich dachte an einen Salat und vielleicht ein paar richtige deutsche Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln. Was meint ihr?“

„Cool, ich wäre aber noch für ein Stück Fleisch dazu.“

„Du musst aber auch immer noch einen draufsetzen, oder Benny.“

Dabei setzte Marcel sein fiesestes Grinsen auf. Mein Vater musste lachen. Ich war so glücklich, wie schon ganz lange nicht mehr. Endlich wieder ein bisschen Familie. Ohne Angst!

Papa schickte mich mit Marcel los, noch ein paar Sachen zu besorgen. Wir liefen durch die Straßen, Hand in Hand. Plötzlich kamen uns zwei ältere Typen entgegen, die mir gleich schon unsympathisch waren. Als der eine erkannte, dass Marcel meine Hand hielt, pöbelten sie gleich los. Der eine schubste mich an die Hauswand und Marcel wurde von dem anderen festgehalten. Ich spürte einen Schmerz im Rücken und mir blieb kurz die Luft weg.

Ich weiß nicht, wie lange das gedauert hatte, jedenfalls hörte ich plötzlich laute Stimmen von irgendwoher kommen. Es dauerte nicht mehr lange und bei uns stand eine Gruppe Jugendlicher, etwa acht Personen, alle so in unserem Alter. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich Leif mit Stefanie darunter befand. Als ich mich etwas beruhigt hatte, erkannte ich auch Tommy, Nico und seine Freunde. Sie hatten uns sofort geholfen, obwohl die beiden Typen bestimmt schon zwanzig waren.

Sie beschlossen uns zu begleiten, bis wir wieder in der Pension waren. Unterwegs kauften wir noch ein und wir unterhielten uns noch sehr angeregt. Als wir vor der Pension standen, wollten sie sich verabschieden.

„Hey Leif, warum kommt ihr nicht noch für eine Cola mit rein. Papa würde sich bestimmt freuen, wenn ich das erzähle, was ihr getan habt.“

Leif schaute seine Freunde an, Tommy fragte:

„Bist du dir sicher, wenn du deinem Vater das erzählst, wird er ja merken, dass ihr ein Paar seid.“

„Ja, und ich werde ihm auch erzählen, dass ihr auch ein Paar seid. Er weiß es nämlich schon und findet es kein Problem.“

Leif staunte, Stefanie freute sich und Tommy und Nico umarmten mich, Nico meinte:

„Dann kommen wir gerne mit rein. Er soll sehen, dass andere Schwule genauso nett sind, wie sein Sohn.“

Wir lachten alle über diesen Spruch. Ich fand es einfach nur toll. Ich ging voran, betrat das Haus durch die Terrassentür und rief:

„Papa, wir haben Besuch mitgebracht. Kommst du bitte mal.“

Wir standen alle im Wohnzimmer und warteten auf meinen Papa, der wohl oben im Bad war. Er kam die Treppe hinunter und auf halber Strecke blieb er staunend stehen.

„Wen habt ihr denn da alles mitgebracht? Hier ist ja jetzt volles Haus.“

Lachend erklärte ich ihm die Lage, und nachdem wir mit dem Bericht fertig waren, wurde mein Papa wütend. Er schimpfte und wollte wissen, ob einer diese Typen kennen würde.

Leider verneinten das alle Anwesenden. Mein Vater freute sich wirklich, dass wir hier bereits so viele Freunde hatten, die uns sogar verteidigen würden.

„Papa“, begann ich dann, „Tommy und Nico sind Leifs beste Freunde und sie möchten, dass du weißt, dass sie auch ein schwules Paar sind.“

Mein Vater bekam ganz große Augen, lächelte aber und hieß sie willkommen. Ich war einfach sowas von glücklich. Ich war im falschen Film. Mein Vater schien überhaupt keine Probleme mit meinen schwulen Freunden zu haben. Es war unglaublich.

Nach kurzen Gesprächen verabschiedeten sich meine Freunde und wir konnten uns endlich dem Zubereiten des Essens widmen.

Wir hatten sehr viel Spaß, mir gingen dabei aber auch immer wieder Gedanken über diese Situation durch den Kopf. Warum musste ich erst in die Schweiz fliehen und dort Zuflucht finden? Warum konnte mir zu Hause keiner helfen? Hier hatte ich innerhalb weniger Wochen viele neue Freunde gefunden. Sogar Anschluss an Marcs Familie wurde mir angeboten. Hier hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, verstanden zu werden. Ich stand mit meinem Freund und meinem Vater zusammen in einer fremden Küche und kochte unser Abendessen. Dieses Ereignis hatte es in den letzen zehn Jahren nicht gegeben. Ich konnte es immer noch nicht so wirklich begreifen. Mein Vater hatte mir zu verstehen gegeben, dass er mich so akzeptierte, wie ich war. Sogar meinen Freund hatte er willkommen geheißen.

„Hey Benny, träumst du?“, riss mich Marcel aus meinen Gedanken. Ich hatte wohl beim Kartoffeln schneiden verharrt.

„Ach, nichts. Habe nur gerade einige Gedanken sortiert.“

Mein Vater schaute mich dabei an. Er schien meine Gedanken zu erahnen. Sagte aber nichts. Er lächelte mich nur an. Das wirkte mehr als jedes Wort. Was für ein Gefühl!

Der Abend verlief sehr schön. Wir unterhielten uns über die Schule, wie ich mich eingelebt hatte und irgendwann fragte mich Papa, wie ich denn Marcel kennengelernt hätte. Das war wirklich der erste Tag in meinem Leben, an den ich mich bis dahin erinnern konnte, dass sich mein Vater nur für mich und mein Befinden interessierte. Marcel erzählte auch von seiner Familie, von seinem kranken Bruder, dass er ihn sehr vermissen würde. Ich spürte seine Traurigkeit. Ich legte meine Arme um ihn und dann küssten wir uns einfach. Es war wunderschön. Ich hatte einfach vergessen, dass mein Vater im Raum war. Marcel fuhr danach einfach fort mit seinen Erzählungen.

Mein Vater hörte zu, gab nur sehr wenige Kommentare, er ließ Marcel alles erzählen. So kannte ich meinen Vater überhaupt nicht. Gegen elf Uhr meinte mein Vater, es wäre Zeit ins Bett zu gehen. Er stand auf, begann den Tisch abzuräumen. Wir halfen ihm die Sachen in die Küche zu bringen.

„Papa, wie kommen wir denn jetzt ins Internat zurück?“

Marcel erschrak, als er meine Frage vernahm. Mein Vater blieb ruhig und lächelte uns an.

„Gar nicht. Ihr beide schlaft im Gästezimmer. Ich habe schon alles vorbereitet.“

Er gab uns zu verstehen, ihm zu folgen. Wir betraten das Gästezimmer, dort war das Bett bereits vorbereitet und auch einige Badartikel waren für uns vorbereitet.

Ich war sehr erstaunt. Marcel schien nicht minder verwundert.

„Und was ist morgen? Wie kommen wir in die Schule?“, wollte Marcel wissen.

„Also Benny ist diese Woche noch krankgeschrieben. Und für dich hat Marc einen Fahrdienst organisiert. Er wird dich persönlich zur Schule fahren.“

Dabei zwinkerte er uns beiden zu. Ich war fassungslos. Das sollte mein Vater sein? Ich war so glücklich. Ich musste ihn einfach umarmen. Als ich in seinen Armen lag, hatte ich ein Gefühl, wie ich es als ganz kleiner Junge mal hatte. Es war so schön. Marcel stand etwas abseits und ich konnte in seinem Gesicht ebenfalls Freude erkennen.

„So“, sagte mein Vater, „jetzt haben wir beide aber genug gekuschelt. Sonst wird dein Freund noch eifersüchtig. Ich werde mich dann mal zurückziehen. Ich wünsche euch eine gute Nacht.“

Er drehte sich um und ging Richtung Tür. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er gerade gesagt hatte.

„Papa, warte einen Moment.“

Er drehte sich noch einmal um.

„Danke für den tollen Abend, dir auch eine gute Nacht.“

Er lächelte und ging dann hinaus. Ich war mit Marcel allein. Allein in einem fremden Schlafzimmer, aber er war bei mir und mein Vater wusste es.

Wir gingen ins Bad und bald saßen wir in Boxershorts kuschelnd noch etwas auf dem Sofa. Marcel hatte seinen Arm um mich gelegt und gab mir einen zärtlichen Kuss.

„Willst du wirklich mit mir in einem Bett schlafen?“, fragte er mich vorsichtig.

Ich wollte es unbedingt, seine Nähe spüren, seine Wärme. Aber in mir kamen auch Zweifel. Was würde passieren, wenn wir uns näher kommen würden. Ich hatte Angst vor meiner Reaktion.

„Marcel, ich möchte es so gerne, aber ich habe auch Angst davor. Was ist, wenn meine Bilder wieder kommen und ich ausraste?“

Ich begann unwillkürlich zu zittern. Marcel nahm mich ganz fest in den Arm, hob mich vom Sofa und trug mich ins Bett. Was machte der Junge mit mir? Ein wunderbares Gefühl. Er legte mich vorsichtig im Bett ab. Deckte mich mit einer Decke zu und krabbelte dann neben mir ins Bett. Er flüsterte mir ins Ohr:

„Du musst keine Angst haben, du bestimmst, was du möchtest. Wir haben alle Zeit der Welt. Ich werde auf dich warten.“

Ich drückte ihn ganz fest an mich. Der Kuss war gigantisch. Wir streichelten uns gegenseitig. Irgendwann spürte ich seine Hand auf meinem Bauch. Ich war total erregt, es war wunderschön bis hierhin. Er streichelte mich immer weiter, ohne mich zu drängen. Ich traute mich nicht, ihn dort auch zu streicheln. Er nahm meine Hand und legte sie auf seinen steinharten Schwanz. Das war für mich das erste Mal einen anderen als den eigenen anzufassen. Was für ein geiles Gefühl. Es dauerte nicht mehr lange und er fasste ganz vorsichtig auch meinen harten Schaft an. Erst ganz zaghaft. Dann, als ich nur noch stöhnen konnte, begann er mich zu wichsen. Es wurde die schönste Nacht meines Lebens. Irgendwann schliefen wir eng aneinander gekuschelt ein. Ich schlief so tief und fest wie schon Ewigkeiten nicht mehr. Ohne einen einzigen Albtraum.

Marc: Das endgültige Ende als professioneller Rennfahrer rückt näher

Ich saß an meinem Esstisch und hatte eine Tasse heißen, grünen Tee in der Hand. Mir gingen die Ereignisse der letzten Wochen durch den Kopf. In mir kam der Wunsch nach etwas mehr Ruhe und Normalität in meiner Familie hoch. Dieser Wunsch würde sicher noch etwas länger ein Wunsch bleiben. Bennys Geschichte war zwar auf einem richtigen Weg, aber da würde noch einiges an Arbeit auf uns warten.

Für meine Jungs wollte ich jetzt aber auch mal eine Belohnung ansetzen. Ich hatte von ihnen in der letzten Zeit immer volle Unterstützung erhalten. Sabine hatte mich auf die Idee gebracht, eine große Geburtstagsparty zu organisieren. Ich hatte mit ihr vereinbart, dass sie schon mal ein paar Ideen sammeln sollte, während ich mit meinen Jungs in Sao Paolo sein würde.

Heute wollte ich unsere Koffer mit dem Team-Flieger mitschicken. Dann brauchten wir uns vor Ort nicht mehr darum kümmern. Tom hatte sich gemeldet und mitgeteilt, dass alles gut vorbereitet sei und er uns am Flughafen abholen würde.

Es war geplant, dass uns Sabine morgen Mittag zum Flughafen bringen würde. Leif, Lukas und Mick konnten so noch einen Tag länger zur Schule gehen. Das Telefon riss mich plötzlich aus meinen Gedanken.

„Steevens“, meldete ich mich.

„Hallo Marc, Benny hier. Störe ich gerade?“

„Nein, erzähl, was kann ich für dich tun?“

„Ausnahmsweise mal gar nichts, ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich mit Marcel und meinem Vater einen tollen Abend hatte, und mich bedanken, dass du Marcel heute Morgen zur Schule gebracht hast.“

„Gerne Benny, es freut mich sehr, dass du dich mit deinem Vater schon wieder so gut verstehst. Marcel hatte mir heute Morgen schon ein wenig erzählt, ich glaube, ihr hattet wohl eine schöne Nacht.“

Dabei musste ich leise lachen.

„Oh Mann, hoffentlich hat er keine Details erzählt. Ja, es war eine der schönsten Nächte überhaupt. Ich habe seit langem keine Albträume gehabt und es war sehr schön mit Marcel.“

„Bevor ich das vergesse, wir sind ab morgen Mittag bis Dienstag nächster Woche in Brasilien. Falls du etwas brauchen solltest, wende dich an Sabine oder an Herrn Storm. Dein Vater wird ja auch heute wieder nach Deutschland fahren.“

„Mach dir keine Sorgen, das mache ich dann. Noch mal vielen Dank für deine Hilfe.“

„Du musst dich nicht immer für alles bedanken, ich freue mich sehr zu sehen, wie du dich entwickelst. Bestell Marcel schöne Grüße von mir.“

„Ja, mache ich. Dann bis nächste Woche und pass auf dich auf. Mach bitte keine wilden Sachen. Ich weiß, dass sich Sabine und vor allem auch Lucien große Sorgen machen. Sie haben Angst, es könnte dir etwas passieren.“

„Danke, werde ich machen. Bis nächste Woche dann.“

Als ich aufgelegt hatte, wunderte ich mich über die letzten Sätze von Benny. Warum machten sich Sabine und Lucien Sorgen? Ich wollte doch nur ein Abschiedsrennen fahren. Hmmm, ich hatte doch sonst nie über die Folgen für andere Personen nachgedacht. Vielleicht war es doch wirklich an der Zeit, die professionelle Rennerei zu beenden.

Ich beschloss, etwas früher noch mal bei Sabine vorbeizufahren, um mit ihr ein paar Details zu besprechen. Abends wollte ich mit meinen Jungs und den beiden bei Salvatore essen gehen.

Das Telefon klingelte erneut. Leif? Er ist doch in der Schule.

„Hallo Leif, wieso rufst du aus der Schule an? Ist etwas passiert?“

„Papa, ich finde das blöd, dass Mick heute Abend Lukas dabei hat und ich aber Stefanie nicht zum Essen mitbringen darf. Ich möchte sie auch mitbringen dürfen.“

„Dafür rufst du mich aus der Schule an? Das können wir später noch klären. Geh in den Unterricht und wir reden da anschließend noch mal drüber.“

„Aber Steffi muss es auch planen können. Das ist unfair.“

„Also, so langsam wirst du etwas dreist. Ich habe euch eingeladen und ich glaube, derjenige, der einlädt, darf sich seine Gäste auch aussuchen. Wir reden später darüber, Punkt.“

Ich beendete das Gespräch. Mir gefiel der Ton von meinem Jüngsten überhaupt nicht.

Etwas gereizt fuhr ich zu Sabine. Sie hatte bereits einen Kaffee vorbereitet und ich hatte den passenden Kuchen vom Bäcker mitgebracht.

Wir unterhielten uns über das kommende Wochenende. Auch das Thema Geburtstag wurde ausgiebig diskutiert. Wir einigten uns darauf, dass sie die Lokalität aussuchen würde und ich mich um das Essen und die Getränke kümmern würde. Das Programm würde sie vorbereiten und mit mir nach Brasilien besprechen. Sie hatte schon einige Ideen, die mir gut gefielen.

Ich erwähnte auch das Gespräch mit Leif, sie hatte da eine andere Haltung als ich.

„Marc, du solltest nicht so empfindlich sein. Schau mal, Leif hat das Problem, dass seine Freundin eben nicht zur Familie gehört. Mick hat seinen Lukas immer dabei, Leif muss das immer erst klären. Da fühlt er sich ungerecht behandelt. Er will seine Freundin auch in der Familie akzeptiert haben.“

„Ach darum geht es mir doch gar nicht. Mir passt sein Ton nicht. Er tut so, als ob er allein entscheidet, wer zu meinen Gästen zählt und wer nicht. Ich will seine Freundin nicht außen vor lassen. Ich finde sie sogar sehr nett und denke, sie tut dem Kleinen gut. Aber er muss lernen, dass er vernünftig mit mir reden soll, um auch das zu bekommen, was er möchte.“

„Du solltest das nicht zu sehr auf die Goldwaage legen. Redet darüber und gut ist. Das sind Kleinigkeiten, was meinst du, wie oft ich das mit Lucien habe?“

Ich musste lachen, eigentlich hatte sie ja Recht. Ich nahm sie in den Arm und wir küssten uns. Es fühlte sich für mich gut an, nicht immer alles allein entscheiden zu müssen. Ich sollte das häufiger nutzen.

Wir tranken noch sehr gemütlich unseren Kaffee und sie versprach mir, sich um Benny und Marcel zu kümmern, während wir in Sao Paolo weilten. Bennys Vater war ja heute zurück nach Deutschland geflogen. Ich hatte ein gutes Gefühl, Sabine würde sicher immer für die Jungs ansprechbar sein, sollte etwas sein.

Ich fuhr noch in meiner Werkstatt vorbei. Ich hatte es immer noch nicht geschafft, Karl Geiger wegen des Getriebes anzurufen. Vielleicht hatte Stephan ja schon etwas erreicht. Allerdings war von den beiden heute noch keiner da. Sie hatten wohl noch Veranstaltungen in der Uni. Ich nutzte die Zeit und bereitete am Delta noch ein paar Dinge vor. In der nächsten Woche wollte ich beim Lackierer einen Termin machen, um die Details zu besprechen.

Nachdem ich alles soweit vorbereitet hatte, entschloss ich mich, in München anzurufen. Ich wählte die Nummer von „Geiger Cars“ in München.

„Geiger Cars München. Sie sprechen mit Anja Queck, was können wir für sie tun?“

„Guten Tag, mein Name ist Steevens, ich rufe aus der Schweiz an und habe ein Problem mit meinem alten Cadillac. Dafür bräuchte ich ein stärkeres Getriebe und ich wollte fragen, ob sie mir da weiterhelfen können?“

„Was für ein Modell ist das denn? Und das Baujahr bräuchten wir.“

„Ja gern, ein Eldorado Cabrio aus dem Baujahr ´59 mit 8,2 l Motor.“

„Oh, einen Moment, da verbinde ich sie mal mit dem passenden Kollegen.“

Er ertönte eine Wartemelodie und nach ein paar Sekunden hörte ich:

„Karl Geiger, Herr Steevens was können wir für sie tun. Die Kollegin sprach von einem Getriebe-Problem bei einem alten Cadillac.“

„Ja Herr Geiger, ein ´59er Eldorado, ich habe das Auto komplett neu aufgebaut und den Motor auch überarbeitet. Leider ist das originale Getriebe dem nicht mehr gewachsen gewesen und kaputt gegangen. Ich suche ein stärkeres Getriebe. Da ist mir ihr Betrieb eingefallen. Der Experte für alle Ami Fahrzeuge.“

„Danke, ja, wir versuchen alles irgendwie möglich zu machen. Soll es denn ein Automatik oder ein Schaltgetriebe sein?“

„Also eigentlich passt zu dem Auto nur ein Automatikgetriebe, vielleicht ein Bowler Getriebe?“

„Oh ja, das ist das perfekte Getriebe für den starken Motor. Allerdings ist das nicht so ganz preiswert. Das ist der Rolls Royce der Getriebe.“

„Wie lange würde es denn dauern, bis so ein Getriebe besorgt wäre?“

„Herr Steevens, schicken sie mir eine Kopie des Fahrzeugscheins und ich werde mich dransetzen. Sobald ich das geklärt habe, melde ich mich bei ihnen.“

„Toll, sehr gut. Allerdings gibt es da ein Problem, ich bin ab morgen Mittag bis kommenden Dienstag in Brasilien unterwegs. Meine Mechaniker würden gerne nur wissen, ob sie das besorgen können oder ob wir uns bei Bowler direkt melden müssen.“

„Also keine Sorge, ich melde mich heute noch bei ihnen, ob und wann das lieferbar ist.“

„Das ist wirklich sehr nett. Ich gebe ihnen meine Daten am besten per Fax. Dann können sie alles am besten selbst auslesen.“

„Eine gute Idee. Dann bis später, Herr Steevens.“

„Vielen Dank und bis später, Herr Geiger.“

Dieses Gespräch war sehr aufschlussreich und ich hatte genau den guten Eindruck bekommen, wie ich diese Firma bereits aus dem Fernsehen gekannt hatte.

Ich fuhr nach Hause und schickte sofort die benötigten Unterlagen nach München.

Ich schaute zur Uhr und begann meine Sachen für Sao Paolo zusammenzupacken. Meine Rennoveralls und die Helme. Die normale Kleidung und alles andere für die paar Tage Brasilien war bereits mit dem Team unterwegs. Das war alles überschaubar und so war ich nach einer halben Stunde mit packen fertig. Ich schaute nach den Papieren, auch von meinen Jungs. Ich hatte alle Visa und Reisepässe zusammen und somit stand dem Ausflug nichts mehr im Wege.

Ich schaute noch einmal meine E-Mails nach und hatte einige Informationen von Wolfgang und Tom bekommen. Tom würde uns vom Flughafen abholen und uns ins Fahrerhotel bringen. Wolfgang berichtete von den neuesten technischen Details und wies mich noch einmal darauf hin, dass Tom und Loic noch Weltmeister werden konnten. Also sollte ich nicht zu sehr „Bummeln“. Das war wieder typisch Wolfgang. Der letzte Satz wurde mit einem großen Smilie beendet.

Einige Zeit später saßen wir alle bei Salvatore an einem großen Tisch. Irgendwie wurde meine Familie immer größer. Natürlich hatte ich Stefanie mit eingeladen. Ich hatte mich mit Leif besprochen und das Thema war erledigt. Leider fiel mir Lukas auf. Er war sehr schweigsam und sehr nachdenklich. Den ganzen Abend über redete er nicht sehr viel. Auch Mick machte nicht den fröhlichsten Eindruck, ließ sich das aber nicht sonderlich anmerken.

Der Einzige, der wie immer dauerhaft redete, war Lucien. Er sprühte nur so vor Energie. Natürlich war er traurig, dass er nicht mit uns fliegen konnte. Ich vermied es tunlichst, mein Angebot zu erneuern beide mitzunehmen. Das wäre keine gute Idee gewesen. Sabine hatte ja klar gesagt, dass es dieses Mal nicht möglich war, mitzukommen. Das musste ich akzeptieren.

Das Essen war mittlerweile bestellt, als mein Handy klingelte.

„Steevens“, meldete ich mich.

„Karl Geiger, München.“

Das hatte ich doch total vergessen.

„Herr Geiger, schön, dass sie sich noch melden. Gibt es etwas Interessantes für mich?“

„Ja, ich bin fündig geworden. Wir können ein passendes Bowler Getriebe innerhalb einer Woche besorgen. Die Frage ist nur, wollen sie es selbst einbauen oder sollen wir das nicht besser hier in München machen. Dann hätten sie auch zwei Jahre Garantie auf Funktion.“

„Ich denke, es wäre schon klüger, das von ihnen einbauen zu lassen. Das Problem ist nur, der Cadillac ist ja nicht mehr fahrbereit.“

„Sie können den Wagen zu uns nach München transportieren lassen, den Rücktransfer übernehmen wir dann.“

„Danke für das Angebot, aber ich habe einen anderen Plan. Ich würde das Auto dann gerne persönlich abholen. Außerdem habe ich da noch ein Problemkind. Ich habe einen Ford GT, allerdings gefällt mir die Leistungsentfaltung nicht mehr wirklich und das Fahrwerk ist mir entschieden zu hart und stuckerig. Ihr seid doch die Experten dafür. Ich schicke euch den Caddie und wenn der fertig ist, komme ich mit dem GT und wir reden über den Umbau. Ich nehme dann den Caddie für die Heimfahrt mit. Wie wäre das?“

„Oh ja, natürlich, sehr gerne. Ich habe da noch eine Frage, ihr Name Steevens ist ja nicht so häufig in der Schweiz. Sie sind nicht zufällig verwandt mit Marc Steevens, dem berühmten Rennfahrer.“

Ich musste grinsen. Was sollte ich darauf sagen?

„Nein, ich bin nicht mit dem Rennfahrer verwandt.“

„Ahso, gut, dann muss es wohl doch mehr Steevens in der Schweiz geben.“

„Nein, Herr Geiger, sie haben schon Recht, der Name ist recht ungewöhnlich in der Schweiz und ich bin nicht verwandt mit Marc Steevens, weil ich Marc Steevens bin.“

Stille am anderen Ende der Leitung. Karl Geiger ist dafür bekannt, immer einen Spruch auf Lager zu haben. Dass er schwieg, war schon außergewöhnlich.

„Ok, das ist natürlich ein Argument. Dann freue ich mich umso mehr, sie kennenzulernen. Schicken sie uns den Caddie und alles Weitere besprechen wir, wenn sie aus Sao Paolo zurück sind.“

„In Ordnung, ich werde das veranlassen. Ein schönes Wochenende nach München.“

Ich beendete das Gespräch. Mick und Leif grinsten mich an. Sie hatten das Gespräch verfolgt und fanden es immer wieder lustig, wenn ich meine Prominenz nicht an die große Glocke hing und die Leute dann irgendwann bemerkten, wer ich war.

„Na Papa, machst du bald einen Ausflug nach München?“

„Könnte sein, Leif.“

Dabei konnte ich ein verschmitztes Lächeln nicht mehr vermeiden. Sabine musste auch lachen und Lucien witterte eine Chance nach München zu kommen.

„Du Marc, ich war noch nie in München, darf ich dann mitfahren?“

„Das musst du mit deiner Regierung klären, wenn das mit der Schule passt, habe ich nichts dagegen, aber kläre das mit deiner Mutter.“

Der Junge schaute etwas genervt zu seiner Mutter und schwieg. Es schien so, als ob Lucien momentan ein paar Schwierigkeiten mit Sabine hatte. Er musste aber lernen, sich mit seiner Mutter auseinanderzusetzen, und mich nicht immer vorzuschieben.

Wir bekamen unser Essen und damit war erst einmal die Unterhaltung beendet. Jeder beschäftigte sich mit dem wieder mal hervorragenden Mahl. Salvatore machte einfach exzellente Pizzen.

Was mir auffiel, Lukas hatte sichtlich Probleme seine Pizza zu schaffen. Das kannte ich überhaupt nicht von ihm. Er war auch schon die ganze Zeit wieder sehr still. Irgendwas brütete der Junge aus. Hoffentlich wurde er nicht krank.

Als wir unseren abschließenden Cappuccino getrunken hatten, bezahlte ich die Rechnung und Sabine und Lucien verabschiedeten sich von uns. Sie nahmen Stefanie mit ins Internat. Sabine würde uns am nächsten Tag mit meinem S8 zum Flughafen bringen. Da war am meisten Platz für unsere Taschen und alle Personen.

Ich fuhr mit meinen Jungs zu uns nach Hause. Die beiden Großen verabschiedeten sich direkt nach oben. Leif wollte von mir noch etwas für die Schule erklärt haben. Ich war momentan sehr zufrieden über seine Arbeitshaltung in der Schule. Ich saß mit ihm am Esstisch und erklärte ihm ein paar Dinge in Englisch, als Mick überraschenderweise noch einmal zu uns kam.

„Hallo Mick, was gibt’s denn noch?“

„Papa, können wir gleich noch einmal kurz sprechen. Ich mache mir Sorgen um Lukas.“

Ich schaute ihn verwundert an, er sah wirklich sehr besorgt aus. Außerdem schien er sehr traurig zu sein.

„Natürlich, wartest du bitte, bis ich hier mit Leif fertig bin. Das dauert nur noch ein paar Minuten. Dann können wir reden. Setz dich doch etwas zu uns.“

Ich hatte Leif das Problem erklärt und wartete darauf, dass er den Text noch fertig schrieb. Ich las ihn einmal durch und damit verabschiedete sich Leif in sein Zimmer. Mick saß noch immer geduldig wartend am Tisch.

„Möchtest du auch etwas zu trinken?“, fragte ich ihn.

„Ja, danke, eine Apfelschorle bitte.“

Ich ging in die Küche, nahm die Flasche aus dem Kühlschrank und ging mit Mick ins Wohnzimmer. Wir setzten uns an den Couchtisch.

„Was hast du denn auf dem Herzen?“

„Ich mache mir Sorgen um Lukas. Er ist seit Tagen sehr schweigsam. Er sagt mir aber immer nur, dass es nichts ist, wenn ich frage. Das glaube ich ihm aber nicht mehr.“

„Was denkst du denn?“

„Ich bin mir sicher, dass er sich mit irgendeinem Problem beschäftigt und das aber nicht mit mir teilen will.“

„Musst du denn immer alles von ihm wissen? Vielleicht hat er ja ein Problem mit dir und will noch nicht mit dir sprechen.“

„Deshalb komme ich ja zu dir. Vielleicht hat er ja mit dir gesprochen. Ich mache mir Sorgen. Lukas war früher oft so, er hatte immer alles mit sich selber ausgemacht. Das hat ihm damals fast das Genick gebrochen in der Schule. Außerdem schläft er sehr schlecht in den letzten Tagen.“

„Hmmm, also mit mir hat er auch nicht gesprochen, allerdings ist mir auch aufgefallen, dass er sich in den letzten Tagen verändert hat. Wir können nichts anderes machen, als abzuwarten. Wenn er mit uns reden will, wird er das tun. Wenn nicht, müssen wir abwarten.“

Mick war sichtlich beunruhigt, es gefiel ihm gar nicht, untätig zusehen zu müssen, wie es seinem Freund nicht gut ging.

„Mick, ich verstehe deine Sorgen, aber was sollen wir machen? Wir können ihn doch nicht zwingen mit uns zu reden. Wenn er ein Problem mit seiner Situation hat, muss er lernen, sich jemandem anzuvertrauen. Wir können ihm nur zeigen, wie sehr wir ihm vertrauen und ihm dadurch das Gefühl geben, dass er immer zu uns kommen kann. Egal, was für ein Problem er hat.“

„Du meist also, ich soll nicht weiter bei ihm bohren?“

„Genau, lass ihn erst einmal in Ruhe und verhalte dich so wie immer. Ich glaube, er wird irgendwann zu einem von uns kommen. Vielleicht braucht er etwas Abstand von hier. Da kommt unsere Reise nach Sao Paolo genau richtig.“

„Hoffentlich hast du Recht. Ich liebe ihn immer noch genauso sehr, wie am ersten Tag. Ich will nicht Schuld haben, wenn er unglücklich ist.“

Ich konnte bei meinem Ältesten seit langer Zeit spüren, wie traurig ihn das machte. Ich nahm ihn in den Arm und wir gingen noch ein paar Minuten in den Garten. Ich konnte in der Dunkelheit erkennen, dass Lukas oben am Fenster stand und uns im Garten beobachtete.

Mick ging Minuten später wieder nach oben. Ich hatte ihm versprochen, dass ich immer für beide da sein würde, wenn sie mich bräuchten. Ich ging ins Haus und legte schon mal alle Papiere und Reisepässe für morgen bereit. Unsere Taschen standen fertig gepackt im Flur.

Mir kamen allerdings einige Gedanken, die ich schon lange nicht mehr hatte. Ich fing an, mich mit den Abläufen an einem Rennwochenende zu beschäftigen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, das Rennen genießen zu wollen, ohne Stress und Erfolgsdruck.

Ich spürte eine gewisse Unruhe, aber auch Vorfreude. Ich machte mir allerdings auch Gedanken über die Situation. Tom und Loic konnten noch Weltmeister werden, sie vertrauten mir bei diesem letzten Rennen der Saison ihr Auto an. Was wäre denn, wenn ich nicht mehr schnell genug sei? Ich hatte seit meinem Unfall in Le Mans in keinem Rennwagen mehr gesessen. Ich wollte auf keinen Fall dafür verantwortlich sein, dass der Titel an die französische Konkurrenz ging.

Mit einer gewissen Anspannung ging ich zu Bett und konnte auch erst sehr spät einschlafen. Mir gingen zu viele Gedanken durch den Kopf. Ein völlig neues Gefühl für mich.

Am nächsten Tag, ich schlief bis halb elf, spürte ich immer mehr Anspannung. Es war wie früher, nur noch aufregender. Ich alter Hase war doch tatsächlich vor meinem allerletzten Rennen nervöser als jemals zuvor. Kaum zu glauben. Meine Jungs hatten schon gemeinsam gefrühstückt und mir ein tolles Frühstück vorbereitet. Mick und Leif saßen mit mir am Tisch und wir sprachen über die Reiseabläufe.

„Wo ist denn eigentlich Lukas?“

Mick verzog sein Gesicht, das machte mir kein gutes Gefühl.

„Er ist mit dem Rad weg, er wollte noch mal in den Ort etwas besorgen.“

„Warum verziehst du dann dein Gesicht?“

„Weil ich mir sicher bin, dass das nicht die Wahrheit ist.“

„Was denkst du denn dann?“

„Dass er sich Sorgen macht, es könnte etwas passieren. Er würde es dir aber niemals sagen, weil er genau weiß, wie viel es dir bedeutet. Vor allem, weil du seinetwegen auch das Rennen absagen würdest, wenn es ihm helfen würde.“

„Hm, meinst du, dass würde auch sein Verhalten allgemein erklären?“

„Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, es wird nach dem Wochenende wieder anders sein.“

„Ok, ich werde mal schauen, ob ich nicht in Sao Paolo mit ihm reden kann. Jetzt lasst uns kurz den Ablauf besprechen. Sabine wird uns nachher abholen und zum Flughafen bringen. Der Flug dauert vierzehn Stunden, also wird das anstrengend, auch das Klima dort wird anders sein.“

Wir redeten noch einige Minuten über die Abläufe und das die Zeitverschiebung auch nicht ohne Probleme sein wird. Ich ermahnte meine Jungs, auf angemessene Kleidung zu achten. Der Körper sei sehr anfällig durch die Umstellungen.

Einige Zeit später standen Mick, Lukas, Leif und ich mit unseren Taschen vor dem Check In Terminal. Sabine und Lucien hatten uns begleitet. Jetzt hieß es Abschied nehmen. Sabine und Lucien klatschten alle Jungs ab und Sabine stand jetzt vor mir. Der Kleine stand bei meinen Jungs und unterhielt sich noch mit ihnen. Wir schauten uns an.

„Marc, damit das klar ist, komm bitte gesund mit deinen Jungs wieder zurück. Lucien würde das nicht überstehen, wenn dir etwas passiert.“

Mir fuhr ein Schauer über den Rücken.

„Keine Sorge, ich passe auf mich auf. Du kannst dir sicher sein, meine Jungs werden auch auf mich aufpassen.“

Ich umarmte sie und wir küssten uns zum Abschied. Dann stand auch Lucien vor mir. Er hatte tatsächlich Tränen in den Augen und musste sich sehr beherrschen.

„Luc, mach dir ein schönes Wochenende. Wir sehen uns am Dienstag in alter Frische wieder, pass auf deine Mutter auf.“

„Ich werde auf euch warten. Kommt bitte heile zurück. Ich werde auf Mama aufpassen.“

„Das ist gut. Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, wenn du auf sie aufpasst.“

Ich sah Sabine hinter ihm stehend, mit einem breiten Lachen im Gesicht. Sie blinzelte mir zu. Ich spürte ein starkes Gefühl für beide. Es war so, als ob beide schon Ewigkeiten zur Familie gehören würden.

Den beiden zum Abschied zuwinkend, gingen wir durch den Check In. Ich freute mich zwar auf Sao Paolo, aber andererseits wurde mir klar, ich wollte sie in Zukunft auch an meiner Seite haben.

Der Flug verlief ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Nach gut vierzehn Stunden landeten wir im warmen und schwülen Sao Paolo. Vier müde Krieger stiegen aus dem Flieger und machten sich auf den Weg durch den Zoll. Wir hatten natürlich nichts anzumelden und so waren wir schnell in der großen Ankunftshalle.

Tom stand bereits an der Information und winkte uns zu. Allerdings bleib meine Ankunft in Brasilien nicht unbemerkt. Innerhalb kürzester Zeit waren wir umringt von Fans und Autogrammjägern. Dadurch benötigten wir sogar die Sicherheitskräfte. Wir wurden förmlich belagert. Das hatte ich nicht erwartet. Glücklicherweise waren auch die Sicherheitskräfte Motorsportfreunde und so wurden wir mit Polizeibegleitung aus dem Flughafengelände geführt.

Meine Jungs waren alle geschafft und so verlief die Fahrt ins Hotel recht schweigsam. Tom berichtete mir ganz kurz die wichtigsten Dinge. Im Hotel angekommen, bezogen wir unsere Zimmer und ich bat Tom, mich in einer halben Stunde zum Meeting abzuholen. Meine Jungs sollten sich erst ein wenig ausruhen.

Benny: Der Umbau in Marcs Garten

Marc war mit seinen Jungs nach Sao Paolo unterwegs und ich hatte mir vorgenommen, an diesem Wochenende seinen Garten zu überarbeiten. Das hatte ich mir schon so lange vorgenommen. Einige Büsche mussten geschnitten werden und ich wollte die Flächen besser aufteilen. Der Rasen sollte eine größere zusammenhängende Fläche werden, damit er besser gemäht werden konnte.

Marcel und ich saßen in der Mittagspause auf dem Schulhof.

„Hast du eigentlich schon einmal daran gedacht, wie wir Marc mal eine Freude machen könnten? Er tut so viel, immer für die anderen. Irgendwie möchte ich gerne auch mal etwas zurückgeben.“

„Das Thema kenne ich. Er will das immer nicht. Aber ich habe an diesem Wochenende vor, seinen Garten umzuarbeiten. Das hatte ich schon vor Wochen mit ihm besprochen, leider ist zu viel passiert bisher. Jetzt will ich das aber machen. Sabine hat auch schon zugesagt. Ich soll mir den Schlüssel abholen und dann werde ich heute Nachmittag damit anfangen.“

„Kannst du das denn? Ich hätte überhaupt keine Ahnung davon. Hoffentlich findet er das auch so gut wie du.“

„Klar, wir hatten das eigentlich ja schon besprochen. Er war sehr angetan von meinen Ideen.“

„Cool, also ich würde da wohl auch mithelfen wollen, wenn du möchtest.“

„Echt? Dann schaffen wir das bestimmt an diesem Wochenende. Treffen wir uns um vier bei Marc?“

„Alles klar, und woher nehmen wir die ganzen Geräte dafür?“

„Keine Sorge, er hat alles vor Ort. Er hat für diese größeren Sachen eigentlich immer einen Gärtner beauftragt, dafür hat er dann alle Geräte besorgt. Einfach klasse, was da alles steht.“

Marcel spürte meine Vorfreude. Die Klingel rief uns wieder in unsere Klassen. Am liebsten hätte ich ihm einen Kuss gegeben. Das war mir hier im Internat aber doch zu gefährlich. Ich wollte da erst noch ein wenig abwarten.

Stunden später stand ich bei Sabine vor der Tür. Ich wollte mir den Schlüssel abholen und wartete darauf, dass mir jemand die Tür öffnete. Da kam Lucien aus dem Garten. Er spielte mit Tobi Fußball im Garten.

„Hi Benny“, begrüßte er mich freudestrahlend.

„Hallo Lucien, ist deine Mutter auch da? Ich wollte den Schlüssel abholen.“

„Nein, die ist noch einkaufen, aber ich soll dir das hier geben.“

Er hielt mir ein Schlüsselbund entgegen und grinste. Ich nahm es und wollte schon wieder losfahren.

„Benny, hättest du etwas dagegen, wenn Tobi und ich morgen auch mithelfen möchten? Heute darf ich nicht, weil ich noch einen Arzttermin habe, wo mir Blut abgenommen wird.“

„Nein, ich würde mich freuen. Je mehr mitmachen, desto mehr schaffen wir und desto mehr Spaß werden wir haben. Marcel macht auch mit.“

Morgen nach der Schule wollten wir uns dort treffen. Seine Mutter würde dann auch mitkommen. Ich hatte nicht gedacht, dass alle mitziehen würden. Hoffentlich würde das Ergebnis auch so gut werden, wie ich es geplant hatte.

Weitere Stunden später standen Marcel und ich in Marcs Garten, tranken eine Cola und schauten uns unser bisheriges Werk an. Die große Hecke war fast einen Meter niedriger und ließ so wieder viel mehr Licht in den Garten. Marcel hatte sich an den Büschen mit einer kleinen Heckenschere versucht und wieder Form hineingebracht. Er hatte meine Idee umgesetzt, nicht alle Büsche gleich zu schneiden, sondern verschiedene Formen zu nehmen. So sah das Ganze viel lebendiger aus.

„Irgendwie sieht das doch schon richtig gut aus, oder nicht?“

Dabei sah mich Marcel fragend an. Ich nickte und freute mich einfach, dass mich mein Freund hier unterstützte. Als Dank bekam er einen liebevollen Kuss von mir.

„Hmm, du schmeckst nach Cola.“

Wir mussten beide laut lachen, beendeten unsere Pause und setzten unsere Arbeit fort. Marcel wollte sich mit dem Aufsitzmäher dem Rasen widmen. Ich hatte vor, die zwei Tannen radikal auszuschneiden. Sie nahmen sehr viel Licht von der Terrasse. Allerdings musste ich für die oberen Äste eine Leiter nehmen. Das war jetzt ein Problem, weil ich niemanden hatte, der die Leiter sichern konnte, egal, musste auch ohne gehen. Allerdings hatte ich diese Rechnung ohne Marcel gemacht. Kaum sah er, dass ich auf der wackeligen Leiter mit der Säge hantierte, sprang er von seinem Mäher und lief laut schimpfend zu meiner Leiter.

„Du kommst sofort da runter. Spinnst du eigentlich ohne Sicherung auf der Leiter zu sägen?“

Er stand wild gestikulierend am Fuß der Leiter. Ich schaute wohl etwas verblüfft nach unten. Dabei verlor ich unglücklicherweise das Gleichgewicht, musste die Säge loslassen, um nicht hinunter zu fallen. Sie fiel genau neben Marcel zu Boden. Wir schwiegen uns einen Moment an, dann mussten wir beide lachen.

„Ok, ok, ich komme ja schon runter. Du hast ja Recht. Aber wie soll das denn sonst gehen?“

„Heute gar nicht. Morgen sind doch Lucien und Sabine auch hier. Einer wird dann doch die Leiter halten können. Also heute machst du woanders weiter, ist das klar!“

Er stand mit erhobenem Zeigefinger vor mir. Ich wusste für einen Moment nicht so wirklich, wie ernst er das meinte. Ich zuckte wohl etwas zusammen.

„Mann Benny, das war Spaß. Hoffentlich habe ich dich nicht erschreckt. Bitte verzeih mir.“

Ich atmete sichtlich erleichtert aus. Er kam auf mich zu, umarmte mich und wir setzten uns nebeneinander auf den frisch gemähten Rasen.

„Es tut mir leid, ich habe einen Moment nicht dran gedacht, dass du vielleicht schlechte Erfahrungen damit gemacht hast.“

Marcel war immer noch aufgewühlt.

„Es ist gut, Marcel. Für einen Moment habe ich echt nicht gewusst, wie du das gemeint hast. Aber ich hätte eigentlich wissen müssen, dass du Spaß machst.“

Ich legte meine Hand auf sein Gesicht, streichelte vorsichtig seine Haare aus der Stirn und er kam mir näher. Es fühlte sich einfach toll an, so einen Freund zu haben. Wir küssten uns und fielen einfach rücklings auf den Rasen. Ich lag auf ihm und so schmusten wir noch einige Minuten. Erst als wir merkten, dass sich unsere Klamotten nass vom Rasen anfühlten, standen wir auf und erschraken.

Vor uns stand Sabine und grinste uns an.

„Na, so sieht aber Arbeit nicht gerade aus, ihr wolltet doch arbeiten und nicht schmusen.“

Dabei schaute sie sehr ernst. Ich war bereits auf dem Wege ihr zu erklären, was wir alles schon gemacht hatten, als mir Marcel dazwischen fuhr.

„Mensch Benny, sie macht doch nur Spaß. Reg dich nicht auf.“

Sabine merkte, dass ich das wohl falsch verstanden hatte, jedenfalls versuchte sie sofort mich zu loben für unsere Arbeit.

„Übrigens ihr beiden, Lucien bringt morgen auch Tobi mit. Das hat er mir gerade gesagt, ich hoffe, ihr kommt mit den beiden Nervensägen klar. Wenn sie zu sehr nerven, schickt sie nach Hause. Ich komme morgen leider erst etwas später. Ich muss noch etwas klären für Micks Party.“

„Ach, kein Problem“, meinte Marcel lachend, „ich mag sie beide. Auch wenn sie manchmal anstrengend sind. Aber ich freue mich, dass er wieder gesund ist. Das ist doch das Wichtigste überhaupt.“

„Du weißt sicher, wovon du sprichst. Marc hatte mir von deinem Bruder erzählt. Ich finde das toll, wie deine Eltern sich um ihn kümmern. Auch, wie du ihn immer noch sehr liebst und vermisst.“

Marcel wurde sehr nachdenklich. Ich streichelte ihm den Rücken. Was toll war, Sabine spürte Marcels Gefühle und meinte:

„Kommt ihr beiden, ich habe euch frischen Kaffee und Kuchen mitgebracht. Lasst uns auf die Terrasse setzen.“

Es wurden wirklich tolle dreißig Minuten. Sie erzählte uns von Luciens Entwicklung und wie sehr sie Marc bewunderte für sein Engagement, immer für die Kinder da zu sein. Ich musste das bestätigen. Wir waren uns einig, Marc hatte schon ganz lange eine Anerkennung verdient. Nachdem wir uns gestärkt hatten, fuhr Sabine Lucien vom Arzt abholen und wir machten noch ein wenig im Garten weiter. Als es zu dämmern begann, machten wir für den Tag Schluss. Wir sahen unser Werk noch mal an und schlugen uns gegenseitig ab. Feierabend für heute!

Wir fuhren mit den Rädern ins Internat zurück. In Marcels Zimmer schauten wir noch eine DVD und dann war es Zeit, schlafen zu gehen. Morgen war ja noch ein Tag Schule vor dem Wochenende.

„Du Benny, findest du es nicht auch schade, dass wir uns jetzt wieder trennen müssen für die Nacht?“

„Doch, aber ich glaube, es würde keine gute Idee sein, einfach hier zu bleiben. Wenn das rauskommt, haben wir morgen hier den Stress unseres Lebens. Ich finde, wir sollten ganz offiziell bei Dr. Steyrer anfragen, ob wir nicht zusammen ein Zimmer bewohnen dürfen.“

Marcel sah mich lachend an, er schien das für einen Scherz zu halten, für mich war das aber ein ernsthafter Vorschlag.

„Das meinst du doch nicht ernst. Das erlaubt der uns nie. Außerdem, was wird dann hier wohl los sein.“

„Doch, das meine ich total ernst. Mick und Lukas durften doch auch weiter zusammen wohnen, als bekannt wurde, dass sie ein Paar waren. Außerdem hat damals die Gemeinschaft total toll reagiert. Ich finde, wir sollten das mal mit Mick und Lukas besprechen. Ich will nicht mehr verstecken spielen müssen. Marcel, ich liebe dich und ich möchte das auch hier im Internat tun dürfen.“

„Also gut. Ich liebe dich ja auch, und ich bin einverstanden, wir fragen mal Mick und Lukas, was sie dazu meinen.“

Damit trennten wir uns für heute und ich ging in mein Zimmer, allerdings nicht ohne mich mit einem langen Zungenkuss von meinem Liebsten zu verabschieden.

Leider verbrachte ich die Nacht dann alleine in meinem Zimmer. Die Nacht war nicht so erholsam wie zuvor bei meinem Vater. Ich wachte zweimal auf, nach weniger schönen Träumen. Am nächsten Morgen war ich entsprechend weniger gut ausgeschlafen.

Im Unterricht ereignete sich nichts Besonderes, so traf ich mich mit Marcel vor dem Internat, um zu Marcs Haus zu fahren. Auf dem Weg dorthin fuhren wir noch ein paar Dinge einkaufen. Wer hart arbeitete, sollte auch zwischendurch gut essen. Um drei Uhr nachmittags trafen wir bei Marc ein. Lucien und Tobi warteten schon auf uns. Sie waren einfach schon in den Garten gegangen und was taten sie? Frisbee spielen, was sonst. Die waren einfach nicht in der Lage mal fünf Minuten still zu sitzen.

Als sie uns bemerkten, kamen sie auf uns zu gelaufen und umarmten uns zur Begrüßung. Unser Proviant legte ich in der Gartenhütte ab und dann ging es direkt los mit der Arbeit. Ich teilte die beiden ein. Sie sollten versuchen, einige Löcher an vorgegebenen Stellen zu graben, dort würde ich einige Sträucher neu einpflanzen. Das Ausgraben der Pflanzen wollte ich doch lieber selbst machen. Sie sollten das Ganze ja unbeschadet überstehen. Die beiden Kleinen machten sich wirklich gut. Nach zwei Stunden harter Arbeit machten wir eine Pause. Marcel holte unseren Proviant hervor und wir saßen gemeinsam auf dem Rasen.

Lucien und Tobi fingen irgendwann an rumzualbern. Sie kitzelten sich gegenseitig und wälzten sich über den Rasen. Tobi lag auf Lucien und kitzelte ihn überall. Marcel und ich schauten uns nur fragend an, waren wir in dem Alter auch so albern?

Ich ging zu den beiden und nahm Tobi an den Schultern und hob ihn einfach von Lucien hinunter und stellte ihn auf die Beine. Jetzt wurde weitergearbeitet, hoffentlich würde Sabine bald auch kommen, dann konnte ich mich wieder auf die wichtigen Arbeiten konzentrieren.

Marcel hatte dann aber eine tolle Idee. Er würde mit Tobi arbeiten und ich mit Lucien. So konnten sie sich nicht mehr gegenseitig ablenken. Lucien hielt meine Leiter, so konnte ich die Tannen zurückschneiden. Das klappte auch sehr gut. Lucien war sehr konzentriert bei der Sache und gab mir ein sicheres Gefühl.

Sabine kam auch im Laufe des frühen Abends. Wir waren sehr gut vorangekommen und der Garten sah doch schon sehr verändert aus. Für den morgigen Samstag hatte ich noch eine große Aktion geplant. Ich wollte den alten Kirschbaum fällen und durch einen kleineren Baum ersetzen. Da der Baum aber sehr nah an der Gartenhütte stand, war das nicht ohne Risiko. Wir machten um sieben Uhr abends Schluss für heute. Ich erklärte Sabine, was ich am nächsten Tag geplant hatte. Ich wollte sägen und die anderen sollten mit Seilen den Baum in die richtige Richtung ziehen.

Sie war nicht so begeistert, weil sie Sorge hatte, das könnte schiefgehen und wir hätten dann die Hütte zerlegt. Ich konnte sie beruhigen. Also gab sie ihre Zustimmung und so verabschiedeten wir uns bis zum nächsten Morgen um zehn. Wir lagen sehr gut im Zeitplan, da konnten wir ruhig mal später anfangen.

Sabine berichtete uns noch, dass Marc mit den Jungs gut in Sao Paolo angekommen war und uns schöne Grüße ausrichten ließ. Darüber freuten wir uns schon sehr. Er hatte sogar in Brasilien an uns gedacht. Das war mir sonst zu Hause nie passiert.

Sie verließ mit Tobi und Lucien Marcs Grundstück. Marcel und ich wollten noch ein paar Minuten hier allein verbringen. Wir gingen in die Gartenhütte und setzten uns gemütlich in die Sitzecke, Marcel legte seinen Arm um meine Hüfte und ich spürte seine Hand auf Wanderschaft gehen. Irgendwann lag mein Kopf auf seiner Schulter und seine Hand war in meiner Hose gelandet. Ich konnte meine Erregung nicht mehr zurückhalten. Mein Schwanz war steinhart geworden und er nahm meine Hand und führte sie ganz langsam über seinen Bauch an seine Hose. Ich konnte seine Erregung ebenso fühlen. Unsicherheit machte sich bei mir breit. Sollte ich weiter machen? Es war wirklich sehr intensiv, aber ich hatte Angst vor dem, was noch kommen würde. Plötzlich gab mir Marcel einen Kuss und flüsterte mir ins Ohr:

„Das ist so geil mit dir zu kuscheln. Kannst du mir hier einen wichsen? Ich bin schon so geil.“

Es war mir fast peinlich, hier in Marcs Gartenhütte mit meinem Freund sexuelle Spiele zu machen. Allerdings war es wirklich ein geiles Gefühl.

„Willst du wirklich? Ich weiß nicht so recht.“

Er küsste mich nur noch heftiger und dann war es für mich vorbei, ich nahm seinen Schwanz und er meinen und dann ging es ganz schnell. Wir waren so erregt, dass nach wenigen Bewegungen unser Saft nur so durch die Luft spritzte. Es war unbeschreiblich geil.

Als wir uns etwas erholt und die Hosen wieder geschlossen hatten, schauten wir uns an und küssten uns wieder. Ich wollte einfach noch nicht ins Internat zurück. Dennoch wurde es Zeit. Wir schauten zum Schluss noch, ob wir irgendwelche Spuren übersehen hatten, dann machten wir uns auf den Heimweg.

Am nächsten Morgen trafen wir fünf pünktlich an Marcs Haus ein. Ich besprach mit allen den genauen Ablauf der Baumfällaktion. Ich zog eine Schnittschutzhose an und dann sollte es losgehen. Lucien, Tobi und Marcel hatten jeweils ein Seil in der Hand und das andere Ende im Baum befestigt. Sabine unterstützte Lucien am Seil.

Ich ließ die Säge schon mal warmlaufen und dann setzte ich für den Keilschnitt an. Der Keil ließ sich sauber schneiden und dann gab ich den anderen das Zeichen. Jetzt wurde es ernst. Ich wurde doch ein wenig nervös. Also Säge ansetzen und den letzten Schnitt machen. Mit einem Knacken kündigte sich der Fall an. Dann passierte doch etwas Unerwartetes. Der Stamm begann sich zu drehen, während ich die Säge noch im Stamm hatte. Gott sei Dank sah ich das Problem rechtzeitig. Ich sprang an die Seite und ließ die Säge los. Der Baum drehte sich seitlich weg und fiel. Mit einem Krachen fiel der Baum dann auf den Rasen. Einen Moment herrschte Stille, ich lag auf dem Rücken, weil ich beim Sprung an die Seite gestolpert war. Ansonsten hörte ich aber schon die anderen reden. Also schien alles gut gelaufen zu sein. Ich stand auf und sah mir unser Werk an. Eigentlich alles gut gelaufen, nur die Säge hatte es erwischt. Sie wurde vom Stamm zerlegt, Mist. Jetzt war die Frage, woher eine andere Säge nehmen, um den Baum zu zerlegen.

„Hey Benny, bei dir alles gut?“, fragte mich Sabine. Ich nickte ihr zu, zeigte aber auch auf die Säge. Sie begann zu lachen.

„Wo gehobelt wird, fallen halt auch Späne. Und manchmal fallen die Späne nicht so, wie sie sollen.“

Ich fand das nicht so witzig, weil es war Marcs Säge, die hier gerade in alle Bestandteile zerbröselt vor uns lag. Allerdings die anderen lachten sich kaputt über diesen Spruch von Sabine.

„Benny, eine Säge ist zu ersetzen, wenn der Baum dich getroffen hätte, wäre das viel schlimmer. Ich fahre jetzt nach Hause und hole unsere kleine Säge, zum Zerkleinern wird das reichen.“

Sabine stieg in ihr Auto und fuhr davon. Marcel stand neben mir und legte mir seinen Arm auf die Schulter.

„Komm Benny, du hast doch alles versucht. Mach dir keine Vorwürfe. Sonst ist der Baum doch toll gefallen. Genau wie er sollte. Von uns ist niemand verletzt, das ist das Wichtigste.“

Er gab mir einen Kuss und streichelte meine Stirn. Tobi und Lucien sahen uns dabei zu und grinsten sich eins.

„Marcel hat Recht, Benny. Du hast alles richtig gemacht und jetzt lass uns weitermachen. Knutschen und Rummachen könnt ihr später dann noch.“

Tobi grinste uns dabei richtig fies an. Aber Lucien lachte sich tot und wir fanden das eigentlich auch einen coolen Spruch.

„Ok, ok, ihr seid doch nur neidisch, dass ihr noch niemanden zum knutschen habt.“

Dabei streckte ich beiden meine Zunge raus. Wir mussten alle laut lachen. Damit stieg die Stimmung doch wieder erheblich.

Bis Sabine zurückkommen würde, begannen wir mit den Aufräumarbeiten. Wenn wir den Baum zerlegt hatten, musste das Holz noch passend gesägt und gestapelt werden. Marc hatte einen Kamin und da sollte das sicher eine passende Verwendung finden.

Es dauerte dann nicht mehr lange und der Baum war passend zerlegt. Die Teile der zerstörten Säge legte Sabine mit Lucien in Marcs Garage. Er sollte dann entscheiden, ob er die reparieren lassen oder sie entsorgen und erneuern wollte.

„Leute, ich möchte mich ganz herzlich für eure Unterstützung bedanken. Wir haben einen tollen neuen Garten erschaffen. Mit gefällt das Ergebnis sehr gut.“

Marcel sah zu Sabine, die sehr anerkennend nickte und Lucien und Tobi standen Arm in Arm und hoben ihre Daumen.

„Benny“, begann Sabine, „Marc wird sicher sehr begeistert sein. Ich weiß, dass er sich das genauso vorgestellt hat. Wie ihr es besprochen hattet. Du hast wirklich Talent für den Garten. Möchtest du vielleicht später mal beruflich in diese Richtung gehen?“

„Ich habe sehr viel Spaß daran. Aber so ein Studium der Garten- und Landschaftsarchitektur ist sehr kostspielig. Das muss ich dann sehen. Aber Spaß machen würde es mir sicherlich.“

Marcel kam zu mir, küsste mich und flüsterte mir ins Ohr:

„Ich bin mir sicher, du wirst diesen Weg gehen. Es wird Leute geben, die unterstützen dich.“

Ich war gerührt von diesen Worten. Er hatte sie nicht leise genug geflüstert, denn alle anderen klatschten Beifall.

„Ach ja, heute Abend wird bei uns gegessen. Ich lade euch alle zur selbstgemachten Lasagne ein.“

Sabines Lasagne war immer ein Highlight, das würden wir uns sicher nicht entgehen lassen.

Marcel und ich mussten aber auf jeden Fall vorher duschen und uns umziehen. So verabredeten wir uns in einer Stunde zum Essen bei Sabine. Wir fuhren mit unseren Rädern ins Internat, und obwohl ich schon recht kaputt war, fühlte ich mich gut. Es war ein tolles Gefühl mit diesen Freunden, so ein Projekt machen zu können. Jetzt musste nur noch Marc damit zufrieden sein.

Eine Stunde später standen wir bei Sabine vor der Tür und Marcel hielt meine Hand. Er gab mir noch einen Kuss auf den Hals, als in dem Moment Lucien die Tür öffnete. Wir gingen hinein und es empfing uns ein umwerfender Geruch von der Lasagne und anderen Aromen.

In der Küche standen Tobi und Sabine, die noch ein paar Sachen abschmeckte. Tobi half beim Herrichten des Salates. Lucien und ich deckten schon mal den Tisch. Marcel blieb bei Sabine in der Küche.

Lucien zeigte mir, wo die Sachen standen, so hatten wir schnell alles fertig.

„Zeigst du mir mal dein Zimmer? Ich war ja noch nie hier in der Wohnung.“

Er strahlte mich an.

„Klar, aber so richtig aufgeräumt ist es nicht gerade.“

„Macht doch nichts, es ist doch dein Zimmer.“

Einige Momente später stand ich in seinem Zimmer. Es war tatsächlich nicht gerade ordentlich. Es schien so, als ob Tobi bei ihm geschlafen hatte. Er hatte einige Poster an seinen Wänden hängen. Was mich wunderte, er hatte noch ein Poster von Marc aus der Formel 1 direkt über seinem Bett hängen.

„Sag mal, warst du, bevor du Marc kennengelernt hast eigentlich schon ein Fan von ihm? Oder warum hängen die Poster von ihm hier?“

„Er war für mich immer ein Idol. Eigentlich ist er das immer noch, ich hätte mir auch nie träumen lassen, dass ich ihn mal treffen würde, geschweige denn mit ihm befreundet zu sein.“

„Du magst ihn auch sehr, oder?“

„Oh ja, er ist wie ein Vater für mich. Ehrlich Benny, ich würde mir so sehr wünschen, dass er mein Papa wäre.“

Ich konnte spüren, das ging ihm sehr nahe. Lucien stand vor Marcs Poster und schaute es sehr nachdenklich an.

„Ich kann dich verstehen. Ich bewundere ihn auch sehr. Ich verdanke ihm unheimlich viel. Komm, lass uns zum Essen gehen. Vielleicht können wir ja nachher noch mal hier mit den anderen reden.“

„Ok, gehen wir runter.“

Das Essen war wirklich hervorragend. Nachdem wir alle unsere Komplimente an die Köchin gemacht hatten, berichtete Sabine von den aktuellen Ereignissen aus Sao Paolo.

Wir freuten uns, dass es dort allen gut ging. Tobi und Lucien wollten schon hochgehen. Ich hatte aber noch ein paar Fragen an Sabine und so blieben Marcel und ich noch ein wenig mit Sabine im Wohnzimmer.

„Was ich mal fragen wollte, wie habt ihr eigentlich Marc kennengelernt? War er da noch aktiv als Rennfahrer? Solch berühmten Leuten begegnet man ja nicht einfach so beim Einkaufen.“

Sabine schaute uns an, sie begann erst zu schmunzeln und dann begann sie ganz laut zu lachen und kriegte sich überhaupt nicht mehr ein. Marcel schaute genauso verwirrt, wie ich. Was war jetzt so komisch an dieser Frage?

Sie konnte sich kaum beruhigen. Irgendwann holte sie einmal tief Luft.

„Wenn du wüsstest, dass du damit absolut den Nagel auf den Kopf getroffen hast. Lucien hat ihn beim Einkaufen getroffen.“

Marcel und ich schauten uns an, begannen genau wie Sabine zu lachen und irgendwann stand Lucien mit Tobi auch wieder bei uns. Sie hatten uns laut lachen gehört und wollten wissen, was hier los war.

Sabine erklärte es ihnen und Lucien fiel sogleich ein, mit uns zu lachen. Einige Minuten später hatten wir uns alle wieder beruhigt und Sabine und Lucien erzählten uns gemeinsam diese Geschichte. Warum sollte mich das eigentlich wundern. Es war so typisch für Marc. Jeder andere Prominente hätte damals dem Jungen genervt ein Autogramm gegeben und hätte sich dann vom Acker gemacht, egal wie es dem Jungen gegangen war. Marc war anders, er hatte sich für den Jungen interessiert, sich gekümmert und dadurch seine heutige Freundin kennengelernt. Schon komisch, was das Leben so alles bieten konnte.

Bei der Erzählung war mir aufgefallen, dass Tobi keinen Zentimeter von Luciens Seite gewichen war. Die beiden mussten auch eine besondere Beziehung zueinander haben. Als sie die Geschichte zu Ende erzählt hatten, bat Lucien Sabine um Erlaubnis mit Tobi noch in den Wald fahren zu dürfen. Schon waren die beiden verschwunden. Sabine schaute lächelnd hinter ihnen her.

„Sag mal, Tobi ist auch ein besonderer Freund für Lucien, oder?“

Sie schaute uns an, lächelte und erklärte:

„Ja, Benny. Du vermutest ganz richtig. Tobi war der Einzige, der nicht aus seiner alten Klasse kam, neben Nico und Tommy, der sich um ihn gekümmert hatte, als er todkrank war. Das hat Lucien ihm nicht vergessen. Tobi ist eigentlich sogar etwas jünger als er, aber Lucien ist durch seine Krankheit auch etwas später dran in seiner Entwicklung. Also passen die beiden wirklich gut zusammen, leider machen sie auch gemeinsam immer wieder mal Blödsinn oder albern rum.“

„Ist das nicht normal in dem Alter? Wie sieht das denn bei Lucien mit den Mädels aus? Hat er da schon Ambitionen?“, fragte Marcel dann für mich etwas direkt. Es war mir sichtlich unangenehm. Sabine lächelte aber nur und antwortete ganz offen.

„Nein, Gott sei Dank interessiert er sich noch nicht für Mädels. Allerdings weiß ich nicht so genau, wie weit seine Pubertät eigentlich schon ist. Tobi ist da schon etwas weiter.“

Ich wollte das jetzt nicht weiter vertiefen.

„Ich glaube, er wird schon passend damit umgehen. Er weiß sicherlich, dass er mit dir reden kann.“

Sabine lachte nun laut.

„Sicher weiß er das, aber würde es nie tun. Er wird sicherlich erst zu Marc gehen, bevor er mich etwas fragen oder mir etwas erzählen würde.“

Ich hätte es mir eigentlich auch denken können. Sabine machte dann noch eine Anmerkung, die mir schon zu denken gab.

„Benny und Marcel, ihr sollt wissen, sollte Lucien sich auch mehr für Jungs interessieren als für Mädchen, hätte ich damit keine Probleme. Ich gehe auch davon aus, dass er eher mit Tobi seine ersten Erfahrungen austauscht, als mit einem Mädchen.“

„Denkst du, er kennt deine Einstellung?“

„Nein, aber deshalb sage ich es euch. Falls es mal so sein sollte, dass er in dieser Richtung etwas erzählt oder ihr etwas bemerkt, sagt ihm, ich stehe immer hinter ihm. Er muss dann keine Angst haben.“

Ich war echt erstaunt, dass Sabine so offen mit uns darüber redete. Allerdings tat es auch gut, dass sie uns vertraute. Ich versprach ihr, mich um Lucien zu kümmern, sollte es notwendig sein. Danach verabschiedeten wir uns von ihr und vereinbarten am Dienstag dann gemeinsam Marc in Empfang zu nehmen. Schließlich sollte er den Garten von uns erklärt bekommen. Hoffentlich gefiel es ihm auch so gut wie uns.

Wir fuhren zurück ins Internat und machten uns noch eine gemütliche gemeinsame Stunde. Es wurde dann doch wieder später, aber es war einfach toll mit Marcel zu kuscheln und seine Liebe zu spüren.

Marc: Sao Paolo - großes Kino und Wehmut beim Abschied

Tom holte mich pünktlich zum ersten Meeting seit meinem Rücktritt ab. Ich hatte noch vorher bei Sabine eine Meldung gemacht, dass wir gut gelandet sind.

Tom öffnete die Tür zum Besprechungsraum im Hotel, alle Teamkollegen waren bereits anwesend und applaudierten, als ich durch die Tür kam. Das war ein sehr bewegendes Gefühl. Wolfgang begrüßte mich ebenfalls persönlich per Handschlag und Umarmung.

Es begann recht schnell eine Diskussion über unsere Strategie. Loic wollte, dass ich den Start fahren sollte. Tom und Wolfgang hingegen wollten, dass ich den Schlussturn fahren sollte. Das Rennen ging über sechs Stunden und jeder Pilot musste zwei Stunden hinter dem Steuer sitzen. Ich hielt mich aus dieser Diskussion komplett raus. Ich war Gastfahrer und würde mich dem Team unterordnen. Irgendwann meldete sich Marcel, ein Pilot des anderen R18 etron, er meinte, wir sollten diese Entscheidung doch nach dem Ende des freien Trainings treffen. Da wüssten alle, ob ich noch in der Lage war, gleichschnelle Runden zu fahren. Wolfgang war sichtlich genervt über Loics Verhalten. Wir verschoben diese Entscheidung auf später. Ich konnte allerdings erkennen, dass Wolfgang für sich eine Entscheidung getroffen hatte.

Der leitende Ingenieur gab uns dann die neuesten Informationen über technische Entwicklungen und die Arten der Reifen, die wir zur Verfügung hatten. Nach einer Stunde heftigen Debattierens waren wir soweit, alles Wichtige besprochen zu haben. Tom wollte bereits aufstehen, als Wolfgang noch einmal um Aufmerksamkeit bat.

„Bevor hier noch weitere unnötige Diskussionen aufkommen, ich habe als verantwortlicher Motorsportdirektor entschieden, dass Marc den Schluss fährt, Punkt. Er wird sicherlich die beste Leistung abrufen, die möglich ist und ich will, dass er das Auto über die Linie fährt.“

Meine Verwunderung muss wohl sichtbar gewesen sein, denn Wolfgang kam anschließend zu mir:

„Es tut mir leid, dass du hier durch eine so schwachsinnige Diskussion empfangen wurdest. Ich weiß, du wirst für die beiden alles geben. Ich werde mit Loic noch ein Gespräch führen. Ich glaube, er hat da etwas nicht ganz richtig verstanden. Ich werde ihm noch einmal erklären müssen, was für Erfolge du bereits eingefahren hast und wie er im Verhältnis dazu dasteht.“

Tom stand bereits neben mir und ergänzte diesen Kommentar mit den Worten:

„Du musst ihn verstehen, er hat Angst, er könnte den Weltmeistertitel noch verlieren. Dass mit dir die Siegchancen deutlich steigen, sieht er scheinbar nicht so wirklich. Ich glaube, er hat ein kleines persönliches Problem mit dir.“

„Ich vermute das auch, damals in Spa und Silverstone waren wir auch nicht die besten Freunde. Frag mich aber nicht warum. Ich weiß nicht, was ich ihm getan habe.“

Wolfgang wurde immer ungehaltener. Er wollte sich gar nicht beruhigen.

„Wolfgang, lass gut sein. Wir sollten uns aufs Rennen konzentrieren. Sonst lachen sich die Franzosen doch über uns tot. Ich will dazu beitragen, dass ihr Weltmeister werdet. Ich will ein versöhnliches Ende für meine Fahrerlaufbahn haben. Mehr nicht.“

„Marc“, begann Wolfgang, „ich weiß das. Und er wird das heute auch noch begreifen. Glaub mir. Das kläre ich noch mit ihm.“

Es war sinnlos, wenn Wolfgang irgendetwas nicht akzeptierte, dann war es unfaires Teamplay. Das würde der Kollege noch lernen müssen. Er war noch recht jung, und er war sauschnell, aber Langstreckensport war Teamplay.

Mit einem Lächeln auf den Lippen führte mich Tom noch an die Hotelbar. Wir hatten uns noch viel zu erzählen. Meine Jungs hatten sich mittlerweile auch etwas erholt und kamen zu uns. Wir hatten noch zwei Stunden sehr viel Spaß. Tom war einfach ein toller Freund für mich geworden und ich war mir sicher. Er würde am Sonntag Sao Paolo als Weltmeister verlassen.

Die Zeit lief nur so davon. Um elf Uhr Ortszeit gingen wir dann doch vorschriftsmäßig ins Bett. Morgen sollte um neun Uhr bereits das erste freie Training starten. Also hieß das um sieben Uhr aufstehen. Leif kam zu mir ins Zimmer und die beiden Großen hatten ein eigenes Zimmer. Die Nacht verlief sehr ruhig.

Beim morgendlichen Duschen wunderte ich mich doch ein wenig. Leif war bereits vor mir in der Dusche gewesen und stand schon in der Morgensonne auf dem Balkon. Er schaute auf die gewaltige Stadt Sao Paolo.

Ich zog mich an und stellte mich neben ihn. Für einen Moment fühlte ich mich zurückversetzt. Ich spürte den Druck, Erfolg haben zu müssen.

„Papa, kannst du mir etwas versprechen?“

Leifs Stimme hatte einen seltsamen Unterton. Ich war wirklich irritiert.

„Kleiner, was ist los? Du hast doch ein Problem auf dem Herzen.“

„Hmm, ja schon. Ich habe Angst, es könnte bei diesem letzten Rennen noch etwas passieren. Ich möchte, dass du uns versprichst aufzupassen. Ich weiß, dass es für Tom noch um die WM geht, aber ich will, dass wir gesund nach Hause kommen. Ganz ehrlich, mir ist es egal, ob Tom Weltmeister wird oder nicht. Ich will dich gesund nach Hause bringen.“

Ich sah meinen Jüngsten völlig verdutzt an. Diese Art der Gedanken war neu für mich. So ernst hatte ich Leif noch nicht oft erlebt.

„Leif, ich bin Rennfahrer gewesen, und ich habe Tom versprochen, ihn zu unterstützen. Allerdings wird er niemals von mir verlangen, ein hohes Risiko einzugehen. Ich will genauso gesund nach Hause zurück, wie ihr. Also vertrau mir bitte.“

Ich nahm ihn in den Arm und wir standen eng aneinander gekuschelt auf dem Balkon.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Ich drehte mich um und ging zur Tür. Als ich öffnete, schaute ich ihn vier gut gelaunte Augen meiner beiden großen Jungs. Wir gingen gemeinsam zum Frühstück. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was mich in der Hotellobby erwartete.

Dort war bereits die Hölle los. Überall Presse und Fernsehen. Alle schienen nur auf mich gewartet zu haben. Denn wir konnten kaum den Fahrstuhl verlassen, schon waren wir von Journalisten umringt und irgendwelche Kameras auf uns gerichtet.

Herr Steevens hier, Herr Steevens da. Ich wurde ständig befragt, warum ich her sei und ob ich meine Karriere doch fortsetzen würde. Irgendwann wurde es meinen Jungs zu viel. Mick fuhr einem Journalisten in die Parade, als er mich wieder nach den Comeback Gerüchten befragen wollte.

„So, es reicht jetzt. Wir wollen in Ruhe frühstücken. Also entschuldigt uns bitte.“

Er nahm mich einfach an die Hand und wir gingen schnurstracks aus der Lobby in den nur für Hotelgäste zugänglichen Frühstücksraum. Endlich Ruhe.

„Sag mal Mick, wo hast du das denn gelernt? Respekt! Einfach mal den Presseleuten dazwischen fahren.“

Er schaute mich an und lachte.

„Irgendwer muss ja auf dich aufpassen. Hatte ich doch Sabine versprochen.“

Das Frühstück war eigentlich viel zu schnell vorbei und wir mussten zur Strecke. Es gab einen Shuttle Service für uns. Die Fahrt dauerte etwa eine halbe Stunde mitten durch die Stadt. Ich war wirklich heilfroh, hier nicht selbst fahren zu müssen.

An der Strecke ging der Presserummel unvermindert weiter. Es schien so, als ob ich noch mehr Interesse wecken würde, als zu meiner aktiven Zeit.

Wolfgang nahm uns persönlich in Empfang und brachte uns ins Fahrerlager. Loic war noch nicht an der Strecke, Tom hingegen schon. Er kam auf uns zu und wir begrüßten uns sehr herzlich. Tom nahm mich an die Seite.

„Damit das klar ist, was Loic da gestern abgezogen hat, geht mal gar nicht. Ich habe Wolfgang noch nie so wütend gesehen. Er hat ihm gestern noch derart eine Ansage gemacht, das war ein Schauspiel.“

„Danke Tom, aber ich kann mir schon vorstellen, was bei ihm grade passiert. Er ist noch sehr jung, er kann bereits Weltmeister werden. Ich glaube, da war diese Ansage von Wolfgang vielleicht mal ganz gut. Lass uns mal abwarten, wie er sich heute mir gegenüber verhält.“

„Du hast dich kein bisschen verändert, immer der perfekte Teamplayer. So, jetzt wollen wir mal die Strecke besichtigen.“

Dafür benutzten wir Motorroller, die vom Team dafür gestellt wurden. Die Strecke in Sao Paolo hatte einige Besonderheiten. Vor allem, dass sie entgegen dem Uhrzeigersinn gefahren wurde. Das hieß doch eine besondere Belastung, und die Autos hatten eine andere Abstimmung. Der Schwerpunkt musste auf die andere Seite gelegt werden, das erforderte doch einige Umbauten.

Sie war außerdem sehr uneben. Einige Kurven erforderten extrem präzises Fahren. Hier würden kleinere Fehler brutal bestraft werden. Vor allem das Senna S nach Start und Ziel war sehr „tricky“.

Ich kannte die Strecke noch aus Formel 1 Zeiten. Ich würde mich recht schnell zu Recht finden. Tom gab mir noch ein paar Infos zu den neuesten Teilen am Auto. Der Hybridantrieb war nochmal weiter entwickelt worden, so dass wir noch mehr elektrische Leistung abrufen und dadurch den Dieselverbrauch reduzieren konnten.

Wir kamen gut voran und auch Loic war heute normal freundlich. Wir sprachen allerdings auch nicht sonderlich viel miteinander. Die Besichtigung war zu Ende und ich ging mich umziehen. In einer halben Stunde begann das freie Training. Lukas kam zu mir in das Motorhome. Eigentlich war das hier Sperrzone, da kam sonst niemand außer dem Team hinein. Ich hatte aber immer schon darauf bestanden, dass meine Kinder immer zu mir kommen konnten, auch früher schon.

„Hallo Lukas, schön, dass du hier herkommst. Wie geht es euch jetzt vor dem Beginn des Trainings?“

„Papa, das war meine Frage. Du bist unfair.“

Wir mussten lachen. Seine Anspannung war dennoch für mich spürbar. Er hatte immer noch Angst, mir könnte etwas passieren.

„Lukas, sei unbesorgt. Hier wird nichts passieren. Es ist mein allerletztes Rennen, da werde ich nicht mehr riskieren als sonst. Außerdem wird Tom auf mich aufpassen. Er will ja Champion werden.“

„Ja, ich weiß auch, dass es so ist. Dennoch habe ich Angst, ich kann nichts dagegen tun. Es ist einfach ein blöder Zeitpunkt für mich.“

Nanu? Warum ein blöder Zeitpunkt? Das hatte ich nicht verstanden, aber er wollte darüber nicht weiter reden. Ich ließ das also mal so stehen. Wunderte mich aber schon.

Als ich Minuten später in der Box ankam, ließ er sich nichts mehr anmerken. Ich stand bei meinen Jungs, als Loic das Training begann. Endlich hatte ich kurz Gelegenheit Manuel zu begrüßen. Tim war bereits auch da. Wir waren also komplett. Manuel freute sich sichtlich, mich und meine Jungs wieder zu sehen. Wir vereinbarten heute Abend gemeinsam zu verbringen. Vorausgesetzt es passierte nichts Besonderes und Manuel musste nicht länger am Auto arbeiten.

Die erste Stunde verlief für mich ereignislos, außer dass ich immer wieder Presseanfragen beantworten musste. Irgendwann stand ich bei der französischen Konkurrenz. Ich wollte nur mal schauen, wie sie ihre Arbeit machten. Plötzlich sprach mich jemand auf Englisch an. Ich drehte mich um. Ein kleiner schwarzer Lockenkopf stand vor mir. Er sprach mit einem herrlichen französischen Akzent. Er war etwas älter als ich und ich brauchte einen Moment, um ihn zu erkennen. Es war kein geringerer als Alain Prost. Eine Legende des Motorsportes und mittlerweile ein hohes Tier bei der FIA. Wir sprachen einige Minuten über das Reglement und darüber, wie es mir hier bislang ergangen war. Er war sehr nett. Sein Spitzname war „Der Professor“, weil er immer alles ganz exakt plante und immer wissen wollte, wie die Technik an seinen Autos funktionierte. In diesem Punkt ähnelten wir uns sehr. Er war immer perfekt vorbereitet.

Für mich überraschend fragte er, ob ich nicht Lust hätte, an einigen Show Runden auf einem alten Formel 1 Wagen teilzunehmen. Einige Hersteller waren hier, um Werbung für die Formel 1 zu machen. Ich erkundigte mich, welches Auto denn für mich vorgesehen sei. Er sprach von einem Weltmeisterauto von mir. Da sagte ich zu. Es würde bestimmt Spaß machen, dieses Auto noch einmal zu bewegen. Das sollte am Samstag vor dem Qualifying stattfinden.

Wir trennten uns mit der Abspache, er würde sich um alles kümmern und ich sollte nur rechtzeitig in der Box sein. Tom war mittlerweile auch einige schnelle Runden gefahren und jetzt war es für mich an der Zeit, in das Auto zu steigen. Meine Nervosität stieg doch etwas an. Das war für mich doch ein wenig verwunderlich. In meiner aktiven Zeit war ich sehr selten richtig nervös. Ich stieg in den Wagen, lies mich anschnallen und dann startete ich den Motor.

Ich rollte langsam aus der Boxengasse und dann war ich wieder auf der Strecke. Die erste Kurve nach dem Boxenausgang war die Curva del sol. Sie wurde im Rennen nahezu voll gefahren. Also mit etwa 240 km/h. Es folgte eine Gerade, die am Ende eine scharfe Linkskurve hatte. Es folgte eine sehr schnelle Links- und eine mittlere Rechtskurve. Danach ging es in das Infield und ein kleines Kurvengeschlängel. Dieses wurde mit einer Linkskurve beendet. Dann ging es nur noch Vollgas wieder Richtung Start und Ziel. Die Strecke war mit nur 4,3 Kilometern eine der Kürzesten im Jahr. Allerdings wurden recht hohe Geschwindigkeiten gefahren.

Fünf Runden mit stets erhöhter Geschwindigkeit hatte ich absolviert und fühlte mich wieder sehr wohl im Auto. Über Funk klärte ich einige Parameter ab und bekam von Wolfgang das Ok schneller fahren zu dürfen. Ich gab Gas und begann einige wirklich schnelle Runden zu fahren. Ich hatte einen Satz relativ weicher Reifen bekommen und noch wenig Sprit an Bord. Ich sollte mich einfach nur an das Auto wieder gewöhnen. Als ich nach 20 Runden zurück in die Box kam, stand für mich die zweitbeste Zeit auf dem Monitor. Nur „Rocky“ von unserem Schwesterauto war noch schneller gewesen.

Verschwitzt stieg ich aus dem Fahrzeug und übergab dieses nach dem Tanken und Reifenwechsel an Tom. Wolfgang winkte mich zu sich an den Kommandostand. Dort redeten wir kurz über den Verlauf und das alles normal lief. Er war sichtlich zufrieden.

Leif stand schon mit einem Handtuch wartend in der Box. Er schaute nicht sonderlich glücklich aus.

„Danke, du machst ein Gesicht, als ob du in eine Zitrone gebissen hättest.“

Er schaute gequält fröhlich.

„Ist das für dich an das Auto gewöhnen? Gleich mal die zweitschnellste Zeit fahren?“

„Ach komm, das Auto war sehr leicht und ich hatte weiche Reifen. Also mal ganz locker bleiben, dein alter Herr hatte alles im Griff.“

Ich nahm ihn in den Arm und wir gingen in die Box hinein. Dort kam es zur Begegnung mit Loic. Er klopfte mir anerkennend auf die Schulter und meinte:

„Also Marc, wirklich Respekt. Ich habe es nicht gedacht, dass du wirklich in so kurzer Zeit so schnelle Zeiten fahren würdest. Es tut mir leid, dass ich mich gestern so schlecht verhalten habe.“

Er streckte mir die Hand entgegen und ich schlug ein. Damit war dieses Kapitel für mich endgültig erledigt.

Das Training sollte für mich beendet sein, laut Plan. Ich legte mir das Handtuch um den Hals und ging mit Leif zu Mick und Lukas in den hinteren Teil der Box. Dort standen die Telemetrie Monitore mit den Ingenieuren. Ich schaute mir meine Daten an und mein Technik Ingenieur war recht zufrieden. Er meinte nur, dass ich mehr auf meinen Dieselverbrauch achten müsste und die Zusatzenergie der Elektromotoren besser nutzen sollte.

Lukas stand neben Mick und sie hielten sich an der Hand. Das war für mich ein gutes Zeichen. Lukas schien zumindest hier wieder seine normale Stimmung zu haben. Wir unterhielten uns über meine Erfahrungen im Auto. Leider musste ich feststellen, dass ich doch nicht mehr so topfit war, wie zu meiner aktiven Zeit. Ich war jetzt nur eine dreiviertel Stunde im Auto und doch schon recht kaputt.

Leif nahm das natürlich zum Anlass, ein wenig über mich zu lästern. Ich nahm das mit Humor, er hatte ja Recht, ich war nicht mehr der Fitteste.

Das freie Training ging auch für Loic ohne Probleme zu Ende. Entgegen der üblichen Prozedur rief Wolfgang eine große Teamsitzung zusammen. Ich war etwas erstaunt. Er begründete das mit der besonderen Situation in der Meisterschaft.

Für meine Jungs hieß das leider noch etwas länger auf mich warten. Mick und Leif nutzten das natürlich, um sich die anderen Fahrzeuge genauer anzusehen. Lukas hingegen ging aus der Box hinaus und wollte etwas Ruhe haben.

Als ich eine Stunde später aus der Besprechung kam, warteten meine Jungs bereits am Ausgang auf mich. Allerdings war Lukas noch nicht da.

„Hallo Papa“, begrüßte mich Leif, „alles geklärt für morgen oder gibt es Probleme?“

„Hallo ihr zwei, nein, alles im grünen Bereich. Wo ist denn Lukas?“

„Keine Ahnung, er wollte eigentlich nur etwas von der Strecke weg und sich irgendwo ausruhen.“

Dabei machte Leif eine etwas abfällige Bewegung, die mir überhaupt nicht gefiel.

„Warum habt ihr ihn nicht begleitet? Er kennt sich hier doch überhaupt nicht aus. Los, lasst uns schauen, wo er ist. Hoffentlich ist er nicht von dem Streckengelände weg. Dann wird’s richtig böse.“

Ich war sauer. Wir waren in Brasilien und in einer Stadt, die von der Größe her mit keiner Stadt zu vergleichen war, die meine Jungs bisher gesehen hatten. Ausgerechtet da lassen sie Lukas alleine auf Erkundungstour gehen.

Wir suchten alle Bereiche der Strecke ab, kein Lukas zu finden. Mick wurde langsam unruhig. Mir kamen auch ungute Gedanken in den Kopf. Dann begegnete mir ein Sicherheitsbeamter, ich sprach ihn auf Englisch an, ob er vielleicht einen jungen Mann mit einem Team Ausweis um den Hals gesehen hatte. Er verneinte das, aber er wollte seine Kollegen informieren und sich bei uns melden, wenn er etwas wüsste. Ich ließ ihm meine Handynummer da und so blieb uns nichts anderes übrig als zu warten.

Tom kam zu uns und war verwundert, warum wir noch nicht auf dem Weg ins Hotel waren. Als wir ihm die Lage erklärten, versprach er uns zu helfen. Wir sollten einfach am Eingang zur Strecke warten. Das taten wir dann auch über eine Stunde. Nichts passierte. Langsam wurde ich doch etwas unruhig. Ich wollte Mick und Leif schon ins Hotel schicken, wobei es schwierig werden würde, Mick ohne Lukas ins Hotel zu schicken. Da kam ein Streckensicherungsfahrzeug auf uns zu und hielt direkt neben uns. Die hinteren Türen gingen auf und auf der einen Seite stieg ein Streckenposten aus und auf der anderen Seite ein sichtlich angeschlagener Lukas.

Mick stürmte sofort auf seinen Freund zu. Ich war nur einfach erleichtert. Leif hatte das Ganze noch nicht so richtig begriffen, er stand einfach nur da und schaute auf Mick.

„Lukas, wo bist du gewesen? Wir haben schon über eine Stunde nach dir gesucht. Ist dir etwas passiert?“

Ich ging auf die beiden zu, Mick hatte sich natürlich bereits sehr besorgt bei Lukas eingehakt und stützte ihn etwas. Lukas sah wirklich nicht gut aus. Ich beschloss erst mal direkt ins Hotel zu fahren. Ich bedankte mich bei den Streckenposten und versprach mich bei ihnen zu melden. Sie gaben mir ihre Posten Nummer. So wusste ich, wo sie an der Strecke standen.

Der Shuttle brachte uns direkt ins Hotel, ich bat den Fahrer, durch den Hintereingang ans Hotel zu fahren. Ich wollte auf gar keinen Fall noch der Presse begegnen. Unterwegs informierte ich Tom, dass ich Lukas gefunden hatte.

Als wir in Micks Zimmer waren, wollte ich nun doch genauer wissen, was passiert ist. Lukas war sichtlich angeschlagen und es war ihm wohl unangenehm darüber zu reden. Er gab mir nur zu verstehen, dass alles in Ordnung sei und er erst mit Mick sprechen wollte. Das fiel mir sehr schwer zu akzeptieren, aber ich wusste auch, es hätte keinen Sinn gemacht, zu widersprechen. Ich verließ also mit Leif das Zimmer und ging endlich erst einmal duschen.

Unter der Dusche gingen mir doch einige Gedanken durch den Kopf. Was war hier passiert? Hatte ich irgendetwas übersehen? Ich nahm mir vor, Lukas doch erst mal in Ruhe zu lassen. Er würde mir schon berichten, wenn er dazu bereit war. Vielleicht konnte mir Mick ja auch schon etwas erzählen.

Leif kam nach mir ins Bad, als ich bereits mit Duschen fertig war. Als ich das Bad verließ, saß Mick auf dem Sofa in unserem Zimmer. Er sah nicht mehr so besorgt aus.

„Na Großer, wie geht’s Lukas?“

„Papa, ich glaube, wir haben da ein Problem. Im Moment schläft er. Er hat große Probleme mit der Situation. Er wollte eigentlich nur etwas Ruhe finden, aber er hat sich dann verlaufen und ist wohl unglücklich gestürzt. Also nichts Schlimmes. Allerdings, der Grund ist doch schon schwieriger. Er denkt zurzeit sehr oft an seine Eltern. Er hat ein ganz schlechtes Gewissen. Einerseits fühlt er sich total wohl bei uns, aber er hat seine Eltern halt nicht vergessen, und er hat noch nicht einmal das Grab seiner Eltern besucht. Er schämt sich dafür. Aber er traut sich nicht, dich darum zu bitten, mit ihm dorthin zu fahren. Er meint, das wäre doch unfair, einerseits in unserer Familie zu leben und sich wohl zu fühlen und andererseits immer noch an den eigenen Eltern zu hängen.“

Ich war sowas von überrascht. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Nicht, dass er seinen Eltern nachtrauert und sie am Grab besuchen will, sondern dass er sich dafür schämt und sich nicht traut, mich zu fragen. Also, da kannte ich ihn wohl doch noch nicht so gut, wie ich glaubte.

„Mick, ich bin entsetzt. Warum sagt er das nicht einfach? Ich habe doch nur darauf gewartet, dass er soweit ist, seine Eltern am Grab zu besuchen. Das ist ein ganz wichtiger Prozess, Abschied zu nehmen. Meine Güte, darüber müssen wir reden.“

„Er hat mir aber verboten, mit dir zu reden. Wenn du jetzt zu ihm gehst, bin ich der Verräter. Das geht also nicht.“

„Ist klar, also mach ihm deutlich, dass er sich an mich wenden kann und soll. Es ist für mich vollkommen in Ordnung und wir würden da selbstverständlich hinfahren. Nimm ihm das schlechte Gewissen und bestärke ihn, mit mir zu reden. Auch hier. Ich habe für sowas immer Zeit, egal was hier passiert. Sag ihm das bitte.“

Mick saß sehr traurig auf dem Sofa, ich setzte mich neben ihn und wir schwiegen einen Moment.

„Papa, was soll ich jetzt machen?“

„Du gehst jetzt wieder zu ihm und kümmerst dich um ihn. Wenn er morgen nicht zur Rennstrecke zurück möchte, dann bleibst du bei ihm, hier im Hotel. Sei für ihn da, er braucht dich jetzt. Wenn er mit mir sprechen will, aber sich nicht traut, weil ich hier viel um die Ohren habe, dann tritt ihm in den Hintern, er kann immer kommen. Sag ihm das.“

Damit verließ Mick unser Zimmer, ich war sehr nachdenklich und beschloss in Zukunft doch noch mehr auf meine Söhne aufzupassen. Sie waren eben doch noch nicht erwachsen.

Eine gute Stunde später saßen wir vier mit Manuel und Tim unten im Restaurant zusammen. Lukas hatte sich wieder etwas erholt und so hatten wir einen normalen ruhigen Abend. Ich hatte noch einen Pressetermin, meine Jungs gingen daher allein nach oben. Mick gab mir ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Das beruhigte mich dann doch etwas, ich gab mit dem Kopf ein Zeichen, dass ich verstanden hatte.

Die Pressekonferenz dauerte doch etwas länger, ich war mittlerweile etwas genervt von dem ganzen Trubel. Ich fragte mich ernsthaft, wie ich das so viele Jahre geduldig ertragen hatte. Umso sicherer war ich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, mit dem professionellen Rennfahren aufzuhören.

Tom sah mir dieses genervt sein sofort an, er ging neben mir aus dem Presseraum und führte mich direkt noch an die Bar.

„Was ist denn mit dir los? Hast du keinen Spaß hier?“

Ich spürte schnell, dass das nicht ganz ernst gemeint war.

„Ach Tom, ich merke einfach, dass es richtig war, aufzuhören. Das Fahren macht schon noch richtig Spaß, aber dieses Pressegelaber geht mir sowas von auf den Sack. Dann noch das Problem mit Lukas, ich fühle mich auch schon richtig alt im Moment.“

„Du spinnst doch wohl, du und alt? Du bist momentan der Schnellste von uns Dreien, und die Presse kann dir doch egal sein. Du musst ja nicht mal auf das Team Rücksicht nehmen.“

„Du weißt ganz genau, dass ich das niemals tun würde. Dafür ist mir die Freundschaft zu den Leuten viel zu wichtig. Es ist ihr Job und die Presse gehört dazu, aber ich bin auch froh, dass ich das nicht mehr jedes Wochenende machen muss.“

„Klar, das verstehe ich schon. Aber genieße es, so gut es geht. So viele Rennen wird es nicht mehr geben für dich.“

„Wer weiß, vielleicht fahre ich nur noch zum Spaß mal wieder ein paar Ralleys. Mit einem meiner Jungs auf dem Beifahrersitz.“

Wir mussten beide lachen.

„Das würde ich dir sogar zutrauen, aber sag mal, was war denn mit Lukas vorhin los?“

Ich erklärte ihm die Sachlage und da merkte ich dann, dass Tom mir ein richtiger Freund geworden war. Er hörte nur zu und wurde dann ganz ernst.

„Marc, mach dir keine Vorwürfe. Lukas ist fast achtzehn und er muss auch anfangen, für sich Verantwortung zu übernehmen. Da passieren solche Dinge. Du wirst sehen, Mick wird das regeln und Lukas wird mit dir sprechen. Dann werdet ihr auch dafür eine Lösung finden. Glaub mir. Konzentrier dich aufs Fahren, vertrau deinen Söhnen. Sie werden Lukas nicht hängen lassen.“

Wir tranken noch eine Cola und dann ging ich mit einem guten Gefühl auf mein Zimmer. Es war doch schon recht spät geworden, Leif lag schon im Bett und schlief. Ich ging noch leise bei Mick vorbei, dort hörte ich noch Stimmen. Ich klopfte leise an. Lukas öffnete mir die Tür.

„Hi Papa, hast du alles geschafft mit der Presse?“

Ich verzog genervt mein Gesicht. Er musste sogar lachen. Das war doch ein gutes Zeichen.

„Du weißt doch, wie ich früher schon diese Termine gehasst habe, jetzt merke ich noch mehr, wie sehr mich das nervt.“

Wir standen im Zimmer und Mick kam auf mich zu, umarmte mich und kicherte.

„Deshalb hast du ja auch aufgehört, beruhigend zu wissen, dass sich das nicht geändert hat.“

Wir lachten alle drei. Ich erkundigte mich noch, ob wirklich alles in Ordnung sei und ging dann wieder in mein Zimmer.

Die Nacht war erholsam, aber sehr kurz.

Um kurz vor sieben klingelte der Weckdienst und wir mussten uns recht zügig fertigmachen. Der Weg zur Strecke war doch recht weit und zeitaufwendig. Das Frühstück verlief ruhig und fröhlich. Auch Lukas schien sich etwas gefangen zu haben. Er lachte sogar mit uns, wenn ich mal eine lustige Geschichte von früher erzählte.

Die Presse ließ uns am Morgen glücklicherweise in Ruhe. An der Strecke würde das gewiss anders werden.

Heute standen ein kurzes freies Training und dann die Qualifikation an. Der Shuttle Service brachte uns pünktlich zur Strecke, allerdings möchte ich nicht näher auf die Verkehrsverhältnisse eingehen. Ich glaube in Deutschland oder der Schweiz würde jeder, der so fährt, den Führerschein abgeben müssen. Aber hier war das vermutlich die einzige Möglichkeit, überhaupt ans Ziel zu kommen.

Als wir aus dem Van ausstiegen, war an der Strecke schon einiges los. Es gab viele Rahmenrennen mit den unterschiedlichsten Fahrzeugen. Heute sollte ja auch das Show Rennen mit den legendären Formel 1 Wagen stattfinden. Ich hatte mich überreden lassen, dort mit meinem letzten Weltmeisterauto teilzunehmen. Das sollte nach dem freien Training und vor der Qualifikation stattfinden. Wolfgang hatte eh nicht geplant, dass ich die Qualifikation fahren sollte. Jeder Pilot musste zwar mindestens zwei Runden auf Zeit fahren, aber es zählte nur die schnellste Runde von einem der Piloten. Das sollte diesmal Loic übernehmen.

Das Meeting verlief ohne Probleme und so konnte ich mit meinen Söhnen einmal durch das Fahrerlager streifen. Ich traf viele Piloten, die ich noch aus meiner aktiven Zeit kannte. Alle waren sehr freundlich und wünschten mir einen schönen Abschied ohne Zwischenfälle. Für meine Söhne war das auch etwas Neues, bei einem Rennen mit mir gemeinsam durchs Fahrerlager zu laufen war früher nicht möglich. Bzw. es wäre möglich gewesen, wenn ich denn gewollt hätte und nicht so verbissen gewesen wäre. So hatten wir viel Spaß und ich ging völlig entspannt in unsere Box, um mich fertigzumachen für meine Runden im freien Training.

Wolfgang gab mir noch ein paar Instruktionen, was ich auszuprobieren hatte und dann rollte ich auch schon aus der Box. In der ersten Runde wärmte ich Reifen und Bremsen auf und kam dann aus der letzten Linkskurve heraus und beschleunigte voll. Der Wagen nahm sehr schnell Fahrt auf und ich kam mit 260 über Start und Ziel. Das Auto sprang und schlug teilweise durch, so uneben war die Strecke. Ich dachte nur, wenn das mit fast leerem Tank und gemäßigtem Tempo so war, wie sollte das Auto ein Sechs-Stunden-Rennen aushalten?

In den folgenden Runden fuhr ich sehr gleichmäßige Zeiten. Immer noch genug Reserve habend, hielt ich mich an die Verbrauchstests. Alles verlief planmäßig. Über Funk hörte ich dann Wolfgangs Stimme:

„Marc, Verbrauch ist gut. Du kannst jetzt noch einmal fünf Runden richtig schnell fahren.“

Ich bestätigte diese Ansage per Knopfdruck und beschleunigte. Drei Runden lief das Auto wirklich perfekt und die Zeiten waren hervorragend. In der Vierten allerdings hörte ich unseren Chefingenieur aufgeregt über Funk sprechen, es gab ein Hydraulik Problem - im Auto spürte ich davon noch nichts. Ich fragte nach:

„Soll ich sofort reinkommen? Das Auto läuft noch normal.“

„Dann fahr weiter, vielleicht sind die Sensoren nicht in Ordnung.“

Ich gab also weiter Gas und auf Höhe der Boxeneinfahrt hatte ich dann schon so ungefähr 270 km/h auf der Uhr stehen, als es plötzlich einen Knall gab und die Leistung schlagartig weg war. Ich nahm also Gas raus und wollte die Runde ganz langsam zu Ende rollen, um das Auto in die Box zurückbringen zu können.

Ich konnte erkennen, dass die Posten die weißen Flaggen schwenkten. Damit wurden alle anderen Piloten gewarnt, dass ein langsames Fahrzeug auf der Strecke unterwegs war.

Ich hatte leider noch eine ganze Runde zurückzulegen, bis ich wieder in die Box fahren konnte. Das Auto ließ sich nicht mehr schalten und hörte sich furchtbar an. Der Funk war immer noch tot, was sollte ich machen? Weiter rollen und hoffen in die Box zu kommen oder das Auto abstellen? Ich sah auf mein Display mit den Anzeigen, drei rote Lampen blinkten, ich entschloss mich, den Wagen am Rand abzustellen. Ein Motorschaden wäre jetzt eine Katastrophe gewesen.

Bis zum Ende des Trainings musste das Auto dort stehenbleiben. Also konnten die Mechaniker auch nicht am Auto arbeiten. Keine guten Voraussetzungen für ein gutes Qualifying. Ein Streckenposten wollte mich mit einem Motorrad zur Box bringen, aber ich wollte zumindest einen Blick auf den Motor werfen, vielleicht konnte ich den Mechanikern ja schon etwas berichten. Ich nahm also die Motorabdeckung ab und schaute hinein. Ich konnte an einer Druckleitung ein Leck erkennen, es sah so aus, als ob eine Hydraulikleitung schlicht undicht war. Das registrieren die Sensoren und schalten in den Notlauf. Ich entschloss mich zu versuchen, mit dem Auto zurück zur Box zu fahren.

Ich baute alles wieder zusammen und setzte mich wieder hinter das Steuer, startete den Motor und versuchte den ersten Gang einzulegen. Erst im dritten Anlauf gelang das auch. Ich zuckelte also im ersten Gang ganz langsam um die Strecke. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich die Boxen. Sofort stürzten sich alle Mechaniker unserer Crew auf das Auto. Hoffentlich würde es bis zum Qualifying wieder funktionieren.

Nach einigen Minuten sprach ich mit Tom und Loic, sie wollten wissen, wie sich das Problem bemerkbar gemacht hatte. Dazu gesellte sich einige Minuten später Wolfgang. Er gab Entwarnung, es schien tatsächlich nur das Leck der Hydraulikleitung zu sein.

So hatte ich jetzt Gelegenheit, meinen Jungs zu erklären, was los war und sie sich keine Sorgen machen müssten. Leif war doch spürbar nervös geworden, er machte sich Gedanken, ob alles rechtzeitig zu reparieren war. Wir konnten jetzt eh nichts mehr tun, als warten. Das taten wir dann auch. Beruhigend war, das Schwesterauto war auch sehr gut unterwegs und so konnten wir davon ausgehen, die gleichen Zeiten fahren zu können.

Das freie Training war jedenfalls ohne eine weitere Runde von uns zu Ende gegangen und es wurde immer noch geschraubt. Sollte ich in dieser Situation mit den Formel 1 Legenden fahren, oder lieber nicht?

Wolfgang signalisierte mir, dass ich ruhig fahren könnte, das Auto würde rechtzeitig fertig werden.

Also ging ich zu meinem Team, dass mein altes Formel 1 Auto vorbereitet hatte. Ich staunte nicht schlecht, es waren sogar einige Mechaniker aus meiner Zeit dabei. Es wurde eine sehr lustige Begrüßung. Wir redeten viel über diese Zeit. Das Auto sah aus, als ob es neu wäre. Perfekt vorbereitet, der Motor wurde bereits angewärmt. Ein ohrenbetäubender Lärm ging durch die Boxengasse. Alle anderen Motoren wurden ebenfalls angewärmt. Insgesamt waren über zehn alte Formel 1 Boliden hergekommen. Das älteste Fahrzeug war ein Lotus 72. Damit wurde Emerson Fittipaldi 1972 Weltmeister. Ein schwarz-goldener Pfeil.

Ich nahm in meinem alten Cockpit Platz und wurde von den Mechanikern festgeschnallt. Dann gings auch schon los. Ich war voller Vorfreude auf dieses Erlebnis. Der Motor brüllte auf und ich rollte aus der Box. Der Wagen war perfekt vorbereitet, ich hatte sehr schnell wieder das Gefühl für den Wagen. In der ersten Runde kontrollierten wir alle Anzeigen und Funktionen. Eine sogenannte „Installation-Lap“. Zurück an die Boxen, schauen ob alles dicht ist und sonst keine Probleme auftraten.

Jetzt wurde es ernst, ich sollte fünf schnelle Runden am Stück fahren, mit den anderen Boliden auf der Strecke. Das Einzige, was nicht so wirklich funktionierte, war der Boxenfunk. Sollte kein Problem sein, wir wollten ja nur fünf schnelle Runden fahren. Ein Irrtum, wie sich sehr schnell zeigen sollte. In meiner zweiten schnellen Runde hatte ich plötzlich einen massiven Leistungsverlust. Ohne Vorwarnung streikte auch noch das Getriebe.

Die Streckenposten schwenkten überall gelb und ich rollte noch mit ungefähr 150 km/h über Start und Ziel. Da fiel mir auf, dass die Streckenposten nicht nur mit der Fahne schwenkten, sondern auch mit den Armen. Das hieß meistens nichts Gutes. Ich versuchte über Funk die Boxen zu erreichen, aber der Funk war absolut tot. Also rollte ich langsam an den Streckenrand und dann merkte ich auch, warum die Posten so aufgeregt waren. In dem Moment, wo ich langsamer wurde, bemerkte ich Rauch. Ich öffnete noch während der Fahrt die Gurte und blieb direkt an einem Streckenposten stehen und sprang aus dem Auto. Das Heck stand bereits lichterloh in Flammen. Ich löste noch die bordeigene Löschanlage aus und dann kamen auch schon die Streckenposten mit ihren Feuerlöschern. Sie trauten sich aber nicht mehr an das Fahrzeug heran, sie hatten keine ausreichende Schutzkleidung, also nahm ich mir die Feuerlöscher und löschte selbsttätig. Das Feuer war recht schnell gelöscht. Das Problem für mich war aber der Rauch. Ich hatte vermutlich zu viel davon eingeatmet, denn plötzlich wurde mir schlecht und dann schwarz vor Augen.

Leif: Eine böse Überraschung wird zum kleinen Drama

Das letzte freie Training war ein Desaster, Papa hatte massive technische Probleme und musste ganz langsam an die Boxen zurück. Das fing ja gut an. Glücklicherweise war der Defekt wohl doch nicht so gravierend. Das Auto sollte zum Qualifying wieder fit sein. Wir hatten noch ein paar Sätze miteinander gesprochen und gingen dann in die anderen Boxen, wo die alten Formel 1 Boliden standen. Ich fand es einerseits beeindruckend, wie laut diese Motoren tatsächlich waren. Ich hatte noch kein Formel 1 Rennen live gesehen, damals war ich noch zu klein, als Papa dort noch fuhr. Anderseits machten mir die Autos auch Angst. Überall standen Feuerwehrleute mit Feuerlöschern bereit. Das musste also schon deutlich brisanter sein, als bei den Langstreckenprototypen.

Lukas und Mick waren bei Tom geblieben. Sie wollte lieber mit Tim und Manuel etwas reden. Ich wollte aber hier alles sehen. Es war sehr beeindruckend, was für eine gewaltige Kraft diese Fahrzeuge hatten.

Papa war mittlerweile in das Auto gestiegen und wurde festgeschnallt. Das war so eng, ich würde vermutlich Platzangst bekommen. Papa winkte mir zu, er freute sich sichtlich, wieder in seinem alten Wagen zu sitzen.

Er verließ die Boxen mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Diese Autos waren einfach infernalisch laut. Wobei ich sagen musste, die ganz alten Wagen waren noch lauter.

Ich beobachtete die Strecke und die alten Fahrzeuge, wie sie bei Start und Ziel vorbei rasten. Die alten Boliden aus den 70er sahen schon abenteuerlich aus, die Flügel wackelten und das sah alles andere als solide aus. Diese Piloten mussten damals völlig verrückt gewesen sein.

Papa war das zweite Mal an uns vorbeigerauscht. Er war schon ganz schön schnell unterwegs. Jedenfalls war die Zeit schneller als bei den aktuellen Langstreckenprototypen.

Plötzlich wurde es in unserer Box unruhig. Der Teaminhaber lief recht unruhig auf und ab, sprach mit den Mechanikern und dann wurde plötzlich die rote Flagge gezeigt. Abbruch! Strecke gesperrt!

Was war passiert? Ein Unfall? Hoffentlich nicht. Dann sah ich auf einer großen Leinwand das Bild. Ein rauchender roter Formel 1 Wagen, der brennend am Rand stand und, scheisse, Papa mit einem Feuerlöscher in der Hand, dabei seinen Wagen zu löschen.

Ich bekam ein wenig Panik, erst recht als Papa plötzlich einfach neben seinem Fahrzeug zusammenbrach. Was sollte das denn nun? Verdammt, wer konnte mir etwas dazu sagen? Ich rannte zu den Mechanikern, da fiel mir ein, ich sprach ja kein Italienisch. Also versuchte ich es mit Englisch. Aber auch die Mechaniker waren sehr aufgeregt. Ich sah, wie das Medical Car aus der Box losraste. Die Feuerwehr fuhr auch zum Ort des Geschehens. Das durfte doch nicht wahr sein. Papa lag immer noch regungslos neben seinem Wagen, zwei Posten kümmerten sich um ihn und nahmen ihm den Helm ab. Mir wurde schlecht, ich rannte so schnell ich konnte zurück in unsere Box. Ich wollte bei Mick und Lukas sein. Tom fing mich ab.

„Hey Leif, warte. Wo willst du hin?“

„Lass mich, Papa hatte einen Unfall. Das Auto brennt und er liegt daneben.“

Ich wollte weiterlaufen, aber er hielt mich fest.

„Leif, bleib ruhig. Ich habe es bereits gesehen. Ich möchte, dass du bei mir bleibst, bis das geklärt ist. Das Medical Car mit dem Streckenarzt ist bereits vor Ort. Sie kümmern sich um ihn.“

Mir zitterten die Knie. Ich wäre am liebsten fortgerannt, da kam Wolfgang zu uns. Er sah besorgt, aber nicht panisch aus.

„Leif, beruhige dich. Es ist nichts Schlimmes passiert. Er hatte keinen Unfall. Das Auto fing einfach so Feuer. Also wird auch Marc nichts Schlimmes passiert sein. Warte ein paar Minuten, dann werden wir es wissen.“

Tom hielt mich immer noch im Arm und ich fühlte mich irgendwie geborgen. Da konnte ich Mick und Lukas kommen sehen. Sie stellten sich zu mir und wir warteten auf Neuigkeiten. Dieses Warten machte mich wahnsinnig. Warum musste Papa auch wieder so etwas machen? Konnte er nicht einfach aufhören damit?

Dann wurde gezeigt, wie Papa mit dem Doktor in den Rettungswagen stieg. Also war er wieder bei Bewusstsein. Gott sei Dank! Ich atmete tief aus und auch Tom schien sichtlich beruhigt zu sein.

„Siehst du, es geht ihm wieder viel besser. Er fährt jetzt ins Medical Center. Komm, lasst uns dorthin gehen.“

So machten wir uns gemeinsam auf den Weg dorthin. Wir schwiegen, Lukas war schwer angeschlagen. Er hatte geweint, das war deutlich erkennbar. Vor dem Medical Center, wollte man uns erst nicht hineinlassen. Erst als Tom richtig Druck gemacht hatte, ließ man uns hinein. Papa saß mit dem Doktor im Gespräch auf einer Liege.

Er erschrak, als er uns erkannte und in welchem Zustand wir waren. Sofort stand er auf und nahm zuerst Lukas in den Arm. Jetzt konnte sich Lukas nicht mehr beherrschen. Er fing an zu weinen. Er war mit den Nerven komplett am Ende.

Bei mir löste sich langsam die Angst, Papa war nichts passiert. Er hatte nur zu viel Qualm eingeatmet und der war halt sehr giftig. Jetzt ging es ihm aber wieder gut. Wir konnten, nach einer gründlichen Untersuchung von Papa durch den Streckenarzt, das Medical Center mit Papa verlassen.

In der Box wurden wir freudig empfangen. Damit war das Intermezzo Formel 1 beendet. Ich war sehr froh darüber.

Lukas hingegen war immer noch sehr erregt und redete wütend auf Papa ein. Papa blieb ganz ruhig und ließ Lukas seine Wut loswerden. Erst als er sich etwas beruhigt hatte, stand er auf und nahm Lukas in den Arm und ging mit ihm ein paar Schritte aus der Box heraus.

Ich schaute ihnen nach, Mick blieb auch bei mir. Das verwunderte mich etwas. Er würde sonst niemals seinen Freund jetzt allein lassen. Im Gegenteil, er sagte zu mir:

„Komm Leif, lassen wir die beiden etwas allein. Ich glaube, das ist jetzt besser.“

Ich nickte nur und wir gingen wieder zurück zu Tom, der bereits mit den Technikern über das Qualifiying sprach.

Marc: Ein klärendes Gespräch mit Lukas

Lukas hatte ich im Arm, als wir die Box verließen. Er war immer noch auf das Äußerste erregt. Es fiel ihm sichtlich schwer, sich mit mir zu unterhalten. Ich ließ uns Zeit. Er sollte alle Zeit bekommen, die er brauchte. Ich wollte aber jetzt ein paar klärende Worte mit ihm wechseln. Diese panische Angst musste irgendwann aufhören.

Wortlos in den Himmel von Sao Paolo schauend, standen wir vor dem Streckeneingang. Ich holte tief Luft und konnte immer noch den Geschmack vom beißenden Rauch spüren.

„Lukas, was ist los mit dir? Es war nichts Schlimmes passiert, aber du reagierst immer wieder derart heftig mit Panik. Ich finde, es ist an der Zeit, dass du mir etwas erzählst.“

Er schwieg einen langen Moment. Ich dachte schon, er würde gar nicht darauf reagieren. Plötzlich gab er sich einen Ruck.

„Papa, es ist einfach so. Ich habe Angst um euch. Ich will nie wieder allein da stehen, ohne Familie und Freunde. Warum musst du immer so gefährliche Sachen machen? Ich weiß auch, dass du ganz genau weißt, was du tust, dennoch habe ich diese Panik. Immer wieder sehe ich diese Bilder von Mama und Papa und ihr zerstörtes Auto. Ich hätte ihnen so gerne noch viel erzählt. Ich kann es aber nicht mehr. Jetzt habe ich bei euch eine neue tolle Familie gefunden und ich muss immer noch an meine Eltern denken. Es macht mir ein schlechtes Gewissen, wie soll ich euch das erklären? Ich finde es unfair, einerseits eure Liebe und Zuneigung zu bekommen und andererseits meinen Eltern nachzutrauern. Ich habe immer noch nicht Abschied nehmen können. Marc, es tut mir leid, dass ich noch nicht so weit bin. Es fällt mir immer noch so schwer darüber zu sprechen.“

Ich ließ diese Worte einfach so stehen. Er sollte genug Zeit haben, neue Kraft zu finden, mir zuzuhören. Minuten später standen wir immer noch genauso dort. Ich konnte sehen, dass Wolfgang nach mir schaute. Ich sollte wohl zurück in die Box kommen, weil das Qualifying begann. Das war mir aber vollkommen egal. Ich hatte hier eine Aufgabe zu erfüllen. Nämlich meinem Sohn klarzumachen, dass er aufhören muss, seine Bedürfnisse, als falsch zu sehen.

„Mein Sohn, ich möchte dir jetzt etwas ganz Wichtiges sagen. Du musst dir das Recht nehmen, zu sagen, was du möchtest. Wenn du von deinen Eltern Abschied nehmen und akzeptieren willst, dass du ein anderes, neues Leben genießen willst, dann musst du das auch tun. Wir können doch nicht wissen, wie es in dir aussieht und wie weit du mit diesem Prozess bist. Wenn ich dir anbieten würde, mit dir zum Grab deiner Eltern zu fahren, und du bist noch nicht soweit, dann wird es noch schwerer. Also Lukas, komm aus deinem Schneckenhaus wieder hervor und sage uns, was du machen möchtest und wie du dich fühlst. Dann können wir dir auch die Unterstützung geben, die du haben möchtest und die du brauchst. Du musst alles raus lassen und dich befreien von den alten Dingen. Erst dann hast du Platz für dein neues Leben. Du sollst deine Eltern nicht vergessen, aber sie in guter Erinnerung behalten und natürlich immer mit ihnen reden, wenn du möchtest. Fahre an ihr Grab und versuche sie zu fühlen. Es wird dich befreien. Glaub mir. Es wird weh tun, aber es wird dir auch Ruhe geben.“

Mittlerweile war das Qualifiying in vollem Gang, was ich an den Motorengeräuschen hören konnte. Dennoch blieb ich noch mit Lukas dort stehen. Er lag in meinem Arm und Tränen liefen über sein Gesicht. Er war mit seinen Kräften am Ende. Also führte ich ihn in die Box zurück und gab Mick den Auftrag mit dem Shuttle zurück ins Hotel zu fahren. Lukas sollte sich dort beruhigen und neue Kraft tanken können, ohne hier in der Öffentlichkeit zu stehen.

Mick bekam von mir noch eine kurze Information über das Vorgefallene und dann rauschten die beiden Jungs in Richtung Hotel ab.

Leif sah mich auch sehr nachdenklich an, es schien so, als ob er auch eine Nachricht für mich hatte, sich aber noch nicht traute, sie mir mitzuteilen.

„Leif, was ist los? Du siehst auch nicht grade sehr glücklich aus.“

„Zieh dich warm an, wenn du nach Hause kommst. Sabine hat angerufen und ein Riesentheater veranstaltet. Man hatte die Szenen mit dem Feuer im TV gezeigt und Lucien hatte es live gesehen. Also mach dich auf einiges gefasst.“

Dann musste er lachen, er konnte sich nicht länger beherrschen. Ich tat es ihm gleich.

„Also gut, ich werde mal vorsichtshalber meinen Helm aufsetzen, wenn wir dort auflaufen.“

„Das solltest du tun. Ich denke, du solltest nachher mal anrufen, oder eine Mail schreiben. Sie waren sehr in Sorge.“

„Danke für den Tipp. Werde ich sicherheitshalber machen, bevor es noch schlimmere Folgen für mich gibt.“

Lächelnd ging ich zu Wolfgang an den Kommandostand. Er nahm seine Kopfhörer ab und signalisierte mir, dass ich mit ihm ein paar Schritte an die Seite kommen sollte.

„Marc, wie geht’s Lukas? Habt ihr das klären können? Oder ist es besser, wenn du nicht fährst?“

Total erstaunt über diese Frage erwiderte ich:

„Natürlich fahre ich, ich glaube, Lukas muss ein wenig Ruhe haben. Es hat eigentlich nicht direkt mit der Veranstaltung hier zu tun. Die beiden habe ich erst einmal ins Hotel zurück geschickt. Mick soll sich um Lukas kümmern. Ich glaube, dass spätestens morgen beide wieder hier sein werden. Also alles gut. Danke für deine Nachfrage.“

Damit setzte Wolfgang seine Kopfhörer auf und wir trennten uns. Er zurück zum Kommandostand, ich in die Box zu Tom. Loic fuhr das Qualifying. Damit hatten wir, bis auf unsere Pflichtrunden, für heute frei.

Tom wartete bereits auf mich. Er spürte sofort, dass ich mich ablenken sollte. Er redete mit mir über das Auto und was für Änderungen sie noch gemacht hatten. Nach wenigen Minuten war ich wieder im Tunnel und nur auf die Rennszene fixiert.

Erstaunlich war nur, dass unser Auto nicht richtig auf gute Zeiten kam. Wir lagen nur auf Rang sechs. Das war nicht das, was wir angestrebt hatten. Loic war aber gut eine Sekunde langsamer als Rocky im anderen R18. Und wir sahen, dass er wirklich alles versuchte, aber er verlor im Streckenabschnitt „Ferradura“ einfach zu viel Zeit. Das war eine Schlüsselkurve. Tom und ich schauten bei den Ingenieuren der Telemetrie vorbei, vielleicht gab es auch ein technisches Problem, aber dort sagte man nur, dass alle Parameter im grünen Bereich lagen. Wir verstanden es einfach nicht. Warum konnte Loic seine Zeiten aus dem freien Training nicht fahren?

Eine halbe Stunde vor dem Ende lagen wir auf Rang fünf, aber immer noch sieben Zehntel langsamer. Wolfgang rief uns zu sich an den Kommandostand. Er fragte Tom, ob er versuchen sollte, die schnelle Runde zu fahren. Tom verneinte das, er sagte:

„Also wenn einer diese eine Runde hinbekommt, dann ist das Marc. Er kennt das aus der Formel 1 viel besser. Lass Marc das versuchen, dann wissen wir auch definitiv, ob es am Auto oder am Piloten liegt.“

Mir behagte das gar nicht. Es würde wieder Stress bedeuten. Wolfgang hingegen zögerte keine Sekunde, er beorderte Loic in die Box, zum Fahrerwechsel.

Ich hatte zwei Minuten Zeit mir meinen Helm und Handschuhe und das H.A.N.S. anzulegen. Als Loic in Box rein rollte, stand die Crew parat. Es gab neue Reifen, wenig Sprit in den Tank und dann stieg ich ein. Anschnallen und ab ging die Post.

Nach zwei Gewöhnungsrunden blies ich zur Attacke, das Auto fühlte sich für mich einfach gut an. In der zweiten Runde auf Zeit hatte ich bereits vier der sieben Zehntel gefunden und dann kam die dritte schnelle Runde. Es passte einfach alles zusammen und ich knallte eine Zeit auf den Asphalt, die ich selbst nicht erwartet hatte. Wir standen am Ende des Trainings auf Platz zwei. Das war in Ordnung. Als ich ausstieg, stand Loic mit Wolfgang diskutierend in der Box. Unsere Crew freute sich sichtlich und so hatten wir eine viel bessere Ausgangsposition für das morgige Rennen.

Mick: Im Hotel mit Lukas - der Bann wird gebrochen

Papa hatte uns mit dem Shuttle zurück ins Hotel geschickt. Lukas war völlig erschöpft und saß schweigend neben mir auf der Rückbank. Ich streichelte ihm den Rücken und er lehnte sich an mich. Wir mussten nichts sagen, ich wusste es auch so, es war ihm unangenehm, dass er Papa diese Unannehmlichkeiten gemacht hatte. Das war natürlich Blödsinn, Papa sah das überhaupt nicht als Problem. Ich hatte nun die Aufgabe, genau das meinem Lukas klarzumachen.

Im Zimmer angekommen, setzte sich Lukas auf das Sofa und sah mich traurig an. Ich orderte erst mal für uns zwei große Tassen Tee.

Ich setzte mich neben meinen Freund und hatte die Aufgabe, sein Gemüt wieder aufzubauen.

„Lukas, warum bist du jetzt so niedergeschlagen. Du hast Papa erzählt, was dich in den letzten Wochen beschäftigt hat. Das ist doch gut. Jetzt wissen wir alle Bescheid und können dir helfen, damit zurechtzukommen. Ich bin froh, dass es raus ist. Papa hat doch toll reagiert. Geh auf ihn zu und dann fahren wir gemeinsam in den nächsten Tagen zum Grab deiner Eltern.“

Er sah mich ziemlich fragend an.

„Du meinst, ich soll einfach zu ihm gehen und sagen, dass ich mit euch da hinfahren möchte? Das ist doch total unfair. Ihr seid meine Familie und ich will meine alte Familie nicht aufgeben. Das ist doch einfach blöd.“

„Nein Schatz, das ist nicht blöd. Das ist menschlich. Du hast noch keine Gelegenheit gehabt Abschied zu nehmen. Dieser Prozess, hat Papa dir ja erklärt, ist ganz wichtig. Also von mir bekommst du volle Unterstützung und von den anderen auch. Also nimm es endlich einfach mal so an.“

Dabei umarmte ich meinen Freund und küsste ihn. Erst zögerte er, dann ließ er sich einfach fallen. Wir lagen in kürzester Zeit aufeinander auf dem Sofa und küssten und streichelten uns immer fordernder. Lukas vergaß komplett, wo wir eigentlich waren. Nach weiteren Liebkosungen nahm er mich an die Hand und wir gingen einfach in unser Bett. Unsere Sachen waren in kürzester Zeit auf dem Boden gelandet. Wir genossen unsere Zweisamkeit sehr intensiv. Es war wunderschön und so kam es, dass wir die Zeit völlig vergessen hatten. Erst als ich irgendwann auf die Uhr schaute, stellte ich fest, dass wir schon über eine Stunde im Bett verbracht hatten.

Ich wollte schon aufstehen, aber Lukas hielt mich zurück.

„Mick, ich möchte dir etwas sagen. Ich bin so froh, dich zu haben. Es tut mir leid, dass du meinetwegen nicht bei Papa an der Strecke bist, aber ich habe für mich eine Entscheidung getroffen und möchte dich um etwas bitten.“

Dabei sah ich in zwei wunderschöne Augen und ich spürte ein Gefühl, wie es schöner nicht sein konnte.

„Was möchtest du von mir und was hast du entschieden?“

„Ich möchte, dass du mit mir an das Grab meiner Eltern fährst. Ich möchte das nicht alleine tun. Ich möchte meinen Eltern von dir erzählen und sie dir vorstellen. Papa soll auch mitkommen, damit sie meine neue Familie kennenlernen.“

Ich war perplex. Das hörte sich so an, als ob seine Eltern für ihn noch immer lebten. Ich wollte darauf nichts sagen, nur, dass ich ihn selbstverständlich begleiten würde. Dass Papa ebenfalls mitkommen würde, war für mich selbstverständlich. Aber ich konnte das nicht einordnen, hatte er seine Eltern immer noch lebend im Kopf? Ich war etwas überfordert mit dieser Aussage.

„Du, Lukas, ich freue mich, dass du dich dazu entschieden hast. Ich will dich gerne dorthin begleiten. Wie geht es dir jetzt? Denkst du, wir können morgen wieder zu Papa an die Strecke fahren?“

Er strahlte nun wieder so, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte.

„Ja, ich freue mich, beim letzten Rennen dabei sein zu können. Wir müssen Papa unterstützen und ich werde mit dir gemeinsam dieses Erlebnis genießen können.“

Wir standen in unserem Zimmer und küssten uns noch einmal, dann gingen wir hinunter in das Restaurant. Ich hatte einfach Hunger. Papa und die anderen würden noch etwas auf sich warten lassen. Wir setzten uns an einen Tisch und wurden etwas merkwürdig beäugt. Ich vermutete, dass wir einfach zu jung waren, um in einem so noblen Hotel allein unterwegs zu sein. Das störte mich nicht, uns ein tolles Essen zu bestellen.

Nachdem wir unsere Getränke erhalten hatten, vibrierte mein Handy. Ich schaute auf das Display, Papa.

„Hallo Papa, wie ist das Training gelaufen? Seid ihr zufrieden?“

„Langsam Mick, das ist nicht so wichtig. Wie geht es Lukas? Und kommst du dort mit ihm klar?“

„Es geht ihm viel besser, wir sitzen grade im Restaurant und haben uns was zu essen bestellt. Ich glaube, er hat es verstanden.“

Dabei schaute ich meinen Freund an, der leicht errötend nickte.

„Das hört sich doch schon viel besser an. Sag ihm bitte, unser Training war ohne Zwischenfälle und wir sind Zweiter geworden. Haben also alles gut im Griff hier.“

„Das richte ich ihm aus. Hast du dich schon bei Sabine gemeldet? Nicht dass du doppelt Ärger bekommst.“

„Nein, dazu hatte ich absolut noch keine Zeit. Das mache ich später. Ich komme ungefähr in zwei Stunden zurück. Dann würde ich gerne mit euch noch etwas besprechen. Wäre also schön, wenn ihr dann auch da seid.“

„Klar Papa, wo sollten wir denn auch sonst sein. Ich glaube nicht, dass wir uns in diese Stadt wagen, ohne einen ortskundigen Führer.“

Dabei mussten wir beide lachen, sogar Lukas grinste mich an. Das Gespräch endete mit einem Gruß an Lukas und ich legte das Handy wieder weg.

Lukas hielt meine Hand auf dem Tisch liegend, er sah mich die ganze Zeit an. Ich kam mir vor, wie zu Beginn unserer Liebe. Endlich konnte Lukas wieder seine Gefühle zeigen. Das war für mich sehr schön. Der Nachmittag wurde dann sehr sättigend, in jeglicher Form. Auch nach dem Essen, als wir auf unserem Zimmer waren, wurden meine Bedürfnisse vollkommen befriedigt.

Marc: Die Aussprache im Team und das Gespräch im Hotel

Wolfgang und Loic schienen nicht nur zu diskutieren, sie schienen zu streiten. Tom fing mich ab, bevor ich zu den beiden Streithähnen kommen konnte.

„Marc, lass Wolfgang mal einen Moment in Ruhe. Ich glaube nämlich, dass Loic mal ein paar klare Ansagen braucht. Da müssen wir nicht unbedingt dabei sein.“

Überrascht sah ich Tom an und wir gingen zu unseren Mechanikern, die sich gerade richtig freuten über das sehr gute Ergebnis. Allerdings war auch die Spannung deutlich spürbar, es ging halt um die Entscheidung der WM, das hieß auch, es ging um entsprechend viel Geld und Prestige für die Hersteller. Das erzeugte doch enormen Druck auf alle, selbst ich konnte das nicht komplett ausblenden, obwohl es für mich ja um nichts ging, aber ich wollte dem Team auch eine gute Leistung abliefern.

Minuten später sahen wir einen wutentbrannt davon gehenden Loic. Er kam nicht mehr zu uns und verschwand in Richtung Hotel. Da platzte Wolfgang der Kragen.

Er ließ über den Renningenieur ausrichten, dass alle Piloten sich in einer halben Stunde im Teambus einzufinden hätten. Oha, da brannte wohl ein wenig die Luft.

Tom und ich gingen uns duschen und umziehen. Wir kamen recht gleichzeitig aus dem Teambereich und so kam es, dass wir noch im Cateringbereich vorbeischauten. Dort gab es immer einen frischen Tee und kleine Snacks.

Wir schauten auf die Uhr und Tom meinte nur:

„So Marc, auf in die Höhle des Löwen. Der Chef hat gerufen, Wolfgang erwartet pünktliches Erscheinen.“

„Was läuft da eigentlich? Was für ein Problem hat Loic nur mit der ganzen Sache? Ich verstehe es einfach nicht.“

„Keine Ahnung, ich habe nur mitbekommen, dass sich Loic beschwert hatte. Aber was ich auch gehört habe, Loic hat für die nächste Saison bei den Franzosen für drei Jahre unterschrieben. Ich glaube, das ist bei Wolfgang gar nicht gut angekommen, das zum jetzigen Zeitpunkt bekannt zu machen.“

„Oha, jetzt wird mir einiges klarer. Mal sehen, was gleich passiert.“

Wir gingen also Richtung Teambus und ich nutzte noch die Gelegenheit, im Hotel bei meinen beiden großen Jungs anzurufen. Mick erzählte mir, dass alles gut sei und sie sich beim Essen befänden. Leif war bei Tim und Manuel, so konnte ich ungestört zur Besprechung gehen.

Wir setzten uns auf das große Ledersofa. Was mich wunderte, es tauchte plötzlich einer der Vorstandsmitglieder des Konzernes bei uns auf. Das war sehr ungewöhnlich, dass Leute aus der Vorstandsetage an unseren Teamsitzungen teilnahmen.

Als Nächster traf Wolfgang ein, er kam zu uns und was er uns da erklärte, war doch recht überraschend.

„Marc und Tom, schön, dass ihr schon da seid. Ich will es euch schon mal vorab sagen, wir haben aufgrund besonderer Umstände entschieden, Loic nicht mehr auf eurem Auto einzusetzen. Ich habe das mit dem Vorstand besprochen und auch Loic bereits mitgeteilt. Mike und Loic werden tauschen.“

Ich war richtig geschockt. Was war vorgefallen?

„Sag mal, hat das mit mir zu tun? Loic hatte ja schon häufiger Probleme mit mir?“

„Nein, keine Sorge Marc. Es geht um etwas anderes. Ich werde es gleich erläutern. Du hast dir gar nichts, also wirklich gar nichts vorzuwerfen.“

Eine Viertelstunde später saßen alle wichtigen Personen, inklusive aller Piloten, außer Loic, in unserem Konferenzraum im Bus.

Wolfgang begrüßte alle Anwesenden und erwähnte das Vorstandsmitglied hervorhebend. Dann berichtete er von den Erkenntnissen. Loic hatte tatsächlich für das nächste Jahr bei der direkten Konkurrenz unterschrieben und hatte das nicht bekannt gemacht. Wolfgang hatte das über andere Kanäle erfahren und Loic daraufhin zur Rede gestellt. Dann kam noch die seltsame Trainingsleistung, das war dann der Auslöser, Loic aus dem Auto zu nehmen. Wolfgang, und damit der Konzern, wollte verhindern, dass der Titel noch aus der Hand gleiten konnte.

Mit anderen Worten, er schloss nicht aus, dass Loic nicht mit vollem Einsatz für Tom fahren würde. Das war ein schwerer Verstoß gegen alle Verträge. Tom und ich mussten schwer schlucken. Gut, Rocky würde ihn bestens ersetzen, aber die Stimmung im Team bekam einen Knick. So etwas hatte es noch nicht bei uns gegeben.

Das Vorstandsmitglied gab dann auch noch eine Erklärung ab, die deutlich machte, dieser Vorgang schwelte schon länger. Ich hatte das natürlich nicht mitbekommen, weil ich ja nicht mehr im Renngeschehen war.

Nachdem alle Informationen verteilt waren, nahm sich Wolfgang noch einmal das Wort.

„So, nach diesen unschönen Dingen möchte ich nun die Gelegenheit nutzen, noch etwas Erfreuliches zu vermelden. Marc, ich freue mich sehr, dass du ohne Probleme wieder an deinen Speed anknüpfen konntest. Ich finde es immer noch sehr bedauerlich, dass du wirklich aufhören wirst. Ich weiß, dass du mit Tom und jetzt Rocky alles dafür tun wirst, dass Tom und wir als Team Langstreckenweltmeister werden können. Ich möchte dir für die Jahre danken, in denen du dich für uns eingesetzt und immer hervorragende Leistungen gezeigt hast. Wie ich von Tom erfahren habe, kümmerst du dich vorbildlich um deine neue Familie. Ich möchte dir daher als Abschiedsgeschenk, eine Reise für deine Familie schenken. Eine besondere Reise. Ich weiß, du wirst ja im kommenden Jahr mit Tom und deinen Jungs an den 24 Stunden auf der Nordschleife teilnehmen. Deshalb bekommst du mit deinen Jungs einen Lehrgang auf der Nordschleife für eine Woche. Du kannst dort mit ihnen auf dem GT3 R8 LMS trainieren. Tom wird euer Instruktor sein. Also viel Spaß dabei.“

Ich war sehr überrascht und auch gerührt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wolfgang umarmte mich und auch Tom grinste sich einen. Er hatte es also schon gewusst.

„Ach ja, bevor ich es vergesse, euer Reiseweg wird etwas anders sein, als gewöhnlich. Ihr bekommt ein passendes Wohnmobil gestellt, so dass ihr eine Woche Zeit habt anzureisen. Alle werden dort ausreichend Platz haben, auch deine neue Freundin und ihr Sohn.“

Jetzt staunte ich noch mehr, woher konnte Wolfgang das bloß wissen? Selbst Tom wusste ja noch nicht lange von Sabine, als meine neue Freundin. Da musste ich wohl mal mit meinen Söhnen reden.

Nach einem gemeinsamen Abschluss Kaffee verließen wir den Bus. Ich machte mich direkt auf den Weg zu Leif, um mit ihm und Tim ins Hotel zurückzufahren. Tom hatte leider noch einen Fernsehtermin.

Leif und ich betraten unser Zimmer, ich wollte zuerst nach Lukas und Mick schauen, während Leif duschen wollte.

An die Tür klopfend stand ich vor ihrem Zimmer. Es gab ein leises „Herein“ und ich betrat ihr Zimmer. Lukas saß eng an Mick gekuschelt auf dem Sofa und wie ich sehen konnte waren ihre Hosen in einem eindeutig offenen Zustand.

Ich musste laut lachen und begrüßte die beiden.

„Hallo ihr beiden, wie ich unschwer erkennen kann, hattet ihr einen lustvollen Nachmittag. Also, um es kurz zu machen, ich möchte in einer Stunde bei uns im Zimmer mit euch eine Besprechung machen. Und bis dahin solltet ihr eure Hosen geschlossen haben.“

Jetzt schienen die beiden erst zu begreifen, was ich eigentlich gemeint hatte. Sie wurden sowas von rot. Ein herrlicher Anblick. Ich drehte mich um, wollte das Zimmer wieder verlassen, als Lukas plötzlich laut „Warte“ rief. Ich drehte mich erstaunt um.

„Papa, es tut mir leid, dass ich mich vorhin nicht unter Kontrolle hatte.“

Er hatte sich bereits erhoben und stand vor mir. Ich nahm ihn wortlos in die Arme und er fiel mir um den Hals.

„Alles gut, Lukas. Mach dir keine Gedanken darüber. Wir werden das gemeinsam schaffen. Ganz bestimmt.“

Ich löste mich von ihm und dann schaute ich ihm in die Augen. Ich konnte erkennen, Mick hatte ganze Arbeit geleistet und etwas bewegt.

„Also bis gleich, ihr beiden. Ich gehe jetzt noch schnell was essen mit Leif.“

Leif saß mit mir an einem schönen Tisch bei bestem Essen, als er mir folgende Frage stellte.

„Papa, hat Lukas jetzt mit Mick gesprochen? Ich möchte, dass er wieder so ist wie früher. Ich mache mir große Sorgen.“

„Keine Sorge, Mick hat glaube ich viel erreicht. Wir werden es gleich sehen, was denn das Problem ist und wie wir es lösen können. Aber was anderes, hast du eigentlich schon mit Stefanie Kontakt gehabt? Wie geht es ihr?“

„Ja, wir haben uns über WhatsApp geschrieben. Es geht ihr gut, nur …“

Er zögerte, war sich unsicher, ob er das erzählen sollte. Ich wollte ihm eine Brücke bauen.

„Nur was? Vermisst sie dich oder du sie?“

Ich blieb ganz ernst dabei, obwohl ich es schon amüsant fand. Leif schaute mich an und nickte langsam.

„Ja, ich vermisse sie. Es ist einfach schön, wenn sie da ist. Auch wenn ich noch keinen Sex mit ihr habe, ich finde sie toll.“

„Und wie kommt sie damit klar, dass du noch nicht mehr möchtest? Hat sie es akzeptiert?“

„Papa, können wir das auf später verschieben. Ich möchte hier nicht so gerne darüber reden, aber ich verspreche dir, ich komme zu dir, wenn wir wieder zu Hause sind.“

Damit ließ ich das so stehen und wir genossen unseren Nachtisch. Wenige Minuten später saßen wir in unserem Zimmer am Couchtisch und Mick berichtete von den Ereignissen, die sich hier abgespielt hatten. Lukas wollte, dass Mick uns das erzählt. Allerdings erzählte er uns nicht, was genau Lukas uns sagen wollte.

Als er fertig war, schwiegen wir einen Moment. Ich spürte, bei Mick war noch eine Sache nicht geklärt. Er hatte etwas für sich behalten.

„Also, das war jetzt alles, was du zu berichten hast? Oder kommt da noch etwas?“

Er schaute mich an, ich wusste sofort, da war noch etwas, aber das gehörte hier nicht hin. Das würde er mir nur unter vier Augen erzählen.

„Gut, dann möchte ich hier jetzt mal etwas dazu sagen. Lukas, und bitte, tu dir einen Gefallen, alles, was ich jetzt sage ist nicht als Vorwurf gemeint, nimm es als Hilfestellung an. Wenn du an deine Eltern denkst, dann tu das ohne schlechtes Gewissen. Sie sind und werden immer ein Teil deines Lebens sein. Sie gehören zu dir, genauso wie wir, als deine neue Familie. Wir können dir deine Eltern nicht gleichwertig ersetzen. Wir sind anders, aber wir sind auch eine Familie für dich, eben eine andere. Das heißt nicht, dass du nicht mehr an deine Eltern denken darfst oder sollst. Ich habe es nur bislang nicht angesprochen. Ich wollte dir genug Zeit geben, bereit zu sein, sich von ihnen angemessen zu verabschieden aus dem realen Leben, nicht aus den Erinnerungen. Das ist ein langer Prozess, der auch sehr weh tun kann. Also sage mir bitte, was möchtest du uns jetzt dazu mitteilen?“

Lukas sah mich aus seinen leuchtenden Augen an, er schien sich sicher zu sein, heute endlich seine Wünsche und Gefühle auf den Tisch zu legen.

„Also gut, Mick hat ja schon erklärt, dass wir hier viel gesprochen haben und ich einen Wunsch habe. Ich möchte mit euch, meiner neuen Familie, zu meinen Eltern fahren und euch ihnen vorstellen. Ihnen von euch berichten, damit sie sehen, dass es mir gut geht. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit für mich damit klarzukommen, dass ich eben jetzt hier bei euch lebe. Ich fühlte mich schlecht dabei, ihr habt mich aufgenommen und euch um mich gekümmert. Mick ist mein Partner geworden und du hast mich ohne Vorbedingungen aufgenommen. Aber als ich spürte, dass meine Eltern immer noch in meinen Gedanken waren, habe ich ein schlechtes Gewissen bekommen. Ich fand es als ungerecht, euch davon zu erzählen. Ich wollte es mit mir ausmachen, aber ich kann es einfach nicht allein. Deshalb meine Bitte an euch: Kommt bitte mit nach Deutschland und besucht mit mir meine Eltern.“

Bei den letzten Worten wurde es ganz hart für ihn. Seine Stimme drohte zu versagen und die Augen bekamen einen glasigen Schimmer. Mick spürte die große Anspannung bei seinem Freund und er nahm seine Hand und drückte sie ganz fest. Als er fertig war, nahm ihn Mick ganz fest in den Arm und küsste ihn. Leif sah seine beiden Brüder mit großen Augen an. Er hatte große Schwierigkeiten, das zu begreifen. Ich konnte es erkennen, er verstand die Äußerungen von Lukas nicht richtig. Wieso uns seinen Eltern vorstellen? Sie waren doch tot.

Für mich war das eine klare und normale Sachlage. Ich verstand, was er mir sagen wollte.

„Lukas, ich spreche jetzt mal für mich und Leif, Mick hat es dir vermutlich schon zugesagt. Wir werden mit dir gemeinsam deine Eltern besuchen. Sobald wir wieder zu Hause sind, suchen wir uns einen guten Termin und fahren dann nach Deutschland.“

Ich nahm meinen Sohn in den Arm und streichelte ihm über den Rücken. Lukas musste schwer mit seinen Gefühlen kämpfen, aber es war spürbar, wie dankbar und befreit er war.

„Danke, Papa. Ich bin so froh, es endlich gesagt zu haben.“

Es war alles gesagt. Ich berichtete nun Mick und Lukas noch, was an der Strecke passiert war. Dann gingen wir noch ein wenig spazieren. Dabei redeten wir nur über schöne Dinge oder über die verrückte Stadt Sao Paolo. Um halb elf gingen wir alle sehr müde ins Bett. Der kommende Tag warf seine Schatten voraus.

Lukas: Endlich das letzte Rennen - Schluss mit dem Angst haben müssen

Als wir am nächsten Morgen an der Strecke ankamen, wurde mir mulmig zumute. Um unseren Wagen herum standen bestimmt fünf Kamerateams und zwanzig Presseleute. Alle wollten von Papa ein Statement oder Bilder machen. Wir konnten kaum aus dem Auto aussteigen, so eng standen die Massen um uns herum. Papa gab uns im Auto noch die Anweisung einfach in die Boxen zu gehen, er würde nachkommen. Ich verweigerte diese Anweisung. Ich hatte Angst, die Leute würden Papa erdrücken, was natürlich Unsinn war, aber ich hatte ja keinerlei Erfahrungen mit dieser Situation.

So kam es, dass ich plötzlich von einem jungen Mann in bestem Deutsch gefragt wurde, wie ich denn dieses Abschiedsrennen finden würde. Er stellte sich als Reporter einer deutschen Schule hier in Sao Paolo vor. Er war nicht viel älter als ich, und er war mir echt sympathisch.

Wir unterhielten uns einige Minuten und dann fragte er mich, ob er dieses Gespräch in seiner Schule veröffentlichen durfte. Es sollte für die Schülerzeitung sein. Ich gab ihm die Erlaubnis und dann trennten sich unsere Wege. Endlich kamen wir in der Box an. Leif und Mick grinsten mich breit an.

„Was ist? Habe ich was im Gesicht, oder weshalb grinst ihr so?“

Leif schien sich kaum halten zu können.

„Ausgerechnet du, der sonst immer vor der Presse Angst hatte, macht hier ein Interview. Wie geil ist das denn wohl.“

Wir mussten alle lachen. Papa war schon zum Umziehen verschwunden. Da kam Wolfgang zu uns.

„Hallo Jungs, alles in Ordnung bei euch? Oder schon ein wenig nervös?“

„Ganz ehrlich“, erwiderte ich, „ich bin einfach nur heilfroh, wenn das endlich vorbei ist. Nie wieder Angst haben, dass Papa etwas passieren könnte.“

Wolfgang sah mich erstaunt an. Aber er schien sich nicht lustig machen zu wollen.

„Angst? Hast du jedes Mal Angst, wenn er gefahren ist?“

„Ja, auch diesmal wieder. Ich bin fix und fertig, wenn er im Auto sitzt. Und es ist sicherlich so, dass es meinetwegen sein letztes echtes Rennen sein wird.“

Ich fühlte mich etwas schlecht dabei, als ich Wolfgang das so sagte, aber er schaute mich an und nahm mich in den Arm.

„Also Lukas, ich verspreche dir, wir werden sehr gut auf deinen Vater aufpassen. Und ich finde, du kannst stolz auf deinen Papa sein. Ein Vater, der seinen Kindern zuliebe seinen Beruf aufgibt, muss etwas ganz Besonderes sein.“

Meine Verwunderung musste wohl gut sichtbar gewesen sein, denn er wuschelte mir durchs Haar.

„Du hast wirklich Recht, Papa ist etwas sehr Besonderes! Er hat mir meine Lebensfreude wieder zurückgegeben. Das werde ich niemals vergessen.“

Wolfgang wunderte sich über meine Aussage. Er meinte dann zu mir, ich sollte doch bitte in einer halben Stunde, mit Mick, bei ihm im Teambus vorbei schauen. Er wollte sich gerne einmal mit uns unterhalten. Ich sagte zu und dann ging es auch schon mit den Vorbereitungen für das Rennen richtig los.

In der Box begann ein richtiges Gewusel. Die Mechaniker liefen scheinbar wahllos durcheinander, allerdings war jeder Handgriff perfekt abgestimmt. Jedenfalls standen beide Autos innerhalb dieser halben Stunde fertig und bereit in der Garage. Die Motoren wurden noch aufgewärmt und dann war alles bereit.

Ich stand mit Mick an der Seite von Papas Auto. Meine Unruhe wurde von Minute zu Minute größer. Mick hielt meine Hand und ich konnte auch bei ihm eine leicht erhöhte Anspannung spüren. Leif hingegen lief immer mit einem Lächeln im Gesicht herum. Er scherzte mit den Mechanikern und ich wunderte mich schon etwas über ihn.

Jedenfalls hatten wir die Zeit überhaupt nicht mehr im Blick und waren entsprechend peinlich berührt, als uns die Pressereferentin freundlich bat, an unser Gespräch mit Wolfgang zu denken. Mick und ich liefen direkt los. Außer Atem kamen wir am Bus an.

„Oh Mann Mick, wie peinlich ist das eigentlich? Ausgerechnet jetzt achten wir nicht auf die Zeit.“

Mick schnaufte noch etwas, nickte mir aber zu.

„Los, lass uns reingehen. Wolfgang soll nicht noch länger warten.“

Wir betraten noch etwas außer Atem den Bus. Am Tisch saß Wolfgang und vor ihm standen eine große Kanne Kaffee mit Keksen und drei Tassen und Teller. Er lachte uns an.

„Na, ihr beiden Experten. Die Zeit wohl nicht so im Auge gehabt, wie?“

Er musste lachen, ich fand es aber echt peinlich und wollte schon anfangen, mich zu entschuldigen, da hielt mich Wolfgang schon zurück.

„Du musst nichts erklären, Lukas. Passt schon. Ich freue mich, dass ihr gekommen seid. Lasst uns einmal über euch reden. Lukas hat mir vorhin seine schlimmen Ängste angedeutet. Ich habe eben noch kurz mit Tom gesprochen, der mir das auch bestätigt hatte. Es tut mir leid, wenn du mit der Rennerei von deinem Vater Schwierigkeiten hast, Lukas. Ich möchte, dass du mir mal deine Seite erzählst, warum es dir so schwer fällt, zu akzeptieren, dass unsere Autos heute sehr sicher sind.“

Ich wusste natürlich, dass die Autos extrem sicher geworden sind. Dennoch spürte ich diese Panik. Ich berichtete Wolfgang die ganze Geschichte, vom Unfall meiner Eltern bis hin zu dem Tag in Le Mans. Als ich fertig war, bemerkte ich erst, wie anstrengend das für mich war. Ich war total verschwitzt und Mick streichelte meinen Rücken zur Beruhigung. Nach einem kurzen Moment des Schweigens küsste mich Mick einfach. Das tat so gut.

„Lukas, was geschah damals in Le Mans, nach dem Unfall? Marc hat mir mal erzählt, du wärst sehr wütend gewesen.“

Ich wurde rot. Mick hingegen musste lachen. Er übernahm dafür jetzt die Antwort.

„Oh ja, er war sehr wütend. Im Krankenhaus hat er Papa derart fertig gemacht. Erst hat er gefragt, wie schlimm es war und dann hat er einen Aufstand veranstaltet, der sich gewaschen hatte.“

Jetzt wollte Mick doch nicht etwa erzählen, was ich da alles gesagt hatte?

„Stopp, Mick, bitte nicht. Das ist so peinlich.“

„Warum? Du hattest doch Recht damit.“

Wolfgang schien recht amüsiert zu sein, er grinste Mick an. Dann erzählte Mick alles, er machte sogar meine Wutausbrüche nach. Es war mir so peinlich. Als er fertig war, kehrte einen Moment Ruhe ein. Ich saß mit hochrotem Kopf auf meinem Platz und wäre am liebsten hinausgelaufen. Wolfgang schaute mich hingegen verblüfft an.

„Respekt, Lukas! Das haben noch nicht viele Kinder ihrem Vater so klar gemacht. Du hast übrigens eigentlich vollkommen Recht damit. Dennoch, es ist nicht so, dass wir hier leichtsinnig mit der Gesundheit unserer Piloten umgehen. Sicher, Motorsport ist gefährlich, aber es ist viel gefährlicher im Straßenverkehr zu Schaden zu kommen, als im Rennsport. Und, was ganz wichtig ist, euer Vater ist einer der besten Piloten aller Zeiten. Es gibt nicht viele Fahrer, die sich so sehr für die Sicherheit stark gemacht haben. Ohne ihn wären einige Dinge viel später Pflicht geworden. Er war derjenige, der das H.A.N.S. System in allen Motorsportserien als Pflicht gefordert hatte und auch durchgesetzt hat. Ich bin heute davon überzeugt, dass auch das System damals Marc vor schweren Verletzungen in Le Mans bewahrt hatte.“

Als er das erwähnte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Aber ich realisierte auch gerade, dass hier einer der wichtigsten Personen in dem Team und vom Hersteller mit uns zusammensaß und sich für uns Zeit nahm. Und das kurz vor dem letzten Saisonrennen, wo es noch um die Meisterschaft ging.

„Lukas, ich verspreche euch, dass wir alles für die Sicherheit tun werden, auch weiterhin. Ich möchte dir ein Angebot machen. Ihr wollt ja im kommenden Jahr an den 24h vom Nürburgring teilnehmen. Damit das für dich wirklich ein tolles Erlebnis wird, möchte ich dich bitten, in der Trainingswoche, die ihr ja von uns bekommen habt, bei Sabine Schmitz ein paar Eifeltaxirunden zu machen. Sie ist eine der besten und lustigsten Rennfahrerinnen, die wir in Deutschland haben. Sie wird dir die Angst nehmen. Ganz sicher.“

Ich war im Moment etwas überfordert. Mick reagierte deshalb schneller, ich war ihm sehr dankbar dafür. Mick versprach, dass wir das tun werden. Dann kam einer der Ingenieure zu uns in den Raum. Es wurde Zeit für das Rennen. Ich bedankte mich bei Wolfgang für seine Zeit und das Gespräch. Es hatte mir gut getan, allerdings war ich immer noch etwas unruhig und wäre sicher froh gewesen, wenn das Rennen bereits vorbei gewesen wäre.

Wir gingen zurück in die Box, dort wartete Papa bereits auf uns.

„Hey, wo kommt ihr denn jetzt her? Ich habe euch schon vermisst.“

„Hallo Papa, wir waren mit Wolfgang einen Kaffee trinken. Er hatte uns eingeladen.“

Papa schaute sehr verwundert, sagte aber nichts dazu. Das Rennen stand auch unmittelbar bevor, da gab es dafür auch keine Zeit mehr, darüber zu reden. Wir gingen nun in die Startaufstellung, die Autos waren bereits alle aufgereiht und die Piloten des Starts saßen im Cockpit. In fünf Minuten sollte es losgehen. Ich wurde immer unruhiger. Papa legte seinen Arm um mich und blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Tom übernahm alle Presseanfragen, so wurden wir nicht belästigt. Auch als ein deutscher TV-Sender unbedingt ein Interview mit Papa machen wollte, blieb er konsequent. Es war sogar so, dass Wolfgang klar ansagte, es würde ab jetzt keine Interviews mehr geben. Wir hatten unsere Ruhe.

Das Rennen begann und entgegen aller bisherigen Rennen, blieb Papa die ganze Zeit bei mir. Mick und Leif waren zwischendurch mal vorne am Kommandostand oder liefen durch die Box. Ich war viel zu verkrampft und Papa spürte das. Er blieb immer bei mir und wir redeten über alles Mögliche, nur nicht über das Rennen. Das half mir doch enorm. Ich hatte einfach das Gefühl, ich wurde mit meiner Angst ernst genommen und das tat so gut.

Papa ließ sich aber immer über den Rennverlauf informieren, und nachdem das Rennen nun schon dreieinhalb Stunden dauerte und ich keinen Schimmer hatte, wie es verlaufen war, wollte ich nun wissen, wie es aussah. Papa stand neben mir und Wolfgang kam zu uns. Da fragte ich ihn einfach.

„Wie sieht es denn eigentlich aus? Klappt das mit dem Titel?“

Papa schaute mich überrascht an, sagte aber nichts. Er ließ Wolfgang antworten.

„Also Lukas, es sieht wirklich sehr gut aus. Beide Wagen laufen ohne Probleme und wir liegen absolut auf Kurs. Marc wird dich jetzt allein lassen müssen. Er muss sich fertig machen für seinen Stint. Wenn du willst, kannst du vorne neben mir am Kommandostand sitzen. Dann bekommst du alles ganz genau mit, was dein Papa im Auto macht.“

Wie bitte? Ich durfte während des Rennens dort sitzen bleiben? Das war noch nie jemandem, der nicht zum Team gehörte, erlaubt worden. Dieses Angebot konnte ich nicht ablehnen.

Das Rennen war in die entscheidende Phase getreten. Ich wusste, dass Papa noch einmal zum Tanken kommen musste. Zwar nur kurz, aber es würde uns Zeit kosten. Papa lag an dritter Stelle, hinter dem Schwesterauto und der französischen Konkurrenz, die zwar in Führung lagen, aber wir würden so den Titel einfahren. In der Box stieg sichtbar die Anspannung. Die letzte halbe Stunde brach an und plötzlich gab mir Wolfgang einen Zettel. Ich hatte Kopfhörer auf und konnte so alle Gespräche verfolgen, die im Team geführt wurden. Es sollte der letzte kurze Stopp gemacht werden. Ich las den Zettel und mir blieb die Luft weg. Dort stand, dass ich Papa sagen sollte, er soll in der nächsten Runde zum Tanken kommen. Ich schaute wohl ziemlich blöd aus. Wolfgang grinste mich an und nickte mir zu. Er erklärte mir, welchen Knopf ich drücken sollte, um mit Papa sprechen zu können. Ich drückte den Knopf und sagte dann sehr aufgeregt.

„Nächste Runde zum Tanken kommen. Nächste Runde zum Tanken kommen.“

Wolfgang wartete auf die Bestätigung von Papa. Sie kam nicht. Es dauerte ein paar Momente länger, dann kam die Antwort.

„Alles klar, Lukas. Ich komme rein. Gute Ansage. Weitermachen!“

Ich wurde rot, aber Wolfgang klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Ein schönes Gefühl. Papa rollte in die Box und ich verfolgte genau, was passierte. Ich hatte noch nie so genau auf einen Ablauf in der Box geachtet. Irgendwie war das auch spannend und nicht nur schlimm.

Die letzten Runden waren einfach nur aufregend. In der letzten Runde waren schon alle Mechaniker und Ingenieure an die Mauer nach vorne gelaufen, es herrschte ausgelassene Spannung. Einerseits war es so gut wie sicher, der Titel war unser, aber die Runde musste eben noch gefahren werden. Dann war es soweit, Papa fuhr mit dem anderen Teamfahrzeug parallel über die Ziellinie. Dann kannte die Freude bei allen keine Grenzen mehr. Ich freute mich auch sehr und erst, als ich einen Moment nachdenken konnte, wurde mir bewusst, es ist endgültig vorbei. Da rollten mir doch aus Erleichterung ein paar Tränen herunter.

Mick hatte mich gefunden und umarmte mich. Er sah meine Tränen und küsste sie einfach weg. Es war toll. Nach ein paar Minuten standen wir im Parc Fermé und warteten darauf, dass Papa endlich zurückkam. Dort kamen sie! Überall standen Fotografen und Teammitglieder, die jubelnd mit Champagner spritzten. Plötzlich wurden wir geduscht und waren klitschnass. Irgendwer hatte uns mit Sekt und Bier geduscht. Das brannte in den Augen. Ich konnte kaum noch erkennen, wie die Autos endlich standen und Papa aus dem Auto stieg. Bevor auch nur ein anderer etwas tun konnte, lief er auf uns zu. Er umarmte uns und freute sich tierisch.

Ich konnte jetzt erahnen, welch ein Druck doch auf Papa lag. Aber es war vorbei und nun durfte gefeiert werden. Das wurde es auch. Ich wusste nicht mehr so genau, wann wir zurück im Hotel waren, aber es war früher Morgen. Und Mick und ich waren auch ganz ordentlich alkoholisiert. Ich war nicht so an Alkohol gewöhnt. Das sollte sich am nächsten Morgen dann rächen.

Marc: Der Morgen danach und die Ankunft zu Hause

Es war vorbei! Meine Laufbahn als aktiver Rennfahrer hatte ein sehr versöhnliches Ende gefunden. Das Team hatte mir eine grandiose Abschiedsfeier gemacht. Alle waren gekommen, sogar einige Fahrer aus den Konkurrenzteams haben mit uns den Titel von Tom und meinen Abschied gefeiert. Ich war wirklich beeindruckt über so viel Ehre.

In weiser Voraussicht hatte ich unseren Rückflug erst für zwölf Uhr angesetzt. Das allerdings hatte zur Folge, dass wir aufgrund der Zeitverschiebung erst am Dienstagmorgen in der Schweiz landen würden.

Es war jetzt acht Uhr morgens und ich begann noch vor dem Frühstück unsere Sachen zusammenzupacken. Tom und ich hatten uns zum gemeinsamen Frühstück verabredet. Dieses Zusammentreffen hier sollte bis zum Urlaub in Dänemark unser letztes bislang geplantes Treffen sein. Ich bedauerte das ein wenig, Tom war mir ein richtiger Freund geworden.

In Erwartung von größeren Problemen bei meinen großen Jungs, aufgrund von ungesundem Alkoholkonsum gestern, hatte ich ein großes Katerfrühstück für heute geordert. Leif schlief allerdings auch noch tief und fest. Ich nutzte die Zeit, in Ruhe unsere Taschen zu packen. Es war ja nicht allzu viel für die drei Tage.

Es wurde dann aber Zeit, Leif wecken zu müssen. Ich setzte mich deshalb auf seine Bettkante und streichelte ihm behutsam das Gesicht. Langsam regte er sich und öffnete die Augen.

„Hmmm, hallo Papa. Schon so spät? Ich will noch nicht aufstehen.“

Ich musste lachen, verstehen konnte ich es ja, aber es gab keinen Aufschub mehr. Ich kitzelte ihn ein wenig und schon hatte ich sein Kopfkissen am Kopf. Daraus entwickelte sich schnell eine Rangelei. Wir lachten und tobten eine Weile und lagen irgendwann beide bei ihm im Bett. Ich hatte mein Ziel erreicht, er war wach. Allerdings hatte ich auch schon lange nicht mehr mit meinem „Kleinen“ so etwas gemacht. Es schien ihm gefallen zu haben, denn er grinste mich frech an, gab mir sogar einen „Guten Morgen“ Kuss. Das hatte ich nicht erwartet.

„So, Leif. Wir müssen uns fertig machen. Schön, dass du gut gelaunt bist. Ich muss jetzt mal nach den anderen beiden schauen. Da wird das wohl nicht so lebendig und lustig werden.“

Leif grinste und meinte dazu:

„Selber schuld, sollten sie nicht so viel trinken, dann könnten sie auch aufstehen.“

Ich lachte, dachte mir dabei, warte du mal, bis du so alt bist. Da reden wir dann noch mal drüber und ging zu den großen Jungs hinüber.

Erstaunlicherweise hörte ich schon Geräusche aus ihrem Zimmer. Ich klopfte und Mick öffnete mir die Tür. Ich erschrak.

„Wie siehst du denn aus? Hilfe, ein Zombie öffnet mir die Tür.“

Mick konnte dennoch schon lachen, er ließ mich hinein.

„Hallo Papa, ja, du hast ja Recht, aber Lukas sieht viel schlimmer aus. Er ist gerade unter der Dusche. Er hat gestern wohl zu viele Cocktails gehabt. Mir geht es erstaunlich gut. Ich habe aber auch nur ein paar Bier getrunken.“

Ich musste einfach grinsen. Meine Jungs waren echt klasse. Dass sie heute wohl leiden würden, war mir schon gestern Abend klar. Vor allem Lukas war ziemlich betrunken gewesen. Ich setzte mich kurz in den Sessel und Mick zog sich derweil vollständig an.

„Papa, wann fliegen wir zurück?“

„Der Flieger geht um zwölf. Ich habe uns noch ein gutes Katerfrühstück geordert und dann müssen wir auch schon los. Also pack am besten schon die Tasche und alles zusammen. Dann brauchen wir nicht wieder aufs Zimmer zurück, sondern können direkt zum Flughafen.“

„Alles klar, hoffentlich klappt das mit Lukas. Er hat etwas unruhig geschlafen. Einmal musste er sich sogar übergeben.“

„Das war bestimmt nicht verkehrt. Dann ist das meiste Giftzeugs schon raus gekommen. Sollte ihm heute Morgen helfen.“

In diesem Moment kam Lukas aus der Dusche. Er war sichtlich überrascht, dass ich schon da war.

„Oh, guten Morgen Papa.“

Seine Augen waren noch sehr klein.

„Hallo Lukas, alles in Ordnung bei dir? Oder muss ich dich erst einmal um den Block schicken?“

Dabei lachten Mick und ich laut. Lukas verzog sein Gesicht.

„Boah, müsst ihr so einen Krach machen?“

„Ach komm, wer trinken kann, kann auch aufstehen. Ich habe uns ein tolles Frühstück bestellt. Für dich extra ein Katerfrühstück.“

Lukas schaute peinlich berührt. Mick ging auf ihn zu und gab ihm einen zärtlichen Kuss.

„Alles in Ordnung, Schatz“, flüsterte er seinem Freund ins Ohr, „zieh dich an und dann lass uns die Sachen packen und frühstücken.“

Ich beschloss die beiden jetzt allein zu lassen, allerdings nicht ohne einen Hinweis.

„Wir sehen uns in einer Viertelstunde unten zum Frühstück, kommt also nicht auf dumme Ideen.“

Mit den Augen zwinkernd, verließ ich das Zimmer und ging zurück in mein Zimmer. Dort wartete Leif bereits fertig auf mich. Wir nahmen unsere Taschen und gingen zur Rezeption, gaben unsere Zimmerkarte ab. Ich bat den Concierge, uns rechtzeitig den Shuttle Service zum Flughafen zu bestellen. Leif ging schon zum Frühstückssaal. Ich hatte uns einen Tisch reserviert und alles vorbereiten lassen. Als ich zu Leif hinzukam, stand er immer noch staunend vor dem Tisch.

„Cool Papa, das ist mal ein Frühstück.“

„Ja, Leif, ich finde, das haben wir uns verdient. Komm, lass uns Platz nehmen und schon mal anfangen. Mick und Lukas kommen sicher auch gleich.“

Es dauerte auch tatsächlich nicht mehr lange und wir vier genossen dieses tolle und reichhaltige Frühstück. Die Unterhaltung am Tisch war allerdings recht spärlich. Lukas hatte doch etwas Probleme, aber er schlug sich wacker. Leif wollte zwischendurch immer mal wieder ein paar böse Kommentare abgeben, aber ich untersagte ihm das eindringlich. Lukas sollte seine Erfahrung machen dürfen und daraus lernen. Ich fand das jetzt überhaupt nicht problematisch, er war ja weit davon entfernt gewesen, abgestürzt zu sein.

Die Ereignisse im Flugzeug waren nicht der Erwähnung wert. Wir haben alle viel geschlafen und waren froh, wieder nach Hause zu kommen. Erst kurz vor der Landung fragte mich Leif etwas. Lukas und Mick schliefen noch.

„Papa, wie hatte Lukas das in Hotel gemeint, dass er uns seinen Eltern vorstellen wollte und er ihnen von uns erzählen möchte? Ich verstehe das nicht ganz. Sie sind doch bereits tot.“

„Ah ok, du denkst jetzt bestimmt, Lukas ist etwas verwirrt. Nein, das ist eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen. An das Grab zu gehen und den Menschen, die dort liegen zu erzählen, was man erlebt hat und wie es einem geht. Versuch dir das so vorzustellen, dass Lukas das Gefühl hat, seinen Eltern gegenüber unfair zu sein. Sie waren immer für ihn da und jetzt lebt er in unserer Familie und war noch nicht mal am Grab seiner Eltern. Das bedrückt ihn. Es ist eine Art von Trauerbewältigung.“

Leif schien zu versuchen, dass zu begreifen. Er schwieg dazu einen Moment, dann sagte er:

„Aber warum hat er das denn nie gesagt? Wenn das doch so wichtig ist, müssen wir mit ihm dahin fahren. Oder nicht?“

Das war mein Leif, manchmal einfach noch richtig naiv, aber toll.

„Ja Leif, genau das werden wir auch tun, aber es ist nicht so einfach, wie du das jetzt gesagt hast. Für Lukas war das ein harter Kampf, uns das zu sagen. Aber, wir werden da selbstverständlich alle mit ihm hinfahren. Und ich meine wirklich alle.“

„Heißt das, ich darf Stefanie dann mitnehmen, wenn sie möchte?“

„Ja, auch Sabine und Lucien dürfen mitkommen. Sie gehören ja genauso mit zur Familie wie Stefanie. Er soll alle Mitglieder seinen Eltern vorstellen können.“

Dann legte sich Leif an meine Schulter und schlief die restliche Flugzeit beruhigt durch.

Ich spürte bei mir seit ganz langer Zeit wieder eine Vorfreude auf das Wiedersehen, besonders mit einer Person, mit Sabine. Aber auch mit Lucien. Ich konnte es mir nicht erklären, aber ich habe sie wirklich vermisst. Als wir durch den Zoll waren und uns Richtung Ausgang bewegten, waren auch meine Jungs wieder voll dabei. Der Schlaf im Flugzeug hatte Wunder gewirkt.

„Papa“, fragte Lukas, „freust du dich auf Sabine? Sie wird uns doch abholen oder nicht?“

Ich grinste meinen Sohn an und sagte aber nichts. Das tat Leif für mich.

„Du kannst Fragen stellen. Du würdest deinen Mick ja nicht vermissen, oder?“

„Und du, deine Stefanie.“

Das kam von Mick. So waren wir ganz schnell in einen Lachanfall gefallen. Es tat gut mit meinen Jungs, so locker sein zu können. Wir gingen mit unseren Taschen Richtung Ausgang, da kam uns Sabine entgegen gelaufen. Sie war wohl etwas spät dran. Dennoch lief sie mit einem Strahlen im Gesicht auf uns zu. Ich stellte meine Tasche ab und umarmte sie ganz herzlich. Sie drückte mir einen Kuss auf den Mund und meine Jungs schauten etwas erstaunt, als sie sich wieder von mir trennte.

„Schön, dass ihr alle gesund wieder in der Heimat seid. Hattet ihr einen guten Flug?“

Lukas grinste und antwortete:

„Ja, ich weiß zwar nicht mehr viel davon, aber jetzt fühle ich mich wieder richtig gut.“

Darauf lachten alle, bis auf Sabine, sie konnte das ja nicht wissen.

„Denk nicht drüber nach“, sagte ich deshalb, „das war ein Insider.“

Sie schaute mich an und lachte:

„Du bist immer noch der Marc, wie ich ihn verabschiedet habe. Das beruhigt mich. Ich dachte schon, du würdest dich nicht vom Rennfahren verabschieden können.“

Ich lächelte und nahm sie in den Arm.

„Wo ist eigentlich Luc? Ist alles in Ordnung bei ihm?“

„Ja, es geht ihm wieder gut. Er ist in der Schule.“

„Wieso wieder gut?“, wollte ich wissen. „War er krank?“

„Ja, vor Sorge. Er hatte deine Einlage mit dem Feuer im Fernsehen gesehen und wäre fast vor Sorge gestorben. Du musstest ja wieder alles mitnehmen, was nur irgendwie ging, oder?“

Ich schwieg jetzt besser. Diese Situation hatte ich schon völlig vergessen. Wir stiegen in das Auto und Sabine fuhr uns nach Hause. Ich hatte da wohl noch ein Gespräch zu erwarten mit Lucien. Komischerweise fuhr sie mit uns zu ihr nach Hause.

„Was soll das jetzt? Warum hierhin und nicht zu mir?“

„Das, mein lieber Marc, wird eine Überraschung. Da musst du noch etwa eine Stunde warten.“

Wir sahen uns alle etwas verwundert an, aber ich wusste, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, machte es keinen Sinn, dagegen zu protestieren. Wir ließen unsere Taschen im Auto und bekamen von Sabine ein tolles Mittagessen serviert.

Danach saßen wir bei einer guten Tasse Tee und berichteten von unseren Erlebnissen, als plötzlich die Haustür recht schwungvoll geöffnet und geschlossen wurde. Schnelle Schritte rannten in Richtung unseres Raumes und die Tür flog auf. Lucien stand in der Tür und flog förmlich auf mich zu.

„Marc, endlich seid ihr wieder da!“

Er stürmte los und ich konnte grade noch so meine Arme ausbreiten, da schmiss er sich an meine Brust. Ich war überrascht. Er hielt mich ganz fest umklammert. Ich streichelte ihm den Rücken und freute mich auch sehr, ihn wieder zu sehen. Als er sich wieder gelöst hatte, schimpfte er wie ein Rohrspatz mit mir. Er regte sich unheimlich über die Formel 1 Geschichte auf, machte mir Vorwürfe und tobte förmlich. Sabine ließ ihn sich austoben, allerdings sah ich bei ihr schon wieder das Grinsen. Ein gutes Zeichen. Ich wartete also, bis sich Lucien beruhigt hatte.

„Ok, ok, Luc, du hast ja Recht. Ich bekenne mich im Sinne der Anklage für schuldig. Wie lautet die Strafe?“

Er sah mich vollkommen überrascht an. Damit hatte er nicht gerechnet. Er schwieg und alle anderen brachen in lautes Gelächter aus. Nach ein paar Sekunden hatte er sich aber gefangen und lachte mit den anderen mit.

Plötzlich bekam er ein Grinsen ins Gesicht. Ich wusste, er hatte sich eine Strafe ausgedacht.

„Du musst mir deinen großen Rasenmäher zeigen und mich damit Rasen mähen lassen.“

Ich musste nicht lange überlegen.

„Einverstanden. Strafe ist akzeptiert.“

Er kam zu mir, gab mir vor allen Anwesenden einen Kuss und sagte:

„Marc, ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist. Und jetzt fahren wir zu euch. Da gibt es nämlich auch etwas Neues zu sehen.“

Wir schauten alle etwas blöd, denn was sollte bei uns Neues zu sehen sein? Aber Lucien und auch Sabine schienen keinerlei Anstalten zu machen, dass das ein Scherz gewesen sei. Also machten wir uns auf den Weg zu uns. In der Einfahrt stand Sabines Auto, denn wir waren ja mit meinem S8 unterwegs, sonst hätten wir da nicht alle hineingepasst.

Ich stieg aus und stand mit meinen Jungs etwas ratlos vor meinem eigenen Haus. Alles schien wie immer. Plötzlich tauchten zwei Gestalten aus dem Garten auf. Es waren Benny und Marcel. Sie kamen freudestrahlend auf uns zu und begrüßten uns alle sehr herzlich.

Sie bestanden nach kurzer Zeit darauf, dass wir die Taschen abstellen sollten und ihnen in den Garten folgen sollten. Verwundert und vollkommen ahnungslos folgten wir ihnen um die Hausecke in den Garten.

Mir blieb das Herz stehen. Was war denn hier passiert? Das sollte unser Garten sein? Waren wir wirklich am richtigen Haus?

„Seid ihr verrückt geworden? Wie geil ist das denn geworden? Ich fasse es nicht! Das habt ihr in den wenigen Tagen geschafft?“

Benny stand mit Marcel im Arm und freute sich.

„Also gefällt es dir? Marcel, Luc und Tobi haben mir dabei übrigens sehr geholfen. Tobi konnte heute leider nicht kommen. Er ist sehr erkältet und durfte nicht raus.“

Er erklärte uns alles, was sie gemacht hatten und warum. Benny hatte sich wirklich Gedanken gemacht und unseren Garten ganz toll umgebaut. Es war einfach grandios.

„Vielen, vielen Dank für diese tolle Überraschung. Es ist wunderschön geworden.“

Lucien stand jetzt bei Benny und Marcel und ich ging auf die drei zu und umarmte alle nacheinander.

„Ich glaube, hier ist wohl eine Garteneinweihungsparty angesagt.“

Alle Augen gingen jetzt auf Mick, der das gesagt hatte. Ich musste lachen.

„Also gut“, sagte ich dann, „da werde ich wohl nicht Nein sagen können.“

Damit war unser Abenteuer Sao Paolo beendet und ich konnte mein Kapitel „Professioneller Rennfahrer“ abschließen.

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