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Achterbahn

Teil 6

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Achterbahn

 

„Das hast du gut gemacht“, lobt die Würfelkirsche. „Und… lässt er dich in Ruhe?“

Ich nicke unglücklich.

„Dann ist doch alles in Ordnung.“

Angeekelt starre ich sie an. „Dass ich den Kontakt abgebrochen habe, heißt nicht, dass meine Gefühle abgestellt sind, Idiot. In Ordnung ist hier überhaupt nichts.“

„Entschuldige“, murmelt sie zerknirscht, „ich meinte nur… du hast eine gesunde Entscheidung getroffen.“

Hauptsache, sie fragt gleich nicht, ob ich jetzt wieder mit Marcel zusammen sein will. Dann hau ich ihr nämlich eine rein. Mensch, mein Verstand sagt mir ja auch, dass es richtig war. Mein Herz ist gänzlich anderer Meinung. Das schlägt nach wie vor sehr heftig für den blöden Fickfrosch.

„Er leidet übrigens nicht so wie du“, behauptet sie finster. „Am Samstag in der Villa hat er sich prächtig amüsiert.“

„Und diese Information hilft mir weiter, weil…?“

„Du bedeutest ihm nichts, Eli. Alles, was er wollte, war niedlich versauter Sex. Den holt er sich jetzt woanders, also sei wenigstens sauer.“

„Meinetwegen, wenn’s dir dadurch besser geht… ich hasse den Penner. Zufrieden?“, seufze ich.

„Dir soll es besser gehen“, schnauzt sie mich an.

„Das tut’s aber bestimmt nicht, indem du mir zu verstehen gibst, dass ich für ihn bloß so was wie eine Sexpuppe gewesen bin. Wo hast du verdammt noch mal dein Gehirn gelassen?“, schnauze ich zurück.

„Mann, ich hab doch auch keine Ahnung, was ich sagen soll, damit…“

„Dann halt doch einfach den Rand“, schlage ich vor.

Tine rückt ein Stück näher und schlingt ihre Arme um mich.

„Es tut mir leid, Eli. Wirklich. Ich hätte mich sogar an den Spermaschlecker gewöhnen können… wenn er dich glücklich gemacht hätte.“

„Ich muss jetzt alleine sein“, entgegne ich und schiebe sie von mir.

 

Als sie weg ist, bleibe ich einfach auf meinem Bett liegen und stehe erst wieder auf, um zur Schule zu gehen. Ich mache sowieso die nächsten Tage nichts anderes. Schule und danach auf meinem Bett liegen. Alles andere ist mir zu anstrengend. Ich wüsste aber auch eh nicht, was ich sonst noch machen sollte. Manchmal frage ich mich, ob ich für Dante tatsächlich nichts weiter als irgendein Typ, den er gefickt hat, gewesen bin. Sonst würde er sich doch melden, obwohl ich ihm gesagt habe, dass er’s bleiben lassen soll, oder?! Hat der Kerl denn wirklich gar keine Empfindungen?? Ist jeder Mensch in seiner Umgebung sofort austauschbar? Es scheint so zu sein. Eigentlich hätte ich seine Mutter doch gerne kennen gelernt… um ihr mal die Meinung zu sagen. Dass sie ihren Sohn total verkorkst hat, weil sie ihm ständig ihren promisken Lebensstil als normal und vernünftig und richtig präsentiert hat. Dass einzig und allein sie Schuld daran ist, dass ihr Sohn keine Beziehung eingehen kann. Und dass ihre erzieherischen Fähigkeiten ja wohl komplett für den Arsch sind, weil sie es erlaubt hat, dass ein zehn Jahre älterer Kerl unter ihrem Dach mit ihrem vierzehnjährigen Sohn schläft. Die Alte ist doch geisteskrank!

 

Es kommt mir seltsam vor, dass ich noch nicht einmal heulen musste, seit ich mich von Dante getrennt habe. Selbst wenn ich mir seine Internetbilder ankucke und seine Einträge lese, breche ich nicht in Tränen aus. Ich kann immer nur denken, dass dieser schöne Mensch mich geküsst hat und nicht die Sluttys, die ihm irgendwas Versautes schreiben. ICH weiß, wie Dante küsst, wie er sich anfühlt, wie seine Haut schmeckt, wie weich seine Haare sind, wie es ist, neben ihm aufzuwachen… die Sluttys wissen das nicht, sonst müssten sie sich ja nicht so ekelhaft anbieten.

Gib dem Spermaschlecker etwas Zeit, würde Tine wahrscheinlich sagen, dann hat er sie alle durch. Ich hasse es, wenn Tine recht hat. Zum x-ten Mal überlege ich, warum ich mich ausgerechnet in ihn so heftig verlieben musste? Wieso man sich überhaupt verliebt? Das hab ich nachgeforscht und weiß jetzt, dass das ein biochemischer Vorgang ist, bei dem unter anderem der Serotoninspiegel absinkt und Dopamin ausgeschüttet wird. Cool, hilft mir null weiter. Meinen Zustand nennt man übrigens Limerenz. Ich hab auch das nachgeforscht. Extremer Zustand des Verliebtseins, gekennzeichnet durch ein geradezu besessenes Denken an die geliebte Person, die sehnsüchtige Hoffnung auf Erwiderung der Gefühle, die ständige Furcht vor Zurückweisung, sowie Schüchternheit und Unsicherheit in Anwesenheit der geliebten Person. Laut einer, vermutlich sehr gescheiten, amerikanischen Professorin für Verhaltenspsychologie, die ein Buch darüber schrieb, klingt der Zustand bei nicht erwiderter Limerenz selbstständig ab, kann allerdings auch mehrere Jahre anhalten. Das sind doch mal tolle Aussichten. Machen wir uns nichts vor: Ich bin im Arsch! Wahrscheinlich geht’s bei mir seit Dante aufgetaucht ist biochemisch und verhaltenspsychologisch dermaßen drunter und drüber, dass man mich bequem als bemitleidenswerte Kuriosität ausstellen könnte wie den Elefantenmensch.

 

„Also psychologisch gesehen ist das ganz einfach“, sagt Tine diesmal in echt am Telefon.

„Ach ja?“

„Ja. Du leidest unter Verlassensängsten, einhergehend mit Minderwertigkeitsgefühlen. Weil dein Erzeuger abgehauen ist und du dich logischerweise ungeliebt fühlen musstest. Insgeheim gibst du nicht deinem Daddy die Schuld, sondern dir. Immerhin hat er sich aus dem Staub gemacht als du auf der Bildfläche erschienen bist. Das sind die Gründe, weswegen deine Beziehungen nicht funktionieren.“

„Was für Beziehungen? Ich hatte nur eine. Mit Marcel. Und die hat funktioniert.“

„Findest du?“

„Äh… du hast mir andauernd gesagt, dass wir füreinander bestimmt sind“, erinnere ich sie.

„Aber du hast dich nie getraut, ihm zu sagen, was dich stört… oder dass dich überhaupt etwas stört. Aus Angst, dass er sauer wird und Schluss macht. Bei Dante war es genauso. Immer hast du nach seinen Regeln gespielt und alles geschluckt, was er dir aufgetischt hat… weil du Angst hattest, dass er weggeht, wenn…“

„Dante hat viel öfter geschluckt“, unterbreche ich ihr Hobbypsychologiegefasel.

„Du solltest die Beziehung zu deinem Vater aufarbeiten, klären und verbessern und dich selbst ein bisschen toller finden“, ignoriert sie mich, „dann klappt vielleicht auch eine Liebesbeziehung. Nicht mit Dante, der ist schwachsinnig und ekelhaft, aber mit einem netten Kerl, der dich wirklich liebt.“

„Ich will, dass Dante mich liebt“, sage ich trotzig.

„Tut er aber nicht“, entgegnet sie brutal. „Höchstwahrscheinlich laufen bei ihm andere biochemische Vorgänge ab als bei dir.“

Ich finde, Tine könnte ruhig etwas einfühlsamer sein. Ich war immer sehr einfühlsam, wenn es ihr wegen irgendwas schlecht ging.

„Du könntest ruhig etwas einfühlsamer sein.“

„Lösen sich deine Probleme in Luft auf, wenn ich dir mitfühlend über den Schädel streichle? Ich versuche, dir zu helfen, Eli.“

„Vielen Dank“, bedanke ich mich and lege auf.


Einige Sachen, die Tine gesagt hat, sind bestimmt gar nicht so verkehrt. Ich fühle mich tatsächlich meistens unzulänglich und verstehe nicht, warum ein so schöner, perfekter Mensch wie Dante was mit mir zu tun haben wollte. Aber mir einzureden, dass ich toll bin, ist doch bescheuert. An mir gibt’s nun mal nichts Tolles. Ich finde, ich sollte nicht die Realität ausblenden und mich in einen total unbegründeten Größenwahn reinsteigern. Das kann nicht der richtige Weg sein. Genauso falsch ist es, dass ich immer noch Dantes blödes Drachenanhängerarmband trage. Es ist mir leider unmöglich, das abzunehmen. Und wenn ich abends im Bett liege, vermisse ich ihn doch ganz schön. Tagsüber bin ich abgelenkt. Schule und wie besessen fürs Abi lernen… so viel Zeit wie ich investiere, müsste ich das Abi locker mit Einskommanull schaffen. Aber was mache ich, wenn das gelaufen ist und ich nicht mehr lernen muss? Davor hab ich ein bisschen Angst. Dann kommt die Dante-Sehnsucht nämlich schon tagsüber. Ob es wirklich gut wäre, meine Beziehung zu Crazy zu klären? Ich dachte, es wäre okay, ab und zu mal über belangloses Zeug mit ihm zu quatschen. Aber vielleicht hab ich mich bloß selbst verarscht?! Verdrängungen aller Art sollen ja bekanntlich eine Weile funktionieren, allerdings auf Dauer doch irgendwie ungesund sein.

 

Montagnachmittag gehe ich zu Crazy, da ist der Laden dicht und es besteht keine Gefahr, Dante über den Weg zu laufen. Keine Ahnung, was ich ihm sagen will… das überlege ich spontan. Jedenfalls freut er sich, mich zu sehen und ich verbringe erstmal gefühlte drei Stunden mit der kleinen Halbschwester, weil ich so nervös bin und nicht weiß, was ich verdammt noch mal überhaupt hier soll. Sofort bin ich neidisch auf Lucy, weil sie in einer intakten Familie aufwachsen wird. Mit einem Vater, der sie vergöttert. Der sie auf dem Schoß hat und ihr verzückt beim Aus-der-Flasche-nuckeln zuschaut. Der ihr anschließend ganz sanft über den Rücken streicht und sie vorsichtig, als wäre sie das Kostbarste auf der Welt, in ihr Bettchen legt und die flauschige Halbmondspieluhr aufdreht. Wahrscheinlich würde er auch noch ihren Schlaf bewachen, wenn ich ihn nicht durch meine Anwesenheit davon abhalten würde. Wieso hatte er nie das Bedürfnis, meinen Schlaf zu bewachen? Ich war ein mindestens ebenso hübsches Baby wie Lucy… das gruftige Familienfoto beweist das. Vielleicht wäre diese Frage ein passender Einstieg, immerhin bin ich ja hier, um meine Beziehung zu ihm aufzuarbeiten, zu klären und zu verbessern, damit es demnächst dann auch mit einer Liebesbeziehung klappt.

„Ich hab mit Dante geschlafen“, sage ich.

Äh… was? Das war der falsche Einstieg, verflucht. Ich werde rot und Crazy stiert mich an. Unauffällig wandert mein Blick durchs Wohnzimmer, die Tür ist nicht weit, ich könnte also jederzeit flüchten. Dummerweise gibt mein Gehirn nicht den Befehl zu flüchten, sondern weiterzufaseln.

„Ich hab meinen Freund… also jetzt Exfreund… mit ihm betrogen. Ich liebe Dante, ich… bin schwul.“

„Das hatte ich befürchtet“, seufzt der Erzeuger.

Okay, gleich wird er mir sagen, dass er deshalb abgehauen ist. Weil er schon vor zwanzig Jahren die Befürchtung hatte, dass sein Sohn mal schwul wird. Und einen schwulen Sohn wollte er ums Verrecken nicht haben. Was für ein Arschloch! Ich stehe auf und gehe zur Tür.

„Tut mir leid, dass ich so eine Enttäuschung für dich bin. Mach dir nichts draus, hast ja noch eine Tochter aus der bestimmt mal was Vernünftiges wird.“

„Elias!“ Er springt auf, steht mir gegenüber und legt plötzlich seine Hände an meine Wangen. „Es ist okay und du bist perfekt, so wie du bist.“ Es fühlt sich komisch an, von ihm berührt zu werden, und als hätte er meinen Gedanken erraten, nimmt er seine Hände wieder weg. „Auch wenn ich nicht wirklich etwas dazu beigetragen habe“, sagt er leise.

„Dante liebt mich nicht“, murmle ich und muss auf einmal gegen aufsteigende Tränen kämpfen.

Dann geschieht etwas Unfassbares. Wahrscheinlich aus einer kaum mehr zu ertragenden Verzweiflung heraus presse ich mein Gesicht an Crazys Brust, heule wie ein kleines Kind und dieser tätowierte Rocker-Typ schlingt seine Arme um mich und wuselt sanft durch meine Haare. All die verdrängten Dante-Gefühle steigen grad in mir hoch und ich kann nichts dagegen tun. Crazy drückt mich auf die Couch, setzt sich neben mich, hält mich immer noch im Arm und ich plaudere ein bisschen aus dem Nähkästchen. Jammere, heule sein Shirt voll und bestimmt läuft dabei Rotze aus meiner Nase. Es ist ekelhaft. Der absolute Tiefpunkt! Als wäre das noch nicht schlimm genug kommt auch noch Lola rein und fragt bestürzt: „Schatz, was ist passiert?“

Augenblicklich befreie ich mich aus Crazys Umarmung, setze mich ordentlich hin, nehme ein Taschentuch und putze mir die Nase.

„Lass uns ’ne Minute allein“, bittet der Erzeuger, worauf seine Frau nickt und geht.

„Entschuldige“, schniefe ich, „ich hatte nicht vor, so anhänglich zu werden.“

„Eli, ich möchte wenigstens ab jetzt für dich da sein.“

„Aber du möchtest sicher keine Heulsuse als Sohn.“

„Liebeskummer ist scheiße und Jungs dürfen heulen“, findet er.

„Es ist ja auch nur, weil… ich lieb ihn halt.“ Mann, ich klinge wie eine kaputte Schallplatte. Grauenvoll. „Und er… vögelt alles, was er kriegen kann.“

„Ja“, entgegnet er, „ich kenne Dante. Ich hatte nur keine Ahnung, dass er mit dir vögelt. Also, dass du ziemlich verschossen bist, ist mir schon aufgefallen. So wie du ihn manchmal angesehen hast, das war relativ eindeutig. Aber der kleine Schleicher hat nie was gesagt oder angedeutet. Aus gutem Grund.“

„Was hättest du denn gemacht, wenn du’s gewusst hättest?“

Übrigens finde ich es überhaupt nicht komisch, wenn Crazy Begriffe wie vögeln oder so benutzt… bei meiner Mutter wäre es mir total unangenehm. Mir hat das eine Mal ihr „Fuck“ schon gereicht.

„Ihm in den Arsch getreten.“

„Wirklich?“

„Na sicher. Ich würde genauso jedem Typen oder jeder Frau in den Arsch treten, wenn der oder die Lucy irgendwann mal so weh tun würde.“

„Und wenn ich dich bitten würde, ihn rauszuschmeißen… aus deinem Studio?“

Mal sehen, ob er tatsächlich so loyal ist. Ob Blut dicker ist als Wasser… wie Tine behauptete.

„Wenn ich wüsste, dass es dir dann besser geht, auf jeden Fall. Aber so wie ich dich in den letzten Monaten kennen gelernt habe und was Jutta mir von dir erzählt hat, bist du kein Mensch, der sich auf so eine Art und Weise an jemandem rächt.“

Das stimmt leider. Es würde ja auch eh nichts bringen. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass ich quasi Dantes Tattookarriere in der Hand habe. Allein der Gedanke reicht aus, um mich etwas besser zu fühlen.

„Das hier, das bleibt unter uns ja? Er muss nicht erfahren, dass ich seinetwegen heule.“

„Natürlich“, nickt er. „Obwohl es mir schwer fällt… wenn ich sehe wie weh er dir tut.“

Als das geklärt ist, kommt Lola zurück und serviert mir eine große Tasse heiße Zimtschokolade mit Sahne. Crazy fragt nach der Schule und findet es doof, dass ich offenbar seine Unfähigkeit in Sachen Mathematik geerbt habe. Ich erkläre ihm, dass ich dafür in Deutsch und Englisch immer ’ne glatte Eins hab und aber leider null zeichnerisches Talent.

„Das ist Juttas Schuld“, lächelt er, „die kriegt nicht mal ein Strichmännchen hin.“

„Wie gut ist Dante eigentlich?“

„Du meinst beim Tätowieren? Ein Naturtalent. Wenn ich überlege wie meine Anfänge ausgesehen haben, ist er besser als ich damals gewesen bin. Und er hat auch teilweise schon mehr drauf als einige Tätowierer, die ich kenne und die das seit Jahren machen. Das ist echt beeindruckend.“

Scheiße, ey, was frag ich auch?!

„Warum adoptierst du ihn nicht? Dann hast du einen Sohn, auf den du stolz sein kannst.“

„Ich hab einen Sohn, auf den ich stolz bin. Ich…“, er schluckt angestrengt und reibt sich die Stirn, „ich wünschte, ich könnte meine Fehler wieder gutmachen, aber das geht nicht. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Und ich hab nicht mal eine halbwegs vernünftige Entschuldigung dafür, dass ich Jutta und dich verlassen habe. Eli, du warst… das Beste, was ich mir vorstellen konnte, als ich dich zum ersten Mal im Arm gehalten habe, aber…“

„Mir wird das zu viel“, unterbreche ich ihn und mache, dass ich wegkomme. Offenbar bin ich noch längst nicht so weit, um meine Beziehung zu ihm gänzlich aufzuarbeiten.


Ich muss dringend meine Gedanken und Gefühle ordnen… aber ich weiß nicht, wie und wo ich anfangen soll. Alles geht durcheinander. So durcheinander, dass ich noch nicht mal mit Tine darüber reden kann, weil die meinem Gefasel vermutlich gar nicht folgen könnte, weil ich meinen Gedanken und Gefühlen ja selbst nicht folgen kann. Es ist zum Irrewerden. Okay, vergessen wir für einen Moment das Ordnen, ich will mich lieber wegballern. Villa fällt aus, weil Dante dort sein könnte, also gehe ich Samstagabend in einen anderen Club. Ungefähr zwei Stunden läuft es ganz gut. Ich trinke und tanze und habe Erzeuger und Fickfrösche aus meinem Hirn verbannt. Es kommen mir sogar zwei relativ hübsche Jungs in die Quere, die mit mir flirten… obwohl Letzteres wahrscheinlich eher nur die Einbildung eines Besoffenen ist. Außer Marcel und Dante hat nie jemand mit mir geflirtet, wieso sollten jetzt auf einmal zwei hübsche Jungs damit anfangen?! Egal. Hab eh keinen Bock auf so was. Ich tanze und trinke lieber weiter. Leider bin ich wohl nirgends sicher, denn während ich zu Alien Sex Fiend rumhopse, steht plötzlich ein Fickfrosch vor mir. Geschockt suche ich das Weite.

 

„Können wir uns nicht mal mehr Hallo sagen?“, fragt Dante, der mir gefolgt ist, angepisst.

Was zum Geier macht der ausgerechnet heute hier? Und warum sieht er so unspektakulär angezogen (schwarze Jeans, blaues Drop-Dead-T-Shirt) trotzdem noch spektakulär gut aus?

Seine Haare sind inzwischen schwarz, rot und blau. Auch das sieht umwerfend aus.

„Hallo“, grüße ich so neutral es geht. Innerlich bin ich alles andere als neutral. Die Flügelspitzen, die unter seinen Ärmeln hervorlugen, machen mich total nervös.

„Und… geht’s gut?“

Jaaaaa, na klar, Blödmann.

„Okay.“

„Willst du was trinken?“

Ah, seine alte Masche.

„Danke, ich hab genug.“

„Die Musik ist hier viel besser als in der Villa“, bemerkt er.

„Sorry, aber mir ist echt nicht nach smalltalk mit dir.“

„Du fehlst mir, Eli.“

Der hat Nerven!

„Fick dich, Dante“, zische ich.

Da der Abend gelaufen ist, laufe ich auch… und zwar nach Hause.

 

„Ey, was soll der Scheiß, mich da einfach stehen zu lassen?“, höre ich ihn hinter mir.

Bitte, das kann doch alles nicht wahr sein! Weil es anfängt zu regnen, setze ich die Kapuze meiner Jacke auf und beschleunige meine Schritte. Zwei Sekunden später schüttet es wie aus Kübeln. Dante greift nach meiner Hand, rennt los und zieht mich hinter sich her, bis wir ein Bushaltestellenhäuschen zum Unterstellen finden, in das er mich unsanft reinschubst.

„Bist du bescheuert?“, schreie ich.

„Willst du vielleicht stundenlang im Regen rumrennen?“, schreit er zurück und streicht sich seine klatschnassen Haare aus der Stirn. „Scheiße, ist das kalt.“

Kein Wunder. Wenn ich nur eine dünne Lederjacke überm T-Shirt tragen würde, wäre mir auch kalt. Dennoch hält sich mein Mitleid in Grenzen. Meine flauschige Kapuzenjacke ist dermaßen nass, dass sie wie ein tonnenschwerer Sack an mir hängt. Wir haben also alle unsere Probleme. Eines besteht darin, dass der nächste Bus erst in drei Stunden fährt.

Supi, so lange warte ich sicher nicht.

„Wieso bist du nicht mit’m Auto da? Wieso kannst du nicht einmal was richtig machen?“, rege ich mich auf.

„Wo zum Teufel willst du hin?“, krakeelt er.

„Nach Hause“, erkläre ich und will gehen, aber er hält mich fest und donnert mich anschließend gegen die Wartehäuschenwand.

„Mach mich nicht wütend, Elias.“

„Lass mich los, du Penner“, brülle ich… ich bin nämlich bereits bekloppt vor Wut.

Seine Hände haben sich in den Stoff meiner Kapuzenjacke gekrallt. Ich versuche, mich zu befreien, Dante wegzuschieben, aber er bewegt sich keinen verdammten Millimeter. Einen Moment sehen wir uns an, dann krachen seine Lippen auf meine. Gierig schlinge ich meine Arme um ihn. Seine Finger krallen nicht mehr, sie schieben sich unter meine Jacke. Völlig klar, wohin das hier führen wird. Allerdings ist uns beiden eine Bushaltestelle ein bisschen zu öffentlich. Wir gehen dafür ein paar Meter weiter. In eine öffentliche Toilette.

Im Inneren riecht es nicht besonders appetitlich, das Licht ist grell und überall liegt Papier auf dem Boden. Na ja, wenigstens ist es trocken. Dass hier natürlich auch jederzeit jemand reinkommen könnte… ist grad irgendwie zweitrangig. Dante flitscht mir die Kapuze vom Kopf, wuselt durch meine Haare, während er mich küsst, und gleitet schließlich an mir herunter, öffnet meine Hose und fängt an, mir einen zu blasen. So lange bis er mich umdreht, gegen die Wand presst, meine Hose noch ein Stück runterzieht und mich im Stehen fickt. Kein Grund, es nicht genauso dreckig und unromantisch auszudrücken wie es sich abspielt, oder?!

 

Als wir fertig sind, knöpfe ich meine Hose zu und schiele durch die Tür nach draußen.

„Es hat aufgehört zu regnen. Ich gehe jetzt nach Hause“, sage ich.

Dante sagt… gar nichts.

 

Den gesamten Weg über versuche ich mir einzureden, dass ich das eben halluziniert habe. Ich bin relativ erfolgreich. In meinem Zimmer glaube ich mir nämlich beinahe, dass ich mich nicht auf einem öffentlichen Klo von Dante hab ficken lassen, sondern dass mir irgendeiner im Club was ins Glas getan hat, das eigenartige Halluzinationen auslöst. Der Knutschfleck an meinem Hals überzeugt mich dann allerdings, dass diese Theorie nicht stimmen kann. Obwohl… vielleicht bilde ich mir den auch nur ein. Verdammt, Eli, was zum Teufel sollte das? Er sah geil aus und ich war scharf auf ihn, verteidige ich mich in Gedanken. Das wird dich um Jahre zurückwerfen, antworte ich mir selbst und habe damit vermutlich recht. Andererseits ist es ja nicht so, dass ich vorher total über Dante hinweg gewesen wäre oder auch nur ansatzweise nahe dran… also von daher macht’s keinen Unterschied. Sex mit ihm ist trotzdem kontraproduktiv, behauptet die Stimme der Vernunft. Weiß ich doch. Und jetzt, ätzt die Stimme weiter, vermisst du das Schmusen und Kuscheln danach. Du bist halt nicht der Typ, der sich betrunken in einer schmuddeligen Location vernaschen lässt und dann locker zur Tagesordnung übergeht. Oh Mann, mir kommt das alles total unwirklich vor. Und ich möchte wetten, Dante schläft schon längst friedlich wie ein Baby und denkt nicht eine Sekunde über die Sache nach.

 

Einige Tage später habe ich mich erholt und damit beruhigt, dass der Klofick bloß ein Ausrutscher war. Zum Glück ist kein Freund mehr da, vor dem ich das verheimlichen muss. Nur eine Freundin. Tine kann ich logischerweise nichts erzählen, die würde mich sofort einweisen lassen wollen. Na ja, selbst beste Freundinnen brauchen nicht jedes schmutzige Geheimnis von einem zu kennen. Dafür berichte ich ihr von meinem peinlichen Zusammenbruch bei Crazy. Sie findet, dass damit auf keinen Fall alles geklärt ist und ich noch sehr viel öfter mit ihm reden muss. Ich möchte lieber erstmal Gras über meine Heulerei an Papas Brust wachsen lassen.


Hab mich die letzte Zeit aufs Lernen konzentriert und zwischendurch viel mit Tine und Patti rumgehangen. Nach dem Gefühlschaos mit Crazy und Dante ist jetzt wieder verdrängen angesagt. Funktioniert einigermaßen. Allein die Nachricht, dass Marcel einen neuen Freund hat, macht mich fertig. Dabei wünsche ich ihm wirklich, dass er glücklich ist und so… aber es fühlt sich halt komisch an. Oder ich bin neidisch, weil es bei ihm in Liebesdingen zu klappen scheint, während bei mir... lassen wir das. Tine behauptet jedenfalls, dass Marcel sehr verknallt ist. Wahrscheinlich ist sein Freund einer, der auch gerne ins Fitnesscenter geht und weder auf Gothic, Punk und Emo noch auf Armelecken steht. Und sicher wird der niemals hinter seinem Rücken mit einem blöden Fickfrosch anbandeln. Also hat Marcel einen guten Tausch gemacht. Mich kann man als festen Freund in die Tonne treten. Irgendwie nervt es, dass sich alle weiterentwickeln und ich einfach stehen bleibe. Ich werde zu gegebener Zeit mal überlegen müssen, was zur Hölle mit mir nicht stimmt. Kann ja nicht bis in alle Ewigkeit meinem Erzeuger die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass ich nix auf die Reihe kriege.

Aber wie gesagt… bloß nicht nachdenken! Nicht darüber, dass mein Vater meint, ich sei perfekt, obwohl er mich null kennt. Nicht darüber, dass ich für Dante nicht perfekt genug bin, um mit mir eine Beziehung führen zu wollen. Auch nicht darüber, dass Marcel jemanden gefunden hat, der viel perfekter ist als ich.

 

Samstagabend wollen Tine und Patti mal wieder ungestört sein, also hocke ich vor dem Fernseher und esse Erdnussflips. Ich könnte mir einen von Dantes tollen Klassikern ansehen, der hat es nämlich bis zum heutigen Tag versäumt, seine DVDs abzuholen, aber so tief bin ich noch nicht gesunken. Die Dokumentation über irgendeine verlorene oder verschollene Pyramide tut wenigstens etwas für mein Allgemeinwissen. Ist doch supi, in geselligen Runden kommt ja meistens irgendwann das Thema „Verlorene Pyramide“ auf den Tisch und da kann ich dann aber so was von glänzen. Vor der Dokumentation hab ich gesehen wie Esspapier hergestellt wird. Das wollte ich auch immer schon mal wissen. Denn Esspapier besteht lediglich aus Mehl, Wasser, Stärke und verschiedenen Aromen… wer hätte das gedacht, oder?! Ich bin sowieso neuerdings ein Freund von Dokumentationen. Sizilianische Mumien, das Kennedy-Attentat, Untergang der Titanic, Leonardo da Vinci, Mauerfall, Hitlers Frauen, Columbine, Nine-Eleven-Verschwörungstheorien… alles sehr interessante Themen, über die man dringend Bescheid wissen sollte.

 

Als es unerwartet klingelt, hab ich ein ganz mieses Gefühl und ein unangenehmes Zwicken im Bauch. Letzteres könnte an der Tüte Flips liegen, deren Inhalt bereits zur Hälfte verspeist ist. Nein, mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, Dante steht vor der Tür! Sofort schießen mir Klofickszenen durchs Hirn und ich muss aufpassen, dass ich ihm nicht zwischen Tür und Angel die Kleider vom Leib reiße. Ich reiße tatsächlich… und zwar mich zusammen.

„Was machst’n du hier?“

Er stiert mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.

„Kann ich vielleicht reinkommen?“, will er etwas genervt wissen.

„Eigentlich nicht.“

Andererseits hab ich keine Lust drauf, dass Mom gleich wieder mal kuckt, wer mich besucht, deshalb gehen wir in mein Zimmer. Dort angekommen geht es mir plötzlich total auf den Sack, dass Herr Engels an einem Samstagabend bei mir auf der Matte steht und es für ihn offenbar selbstverständlich ist, dass ich zu Hause bin. Der scheint ja zu meinen, dass ich ohne ihn kein Leben habe.

„Seit wann interessierst du dich für Ägypten?“, fragt er und kuckt einen Moment auf den Fernseher.

„Immer schon.“

„Aha.“

Ungeniert zieht er seine Jacke aus, wirft sich aufs Bett und stopft sich eine Hand voll Erdnussflips in den Mund.

„Was soll das werden, wenn’s fertig ist?“

„Ein vollgefressener Kerl, der dich gleich Bier holen schickt“, lacht er.

Äh… hat der vielleicht irgendwas nicht mitgekriegt? Ich hatte den Kontakt zu ihm abgebrochen, richtig?! Und er taucht hier auf und tut, als sei nichts passiert. Ob er spontan wahnsinnig geworden ist? Das ist jedenfalls wahrscheinlicher, als dass er mir gleich seine Liebe gesteht. Jetzt fängt er auch noch an, über die Band zu faseln, über Marlenes Party, die ich versäumt hab, und so. Ich halt’s nicht aus! Bevor mich seine leider immer noch bildschöne Gestalt dermaßen verwirrt, dass ich wieder mal alle guten Vorsätze über Bord werfe, rufe ich mir lieber das Bild von der armleckenden Pissnelke und Dantes knutschfleckigem Oberkörper ins Gedächtnis. Ah, das hilft.

„Entschuldige, aber… warum erzählst du mir den ganzen Scheiß?“

„Weil du mir im Gegensatz zu Torben zuhörst“, entgegnet er, „anstatt stundenlang vorm Computer zu hocken und irgendwelche Spiele zu zocken. Ey, es gibt echt nichts Langweiligeres, als jemandem beim Abballern von Orcs oder so was zuzukucken. Ich fürchte, Torben verliert jetzt endgültig den Verstand.“

„Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals Verstand besessen hätte.“

„Na, früher schon. Aber seit er…“

„Dante“, unterbreche ich ihn, „was zum Teufel willst du?“

„Einen entspannten Abend mit meinem Liebling verbringen“, antwortet er verführerisch.

„Hatten deine anderen Lieblinge etwa keine Zeit?“

„Logisch. Na und? Ich hab halt Lust auf dich.“

„Geh nach Hause.“

Einen Moment sieht er mich irritiert an, dann siegt seine ekelhafte Selbstsicherheit.

„Ich hab eine bessere Idee“, lächelt er, greift nach meiner Hand und zieht mich aufs Bett. Mann, das macht mich total wütend. Sofort wehre ich seine Hände ab und wurschtele mich wieder hoch.

„DAS kannst du total vergessen.“

Lässig verschränkt er die Arme vor der Brust. „Eli, ich weiß genau, dass du’s auch willst.“

„Deine Überheblichkeit ist beeindruckend.“

„Ach ja? Und was war das letztens an der Bushaltestelle?“

„Das war nicht an der Bushaltestelle sondern aufm Klo. Und es wäre schön, wenn wir diese unappetitliche Angelegenheit vergessen.“

„Glaubst du etwa, mir hätte das gefallen? Ich meine… klar, hat mir der Sex gefallen, aber deine abgewichste Art hat mich echt verletzt.“

„Wow, tut mir wirklich leid.“

„Du könntest es wieder gutmachen“, behauptet er ernsthaft.

„Das war ironisch gemeint.“

Als hätte er mir überhaupt nicht zugehört, zieht er mich aufs Bett zurück, fängt an, mich zu befummeln und mir Schweinereien ins Ohr zu flüstern. Ich versuche es… ich versuche verzweifelt, wütend zu bleiben. Das Bild von der armleckenden Emopissnelke bröckelt und löst sich auf, während Dante seine Hand in meine Hose schiebt und gleichzeitig an meinem Hals nuckelt. Dann küsst er mich und hat damit endgültig gewonnen.

„Leck meine Arme“, wispert er.

Mit einem Schlag bin ich wieder wach.

„Du bist… ey, ich fasse es nicht“, schnaufe ich… äh… fassungslos und schmeiße mir mein Shirt über.

„Was?“, fragt er. „Was hab ich getan?“

„Lad dir deine Pissnelke zum Armelecken ein.“

„Eli“, stöhnt er genervt, „du kannst unmöglich immer noch sauer sein… deswegen.“

„Du hast gesagt, dass deine Flügel für ihn und für alle anderen tabu sind.“

„Oh Mann, es sind bloß Arme mit bunten Flügeln. Ich hab Felix nicht unseren Erstgeborenen versprochen, oder so was. Also reg dich doch bitte ab, ja?“

Der rafft es einfach nicht!

„Ich werd dir jetzt mal was erklären… obwohl ich bezweifle, dass du’s verstehen wirst“, beginne ich leise, „Dante… ich lieb dich, okay? Und der Gedanke, dass du jeden Kerl fickst, der dir gefällt, ist unerträglich für mich. So unerträglich, dass ich mir irgendwas suchen muss, das mich von den anderen Typen unterscheidet… das mir sagt, dass es etwas zwischen uns gibt, das nur mir gehört. Kapierst du, wie krank das alles ist?“

„Hab ich dir jemals zu verstehen gegeben, dass ich weniger gern mit dir zusammen bin als zum Beispiel mit Felix? Das ist doch kein Konkurrenzkampf.“

„Für mich schon. Weil ich nie sicher sein kann, dass du mich noch willst.“

„Und wann hab ich dich schon mal nicht gewollt, Eli, mh?“

„Ich hab doch gesagt, dass du’s nicht verstehst“, seufze ich.

„Du verstehst etwas nicht. Und zwar, dass dir Ausschließlichkeit keinerlei Sicherheit bietet. Denk mal an dich und deinen Ex.“

„Wir reden nicht über Marcel.“

Dante zuckt die Schultern. „Jedenfalls… solltest du begreifen, dass dir niemand was wegnimmt. Ich höre nicht auf, dich gern zu haben, bloß weil ich manchmal andere Jungs treffe.“

„Du triffst dich aber doch nicht nur mit denen“, entgegne ich verzweifelt. „Mag ja sein, dass du mit deinen Fickfreunden glücklich bist. Ich bin es nicht. Und ich werde es auch nie. Und gern haben reicht mir nun mal nicht.“

„Ja, und ich kann dir nun mal keinen Ring schenken und dir ewige Treue schwören.“

„Ich schätze, das war’s dann“, stelle ich fest.

„Was soll das heißen? Das war’s, wir sehen uns nie wieder?“

„Wozu sollten wir uns noch sehen? Wenn wir beide wissen, dass wir in unterschiedliche Richtungen gehen?“

„Im Bett klappt’s doch ziemlich gut“, grinst er, ist jedoch zwei Sekunden später wieder ernst. „Eli, das kannst du nicht machen. Du… du bist mir total wichtig.“

„Nicht wichtig genug.“

Verdammt, wenn er nicht bald verschwindet, werde ich sicher wieder schwach. Endlich steht er auf und zieht seine Jacke an.

„Okay, deine Entscheidung. Vielleicht sieht man sich ja mal zufällig irgendwo an ’ner Bushaltestelle.“

Ich höre seine Schritte auf der Treppe, die Tür ins Schloss schnappen und würde gerne in Tränen ausbrechen. Aber dafür bin ich viel zu fertig.

 

Am nächsten Tag nehme ich sein Drachenarmband ab und verkrame es in den hintersten Winkel, entferne seine Nummer von meinem Handy und lösche seine gespeicherten Profilseiten aus der Favoritenliste. Am Montag besuche ich Crazy für drei Minuten, drücke ihm die DVDs in die Hand, mit der Bitte, sie Dante zu geben. Ich würde auch die Sterne aus meinem Arm herausschneiden, wenn es möglich wäre.


Ich hätte nicht gedacht, dass ich bei all dem Mist, mit dem ich mich herumzuschlagen hatte, tatsächlich mein Abi schaffen würde. Hab ich aber und überraschenderweise ein wirklich gutes. Darüber hinaus musste ich zwischendurch noch ein bisschen meine Zukunft planen. Da für Mom herumgammeln eher nicht zur Debatte gestanden hätte, galt es zu entscheiden: Ausbildung in irgendeinem Betrieb oder Studium!? Na ja, es war dann eher die Frage, was für ein Studium? Germanistik und Anglistik fand ich auf den ersten Blick interessant… bei näherer Betrachtung allerdings für mich unzumutbar anstrengend. Kunstgeschichte dagegen war mir insgesamt sehr sympathisch. Deswegen ist es Letzteres dann auch geworden. Und weil ich einen Platz an der hiesigen Uni gekriegt habe, brauche ich nicht einmal weit zu fahren oder gar woanders zu wohnen. Mom findet Kunstgeschichte nicht so toll. Also toll eigentlich schon. Sie macht sich nur zwei, drei Sorgen, dass ich mit so einem Studium hinterher nix anfangen, kein Geld verdienen kann. Ich finde: Bis dahin ist es erstmal noch ein langer Weg!

 

Mit dem Ende meiner Schulzeit hab ich übrigens beschlossen, dass jetzt ein neuer, vernünftiger Abschnitt meines Lebens beginnen soll. Das bedeutet, Dante Engels vollkommen und total aus meinem Leben zu streichen. Es bedeutet weiterhin, mich mit Schwärmereien und Begeisterungsphasen, was hübsche Kerle betrifft, zurückzuhalten. Und, ja, es bedeutet leider auch, mich endlich mit meinem Vater auseinanderzusetzen.

Punkt eins hab ich bereits geschafft. Ob der zweite Punkt klappt, wird die Zukunft zeigen. Bleibt noch Crazy.

Aufgeräumt und gestärkt wie nie zuvor, besuche ich ihn Montagnachmittag. Und zwar im Studio, denn oben ist keiner da.

„He, Sternenkind“, begrüßt mich der bärtige Stiefeltrinker fröhlich.

„Hallo“, murmle ich und glotze unkomfortabel umher, „ist…äh…“

„Dein Vater ist hinten und räumt auf. Ich bin dann weg. Schließ wieder ab, ja?“

Ich schließe also ab und gehe nach hinten.

„Elias“, ruft Crazy überrascht. „Äh… Lola und Lucy sind nicht da. Und Dante…“

„Ich wollte zu dir.“

„Oh… ach so“, lächelt er und scheint sich darüber zu freuen.

Während er den Tattookram zusammenräumt und sauber macht, plaudere ich ein wenig über mein im Oktober beginnendes Studium.

„Da ich selbst total unkreativ bin, kann ich später dann wenigstens über die Kreativität von anderen Leuten reden.“

„Hauptsache, du weißt, was du willst und hast Spaß an dem, was du tust“, findet er.

„Ist das der Grund?“

Crazy sieht mich an. „Irgendwie schon. Ich wollte immer tätowieren und ein eigenes Studio haben.“

„Und ich hab dir dabei im Weg gestanden, ja?“

„Ich war einfach ziemlich naiv damals. Hab’s mir cool vorgestellt, ein Kind zu haben, und die erste Zeit war’s auch toll… aber Jutta fand es dann plötzlich nicht mehr so spaßig. Ständig gab’s Streit wegen Geld verdienen und Verantwortung übernehmen und…“

„Dann bist du abgehauen.“

„Ich hatte in einer anderen Stadt ein Studio gefunden, in dem ich lernen konnte. Aber Jutta wollte, dass ich was Vernünftiges mache. Ich wollte beides… Familie und tätowieren. Ich bin dann weg und war an den Wochenenden bei euch, allerdings war das so ziemlich das Ende unserer Beziehung. Da war so viel Wut und Enttäuschung auf beiden Seiten. Jutta hielt mich für egoistisch, weil ich ohne Rücksicht zu nehmen, meinen Traum durchgezogen habe, während sie… na ja, es war nicht unbedingt ihr größter Wunsch, so früh Mutter zu werden.“

„Entschuldigung, dass ihr nicht besser aufgepasst habt.“

„Eli“, antwortet er sanft, „auch wenn du nicht grad geplant warst, wir haben dich von der ersten Sekunde an geliebt.“

„Ja, na sicher“, lächle ich bitter. „Und zwar so sehr, dass du dich verpisst hast.“

„Das war doch keine bewusste Entscheidung, die ich getroffen habe. Wir haben es nur nicht geschafft, eine vernünftige Lösung zu finden. Weil wir viel zu sehr mit unseren Problemen beschäftigt waren. Ist vielleicht eine lahme Erklärung, aber wenn man in so einer Situation steckt, verliert man einfach den Überblick. Ich glaube, wir haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.“

„Hat Mom dir verboten, mich zu sehen, obwohl ihr euch getrennt hattet?“

„Nein.“

„Dann verstehe ich es immer noch nicht.“

Crazy atmet angestrengt aus. „Okay, jetzt kommt der hässliche Teil. Da gibt’s nämlich nichts zu verstehen. Mir sind die ständigen Vorhaltungen von Jutta auf die Nerven gegangen. Vielleicht… weil ich insgeheim wusste, dass sie recht hatte. Ich war egoistisch und ich war zu feige, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Deshalb hab ich dich immer weniger besucht und...“, seine Stimme wird leiser, „und irgendwann gar nicht mehr. Das ist nicht zu entschuldigen.“

Wenigstens ist er ehrlich. Trotzdem weiß ich nicht, was ich von der ganzen Geschichte halten soll?!

„Es war Hardy, der mir damals gesagt hat, dass ich mich wie ein Drecksack benehme und mich gefälligst um mein Kind kümmern soll…“

Sieh an, der alte Stiefeltrinker!

„Ich hab dich natürlich total vermisst, aber mit jedem Tag wurde es schwieriger, wieder Kontakt zu dir und Jutta aufzunehmen. Ich hatte Angst und hab mich geschämt, wollte mir nicht eingestehen, dass ich als Vater total versagt hatte… da bin ich lange nicht rausgekommen. Und als ich endlich so weit war, kam Leo, der sich so um dich gekümmert hat wie ich es hätte tun sollen.“

„Da warst du ja fein raus, mh?“

„Im Gegenteil. Es hat echt weh getan. Aber ich fand wohl, dass ich kein Recht hatte, in deinem Leben eine Rolle zu spielen. Und ich muss damit zurecht kommen, dass ich ein Kerl bin, der sein Kind verlassen hat. Ist ein scheiß Gefühl, weil man solche Kerle verachtet. Ich meine, selbst ich verachte solche Kerle. Eli, ich erwarte nicht, dass du mir verzeihst, aber vielleicht kannst du jetzt verstehen… mir glauben, dass ich dich trotzdem immer lieb hatte… habe.“

Okay, normalerweise wäre es mir grad unheimlich peinlich, dass ein Rockertyp, der zufällig mein Erzeuger ist, von lieb haben faselt… allerdings hab ich vor einer Weile heulend in den Armen des Rockers gelegen, also macht’s mir nichts.

„Ich muss nachdenken“, erkläre ich und verabschiede mich.

Nachdenken und mit Mom reden.


Mom bestätigt Crazys Geschichte. Mehr noch, sie behauptet, dass sie es ihm nicht gerade leicht gemacht hätte, mich zu sehen. Für mich ist das immer noch ein riesiges Durcheinander. Früher war es einfach. Da konnte ich dem Erzeuger die ganze Schuld geben. Heute muss ich feststellen, dass Mom genauso wenig alles richtig gemacht hat. Ich versuche, beide Seiten zu verstehen und damit klar zu kommen, dass niemand ändern kann, was passiert ist. Ich kenne jetzt die Fakten und es hat keinen Sinn, ständig zu fragen, warum sie nicht anders gehandelt haben. Wenn sie’s damals gekonnt hätten, dann hätten sie es ja wahrscheinlich getan.

Crazy zu verzeihen… vielleicht ist das gar nicht mal so wichtig. Denn zu ihm werde ich eh niemals so eine Bindung haben wie zu Leo. Der bleibt nun mal mein Paps. Aber ich glaube, ich komme langsam an den Punkt, wo ich die Vergangenheit akzeptieren, sie als gegeben hinnehmen kann. Ich brauche meinen Erzeuger nicht mehr zu hassen und ich weiß jetzt, dass ich für ihn nicht einfach bloß irgendein Balg war, das seine Ex geworfen und er nie gewollt hat

So, nachdem ich das alles endlich begriffen habe, sollte es doch auch demnächst mit einer Liebesbeziehung klappen, oder?!

Ach, bevor ich’s vergesse… Mom eröffnete mir so ganz nebenbei, dass Hardy mein Taufpate war. Ein Stiefeltrinker ist mein Patenonkel! Na, herzlichen Glückwunsch, oder?! Logischerweise konnte sie mir das nie erzählen, weil sie, als Crazy weg war, mit ihrer gruftigen Freak-Vergangenheit nichts mehr zu tun haben wollte. Warum Crazy und der Stiefeltrinker mir allerdings kein Wort gesagt haben, müsste ich die beiden bei Gelegenheit mal fragen.

 

Tine ist übrigens, was die Vergangenheitsbewältigung angeht, so stolz auf mich, als wäre sie meine Mutter. Als ich allerdings vorsichtig die Liebesbeziehung erwähne, verdreht sie die Augen.

„Leg es nicht drauf an“, rät sie mir.

„Es ist ja leider auch noch kein passender Kerl in Sicht.“

„Bei meinem Glück taucht spätestens morgen ein tätowierter, gepiercter, bunthaariger Szeneschönling auf, der noch mehr Psychoprobleme hat als du.“

„Ich habe nicht vor, mich jemals wieder mit Dante Engels einzulassen.“

„Hoffentlich hat er keinen verschollenen Bruder oder so was.“

„Na und? Ich bin drüber weg.“

„Ernsthaft?“

„Ja.“

„Ganz sicher?“

„Allerdings.“

„So richtig?“

„Tine…“, schnaufe ich genervt.

„Du denkst nicht mehr heimlich an ihn?“

„Doch, manchmal schon“, gebe ich zu.

„Okay, wenn du jetzt nein gesagt hättest, wäre ich beunruhigt gewesen.“

„Ich hab ihn halt geliebt.“

„Eben. So was steckt man nicht so locker weg.“

„Sag ich doch.“

„Er ist ein Fickfrosch“, zuckt sie die Schultern.

„Yep.“

„Ein alter Spermaschlecker.“

„Tine…“

„Ich hasse den Penner.“

„Wenn du jemanden hasst, bist du der einzige, der darunter leidet. Denn die meisten Menschen, die du hasst, wissen es nicht, und den anderen ist es egal.“

Sie verzieht angewidert das Gesicht. „Wo hast du denn diese Weisheit her?“

„Das Attentat“, grinse ich.

„Stimmt. Kam mir doch irgendwie bekannt vor. Wie dem auch sei, der Fickfrosch weiß genau, dass ich ihn hasse.“

„Ja, aber es ist ihm höchstwahrscheinlich egal.“

„Und leider sind wir wahrscheinlich auch die einzigen, die darunter leiden, dass wir von ihm ein ewiges Andenken auf der Haut haben.“

„Lass es dir weglasern“, schlage ich vor, „oder von meinem Vater covern. Der kann so was, glaub ich, total gut.“

„Covern, mh?“, blinzelt sie. „Aber ich darf nicht Inker sagen.“


Samstagabend finde ich, dass ich bereit bin, mal wieder auszugehen. Immerhin hatte ich mir das wochenlang quasi verboten. Aus Angst, dass Dante mir bewusst oder unbewusst auflauern könnte. Inzwischen bin ich aber wirklich fast drüber weg. Tine wollte eigentlich mit, musste sich dann allerdings kurzfristig umentscheiden, weil sie sich einen Nackenwirbel eingeklemmt hat und ihren Kopf kaum bewegen kann. Patti tut mir jetzt schon leid, Tine benimmt sich nämlich echt garstig, wenn sie krank ist. Mich hat sie bereits am Nachmittag für nichts zur Schnecke gemacht.

 

In der Villa ist es dermaßen voll, dass man andauernd irgendwelche Leute anrempelt und jahrelang an der Theke auf sein Getränk warten muss. Ich scheine sehr lange nicht wirklich in der Welt gewesen zu sein, denn Basti (der Friseur, der mir mal die Haare blau gefärbt hat) erzählt, dass die Villa nicht nur den DJ sondern auch den Besitzer gewechselt hat und wochenlang dicht gewesen ist. Kein Wunder also, dass der Laden heute so gut besucht ist.

Die Musik ist nämlich auch deutlich besser als vor meiner langen Abwesenheit. Das Publikum hat sich leider nicht geändert. Ich habe soeben Dante in der Menge gesehen. Okay, der wird mir die Laune nicht verderben, beschließe ich, unterhalte mich weiter mit Basti und einigen anderen Leuten, tanze und habe Spaß. Ich gestatte mir sogar den Gedanken, dass ein hübscher Typ mit schwarzen Strubbelhaaren und Hundehalsband tatsächlich mich anlächelt und nicht etwa irgendeinen neben mir meint. Mein Selbstbewusstsein bekommt dadurch einen gehörigen Kick. Natürlich nicht einen derart gewaltigen, dass ich den Typen ansprechen würde… aber, wer weiß, der Abend ist ja noch nicht zu ende.

 

„Hey, Elias“, brüllt mir jemand ins Ohr.

Es wäre nicht nötig, mich umzudrehen, weil ich Dantes Stimme kenne, allerdings bin ich ein höflicher Mensch und grüße zurück. Oh Mann, seine Haare sind… hellblau und rosa. Als hätte er sich ein Plüschtier auf den Schädel getackert.

„Lustige Haare, Engels.“

„Hör bloß auf. Es hat sechs Blondierungen gebraucht, um das Schwarz loszuwerden.“

„Aha.“

„Was machst’n so?“

„Cola trinken?“, schlage ich vor und halte mein Glas hoch.

„Ja. Ich meine so… insgesamt.“

„Ich studiere ab Oktober Kunstgeschichte.“

„Echt?“, lächelt er überrascht. „Cool.“

„Man wird sehen.“

„Ich wage mich momentan mal so ganz vorsichtig an Portraits. Das heißt, ich schaue bei Crazy und Gianni zu, wenn die so was haben.“

„Supi.“

„Ich bin auch dabei…“

„Erzähl’s mir ein anderes Mal“, unterbreche ich ihn, „ich geh tanzen.“ Und das, obwohl VNV Nation nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbands gehört und ich das Lied überhaupt nicht kenne. Aber Dantes Nähe hat meinen Magen zum Rumpeln gebracht, also ist Flucht auf jeden Fall die beste Lösung. Fuck, ich finde ihn immer noch umwerfend schön. Na ja, wenigstens hab ich schon mal nicht mehr die ganze Zeit sabbernd auf seine Arme mit den Flügeln gestarrt. Es sind eben kleine Schritte…

 

Den weiteren Abend versuche ich, Dante zu ignorieren. Zum Glück scheint er das zu begreifen, denn er quatscht mich nicht noch mal sondern flirtet mit irgendwelchen Jungs. Ein bisschen tut es weh, aber hauptsächlich macht es mich wütend. Der blöde Kerl ändert sich einfach nicht. Und wütend bin ich nur, weil’s mir noch was ausmacht. Deshalb tue ich etwas, das ich mich normalerweise im Leben nicht trauen würde. Ich schlendere mit Wackelpuddingbeinen zum Hundehalsbandträger, der mich immer noch hardcore anlächelt, und röchele mir ein „Hallo“ ab.

„Hi“, strahlt er.

Geil, ich hab das hier so was von null drauf, denn nach seinem „Hi“ hänge ich stumm neben ihm.

„Die Mucke ist echt gut geworden, seit Carlo auflegt.“

In Ordnung, der Typ hat sich leider schlagartig erledigt. Mucke ist eines der dämlichsten Wörter, die ich mir vorstellen kann. Da nützt ihm auch die hübsche Visage nichts. Trotzdem nicke ich und bleibe bei ihm stehen, weil Dante grad zu uns rüberglotzt.

„Du kennst den DJ?“, frage ich lahm.

„Ja, der war vorher im Casablanca.“

„Ah, da war ich nur einmal oder so.“

„Seitdem da hauptsächlich Electro läuft, ist’s auch ziemlich öde. Außerdem laufen da nur noch Kiddies rum.“

„Hm.“

„Du bist Elias, stimmt’s?“

Äh… was?!

„Sieht man mir das an?“

„Sascha hat mal von dir erzählt.“

„Müsste ich den kennen?“

„So’n kleiner Blondschopf, der oft im…“

„Jugendzentrum rumhängt?“

„Genau“, lacht er. „Einer von Dantes Groupies.“

War ja klar, dass er Dante kennt. Scheißverdammte Jugendzentrum- und Villaszene!

„Ihr seid aber nicht mehr zusammen, oder?“

„Wer?“

„Du und Dante.“

Ich spucke aus Versehen meine Cola zurück ins Glas.

„Wie kommst du darauf, dass ich mit dem zusammen war?“

„Das erzählt man sich so“, zuckt er die Schultern.

„Ach du Scheiße… was erzählt man sich denn noch so?“

„Keine Ahnung. Mir sind solche Tratschereien echt latte“, entgegnet er schulterzuckend.

Mir nicht! Denn ich begreife langsam, warum sich ein hübscher Typ mit mir unterhält, der mich sonst nicht mal bemerken würde. Klar, ich war angeblich mit dem umschwärmten Dante Engels zusammen… das macht mich begehrenswert oder so’n Kack. Ey, ich geh gleich kotzen!

„Ich heiße übrigens Matthias.“

„Cool. Schönen Abend noch, Matthias“, wünsche ich und lasse den Idioten stehen.

 

Der nächste Idiot lässt nicht lange auf sich warten.

„Wie sieht’s aus, soll ich dich nach Hause fahren?“

„Nein, danke. Meine Aufmachung hat ihren Zweck noch nicht erfüllt.“

Dante sieht mich irritiert an.

„Ich bin hier, um mich aufreißen zu lassen“, helfe ich ihm auf die Sprünge.

„Der da hinten schmachtet dich an. Könnte ein Kandidat sein.“

Ich hab keinen verdammten Schimmer, wen er meint.

„Okay, dann sollte ich vielleicht mal rübergehen.“

„Hier geblieben“, behauptet Dante. „Du kennst den Typen doch gar nicht, oder?“

„Na und?“

„Also weißt du auch nicht, ob…“, seine Lippen nähern sich meinem Ohr, während seine Hände über meine Hüften streichen, „er überhaupt in der Lage wäre, dich ausreichend zu befriedigen. Das ist nämlich echt nicht einfach.“

„Nimm deine Hände da weg.“

„Ich kann das natürlich“, faselt er weiter, „weil ich gut bin, aber der Typ da sieht irgendwie nicht…“

„Du sollst deine Hände da wegnehmen. Bist du neuerdings schwerhörig?“

„Wenn du’s unbedingt willst, nimm doch einen, der weiß, was er zu tun hat.“

Glaubt der etwa ernsthaft, dass ich… mit ihm…

„Wie würdest du es denn anstellen?“

„Ich… würde dich mit Tequila abfüllen und dann aufm Rücksitz von meiner Karre befummeln“, wispert er und beißt mir kurz ins Ohrläppchen.

„Vergiss es, Engels“, fauche ich und mache, dass ich aus diesem Irrenhaus rauskomme.


„Der Spermaschlecker hat es echt wieder bei dir versucht?“, regt sich Tine auf. „Ich töte den!“

„Warte damit aber, bis du deinen Kopf…“

„Au“, jault sie plötzlich auf und greift sich in den Nacken. „Fuck, das ist alles seine Schuld.“

Vorsichtig sinkt sie ins Kissen zurück und wurschtelt ihre Wärmflasche zurecht. „Und?“

„Was? Ich hab mich nicht rumkriegen lassen.“

„Hättest du gerne?“

„Zwei Minuten länger und ich wäre mitgegangen.“

„Scheiße.“

„Ja“, bestätige ich finster.

„Okay, du bist noch scharf auf ihn. Das heißt noch lange nicht…“

„Und danach hätte ich ihm sofort eine Liebeserklärung gemacht“, gebe ich zu.

„Oh… das ist natürlich… ungut.“

„Mich stört eigentlich eher die Tatsache, dass Leute mit mir reden, bloß weil ich was mit dem blöden Fickfrosch hatte.“

„Das ist ja nur deine komische Annahme, weil du immer noch denkst, dass dich niemand einfach mal mögen könnte, weil du süß bist.“

„Bestimmt ist der Typ bei Dante abgeblitzt und hat sich gedacht, nehm ich halt einen, den Dante hatte, das ist fast genauso gut“, überlege ich.

„Eli, geh mir nicht auf den Sack!“

„Ist ja auch egal. Ich will momentan doch eh keinen Kerl.“

„Hör auf damit.“

„Hä?“

„Hör auf zu hoffen.“

Ernsthaft, die Würfelkirsche ist mir manchmal unheimlich.

„Das ist grad nur ein kleiner Rückfall, ausgelöst durch den Schock, ihn wieder gesehen zu haben“, versichere ich ihr und mir.

„Dann solltest du solche zufälligen Treffen vermeiden. Nicht auszudenken, wenn du wieder mit ihm…“

„Erwähnte ich schon, dass ich nicht mit ihm mitgegangen bin, obwohl ich fast gewollt hätte?“, unterbreche ich sie. „Das zeigt doch wohl, dass ich was aus der Sache mit dem Fickfrosch gelernt habe.“

„Trotzdem bist du immer noch gefährdet.“

„Das klingt als wäre ich ein Junkie und Dante die Heroinspritze.“

„Kein schlechter Vergleich“, überlegt sie. „Der Kerl ist das reinste Gift für dich und… mal ehrlich, ein sabbernder Kuss von diesem Mistvieh und du bist wieder voll drauf, richtig?“

„Dante sabbert nicht beim Küssen“, seufze ich.

„Liebe nervt.“

„Sagst du das zu Patti auch?“

„Nur wenn er sich abends abgeschossen hat und morgens jammernd die Kloschüssel umarmt.“


Seit ich alle unschönen Dinge aus der Vergangenheit kenne, versuche ich, so was wie ein freundschaftliches Verhältnis zu meinem Erzeuger aufzubauen. Weil… irgendeine Bindung scheint ja wohl definitiv zu bestehen, ansonsten könnte mir der Mensch vollkommen egal sein. Außerdem hab ich von ihm meine Liebe zu Boa und Linus und… wenn man ganz genau hinkuckt… ein bisschen Ähnlichkeit ist gesichtsmäßig schon vorhanden. Ich glaube, Crazy ist ziemlich begeistert und ich bin froh, dass ich jetzt tatsächlich seinetwegen regelmäßig bei ihm rumhänge und nicht wegen Dante. Ich besuche Crazy eh nur Montags oder am Wochenende.

Dann ist Dante nämlich nicht da, weil er in der Zeit tausend Typen fickt.

 

Heute ist Montag und der Stiefeltrinker grinst mich an, als ich das Studio betrete. Mann, der gehört wohl hier zum Inventar.

„He, Sternenkind.“

„Hallo, Patenonkel.“

Sein Grinsen stirbt. „Hat er es dir erzählt oder sie?“

„Sie.“

„Hör mal, also nicht, dass du denkst, ich hätte mich nicht kümmern wollen… aber nachdem sich dein Vater nicht so besonders korrekt verhalten hat, wollte Jutta… na ja, sie hat sämtliche Kontakte abgebrochen, verstehst du? Wollte ein ganz neues, anderes Leben beginnen und auf Crazys besten Kumpel hatte sie verständlicherweise keine Lust. Ich habe das respektiert. Und sie wusste, dass ich sofort da gewesen wäre, wenn ihr zwei meine Hilfe gebraucht hättet.“

Vermutlich hatte Mom keinen Bock, ihr Kind in die Obhut eines Stiefeltrinkers zu geben!

„Daran hat sich übrigens nichts geändert.“

„Danke.“ Ich komme höchstwahrscheinlich niemals darauf zurück.

Crazy serviert uns netterweise eine Tasse Kaffee. Ich hasse Kaffee, aber woher soll er das wissen?! Mit viel Milch und Zucker ist das ekelhaft starke Gebräu einigermaßen trinkbar.

„Hat es einen Grund, weshalb man dich immer bloß Montags zu sehen kriegt, Sternenkind?“, fragt der Rocker vergnügt.

„Montags ist Dante nicht da“, antwortet Crazy, woraufhin ich mich lautstark räuspere.

„Haste Stress mit ihm? Dir gefallen wohl die Sternchen nicht mehr, die er dir gestochen hat, was?“, lacht er.

„Und wieso hängst du andauernd hier rum? Arbeitest wohl nicht viel, was?“, entgegne ich etwas aggressiv.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Rocker haben nun mal einen schlechten Ruf.“

„Ach so?“

„Ja“, verdrehe ich die Augen, „die bekriegen sich doch ständig, bringen sich gegenseitig um, saufen, fixen und verdienen ihre Kohle durch Drogenhandel, Zuhälterei und... sie trinken aus Stiefeln.“

Crazy und Hardy lachen sich gemeinschaftlich kaputt.

„Nur zu deiner Information, Kleiner, ich bin und war nie in einer beknackten Gang. Ich hab noch keine Leute abgemurkst und an keiner Straße irgendwelche Schnallen stehen, die für mich anschaffen. Dass ich so oft hier rumhängen kann, liegt daran, dass ich mein eigener Chef bin. Hab ’ne Kfz-Werkstatt und verkaufe inzwischen auch ab und an gebrauchte Autos… alles ganz legal, versteht sich. Von Drogen hab ich schon immer die Finger gelassen und mit dem Alkohol hab ich vor zehn Jahren ganz aufgehört. Sonst noch Fragen?“

„Aus ’nem Stiefel hast du aber früher getrunken“, behauptet Crazy.

„Einmal“, stöhnt Hardy, „weil ich eine Wette verloren hatte. Sonst wärst du heute der Stiefeltrinker.“

Na gut, hab ich mich eben in ihm getäuscht. Was soll’s?!

„Hast du einen Führerschein, Sternenkind?“, fragt Hardy, während er seine Motorradkluft anlegt. „Dann komm mal bei mir vorbei, vielleicht hab ich ein chices Auto für dich… so als nachträgliches Geschenk zum bestandenen Abitur.“

„Danke, ich fahre lieber mit dem Rad. Ist umweltfreundlicher.“

„Auch gut. Aber wenn du’s dir anders überlegst… man sieht sich“, nickt er und geht.

„Würdest du bitte nicht jedem auf die Nase binden, dass ich was mit einem deiner Angestellten hatte?“, wende ich mich an den Erzeuger.

„Hardy weiß doch gar nichts“, erklärt Crazy. „Nicht mal, dass du auf Jungs stehst. Obwohl er damit kein Problem hätte, denke ich.“

„Meine sexuelle Orientierung geht ja wohl keinen was an.“

„Wie gesagt, er weiß es nicht. Kommst du mit nach hinten? Ich muss noch ein bisschen rumräumen.“

„Okay.“

 

Während Crazy mit irgendwelchen Tattooteilen hantiert, quatscht er über seine Tochter drauflos. Was Lucy inzwischen schon alles kann und wie sie ständig lacht und vergnügt ist… was soll ich sagen… es sticht immer noch ein bisschen.

„Dein Schnuffelschmusetuch liebt sie übrigens heiß und innig. Ohne das schläft sie nicht ein.“

Als großer Bruder gehörte es sich für mich, Lucy etwas Weiches mit einem niedlichen Schäfchen dran zum Schmusen zu schenken. Offenbar hab ich alles richtig gemacht.

„Schon mal eine Tätowiermaschine in der Hand gehabt, mein Sohn?“, fragt er auf einmal und wedelt mit dem Teil vor meiner Nase herum.

„Nee. Wieso auch? Ich kann doch nicht mal zeichnen.“

„Willst du’s ausprobieren?“

„Was?“

„Tätowieren.“

„Äh…?“ Ich schiele relativ hilflos seinen Körper entlang.

„Nicht an mir“, lacht er, verschwindet kurz nach vorne und kommt anschließend mit einigen… Pampelmusen zurück. „Hier, kannst du super dran üben.“

Cool. Ich will aber gar nicht.

„Ich mach bestimmt irgendwas kaputt.“

„Keine Sorge, das ist eine alte Maschine.“

Und schon ist Crazy dabei, irgendwelche Ornamente auf das Obst zu kritzeln. Dann füllt er schwarze Farbe in ein Farbtöpfchen und schiebt mir die Packung mit den Handschuhen und einen Rollhocker rüber.

Fuck!

„Da unten ist der Fußschalter, wenn die Maschine läuft, tauchst du die Nadeln in die Farbe und dann kann’s losgehen.“

Während mein schwitzender Fuß den Schalter betätigt, fummelt Crazy am Netzgerät und findet irgendwann, dass die Maschine gut läuft. Ich finde die Maschine schwerer als erwartet. Da tut einem doch nach zehn Minuten die Hand weh. Der Erzeuger faselt was von Spulenmaschinen und Rotaries… als hätte ich davon Ahnung. Echt, ich weiß nicht mal, was ich grad festhalte. Oder doch. Wenn ich richtig hinkucke, glaube ich, Spulen zu erkennen. Sicher bin ich mir allerdings keineswegs.

„Nicht so tief“, rät der Erzeuger, als ich die Spitze in die Farbe tunke. „Es reicht, wenn die Nadeln die Farbe aufnehmen, das halbe Griffstück ist unnötig.“

„Verstehe“, behaupte ich und stipse vorsichtiger.

„Gut. Und jetzt ziehst du einfach schön gleichmäßig die Linien nach. Und den Fuß nehmen wir immer erst vom Schalter, wenn wir von der Haut weg sind.“

„Wieso?“

„Weil sonst die Nadeln in der Haut stecken bleiben.“

Ja, klar… ich Depp!

„Ist doch egal. Sind eh bloß Pampelmusen.“

„Du sollst es aber gleich richtig lernen.“

Ähem… erwähnte ich schon, dass ich das eigentlich gar nicht lernen möchte?? Und einfach ist hier sowieso überhaupt nichts. Die Maschine vibriert total und die erste Line sieht dementsprechend krümpelig aus. Wenigstens betätige ich aber den Fußschalter korrekt.

Die nächsten Linien werden sogar noch schlechter, falls das möglich ist.

„Meine ersten Versuche sahen genauso aus.“

„Echt?“

„Nein“, zwinkert er, „ich wollte nur nett sein.“

„Darf ich ehrlich sein? Ich war schon die ganze Zeit nur nett“, erkläre ich, lege die Maschine hin und ziehe die Handschuhe aus. „Hör mal, du musst nicht krampfhaft nach Gemeinsamkeiten suchen, okay? Oder nach irgendwas, das du mir beibringen kannst, weil du so was in der Vergangenheit versäumt hast. Für den Tattookram hast du Dante.“

„Eli, ich wollte nicht… ich dachte, du hättest vielleicht ein bisschen Spaß daran.“

„Ich hab mehr Spaß daran, Profis zuzuschauen.“

„Ach so? Du kannst gerne jederzeit zuschauen… wenn’s die Kunden nicht stört“, bietet er an.

„Mal sehen. Lass… lass uns einfach reden, ja?“

„Okay“, nickt er. „gehen wir nach oben. Ich mach dir ’nen Kakao, den magst du lieber als Kaffee, oder?“

 

Crazys Kakao schmeckt zum Glück sehr viel besser als sein Kaffee, obwohl er für meinen Geschmack etwas zu süß ist. Ich frage mich, was die Kombination von tonnenweise Koffein und Zucker wohl mit meinem Körper anstellt?!

„Dass mit Dante ist mir vorhin aus Versehen rausgerutscht“, behauptet er. „Ich bin halt immer noch sauer auf ihn.“

„Wieso? Hat er Kundschaft verschandelt?“

„Nein. Er ist mit dir nicht gut umgegangen.“

„Völlig egal. Ich… bin drüber weg.“

Sein Blick sagt ganz deutlich, dass er mir nicht glaubt. „In Ordnung“, seufzt er und belässt es dabei. Dann erzählt er ein bisschen, was er so die ganzen Jahre getrieben hat, weil ich ihn danach gefragt habe. Seine Tätowiererei scheint irgendwie die einzige Liebe in seinem Leben zu sein. Mal abgesehen von Lola und Lucy. Jedenfalls hat er echt nichts anderes gemacht, als zu tätowieren. Anfangs war es total schwer und manchmal wollte er fast aufgeben, aber er hat sich immer wieder aufgerafft und in London dann in einem der besten Studios gearbeitet.

„Und warum bist du wieder nach Deutschland?“

„Lola hat ihre Familie und ihre Freunde vermisst. Und… sie fand, dass ich meinen Sohn kennen lernen sollte.“

Schade. Ich war doch schon so weit, ihn nicht mehr zu hassen.

„Deswegen, ja? Um deiner Frau einen Gefallen zu tun“, entgegne ich enttäuscht. „Es ging dir überhaupt niemals um mich.“

„Doch“, behauptet er. „Lola hat mir nur den nötigen Arschtritt verpasst.“

„Aber gemeldet bei mir hast du dich trotzdem nicht.“

„Weil ich zu feige war“, seufzt er. „Ich hatte Angst, dass du mir sagst, ich soll mich verdammt noch mal verpissen.“

„Hätte ich wahrscheinlich auch“, gebe ich zu.

„Ich hätt’s dir nicht mal übel nehmen können.“

„Eigentlich bin ich nur wegen Dante hergekommen.“

Keine Ahnung, warum ich ihm das jetzt sage.

„Ich war sauer auf ihn und… beleidigt, weil er andauernd erzählt hat, wie sehr du dich um ihn kümmerst.“

„Eli“, schüttelt er den Kopf, „du bist mein Sohn. Völlig egal, wie gut Dante tätowiert.“

„Davon hab ich aber nie was gemerkt.“

Äh… hatte ich nicht akzeptiert, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann? Anscheinend ist das doch nicht ganz so easy.

„Vergiss es“, reiße ich mich zusammen. „Was bringt es, dich ständig deswegen fertig zu machen?“

Ernsthaft, blöde Konkurrenzkämpfe hatte ich mit Dantes Fickfreunden genug, ich muss nicht auch noch mit ihm um Crazys Gunst kämpfen, oder? Das würde mir auf die Dauer zu anstrengend werden. Zumal ich Dante eh aus meinem Leben streichen wollte.

Nach einer halben Stunde harmlosem Geplauder über Boa fahre ich nach Hause und bin einigermaßen zufrieden. Crazys Lieblingslieder sind Black-Crosser, I dedicate my soul to you und Kill your ideals… genau wie meine.


Kunstgeschichte studieren hauptsächlich Mädchen, die irgendwie komisch sind, und drei schwule Jungs. Bei einem weiß ich’s ganz sicher, weil ich das bin, die beiden anderen… na, da bin ich mir auch fast sicher. Ansonsten kriegen wir momentan hunderttausend Bilder gezeigt und dazu eine Menge erzählt. Allgemeine Einführung in die Literatur, Begriffe und Arbeitsweisen des Faches Kunstgeschichte… nennt sich das. Ich find’s interessant, obwohl es wahrscheinlich im Laufe der Zeit viel Lernerei bedeutet. Logisch, als Normalsterblicher hat man ja nun erstmal kaum einen Schimmer von christlicher Ikonographie und ihrer Umsetzung ins Bild von der Spätantike bis in das späte Mittelalter, oder?! Tine ist jedenfalls schon arg genervt, weil ich ihr damit auf den Sack gehe. Crazy tut wenigstens so, als würde er sich dafür interessieren. Es hat sich irgendwie eingeschlichen, dass ich den Erzeuger einmal die Woche besuche und schwierige Gespräche über die Vergangenheit halten sich mittlerweile im Rahmen. Dafür hatte ich ein eher ernstes Gespräch mit Leo. Hab ihn gefragt, ob es okay ist, dass ich meinen Vater treffe, ihm gesagt, dass er trotzdem immer mein Paps sein wird und so. Wäre eigentlich gar nicht dringend nötig gewesen, weil er es gut findet, dass ich endlich so was wie ein normales Verhältnis zu Thomas habe und er fühlt sich von ihm absolut nicht bedroht.

Letzte Woche liefen mir zufällig in der Stadt Marcel und sein neuer Freund über den Weg. Ich muss gestehen, dass es mir einen Stich versetzte, denn die beiden wirkten sehr verliebt. Der Freund ist hübsch, wenn auch nicht unbedingt mein Geschmack, aber mir muss er ja auch nicht gefallen. Na ja, ich habe nett und freundlich gegrüßt und Marcel nuschelte sich immerhin ein kurzes Hallo ab. Offenbar ist dieses Kapitel nun endgültig abgeschlossen.

Mit dem Ex befreundet zu sein, funktioniert in der Realität wohl eher nicht. Mit Tine hat er übrigens auch bloß noch sporadisch was zu tun.

An Dante denke ich überhaupt nicht mehr. Meine Gefühle für ihn sind mindestens ebenso erloschen wie Marcels Gefühle für mich. Okay, ab und zu vermisse ich ihn vielleicht ein klitzekleines bisschen, aber dann rufe ich mir das Bild von Felix, der an Dantes Arm leckt, ins Gedächtnis, phantasiere noch die eine oder andere Fick-Szene dazu und schon verschwindet die Sehnsucht nach einem Typen, der nur in meiner Vorstellung zu mir gehörte. Manche Dinge lassen sich einfach nicht ändern, so sehr man es sich auch wünscht. Und ich fühle mich langsam wieder frei. Für etwas Neues. Damit meine ich allerdings keine neue Beziehung. Tine hatte wie immer recht… es ist nicht das Schlechteste, mal allein und auf sich gestellt zu sein.

Die Villa hat sich an den Wochenenden leider erledigt. Trotzdem ich nix mehr von Dante will, muss ich’s nicht drauf anlegen, ihn zu sehen. Werde mir wohl einen anderen Club suchen. Tine erfährt von Kevin, beziehungsweise von Torben, auch immer bloß das Selbe… nämlich dass Dante grad mit dem und dem Typen zugange ist. Mich hat er offensichtlich schon längst vergessen. Na ja.

 

Am Montag bin ich bei Crazy, beschäftige mich eine Weile mit der kleinen Halbschwester und hocke danach im Wohnzimmer. Eben hat sich der Stiefeltrinker verabschiedet. Und der Erzeuger wirkt wegen irgendwas ziemlich gestresst.

„Was’n los?“, frage ich.

„Nicht so wichtig“, schüttelt Crazy den Kopf.

„Hm.“

„Ich muss momentan ständig Termine absagen oder Gianni und mir aufs Auge drücken, weil Dante krank ist.“

Fuck! Mein Herz klopft sofort ein bisschen schneller.

„Das wäre alles nicht so schlimm, aber Herr Engels hat ja keinen Menschen, der sich um ihn kümmert… eigentlich unglaublich, wo er doch tausend Leute kennt… das Ende vom Lied war dann, dass Lola zu ihm gefahren ist, um nachzuschauen, ob er überhaupt noch lebt.“

„Kann sein bescheuerter Mitbewohner nicht aufpassen, dass Dante nicht unbemerkt abkratzt?“

Crazy sieht mich überrascht an. „Ach so, du weißt das noch gar nicht? Dante ist umgezogen. Der wohnt jetzt alleine.“

WAS??

„Wieso das denn?“, frage ich schriller als geplant.

„Keine Ahnung. Er hat sich wohl tierisch mit Torben gestritten oder so.“

Na toll, und ich krieg das alles nicht mit! He, Augenblick mal, warum soll mich das interessieren?

„Und was ist mit der Band?“

„Die gibt’s nicht mehr.“

Kein Mitbewohner, keine Band und Dante siecht mutterseelenallein vor sich hin?! Zugegeben, er tut mir ein bisschen leid.

„Entschuldigung, aber wieso erfahre ich das erst jetzt?“

„Eli“, lächelt er, „du wolltest nicht mehr über Dante sprechen.“

„Ja, aber wenn er krank ist, will ich das wissen“, entgegne ich.

„Es war nichts Weltbewegendes. Nur eine sehr hartnäckige Grippe. Die andere Sache macht mir schon mehr Sorgen.“

„Was für eine andere Sache?“, fauche ich genervt. Ehrlich, das ist ja wie verdammte Würmer aus der Nase ziehen, meine Güte!

„Er ist mal wieder auf Schlafpillen.“

„Wie bitte? Seit wann braucht der denn Pillen zum Schlafen?“

„Das wusstest du auch nicht?“

„Nee. Als ich was mit ihm zu tun hatte, brauchte er jedenfalls keine.“

„Die kleine Diva leidet in Stresssituationen unter Schlaflosigkeit und lässt sich Pillen verschreiben. Ich hab ihm gesagt, dass er die Scheiße in den Griff kriegen muss, weil es nicht geht, dass er total fertig und unkonzentriert im Studio rumhängt. So kann man ihn ja nicht auf Kunden loslassen.“

„Was soll’n der schon großartig für Stress haben? Der macht sich doch eh keine Gedanken über irgendwas und schert sich nur um sich selbst.“

„Und in so ein Arschloch bist du verliebt?“, fragt Crazy eigenartig.

„War. Ich war verliebt. Jetzt weiß ich es zum Glück besser.“

„Ja, natürlich.“

„Was soll das? Willst du mir etwa einreden, dass ich…“

„Ich will dir gar nichts einreden“, unterbricht er mich.

„Okay, ich muss los.“

„Warte“, ruft er mir nach, kritzelt was auf einen Zettel und drückt ihn mir in die Hand. „Das ist seine neue Adresse.“

„Was soll ich damit?“

„Entscheide du“, zuckt er die Schultern.

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