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Dear Diary...

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Inhaltsverzeichnis

9.März

Ich sitze gerade inmitten eines Kartonchaos‘ in meiner neuen Behausung. Eine kurze Verschnaufpause gibt mir die Möglichkeit mein Tagebuch (übrigens ein heutzutage geradezu altmodisch anmutendes, ganz echtes, richtiges Buch mit leeren Seiten, die ich weiter vollzukritzeln gedenke) auf den neuesten Stand zu bringen. Seit einer Woche ziehen wir nun also um. Mom und Dad wirbeln im Haus rum und ich versuche hier, mir mein Zimmer einigermaßen gemütlich einzurichten. Scheiße, als ich in unserer alten Wohnung die Kisten packte, ist mir erstmal aufgefallen, wieviel unnützen Scheiß ich gehortet habe. Mein Problem ist einfach, dass es mir total schwerfällt, irgendwas wegzuschmeißen. Tina sagt immer, ich sei ein Messie, ich aber halte mich schlicht und ergreifend für einen organisierten Chaoten. Tina, meine fünf Jahre ältere Schwester ist echt pingelig, was Ordnung und Sauberkeit betrifft, ich finde ihren Fimmel irgendwie eklig.

Da wär ich nun. Städtetechnisch haben wir uns total verbessert, vom Arsch der Welt in den brodelnden Hexenkessel der Großstadt. Hab in den letzten Tagen schon mal abgecheckt, was so läuft, wo man hin kann. Es gibt coole Klamottenläden, Clubs, Szenekneipen...es gibt hier Szenen! Vielleicht tritt jetzt endlich die Spannung in mein Leben, auf die ich seit siebzehn Jahren warte? Aber vermutlich wird mir dabei wieder mein total beknackter Idiotenname im Weg stehen. Ich leide immer noch darunter...dagegen kann ich auch nichts machen. Keine Ahnung, ich vermute meine Eltern waren besoffen oder bekifft...höchstwahrscheinlich beides. Vielleicht haben sie mich aber auch von Anfang an so gehasst, dass sie mir eins auswischen wollten. Genau weiß ich es nicht.

Jedenfalls hätte die zuständige Behörde ihnen verbieten müssen, ihrem Kind so etwas anzutun. Man kann doch nicht ungestraft sein Kind SIGURD nennen. Sie haben es getan. Ich verachte sie dafür zutiefst. Was soll aus einem Kind werden, das Sigurd heißt und somit dem ständigen Hohn und Spott ausgeliefert ist...überall? Schwul ist das Kind geworden, was mich allerdings bis jetzt noch nicht in seelische Krisen gestürzt hat. Ich kann halt mit Mädchen sexuell nichts anfangen...kein Grund, sich das Leben zu nehmen. Es gibt schließlich genug Jungs, denen es genauso geht. Ich hoffe nur, ich treffe hier mal den einen oder anderen.

11.März

Mein Zimmer sieht immer noch aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich fühle mich wieder wohl und zuhause. Mom hatte die Hoffnung, ich würde mit dem Umzug ordentlicher... sie wird ihren Irrtum überleben. Morgen ist mein erster Schultag am Gymnasium, bin mal gespannt, was mich erwartet. Gelächter, wenn mich irgendein Scheißlehrer zwingt, den Leuten meinen Namen zu sagen. Man kann noch so cool sein...wenn man in eine neue Schule kommt und am ersten Tag sagen muss »Hallo, mein Name ist Sigurd«, nützt einem die ganze Coolness nichts mehr. Man möchte im Boden versinken und weinen. Und...seinen Eltern die Schädel spalten, mit einer schönen großen Axt. Hauptsache, es gibt ein paar hübsche Jungs in meiner Klasse oder überhaupt auf der Schule.

Brauche unbedingt mal wieder etwas zum Träumen. Im Frühling möchte man immer gerne verliebt sein und ich bin da keine Ausnahme. Ich war schon lange nicht mehr so richtig verliebt. Mit Herzklopfen und Schmetterlingen im Bauch. Mit nicht essen und nicht schlafen können; mit ersten verhaltenen, kribbelnden Berührungen, die nach Zufall aussehen und ein Inferno im Körper anrichten. Außerdem möchte ich gerne mal wieder vögeln. Das ständige Wichsen wird mir allmählich langweilig.

12.März

Was für ein Tag! Ich muss eine halbe Stunde (!) mit dem Bus zur Schule fahren. Ich nehme

an, der wird jeden Tag so überfüllt sein wie heute. Großartig, ich lasse mich gerne von albernen Schulblagen zusammenquetschen, bekomme gerne deren Schulhefte um die Ohren geknallt und ich stehe selbstverständlich auch auf den nach Chips und Cola stinkenden Atem an meinem Gesicht. Und dann die Gespräche der Teenies. Da hat der Kevin die Lara gepoppt, der Martin sich heimlich in die Trixi verliebt und wird damit gnadenlos aufgezogen, weil die Trixi doch gar nichts von ihm will und auf den Pascal steht... ach ja, nicht zu vergessen, der Marvin. Der hat sich ja auf der Party von soundso total besoffen und mit irgendwelchen Drogen hantiert. Als ich vierzehn war hab ich weder ständig gevögelt, noch gesoffen, noch hatte ich Erfahrung mit Drogen. Ich war durch und durch anständig.

Der Schultag selber war ganz okay. Meine neuen Schulkameraden sind so uninteressant, wie ein Dokumentarfilm über das Leben einer Stubenfliege. Ich hab schon herausbekommen, dass die irgendwie alle sehr viel für Sport übrig haben. Gott, ich hasse Sport. Alles, was mit körperlicher Anstrengung zutun hat, lehne ich kategorisch ab. Alles, wobei man ins schwitzen und stinken kommt, ist mir eklig.

Allerdings...Halleluja!...mir ist da jemand sehr angenehm aufgefallen. Schräg gegenüber von meinem Platz sitz eine ziemliche Schönheit. Zierliche Figur, kastanienrotbraunes Haar, wahnsinniger Schmollmund, große dunkle Augen. Verdammt niedlich!!! Der sieht aus, als könne man sich mit ihm anfreunden. Muss aber noch rauskriegen, wie der heißt.

13.März

Scheißtag. Schule war nervig. Der Lehrstoff ist echt ein Witz, selbst der größte Trottel

dürfte nur Einser bekommen. Für mich wird es jedenfalls ein laues Jahr, anstrengen und lernen muss ich nicht. Hab heute ein Mädchen kennengelernt. Denise – kleine, dürre, nervige Klappergestalt. Sie hat mich gleich mit zu ihrer Clique geschleppt. Blödes Gelächter, als ich gesagt habe wie ich heiße. Wieso ist mir bloß mein richtiger Name rausgerutscht? Normalerweise gehe ich damit nämlich nicht hausieren. Seit ich dreizehn bin, nenne ich mich Ziggy (wie Ziggy Stardust) das kommt noch einigermaßen cool daher. Jedenfalls stellte die Bohnenstange mir einen Haufen Idioten vor, die allesamt Fußball spielen.

Fußballer sind für mich das Letzte. Aber ich wollte nicht gleich am zweiten Tag schon als Außenseiter gelten und verhielt mich so freundlich, wie ich konnte.

Die kastanienrote Schönheit war leider nicht da. Hauptsache der Typ ist nur krank oder hatte keinen Bock auf Schule.

14.März

Keine Schmollmundschönheit, dafür Hardcoregenerve von der Bohnenstange. Außerdem war heute Sport...zwei Stunden. Ich hab dem Lehrer sehr rührselig und dramatisch von meinem schlimmen Asthma erzählt, daraufhin wollte er ein Attest sehen. Wenn ich das nächste Woche nicht habe, muss ich mitmachen. Das kann der gleich vergessen. Zirkeltraining... allein das Wort verursacht einen Ekelausschlag, auch die Hunderttausendrundenlauferei empfinde ich als persönlichen Angriff. Wer bin ich denn, mich da zu Tode zu hecheln?

Mom und Dad ficken, glaube ich, gerade. Als ich am Schlafzimmer vorbei ging, hörte ich unterdrücktes Kichern und Glucksen. Scheiße, warum geht es denen so gut? Die Vorstellung, wie meine Eltern es miteinander treiben, ist echt gruselig. Ich will darüber lieber nicht nachdenken. Trotzdem ist es so besser, als die Zeit vor dem Umzug. Da hatte Mom nämlich kurzzeitig einen anderen Stecher und es sah gefährlich nach Scheidung aus. Sie hat Dad die Schuld gegeben.

Angeblich hat er zuviel gearbeitet und sich zu wenig um sie und ihre Bedürfnisse gekümmert, was wohl bedeutet, er hat es im Bett nicht mehr gebracht. Dabei hat Dad doch wirklich nur für sie geschuftet. Damit sie einmal in der Woche zur Kosmetikerin gehen und ausgedehnte Shoppingtouren mit ihren beschränkten Freundinnen machen konnte. Aber wenn sie Dad lieber in Lumpen verführen möchte...mir ist das doch egal. Naja, es scheint ja zwischen den beiden wieder zu laufen. Solange dabei nicht noch so ein armes Kind herauskommt, das sie mit einem Kacknamen verdammen, in den Wahnsinn oder die Kriminalität treiben. Ich frage mich, ob sie meine Schwester lieber mögen. Sie heißt Bettina und kann damit mehr als zufrieden sein. Sie weiß überhaupt nicht, was für ein Glück sie hat.

15.März

Heute ist Simons Geburtstag...das kratzt mich nicht. Der blöde Penner hat meinen schließlich auch immer vergessen. Und überhaupt, er wollte keine Fernbeziehung und hat Schluss gemacht, da kann er von mir keine Torte mit Kerzen erwarten. Okay, wenn ich ehrlich bin, würde ich natürlich schon heute gerne mit ihm zusammensein und ein ganz besonderes Geschenk bereiten, aber... er hat es so gewollt. Sein Pech, dass ihm nun etwas entgeht. Eigentlich hat er ja doch immer an meinen Geburtstag gedacht aber...irgendwas muss ich mir ja ausdenken, um ihn hassen zu können...

Verflixt, wo ist bloß der Typ aus der Schule? Der war schon wieder nicht da. Bei meinem Glück ist der doch weggezogen...vielleicht sogar in meine alte Heimatstadt. Vielleicht feiert er mit Simon Geburtstag. Vielleicht lässt mein sauberer Herr Ex-Freund sich gerade den geilen Schmollmund vorführen. Das ist natürlich Unsinn. Trotzdem möchte ich gerne wissen, wo Schmolli steckt.

Ich bin irgendwie unschlüssig, ob ich ausgehen soll, oder nicht. Heute ist Freitag und bestimmt eine Menge los aber ich fühle mich leider gar nicht so recht gesellschaftsfähig. In meinem Kleiderschrank sieht‘s auch eher mies aus, muss Dad unbedingt nach Geld für Klamotten anhauen. Ach, was soll's. Komm schon, Ziggy, beweg deinen Arsch!

16.März

Naja, das 10.15 ist mehr Kneipe als Disco aber ganz okay. Gute Musik, nette Leute und einigermaßen hübsche Jungs. Hab mich mit einem Marilyn-Manson-Verschnitt unterhalten, der hätte mir gefallen können, war aber leider mit seiner Freundin da. Wo Schmolli wohl so hingeht? Wie der aussieht würde der ins 10.15 passen, dass ich ihn dort nicht gesehen habe wird wahrscheinlich an seiner Krankheit liegen, wenn er noch hier in der Stadt wohnt, was ich ja immer noch nicht sicher weiß. Mensch, eine Woche hier und noch keinen Freund gefunden. Soll ich mein Leben etwa von heute an allein verbringen? Muss ich denn wirklich Fußballer werden und mich der schrecklichen Clique von Klapper-Denise anschließen?

18 Uhr 55

Gerade hat Simon angerufen und sich beschwert, dass ich nicht an seinen beschissenen Geburtstag gedacht habe. So ein Arschloch. Habe ihm nicht gratuliert, sondern freundlich darauf hingewiesen, dass sich unsere Wege getrennt haben. Er meinte, er hätte gedacht, wir würden Freunde bleiben. Sagte ihm, er könne sich seine Freundschaft langsam den Hintern hinauf schieben. Jetzt tut es mir allerdings schon wieder leid. Er fehlt mir ja doch. Wir waren zwar nicht mehr so verliebt wie am Anfang, aber es hat immer Spaß gemacht, mit ihm zu vögeln. Werde ihn demnächst anrufen und fragen, ob er nicht mal für ein Wochenende herkommen will...

So, mal zur Berieselung den Fernseher einschalten...ahh, perfektes Timing... Spiderman beginnt gerade. Ich liebe diesen Kerl. Es ist doch der helle Wahnsinn, wie er mit seinen behandschuhten Fingern an seinem Handgelenk rumfriemelt und gleich darauf ein kilometerlanger Spinnenfaden hervorschnellt, an dem er sich durch die Luft schwingt, nur um dann geschmeidig an einer Hauswand empor zu schlängeln. Mhh, und wie geil der immer in der Hocke auf seinen Füßen landet, die Hände dabei den Boden berühren. Überhaupt, das Spinnentrikot...super klasse. Und wenn ihm dann in brenzligen Situationen Fädenflüssigkeit ausgeht und er doch immer seine Mutantengegner zur Strecke bringt.

Spiderman ist für mich der einzige wirkliche Comic-Held. Superman mit seinem blöden Röntgenblick, Batman und Robin...das dynamische Duo...alles Dreck im Vergleich zur Spinne. Schon wie er an der Decke kraucht...wahnsinnig sexy. Ich würde ihn jederzeit vögeln...allerdings müsste er dabei unbedingt die Handschuhe anbehalten.

17.März

4 Uhr 20

Puh, gerade nach Hause gekommen. Hatte mich doch noch entschlossen, auszugehen und habe es nicht bereut. Mir ist zwar nicht Spidey über den Weg gelaufen, doch dafür hab ich einen ziemlich netten Typen kennengelernt. Tom. Einundzwanzig, hübsche Visage und unglaublich süßer violetter Strubbelschopf. Sehr lecker. Arbeitet in einem Musikladen, steht auf Jungs und ist zur Zeit solo. Ich hätte ihn ja gleich am liebsten mit zu mir nach Hause genommen aber ich wollte nicht, dass er denkt, ich sei leicht zu haben oder hätte es irgendwie dringend nötig. Nicht, dass der Eindruck irgendwie falsch gewesen wäre. Naja, wir tauschten Telefonnummern aus. Mir fallen die Augen zu...

20 Uhr 45

Ahh, der süße Tom rief eben an. Wie niedlich, er muss die ganze Zeit an mich denken. Hab ihm versprochen, ihn mal in seinem Musikladen zu besuchen. Der hat es gut. Sitzt an zwei Tagen für sechs Stunden in seinem Laden und geht ab und zu mal studieren. Dabei ist er noch nicht einmal auf den Job angewiesen, weil er von seinen Eltern Geld bekommt. Ich dagegen sitze von morgens bis nachmittags in einer Schule voller Bekloppter und langweile mich zu Tode. Was kann einem die Schule schon beibringen, wenn man Lebenskünstler sein will? Lebenskünstler oder Spiderman. Vielleicht sollte ich Luxusstricher werden? Ich meine, ich sehe verteufelt gut aus, habe keine großen Probleme, Typen aufzureißen und stelle mich geschickt beim blasen an. Natürlich würde ich nicht jeden Hans und Franz nehmen, nur die, die mir selbst gefallen...

Tina, mein Schwesterlein hat es auch gut. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren ist sie bereits

seit einem Jahr mit einem Architekten verheiratet, der so viel Kohle hat, dass sie nur noch

zum Spaß in einer Boutique arbeitet. Trotzdem beneide ich sie nicht. Ihr Mann ist wahrlich kein Schönling und Humor hat der auch nicht.

18.März

Schule – kein Schmolli.

War heute nachmittag bei Tom. Der hat ein Leben...drei Kunden spazierten durch den Laden. Hab den ganzen Tag bei ihm rumgehangen. Er hat mir von seiner wahnsinnigen WG erzählt. Er wohnt mit zwei Typen und einem Mädchen zusammen...alle drei hetero und alle drei Studenten. Er hat mich eingeladen, mal vorbei zu kommen.

Lese gerade »Falsetto« von Anne Rice. Schönes Buch, schöne Geschichte, sehr schöne Kastraten. Also Kastrat möchte ich auch nicht sein. Ich meine, ist ja ganz nett, wenn man

eine tolle Stimme hat und sowas wie ein Popstar ist, dennoch wäre es mir unangenehm,

wenn jeder Arsch über meine Hodenoperation Bescheid wüsste. Und bei manchen hat sich dann auch noch die Stimme verabschiedet...das ist doch Verarsche auf der ganzen Linie.

Und wenn die Stimme noch da ist, sieht es aufgrund des wahnsinnigen Lungenvolumens so aus, als hätte man einen Busen. Das mit der Lunge weiß ich nicht genau aber Titten hatten die wohl und das lag wahrscheinlich auch doch eher an irgendwelchen Hormonen. Keine Ahnung, man steckt ja nicht drin, in so einem Kastraten. Schmale Hüften gut und schön und notwendig, aber Titten...nein danke. Außerdem sind die irgendwie mit zunehmenden Alter mutiert, waren riesig, hatten kilometerlange Arme und Beine und Plattfüße...das sieht dann auch nicht mehr schön aus. Nachtigallenstimme hin oder her.

Jedenfalls hat mich das Buch darauf gebracht, dass Schmolli durchaus Italiener sein könnte, Kastrat wohl eher nicht, das ist heutzutage verboten. Ach, ich hätte gerne einen italienischen Freund. Allerdings nicht so einen gegelten braungebrannten Schmierlapp mit Goldkettchen und Haaren auf der Brust...lieber so einen wie Schmolli. Weiße Haut, zarte Gestalt, weiche Gesichtszüge, schmale Hüften und leicht hervorstehende Hüftknochen.

Mom und Dad sind schon wieder im Schlafzimmer, mit einer Flasche Champagner. Machen die sich überhaupt keine Gedanken darüber, dass ich mitkriege, was die so treiben?

Okay, Zeit für einen kritischen Blick in den Spiegel. Muss ja schließlich sichergehen, dass ich

mit meinem Aussehen Chancen bei Tom habe. Ja...doch, ich denke schon. Klingt wahrscheinlich extrem eingebildet aber ich sehe wirklich gut aus. Jedenfalls für jemanden, der zierliche blasse Jungs mit vollen Lippen und grünen Augen, mag. Ich hab echt eine totale Sahnehaut und meine Haare werden langsam länger, was nur von Vorteil ist, weil sie mir jetzt ins Gesicht fallen. Okay, meine Schneidezähne sind leider NICHT kleiner geworden. Ich weiß, es ist Blödsinn aber ich meine immer, dass meine Schneidezähne einfach größer als normal sind. Also jetzt kein Pferdegebiss oder so. Was soll's so'n kleiner Makel muss wohl sein, sonst wäre ich ja erschreckend perfekt...hahaha...Ich finde ich mich jedenfalls sehr sexy und würde sofort mit mir ausgehen!

19.März

Was für ein Tag! Ich liebe das Leben.

Dabei fing es ziemlich scheiße an. Der Bus war heute morgen so voll, dass ich in den Kurven, die der Fahrer sehr rasant nahm, nicht einmal umfallen konnte. Vor mir Teenies, hinter mir Teenies, rechts neben mir Teenies mit Zahnspange und links neben mir ein Typ, der in meinem Alter zu sein schien. Als der blöde Busfahrer eine Vollbremsung machte, latschte ich ihm ausversehen auf den Fuß.

»Entschuldige«, murmelte ich, worauf er mich bezaubernd anlächelte. Die nächsten zwanzig Minuten verbrachten wir damit uns genervte Blicke zuzuwerfen, als die Teenies wieder mit ihren Wahnsinnsgeschichten anfingen. Einem hat er mit der Faust auf den Rucksack geschlagen, als der ihm zu nah kam...dadurch wurde er mir sehr sympathisch. Auf dem Weg zur Schule unterhielten wir uns. Er streckte mir seine Hand entgegen und sagte »Hi, ich bin Ben.«

»Ziggy«, antwortete ich.

Er fragte mich, ob ich neu sei, weil er mich noch nie im Bus gesehen hätte. Ich erzählte ihm, dass ich schon seit einer Woche mit dem Bus fahre.

»Naja, bei den ganzen Blagen geht man ja auch völlig unter«, grinste er.Ben ist eine Klasse unter mir. Ich fragte ihn vorsichtig, ob er auch so ein Sportfreak sei, was er Gott sei dank verneinte. Er hasse Sport wie die Pest. Darauf berichtete ich ihm von der Sportclique, die ich gezwungenermaßen kennengelernt hatte, worauf er einen grimmigen Gesichtsausdruck bekam und meinte, er hätte mit denen früher mal zutun gehabt. Ich solle mich vor allem vor Jens und Denise in acht nehmen.

»Ah, die schreckliche Bohnenstange«, antwortete ich, worauf er lachend nickte.

Nach der Schule hab ich dann Tom angerufen und gefragt, ob ich heute vorbeikommen könne. Er hätte mich gerade fragen wollen, antwortete er.

Tom sah atemberaubend aus. Schwarze Jeans, und ein abgeschnittenes Shirt, das ihm andauernd über die Schulter fiel.

»Hi, komm rein«, lächelte er und führte mich herum. »Küche, Bad, das da ist Carlos Zimmer und da drüben wohnt Sebastian. Trisha hat das Zimmer gegenüber.«

Wie aufs Stichwort schlenderte sie an uns vorbei. »Hör mal, Carlo hat schon wieder vergessen einzukaufen. Rede mal mit ihm.« Dann verschwand sie hinter der Tür.

Trisha gefällt mir wahnsinnig gut. Sie hat unglaubliche Haare bis zum Arsch, hennarot

gefärbt und grüne Katzenaugen. Wenn ich nicht schwul wäre, würde ich mich sofort in sie verlieben.

Toms Zimmer war genauso chaotisch wie meins.

»Entschuldige das Durcheinander aber, wenn ich aufräume finde ich nichts mehr wieder also lasse ich es einfach ganz.«

»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, grinste ich, schob einige Bücher und Zeitschriften zur Seite und setzte mich auf sein Bett. »Wohnt ihr schon lange zusammen?« fragte ich ihn.

»Ja, so zwei Jahre. Ist manchmal ziemlich anstrengend. Carlo versucht immer noch bei

Trisha zu landen und sie ist genervt, weil er nie einkauft und immer vergisst, wann er mit putzen dran ist.»

»Und was ist mit Sebastian?«

Tom grinste. »Sebastian ist Trishas Schwarm, leider weiß er das nicht und ist auch viel zu blöd, um das zu merken.« Er seufzte. »Ich kann sie verstehen, Sebastian ist echt süß. Am Anfang war ich auch mal verknallt aber er steht nunmal nicht auf mich.«

»Ich stehe auf dich«, ging ich zum Angriff über.

Er sah mich kurz an und grinste wieder. »Ja, ist mir schon aufgefallen.«

»Und?« fragte ich und schob mit dem Finger sein Shirt über die Schulter, so dass seine wundervolle weiße Haut zum Vorschein kam.

»Sag mal, wie alt bist du eigentlich?«

»Achtzehn...in drei Wochen. Willst du vielleicht noch warten?«

»Nein, ich glaube nicht«, flüsterte er und küsste mich.

Wahnsinn, kann der küssen. Mir wird jetzt noch schwindlig, wenn ich daran denke. Seine Lippen sind ganz weich. Mir ist vorher gar nicht aufgefallen, dass er ein Zungenpiercing hat. Als wir uns küssten, ist seine Kugel manchmal an meine gestoßen, dabei gab's ein lustiges Geräusch...wir haben uns echt so kaputtgelacht.

20.März

Wollte Ben für heute nachmittag zu mir einladen, doch er meinte, dass er sich um einen kranken Freund kümmern müsse. Hab ihm unbekannterweise gute Besserung gewünscht und bin allein nach Hause gegangen. Habe »Falsetto« ausgelesen, hatte ja sonst nichts zu tun.

Mir ist übrigens aufgefallen, dass Ben aussieht wie der schnucklige Prinz Van aus Vision Of Escaflowne. Vielleicht auch ein wenig wie Kamui aus X. Na, jedenfalls verflucht nach

Manga.

Mom und Dad blöken sich gegenseitig an, weil Dad einen Großauftrag angenommen hat und Mom befürchtet, dass sie nun wieder auf Sex verzichten muss. Das hat sie natürlich nicht gesagt aber ich weiß es. Dad hat geschrien, dass seine Agentur diesen Auftrag dringend bräuchte und er maximal eine Woche Überstunden machen müsste, das würde sie doch wohl aushalten. Ich frage im Moment mal lieber nicht nach Geld für neue Klamotten.

21.März

Hab Sport einfach blaugemacht und mich lieber Vanilleshake schlürfend in der Stadt rumgetrieben. Ansonsten hab ich wieder mit Ben rumgehangen und interessante Sachen erfahren. Die Bohnenstange (Denise) war also mal in ihn verknallt, weil er sie aber abblitzen ließ, hat sie eine regelrechte Hetzkampagne veranstaltet und er war gezwungen, sich neue Freunde zu suchen. Ich erwiderte, dass das vermutlich nur von Vorteil war, weil diese Sportfreaks doch alle irgendwie beschränkt seien. Mit solchen Leuten will man einfach nicht befreundet sein. Er gab mir recht.

Mom und Dad haben sich wieder einigermaßen vertragen, also hab ich gewagt, nach Taschengeld zu fragen. Dad hat getobt.

»Glaubst du vielleicht, ich hätte einen Goldesel im Keller stehen?« hat er gebrüllt.

Ich habe ihm daraufhin mein Shirt gezeigt, das am Kragen eingerissen ist und ihn an seinen Großauftrag erinnert. Das Geld bekomme er erst, wenn dem Kunde das Konzept gefällt und so weiter. Hab noch ein bisschen gebettelt, mich erniedrigt und er ist schließlich weich geworden. Cool, da kann ich ja doch am Samstag ausgehen.

Ach du Scheiße, Mom ruft gerade und will mein Shirt zum Nähen haben. Wie bringe ich der denn jetzt bei, dass das Loch am Kragen aus einem bestimmten Grund da ist?

22.März

Bin gleich mit Tom verabredet und freu mich irgendwie schon total. Mhh...der ist aber auch

süß.

23.März

Kam gerade zum essen in die WG. Au weia...Trisha ist echt geil, die kann nicht mal rotzordinäre Spaghetti kochen. Die waren total pappig und die Tomatenpampe irgendwie unfassbar eklig. Carlo hat sie trotzdem die ganze Zeit angeschmachtet (Trisha, nicht die Spaghetti!). Ich mag ihn, scheint ein netter Kerl zu sein. Nach dem Essen erschien der vierte WG-Bewohner, Sebastian. Also ich kann weder Tom noch Trisha begreifen. Sowas besonderes ist der echt nicht. Maulfaul, schlampig angezogen (Cordhose und Labbershirt), seine Haare haben so einen undefinierbaren Blondton, dass sie schon fast grau wirken und sind weder kurz noch lang...eigentlich hat der gar keinen richtigen Haarschnitt. Trisha war, glaube ich, etwas angepisst, dass Sebastian erst nach dem Essen aufgetaucht ist, ich nehme an, sie hat extra für ihn gekocht. Er hat sich lediglich einen Joghurt geschnappt und sofort in sein Zimmer verzogen. Tom und ich haben uns nach dem Essen in sein Zimmer verzogen.

»Und du warst echt mal in Sebastian verknallt?« fragte ich und stützte meinen Ellenbogen

auf die Matratze, wo ich es mir bequem gemacht hatte.

»Du meinst, weil der so unscheinbar aussieht? Ich sage dir, das sind die Schlimmsten. Die schleichen sich ein und ehe man sich's versieht, kommt man nicht mehr los von denen.

Trisha hängt nun schon seit einem halben Jahr an ihm. Bei mir ist es irgendwann weg gegangen, das heißt, ich habe mich gezwungen, ihn nicht mehr toll zu finden.»

»Ach ja«, lächelte ich leicht und warf ihm einen sehr gekonnten Schlafzimmerblick zu. »Und wen findest du jetzt toll?«

Tom lachte laut. »Du bist echt süß und überhaupt nicht von dir eingenommen.«

Ich nickte und zog ihm den Arm, auf den er sich gestützt hatte weg, so dass er halb auf mir landete. Seine Haare berührten mein Gesicht, ich spürte seinen schlanken Körper an meinem und atmete den Duft seiner Haut. Langsam strich ich mit meiner Hand über seine schmale Hüfte, griff fest zu und zog ihn noch ein Stück enger an mich.

Wir küssten uns, rieben uns aneinander, bis ich es nicht mehr aushielt, seine Hose aufknöpfte und meine Hand hineingleiten ließ. Dann hab ich ihm einen geblasen, was er wohl ziemlich gut fand. Zum Glück hat er nicht so laut gestöhnt und geschnauft, als er gekommen ist. Im Gegenteil, ganz leise hat er nur geseufzt und ein wenig heftig geatmet. Ich fand das sehr schön...

Ich weiß gar nicht, ob ich in Tom verliebt bin. Er ist toll, beschert mir aber keine schlaflosen Nächte und die Schmetterlinge fliegen auch alles andere als rasant. Ich glaube, er empfindet ähnlich. Man muss ja auch nicht immer super verliebt sein, ein bisschen Spaß reicht schon für den Anfang.

Jedenfalls wollen wir nachher ausgehen und vielleicht darf ich bei ihm übernachten. Es wäre doch mal wieder angenehm, in irgendwelchen Armen einzuschlafen. Erstmal gehe ich jetzt Klamotten kaufen.

20 Uhr 56

Puh, war das anstrengend. Ich kann Mom nicht begreifen, dass sie freiwillig so oft shoppen geht und ihr das auch noch Spaß macht. Hab mir sauteure Schuhe gekauft, kam mir vor wie

Sex&The City...haha.

Jetzt muss ich mich auch schon langsam fertig machen. Bin ja mit Tom verabredet.

24.März

Also manchmal passieren ja wirklich Sachen, da meint man, die gibt es gar nicht. Ich fange am Besten ganz von vorne an.

Da stehe ich also vor Toms Tür, will ihm schon um den Hals fallen, als nicht er öffnet, sondern Super-Schluffi Sebastian.

»Hi, ich wollte zu Tom«, sagte ich sehr freundlich.

Er nuschelte irgendwas unverständliches und ließ mich einfach stehen. So ein Stoffel. Tom kam aus der Dusche, nur in Boxerhorts und noch ganz nass. Da musste ich mich erstmal zur Begrüßung heftig an ihn pressen – er sah einfach zu geil aus. Ich küsste ihn und küsste ihn und küsste ihn, als Sebastian an uns vorbeirempelte.

»Könnt ihr das nicht woanders machen, verdammt?« zischte er.

»Ach du Scheiße, was hast du denn für eine Laune?« erwiderte Tom kopfschüttelnd und zog mich in sein Zimmer.

»Sag mal, hat der Typ eigentlich irgendwelche Probleme?«

»Sebastian? Nimm das nicht persönlich.« Er schüttete sich aus vor Lachen. »Sein Fernseher hat gestern den Geist aufgegeben und jetzt verpasst er seine Lieblingsserie...irgend so'n Mangazeug oder Anime oder wie der Scheiß heißt.«

Ich stehe ja auch auf sowas, also wollte ich es genauer wissen.

»Frag mich nicht, für mich sind die alle gleich«, antwortete er achselzuckend und begann,

sich anzuziehen.

Er sah wirklich toll aus. Schwarze Cordhose, Ringelshirt und so'n Lederband am Hals.

»Können wir los?«

Ich stand vom Bett auf. »Noch nicht ganz«, sagte ich lächelnd, trat dicht an ihn heran, schob meine Hände unter sein Shirt und küsste ihn.

»Möchtest du überhaupt ausgehen?«

»Unbedingt«, murmelte ich an seinem Hals lutschend. Meine Hand schob sich ein kleines Stück unter seinen Hosenbund. Er schob sie wieder heraus und zog mich zur Tür. »Komm schon«, rief er.

Wir saßen so eine halbe Stunde im 10.15 rum, tranken und unterhielten uns, als mein Herz plötzlich einen Moment aussetzte. Auf der Tanzfläche ließ Schmolli aufregend sein Becken kreisen. Ich starrte ihn an und war aufeinmal total verschossen.

»Hey«, Tom stubste mich an, »ich bin auch noch da. Wen stierst du denn so an?«

Ich kam mir ertappt vor. »Der Typ da, mit den Handschuhen, der ist in meiner Klasse.«

Tom verrenkte sich den Hals, dann grinste er mich an. »Du hast ja vielleicht ein Glück. Der scheint es dir aber auch ganz schön angetan zu haben. Muss ich etwa eifersüchtig sein?«

»Blödsinn. Ich kenne den doch gar nicht.«

Dann tippte mir jemand auf die Schulter, ich drehte mich um und da stand Ben.

»Hi«, rief ich überrascht und stellte Tom vor.

»Ist der auch in deiner Klasse? Dann will ich sofort wieder zur Schule gehen«, raunte der mir zu. Ben ging kurz zur Theke, weil er uns was zu trinken ausgeben wollte. Wie nett, oder?!

»Für wen ist denn die vierte Flasche?« fragte ich, worauf eine Wahnsinnssamtstimme antwortete »Für mich.«

Die Stimme gehörte Schmolli, auf den ich wegen Ben gar nicht mehr geachtet hatte. Der stellte ihn uns nun als Nico vor. Ich strahlte ihn an, Tom strahlte ihn an und Nico strahlte uns alle an. »Du bist neu in meiner Klasse, oder?« rief er mir ins Ohr, wobei seine Lippen mich leicht berührten. Ich stand in Flammen. Mir wurde ganz schummrig. »Ja, aber du warst nicht mehr da.«

»Schlimme Grippe«, antwortete er, zwinkerte mir zu und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Ich finde, dass er wahnsinnig schön aus einer Flasche trinken kann und was für Augen der hat...ich bin hin und weg. Hab immer noch Schmetterlinge im Bauch.

»Bist du zufällig Italiener?« fragte ich.

»Zufällig ja. Wie kommst du darauf?«

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Wo kommst du denn her?«

»Aus Mailand. Ich bin auch noch gar nicht so sehr lange hier.«

»Du tauscht die Sonne des Südens mit der grauen Brühe hier?«

»Oh, ich habe einen sehr guten Grund, der mich hier festhält.«

»Muss ja was wirklich Tolles sein«, gab ich zurück.

Er nickte nur und warf einen Blick auf Ben und Tom.

Den Rest des Abends verbrachte ich damit, Nico anzuglotzen. Wenn er neben mir saß, stierte

ich verstohlen auf seine Lippen, seinen Hals, und wenn er tanzte, starrte ich auf seinen Arsch.

Meine Güte, dass ich überhaupt noch Augen habe!!

Irgendwann wollten Ben und Nico dann nach Hause.

»Wir sehen uns«, lächelte er und zwar so, dass meine Knie weich wurden.

»Ja, bis dann«, schaffte ich zu sagen.

»Wollen wir auch los, Casanova?« rief Tom grinsend.

Ich nickte, noch immer ganz verzaubert.

Draußen drückte er mich an die Wand. »Also...so langsam werde ich aber wirklich eifersüchtig. Eifersüchtig und ungehalten. Ich bin es nicht gewohnt, derart ignoriert zu werden.«

Ich erschrak ein wenig, bemerkte dann aber, dass er es längst nicht so ernst gemeint hatte. »Soll ich dich nach hause bringen, damit du dich die ganze Nacht nach der italienischen Schönheit verzehren kannst oder willst du mit zu mir und... naja, mir wird schon was einfallen, um dich abzulenken.«

Ich fuhr mit zu ihm.

Noch während wir im Flur unsere Jacken auszogen, fielen wir übereinander her.

Sebastian torkelte grimmig aus dem Bad. »Das hält man ja im Kopf nicht aus«, war sein Kommentar.

»Hey, ist dein Fernseher immer noch kaputt?«

»Ja, verdammte Scheiße. Frag doch nicht so blöd.« Er wandte sich plötzlich an mich. »Was glotzt du mich denn so an? Hab ich eine Warze auf der Nase, oder was?«

Ich fand das dermaßen lustig, dass ich lachen musste, allerdings hatte er das wohl gar nicht witzig gemeint, denn seine Augen verengten sich und funkelten mich böse an.

»Sebastian«, sagte Tom.

»Was?«

»Gib es auf. Du kannst nicht mit Blicken töten, auch wenn du es noch so sehr versuchst.«

Ich musste immer noch kichern und fand Sebastian einfach gnadenlos bescheuert. So ein Miesepeter. Er faselte irgendwas von Arschloch und Wichser, dann verschwand er in sein Zimmer.

»Der kann auch nett sein«, erklärte Tom aber ich glaubte ihm nicht.

In seinem Zimmer sah ich mich um. »Hast du gar keinen Fernseher?«

»Nee, wozu?«

»Naja, ich könnte nicht auf Spiderman verzichten.«

»Ah, du stehst auf Superhelden und Italiener? Leider bin ich weder das eine, noch das andere.«

Ich lächelte. »Dafür kannst du sehr gut küssen.«

Wie aufs Stichwort, begann er eine wilde Knutscherei.

Jaaa...ich habe mit Tom geschlafen und...wow...es war echt schön. Obwohl ich immer noch nicht so wirklich in ihn verliebt bin. Ist doch irgendwie komisch. Da habe ich Tom, der wahnsinnig gut aussieht, mit dem ich Sex habe und trotzdem verzehre ich mich nach Nico. Dabei kenne ich ihn kaum, weiß gar nicht mal, ob er auf Typen steht. Ich kann ja schließlich nicht davon ausgehen, dass alle Jungs, die mir gefallen schwul sind. Aber direkt fragen, ist auch blöd. »Hallo, bist du zufällig schwul und an mir interessiert?« Wie hört sich das denn an? Hoffentlich ist er morgen da ...

25.März

Nico war da! Mann, ich konnte mich gar nicht auf den Unterricht konzentrieren. Als er gesehen hat, dass ich mich auf meinen alten Platz setzen wollte, meinte er, ich solle mich neben ihn setzen. Hab ich natürlich gerne gemacht, obwohl mein Magen dann noch ein wenig mehr rumpelte. Ich war ausgesprochen glücklich...bis zur Pause, da kam dann der Schock!

Ich weiß zwar jetzt, dass er auf Typen steht, aber leider weiß ich auch, dass er mit Ben zusammen ist. Als wir nämlich in der Pause zusammen standen und Ben auftauchte, bekam Nico so einen Gesichtsausdruck und dann gab er ihm einen Kuss auf den Mund und hielt seine Hand...die ganze verdammte Pause über und die nächste und die nächste. Ich versuchte, mir meine Enttäuschung nicht zu sehr anmerken zu lassen.

Wie ich Ben beneide. Der darf diese italienische Schönheit anfassen und küssen und ich

kann mir vorstellen, was sonst noch alles. Wieso hab ich eigentlich immer so ein Pech?

Simon macht mit mir Schluss, Nico hat einen Freund und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Tom habe, ihn aber jederzeit gegen Nico eintauschen würde. Ich komme mir vor,

wie ein Schwein und finde, Tom hat was Besseres verdient.

Dad hat auch was Besseres verdient, als eine Frau, die ständig rumnörgelt und Geld haben will. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Mom so eine Kuh ist.

Werde mal Tom besuchen, muss mit jemandem meinen Frust teilen.

22 Uhr 36

Habe Tom Waffeln gebracht...mann, hat der sich gefreut. Wir haben über Beziehungen gesprochen und er meinte, dass er momentan nicht unbedingt was Festes haben will. Er mag mich und findet es toll, dass mit uns alles so unkompliziert ist – Gott sei dank, da hab ich schon mal eine Sorge weniger. Ein bisschen enttäuscht war ich allerdings, dass er nicht so sehr in mich verliebt ist, wie ich angenommen hatte aber es ist doch viel entspannter so. Es ist vielleicht gar nicht mal schlecht, wenn man nicht unbedingt treu sein muss. Ich war fast zwei Jahre mit Simon zusammen und musste mich ab und zu schon sehr zurückhalten. Natürlich hätte ich ihn niemals betrogen...Möglichkeiten gab es aber genug. Jetzt kann ich mit Tom Sex haben, mich aber in aller Ruhe nach anderen Jungs umsehen. Ist doch prima, oder?

26.März

Schule war wie immer total überflüssiger Scheiß. Einzig Nicos Anwesenheit hat mich davor bewahrt, vor Langeweile dahinzusiechen. Der sah aber auch heute ganz verboten aus.

Schwarze Cordhose und so'n schwarzes Flatterhemd. Ich hasse Ben...oder...nein, das geht nicht, weil der zu nett ist. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen, dass er in Nico verliebt ist. Trotzdem überlege ich, ob ich arschig genug bin, um ihm Nico auszuspannen? Mann, ich wär echt im Traum nicht drauf gekommen, dass ausgerechnet Nico und Benedikt schwul sind. Und dann auch noch so öffentlich. Ich meine, die haben ja gar keine Hemmungen, sich mitten auf dem Schulhof zu küssen und mit Herzchenaugen anzuglotzen. In meiner alten Schule wären die sofort kastriert worden. Überhaupt...ständig hört und liest man von Schwulen und ihrem »Gaydar«(schon das Wort ist dermaßen blödianistisch, dass es mir fast zu peinlich ist, es aufzuschreiben)...also bei MIR ist das kaputt. Oder, nee, das würde ja voraussetzen, meins hätte mal funktioniert. Hat es aber nicht, weil ich nämlich sowas einfach nicht habe und deshalb ist das auch nur ein Mythos.

War am Nachmittag bei Tom und bin mit Sebastian zusammengerasselt. Gott, ist das ein Arschloch. Was kann ich dafür, wenn er hinter der Tür rumschleicht?! Ich hab sie nur ganz leicht aufgestoßen und schon hat er losgetobt, weil die Tür dummerweise seinen Kopf getroffen hat.

»Kannst du Vollidiot nicht aufpassen?« brüllte er und rieb seine Stirn, als hätte ich ihm mit einem Hammer darauf herumgekloppt. Er ist dann tatsächlich zum Kühlschrank gelaufen und hat eine Kühlmaske an seinen Schädel gedrückt. Was für ein Weichei!! Habe mich ganz höflich bei ihm entschuldigt, doch nur einen seiner Arschlochblicke geerntet. Wahnsinn, der muss die heimlich vor dem Spiegel üben. Sowas geht nicht spontan.

»Ist Tom nicht da?« hab ich mich schließlich getraut zu fragen.

»Siehst du ihn hier irgendwo?« fauchte er zurück.

»Weißt du denn, wo er ist oder wann er zurückkommt?«

»Ist mir scheißegal.«

In dem Augenblick bereute ich, die Tür nicht doch etwas schwungvoller aufgestoßen zu haben.

»Ist dein Fernseher inzwischen repariert?« versuchte ich es mit geheuchelter Freundlichkeit.

Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Wieso zum Arsch interessiert dich das, hä?«

Das tat es gar nicht, was ich ihm auch sagte.

»Warum fragst du dann?« erwiderte er grimmig.

Plötzlich kam Trisha, über beide Ohren grinsend, und schwenkte eine Videokassette in der Hand. »Ich hab hier was für dich, Sebastian«, rief sie und als sie mich sah, »Hi, Ziggy, was machst du denn hier? Tom ist noch unterwegs.« Sie erwartete anscheinend keine Antwort, denn sie hatte sich bereits wieder an Sebastian gewandt. »Ein Freund von mir hat die letzte Folge von diesem...Eskadings...aufgenommen.«

Eskadings? Sie meinte vielleicht Escaflowne?!

Sebastian war aber nicht beglückt, sondern sah aus, als würde er jeden Moment in die Luft gehen. »Was zum Henker soll ich mit einem verfickten Video...OHNE FERNSEHER?«

Der Punkt ging zweifelsfrei an ihn und Trishas Mundwinkel zogen sich nach unten.

»Scheiße, daran hab ich gar nicht gedacht. Ich wollte dir eine Freude machen. Vielleicht kannst du es dir ja ansehen...wenn dein Fernseher...«, sie brach ab, so als hätte sie bemerkt, dass sie gerade sehr großen Unsinn faselte. Ich fand es jedoch ausgesprochen nett, dass sie sowas für ihn tat...ich hätte das nicht. Nicht für ein Bilderbucharschloch wie ihn. Trisha tat mir plötzlich sehr leid, wie sie da stand, bedröppelt auf die Kassette stierte und ihn mit den Augen anflehte, etwas Nettes zu sagen. Ich musste ihr zur Hilfe eilen – aber wie?

»Hey, könntest du mir vielleicht das Video ausleihen? Hab nämlich auch die letzte Folge verpasst.« Das war zwar gelogen aber, das wusste ja keiner. Sebastian schaute mich überrascht an. Ja, mein lieber Schluffi, du bist nicht der Einzige auf der Welt, der fern sieht, dachte ich so bei mir. Trisha zögerte und warf einen kurzen Blick auf Sebastian, dessen Miene eingefroren war. »Also gut, meinetwegen. Er kann damit ja wirklich momentan nichts anfangen.«

»Sobald dein Fernseher wieder funktioniert, bekommst du natürlich das Band«, erklärte ich mit falscher Liebenswürdigkeit.

Er antwortete nicht, sondern rauschte in sein Zimmer und knallte die Tür zu.

Trishas Lippen zuckten, sie sah aus, als wollte sie weinen. Ich wusste nicht, wie ich sie

trösten sollte. Es hätte wenig genutzt, ihr zu erklären, dass sie sich nicht an so ein Arschloch verschwenden sollte.

Es ist eigenartig, dass Frauen sich immer zu Ärschen hingezogen fühlen. Je fieser und ätzender, desto mehr fahren sie auf die Typen ab. Ich danke Gott, dass ich keine Frau bin. Wofür ich Gott allerdings nicht danke, ist die Tatsache, dass Nico einen Freund hat und ich nicht dieser Freund bin. Wie komme ich denn bloß an ihn ran? Ich müsste ihn mal allein erwischen...in den Pausen ist ja immer Ben dabei, da kann ich schlecht mit Nico flirten. Ich könnte ihn aber unter einem Vorwand mal zu mir nach Hause locken und dann...der Typ, der mir widerstehen kann, muss erst noch geboren werden...

27.März

Was für ein Reinfall !!!

Da hab ich Nico angerufen, weil ich angeblich die Matheaufgaben mit ihm durchgehen wollte. Er war auch total nett und meinte, das wäre kein Problem, er würde in einer Stunde vorbeikommen. Ich war super nervös, hab mich dreimal umgezogen und wie auf glühenden Kohlen gesessen bis er kam. Leider brachte er Ben mit. Mir war die Lust auf Mathematik spontan vergangen, sie war ja ohnehin nur vorgetäuscht. Nico allerdings kramte gleich sein Heft aus der Tasche, während Ben uns argwöhnisch beobachtete. Ob der was gemerkt hat?

Das kann aber gar nicht sein, ich habe mich nämlich so unauffällig verhalten, wie es nur

ging. Das war eine Meisterleistung von mir, wenn man bedenkt, dass Nico so dicht neben mir saß, dass ich ständig seinen süßen Geruch in die Nüstern bekam. Ich glaube, der riecht nach Honig – jedenfalls sehr gut. Ich fühle mich immer noch ganz kribbelig. An Bens Stelle würde ich Nico auch nicht allein zu jemandem wie mir lassen.

28.März

Er nennt ihn ANGELINO! Was so viel bedeutet, wie kleiner Engel oder Engelchen. Ich hab das in der Pause ganz deutlich gehört. Warum kann ich nicht sein angelino sein?

Heute war Sport, hab mit Nico blaugemacht. Wir sind ins Café und haben Milchshakes geschlürft. Habe ihn nach Ben gefragt...Hauptsache, der denkt jetzt nicht, dass ich interessiert bin an seinem angelino. Jedenfalls ist er der Grund, dafür, dass er nun in Deutschland lebt. Nico hat erzählt, dass er sich in den letzten Sommerferien in Benedikt verknallt hat und es ein ziemlicher Kampf war, mit ihm zusammenzukommen und dass sie sehr verliebt seien. Hab ihm von meiner Trennung von Simon berichtet. Er war doch sehr überrascht zu hören, dass ich auf Kerle stehe. Hahaha...sein Gaydar ist wohl ebenfalls kaputt!

Wir haben dann noch eine Weile über Denise und die Sportsfreunde gelästert und uns verabschiedet. Nico wollte natürlich noch zu seinem Engelchen. Ich dagegen hab mich bei Tom ausgeheult. Der hing neben mir auf‘m Bett und sah mich vorwurfsvoll an.

»Ist ja auch irgendwie unverschämt.«

»Was?« fragte ich an seinem Ohrläppchen knabbernd.

»Naja, erst verführst du mich und dann schwärmst du mir von diesem Italiener vor. Was soll ich denn davon halten?« Er schmollte, was niedlich aussah und mich gleich auf komische Gedanken brachte.

»Entschuldige, aber du hast doch gesagt, dass wir nichts Festes haben.«

Tom lächelte. »Na und? Kann ich nicht trotzdem ein kleines bisschen eifersüchtig sein?«

Ich weiß manchmal einfach nicht, wann Tom etwas ernst meint, oder nur Spaß macht. In diesem Fall war es allerdings Spaß, denn als er mein zerknirschtes Gesicht sah, strich er mir über die Wange. »Mach dir nichts draus. Ich komme schon damit zurecht, dass ich nicht der one-and-only für dich bin.«

29.März

Wo hab ich zur Zeit bloß meinen Kopf? Heute war der letzte Schultag vor den Osterferien! Schön, zwei Wochen keine Schule...aber was ist mit Nico? Weiß gar nicht, ob der vielleicht nach Mailand fährt...mit Benedikt? Ich muss ihn anrufen, diese Ungewissheit hält ja kein Mensch aus.

So, da weiß ich nun wenigstens Bescheid. Nico und Ben bleiben die Ferien über hier. Dad hätte auch mal einen Urlaub spendieren können. Selbstverständlich wäre ich nicht mitgefahren, aber fragen können, hätte er.

Oh, Mom ruft mich ans Telefon. BITTE, lass es Nico sein...!

Scheiße, es war Simon. Was er wollte, weiß ich nach zwei Stunden noch immer nicht.

Nur, dass er sich einsam fühlt. Ist doch seine eigene Schuld. Hätte er nicht mit mir Schluss gemacht, hätte ich ihn sicherlich eingeladen, die Ferien bei mir zu verbringen oder ich wäre zu ihm gefahren. Aber so...ich lass mich doch von dem nicht verarschen. Und überhaupt, der hat bestimmt schon was Neues. Simon ist nicht der Typ, der gut allein sein kann. Hab keinen Bock, mich jetzt mit dem Idioten zu beschäftigen.

30.März

Bin mit Nico und Angelino ins Café. Nico steht auch auf Anne Rice...wer hätte das gedacht. Erzählte, dass ich auf Spiderman abfahre und erntete verständnislose Blicke. Ich hatte eine unglaubliche Sehnsucht, Nicos Hand zu halten, doch die hatte sich Ben schon gekrallt. Mann, die scheinen sich ja echt heiß und innig zu lieben. Nicht mal fünf Sekunden halten die es ohne Küsschen oder Fummelei aus. Das kann einem ziemlich auf den Geist gehen...auch wenn man nicht in einen von den beiden verschossen ist. Ich will verdammt noch mal auch mit jemandem händchenhalten!!

31.März

 

Puh, Sonntage sollten verboten werden. Man langweilt sich zu Tode. Habe den ganzen Tag

auf meinem Bett gelegen und abwechselnd gelesen und an Nico gedacht. Mom und Dad sind zu Tante Doro gefahren. Ich täuschte sofort schwere Kopfschmerzen vor, kann Tante Doro nämlich nicht ausstehen. Sie ist alleinerziehende Mutter und obendrein seit der Trennung vom Kindesvater Hardcore-Emanze und lesbisch. Ständig faselt sie, dass Männer generell Schweine sind und sitzt da mit ihrer Gesprächsgruppe. Alles emanzipierte lila Latzhosenträgerinnen, die Männer verachten, jedoch allesamt geradezu verdächtig nach Kerl aussehen – kurze Haare, verkniffener Gesichtsausdruck, alternatives Outfit, Männerschuhe. Klischee über Klischee. Man denkt immer, dass es sowas eigentlich gar nicht wirklich gibt. Irgendjemand hat mal gesagt, die meisten Emanzen seien nur lesbisch, damit sie nicht mit ihrem Erzfeind, dem Mann ins Bett gehen müssen... Volltreffer bei Doros Gesprächsgruppe. Einmal hab ich mich getraut, dieses Zitat bei einer Versammlung in die Runde zu werfen... ein Wunder, dass ich da heil rausgekommen bin. Ich weiß ja nicht, was so toll daran ist, zusammenzuhocken, Kaffee zu trinken und über die böse Männerwelt herzuziehen. Mal ehrlich, ich stehe nicht auf Frauen, trotzdem hab ich aber nichts gegen sie. Ach und die Bälger der Schnepfen...frech und vorlaut bis zum Erbrechen, weil die ja alle antiautoritär erzogen werden. Ich glaube aber, dass die Weiber einfach keinen Bock haben, sich um ihre missratene Brut zu kümmern und lieber über Kerle lästern. Lustigerweise haben die meisten Söhne...dass den Weibern das stinkt, ist mir klar.

Aha, gerade taucht die Elternfront auf. Die hören sich ganz schön genervt an. Ich glaube, Dad hätte heute auch lieber einen Ausflug zum See gemacht und sich ein paar schöne Busen angesehen, anstatt Doro in ihrem Schlabberkostüm.

1.April

Zum Glück hat niemand einen Aprilscherz bei mir gewagt, ich hätte jedem den Schädel abgehackt.

Nico war da, weil Benedikt seinen Vater besucht hat. Vier herrliche Stunden hatte ich ihn ganz für mich allein. Hab einfach mal angefangen, ganz allgemein über Beziehungen und Treue zu reden – Nico ist treu, leider. Er hat gesagt, Ben sei die Liebe seines Lebens. Ich hätte ihm am liebsten mit Gewalt gezeigt, dass er Unrecht hat. Die Liebe meines Lebens muss wohl erst noch geboren werden. Simon war es sicherlich nicht, Nico kann es nicht sein, weil der bereits vergeben ist, Tom...nee, auch Fehlanzeige.

Oha, als Nico und ich gleichzeitig nach der Zigarettenschachtel griffen, berührten sich für einen kurzen Augenblick unsere Finger...Wahnsinn, mir sind vielleicht Blitze durch den Körper geschossen. Ob er wohl auch irgendwas gespürt hat? Immerhin hat er seine Hand schnell weggezogen und hinterher ein wenig verschämt gelächelt. Oh...wow...und der ist gaaaaanz niedlich rot geworden!! Bestimmt wehrt er sich noch dagegen aber er ist auf dem besten Weg, sich in mich zu verlieben. Ich weiß es...

2.April

Besuchte Tom. Er und Trisha fanden es total nett, dass ich Waffeln mitgebracht hatte, nur Sebastian war schlecht gelaunt. Ich hab den echt noch nie fröhlich oder zumindest irgendwie entspannt gesehen. Er scheint ein Scheißleben zu führen, doch das ist keine Entschuldigung. Als er in die Küche kam (wieder mal sehr geschmackvoll gekleidet...schwarze Cordhose und babyblaues, ziemlich enges Flauschishirt), hab ich ihm selbstverständlich eine Waffel angeboten. Doch anstatt einfach nur Danke zu sagen und zu essen, hat er mich völlig entgeistert angestiert und nach der Videokassette gefragt.

»Geht dein Fernseher wieder?« erkundigte ich mich, worauf er die Augen zuerst verdrehte, dann kurz zusammenkniff und laut ausatmete.

»Was zur Hölle geht dich das an? Kümmere dich um deinen Kram, Kleiner. Trisha hat die Kassette für mich mitgebracht also, rück sie raus!«

Der Typ hat echt den Schuss nicht mehr gehört. Und überhaupt, ich hasse es, wenn mich jemand so herablassend Kleiner nennt nur weil er ein paar älter Jahre ist.

»Ich hatte ja auch nicht vor, sie dir zu stehlen. Meinst du, ich schleppe die den ganzen Tag

mit mir rum? Ich hab sie zu Hause.»

»Na und? Wo ist das Problem?« wollte er wissen.

Ich brauchte einige Zeit, bis ich begriffen hatte, konnte es dann aber nicht wirklich glauben.

»Soll ich jetzt alles stehen und liegen lassen und deine beschissene Kassette holen, oder

was?» Das hielt man ja im Kopf nicht aus, mit diesem Schwachmaten. «Hör mal, ich kann sie dir morgen vorbeibringen, in Ordnung?» bot ich ihm viel zu freundlich an. Er schnaufte, nahm einen Teller aus dem Schrank, warf eine meiner Waffeln drauf und klatschte zwei Löffel Sahne daneben. Beim rausgehen sagte er noch frech «Danke für die Waffel. Bis morgen.»

Ich war sprachlos.

Trisha seufzte. »Ich glaube, es geht ihm gar nicht gut.«

Sie sagte es. So was Unverschämtes, Unverfrorenes, Dreistes ist mir in meinem ganzen

Leben noch nicht untergekommen. Allerdings kam es noch viel besser. Nach ungefähr zehn Minuten schlurfte er wieder in die Küche, blickte mich an, rieb mit der Hand über seinen Wanst, nahm noch eine Waffel und ging. Ich meinte, sowas wie ein sehr böses Grinsen wahrgenommen zu haben, als er mich bauchreibend angeschaut hatte. Es dauerte etwas, bis ich meinen Mund wieder zu bekam. Tom war stocksauer.

»Also lange sehe ich mir das nicht mehr an. Seit Tagen muffelt der nur noch rum. Sag mal, Trisha, weißt du, was er hat?«

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Er redet nicht darüber.«

»Ich werde euch sagen, was mit ihm los ist«, meldete ich mich zu Wort. »Der ist nicht mehr ganz dicht.«

»Das war der noch nie«, meinte Tom achselzuckend, »doch so unausstehlich wie im Moment, kenne ich ihn gar nicht.«

»Hört auf, auf ihm rumzuhacken. Sebastian wird schon seine Gründe haben«, sagte Trisha.

»Wir wissen, dass er bei dir Narrenfreiheit hat, aber du musst zugeben, dass er mit seiner verdammten Scheißlaune die ganze Atmosphäre verpestet. Man traut sich ja schon gar nicht mehr, ihn anzusprechen. Arschloch und Wichser sind zur Zeit seine Lieblingswörter.«

»Na und? Jeder hat mal eine schlechte Phase.«

Tom lächelte gequält. »Jaja, ich meine auch, wir sollten für den armen Jungen Verständnis haben. Ich glaube, der braucht einfach mal wieder was zum Vögeln«, meinte er und sah dabei Trisha an. Die erhob sich und knallte die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich zu.

»Mann, du kannst aber auch fies sein«, bemerkte ich.

»Hab ich von Sebastian gelernt«, erwiderte er und ließ mich von seinem Waffelstück abbeißen. »Und...was macht dein Italiener?«

»Frag mich bloß nicht«, antwortete ich grimmig.

»So schlimm?«

»Das Problem ist, dass er angelino ewige Treue geschworen hat.«

»Tja, dagegen kann man nichts machen.«

Irgendwie gefrustet fuhr ich nach Hause.

3.April

Komme gerade von Sebastian – wegen der Kassette. Der Typ geht mir extrem auf den Geist.

Ich stehe also Mittags vor der Tür, Carlo öffnet, sagt mir, dass Tom nicht da ist, worauf ich meinte, ich wolle zu Sebastian.

»Ich weiß gar nicht, ob der schon wach ist. Geh doch einfach rein.«

Ich klopfte, bekam aber zunächst keine Antwort, also hämmerte ich mit der Faust an die Tür.

»Willst du die Scheißtür eintreten, oder was?« kam es gereizt aus dem Zimmer.

Ich drückte die Klinke herunter und betrat vorsichtig Sebastians abgedunkeltes Zimmer. Verschlafen rieb er sich die Augen, gähnte und setzte auch schon seinen Ich-bin-so-böse-

und-ihr-geht-mir-alle-auf-den-Sack-Blick auf.

»Na, wie lange brauchst du wohl noch, um zu begreifen, dass du im falschen Zimmer bist... Kleiner?« fragte er genervt und zupfte an seinem schlabberigen Schlafshirt. Ich musste mich echt zusammenreißen und warf ihm die Videokassette aufs Bett.

»Au, willst du mich erschlagen, verdammt?« rief er und rieb sich den Arm.

»Soll ich dir vielleicht einen Eisbeutel für deine schwere Verletzung holen?« fragte ich ironisch.

»Nein, danke. Geht schon«, antwortete er völlig ernst.

Ich wollte gerade gehen, da rief er plötzlich »Warte.«

»Was? Doch einen Eisbeutel?«

»Hast du die Folge gesehen?«

»Hä?«

Er deutete auf die Kassette.

»Ach so. Ja, wieso?«

»Ist die gut?«

»Ja, ganz spannend.«

»Danke, kannst verschwinden.« Er räkelte sich in die Bettdecke zurück. »Und komm das nächstemal nicht wieder so früh.«

Was meinte er denn damit? Ich hab gar nicht vor, ihm nochmal über den Weg zu laufen. Warum auch? Ich hasse ihn.

Jetzt bin ich also wieder zuhause und langweile mich. Hab gerade noch bei Nico angerufen, doch der hat mal wieder keine Zeit. Ich wette, er hat massig Zeit für Angelino.

Das gibt's doch gar nicht. Es sind Ferien und ich hänge abends vor dem Fernseher. Mein Leben geht den Bach runter. Nanu, das Telefon klingelt...

4.April

2 Uhr 22

Sitze gerade neben Tom, der wie ein Stein schläft.

Also gestern, am Telefon, das war er und ich möchte meinen, dass er anscheinend seinen

sehr direkten Tag hatte.

»Hi«, begrüßte er mich, »hast du Zeit?«

»Klar, warum?«

»Naja...ich...mmh...also, ich hab Lust, dich zu vögeln.«

Wow, oder? Ich meine, mir wurde ganz kribblig überall. Überhaupt kann Tom unwahrscheinlich dreckig reden in bestimmten Situationen. Ich schmiss also den Hörer auf die Gabel und machte mich auf den Weg.

Sebastian, den ich eigentlich nicht mehr sehen wollte, öffnete die Tür.

»Du schon wieder.«

»Du ja auch«, erwiderte ich.

»Komm rein«, lächelte er.

Der war nett und ich sofort misstrauisch. Es war das erstemal, dass Sebastian lächelte. Ob er

was besonders Leckeres gegessen hatte?

Tom kam in den Flur und ergriff meine Hand. »Lass mich nicht nochmal warten.«

Sebastians Lächeln gefror. »Was machst du denn hier?«

»Ich wohne hier, you know?!«

»Aber ich dachte, du wärst verabredet.«

»Bin ich ja auch und zwar mit meinem Babe hier«, erklärte Tom und legte einen Arm um meine Hüfte.

»Ach so«, nuschelte er und ließ uns stehen.

»Ich werde echt nicht schlau aus dem«, sagte ich noch, worauf Tom die Achseln zuckte und mich in sein Zimmer zerrte.

»Mhh, woher weißt du, dass ich auf Schnallen stehe?« flüsterte er in mein Ohr, während seine Finger mit besagten Teilen an meinem Hosenbein spielten. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Dann zog er mich aufs Bett und verführte mich nach allen Regeln der Kunst.

Und jetzt liegt er da und pennt. Vorher hat er natürlich noch eine Zigarette geraucht, wie sich das für einen richtigen Kerl gehört. Nico kuschelt mit Ben nach dem Sex bestimmt noch stundenlang. Naja, man kann halt nicht alles haben. Tom und ich sind ja schließlich auch nicht romantisch verliebt. Was ich da treibe, fragt er gerade reichlich verschlafen.

»Schreiben«, antworte ich knapp.

»Mach endlich das Licht aus und leg dich hin«, murmelt er. Also tu ich ihm den Gefallen.

später... .

Konnte doch nicht schlafen, bin aufgestanden und in die Küche, um was zu trinken. Ohne

Licht saß ich da und nuckelte an meinem Glas Orangensaft, als jemand zum Kühlschrank schlurfte. Da sich meine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich diesen Jemand...zwar schemenhaft doch ohne Zweifel.

»Suchst du jetzt doch einen Eisbeutel?« fragte ich leise.

Eine Flasche wurde fallengelassen und zerbrach, etwa zeitgleich hörte ich einen Schreckensschrei...dann Totenstille...dann ging das Licht an. Sebastian, in Pink-Panther Boxershorts und schwarzem Shirt, lehnte schwer in der Tür und war kreidebleich. Er sah aus, als bekäme er jeden Moment eine Eins-A-Herzattacke.

»Hab ich dich etwa erschreckt? Oh je, das wollte ich nicht«, rief ich amüsiert.

»Bist...du...irrsinnig?« stammelte er und hielt sich am Ausschnitt seines Shirts fest.

»Nö, durstig.«

»Soll...ich...einen«, er schluckte, » einen verdammten Herzinfarkt kriegen?«

»Was kann ich dafür, dass du so schreckhaft bist?« entgegnete ich unschuldig. Innerlich lachte ich mich gerade tot.

»Warum zum Teufel sitzt du hier mitten in der Nacht im Dunkeln, verdammte Scheiße?«

Offensichtlich bekam er sich langsam wieder in den Griff. Jedenfalls so, dass er fluchen konnte.

»Wie schon gesagt, ich war durstig.«

Mit nackten Füßen tapste er zum Kühlschrank, nahm eine neue Flasche Wasser und warf mir einen Lappen ins Gesicht. »Achte darauf, dass keine Glassplitter liegen bleiben.«

»Hä? Bin ich vielleicht deine Putzfrau oder was? Wisch deinen Dreck gefälligst selber auf.«

»Deine Schuld«, nuschelte er. »Du hast mich erschreckt.« Und schon war er verschwunden. Fluchend machte ich mich daran, die Scherben aufzusammeln und schlug in Gedanken

immer wieder auf Sebastians Schädel ein. Zum Schluss trat ich ihm noch kräftig mit meinen schweren Schuhen in die Fresse. Danach fühlte ich mich etwas besser und ging zurück ins Bett, wo Tom friedlich schlummerte. Ich kuschelte mich in seinen Arm, er räkelte sich leicht und zog mich fester an sich. Vorsichtig nahm ich eine seiner Haarsträhnen und spielte damit, bis ich eingeschlafen war.

5.April Karfreitag

Ich hasse Feiertage genauso wie Sonntage. Die Geschäfte sind zu und auf den Straßen nur Familien unterwegs. Nicht, dass ich so schrecklich gerne einkaufen gehe aber ich will zumindest die Möglichkeit haben, es tun zu können, wenn ich Lust dazu habe. Heute war Tina mit ihrem hässlichen Mann da. Die hat schon die ganze Zeit über total beunruhigend gegrinst...so ein Grinsen, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Tja, der Grund für ihre Horrormiene ist in der Tat grauselig. Bettina ist SCHWANGER!!! Schon im tausendsten Monat (also nix mehr mit Abtreibung). Ach du Scheiße, kann ich da nur sagen. Anstatt sich aber dafür in Grund und Boden zu schämen, sind die beiden ganz aus dem Häuschen. Ich halte es im Kopf nicht aus. Als gäbe es nicht schon genug verzogene, völlig verstörte, bekloppte Gören auf der Welt. Nein, die müssen noch eins draufsetzen. Mom ist vor Freude ganz außer sich, was sich allerdings schnell ändern wird, wenn das Balg sie zum erstenmal OMA nennt. Dad hat sich wie immer rausgehalten. Ich habe da noch eine ganz andere Horrorvision. Wenn Bettina schwanger ist, muss sie mit ihrem Mann gepoppt haben. Allein der Gedanke daran lässt mich zittern wie beim schlimmsten Gruselfilm. Arne, ihr Ehemann, sieht wirklich zum Davonlaufen aus...ich übertreibe da nicht. Vielleicht hat sie ihm eine Tüte über den Schädel gezogen, oder einfach die Augen zugemacht? Möglicherweise hat sie ihn sich aber auch schöngesoffen? Egal. Ende des Jahres werden die mich mit Sicherheit zum Babysitten anhalten wollen, doch...nicht mit mir. Ich hasse kleine Kinder! Außerdem bin ich mehr denn je der Meinung, dass meine Schwester nicht in der Lage sein wird, ein Kind zu erziehen. Das arme Ding tut mir jetzt schon leid. Besonders, wenn es ein Junge wird und Tante Doro als Aufpasserin fungieren soll. Das bemitleidenswerte unschuldige Würmchen wird bereits im Kindergarten schon die eine oder andere Pillensorte probieren; in der Schule geht es mit etwas härteren Drogen weiter und spätestens als Teenager kommt die erste Jugendstrafe. Danach das völlige Abgleiten ins Milieu. Und ich stehe daneben, lache mir ins Fäustchen und denke ‘Hab ich's nicht gesagt?!‘

6.April

Bin shoppen gegangen – einfach nur so, weil die Geschäfte geöffnet waren. Habe mir ein Buch gekauft. »22 Jahre Knast«. Von Deutschlands erstem Geiselgängster Dimitri Todorov, der übrigens schwul ist, geschrieben. Bin schon sehr gespannt.

Mom sitzt am Telefon und geht in der Verwandtschaft damit hausieren, dass ihre Tochter

was Kleines erwartet. Ich will damit nichts zu tun haben und stelle mir lieber Nico vor, wie

er mir einen bläst. Also eigentlich stelle ich mir mehr vor, wie sich ganz langsam auszieht. Manchmal fragt er mich auch, ob ich ihn ausziehen möchte. In meiner Fantasie möchte ich das immer. Ach, ich würde den so schrecklich gerne wenigstens mal küssen. Ehrlich, damit wäre ich schon zufrieden...jedenfalls für den Anfang. Der hat bestimmt superweiche, supersüße Lippen. Es gibt einen, der es wissen müsste, doch den mag ich nicht fragen. Ich vermisse es echt, verliebt zu sein. Ich meine, glücklich verliebt zu sein. Simon und ich waren sehr verliebt. Aus der Entfernung kann ich gar nicht mal mehr sagen, wieso eigentlich?! Seine äußere Erscheinung ist nun alles andere als spektakulär, sein Klamottengeschmack mehr eine Geschmacksverirrung. Er hat ganz schöne knisternd-graue Augen und überhaupt ein ganz hübsches Gesicht, aber seine Haare verderben irgendwie alles. Die Farbe rangiert irgendwo zwischen mausgrau und straßenköterblond, der Schnitt ist auch kein richtiger Schnitt, sondern sieht immer etwas nach Unfall und Friseur verklagen aus...verstrubbelt kurz mit langen Strähnen im Gesicht. Trotzdem war ich von der ersten Sekunde an hin und weg.

7.April Ostersonntag

Der Osterhase war da!!!

Als ich heute morgen erwachte, grinste mir ein Schokohase feist aus einem Wust von

grünem Pseudogras und Schokoeiern entgegen. Ich war über die grauenhafte Hasenfresse so geschockt, dass ich zuerst an einen Albtraum dachte. Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass der Horrorhase zwei Zwanzig-Euro-Scheine vor dem Latz pappen hatte...so, als hielte er sie in den Pfoten. Na gut, Geld ist ja durchaus in Ordnung und immer Willkommen bei mir aber was hat Mom geritten, dass sie mir mitten in der Nacht klammheimlich ein Osternest ins Zimmer stellt? Ich bin fast achtzehn und glaube seit geraumer Zeit weder an Osterhasen, noch an Weihnachtsmänner und schon gar nicht ans Christkind. Und überhaupt... ich hätte doch sonst was treiben können...nachts in meinem Zimmer. Wie peinlich ist es denn wohl, wenn man von seiner Mutter beim Wichsen erwischt wird, weil diese einem ein Osternest ans Bett stellen will?! Gottseidank hab ich gepennt. Mom muss seit Bettinas Schwangerschaft irgendwie durchgedreht sein. Beim Frühstück lag ein hartgekochtes (!) buntes Ei auf meinem Teller. Ich hasse hartgekochte Eier. Mom weiß das. Es war pure Boshaftigkeit von ihr. Ich kickte also das rote Ei weg und schaufelte mein Müsli (ohne Rosinen!!) in mich hinein. Mom war etwas angepisst also bedankte ich mich artig für das Osterpräsent. Dad war schlecht gelaunt und nieste andauernd demonstrativ, weil überall in der Wohnung dieses gelbe Osterunkraut herumsteht, das Mom mit Eiern, Küken und kleinen Hasen aus Holz behängt hat. Sie weiß ganz genau, dass Dad allergisch auf derartige Sträucher reagiert.

»Tante Doro, Oma und Opa kommen heute nachmittag zum Kaffee«, erklärte Mom.

Ich musste husten, weil mir vor Schreck eine Haferflocke in die falsche Röhre geraten war.

»Trink einen Schluck Saft, Schatz«, riet sie mir.

Nachdem die verdammte Flocke heraus war, blickte ich sie argwöhnisch an. »Ich muss doch nicht etwa zuhause bleiben, oder?«

»Aber natürlich. Heute ist Ostern und Oma und Opa wollen dich sehen.«

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Doro ging ja noch, mit der konnte ich mich wenigstens streiten aber Oma und Opa – HÖLLE!

»Aber ich bin doch verabredet«, log ich.

»Dann sag das ab.«

»Opa erkennt mich doch sowieso nicht.«

»Dein Opa ist krank. Und Oma freut sich schon so auf dich.«

»Ich bleibe aber nicht den ganzen Tag hier«, sagte ich bestimmt.

18 Uhr 04

Mann, war das anstrengend.

Doro hat natürlich ihr Balg mitgebracht. Kevin ist fünf und grabscht alles ohne zu fragen an. Ihre Kevin-lass-es-jetzt-bitte Rufe ignoriert er grundsätzlich. »Er ist jetzt halt in dieser Phase«, entschuldigte sich Doro. Meiner Meinung nach ist er ein frecher Bastard, der mal dringend eine Tracht Prügel bräuchte aber...mich fragt ja keiner. Mom hatte für den kleinen Pisser ein Osterkörbchen versteckt und zwar so gut, dass er es ewig nicht fand, sich vor Wut auf den

Boden schmiss und hin und her wälzte. Mom musste es ihm geben, damit er sich beruhigte. Dann kamen Oma und Opa. Das übliche »Ach, Junge, bist du dünn...iss doch mal anständig« und »Was macht denn die Schule?« und Opa stellte sich jedem höflich mit seinem Namen vor. Opa ist nämlich altersbedingt super senil und total durch den Wind. Das ist ganz schön unheimlich. In der einen Sekunde redet er ganz normal mit einem und weiß, mit wem er es zutun hat und dann ganz plötzlich geht er auf einen los, weil er sich bedroht fühlt und ruft nach der Polizei. Ich finde es unverantwortlich, dass er immer noch bei Oma wohnt und sie ihn überall mit hin schleppt. Er tut mir echt leid. Manchmal sitzt er einfach nur da und kuckt ganz traurig, so als wüsste er, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Vor drei oder vier Jahren war er noch total fitund man konnte über alles mit ihm reden. Er ist der Einzige von der Familie, der sicher weiß, dass ich schwul bin. Zum Glück hat er es längst vergessen.

Immerhin bekam ich von Oma mein zweites Osternest mit meinem dritten 20-Euro-Schein. Da ließ ich dann auch den Kaffeklatsch über mich ergehen. Und der war wirklich Hardcore.

Nachdem Opa zwei Gabeln von der Schwarzwälderkirschtorte gegessen hatte, war er davon überzeugt, Mom wolle ihn vergiften. Er hat fürchterlich gebrüllt (natürlich nach der Polizei!) und wollte zwei Minuten später noch ein Stück vom leckeren Kuchen. Dann begann Oma ihren halbstündigen Monolog über die Frau Soundso, die ja jetzt auch so krank ist. Die mit ihrem Wasser in den Beinen und Geschwüre hat die auch. Und Krebs. Und dann der Mann mit dem künstlichen Darmausgang und die kleine dicke Türkin aus dem zweiten Stock bekommt schon wieder ein Kind, dabei hat die schon zwei und kann noch nicht mal richtig deutsch. Der Mann auch nicht, verhält sich aber wie ein Pascha. Lässt seine arme hochschwangere Frau immer die schweren Einkaufstüten schleppen. Ja und die Enkelin von der Hedwig, das ist ein liebes Mädchen und ganz hübsch. Solche langen Haare hat die, ganz vernünftig ist die, nicht so wie andere Mädchen in dem Alter, die immer nur Jungs im Kopf haben, heute mit dem gehen und morgen mit dem. Das wär die richtige Freundin für mich, die würde gut zu mir passen, die Yvonne (Oma spricht das e immer mit!), die sollte ich mal kennenlernen. Allein bei dem Namen drehte sich mir schon alles um. Yvonne ist so ein schlimmer Proletenname.

»Komm mich doch mal besuchen. Dann lade ich die Hedwig ein mit der Yvonne.«

Ich setzte mein Zombielächeln auf, nickte und war in Gedanken dabei, Nico die Klamotten vom Leib zu reißen. Und Tom. Und Simon. Für einen kurzen Moment schlich sich sogar Sebastians Finsterblick in mein Hirn.

Kevin, der inzwischen jedes Osterei ausgepackt und einmal angebissen hatte, verlangte lautstark nach Kakao und einem Schokokuss und hopste beinahe auf den Tisch, wurde jedoch von Doro erfolgreich zurückgehalten. Er hätte genug Süßes gehabt, erklärte sie liebenswürdig, worauf Kevin wieder einen seiner gefürchteten Wutanfälle bekam. Doro ignorierte zum Schluss sein Gejaule.

»Der Sigurd ist aber nicht gut erzogen«, bemerkte Opa. Mom und Oma versuchten ihm zu erklären, dass die kleine Brammelfresse Doros Sohn war, da wurde er total aggressiv.

»Ihr wollt mich ganz verrückt im Kopf machen...ich kenne doch meinen Enkelsohn. Ihr steckt ja alle unter einer Decke. Nur von Verbrechern und Kriminellen ist man umgeben. Seines Lebens ist man nicht sicher. Erst gestern wollte mich so einer beklauen – erst gestern. Dem hab ich Saures gegeben«, rief er und fuchtelte gefährlich mit seinen Stock.

Dad starrte die ganze Zeit nur schweigend auf seinen Teller. Das hat er nun davon, in so eine verrückte Familie eingeheiratet zu haben. Zu seiner Entschuldigung muss ich aber sagen, dass er es ja vorher nicht wusste. Als er Mom kennenlernte, war Opa noch normal gewesen.

Gott sei Dank sind jetzt alle wieder weg.

Da ich telefonisch weder Tom noch Nico erreiche, werde ich mal mit dem Buch anfangen.

8.April

Früh am Morgen...

Wahnsinn, hab eben das Buch über den netten, schwulen, fast unschuldigen Gentleman-Räuber Todorov ausgelesen. Finde ich ein bisschen schade, weil es wirklich spannend ist... hätten zweihundert Seiten mehr sein können. Also gut...ich will ehrlich sein...Geiselgängster hin, Bankräuber her...ich mag Dimitri. Der ist ziemlich cool und manchmal sogar ganz süß und niedlich. Wenn er zum Beispiel schreibt, dass er die Wäsche von seiner Knastliebe, die entlassen wurde, unters Kopfkissen legt oder wie einen Teddy im Arm hält. Scheiße, Knast ist echt keine schöne Sache, man kann nichts anderes machen, als sich woanders hin zu träumen und zu onanieren. Das schreibt der Herr Todorov nämlich sehr oft. Dachte an soundso und onanierte. Sollte ich vielleicht auch mal wieder machen und dabei an Nico denken...

später...

Habe Tom aus purer Boshaftigkeit ein buntes Ei geschenkt. Hatte ich von Mom bekommen und noch zwei fickende Hasen draufgemalt. Tom hat es genommen, kurz betrachtet und mir gegen die Stirn geschlagen. Wenn ich da jetzt eine Beule kriege, kann der was erleben. Mein persönlicher Freund Sebastian hatte heute mal wieder wahnsinnig gute Laune. Er nannte Trisha aus unerfindlichen Gründen eine dumme Trine und Tom einen blöden Wichser. Für mich ist ihm anscheinend kein passendes Schimpfwort eingefallen. Der Idiot macht mich nicht einmal mehr aggressiv...

9.April

Gott sei Dank – Feiertage überstanden!!

10.April

Hilfe, Nico meldet sich gar nicht mehr. Hab ihn schon tausendmal angerufen, doch bis jetzt hat er noch nichts von sich hören lassen. Ob der sauer ist? Aber...ich hab ja gar nichts getan. Scheiße, ich halte das nicht aus...

11.April

Keine Nachricht vom Italiener! Werde an ihn denken und onanieren...

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