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Dear Diary...
Teil 2
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Informationen
- Story: Dear Diary...
- Autor: Chelsea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Diverses
Inhaltsverzeichnis
- 12.April
- 13.April
- 14.April
- 15.April
- 16.April
- 17.April
- 18.April
- 20.April
- 21.April
- 22.April
- 23.April
- 24.April
- 25.April
- 26.April
- 27.April
- 28.April
- 29.April
- 30.April
- 1.Mai Feiertag
- 2.Mai
- 3.Mai
- 4.Mai
- 5.Mai
12.April
Das Leben ist schön! Verbrachte heute den ganzen Tag mit Nico. Er hat sich ganz süß entschuldigt, weil er mich nicht zurückgerufen hat. Benedikt hatte wohl Stress mit seinem Vater und er musste sich um ihn kümmern. Der soll sich mal lieber um mich kümmern.
Immer muss ich onanieren - kann Nico das nicht mal übernehmen?
Ahh...er hat gesagt, dass er sich bei mir wohl fühlt, das ist doch schon mal ein Anfang. Dann hat er mir seine Lovestory mit Ben erzählt. Dass es sehr lange gedauert hat, bis Benedikt die Tatsache, schwul zu sein, akzeptierte und wie er Nico vorher immer verleugnete und dass
Ben anfangs sehr schlecht über ihn gesprochen hat, obwohl er in ihn verliebt war. Mann, der hat ja schon einen Faden mitgemacht...Nico musste sich sogar einmal unter Bens Bett
verstecken. Ich hätte ihn ja IN meinem Bett versteckt!! Merkwürdig, dass manche Jungs so Probleme damit haben, wenn sie herausfinden, dass sie schwul sind. Hatte ich nicht. Das heißt, ich mache mir da kaum Gedanken drüber - ich stehe halt auf Jungs, fertig. Nico hat ungefähr die gleiche Einstellung. Haha, er behauptet, nicht wirklich schwul zu sein, er mag eben Jungs momentan lieber als Mädchen. Wenn er meint... naja, immerhin hatte er mal Freundinnen und mit einer sogar Sex. Wahnsinn, was der mir alles schon so erzählt, wo wir uns doch noch gar nicht so lange kennen. Wenn der wüsste, dass ich die ganze Zeit nur daran denke, ihn nach Strich und Faden flachzulegen...aber das stimmt so gar nicht. Ich mag Nico total gerne und möchte auf jeden Fall mit ihm befreundet sein.
Ich gebe zu, ganz so einfach war und ist das mit dem Schwulsein doch nicht. Ich meine, ich halte mich jetzt nicht für unnormal oder was und ich schäme mich nicht, doch manchmal mache ich mir schon meine Gedanken. Zum Beispiel habe ich keine Ahnung, ob Mom und Dad Bescheid wissen? Ich habe nie mit ihnen darüber gesprochen aber allein die Tatsache, dass sie mich nicht mal nach einer Freundin fragen, sagt mir, dass sie mit Sicherheit irgendwas ahnen. Ich kann gar nicht einschätzen, was passiert, wenn ich es ihnen klipp und klar sage? Vermutlich werden sie dann doch erstmal kurz aus allen Wolken fallen. Dad hat ja nun Erfahrung mit Homosexualität in der Familie (wegen Doro) und geht ziemlich locker damit um aber Doro ist auch nur seine Schwester. Vielleicht ist es bei seinem Sohn mit der
Toleranz nicht so weit her? Mom kriegt bestimmt sofort Panik und kommt mit Aids und so... die wird immer gleich hysterisch.
13.April
Ach du Scheiße! Stelle gerade fest, dass Montag die Schule wieder losgeht. So ein verdammter Dreck! Aber heute ist erstmal ausgehen angesagt. Hab mich schon mit Nico und
Ben verabredet. Und Tom hab ich auch angerufen.
Irgendwas ist nicht in Ordnung. Mom und Dad verhalten sich so merkwürdig. Kein Gekicher
und Gekeuche mehr aus'm Schlafzimmer und beim Frühstück muss Dad sich selbst Kaffee einschenken - da ist etwas im Busch, weiß bloß nicht was. Sollte mir aber egal sein, ist ja schließlich ihr Leben. Ich hab meine eigenen Probleme.
14.April
Verdammte, verfickte Mistkacke! Bin gestern eindeutig zu weit gegangen - viel zu weit.
Nico ist bestimmt total sauer und will nichts mehr mit mir zu tun haben. Oh Gott, dann muss ich sterben. Ich weiß doch selber nicht, was mich geritten hat?!?!
Also...wir waren ja verabredet, im 10.15, bin erstmal zu Tom und gleich wieder Sebastian- Arsch über den Weg gelaufen. Ich frage mich, ob der Freunde hat? Der sitzt immer nur zuhause. Mal unter uns, wer will mit so einem Ausbund an Fröhlichkeit und Charme schon befreundet sein? Und wie der sich anzieht. Schmuddeljeans und graues Schlabbershirt, dazu noch die farblosen Haare und die Scheißfrisur...kurz mit Pony bis zur Nase. Wenn der mal was aus sich machen würde, könnte er fast hübsch sein, denn eigentlich sieht sein Gesicht gar nicht so scheiße aus. Es allerdings attraktiv zu nennen, wäre auch stark übertrieben.
Er nuschelte also etwas, das verdächtig nach Hallo klang uns starrte mich einige Sekunden an. Was das nun wieder sollte? Ich drängte mich an ihm vorbei und traf auf Tom, der wie immer sehr hübsch aussah.
»Hi.« Er küsste mich auf den Mund, dann wandte er sich an Sebastian. »Wir gehen ins 10... willst du nicht mitkommen?«
Ich war erschrocken. Hatte er den Verstand verloren? Wieso wollte er, dass dieses Arschgesicht uns die Laune verdarb?
»Ist das der Schwuchtelladen?« fragte Sebastian misstrauisch.
Aha, schwulenfeindlich also auch noch. Wurde ja immer schöner.
»Das ist ‘ne ganz normale Kneipe.«
»Für Trinen«, gab er zurück.
Tom atmete geräuschvoll. »War ja nur eine Frage. Bleib doch hier und hol dir einen runter.«
»Dämlicher Pisser«, zischte Sebastian und entfernte sich laut.
»Dieser Typ ist echt eine Seuche«, sagte ich und deutete auf seine Zimmertür.
»Lass uns fahren«, entgegnete Tom.
Im 10.15 liefen wir dann auch direkt dem Liebespaar in die Arme. Scheiße, Nico sah
verboten aus. Lackhose, bauchfreies Shirt, schmaler Silbergürtel und Bauchnabelpiercing. Mein Magen grummelte vor Aufregung, meine Beine waren plötzlich aus Gummi.
»Wir sitzen da drüben«, rief Nico und schlenderte händchenhaltend mit Ben zu einem der Tische in Thekennähe. Wir setzten uns dazu. Tom verwickelte Benedikt sofort in ein Gespräch über irgendwas, ich starrte krampfhaft in der Gegend rum. Nico zündete eine Zigarette an und hielt mir die Schachtel hin. »Möchtest du auch eine?«
Als ich nickend danach griff, berührten sich schon wieder unsere Fingerspitzen. Ich wollte
tot umfallen. Mindestens zwei oder auch drei Sekunden strich Nicos Daumen über meinen Finger, dann zog er schnell seine Hand weg. Hilfe, das war im Kopf nicht auszuhalten. Was machte er denn bloß mit mir? Verstohlen blickte ich zur Seite, ob Benedikt etwas mitbekommen hatte, doch der wurde ja von Tom belagert. Partnertausch, schoss es mir durch den Kopf...meinetwegen...gerne, zu jeder Zeit.
Nico lächelte. Er lächelte mich an und zwar ohne Pause. Dieses Lächeln machte mich mehr besoffen, als mein Bier.
»Tanzt du gar nicht?« fragte Nico unvermittelt.
»Nee, ist nicht so meine Musik. Ich stehe nicht auf Elektro«, erklärte ich.
»Schade...das mit dem Tanzen, meine ich. Würde ich gerne mal sehen.«
Äh, wie bitte? Er wollte mich tanzen sehen? Wozu, um alles in der Welt? Unbehaglich schaute ich mich um. Mir fiel auf, dass Tom seinen Arm auf Bens Stuhllehne liegen hatte, seine Hand berührte ganz leicht seinen Rücken. Aha! Er war also scharf auf ihn! Sollte er ruhig. Nico allerdings würde wohl nicht begeistert sein. Der legte nun kurz seine Hand auf meinen Arm. »Komm, wir gehen mal Leute beim tanzen ankucken.«
Während wir so an der Wand standen und auf die Tanzfläche stierten, stieß er mich plötzlich an. »Sag mal, macht dich das gar nicht eifersüchtig?«
»Was denn?«
»Naja, dass dein Freund so an Benedikt hängt.«
Oha, er hatte es also auch gemerkt...aber wieso fragte er mich, ob ich eifersüchtig war?
»Und wie steht's mit dir?«
Er lächelte. »Ich vertraue Benedikt, weil ich weiß, dass er nur mich haben will.«
Mann, der war ja ganz schön überzeugt.
»Ja. Aber die Frage ist, ob wir Tom vertrauen sollten. Ich weiß nämlich zufällig sehr genau, dass er nicht nur mich will.«
»Ach ja? Und wie hältst du das aus?«
»Ach so...du denkst, Tom und ich...?«
»Seid ihr etwa nicht zusammen?« fragte er überrascht.
»Nee, nicht so wirklich. Weißt du, ich mag ihn und...aber...verliebt sind wir beide nicht ineinander.«
»Sondern?«
»Hä?«
»In wen bist du stattdessen verliebt?«
Ach du Scheiße - mir brach der Schweiß aus. »Niemand... äh... momentan gibt es keinen«,
log ich.
»Dann hoffe ich, dass du bald jemanden findest.«
»Danke«, murmelte ich.
Es wurde später und später und ich betrunkener und betrunkener. Tom hatte sich echt auf Benedikt eingeschossen aber ich war mir nach dem Gespräch mit Nico sicher, dass er keine Chance hatte, ihn rumzukriegen. Wenn er mich mit zu sich nach Hause nahm, würde ich ihm seine Unverschämtheiten nach Strich und Faden austreiben. Eine ehrliche Strafe war das allerdings nicht, denn Tom würde Gefallen daran finden, da war ich mir auch sicher.
Nico tanzte wahnsinnig geil und ich hatte mit heftigen Sexualvorstellungen zu kämpfen.
Nachdem das Lied zuende war, kam er rübergestiefelt. »Ich gehe mal kurz auf's Klo.«
Ohne zu wissen warum, ohne nachzudenken, folgte ich ihm nach einigen Sekunden.
Wir waren allein, er wusch sich gerade die Hände. Danach friemelte er noch an seinem Piercing, lächelte mich an und ich kam wieder ins Schwitzen. Wahnsinn, das war eine einmalige Gelegenheit. Ich musste handeln oder für immer gefrustet durch die Gegend laufen.
Langsam machte ich einige Schritte auf ihn zu, dass er mit dem Rücken an der Wand stand. Ich sah ihn an, er sah mich an und dann passierte es...meine Griffel verselbständigten sich, strichen schwer über seinen nackten Bauch. Er atmete schneller und ließ mich gewähren. Ich drängte mich an ihn und...wir küssten uns.
Das heißt, eigentlich küsste ich ihn doch seine Zunge blieb auch nicht untätig, wie ich entzückt feststellte. Seine Hände griffen in mein Haar und wuschelten darin herum, meine Hände grabschten nach seinem Arsch. Oh...oh mein Gott ist der...WEICH!!
Nach einer Weile stieß er mich weg und verließ fluchtartig das Klo. Benommen lehnte ich mich an die Wand, wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
Den Rest des Abends verhielt Nico sich sehr reserviert, bis er irgendwann Ben drängte zu gehen. Tom war sichtlich unzufrieden. »Was ist, kommst du mit zu mir?«
Ich schüttelte den Kopf. Mir war nicht nach Sex. Er brachte mich also nach Hause und gab mir einen Kuss.
Und jetzt sitze ich hier und weiß nicht, was los ist. Sicher, es war ziemlich unverschämt von mir, ihn einfach zu küssen aber Nico hat mich auch geküsst. Er empfindet etwas für mich.
Ich weiß, dass ihn diese ganze Sache nicht kalt gelassen hat. Mir ist klar, dass er sich wohl kaum wegen eines Kusses von Angelino trennen wird aber zwischen uns ist irgendwas. Ich muss unbedingt mit ihm reden. Am liebsten gleich jetzt aber es ist für einen Anruf zu spät und ich will das auch nicht so blöd am Telefon besprechen. Ich hasse es, mit so einem mulmigen Gefühl im Bauch einschlafen zu müssen also rufe ich Tom an.
Klasse, den Anruf hätte ich mir sparen können. Hab ihn nicht mal erreicht. Dafür hat Sebastian mich zur Sau gemacht. Ob ich den Verstand verloren hätte, um diese Zeit anzurufen, dass Tom bereits pennt und er mir das Herz rausreißt, wenn ich ihn (Sebastian) noch einmal störe. Habe mich ganz verdattert entschuldigt, jedoch nur ein verächtliches Schnaufen geerntet, danach wurde eingehängt. Fühle mich hundeelend und will sterben ...
später...
Habe Nico angerufen...war nicht da. Verdammt, ich muss doch mit ihm reden. Was mache ich denn nur? Ich könnte Benedikt fragen, ob er bei ihm ist aber das bringe ich nicht. Meine einzige Chance ist die Schule, da wird er ja wohl auftauchen. Hoffentlich erwische ich ihm mal alleine...
15.April
Fehlanzeige. Nico war zwar da, ist mir jedoch aus dem Weg gegangen. Sogar woanders hingesetzt hat er sich! Dafür hat Bohnenstange Denise geplärrt, ich solle doch mal etwas mit ihr unternehmen. Ist die krank? Mal abgesehen davon, dass sie ein Mädchen ist, sieht sie auch noch scheiße aus. Also...nee...eigentlich könnte sie hübsch sein, wenn sie zehn Kilo zunähme und ihre Titten vergrößern ließe. Nicht, dass ich irgendwie auf große Titten stehe, ich interessiere mich einen Scheiß für Möpse. Aber wenn schon Mädchen, dann auch mit den richtigen Maßen, womit ich keine Modelmaße meine. Trisha ist perfekt, hab ich das schon erwähnt? Ich begreife gar nicht, dass Sebastian sie nicht sofort flachlegt, wo sie doch auf ihn abfährt. Aber vielleicht steht der ja mehr auf Klapperfrauen? Was mache ich mir eigentlich Gedanken, über den Geschmack dieses Penners? Ist mir doch egal, was der vögeln will. Jedenfalls kam Denise in den Pausen ständig angeklappert, wollte mich begrapschen und
zwar so auffällig unauffällig, dass mir echt übel wurde. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass sie sich verpissen soll, ließ es aber bleiben, denn die Sportfreaks hatten uns im Visier und die sehen immer so aus, als verstünden die keinen Spaß. Aber welcher Sportler hat schon Humor??
Außerdem haben Nico und Benedikt mir zu verstehen gegeben, dass die nicht so auf Schwule stehen, also halte ich mich lieber etwas zurück. Die sind alle größer und mindestens zwanzig Kilo schwerer als ich.
Mom und Dad liegen sich ständig wegen irgendwas in den Haaren. Das geht mir extrem auf den Geist. Dad verpisst sich meist in seine Agentur, obwohl er auch zuhause arbeiten könnte. Da braut sich was zusammen...
Wollte eigentlich Tom anrufen, hab mich aber nicht getraut. Toll, jetzt bin ich schon eingeschüchtert von Sebastian-Arsch.
16.April
Keine Aussprache mit Nico, stattdessen verstohlene Blicke beiderseits. Ich halte es nicht aus. Fühle mich krank, habe keinen Hunger und schlafe schlecht.
Dad schläft anscheinend gar nicht mehr, er ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Behauptete, arbeiten zu müssen. Ob der eine kleine schmutzige Affaire hat? Mit seiner Assistentin vielleicht? Nee, dafür ist der viel zu feige.
17.April
Oh Gott. Benedikt hat gefragt, ob irgendwas los sei?! Habe verneint und krampfhaft gelächelt, während Nico mir schweigend gegenüber stand und mich nicht beachtete. Er muss mir doch wenigstens die Gelegenheit geben, mich zu entschuldigen. Mir ist pausenlos schlecht und morgen ist mein Geburtstag.
18.April
Endlich achtzehn...HAHAHA. Fühle mich kein bisschen anders als gestern. Bin nur reicher.
Von meiner Familie gab's nämlich neben dem Süßigkeitenberg Kohle ohne Ende. Simon hat kurz angerufen und die Gelegenheit genutzt, mich gleich wieder vollzujammern, wie schlecht es ihm geht. Mein lieber Simon, was soll ich denn bitte sagen?! Arschloch!
Mom fragte, ob ich am Wochenende eine Party geben will. Habe ihr gesagt, dass ich am Samstag mit ein paar Leuten was trinken gehe. Was das allerdings für Leute sein sollen, weiß ich nicht. Nico und Benedikt kann ich vergessen, was mit Tom los ist, weiß ich nicht, der hat sich noch nicht gemeldet. Dabei dachte ich, dass er bestimmt meinen Geburtstag nicht vergisst. Wenigstens hat Benedikt mir in der Pause gratuliert...Nico auch gezwungenermaßen, wie ich annehme...und mir ein Anne Rice Buch geschenkt.
Ha! Er hat doch daran gedacht! Tom rief eben an, hat ein verruchtes, extrem rauchiges Happy Birthday performt und mich für morgen eingeladen. Er will KOCHEN! Oha...bin ja mal gespannt...
20.April
Ich halte es im Kopf nicht aus! Ehrlich, bin total durch den Wind, weiß nicht, was eigentlich los ist?!
Ich bin also gestern in der WG aufgetaucht. Tom und Trisha hatten ein super leckeres indisches Essen gemacht. Mit Hähnchenfleisch, Curry, Kokosmilch, Reis, Früchten usw.
Zum Dessert gab's überbackene Bananen mit Zimt, Vanilleeis und Schokosoße. Carlo hatte Champagner mitgebracht. Es war echt lustig...bis Sebastian auftauchte. Mürrisch wie immer kam er in die Küche geschlurft und beäugte skeptisch den gedeckten Tisch.
»Scheiße, was ist denn hier los?« fragte er und setzte sich.
»Ziggy hat Geburtstag, mein kleines Zuckermäulchen«, grinste Carlo und kniff ihm in die Wange. Sebastian schlug seine Hand weg. »Lass deine Griffel von mir, verdammt.« Dann sah er uns nacheinander an. »Tja und da ich kein Geschenk habe, bin ich jetzt wohl das Arschloch in der Runde, was?«
»Das Arschloch bist du sowieso«, meinte Tom achselzuckend.
»Hähä«, machte Sebastian, stand wieder auf und ging zur Tür. »Dann wünsche ich euch noch viel Spaß.«
»Warte«, rief Trisha hektisch. »Du kannst doch mit uns essen.«
»Danke, hab keinen Hunger.« Und weg war er.
Nach dem Essen verabschiedeten sich Carlo und Trisha, ich blieb mit Tom in der Küche und trank Champagner.
»Wollen wir in mein Zimmer umziehen?« fragte Tom, worauf ich nickte, aufstand und mein Glas in die Hand nahm.
Plötzlich kam Sebastian herein gestürmt. Er schien ziemlich nervös zu sein, blieb dicht vor mir stehen und sah mich an. Dann griff er sich mein Glas, trank es in einem Zug leer, stellte es geräuschvoll auf den Tisch und atmete mehrmals tief ein und aus.
»Alles Gute zum Geburtstag«, sagte er zittrig, griff mit beiden Händen an den Ausschnitt meines Shirts, zog mich an sich und...KÜSSTE mich...auf den MUND!!
Nach drei Sekunden ließ er mich los und eilte aus der Küche.
Ich stand da wie angewurzelt, total fassungslos und starrte auf die Tür, durch die er gegangen war. Meine Beine zitterten, mein ganzer Körper kribbelte, vor meinen Augen tanzten kleine bunte Sternchen. Langsam leckte ich mir über die Lippen, berührte sie wie in Trance mit meinen Fingern und blickte hilflos zu Tom hinüber, der plötzlich ein Gesicht machte, als wüsste er ganz genau, was abgeht. Ich wusste das nicht. Ich wusste gar nichts, wahrscheinlich hätte ich nicht einmal meinen Namen nennen können, wenn mich jemand gefragt hätte.
»Was«, ich räusperte mich, weil meine Stimme so merkwürdig hoch war, »was war DAS denn?«
Tom goss mein Glas voll und reichte es mir. »Nur seine übliche Masche«, erklärte er ruhig.
»Was?«
»Das macht er immer so. Schleicht sich klammheimlich ein, und bevor man es merkt,
zappelt man schon in seinem Netz. Ich habe gezappelt, das kann ich dir sagen. Allerdings... geküsst hat er mich nie.»
»Gezappelt...geküsst«, brabbelte ich willenlos, »Sebastian...« Mein Herz raste, das Blut rauschte mir nur so durch den Kopf, in meinen Ohren sirrte es. Wahnsinn...ich hatte mich innerhalb von drei Sekunden Hals über Kopf VERLIEBT!!! Schwer ließ ich mich auf den Stuhl fallen und trank mein Glas aus. »Was...was soll ich denn jetzt machen?«
»Erstmal mit dem Grinsen aufhören, bevor du noch Gesichtsmuskelkater bekommst«, schlug Tom vor.
Scheiße, mir war gar nicht bewusst, dass ich grinste. »Meinst du...der Kuss hat was zu bedeuten?«
»Schwer zu sagen. Bei Sebastian weiß man niemals so genau, woran man ist. Also
interpretiere da nicht zu viel hinein, Romeo.»
Ich stand auf, war aber so zittrig, dass ich mich an den Schrank lehnen musste.
Tom stellte sich neben mich, eine Hand an die Wand gestützt. » Tja, sieht so aus, als müsste ich mir einen neuen Partner für gewisse Sachen besorgen. Das ist echt schade, weil«, seine Hand strich unter meinem Shirt meinen Bauch entlang, »weil ich es immer sehr gerne mit dir gemacht habe.«
»Tom, ich kann jetzt nicht an sowas denken. Ich bin verwirrt.«
»Ja, das weiß ich, ich dachte nur...ich würde dir halt gerne noch ein Geburtstagsgeschenk bereiten.«
Was meinte er denn damit? Ich begriff es ziemlich schnell, als seine Hand meine Hose öffnete.
»Hier?« fragte ich eher lustlos.
»Ist doch keiner da«, grinste Tom.
»Ihr seid echt... zum Kotzen. Abartig und krank. Scheiß-Schwuchteln!«
Ich warf einen Blick nach links und sah Sebastians fassungsloses Gesicht, das gleichdarauf wieder verschwand.
»Scheiße«, presste ich hervor, knöpfte verschämt meine Hose zu und sah Tom an.
Kurze Zeit später hörten wir die Wohnungstür zuknallen.
Mann, ich krieg das alles nicht auf die Reihe, mein Leben ist aus den Fugen, ich bin ein Wrack. Gerade eben noch habe ich mir Gedanken über die Küsserei mit Nico gemacht (mit dem ich darüber natürlich noch immer nicht gesprochen habe) und nun - ja, was nun? Wie kann mich denn ein Dreisekundenkuss von einem langweiligen, unscheinbaren Hirni wie Sebastian derart aus der Bahn werfen? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, das kann mir keiner erzählen. Ich stehe nicht auf Deppen in Jeans und grauem Schlabbershirt, die von Natur aus unfreundlich sind und weder eine Haarfarbe noch einen Haarschnitt haben; deren Wortschatz sich auf Arschloch, Wichser, verdammte Scheiße, Penner und Pisser beschränkt. Ich kenne Sebastian doch auch gar nicht. Aber irgendwas ist geschehen. Als ich seine Lippen spürte sind bei mir alle Lichter ausgegangen. Bestimmt ist das nur eine vorübergehende Verirrung, ein Versehen. Ich will doch nicht plötzlich mit Sebastian zusammen sein. Das wär ja noch schöner! Diese kleine Ekelbazille. WARUM ZUR HÖLLE HAT ER MICH GEKÜSST??? Ich begreife nicht, aus welchem Grund er das getan hat. Er wird sich ja wohl kaum in mich verliebt haben. Der ist doch hetero. Ach, der wollte mich nur ärgern, nur verarschen. Und wenn er wüsste, wie sehr ich über ihn und all das nachdenke, wenn er wüsste, wie verwirrt ich bin, würde ihm das ein perverses boshaftes Vergnügen bereiten. Und was meint Tom damit, dass er sich jetzt einen anderen Partner für irgendwelche Sachen suchen muss? Ich bin verdammt noch mal nicht verknallt in Sebastian. Ich will das nicht. Ich werde noch bekloppt. Und...ich muss mich ganz dringend hinlegen. Decke über die Ohren und für mindestens eine Woche nicht mehr da sein...
21.April
Gerade hat Oma angerufen und gefragt, ob ich nicht zum Kaffee vorbeikommen wolle, die Yvonne sei auch da. Die brauche ich jetzt so dringend wie einen Kropf. Das habe ich Oma allerdings nicht gesagt, sondern, dass ich für eine sehr wichtige Arbeit in der Schule lernen müsste. Zum Glück hat sie's geschluckt.
Hab mit Tom telefoniert - Sebastian ist verschollen. Trisha macht sich tierische Sorgen, er auch. Du lieber Himmel, was kommt denn noch alles? Hoffentlich tut er sich nichts an, das ginge dann ja auf mein Konto. Aber...warum sollte er? Weil er festgestellt hat, dass er doch schwul ist und sich in mich verliebt hat aber der Meinung ist, er könne mich nicht kriegen, weil ich ja mit Tom liiert bin? Das ist doch haarsträubender Blödsinn! Vielleicht besucht er Freunde? Ach nee...der hat ja keine. Dann besucht er eben seine Familie, die wird er wohl haben, es sei denn er ist ein armes Findelkind, wovon ich nicht ausgehe. Vielleicht aber doch? Vielleicht ist er deshalb so'n alter Griesgram? Was, wenn er nun ausgesetzt wurde? In einer kalten Nacht in einen Mülleimer geworfen...nee, lieber auf die Türschwelle eines Krankenhauses...und er gar nicht weiß, wann er zum Beispiel Geburtstag hat? Das ist wirklich schlimm und ein Wunder, dass er nicht noch viel unausstehlicher geworden ist. Verdammt, jetzt möchte ich ihn augenblicklich trösten. Ihm einreden, dass er nicht so ein ungewollter kleiner Scheißer ist, sondern, seine Mutter einfach nur wollte, dass er es irgendwo besser hat, als bei einer drogensüchtigen, sich prostituierenden Sozialhilfeempfängerin, die sich mit einem Alkoholiker, der sie verprügelt, herum ärgern muss.
Ich bin ja total bescheuert...auf was für beknackte Ideen ich komme. Hoffentlich taucht Sebastian bald wieder auf...und zwar lebendig. Ich muss ja doch ganz schön viel an ihn denken. Alles nur wegen eines blöden Dreisekundenkusses...
22.April
Bin heute nicht zur Schule gegangen. Fühlte mich nämlich sehr krank. Mom wollte Fiebermessen und so'n Scheiß. Bin ich ein Kleinkind, oder was? Hab sie aus meinem Zimmer vertrieben. Der Dreisekundenkuss geistert immer noch durch meine Gedankenwelt. Kann es denn wirklich sein, dass ich mich verliebt habe, ohne es zu merken? Aber warum? Ich meine, Sebastian ist nicht mein Traumtyp, ganz und gar nicht. Der war nicht ein einzigesmal nett zu mir. Ich hab doch kein Faible für Arschlöcher. Die Verwirrung hat sich nicht gelöst...
später...
Gott sei Dank...ER LEBT!!!
Tom hat es mir eben am Telefon gesagt. Sebastian ist wieder da und spricht mit keinem. Auf die Frage, wo er gewesen sei, ist er wortlos an Tom vorbei gegangen. Vielleicht hat er seine Mutter besucht und ein Drogenwrack vorgefunden? Naja, wenigstens ist er aufgetaucht. Irgendwie habe ich das ganz dringende Bedürfnis mit ihm zu reden. Genau wie ich mit Nico reden will. Oh mann...zwei Küsse...zwei Probleme...zwei schweigende Typen. Das ist echt langsam lächerlich.
23.April
Nico geht mir immer noch aus dem Weg. Hab mich daran gewöhnt und vielleicht ist es ja auch besser so. Trotzdem, hätte nie im Leben gedacht, dass er so nachtragend ist. Schließlich war es nichts weiter als ein dämlicher Kuss. Ich meine, ich hab ihn nicht vergewaltigt oder versucht zu killen. Und...er hat mich zurückgeküsst, also soll er mal lieber schön über sein Benehmen nachdenken und nicht mir allein die Schuld geben.
War noch kurz bei Tom. Momentan ist es mit ihm reichlich verkrampft. Der geht echt davon aus, dass ich in Sebastian verliebt bin...da scheint er mehr zu wissen, als ich. Jedenfalls hat Tom erzählt, dass Sebastian immer noch mit niemandem spricht. Die arme Trisha ist schon
mit den Nerven völlig am Ende. Mann, ich will überhaupt nichts mehr von ihm hören. Als ob es mich irgendwas anginge, was Sebastian treibt...
24.April
So langsam gleicht mein Leben einer Comedyshow!
Bin am Nachmittag zu Tom, der war allerdings nicht da. Hätte vielleicht doch vorher anrufen sollen. Jedenfalls stand ich da mit Carlo vor der Tür und wollte gerade gehen, als Sebastian aus seinem Zimmer kam. Ein eisiger Blick traf mich. Ich versuchte, irgendwie freundlich distanziert zu lächeln, sagte Hallo, worauf er (Sebastian) wie ein angestochenes Schwein weglief. Du meine Güte! Carlo schüttelte nur den Kopf und sah genauso ratlos aus wie ich.
»Denk nicht weiter darüber nach. Bei ihm ist das wie mit den Wegen des Herrn - sie sind unbegreiflich«, sagte er.
»Allerdings«, gab ich zurück.
»Hör mal, ich muss los...wenn du auf Tom warten willst...« Damit war er auch schon verschwunden. Ich dagegen stand noch etwas dümmlich in der Gegend rum, als Sebastian wieder auftauchte. Ich dachte schon, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, denn ich bin
mir jetzt absolut sicher, dass er ein Verrückter wie aus dem Bilderbuch ist und bestimmt auch vor Mord nicht zurückschrecken würde. Ein potentieller Amokläufer!! Jedenfalls standen wir uns eine Weile gegenüber - das war vielleicht peinlich - und sagten kein Wort. Das gab mir doch wenigstens die Gelegenheit, ihn etwas genauer zu betrachten. Also, besonders aufregend finde ich ihn noch immer nicht. Er trug wieder diese Gammeljeans und das graue Shirt. Ich glaube, seine Augen sind graublau und ich bemerkte, dass er irgendwas in der Hand hielt. Ein kleines Päckchen, schwarz eingeschlagen. Vermutlich hatte er einen Ziegelstein darin, den er mir über die Rübe zu ziehen gedachte?! Ich war auf alles gefasst, nur nicht auf das, was dann folgte.
Mit leicht zittrigen Fingern hielt er mir das schwarze Päckchen hin, worauf ich ihn belämmert anglotzte.
»Für dich«, sagte er.
»Hä?« machte ich.
»Geburtstagsgeschenk.«
Ich begriff nicht.
»Nimm schon«, kommandierte er.
Langsam dämmerte es. Er hatte ein Geschenk für mich. WARUM?? Lahm streckte ich meine Hand aus, nahm das Päckchen und starrte weiter.
»Ich hoffe, es gefällt dir«, sagte er noch, dann war er weg.
Mir war irgendwie nicht wohl, meine Beine gaben nach. Ich setzte mich auf den Boden, stierte auf das schwarze Einschlagpapier, auf Sebastians Tür, auf meine Füße. Das alles war mir nicht geheuer.
Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin. Kann mich nicht erinnern, dass ich überhaupt die WG verlassen habe aber es muss so gewesen sein, denn ich bin ja jetzt in meinem Zimmer und halte den ersten Zetsuai-Band in Händen. Das ist nämlich sein Geschenk. Wenn ich nicht so verwirrt wäre, könnte ich mich freuen darüber. Ich verstehe das nicht...ich verstehe gar nichts mehr. Erst hasst er mich, dann küsst er mich und nun noch das Buch...der ist ja total durchgeknallt. Der will mich fertig machen...
25.April
Der Grad der Verwirrung wächst und wächst und wächst...Ich falle dem Wahnsinn anheim.
H I L F E !!!! Dachte an Sebastian und onanierte.
26.April
Nico redet wieder mit mir, allerdings ziemlich reserviert. Naja, immerhin...
Scheiße, ich hab echt gestern beim wichsen an Sebastian gedacht? Muss wohl so gewesen sein, hab's ja hier geschrieben. Das will ich mal lieber nicht zur Gewohnheit werden lassen. Ich sollte mich langsam für das Buch bedanken aber ich traue mich irgendwie nicht.
27.April
Hab mich heute doch getraut und Sebastian hat mir nicht den Kopf abgerissen, wie ich vermutete. Na gut...klopfte höflich an seine Tür und betrat das Zimmer. Er saß auf dem Bett und...onanierte! Nee...kleiner Scherz! Er rauchte eine Zigarette und zwar so, dass es mir gefiel. Ich hab nämlich ein Faible für rauchende Jungs. Wirklich, es macht mich irgendwie total an, wenn ein hübscher Typ eine Zigarette zwischen feingliedrigen Fingern hält und lasziv daran zieht. Nun ist Sebastian ja nicht besonders hübsch aber seine Finger sind schlank und er kann sehr lasziv rauchen. Als ich ins Zimmer kam, sah er mich an - frostiger Finsterblick!
»Ja?« fragte er ziemlich unfreundlich.
»Ich wollte mich bedanken...für das Buch«, sagte ich.
»Sonst noch was?« Immer noch finsterer Blick, nicht mehr ganz so frostig.
»Wieso hast du's mir geschenkt?«
»Dachte, es gefällt dir.«
»Ich meinte auch eher, warum?«
»Weil du Geburtstag hattest.«
Ich merkte irgendwie, dass ich nicht weiter kam.
»Du denkst wohl, dass ich ein ziemliches Arschloch bin, was?« begann er plötzlich
In der Tat. »Naja, lass es mich mal so formulieren...wenn ich einen Nachruf auf dich schreiben müsste, würde ich sicherlich nicht deine grenzenlose Herzlichkeit, Wärme und Freundlichkeit hervorheben können.«
Er ging vom Finsterblick in ein Grinsen über - er kann grinsen (!!). »Setz dich.«
Mir war so blümerant, dass ich sowieso nicht länger stehen konnte. Sein Lächeln, denn das
war es jetzt, machte mich schwach und schwankend.
Wahnsinn, wie der lächelt!
»Bin ich echt so schlimm?« wollte er wissen.
»Ja«, antwortete ich ehrlich und dachte augenblicklich an Trisha. »Ich kann damit umgehen, aber wie du dich Trisha gegenüber verhältst...ich glaube, die leidet wirklich darunter.«
Sein Lächeln starb. Schade. »Denkst du, es macht mir Spaß? Meinst du, ich will sie absichtlich verletzen, einfach nur so, weil ich gerade Lust dazu habe?«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
»Ich mag Trisha.«
Das war mir vollkommen entgangen. »Warum benimmst du dich dann so?« fragte ich.
Sebastian seufzte, drückte die Zigarette aus und steckte sich sofort eine neue in die Klappe.
»Ich weiß, dass sie in mich verknallt ist und ich dachte, wenn sie merkt, dass ich nichts weiter als ein fieses Arschloch bin, käme sie runter von dem Trip. Ich bin nun mal nicht verliebt in sie, was sie allerdings nicht begreifen will.«
Ich war sehr überrascht, weil ich immer noch glaube, dass alle Heterotypen sich augenblicklich in Trisha verlieben müssen. Was soll's? Steht er halt auf andere Frauen.
Ich sah ihn an und ertrank in seinen Augen...sie sind graublau, verdammt knisternd.
»Bist du mit Tom verabredet?«
»Nein.«
Ich musste an den Kuss denken und wollte ihn danach fragen, tat es natürlich nicht. Er scheint ihn ja auch vergessen zu haben. Vielleicht stand er unter Drogen? Nach dem Kuss fiel mir die Sache mit Tom in der Küche ein...auch darüber verlor ich kein Wort. Nach der Sache mit Tom fiel mir nichts mehr ein und ich starrte ihn weiter an.
Er hat eine kleine Narbe über der linken Braue, ich hab sie gesehen, als er sich die graublonden Ponysträhnen aus den Augen gestrichen hat. Seine Hände sind echt schön.
Er trug einen breiten Silberring am Finger und am Handgelenk ein silbernes Armband. Ich musste schlucken...muss ich immer noch, wenn ich daran denke. Scheiße...ich bin verliebt!!
28.April
So'n Blödsinn - ich bin nicht verliebt, ganz und gar nicht, jedenfalls nicht in Sebastian. Nur weil er schöne Hände und ein Armband hat, bin ich nicht gleich verliebt. Ich bin wohl nur verwirrt, weil der mal ausnahmsweise nett ist, was hundertprozentig an irgendwelchen Drogen liegt. Ein Arschloch verändert sich nicht einfach so über Nacht...nie. Wenn ich überhaupt in jemanden verliebt bin, dann in Nico. Nee, auch nicht mehr. Ich lasse mich doch von ihm nicht so behandeln und belohne ihn dafür mit Anhimmelei. Wer bin ich denn?
Mom und Dad liefern sich im Wohnzimmer schlimme Wortgefechte aber ich bin zu müde zum drüber nachdenken.
Lese gerade »Der Engel mit den dunklen Flügeln«. Zum Heulen schön!
29.April
Hab mir nach der Schule Nico gekrallt. Hatte die Faxen dicke und sprach ihn auf den Kuss
an. Der gnädige Herr will nicht mehr darüber reden (als ob wir das schon diskutiert hätten...) Ich soll Ben nichts davon erzählen (hätte ich sowieso nicht). Manchmal sind Typen echt schlimmer als Mädchen. Naja, wenigstens weiß ich jetzt, dass ihm wohl nicht sehr viel an
dem Kuss gelegen hat. Wieso er mich dann überhaupt geküsst hat, weiß ich allerdings nicht. Aber sich darüber Gedanken machen bringt vermutlich nichts.
Seitdem ich dieses Engelbuch lese, hab ich keinen Bock auf onanieren. Ich will Romantik! Möchte an einem kalten Novemberabend bei Kerzenschein mit jemandem kuscheln und aus dem Buch vorlesen. Möchte Räucherstäbchen anzünden, Zimtsterne naschen und händchen
halten. Leider ist es weder November, noch hab ich jemanden zum Kuscheln und Zimtsterne gibt's erst wieder zu Weihnachten. Scheiße, hätte ich bloß dieses verdammte Buch aus meinen Griffeln gelassen...Vielleicht kommt jetzt auch meine weibliche Ader zum Vorschein?
Normalerweise stehen doch nur Mädchen auf diesen Romantikkram, oder? Jedenfalls sind doch immer noch viele Heteros der Ansicht, dass es Schwulen nur um Sex geht...hab ich mal gehört. Männer sind ja von Natur aus sexbesessener als Frauen und bei Schwulen ist das noch viel ausgeprägter. Heteromänner dürfen aber durchaus romantisch verliebt sein und händchenhalten. Schwule dagegen wollen immer nur knallharten Sex... dreißigmal am Tag mit zweiunddreißig verschiedenen Partnern. Treu sein können Schwule nicht, denn das liegt ja nicht in deren Natur. BULLSHIT!! Ich war Simon zwei Jahre lang treu. Ach, Simon... mit dem konnte ich händchenhalten und kuscheln aber ich glaube, auf vorlesen hätte er mit einem Lachanfall reagiert. Überhaupt hatten wir sehr unterschiedliche Interessen. Der kennt den Namen Hölderlin nur, weil er mal mit einem Zug gefahren ist, der so hieß. Ich hab ihm dauernd Bücher empfohlen, doch er meinte, lesen sei ihm zu anstrengend. Ich kann das nicht verstehen. Ohne Bücher würde ich sterben. Ob Sebastian viel liest? Ach der schon wieder... Interessiert mich doch einen verdammten Scheiß, ob der überhaupt lesen kann. Vielleicht mag er es, wenn man ihm vorliest? Schluss jetzt, Sebastian ist mir vollkommen egal.
30.April
Bin auf'm Hass-Trip! Alles nur, weil mir die Romantik fehlt. Hab mich am Telefon mit
Simon gestritten (war meine Schuld, zugegeben ). Der war am Wochenende auf so'ner ominösen Tunten-Transen-was-weiß-ich-was-Party. Da, wo alle Kerle Fummel tragen und zum Kotzen geschminkt sind. Ich sage es ganz ehrlich, ich kann Tunten nicht ausstehen. Ich meine, die können ja prinzipiell machen, was sie wollen...nein, das hört sich jetzt wieder so scheiß politisch korrekt an...die sollen nicht machen dürfen, was sie wollen. Ein einzigesmal war ich auf so einer Party und wusste die ganze Zeit über nicht, ob ich die auslachen oder bemitleiden oder einfach nur totschlagen soll?! Diese ätzenden Klamotten, diese grellgeschminkten Fressen und das Schlimmste - die total nervigen Stimmen. Das beknackt übertriebene Gehabe, diese »Hey, Süße«- Rufe.
Huhuhu...heute ist Walpurgisnacht...Tanz der Hexen. Irgendwo gibt es bestimmt auch einen Tanz der Trinen und Tucken, den schenke ich mir aber. Vielleicht checke ich mal ab, was Tom so treibt? Morgen ist ja Feiertag ...
1.Mai Feiertag
Sebastian hat ganz kleine niedliche Ohren. Nicht so Riesenhenkel wie Simon, obwohl der
auch keine Segelohren hat, sie sind einfach nur...etwas größer. Wieso ich schon wieder in der WG rumlungerte, weiß ich nicht, zumal Tom durch Abwesenheit glänzte. Hab einfach so getan, als wollte ich auf ihn warten und aus Langeweile an Sebastians Tür geklopft. Erst hat er seinen Frostbeulenblick draufgehabt, doch das hat sich erstaunlicherweise schnell geändert. Ich war schon fast soweit, ihn auf den Kuss anzusprechen aber dann hab ich mir doch ins Hemd gemacht. Stattdessen haben wir uns übers Fernsehen unterhalten. Nicht gerade besonders tiefsinnig. Immerhin weiß ich jetzt, dass er außer Escaflowne auch Angel Sanctuary mag und X natürlich und...Spiderman!!
Tom hat tatsächlich die Wahrheit gesagt...Sebastian kann nett sein. Gestern abend jedenfalls war er ziemlich nett. Es ist doch schön, mal einen Menschen zu treffen, der irgendwie auf meiner Wellenlänge liegt. Bei Simon traf das eher nicht zu, obwohl wir ja verliebt waren. Naja, da waren es wohl mehr die berühmten Gegensätze, die sich angezogen haben.
Sebastians Fernseher ist übrigens schon wieder mal kaputt, deshalb hab ich ihm angeboten,
zu mir zu kommen. Weiß der Teufel, was mich da geritten hat. Jetzt kann ich erstmal mein Zimmer aufräumen und überlegen, was ich anziehe. Hä?? Wieso muss ich das überlegen? Ist doch scheißegal, was ich anhabe. Fuck - der kommt ja schon in zwei Stunden - da werde ich mal lieber anfangen, mein Zimmer sieht nämlich noch schlimmer aus als sonst...
2.Mai
Scheiße, ich will mit Sebastian schlafen! Ich weiß das ganz sicher. Ich will mit ihm schlafen, ihn küssen, mich an ihn schmiegen, Hand in Hand spazieren gehen und wenn der Frühling so weiter geht, will ich bestimmt auch noch verdammte Blumen für ihn pflücken...
In der Schule war ich super unausgeschlafen, weil Sebastian gestern bis nachts bei mir war. Wir haben Vanilleeis mit Schokosoße gegessen, Escaflowne geschaut und danach hat er einfach keine Anstalten gemacht zu gehen. Das heißt er hat schon gefragt, ob ich nicht früh aufstehen müsste?! Ich wollte aber nicht, dass er geht.
Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist? Sebastian sah gestern nicht anders aus als sonst
(Jeans, graues Shirt) aber irgendwie fand ich ihn auf einmal ziemlich aufregend. Wie er zum Beispiel auf meinem Bett fläzte, Kippe in der Hand und auf den Fernseher stierte, da hab ich gesehen, wie sich beim Schlucken sein Kehlkopf bewegte. Wahnsinn, wie schön jemand aussehen kann, der gerade einfach nur schluckt! Seine Lippen schimmerten feucht, seine Augen glänzten und der streicht sich immer ganz niedlich die langen Ponysträhnen aus der Stirn... Scheißverdammter Mist - ich hab mich echt in ihn verliebt. Ist doch zum totlachen. Warum musste der mich aber auch an meinem Geburtstag küssen...??
Ahh, er hat gestern sein Knie an meins gelehnt...ich wollte kaputtgehen. Wow...und wie der riecht. So schnuffig irgendwie. In meinem Kopfkissen steckt noch immer sein Geruch und
ich hab schon zum x-ten Mal meinen Zinken drangehalten und geschnüffelt wie ein Köter. Also normal ist das sicher nicht. O je...o je, wenn der das wüsste...!
Ich hab gar keine Ahnung, wann ich ihn jetzt wiedersehe? Gestern hat er jedenfalls nichts gesagt. Ich kann doch nicht einfach ohne Grund bei ihm auf der Matte stehen. Aber wenn
ich ihn nicht sehe, bekomme ich Schwächeanfälle und Magenschmerzen...
3.Mai
Ob ich es wagen kann, Sebastian zu fragen, ob er mit mir ausgehen möchte? Also, jetzt nicht datemäßig, sondern einfach so, wie man halt mit Freunden am Wochenende mal ausgeht.
Ich weiß aber gar nicht, ob ich nun sein Freund bin oder nicht? So wahnsinnig viel hatten
wir ja noch nicht miteinander zu schaffen. Mh, vielleicht ein Bekannter? Mit Bekannten geht man doch auch gelegentlich aus. Vielleicht geht er aber generell nicht gerne aus? Ich meine, irgendwie war der doch immer nur zuhause, wenn ich Tom am Wochenende besucht habe.
Scheiße, Sebastian ist ein Stubenhocker. Andererseits könnte ihm allein weggehen einfach
nur zu blöde sein, der scheint ja keine Freunde zu haben, nicht einmal einen Bekannten. Ich komme nicht weiter. Da gibt es nur den Sprung ins kalte Wasser. Wo ist denn wieder das beknackte Telefon?
Du lieber Himmel! Hätte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde. Da rufe ich ihn
also an, rede um den heißen Brei, traue mich dann schließlich doch, ihn zu fragen und er
sagt, dass er nicht gerne mit vielen Leuten zusammen ist. Ich erkläre ihm lang und breit, dass das 10.15 keine riesige Disco ist und die Leute ihn nicht gleich erschießen werden, doch er bleibt stur. Hab ihn gefragt, ob er sich denn nicht langweilt, wenn er immer nur in seinem Zimmer hockt?
»Manchmal«, war seine Antwort.
»Dann komm doch einfach mit, wenn es dir nicht gefällt können wir ja sofort wieder gehen«, sagte ich, aber er wollte nicht. Dann habe ich ihm angeboten, zu mir zu kommen, was er zunächst auch ablehnte, aber mir kann ja niemand etwas abschlagen, also kommt er gleich vorbei.
Mir ist ganz flau im Magen. Wenn der sich wieder so rumräkelt wie das letzte Mal muss ich über ihn herfallen. Hetero oder nicht...ist mir dann egal. Ich sollte mich nicht noch zusätzlich mit der Klamottenfrage verrückt machen, er wird mir zweifellos wieder seinen entsetzlichen Schlabberlook präsentieren. Ich bin inzwischen so dermaßen verschossen, dass mir das gar nichts mehr ausmacht. Im Gegenteil. Sebastian könnte einen Kartoffelsack tragen und wäre für mich der schönste Mensch des Universums. Ich muss gerade daran denken, was Tom gesagt hat, von wegen einschleichen und zappeln und so...ich glaube, ich kann mich jetzt in die Schlange der Zappler einreihen. Aber komisch ist es schon, dass dieser durchnittliche, geradezu unscheinbare Depp so eine Wirkung auf mich hat.
4.Mai
Früh am Morgen...
Kann nicht schlafen. Bin viel zu aufgedreht, außerdem riecht mein ganzes verdammtes Bett nach Sebastian. Ich grinse, während ich hier sitze und schreibe...zwar kann ich es nicht
sehen aber ich weiß es. Dabei habe ich gar keinen Grund. Sebastian ist stockhetero! So wie ich ihn angebaggert habe, hätte sich jede kleine Schwuchtel auf mich geworfen, doch nicht Sebastian. Nicht das Geringste hat sich bei ihm getan - und ich habe wie ein Wahnsinniger darauf geachtet. Der hat noch nicht mal gemerkt wie scharf ich auf ihn war. Ziggy, Ziggy... schmink dir bloß diesen verdammten Typen ab!!
Sebastian kam irgendwann am frühen Abend - schwarze Hose, graues Shirt - und war bis
vor einer Stunde hier. Erst haben wir Pizza gegessen, danach Wein getrunken (hab gedacht, wenn ich ihn abfülle, kriege ich ihn vielleicht rum). Und er hat erzählt und erzählt und erzählt. Ich kenne jetzt sein ganzes Leben. Also er ist kein Findelkind. Hat Eltern, versteht sich aber nicht besonders mit ihnen. Nach Schule und Abi studiert er jetzt Sozialarbeit oder sowas... eben das, was alle machen, die eigentlich nicht wissen, was sie machen sollen. Er meinte, er wolle später mal irgendwas im Knast arbeiten. Hab ihm vom Dimitri-Buch erzählt, er kennt
es und findet es ebenfalls ganz gut! Ob er auch Dimitri so gut findet, wollte ich ihn dann doch nicht fragen, das heißt, ich wollte schon, hab mich aber nicht getraut. Jedenfalls hat er keine Freundin, weil er kein Mädchen trifft, das ihn irgendwie so richtig interessiert...also was schön ist und intelligent und die gleichen Interessen hat usw. Gut, dann soll er's mal mit einem Typen versuchen, beispielsweise mit mir. Ich bin sehr schön, bahnbrechend intelligent und mag die gleichen Sachen wie er. Auch das sagte ich ihm nicht. Fragte ihn, was er an Trisha auszusetzen hätte, worauf er meinte, sie sei ihm zu sehr in ihn verliebt, außerdem stehe er auf dünne Mädchen. Als ob Trisha nun eine dicke Tonne wär. Und was soll überhaupt bedeuten...zu sehr verliebt? Ich habe das Gefühl, er weiß selber manchmal nicht, was er redet.
Dann hat er mich die ganze Zeit ausgequetscht, seit wann ich es mit Typen treibe, warum, wieso und weshalb? Ob ich keine Probleme damit hätte, was meine Eltern dazu sagen, was Freunde davon halten, ob ich mit Tom zusammen bin, ob ich schon viele Typen hatte und so'n Kram. Ich hab ihm so gut ich konnte geantwortet, dass ich mich eigentlich schon immer in Jungs verknallt habe, dass es mir anfangs etwas unheimlich war, ich es aber jetzt ganz normal finde und die Freunde, die ich habe selber auf Jungs stehen.
»Hast du gar keine normalen Freunde?« hat er gefragt.
»Ich habe überhaupt nicht viele Freunde. Die Leute in der Schule sind mir zu beschränkt und ich wohne noch nicht so lange hier in der Stadt. Die Freunde, die ich habe, sind normal. Sie haben keine fünf Nasen, keine sieben Augen und keine Alienschädel.«
»Du weißt schon, was ich meine«, antwortete er.
»Hältst du mich etwa auch für unnormal, weil ich Jungs mag?«
Er sah ganz zerknirscht aus. »Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nah treten.«
»Schon okay.«
»Aber du musst doch zugeben, dass nicht alle, die merken, dass sie schwul sind so locker
damit zurecht kommen wie du.»
»Das kann schon sein. Und ich habe ja gesagt, dass es für mich auch nicht immer einfach
war. Besonders, wenn man eingetrichtert bekommt, dass ein Junge eben mit Mädchen rumzuknutschen hat und so weiter.»
»Und das wolltest du nie?«
Ich musste plötzlich sehr grinsen. »Weißt du, ich hab noch kein Mädchen getroffen, das mich so richtig interessiert hat. Sicher hab ich mal ein Mädchen geküsst aber ich hatte keinen
Spaß daran. Beim Wichsen hab ich mir immer Jungs vorgestellt.»
Er wurde ein bisschen rot...das sah geradezu atemberaubend aus.
»Sorry, war ich jetzt zu direkt?«
Er schüttelte verschämt den Kopf und ließ sein Feuerzeug auf den Boden fallen.
Oh...er ist ja soooo süß!! In diesem Moment hätte ich mich am liebsten an ihn gedrängt und geküsst.
Im Laufe des Abends wurden wir dann ziemlich betrunken und ich hab ihn andauernd rein zufällig berührt. Mal seine Finger, dann wieder seinen Arm, hab mein Knie an seines gelegt und bin ihm regelrecht auf die Pelle gerückt - es schien ihm nicht unangenehm zu sein, doch scharf gemacht hat es ihn nicht. Tja und deshalb komme ich zu dem Ergebnis, dass er hetero ist, was ich ja eigentlich schon die ganze Zeit weiß, und dass ich mir ihn aus dem Kopf schlagen sollte. Aber ich kann nicht. In jeder beschissenen Sekunde denke ich an ihn, wenn ich meine Augen zumache sehe ich sein schönes, völlig durchschnittliches Gesicht, mit seinen blaugrauen Augen, den langen Wimpern, seine kleine Nase, die wundervollen Lippen, seinen unglaublich perfekten Kehlkopf, die kleinen Ohren, die schmalen feingliedrigen Finger. Alles an ihm schreit mir förmlich ins Gesicht FICK MICH!! Alles, was er sagt, klingt in meinen Ohren wie FICK MICH!! Ich frage mich, wie Trisha es aushält, mit ihm unter einem Dach zu leben? Wenn er zB nur mit einem Handtuch bekleidet aus der Dusche kommt, die Wassertropfen glitzernd auf seiner nackten Haut perlen, in kleinen dünnen Rinnsalen über seine Brust laufen, bis hin zum Nabel... AHHHHH...mir wird ganz schummrig. Arme Trisha, das ist schlimmer als die schlimmste Folter! Zum Glück habe ich den »Engel« seit einigen Tagen nicht mehr angerührt. Kann also endlich wieder an Sebastian denken und onanieren...
5.Mai
Höhöhö! Ich sag doch immer, mir kann keiner was abschlagen. Man muss einfach nur
penetrant genug sein. Trotzdem bin ich mir nicht so ganz im Klaren, ob das so eine gute Idee war. Ich stand nämlich gestern bei Sebastian auf der Matte und hab ihn gewissermaßen mit sanfter Gewalt dazu gebracht, ins 10.15 zu gehen. Nebenbei ist mir aufgefallen, dass Tom nie mehr da ist, wenn ich auftauche. Ich glaube, der hat einen Neuen. Naja, es sei ihm gegönnt.
Ja, Sebastian hat sich natürlich mit Händen und Füßen gesträubt, was mich ein bisschen aufgeregt, beziehungsweise erregt hat. Ehrlich, ich mag das, wenn Jungs sich zieren. Nach einer Stunde war er so genervt von meinem Gerede, dass er mich geradezu angebrüllt hat, dann käme er halt mit.
In der Hoffnung, es würde vielleicht etwas passieren...ein Abenteuer sexueller Art...hab ich mich aufgebrezelt wie lange nicht mehr. Lackhose, Silbergürtel, Netzhemd, Satinhandschuhe, Eyeliner, Gloss. Als ich so in der Tür stand, wurden Sebastians Augen riesengroß, dann war er irgendwie total durcheinander - es dauerte eine Zeit, bis er sich gefangen hatte. Das hatte er dann aber auch gleich so richtig, dass er meinte, ich würde aussehen wie eine Tucke. Ich beschloss, das zu ignorieren, weil ich mich so toll fand, dass ich mich selbst hätte ficken können. Sebastian dachte übrigens nicht daran, sich umzuziehen. Er behielt seine fürchterliche Gammeljeans und ein dunkelgraues Shirt an, das allerdings etwas enger saß als die anderen. An der Schulter war die Naht ein wenig eingerissen, ich wollte sterben, so geil fand ich diese blöde Kleinigkeit.
Beklommen betrachtete Sebastian die ganzen Freaks, die im 10.15 rumhingen. Dass er sich nicht sonderlich wohlfühlte, sah man ihm mehr als deutlich an.
»Ist das normal, dass die Mädchen hier in ihrer Unterwäsche rumlaufen?« rief er mir ins Ohr, worauf ich nur die Achseln zuckte.
Strapse, Slips und zerrissene Strümpfe bin ich durchaus gewohnt. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Ich verstand ihn nicht. Normalerweise fanden die Typen doch Strapsmädchen geil, was also wollte er eigentlich? Sollte er sich doch freuen, dass er so viel zum kucken hatte.
»Wollen wir uns setzen?«
Er nickte. Bevor wir uns an einen der Tische setzten, holten wir an der Theke was zu trinken. Nach einer Weile stupste mir jemand seinen einen Finger in den Rücken. Ich drehte mich
um...da standen Benedikt und Nico.
»Hi, setzt euch«, rief ich.
Nico sah scharf aus, ich kann es nicht anders sagen. Ringelstrümpfe, irgendwas Rock-artiges darüber, Silbergürtel und so'n schwarzes BITCH-Shirt. Wahnsinn, ich beneidete Benedikt wirklich um seine italienische Schmollmundschönheit. Sebastian starrte Nico mit offenem Maul an und sagte den ganzen Abend kein Wort, während ich mich ausgezeichnet mit Ben unterhielt. Ich versuchte ja immer, Sebastian in unsere Gespräche einzubeziehen, doch er blockte jedesmal ab. Irgendwann gab ich es auf.
»Wo ist'n das Klo?« fragte er mich.
»Da vorne.«
Er ging und kam nicht zurück.
»Sag mal, willst du nicht nachsehen, wo dein Freund abgeblieben ist?« meinte Benedikt nach ein paar Minuten, worauf ich nickte, durch die ganze Kneipe lief und ihn schließlich an der Wand gegenüber der Tanzfläche fand.
»Was'n los?«
»Nichts. Hatte nur den Eindruck, dich und deine Trinen zu stören.«
»Das sind keine Trinen und du hast uns nicht gestört.«
Er gab keine Antwort, sondern stierte mit seiner Bierflasche in der Hand weiter auf die Tanzfläche.
»Also wenn es dir hier wirklich nicht gefällt, können wir auch gehen.«
Er sah mich an. »Eine ausgezeichnete Idee.«
Doch da dröhnten plötzlich die ersten Töne von »Some velvet morning« aus den Boxen. »Danach«, rief ich hastig, denn dazu nicht tanzen, ist für mich eine Todsünde!!!
Es ist nicht meine Schuld, dass das passierte, was passierte. Dieses Lied macht mich immer
so...ach...ich weiß auch nicht. Jedenfalls bin ich völlig ausgeflippt, während ich tanzte, hab aufs Ärgste an mir rumgefummelt (nicht in schlüpfrigen Gefilden selbstverständlich) und Sebastian gnadenlos angemacht. Hab direkt vor seiner Nase mein Becken kreisen lassen, in mein Haar gegriffen, an meinem Shirt gerissen.
Some velvet morning when I'm straight... da hab ich ihm andeutungsweise über den Bauch gestrichen, über die Hüften usw. Phaedra is my name... sang Lydia Lunch und ich legte ihm meinen behandschuhten Zeigefinger unters Kinn und flüsterte ihm diesen Satz ins Gesicht. Sebastian fand das...nicht gut. Er stierte mich wild und finster an, schlug meine Hand weg und stürmte davon.
Als ich wieder zu mir kam, suchte ich ihn natürlich, fand allerdings nur Nico und Benedikt, die mir sagten, dass Sebastian rausgelaufen sei. Ich sah draußen nach, keine Spur von ihm. Verdammt, das alles tat mir echt leid, ich hatte ihn nicht so erschrecken wollen. Zunächst
mal ging ich wieder rein, verabschiedete mich von Nico und Ben und fuhr mit dem Taxi zur WG. Das war sauteuer und er machte zur Krönung nicht auf. Das heißt, ich wusste ja nicht einmal, ob er überhaupt da war.
Nach einer halben Stunde warten auf der Treppe, kam glücklicherweise Carlo und ließ mich herein. Ich klopfte an Sebastians Tür und betrat ohne eine Antwort abzuwarten sein Zimmer.
Er war da. Mit Finsterblick, Frostmiene und allem drum und dran.
»Warum haust du denn einfach ab und lässt mich dann auch noch vor der Tür stehen wie einen Volltrottel?«
»Wie kannst du es wagen, dich dermaßen aufzuführen?«
»Entschuldige, daran war das Lied schuld«, erklärte ich.
»Willst du aus mir auch so eine kleine schwuchtelige Trine machen, oder was sollte das?«
»Was denn?«
»Schleppst mich in diesen warmen Schuppen, stellst mir deine schwulen Tuckenfreunde vor und dann das auf der Tanzfläche. Soll ich mir demnächst auch ein Röckchen anziehen?«
»Ist mir doch egal, was du machst. Ich hab dir Nico und Benedikt vorgestellt, weil sie da waren und ich ein höflicher Mensch bin und das auf der Tanzfläche - dafür hab ich mich gerade entschuldigt, Wichser.«
»Ich bin keine Schwuchtel und ich will nicht, dass die Leute einen falschen Eindruck kriegen, also lass in Zukunft dieses Arschwackeln vor meinen Augen. Versuch bloß nicht noch einmal, mich anzumachen.«
»Hättest aber trotzdem nicht so einfach abhauen müssen.«
Er hob eine Braue. »Sondern? Warten, bis du mich vor versammelter Mannschaft bespringst, oder was?«
»So toll bist du auch wieder nicht«, log ich. In Wahrheit dachte ich bereits die ganze Zeit
über an nichts anderes. »Es war einzig und allein das Lied. Wenn ich es höre, dann kann ich halt nicht anders.«
»Dann solltest du dir Lydia Lunch nicht mehr anhören, wenn wir zusammen sind.«
Hä? Ich war gelinde gesagt erstaunt. »Du kennst das?«
»Ja und weiter?«
»Nichts. Ich hätte nur nicht gedacht, dass du sowas kennst, das ist alles.«
»Denkst du, ich lebe hinterm Mond?«
Das hatte ich wahrscheinlich. Eine Weile stand ich schweigend vor ihm und blickte auf
meine Füße. Mir war etwas unwohl, ich wusste gar nicht, was ich tun sollte. »Bist du noch sauer?« fragte ich irgendwann vorsichtig.
Sebastian schüttelte den Kopf. »Wenn du dir ein für allemal merkst, dass ich nicht auf diesen Schwuchtelkram stehe.«
»Jaja, du brauchst das nicht immer zu wiederholen. Bin ja nicht blöd. Soll...soll ich dann jetzt
gehen?»
»Ist mir egal.«
Meine Lippen zitterten, ich war kurz davor loszuheulen. Was für eine Antwort. »Was ist dir denn lieber?«
Sebastian zuckte die Achseln. »Bist du nicht müde?«
Ok, das war's. Er wollte, dass ich ging. »Naja, geht so. Aber wenn du allein sein möchtest oder ich dich nerve, verschwinde ich.«
»Du kannst auch gerne noch bleiben.«
DAS ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich blieb natürlich, wollte mich zu ihm auf das Bett werfen, doch er hielt mich zurück. »Nicht mit den Schuhen.«
Ach du Scheiße, er hatte auch so einen Fimmel, klang wie meine Mutter. Ich kickte die Schuhe von meinen Füßen.
»Ziehst du sowas für gewöhnlich ab, wenn du auf einen Typen scharf bist?«
»Wie? Was denn?«
»Tanzen«, sagte er knapp.
»Ja, manchmal...«
»Und das klappt?«
»Ja, manchmal...«
»Und dann?«
»Was...und dann?«
»Wie geht es weiter?«
»Warum interessiert dich das? Ist doch Schwuchtelkram.«
»Bist du scharf auf mich?«
Ich war zu Tode erschrocken, lief höchstwahrscheinlich knallrot an und hüstelte verlegen. Natürlich bin ich scharf auf dich, du kleiner Idiot. So scharf, dass ich es kaum aushalte. Ich will mit dir schlafen - jetzt sofort. »Nein...äh...nein. Wie kommst du darauf?«
Er lächelte gequält. »Ja, wie denn wohl?«
»Das Tanzen hatte mit dem Lied zu tun, nicht mit dir.«
Nun sah er beinahe ein wenig enttäuscht aus. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur
ein.
»Wie kommst du eigentlich nachher nach Hause?« wechselte er das Thema.
»Keine Ahnung. Zu Fuß. Mein Geld hab ich für das Taxi hierher ausgegeben.«
»Zu Fuß? Aber es ist doch schon total spät. Mh...wenn du willst, kannst du hier schlafen.«
Hatte er eben FICK MICH gesagt? Mir war so. »Ähem, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Hätte ich sonst gefragt?«
»Wohl nicht«, stimmte ich zu und versuchte mir vorzustellen, wie ich die ganze Nacht neben ihm liegen sollte, ohne ihn anzufassen. Das war doch schier unmöglich.
»Hast du eine Luftmatratze oder sowas?«
»Nee, musst schon in meinem Bett schlafen.«
Ach du scheiße...auch das noch! Darüberhinaus verstand ich ihn immer weniger. Erst hatte
er panische Angst davor, angemacht zu werden und nun wollte er mit einem Schwulen sein Bett teilen. Ich wurde echt nicht schlau aus ihm.
»Keine Angst, dass ich über dich herfalle?« grinste ich.
»Das würde ich dir allerdings nicht raten...äh...hast du das denn vor? Dann kannst du dich nämlich gleich verpissen.«
»Du bist überhaupt nicht mein Typ.«
Schon wieder so ein merkwürdig enttäuschter Blick. Oder noch eine Halluzination.
»Okay, dann lass uns schlafen. Ich bin müde.«
Irgendwann lag ich neben ihm und wagte kaum, mich zu bewegen, kaum zu atmen, denn wenn ich es tat, stieg mir sofort sein wunderbarer Geruch in die Nase. Mir war unerträglich heiß, ich hoffte, dass ich sein Laken nicht zu sehr vollschwitzte. Er hatte mir den Rücken zugedreht, ich betrachtete seine weiße Haut und fühlte eine unglaubliche Sehnsucht, diese Haut zu berühren, seine Haare aus dem Nacken zu streichen und an seinem Hals zu knabbern, mich an ihm zu reiben. Mein Herz pochte so sehr, dass mein gesamter Körper dröhnte, meine Kehle war so trocken, als wäre ich dreißig Tage durch die Wüste gekraucht. Ich legte mich auf den Rücken und schloss die Augen. Wenn ich ihn nicht sah, würde ich vielleicht ruhiger werden. Ich schlief tatsächlich ein.
Als ich erwachte, lag er auf dem Rücken. Seine Lippen zuckten leicht...er war überirdisch schön. Ohne groß nachzudenken strich ich mit dem Finger über seine Brauen, seine Nase und die Lippen. Da schlug er die Augen auf.
»Was tust du da?«
Some velvet morning when I'm straight...
»Entschuldige«, murmelte ich, beugte mich über ihn und drückte leicht meine Lippen auf seinen Mund.
AHHHHHHHH...wie weich seine Lippen sind...oh...oh...wow...und wie süß.
Ich spürte, wie sein Körper sich versteifte, seine aufgerissenen Augen blickten mich entsetzt an. Schnell ließ ich von ihm ab. Doch dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Er hob seinen Kopf und...küsste mich! ER hat MICH geküsst!!
Ich war so überrascht, dass ich gar nicht daran dachte, meine Zunge irgendwie ins Spiel zu bringen, das änderte sich jedoch, als er meine Lippen mit seiner Zunge teilte. Seine Hände wuschelten durch mein Haar, ich hörte seinen schnellen Atem. WOW...Schmetterlinge flatterten wie bekloppt in meinen Innereien...
Viel zu schnell war es vorbei. Er stieß mich weg. »Mach das nicht noch mal«, zischte er.
Verwirrt blieb ich liegen. Ich? Was hatte ich getan? Er hatte doch mich geküsst! Na gut, ich hatte angefangen, aber das war harmlos gewesen.
Sebastian ging zur Tür. »Wenn ich zurückkomme, solltest du weg sein.«
Ein ekelhaft fetter Kloß schnürte mir die Kehle zu, doch tapfer zog ich mich an und machte mich aus dem Staub.
Tja, und jetzt würde ich natürlich zu gerne wissen, was das alles zu bedeuten hat.
Jedenfalls war das was anderes als ein harmloser Geburtstagskuss. Ich verstehe das nicht...
ich verstehe überhaupt nichts mehr. Und ich weiß wieder einmal nicht, ob er mich noch
sehen will, er hat mich ja quasi rausgeschmissen. Super, erst küsst er mich, dann soll ich verschwinden. Ich glaube so langsam, Sebastian wäre in einer geschlossenen Anstalt besser
aufgehoben!
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